,

Bahn unterstützt Kommunen

Wer Menschen in die Züge locken will, darf mit Parkplätzen für Fahrräder nicht geizen. Die Bahn hat mit ihrem Bike+Ride-Service die Errichtung für die Kommunen beschleunigt. Ein Blitzlicht und Projektbericht von Campaigner Heinrich Strößenreuther, der als Projektmanager half, die DB-Bike+Ride-Offensive mit aufzubauen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Die Verkehrswende ist eine Aufgabe, die es nicht nur in den Städten, sondern auch außerhalb zu lösen gilt: Denn jedes Auto, das nicht in die Stadt fährt, reduziert dort den Stau, die Parkplatzsorgen und den Flächenkonflikt. Klima- und verkehrspolitisch gesehen wird es noch interessanter: Auch, wenn 50 Prozent aller Pkw-Fahrten kürzer als fünf Kilometer sind und in der Stadt aufs Rad verlagert werden können, sorgen grob gerechnet ein Drittel aller Fahrten (die über 10 Kilometer) für fast Dreiviertel der Emissionen im Pkw-Verkehr. Die Pkw-Entfernungsklassen von 10 bis 30 Kilometern der ein- und auspendelnden Verkehre sind das verkehrspolitische Handlungsfeld, bei der die geschickte Kombination zwischen Fahrrad und ÖPNV/Schienennahverkehr städtische Verkehrsprobleme lösen kann, mit gut ausgestatteten Haltepunkten als Schlüssel.

Fahrräder und E-Bikes als Zubringer denken

Betrachtet man das Fahrrad zusammen mit der Schiene konzeptionell und aus Nutzersicht als einen Verkehrsträger („Bike-Transit“), ergeben sich daraus mehrere verkehrspolitische Handlungsfelder:

  • Die Einrichtung von Fahrradabstellanlagen am Zubringer-Bahnhof
  • außerhalb der Stadt.
  • Die Einrichtung von Fahrradabstellanlagen bei den Innenstadt-Haltepunkten.
  • Die Einrichtung von geschlossenen Fahrradabstellanlagen für hochwertige Fahrräder wie E-Bikes.
  • Die Bereitstellung von ausreichenden Bikesharing-Angeboten.
  • Die sichere und attraktive An- und Abfahrt mit dem Rad zum Bahnhof.
  • Die Mitnahme von Fahrrädern im Zug.


Der Bike-Transit ist der reinen Autofahrt in vielen Punkten deutlich überlegen: Er ist häufig schneller, da er nicht mit Staus zur Rushhour konfrontiert ist. Dazu kommt, dass die Zeit im Zug heute mit modernen Devices bestens produktiv oder zur Unterhaltung genutzt werden kann. Der Bike-Transit ist im Vergleich zum Bus-Bahn-Bus zudem wesentlich pünktlicher, da Radfahrende auf der ersten und letzten Meile nicht durch Staus beeinträchtigt werden. So manche Familie erspart sich so den Zweit- oder Drittwagen. Richtig designt kann damit zudem die eine oder andere Autobahn oder Ausbauspur überflüssig werden, ganz abgesehen von weniger Verschleiß und Straßeninstandsetzung. Ebenfalls wichtig: Bei einem attraktiven, passenden Angebot spielt die Mitnahme von Fahrrädern in den Zügen für Pendler kaum noch eine Rolle, wie Erfahrungen aus den Niederlanden eindrucksvoll zeigen. Insbesondere in den Ballungsräumen ist der Bike-Transit damit häufig dem Auto-Pendeln überlegen.

„Die systematische Verknüpfung von Fahrrad und Bahnhof stand jahrzehntelang nicht im Fokus.“

Meike Niedbal, DB Station&Service

Hohe Potenziale zum Umsteigen

Bei unseren niederländischen Nachbarn ist die enorm hohe Ausstattung mit Bike+Ride-Plätzen nicht nur ein Ergebnis jahrzehntelangen systematischen Managements des Bike-Transits; sie ist ebenfalls durch starke verkehrspolitische Unterstützung aus den entsprechenden Ministerien und Kommunen entstanden. Während dort die Fahrradmitnahme-Kapazitäten gegenüber deutschen Nahverkehrszügen bestenfalls ein Viertel der Menge betragen, verfügen die Bahnhöfe über hervorragende Abstellmöglichkeiten – als High-End-Parkhäuser, aber auch als große, nicht überdachte Doppelstockanlagen. Und in Deutschland? „Die systematische Verknüpfung von Fahrrad und Bahnhof stand jahrzehntelang nicht im Fokus. Mit der Mobilitätswende wird es aber immer wichtiger, aktive Angebote für den Umstieg auf die Schiene zu machen“, erläutert Meike Niedbal, Leiterin Produktmanagement von DB Station&Service die Ausgangslage. In ihren Verantwortungsbereich fällt die Bike+Ride-Offensive, an deren Start sie 2018 beteiligt war. „Die Verantwortung für den ruhenden Verkehr wurde mit der Bahnreform 1994 den Kommunen übertragen. Für die Verantwortlichen in den Bahnhofsmanagements hießen zusätzliche B+R-Plätze mehr Investitionen und Aufwand ohne zusätzliche Erlöse zur Refinanzierung.“
Schaut man nach dem Bedarf an Bike+Ride-Anlagen in Deutschland, fällt auf, dass die meisten Fahrradabstellanlagen hierzulande regelmäßig stark überfüllt sind. Tatsächlich klagt eigentlich jeder darüber, dass selbst an die letzte Laterne Fahrräder gekettet sind, um den Diebstahl zumindest zu erschweren. Gleichzeitig wächst der Radverkehr seit einigen Jahren überproportional: Waren es in den 2010er-Jahren bislang häufig nur 5 Prozent pro Jahr, so zeigen die Zählstellen, aber auch die Navigations- und Handydaten von Dienstleistern wie Strava für die 2020er-Jahre (und im Corona-Jahr) an einzelnen Messstellen und Straßen jährliche Steigerungen um 10 bis 30 Prozent.
Bei einer Fahrgastanalyse für die S-Bahn Halle-Leipzig stellte sich schon im Jahr 2015 heraus, dass jeder fünfte Fahrgast zum Bike-Transit gehört und entweder die erste oder die letzte Meile mit dem Rad fuhr (oder auch beide). Überraschenderweise waren die Fahrgäste mit Rad im Zug die absolute Minderheit (nur 5 Prozent). Insgesamt kamen in diesem Großraum aber nur 13 Prozent mit dem Rad zum Bahnhof und nur 9 Prozent fuhren mit dem Rad weiter. Zum Vergleich: In den Niederlanden kommt jeder zweite Bahnfahrer mit dem Rad zum Bahnhof und jeder Zehnte fährt am Zielort mit dem Rad weiter. Aus Befragungen des BMVI (2015) wird deutlich, dass Radfahrer durchschnittlich 5,6 Kilometer radeln, aber beim Bike-Transit nochmals 11,6 Kilometer im Zug dazukommen. Das Einzugsgebiet einer Stadt steigt damit um das Neunfache von 100 auf 930 Quadratkilometer. Auch das Zehnminuten-Einzugsgebiet um einen Bahnhof steigt um das Zehnfache, wenn Bahnreisende nicht zu Fuß, sondern mit dem Rad zum Bahnhof kommen. Vorausgesetzt ist dabei natürlich, dass sie ihre wertvollen Fahrräder oder E-Bikes dort auch sicher abstellen können und es wiederfinden, wenn sie abends mit der S-Bahn nach Hause kommen.

Der Roll-out läuft. 100.000 zusätzliche B+R-Plätze hat sich die Deutsche Bahn bis 2022 vorgenommen. Doppelstockanlagen sind ein guter Kompromiss aus Bahnsteignähe, Platzangebot und Bedarf.

In sechs Schritten zum B+R-Erfolg

Mit dem Bundesumweltministerium und dem Projektträger Jülich konnte im Rahmen der Kommunalrichtlinie ein Förderinstrumentarium aufgebaut werden, das den Kommunen in der Regel 60 bis 70 Prozent der Kosten per Antrag über den Projektträger Jülich erstattet und mit weiteren Drittförderungen von Landes- oder EU-Ebene aufgefüllt werden kann. Diese Förderung ist in den Prozess integriert, den die Bahn ihrerseits aufgebaut hat und der neben dem zentralen B+R-Team Mitarbeiter von DB Immobilien und in den rund 50 Bahnhofsmanagements umfasst.

Zum Ablauf:

  1. Die Kommunen melden für ihren Bahnhof ihr Interesse, ihr Projekt und ihren Bedarf an. Das Projektteam meldet sich dann innerhalb kurzer Zeit für ein erstes Projektscreening.
  2. In einer gemeinsamen Bahnhofsbegehung von Kommune, Bahnhofsmanagement und B+R-Team, bei kleineren Bahnhöfen und während der Lockdown-Zeiten teilweise auch als Videokonferenz, werden Bedarf und mögliche Standorte sowohl auf DB- als auch auf kommunalen Flächen identifiziert. Im Kern erhält die Kommune nach diesem Schritt ein kostenloses Grob-B+R-Konzept.
  3. Für alle gewünschten DB-Flächen werden DB-intern die Verfügbarkeiten geprüft und gegen eine Bearbeitungsgebühr von 950 Euro ein Gestattungsvertrag ausgefertigt. Die Flächen der DB werden mietfrei für mindestens fünf Jahre bei stillschweigender jährlicher Verlängerung zur Verfügung gestellt, sofern sie nicht für Schienenausbau-Vorhaben, Notfall- oder Logistikflächen erforderlich sind.
  4. Das Projektteam unterstützt die Kommunen, wenn der Förderantrag über die Kommunalrichtlinie des Bundesumweltministeriums gestellt wird; gleichzeitig muss die Kommune ihre eigenen Genehmigungen, verkehrlichen Widmungen und ggf. Beschlüsse rechtzeitig sicherstellen.
  5. Schließlich kann die Kommune ohne weitere Ausschreibung in die Rahmenverträge der Bahn auf eigene Rechnung einsteigen; diese sind EU-weit im Offenen Verfahren, dem strengsten Ausschreibungsverfahren, ausgeschrieben worden; ein weiteres Novum für den DB-Konzern, sodass den Radverkehrsbeauftragten hier viel Arbeit abgenommen wird und mindestens drei bis sechs Monate Zeit eingespart werden.
  6. Abschließend begleitet das lokale Bahnhofsmanagement die Kommune und den Lieferanten bei der Montage und Inbetriebnahme der Anlage.

2018: Start des B+R-Ausbaus bei der DB

Die Idee für den Aufbau einer Bike+Ride-Offensive hatte ich im Herbst 2017 an die Bahn herangetragen. Standen im Winter 2017/18 erste Gespräche mit dem Bundesumweltministerium auf der Agenda, gab es kurze Zeit später das Signal für einen schnellen gemeinsamen Startschuss noch im Jahr 2018. Im Sommer 2018 bekam ich den Auftrag, das Projekt für die DB Station&Service, die Bahnhofstochter des Bahn-Konzerns, mit aufzubauen. Eine erste Benchmark-Analyse im In- und Ausland half, den derzeitigen Stand an B+R-Plätzen sowie den kurz- und mittelfristigen Ausbaubedarf abzuschätzen. An rund 5.400 Haltepunkten gibt es in Deutschland zurzeit ca. 400.000 Plätze, die kurzfristig für den Bedarf auf 650.000 Plätzen ausgebaut werden müssten. Mittelfristig, mit Horizont 2030, lässt sich ein Zielbedarf von ca. zwei Millionen Plätze ableiten – verteilt auf verschiedene Ausführungen, von einfachen, kurzfristig installierbaren Anlagen bis hin zu hochwertigen, aber nicht schnell verfügbaren Fahrradparkhäusern.
Als erstes Ziel hat sich die B+R-Offensive 100.000 zusätzliche Plätze bis 2022 vorgenommen. Um diesen enorm großen Zuwachs „kurzfristig“ realisieren zu können, wurde der Fokus auf schnell wahrnehmbare Veränderungen, eine konsequente Standardisierung und hohe Prozesseffizienz gelegt. Ein Problem war die Standardisierung für den Kunden „Kommune“. Bahnintern fehlten Regelprozesse und Zuständigkeiten, was es den Kommunen und Planern nicht einfach machte. Auch die dünne Personaldecke aufseiten der Kommunen machte einfache standardisierte Prozesse erforderlich. Dementsprechend wurden schnell montierbare Anlagen in den Fokus genommen, die auch Zwischenlösungen ermöglichten und vor allem keine Tiefbauplanung benötigten: einfache Reihenbügelanlagen, Doppelstockanlagen für große Kapazitäten auf begrenzten Flächen sowie Dächer und Sammelschließanlagen. Fahrradstationen oder Fahrradparkhäuser wurden zunächst zurückgestellt, um für die einfachen Lösungstypen effektive, schnelle und kundenorientierte Serviceleistungen einzuführen. „Wir wollten unseren Partnern, den Kommunen, einen Service anbieten, mit dem sich B+R-Projekte kurzfristig und unkompliziert umsetzen lassen“, so Marco Ladenthin, verantwortlicher Projektmanager bei der DB. „Dieses Ziel haben wir erreicht und haben gleichzeitig das Image gewonnen, schnell und effektiv helfen zu können.“ Die Offensive traf auf eine riesige Nachfrage: Inzwischen wurde ein zehnköpfiges Team aufgebaut, das die Kommunen berät, sie bei der Flächensuche unterstützt, ihnen zu mietfreien Gestattungsverträgen verhilft und außerdem bei der Anlagen-Beschaffung unter die Arme greift.

Zahlen

  • 71 % der Befragten sagen gemäß Fahrrad-Monitor 2017, dass Fahrradabstellplätze das Wichtigste sind, um mehr mit dem Fahrrad zu fahren.
  • 55 % der Befragten erwarten von der Politik, für sichere Radabstellanlagen zu sorgen, und 43 % erwarten von der Politik mehr Abstellanlagen.
  • In den Niederlanden beginnt schon heute jede zweite Bahnfahrt mit dem Fahrrad. Jede zehnte Bahnfahrt wird am Zielort mit dem Fahrrad fortgesetzt.
  • 85 % aller Bike+Ride-Nutzer in den Niederlanden schließen ihr Fahrrad an Reihenbügel- oder Doppelstock-Anlagen ab, nur 15 % nehmen das Angebot des zahlungspflichtigen Einschließens wahr.

Quelle: Factsheet DB Bike+Ride-Offensive, Stand 11/2018

Zwischenfazit und Ausblick

Trotz Corona haben mit über 400 Kommunen Vor-Ort-Termine zur Flächenidentifikation stattgefunden, die für hochgerechnet 50.000 B+R-Plätze stehen. Für über 30.000 neue Stellplätze liegen bereits fertige B+R-Konzepte vor – abgestimmt zwischen DB und Kommune sowie mit einem mietfreien Gestattungsvertrag für DB-Flächen, sofern nötig. Die schnellsten 30 Kommunen haben in Summe bereits 4.000 Plätze in Zusammenarbeit mit den DB-Rahmenvertragspartnern für die B+R-Anlagen installiert. „Die Verknüpfung von Fahrrad und Bahn leistet gerade im Pendlerverkehr einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Um hier deutlich voranzukommen, hat das Bundesumweltministerium seine Förderung ausgebaut und deutlich verbessert“, resümiert Dr. Sven Reinhardt, Referatsleiter des Referats Nationale Klimaschutzinitiative und Kommunaler Klimaschutz. „Das Interesse der Kommunen an der Initiative ist groß. Um auch unerfahrenen Kommunen bei der Antragstellung zu helfen, können sie mit Antragspaten durch das Verfahren begleitet werden.“
Die ersten Anlagen wurden in der Pilotphase in weniger als 18 Monaten vom ersten Kontakt bis zur Einweihung realisiert, unter anderem in Freising (800 Plätze), Mainz (700), Fulda (225) und Aschaffenburg (124). Im eingespielten Ablauf soll die Realisierungszeit deutlich weniger als ein Jahr betragen. Die Bahn hat ihre Zusage gehalten, einen kundenorientierten, schnellen und effektiven Service für Standardanlagen zu realisieren. Aktuell sind die Kommunen gefordert, die Prozesse ihrerseits auf einen zügigen Ablauf auszurichten. Jede Abweichung vom einfachen Standard verzögert beispielsweise die Abläufe. Entsprechend wurden in den Niederlanden viele Anlagen ohne Dach (und damit ohne Stromversorgung, Kabellegung und die dann etwa erforderliche Sprengstoffprüfung) errichtet.
Für die Zukunft werden zunehmend auch Fahrradstationen mit Stellplatzgrößen über 500 Plätzen oder Fahrradparkhäuser mit mehr als 2.000 Plätzen erforderlich sein, um die Kapazitätsanforderungen an den großen Bahnhöfen umsetzen zu können. Das Bundesumweltministerium hat seine Förderung im Rahmen der Kommunalrichtlinie inzwischen auf Fahrradparkhäuser ausgeweitet und fördert hier bereits die ersten kommunalen Projekte. Man könnte meinen, dass der Appetit beim Essen kommt.

Infos und Leitfaden Bike+Ride

Das baden-württembergische Ministerium für Verkehr hat im November 2019 einen Leitfaden mit 42 Seiten erstellt, der motivieren und dabei unterstützen soll, das Thema Bike+Ride ambitioniert anzugehen, mit Informationen zur bedarfsgerechten Planung und dem nutzerorientierten Betrieb.

Zum Download:
vm.baden-wuerttemberg.de/de/service/publikation/did/leitfaden-bike-ride

Weitere Informationen zum Vertiefen: deutschebahn.com/bikeandrideclevere-staedte.de/projekt/BikeAndRide

Heinrich Strößenreuther

ist „serial political entrepreneur“ und laut der Tageszeitung taz Deutschlands erfolgreichster Verkehrslobbyist. 2015 hat er den Volksentscheid Fahrrad, 40 Radentscheide und das Berliner Mobilitätsgesetz und 2019 GermanZero mit seinen 20 Klimaentscheiden und einem 1,5-Grad-Klimagesetz angeschoben. Er ist Geschäftsführer der Agentur für clevere Städte, die die Rheinbahn, die BVG und die Deutsche Bahn in B+R-Projekten als Berater unterstützte.


Bilder: DB Station&Service AG / Bike+Ride / Philipp Boehme, Qimby, Tony Schröter und ADFC SH e.V.