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Radtourismus holt Rückstand auf

Die diesjährige Radreiseanalyse des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) zeigt, dass die Deutschen nach dem fahrradtouristisch schwachen Jahr 2020 wieder mehr unterwegs waren. In mancher Hinsicht wurde sogar das Vor-Corona-Niveau überboten. Aber auch die kleinen Details liefern aufschlussreiche Erkenntnisse. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2022, Juni 2022)


Knapp 42 Millionen Bürger*innen unternahmen 2021 mindestens einen Tagesausflug mit dem Rad. Im Vergleich mit dem Vorjahr sind das elf Millionen Personen mehr. Auch das Jahr 2019 wurde im Hinblick auf Tagesausflüge damit deutlich übertroffen. Ein anderes Ergebnis zeigt sich bei den Radreisen, für die der ADFC definiert hat, dass sie mindestens drei Übernachtungen umfassen und das Fahrradfahren eines der Hauptmotive ist. Hierunter fallen Urlaube von rund vier Millionen Deutschen, etwa anderthalb Millionen weniger als vor der Pandemie, aber immerhin knapp eine halbe Million mehr als im Jahr 2020.
Die Daten erhob der ADFC von November 2021 bis Januar 2022 mit Online-Befragungen. Insgesamt wurden über 10.000 auswertbare Fragebögen ausgefüllt. Zwei geschlossene Umfragen ergaben bundesweit repräsentative Datensätze, die zeigen, wie die Deutschen ihre Fahrräder nutzen und wie groß der Anteil jener ist, die Radreisen oder Tagesausflüge damit machen. Letztere Gruppe untersuchte der ADFC in einer offenen Umfrage detaillierter.
Die Ergebnisse zeigen einige Entwicklungen unter den Radreisenden auf. Diese zogen im letzten Jahr den Spätsommer als Reisezeitraum vor. Die Reisenden waren im Durchschnitt 53 Jahre alt und damit zwei Jahre jünger als im Vorjahr. Rund drei Viertel waren zwischen 25 und 64 Jahren alt. In den zwei Altersgruppen in diesem Bereich gab es Zuwächse, während vor allem die Über-65-Jährigen deutlich weniger als Radreisende gezählt wurden. Der Anteil der ältesten Gruppe ging um 16 Prozent zurück. Auch die 18- bis 24-Jährigen bildeten statt sechs Prozent im Jahr 2021 nur noch 2,6 Prozent der Gesamtgruppe der Radreisenden. An anderer Stelle gab es kaum Veränderung. Rund drei Fünftel der Radreisenden waren 2021 männlich.

Guten Freunden empfiehlt man eine Radtour

Wer eine Fahrradreise unternimmt, muss erst mal wissen, wohin es gehen soll. Dabei vertrauen die Deutschen mit einem Anteil von 38 Prozent vor allem Empfehlungen von Freund*innen. Auch durch Medienberichte in Magazinen und Zeitschriften und die Websites der Tourismusregionen selbst lassen sich mehr als ein Fünftel der Radreisenden Laune machen. Tourenportale wie Komoot und Outdooractive spielen an vierter Stelle für 18 Prozent der Reisenden eine Rolle.
Der Trend, welche Informationsquellen die Reisenden heranziehen, geht in Richtung digitaler Quellen. Der Verkauf gedruckter Radkarten ging, verglichen mit dem Vorjahr, minimal zurück. Reiseführer spielen im Vorfeld der Reise eine gleichbleibende Rolle, auf der Reise selbst verließen sich aber sechs Prozent weniger, nämlich knapp 27 Prozent auf sie. Stattdessen recherchieren im Vorfeld der Reise mit 82 Prozent noch mal sechs Prozent mehr Menschen im Internet. Auf der Reise selbst nutzen elf Prozent mehr, rund 58 Prozent, die Internetrecherche. Auch Apps auf dem Smartphone, dem Tablet oder der Smartwatch haben als Informationsquelle deutlich zugelegt.
Für die Wahl der tatsächlichen Route ist für Tagesausflügler besonders wichtig, dass diese gut befahrbar ist und Verkehrssicherheit, zum Beispiel durch separate, verkehrsarme Radwege, besteht. Erst in zweiter Instanz spielen Attraktionen entlang der Strecke eine Rolle. Für mehrtägige Radreisen sind die Sehenswürdigkeiten der wichtigste Ansatzpunkt, wenn geplant wird.

42 %

der Radreisenden nutzten 2021 Fahrräder
mit elektrischer Unterstützung.
Damit stieg die Quote verglichen
mit dem Vorjahr um ganze zehn Prozent.
Ein gut befahrbarer Weg, der zudem von anderen Verkehrsmitteln separiert und verkehrsarm ist. Das waren 2021 die Hauptauswahlkriterien, mit denen Tagesausflügler ihre genauen Routen planten. Erst danach wurden die Attraktionen an der Strecke genannt.

Niedersachsen bestätigt die Regel

Und wofür entscheiden sie sich? Niedersachsen konnte Bayern als meistbereistes Bundesland im Jahr 2021 den Rang ablaufen. Hier machten fast 30 Prozent der Radreisenden Urlaub. Damit ist Niedersachsen das einzige Bundesland, das 2021 von einem größeren Teil der Radfahrerinnen besucht wurde. Bei allen anderen Bundesländern gingen die Anteile relativ zum Vorjahr zurück. Nach Bayern fuhren rund 25 Prozent, was im Vergleich zu 2020 eine Differenz von neun Prozent ergibt, und Nordrhein-Westfalen wurde von etwa 21 Prozent der Radreisenden, also etwa fünf Prozent weniger besucht. Auch die am öftesten angefahrene Region des Reisejahres lag in Niedersachsen. 8,5 Prozent derjenigen, die mit dem Rad unterwegs waren, fuhren in die Region Osnabrücker Land/Emsland/Grafschaft Bentheim. Die beliebtesten Radrouten waren wie 2020 der Weser- und Elberadweg, wobei die Weser-Strecke in diesem Jahr am öftesten gefahren wurde. Auch die Radwege am Main und an den Ostseeküsten waren Publikumsmagneten. Mit den befahrenen Radfernwegen waren die Radlerinnen weitgehend zufrieden. Die zehn meistbefahrenen Routen wurde mit Ausnahme des Ostseeküstenradwegs (Note 1,9) mit Noten zwischen 1,5 und 1,7 bewertet.
Außerhalb Deutschlands locken Österreich und Italien mit 36 und 33 Prozent die meisten deutschen Radfahrer*innen auf ihre Straßen und Wege. Mit deutlich geringeren Anteilen von etwa 14 und 11 Prozent folgen Frankreich und die Niederlande im Vergleich zur letztjährigen ADFC-Analyse diesmal in umgekehrter Rangfolge.
Die wenigsten Radreisenden fuhren einfach an ihrem Wohnort mit dem Fahrrad los. Der Normalfall war im letzten Jahr die Anreise mit einem anderen Verkehrsmittel. Rund 41 Prozent unternahmen die An- und Abreise mit dem Pkw. Etwa 35 Prozent kamen mit der Bahn an und ungefähr 33 Prozent nutzten die Bahn auch für die Heimreise. 42 Prozent derer, die öffentliche Verkehrsmittel genutzt hatten, empfanden die Anreise nicht als problemlos. Fast zwei Drittel dieser Menschen bemängelten, dass Kapazitäten zum Fahrradtransport fehlen. Die Hälfte kritisierte fahrradunfreundliche Bahnhöfe und für 45 Prozent waren unkomfortable Fahrradstellplätze ein Störfaktor in ihrem Reiseerlebnis.

30 Prozent der Radreisenden machten 2021 Touren in Niedersachsen. Die beliebtesten Routen an Weser und Elbe dürften dazu beigetragen haben.

Neue Räder auf dem Radweg

Als Hauptverkehrsmittel der Radreise dürften viele im letzten Jahr mit einem anderen Rad unterwegs gewesen sein als im Jahr zuvor. Laut der ADFC-Umfrage haben sich 24 Prozent der Befragten, fast doppelt so viele wie im Vorjahr, 2021 ein neues Fahrrad zugelegt. In Anbetracht dessen, dass der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) von 4,7 Millionen verkauften Fahrrädern und E-Bikes im letzten Jahr ausgeht, dürfte sich der hohe Anteil lediglich durch viele Gebrauchtkäufe erklären lassen. Knapp die Hälfte der laut ADFC neuen Räder haben einen Elektroantrieb, wodurch sich die hohe Pedelec-Quote unter den Radreisenden erklären lässt. Diese lag mit 42 Prozent ganze zehn Prozent über dem 2020er-Wert. Die Motivation dafür, sich elektrische Unterstützung zu nehmen, kommt vor allem daher, dass die Pedelecs weitere Strecken ermöglichen, wie fast 73 Prozent der Befragten angaben. Gut die Hälfte der Menschen nutzt Elektrofahrräder, um auch anspruchsvollere und hügeligere Regionen besuchen zu können. An dritter Stelle nannten die Teilnehmerinnen der Studie, dass die motorisierten Fahr-räder Leistungsunterschiede aus-gleichen und so einen gemeinsamen Urlaub mit Partnerinnen oder Freund*innen ermöglichen.
Auch bei den Fahrradtypen, mit denen die Reisenden unterwegs sind, hat sich einiges verändert. Als neue Kategorie hat der Verband Gravel- und Cargobikes mit in die Befragung aufgenommen. Während die Lastenräder mit 0,3 Prozent bei einem geringen Anteil blieben, kommen Gravelbikes bereits auf fast fünf Prozent. Mit 17 Prozent nutzten sechs Prozent mehr Menschen Stadträder für ihre Reisen. Abgenommen hat der Anteil der Trekkingräder, die aber immer noch von der größten Gruppe genutzt werden. Der Prozentsatz schrumpfte von 64 auf knapp 58 Prozent.
Wie sich das Verhalten der Radreisenden in diesem Jahr entwickelt, bleibt abzuwarten. Abreißen dürfte das Interesse aber eher nicht. Mit knapp 70 Prozent hat ein ähnlich großer Anteil wie 2020 sich vorgenommen, auch in diesem Jahr wieder eine Radreise zu unternehmen.


Bilder: Stefan Kuhn Photography, Radreise – ADFC, ADFC Radreiseanalyse 2022