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Vor wenigen Wochen sind die Ergebnisse der Studie „Mobilität in Städten 2023 (SrV)“ auf der Abschlusskonferenz der TU Dresden veröffentlicht worden. Sie liefern tiefgehende Informationen zur Alltagsmobilität der städtischen Wohnbevölkerung in Deutschland. Für den Rad- und Fußverkehr gibt es viele beachtenswerte Erkenntnisse.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2025, Juni 2025)


Fast 900.000 Alltagswege konnten die Macherinnen der Studie „Mobilität in Städten 2023 (SrV)“ in ihrer Gesamtstichprobe abbilden. Die 134 Untersuchungsräume umfassen etwa 500 Städte und Gemeinden sowie 12 Regionen. Die Ergebnisse zeigen mit Blick auf die Mobilität insgesamt ein vielschichtiges Bild. Verglichen mit den Zahlen der Studien aus 2013 und 2018 schließen die Studienmacherinnen etwa, dass der Anteil mobiler Personen in höheren Altersgruppen zunehmend ist, in jungen und mittleren Altersgruppen hingegen abnimmt. Mit Blick auf die Zahl der Wege pro Person und Tag zeigt sich, dass Frauen mittleren Alters vor allem durch die Organisation komplexerer Tagesabläufe hochmobil sind. Bei Männern ist die Wegehäufigkeit mit Anfang 40 und Ende 60 am höchsten.

Positive Fahrradsignale

Sowohl in den Gruppen der ostdeutschen und westdeutschen Großstädte als auch in der Gruppe der großen Vergleichsstädte fällt auf, dass die Verkehrsleistung pro Person insgesamt abgenommen hat. Wer die Ergebnisse auf die einzelnen Verkehrsmittel aufteilt, kann die Anteile als positives Zeichen für den Radverkehr werten. Die Verkehrsleistung des Radverkehrs verbesserte sich in den drei genannten Gruppen um 200 bis 400 Meter pro Tag und liegt jeweils im Bereich zwischen 2,1 und 2,5 Kilometern pro Person und Tag. Mit Werten zwischen 9,5 und 11,2 km pro Tag stellt der motorisierte Individualverkehr (MIV) den größten Anteil an der Verkehrsleistung, ist jedoch im Vergleich zu den Vorerhebungen stark zurückgegangen. Der Fußverkehr hat in den angeführten Städtegruppen mehr Verkehrsleistung erbracht. Für den Öffentlichen Verkehr zeigt sich ein Bild der Stagnation oder sogar abnehmender Verkehrsleistung.
In der Studie werden fünf Raumtypen unterschieden: Metropole, Regiopole, Zentrale Stadt, Städtischer Raum, kleinstädtischer Raum. Mit Blick auf den Modal Split ergibt die Untersuchung über fast alle Raumtypen, dass die Menschen weniger MIV nutzen. Lediglich im kleinstädtischen und dörflichen Raum erhöhte sich der Anteil des MIV sogar um 1 Prozentpunkt auf 62 Prozent, während er in Metropolen nur 26 Prozent beträgt. Dies verdeutlicht, wie sehr ländliche und urbane Mobilität sich unterscheiden. Im Modal Split konnte der Radverkehr laut der Studie in jedem Raumtyp seinen Anteil steigern. Er liegt im jüngsten Untersuchungszeitraum zwischen 10 Prozent (kleinstädtischer und dörflicher Raum, 2018: 7 Prozent) und 19 Prozent (Metropole, zuvor: 18 Prozent). Eine starke Entwicklung beobachteten die Studienmacher*innen zudem beim Fußverkehr, allerdings mit gegenläufigem Schwerpunkt. Zufußgehen ist in Metropolen für 5 Prozentpunkte mehr am Modal Split (33 Prozent) und im kleinstädtischen und dörflichen Raum für gleichbleibend 21 Prozent verantwortlich. Abnehmende Bedeutung lässt sich laut der Studie für Öffentlichen Verkehr feststellen. Dessen Anteile am Modal Split sind in allen fünf Raumtypen gesunken.

62 %

Fokus auf Erwerbstätige

Aufschlussreiche Ergebnisse liefert die Studie zum Einfluss des Homeoffice auf die Mobilität. Wie die Befragungen zeigen, gehen Menschen, die im Homeoffice arbeiten, häufiger gar nicht aus dem Haus. Wer es doch tut, setzt in Metropolen, Regiopolen und Großstädten, wo der Homeoffice-Anteil am höchsten ist, zu 46 Prozent auf das Zufußgehen. Bei Menschen, die im gleichen Raumtyp leben und kein Homeoffice nutzen, liegt dieser Wert 20 Prozentpunkte höher. Homeoffice scheint im Gegensatz dazu nur im städtischen, kleinstädtischen und dörflichen Raum dafür zu sorgen, dass die Homeoffice-Nutzenden das Fahrrad leicht bevorzugen. In den anderen Raumtypen ist die Verkehrsmittelwahl Fahrrad mit oder ohne Homeoffice gleichrangig. Insgesamt legen die Befragten weniger Wege mit dem Auto zurück, je mehr Tage sie im Homeoffice arbeiten.

Elektrofahrräder sind Gamechanger auf dem Land

Als einen weiteren Fokus haben die Studienmacherinnen Mobilitätsoptionen abgefragt. Im Ergebnis ist mit Blick auf Elektrofahrräder ersichtlich, dass diese den Befragten häufiger zur Verfügung stehen, je ländlicher sie leben. Die Anteile jener Menschen, die immer ein Elektrofahrrad zur Verfügung haben, liegen bei flacher Topografie bei bis zu 24 Prozent, bei hügeliger Topografie bei bis zu 28 Prozent. Die Befragten legen mit ihren Elektrofahrrädern im Vergleich zu 2018 und auch im Vergleich zu Nutzerinnen konventioneller Fahrräder (deutlich) längere Wege zurück. Die durchschnittliche Wege der Elektrofahrräder sind in Metropolen, Regiopolen und Großstädten 5,5 Kilometer (konventionelles Fahrrad: 3,4 Kilometer), in den Raumtypen zentrale Stadt und Mittelstadt 7,4 Kilometer (konventionelles Fahrrad: 2,8 Kilometer) und im städtischen, kleinstädtischen und dörflichen Raum gar 11,5 Kilometer lang (konventionelles Fahrrad: 3,1 Kilometer). Vor allem ältere Erwachsene haben Zugriff auf Elektrofahrräder.
Insgesamt schlussfolgern die Studienmacher*innen für den Radverkehr: „Das Fahrradfahren hat weiterhin eine große Bedeutung. Die wegen des guten Wetters im Jahr 2018 erreichten Werte konnten vielerorts bestätigt, teilweise sogar noch übertroffen werden.“

Über die Studie


Bild: www.pd-f.de – Kay Tkatzik

Gewusst wie. In Schleswig Holstein berät der Verein Rad.SH Kommunen zu Finanzierungswegen über Landes- und Bundesmittel bei der Radverkehrsförderung. Die Firma Emcra aus Berlin verhilft mit Weiterbildungen, Workshops und individueller Beratung zum passenden EU-Förderprogramm.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2025, Juni 2025)


Hinter Rad.SH steht ein Zusammenschluss von Kommunen in Schleswig-Holstein, die den Rad- und Fußverkehr voranbringen wollen. Alle Kreise und kreisfreien Städte und weitere 170 Städte, Ämter und Gemeinden sind Mitglieder. Eine Fördermittel- und Planungsberatung wurde 2021 initiiert. Die zugehörige 2/3-Personalstelle wird zu 75 Prozent aus Landesmitteln finanziert, der Rest aus Beiträgen der Mitglieder. Rufen Kommunen auf der Suche nach Fördermitteln bei Berater Carsten Massau an, klopft er zunächst einen strategischen Fragenkatalog ab. Dabei kristallisieren sich vorhandenes Fachwissen sowie die Förderchancen heraus. Erfahrungsgemäß sind kreisfreie Städte und Landkreise zwar personell so gut aufgestellt, dass sie Planungs- und Genehmigungsverfahren realistisch einschätzen. Gerade kleineren Kommunen mangelt es aber mitunter an radverkehrsrelevantem Wissen. Besonders vom „schnellen Geld“ sollte man sich nicht verlocken lassen. „Erste Informationen über Förderprogramme sind häufig oberflächlich. Sie schüren große Erwartungen in Politik und Öffentlichkeit. Die gilt es, mit der Realität der eigenen Projekte abzugleichen“, sagt Massau.
Mit den richtigen Fragen erhalten Interessent*innen einen realistischen Blick auf ihr Vorhaben.
Dabei wird auch die Motivationslage der Anfragenden abgeklopft. Handelt es sich um eine politisch abgestimmte Maßnahme, die von der Verwaltung umgesetzt werden soll? Ist die Maßnahme bisher nur eine Idee der Ratsmehrheit oder Opposition? Wie praxisnah schätzt die Politik den Aufwand für Antragstellung, Dokumentation und Abrechnung ein?

„Es braucht einen Kümmerer, der die Fäden in der Hand hält.“

Carsten Massau, Berater Rad.SH

Radweg An der Untereider. Im Rahmen des geförderten Projekts „RaD stark!“ entstand in der Stadt-Umland-Region Rendsburg durch Lückenschließung ein erweitertes Netz zur Förderung des Radverkehrs.

Radverkehrskonzept vor Datenbankrecherche

Weil sich die Geldgeber eine lenkende Wirkung erhoffen, lautet eine Kernfrage, inwieweit die Maßnahme in einem größeren planerischen Zusammenhang steht. Nicht nur in Schleswig-Holstein ist das eine Fördervoraussetzung. Darunter kann ein Stadtentwicklungskonzept verstanden werden, ein Nahverkehrsplan, ein Mobilitäts- beziehungsweise Radverkehrskonzept oder eine Netzplanung. Generell rät Rad.SH, sich auf Maßnahmen zu fokussieren, die politisch vor Ort gewollt sind. Und zwar im Bündnis mit Baulastträgern, Verkehrs- und Umweltbehörden sowie Bürger*innen. Die Eigentumsverhältnisse sollten geklärt sein. Hinzu kommt eine verkehrsrechtliche Relevanz wie etwa Verlagerungspotenziale, Sicherheitsaspekte, Schülerverkehre oder Radtourismus. Erst davon ausgehend sollten die Verantwortlichen nach dem passenden Förderprogramm suchen. Basisorientierung bietet die Förderdatenbank beim Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM). „Da kann man nach Stichworten Förderprogramme recherchieren“, erklärt Massau. „Je nachdem, ob ich eine Fahrradabstellanlage am Bahnhof bauen will oder einen interkommunalen Radweg, werden die entsprechenden Programme ausgespuckt.“
Zwar bieten auch Landesbanken Projektförderungen zu vergünstigten Darlehenszinsen an. Dieser Bereich betrifft jedoch eher größere Maßnahmen etwa in Städten. Carsten Massau sagt: „Solche Investitionsprogramme kommen ins Spiel, wenn in Kiel der Hafen umgebaut wird und dabei auch ein Radweg entsteht.“ Die öffentlichen Förderprogramme arbeiten mit Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen.
Die Firma Emcra – Co-shaping Europe berät auch zu EU-Fördermitteln. Geschäftsführer Michael Kraack verweist auf die Datenbank für das „Funding und Tenders“- Programm der Europäischen Kommission. Seine Empfehlung lautet, bei der Recherche nicht nur nach dem speziellen Förderbereich zu suchen. Selbst wenn der Name der Programme es auf den ersten Blick nicht vermuten lässt. „Fahrradmobilität hat auch damit zu tun, dass die Angebotsstrukturen da sind“, sagt Kraack. „Zum Beispiel eine touristische Infrastruktur.“

Externe Beratung für Kommunen

Hat die Kommune erste Programme ausgewählt, sollte sie sich professionell beraten lassen. Denn nach der schnellen Datenbankrecherche heißt es, ins Kleingedruckte einzusteigen. Die Rad.SH bietet Förderberatung für alle Kommunen in Schleswig-Holstein. Im Fokus stehen das Sonderprogramm Stadt und Land, Landes-, Bundes- und teils EU-Mittel. Ziel ist eine Erstberatung mit solider Grundinformation. Für eine weitere externe Förderbegleitung vermittelt Rad.SH den Kontakt zu antragserfahrenen Kommunen sowie Planungsbüros.
Das Team von Emcra rät, ein internes Fördermittelmanagement aufzubauen. Entweder durch Kompetenz im Hause, Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern oder einem Mix aus beidem. Zwar kann eine Person einen Antrag schreiben und so zum erfolgreichen Förderbescheid kommen. In der Umsetzungsphase können später allerdings Probleme auftauchen, die sich bereits in der Antragsphase vermeiden lassen. Für externe Beratungen sollten vorab keine pauschale Honorarsummen gezahlt werden. Seriöse Fördermittelexperten erhalten ausschließlich auf Erfolgsbasis beruhende Vergütungen.

Stellschraube Personalressource

Der anspruchsvolle Prozess von der Informationsbeschaffung über die Chancen-Risiken-Abschätzung, die Antragstellung, Durchführung, Abrechnung bis hin zum Verwendungsnachweis kann nicht nebenbei erledigt werden. Von vornherein müssen ausreichend Personalkapazitäten für die Antragstellung eingeplant werden. Carsten Massau rät: „Es braucht einen Kümmerer, der die Fäden in der Hand hält, notwendige Pläne und Unterlagen beschafft, die verwaltungsinternen Abstimmungen vornimmt und den Kontakt zum Fördermittelgeber hält.“ Emcra-Mann Kraack betont: „Wichtig ist es, internes Wissen aufzubauen. Die komplexen EU-Förderanträge beinhalten keine Förderung für die Formulierung eines Antrags.“ Sein Tipp: Die Weiterbildung der Mitarbeitenden kann zu 100 Prozent gefördert werden.
Carsten Massau räumt ein: „Leider gibt es nicht die eine Institution, die alle Informationen bündelt. So gibt es in Schleswig-Holstein neben uns auch den Nah.SH der öffentlichen Verkehrsträger. Die haben auch eine Fördermittelberatung, die den Schwerpunkt Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen hat. Wir Fördermittelberater kennen uns und verweisen aufeinander. Als Kommune sollte man versuchen, einen Fuß in solche Netzwerke zu kriegen. Daraus ergibt sich ein Informationsfluss. Dafür sollte jemand eine bestimmte Personalstundenzeit zur Verfügung haben. Kommunen, die sich das personell nicht gönnen, haben es schwerer“, findet Massau.

Networking ist unumgänglich

Dazu gehört es, sich in Newsletter einzutragen. Zum Beispiel von der Rad.SH, dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), bei den Landesförderbanken, dem BALM oder dem Service- und Kompetenzzentrum Kommunaler Klimaschutz (SK:KK). Darin werden unter anderem Webinar-Termine zu Fördermöglichkeiten des kommunalen Klimaschutzes veröffentlicht. Auch Emcra gibt einen 14-täglich erscheinenden Fördertipp heraus. Michael Kraack hält professionelles Networking für unabdingbar und empfiehlt auf Arbeitsebene Kontakte zu Personen in den Vergabestellen aufzubauen. Ein Netzwerk stellt sicher, dass Dynamiken im Fördermittelsystem frühzeitig bekannt werden. Selbst Mittel, die nach dem Windhund-Prinzip vergeben werden, („Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“), entgehen einem dann nicht. Die Befürchtung, dass allein Kontakte im Sinne einer Lobbybeziehung oder persönlicher Einflussnahme von Politikern schon den Erfolg ebnen, bestätigt Massau nicht. Der Schleswig-Holsteiner wie der Berliner Experte sind sich einig: Beste Chancen haben die Kommunen, die gut argumentieren und formulieren können sowie vor einer Antragstellung alle Fragen beantwortet haben.

Mit dem Radförderprojekt in Elmshorn wurden an der Lise-Meitner-Straße Querungshilfen, Radweg und der Kreisverkehr neu angelegt. Der CarBikePort vor dem Kino ersetzt einen Pkw-Stellplatz durch zehn Fahrradstellplätze.

Eigenmittel sind Voraussetzung

Das berührt auch die Frage nach den Eigenmitteln. Denn die meisten Förderprogramme bieten keine 100-Prozent-Finanzierung. Eine Maßnahme sollte deshalb so wichtig sein, dass der Eigenanteil im Gesamtkontext der kommunalen Aufgaben gerechtfertigt ist, rät die Rad.SH. In einem Beitrag für das Handbuch StiftungsManager weisen Michael Kraack und Heike Kraack-Tichy darauf hin, dass zwar nie mehr Gelder ausgezahlt werden, als im Bewilligungsbescheid genehmigt. Umgekehrt kann sich die Fördersumme reduzieren, wenn weniger Mittel benötigt werden. Für Spielraum sorgt demnach die Möglichkeit einer begrenzten Umwidmung von einer Budgetkategorie in die andere. Diese sollte dann allerdings gut begründet werden.
Auch bei nicht vertragsgemäßer Umsetzung droht die Rückzahlung. Mit der Formulierung des Förderprojekts wird ein Vertragsbestandteil selbst geschrieben. Deshalb sollten nie Leistungen oder Ergebnisse zugesagt werden, die nicht eingehalten werden können. Kommt es bei der Umsetzung zu Problemen, sollte umgehend Kontakt mit dem Förderer aufgenommen und die Lage offen angesprochen werden.

Auf das Kleingedruckte kommt es an

Der Hinweis auf das Kleingedruckte in den Ausschreibungsunterlagen klingt banal. Beide Berater weisen darauf hin, dass Antragstellerinnen gerade dem manchmal zu wenig Aufmerksamkeit schenken. So macht eine Antragstellung überhaupt nur Sinn, wenn es eine passende Schnittmenge der eigenen Projektziele mit den in der Ausschreibung genannten gibt. Bei der Formulierung sollte man sämtliche Förder- und Evaluationskriterien im Auge behalten. Sonst besteht Gefahr aufgrund formaler Kriterien abgelehnt zu werden. Aufgrund der Komplexität von Ausschreibungen und Projekten bleibt die Fördermittelberatung eine individuelle Angelegenheit. Die Emcra-Expertinnen identifizieren in ihrem Fachartikel dennoch einige weitere Konstanten, die sich bei den meisten öffentlichen Fördermittelvergaben wiederholen.

Zeitperioden großzügig planen

So ist ein ausreichender Zeitpuffer nicht zu unterschätzen. Drei bis sechs Monate gelten für einen umfangreichen Förderantrag als angemessen. Weil viele Förderprogramme wiederkehrende Antragsfristen besitzen, ist Aktionismus also unnötig. Stößt man kurz vor Abgabeschluss auf eine Ausschreibung, wartet man lieber auf die kommende Antrags-Deadline.
Mehrstufige EU-Antragsverfahren bedürfen besonderer Beachtung: Häufig ist die erste Einreichungsfrist eine Interessenbekundung oder Concept Note. Aufgefordert zur Abgabe des Vollantrags werden nur Projekte, deren eingereichtes Konzept überzeugen konnte. Unerfahrene Antragsteller begehen in einem solchen Verfahren den Fehler, der ersten Phase nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei haben nur die eine Chance zur Einreichung eines Vollantrags, die ihre Hausaufgaben vor der Einreichung der Interessenbekundung erledigen. Deshalb heißt der Emcra-Rat: Wer auf der sicheren Seite stehen will, agiert im Hinblick auf die erste Antragsfrist so, als wenn es nur einen Abgabetermin gäbe.

Förderphasen und messbare Wirkung

Zur Einplanung von Fremdmitteln sollte man die politischen Förderphasen kennen. Während sich in Deutschland Förderphasen nach vier- bis fünfjährigen Legislaturperioden richten, kann man bei EU-Mitteln nach siebenjährigen Förderphasen planen. Der Förderbetrag selbst wird innerhalb eines festen Projektzeitraums verausgabt. Die geförderte Kommune muss schon bei Antragstellung deutlich machen, wie sie die Projektergebnisse auch ohne dauerhafte Unterstützung nachhaltig erreichen will. Förderungen sind an messbare Wirkungen gebunden. Darüber müssen die Verantwortlichen im Detail Auskunft geben können. Zum Fördererfolg gehört deshalb auch eine gut mit Zahlen belegte Wirkungsanalyse oder Prognose.
Ist der Zuwendungsbescheid unterschrieben, liegt der Fokus schließlich auf der Umsetzung. Dabei gilt es, die Auflagen aus dem Bescheid zu beachten. In der Öffentlichkeitsarbeit ist auf den Fördermittelgeber und das Programm hinzuweisen. Neben der zahlenmäßigen Verwendung der Mittel gehört der schriftliche Nachweis dazu, der den Zusammenhang zwischen Förderzielen und der geförderten Maßnahme begründet.


Bilder: Stadt Elmshorn, Stadt Rendsburg, Morten Boysen – Stadt Elmshorn

Mit Lastenrädern können Menschen heute äußerst komfortabel Einkäufe, Kinder, Hunde und mehr transportieren. Vor der Zielsetzung, den Kfz-Verkehr und die damit verbundenen Emissionen zu reduzieren, kann es sinnvoll sein, die Anschaffung der Cargobikes zu bezuschussen. Befragungen von Nutzer*innen aus Bochum und Ingolstadt zeigen, wie diese ihr Verhalten tatsächlich geändert haben.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


„Lastenräder sind ein wichtiger Baustein der urbanen Mobilitätswende“, fasst Cargobike.jetzt die Umfrageergebnisse aus Bochum und Ingolstadt in einer Ende 2024 veröffentlichten Auswertung zusammen. Die Berliner Verkehrswende-Agentur wurde von den zwei Städten beauftragt, der Lastenradanschaffung und dem bisherigen Nutzungsverhalten auf den Grund zu gehen. In Bochum wurden zu diesem Zweck 105 Empfängerinnen im Rahmen einer verpflichtenden Umfrage für die Fördernehmer*innen befragt. In Ingolstadt ergab eine freiwillige Umfrage 133 Rückmeldungen, was einer Rücklaufquote von 45 Prozent entsprach. Alexander Lutz von Cargobike.jetzt erklärt die Hintergründe: „Die Evaluation von Lastenrad-Förderprogrammen ist zwischenzeitlich die Regel, schließlich geht es hier ja um öffentliche Gelder und deren Verwendung. Das Besondere an diesen beiden Fällen war, dass wir die zuständigen Verwaltungsstellen, die durch die Abwicklung der Programme bereits personell extrem beansprucht wurden, als externe Dienstleister an dieser Stelle entlasten und zugleich Vergleichbarkeit zwischen den Kommunen herstellen konnten.“
Die Ergebnisse der Befragungen zeigen deutlich, wie wichtig der finanzielle Anreiz für viele Menschen ist, um sich überhaupt für ein Lastenrad als Eckpfeiler des eigenen Mobilitätsmixes zu entscheiden. In Ingolstadt gaben 76 Prozent der Befragten an, dass die Förderung der ausschlaggebende Grund für die zeitnahe Anschaffung war. 43 Prozent meldeten zurück, dass sie sich ohne die finanzielle Unterstützung gar kein Lastenrad zugelegt hätten. In Bochum zeigt sich ein ähnliches Bild. In der Ruhrgebietsmetropole hätten etwa 75 Prozent ohne Förderung kein Lastenrad angeschafft oder einen etwaigen Kauf zu einem späteren Zeitpunkt getätigt.
Die Stadt Bochum hatte für ihre Lastenradförderung zwischen Juni 2023 und Oktober 2024 71.000 Euro bereitgestellt. Damit konnte die Stadt den Kauf von 142 Cargo-Bikes fördern. In Ingolstadt wurden in den Jahren 2021 und 2023 mit rund 270.000 Euro rund 300 Räder bezuschusst. Alexander Lutz verdeutlicht die Bedeutung gründlicher Auswertungen vor dem Hintergrund klammer Haushaltskassen: „Bei begrenzten Haushaltsmitteln in den Kommunen konkurrieren die unterschiedlichen Verkehrswendemaßnahmen miteinander. Lastenräder haben von allen Formen der Mikromobilität das höchste Auto-Ersatzpotential – das verdeutlicht man der Politik und den Bürger*innen am besten anhand stichhaltiger Zahlen.“

Rege Nutzung

Erfreulich dürfte für die zwei Städte auch sein, dass die Empfänger*innen der Förderung ihre Fahrzeuge regelmäßig nutzen. Über 90 Prozent der Befragten fahren mehrmals pro Woche mit ihrem Lastenrad. In Ingolstadt nutzt ein Drittel das Transportrad sogar täglich. Gemeinsamkeiten zeigen sich auch bei den Einsatzgebieten der Räder in den beiden Städten. Einkäufe und Kindertransporte stehen vorne im Ranking. In Bochum sind dementsprechend 68 Prozent der Nutzerinnen Familien mit Kindern.
In Ingolstadt ersetzen laut Cargobike.jetzt 80 Prozent der Befragten mit ihrem Lastenrad solche Fahrten, die sie zuvor mit dem Auto unternommen hätten. Pro Woche wurden in der bayerischen Stadt 44 Kilometer mit dem Lastenrad zurückgelegt. Daraus ergibt sich hochgerechnet aufs ganze Jahr und die geförderten Räder ein Einsparpotenzial von über 100 Tonnen Treibhausgasen – den Stromverbrauch der E-Bikes schon einkalkuliert. In Bochum bestätigten 61 Prozent der Nutzerinnen eine deutlich verbesserte persönliche Umweltbilanz. Die Auswertungen in Ingolstadt und Bochum zeigen auch Handlungsbedarf. Die Befragten kritisieren zu 68 Prozent in Bochum und zu 50 Prozent in Ingolstadt zu schmale Radwege. Etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) in Bochum hat Bedenken hinsichtlich der eigenen Sicherheit im Straßenverkehr. Auch in Ingolstadt fühlen sich nur die Hälfte der Nutzer*innen sicher. Dort bemängeln die Fördernehmer*innen zudem, dass es an Abstellmöglichkeiten mangelt.

Lastenrad wird Auto vorgezogen

Trotz dieser Verbesserungswünsche ist die Förderung in den beiden Städten aus Sicht der Nutzerinnen ein großer Erfolg. 98 Prozent meldeten in Bochum zurück, mit der Förderung zufrieden zu sein. In beiden Städten schlagen vor allem die entstandene Flexibilität und die Schnelligkeit im Stadtverkehr positiv zu Buche. Viele ziehen das Lastenrad mittlerweile ihrem Auto vor, insbesondere beim Kindertransport. Die Ergebnisse zeigen zumindest für die ausgewerteten Beispiele, wie positiv sich Kaufprämien für Lastenräder auf das Privatleben ihrer Nutzer*innen und das städtische Zusammenleben auswirken können. Lutz fasst zusammen: „Lastenradförderung wirkt und ersetzt viele Pkw-Fahrten, mittel- bis langfristig sogar den einen oder anderen (Zweit-)Wagen! Wichtig ist jedoch ein Sozialfaktor, der die Anschaffung von Lastenrädern für Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders stark fördert.“


Bild: www.pd-f.de – Florian Schuh

Das Ehrenamt ist eine Möglichkeit, sich mit Aufgaben jenseits des Berufsalltags gesellschaftlich einzubringen oder Sinnlücken zu füllen, die die berufliche Beschäftigung offenlässt. Auch im Verkehrsbereich. Roland Rücker arbeitet seit fünf jahren als Radverkehrsbeauftragter in einer hessischen Kleinstadt. Mit Begeisterung.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Roland Rücker fährt selbst leidenschaftlich und andauernd Fahrrad. Das kommt ihm als ehrenamtlicher Radverkehrsbeauftragter zugute.

Zum Interview-Termin in Düsseldorf kommt der Radverkehrsbeauftragte Roland Rücker direkt von der Fahrradkommunalkonferenz in Hannover. Per Bahn und die letzten Kilometer mit seinem schwer bepackten Trekkingrad. In Hannover vertrat er seine Heimatstadt Kelsterbach. Ehrenamtlich. Aber mit viel Elan, wie man sich nach wenigen Minuten, in denen man ihm zuhört, vorstellen kann. Sein Berufsbild füllt er bestens aus: Der drahtige Mann fährt Fahrrad und kommuniziert darüber.

Verkehrsmittel fürs Leben

Die Kombi „Kommunikation und Verkehr“ hatte er früher schon im Blut. Im „ersten Leben“ war der jetzt 59-jährige Rücker Vorfeldlotse auf dem Frankfurter Flughafen. Heißt: Er koordinierte und steuerte die Wege der Flugzeuge auf dem Boden, vor dem Start und nach der Landung. Nun ist er im Vorruhestand. Das Fahrrad war auch schon immer präsent: Für den Arbeitsweg zum Flughafen ebenso wie in der Freizeit. Rennrad, Mountainbike, Reiserad – alle Register des Zweirads zog er im Laufe der Zeit. Eines der Highlights: eine Radreise nach Island und rund um Island herum.
Das Fahrrad als Verkehrsmittel kam aber immer mehr in seinen Fokus. Am Flughafen engagierte er sich dafür, dass die kurzen Strecken von den verschiedenen Einsatzorten innerhalb des Areals von den Mitarbeitern nicht mehr mit dem Auto, sondern mit flughafeneigenen Leihrädern zurückgelegt werden konnten. Außerdem sorgte er für sichere Abstellanlagen für die Mitarbeiter*innen, die mit dem Rad zur Arbeit kamen – so wie er.

Der Weg zum Radwegversteher

Eine Stellenausschreibung im örtlichen Wochen-Anzeigenblatt, das auch amtliche Bekanntmachungen der Stadt dokumentiert, gab den Startschuss: Die Stadt suchte einen Fahrradbeauftragten im Ehrenamt. Eine Bewerbung beim radverkehraffinen Bürgermeister Manfred Ockel und einige Gespräche später hatte Rücker seine Berufung zum Beruf gemacht.
Dabei war die Beschäftigung mit Radverkehr und Radverkehrsanlagen für ihn kein Neuland. Schon früher hatte er massives Interesse daran zu verstehen, wie Rad mobilität in der Stadt gelenkt wird, wie sie sich weiterentwickeln kann, wie man damit zu einer besseren gesellschaftlichen Mobilität beitragen könnte. Er belegte Bildungsurlaube, unter anderem „Fahrradstadt Berlin“ der Weiterbildungseinrichtung Forum Unna. „Eine Woche in Berlin mit Stadtführer, der dir die Radverkehrsstruktur in Berlin erklärt. Ich hab unglaublich viel da gelernt“, erzählt er strahlend. Aber nicht nur Kurse und die täglichen praktischen Erfahrungen prägen sein Wissen über die Möglichkeiten und Visionen des Radverkehrs. Er bildet sich medial weiter. Das wichtigste Buch zur Radfahrmobilität für ihn – und für viele Radverkehrsplaner: Thiemo Grafs „Handbuch Radverkehr in der Kommune“, aus dem er gern zitiert. Aber auch Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft Nahmobilität Hessen (AGNH) sind im Repertoire, genauso wie die Veröffentlichungen des DIFU, Deutsches Institut für Urbanistik, gehörten und gehören für ihn zur Standardlektüre.

Ganz wichtige Aufgabe: auf Patrouille Stellen finden, die den Radverkehr behindern oder gefährlich machen. Dann greift Roland Rücker selbst zum Werkzeug oder informiert die Kelsterbacher Kommunalbetriebe.

Abwechslungsreicher geht nicht: Auch mit der Theorie macht sich Rücker seit Langem vertraut – und liest alles zum Thema mit Leidenschaft. Auf Kongressen und Messen vertritt er Kelsterbach (unten).

Berufsalltag: Kein Bashing!

Was macht man genau in diesem Job? „Ich fahre Fahrrad, in Kelsterbach“, so Rücker lakonisch. Das macht er seit sechs Jahren nun als offizieller Mitarbeiter der Stadt, hat dazu auch eine Ausweiskarte der Stadt und die „Lizenz, Menschen anzusprechen“ und sich ihre Pro­bleme im Verkehr anzuhören. Sich Gedanken zu diesen Herausforderungen zu machen und diese an die Stadt zu kommunizieren. Genau darauf zielt die Stelle ab, die sein Vorgesetzter, Bürgermeister Ockel, die „Scharnierfunktion zwischen Stadt und Bürger“ nennt. Rücker ermöglicht den Zugang der (radelnden) Bürgerinnen zu den Entscheiderinnen in der Stadt.
Und zu erleben gibt‘s jeden Tag einiges: Da fällt ihm auf, dass eine bestimmte Wegführung für Linksabbieger gefährlich ist, dort macht ihn eine Radfahrerin darauf aufmerksam, dass der Radweg eigentlich anders laufen müsste. Auch auf seinem Diensthandy rufen oft Menschen an, die gerade unterwegs sind und ein Problem mit einem Radweg oder einer Verkehrssituation melden wollen – wenn etwa eine Baustelle ohne Umleitung den Weg blockiert. Je nach Problemlage geht die Meldung weiter an die Stadt, das Bauamt oder andere zuständige Behörden. Kommunikation ist extrem wichtig, in beide Richtungen. Was sie nach Meinung Rückers nicht sein soll, auch wenn er gelegentlich darauf aufmerksam macht, wie man sicherer per Rad durch die Stadt kommt: Zurechtweisung. „Kein Bashing! Mit freundlichem Umgang und Expertise kommt man weiter“, ist er überzeugt.

Vielen ein Partner

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit ist das Wichtigste dabei. Mit dem engagierten Bürgermeister ohnehin, aber wichtig sind auch die Straßenverkehrsbehörde, das Bauamt, das Bürgerbüro und gelegentlich sogar das Amt für Öffentlichkeitsarbeit. Die Kelsterbacher Kommunalbetriebe, zuständig für die Instandhaltung der Radwege, sind ebenfalls wichtige Ansprechpartner: Ist eine Radweganlage oder eine Abstellanlage beschädigt oder stark verschmutzt, meldet Rücker es dort. Auch die Mobilitätsbeauftragte der Stadt ist eine wichtige Gesprächspartnerin. Überall hat er Ansprechpersonen, und teils ist er eingebunden in entsprechende Abläufe. So hat er beispielsweise zwei Jahre intensiv an einem neuen Radverkehrskonzept der Stadt mitgearbeitet.
Rechtlich zu belangen ist der ehrenamtliche Radverkehrsbeauftragte übrigens nicht – eine von ihm vorgeschlagene bauliche Änderung ist also nicht in seiner Verantwortung, sondern in jener der Stadt. Sie fällt ja auch die Entscheidung für jede Veränderung.

Jenseits der Kommune gibt es noch viele Partner und Institutionen, mit denen er in Sachen Verkehr und In-frastruktur zusammenarbeitet und regen Austausch hat: Allen voran ist die Zusammenarbeit mit dem ADFC und dem VCD für Rücker unerlässlich. Da zieht man oft am gleichen Strang, und die Öffentlichwirksamkeit eines großen Vereins ist nicht zu überschätzen. Intensiven Kontakt gibt es auch zur Radbeauftragten des Kreises und zu Institutionen wie Hessen Mobil, der maßgeblichen Behörde für Planung und das Straßen- und Verkehrsmanagement in Hessen.
Die Kommunikationslust des Radverkehrsbeauftragten geht aber noch weiter: Rücker möchte die Menschen an die Regeln erinnern, die unseren täglichen Verkehr bestimmen sollten. Eine Fernsehsendung wie „Der Siebte Sinn“ in den Siebzigerjahren wäre sein Traum, wenn auch ohne den erhobenen Zeigefinger, eben eher so wie ein unterhaltsamer Wetterbericht. Viele hielten sich nicht mehr an die Verkehrsregeln – zum Teil weil sie diese nicht mehr kennen oder neu hinzugekommene Regeln nicht gelernt haben, ist der Radbeauftragte sicher. Da könnte man doch medial Abhilfe schaffen …

Komplexe Themen und ein langer Atem

Radverkehrsbeauftragter wird man sicher nur mit dem Vertrauen auf das Rad als eines der wesentlichen Verkehrsmittel der neuen Mobilität. Aber es braucht sicher noch etwas mehr: „Kommunikationsstärke ist absolutes Muss“, erklärt Rücker. Keine Angst vor komplexen Zusammenhängen zu haben, wäre auch wichtig. Außerdem sollte man sich gern in umfangreiche Lektüre der Fachliteratur einarbeiten. Fortbildungen sind selbstverständlich.
Und langen Atem und damit eine hohe Frustrationsschwelle brauche es ebenso. „Auch wenn Erfolge manchmal dann doch schneller kommen, als man denkt“, erinnert er sich, und erzählt die Geschichte von einem Kelsterbacher Wohnviertel und dem Weg von dort zum Supermarkt, der über einen neu gebauten Kreisel führte. „Mir war klar, dass viele Menschen den neuen Kreisel per Fahrrad zu gefährlich finden und sich daher lieber doch wieder ins Auto setzen, um zum wenige Hundert Meter entfernten Supermarkt zu kommen.“ Vor allem aber die Kinder radelten damit gefährlicher als vorher, wo die Ampel für Wartezeiten, aber auch sichere Überquerung sorgte.
Rücker konnte der Stadtverwaltung das Problem gut deutlich machen. Und die wurde tätig. Innerhalb einiger Wochen wurde eine Radwegfurt angelgt, die den Weg für die Radler*innen sicherer machte, und zwar mit Vorrang für sie.

Ein Kreisverkehr in Kelsterbach. Hier konnte durch eine Anregung von Rücker eine Radweg-Furt angelegt werden, die den Radfahrer*innen Vorrang gewährt. Eine große Verbesserung der Sicherheit.

Ein Job mit Spaß- wie Frustrationspotenzial

Man müsse sich immer klar sein, meint Rücker: „Wenn es nicht klappt, etwa mit einer kurzfristigen baulichen Veränderung, kann es viele Gründe haben. Das geht beim mangelnden Budget los.” Er hat Verständnis dafür, dass manche Dinge in der Stadt noch wichtiger sind als die Optimierung von Radverkehrsanlagen, wenn das Geld knapp ist. Auch begrenzte Kapazitäten im Rathaus oder bei den ausführenden Unternehmen können bremsen. Die andere Seite – und hier herrscht wohl das höhere Frustrationspotenzial – sind Bürger und Bürgerinnen, die das Auto priorisieren. „Der Radverkehr soll nicht zulasten von Parkplätzen gehen”, so laut Rücker deren Hauptargumentation. „Das ist ein heißes Eisen, und in solche Diskussionen gehe ich nur bis zu einem gewissen Punkt”, erklärt er direkt. Da müsse man ruhig bleiben, und im Hinterkopf haben, dass man ein Vertreter der Behörden sei.

„Meine Motivation war anfangs zu 100 Prozent von der Aufgabe selbst geprägt. Mittlerweile machen 50 Prozent davon die Menschen aus, mit denen ich zu tun habe.“

Roland Rücker, Radverkehrsbeauftragter

Ehrenamt als Lebenselixier

„Mein Ehrenamt ist extrem befriedigend!”, schwärmt der Radverkehrsbeauftragte. Man zweifelt keine Sekunde daran, so enthusiastisch erzählt der umtriebige Mann von seiner Arbeit, aber auch den Erfolgen in Kelsterbach und den spannenden Erfahrungen auf den vielen Terminen wie dem Nationalen Radverkehrskongress und Netzwerktreffen, ADFC-Sitzungen und, und, und.
Nicht nur viel lernen, sondern auch viele fantastische Menschen kennenlernen kann er mit dieser Aufgabe. „Meine Motivation war anfangs zu 100 Prozent von der Aufgabe selbst geprägt. Mittlerweile machen 50 Prozent davon die Menschen aus, mit denen ich zu tun habe”, so Rücker. Nach einem erfüllten Arbeitsleben ist das Ehrenamt für ihn „eine Chance, voll im Leben zu bleiben. Die Menschen geben dir das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden.“
Die Aufgabe ist tatsächlich absolut ehrenamtlich: Rücker bekommt ein Handy gestellt und einen Ausweis, der seine Mitarbeit in der Stadtverwaltung Kelsterbach dokumentiert. Er vergünstigt, wie in anderen Städten üblich, den Eintritt in verschiedenen öffentlichen Einrichtungen der Stadt wie dem Hallenbad. Auch Auslagen für seine beruflichen Reisen oder Bücher und Medien zum Thema bekommt er ersetzt. Honorar oder Gehalt erhält er nicht.
Für den Vorruheständler, der völlig in seiner Mission aufgeht, sicher kein Manko. Der Erfolg und die Beschäftigung mit einer Sache, die ihn ausfüllt, sind Honorar genug.

Ehrenamt: vielschichtige Lebensbereicherung

Sich einbringen, der Gesellschaft etwas zurückgeben oder einfach mehr das Gefühl haben, etwas Sinnvolles für alle zu tun:
Ehrenamt kann man in Deutschland in den unterschiedlichsten Bereichen und mit jedem Alter ausüben, von der Hausaufgabenbetreuung bis zur Freiwilligen Feuerwehr. Grundlegende Infos dazu gibt es auf der Seite des DSEE: www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de. Meist werden Ehrenämter von eingetragenen Vereinen vergeben, aber gelegentlich arbeitet man auch im Auftrag einer Kommune. Die Möglichkeiten sind ungemein breit angelegt – auch zeitlich. Viele Ehrenämter sind auch für Menschen geeignet, die neben dem Beruf nur wenig Zeit aufbringen können. Bei Interesse kann man direkt mit dem Verein oder der Institution Kontakt aufnehmen.


Bilder: Roland Rücker

Fahrradparkhäuser und andere große Abstellanlagen zu planen, ist ein komplexes Unterfangen. Für Kommunen kann die spezielle fachliche Kompetenz zur Herausforderung werden. Die Infostelle Fahrradparken soll im Auftrag des Bundes Licht ins Dunkel bringen.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Das Risiko von Diebstählen und Vandalismus kann gerade Besitzer*innen hochpreisiger Räder davon abhalten, Bahn und Fahrrad auf ihren täglichen Wegen zu verbinden. Ein Fahrradparkhaus könnte diese Probleme beheben. Doch nicht jede Abstellanlage schafft es in der Realität, mit einem attraktiven Angebot eine gute Auslastung und somit einen Schritt in Richtung Verkehrswende zu erzielen.
Hier kommt die Infostelle Fahrradparken bei der DB InfraGO AG ins Spiel. Das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn hat bereits 2021 eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) im Sonderprogramm Stadt und Land gewonnen. Mit der Ausschreibung, die inzwischen in der zweiten Periode umgesetzt wird, verfolgte das Ministerium das Ziel, deutsche Kommunen bei Fahrradparkhäusern und großen Abstellanlagen zu beraten. Jörg Welke, Leiter der Infostelle, erklärt den Hintergrund des Fördervorhabens und des kostenlosen Angebots: „Bei der Fahrradinfrastruktur denken immer alle an Fahrradwege und deren Ausbau. Das Thema Fahrradparken fällt ein bisschen hinten runter.“ Die Infostelle werde seitens der Kommunen gut angenommen, sagt Welke. Das lässt sich mitunter damit erklären, dass insbesondere Parkhäuser alles andere als alltägliche Planungsgegenstände für die Verantwortlichen sind. „Ein Fahrradparkhaus baut man in einer Kommune in der Regel ein Mal“, erläutert Welke.

Positivbeispiele für Fahrradparkhäuser finden sich zum Beispiel in Bad Kreuznach und Tübingen. Wer eine Werkstatt oder Gastronomie mit dem Parkhaus kombiniert, sorgt für soziale Sicherheit.

Wiederkehrende Fehler vermeiden

Die Infostelle bietet eine Kompetenztiefe mit Blick auf das Fahrradparken, die sich vor allem in kleinen Kommunen nicht darstellen lässt. So lassen sich wiederkehrende Fehler vermeiden. „Es gibt sehr viele Fahrradparkhäuser, die gut gemeint sind, aber nicht gut gemacht“, mahnt Welke. „Sie sind darauf ausgelegt, möglichst viele Fahrräder unterzubringen.“ Parkhäuser dieser Art würden oft nicht gut angenommen, so Welke. Doppelstockparker, bei denen es eine zusätzliche Parkebene gibt, seien zwar platzsparend, aber etwa mit einem E-Bike mit Kindersitz und Korb kaum händelbar. „Das wird dann oft nicht angenommen, dafür haben wir viele Beispiele. Es sollten für alle Nutzenden verschiedene Abstellanlagen dabei sein. Vom Doppelstockparker bis hin zu Anlehnbügeln.“
Moderne Fahrradparkhäuser müssen selbstverständlich für moderne Fahrräder und E-Bikes geeignet sein. Breite Lenker oder Reifen dürfen nicht zum Problem werden. Immerhin würden Lastenräder vielerorts bereits gut mitgedacht werden, ordnet der Leiter der Infostelle ein. Waschmöglichkeiten, eine komfortable Zugangskontrolle, Videoüberwachung oder Schließfächer können das Angebot abrunden.
Neben der Ausstattung gilt es insbesondere, die Lage und städtebauliche Gestaltung (innen und außen) zu bedenken. Um einen ganzheitlich nachhaltigen Beitrag leisten zu können, empfiehlt es sich, auf Holz zu setzen und weitgehend auf Beton zu verzichten. Wer gute Beleuchtung verbaut, kann dunkle Ecken vermeiden und so dafür sorgen, dass keine Angsträume entstehen.
Für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl und Diebstahlprävention dienlich ist zudem, eine Werkstatt oder ein Café baulich mit dem Fahrradparkhaus zu verbinden. Dazu Jörg Welke: „Eine gastronomische Einrichtung am Fahrradparkhaus zu haben, ist für viele Menschen wegen der sozialen Sicherheit ein gewichtiger Vorteil.“
Für den Leiter der Infostelle ist derzeit das Fahrradparkhaus in Tübingen ein Vorzeigeprojekt in Deutschland. Das dortige Parkhaus ist mit einem Radladen und einer Gastronomie verbunden, lässt sich unterirdisch vom Bahnhof aus betreten und kombiniert einen zugangsgesicherten mit einem offenen Abstellbereich. Lobende Worte findet Welke auch für das Parkhaus in Bad Kreuznach, welches zusätzliche Service-Räume für Verkehrsunternehmen und eine Werkstatt bereithält, in nachhaltiger Konstruktion mit Stahl-Holz-Bauweise und Photovoltaik gehalten und wenige Meter von den Gleisen entfernt ist.

„Ein Fahrradparkhaus baut man in einer Kommune in der Regel ein Mal.“

Jörg Welke, Infostelle Fahrradparken

Ein Gefühl für den Standort bekommen

Was vor Ort möglich ist, hängt mitunter nicht nur vom Geld ab. Hier kann die Infostelle helfen, um die Möglichkeiten in der „Planungsphase 0“, wie Welke sie nennt, besser zu überblicken. „Der Planungsstand in den Kommunen ist fast immer unterschiedlich.“
Welke und seine Kolleg*innen unternehmen Ortsbesuche, um die jeweilige Planungssituation genau zu verstehen. „Man muss ein Gefühl bekommen für den Standort“, meint Welke. Hinzu käme, dass sich die mitunter komplexen Akteurskonstellationen und Interessenlagen einer Kommune vor Ort besser begreifen lassen.
Ausschlaggebend für die jeweiligen Möglichkeiten vor Ort ist laut Welke oft, zu klären, wem welche Flächen gehören. Oft sind Bahnhofsnebenflächen im Besitz der Deutschen Bahn. Doch das ist nicht immer der Fall. „Ich war, als ich angefangen habe, erstaunt, wie viele Flächen direkt am Bahnhof nicht der DB gehören“, sagt Welke. Um die Jahrtausendwende hat die Bahn einige Flächen rund um Deutschlands Bahnhöfe verkauft. Inzwischen herrscht dagegen ein Moratorium. Der Idealfall für die Kommune ist, wenn sie das fragliche Grundstück selbst bestimmt. Die Bahn zeige sich aber grundsätzlich auch sehr aufgeschlossen für die Nutzung ihrer Flächen für Fahrradparkhäuser. Bei privaten Grundstückseigentümern sähe das manchmal anders aus.

Die Infostelle Fahrradparken verleiht Modelle von Fahrradparkhäusern als Anschauungsbeispiele an Kommunen.

Infostelle bietet Werkzeuge und Wissen

Auf der Website der Infostelle Fahrradparken finden sich neben diversen Gestaltungstipps einige praktische Werkzeuge für Kommunen. Wer die geparkten Räder am Bahnhof zählt, erhält über das Bedarfs- und Kostenberechnungs-Tool eine Empfehlung, wie groß das Parkhaus sein sollte, und eine grobe Orientierung, welche Kosten mit Planung und Bau verbunden wären. Auch die emissionsreduzierende Wirkung lässt sich online berechnen. Das Informationsangebot, so der Plan von Welke, soll sukzessive weiter ausgebaut werden. Aktuell veröffentlicht die Infostelle jedes halbe Jahr ein Whitepaper in Kooperation mit einem Planungsbüro aus Hannover.
Die Infostelle arbeitet stetig daran, die Kompetenz der Kommunen zu erhöhen und das Angebot auszubauen. In einem weiteren aktuellen Projekt werden derzeit die Planungshindernisse in den Kommunen systematisch untersucht und Handlungsempfehlungen erarbeitet. An anderer Stelle entstehen Musterpakete für Marketing-Maßnahmen. Dafür wurden unterausgelastete Fahrradparkhäuser, unter anderem in Leverkusen-Opladen, Wolfenbüttel und Norderstedt, identifiziert, die nun durch Kampagnen gestärkt werden und mehr Nutzer*innen bekommen sollen. Für das eigene Angebot zu werben, dürfte aber auch für weniger unterbesetzte Fahrradparkhäuser von Interesse sein. Schließlich sind jene Menschen eine wichtige Zielgruppe, die bisher nicht mit dem Rad zum Bahnhof fahren, sondern sich im Pkw hinters Steuer setzen.
Auch aufseiten der Kommunen arbeiten Welke und sein Team daran, neue Menschen zu erreichen. Da bei Exkursionen in der Vergangenheit vermehrt Menschen dabei waren, die bereits Interesse hatten, lässt das Team digitale Zwillinge erstellen, ähnlich zu virtuellen Rundgängen, wie man sie von Hotels oder Immobilien-Websites kennt. Ganz unvirtuell bietet die Infostelle außerdem Modelle von einigen Fahrradparkhäusern an, die Kommunen sich ausleihen können.
Die Infostelle zeigt mit Vorhaben wie diesen, wie komplex sich so ein spezifisches Handlungsfeld wie das Fahrradparken bearbeiten lässt. Wenn Expertenwissen so strukturiert geteilt wird, können am Ende nicht nur die Kommunen von vielen neuen Fahrradparkhäusern profitieren.

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Bilder: stock.adobe.com – adragan, Infostelle Fahrradparken

Mit den Brücken in Deutschland liegt vieles im Argen: zu wenige Neubauten, baufällig, einsturzgefährdet, nicht auf der Höhe der Anforderungen unserer Zeit. Die Liste an Mängeln und Nachholbedarf für Autos, Züge und ÖPNV sowie insbesondere für Zufußgehende und Radfahrende scheint in den letzten Jahren nicht sukzessive abgearbeitet, sondern im Gegenteil immer länger geworden zu sein. Vernachlässigt scheint auch die kulturelle und soziale Komponente.

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2025, März 2025)


Vier neue Fahrradbrücken in Tübingen: die beheizte Oberfläche sorgt für Diskussionen.

Brücken sind weit mehr als nur Verkehrsbauwerke. Sie verkörpern kulturelle und geschichtliche Werte, fördern soziale Interaktionen und bereichern die Stadt- und Landschaftsarchitektur. In vielerlei Weise stehen sie auch symbolkräftig für ein Zeitalter oder die Kultur, die sich mit ihr verbindet. Die eigentlichen Fragen gehen damit nicht in die Richtung „wie viel Meter Brücke“ oder „wie viele Nutzer pro Tag“ für welchen Geldbetrag, sondern hin zum erweiterten Sinn und Zweck, der Ingenieurkunst, Ästhetik, kulturelle Identität und Geschichte verbindet.

Brücken stiften Identität

Die Liste berühmter Brückenbauwerke der letzten Jahrhunderte ist lang. Zu vielen Brücken fällt uns sofort die dazugehörige Stadt ein. Sie prägen die Städte nicht nur als beliebtes Fotomotiv, wir interessieren uns auch für ihre Symbolik. So steht etwa die berühmte Pont Neuf aus dem 17. Jahrhundert nicht nur für die Verbindung der Seine-Ufer, sondern auch den Fortschritt im Paris der Renaissance. Sie war die erste Brücke in Paris, die Bürgersteige für Fußgänger hatte und nicht mit Gebäuden überbaut wurde. Die Golden Gate Bridge, eine Ikone San Franciscos, symbolisiert wiederum den Pioniergeist und technische Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Ein ebenfalls viel beachtetes identitätsstiftendes Symbol – dieses Mal für den Radverkehr – ist die um ein Vielfaches kleinere Cykelslangen-(Fahrradschlangen-)Brücke in Kopenhagen, die 2014 gebaut wurde. Sie prägte den Aufbruch hin zu mehr Radverkehr in Kopenhagen wesentlich mit und diente anderen Städten als Vorbild. Ganz neu und wohl ebenfalls identitätsstiftend sind auch die innovativen Fahrradbrücken in Tübingen, die Teil eines umfassenden Mobilitätskonzepts sind, mit dem die Stadt nicht nur in Fachkreisen hohe Bekanntheit und Anerkennung genießt.

„16 Millionen Euro für 365 Meter. Boris Palmer eröffnet Deutschlands teuerste Radbrücke. Sie wird im Winter sogar beheizt.“

Schlagzeile Bild-Zeitung, Oktober 2024

Schwieriges Verhältnis zur Brückenkultur

In aktuellen Diskussionen lässt sich hierzulande der Eindruck gewinnen, dass die Brückenkultur mehr und mehr verloren geht. Gerade bei Ausbau- oder Neubauprojekten für Zufußgehende und Radfahrende kann man meinen, dass sie im Generalverdacht stehen, primär aus ideologischen Gründen geplant oder gebaut zu werden. „16 Millionen Euro für 365 Meter: Boris Palmer eröffnet Deutschlands teuerste Radbrücke. Sie wird im Winter sogar beheizt“, heißt es zum Beispiel reißerisch in der Bild-Zeitung zum 2024 eröffneten Brückenprojekt in Tübingen. Fast automatisch angeheftet scheint heute zudem das Prädikat „umstritten“. Dass die hier kritisierte Brücke als wichtiger Teil des verabschiedeten Tübinger Mobilitätsplans dient – geschenkt. Und dass die Bodenheizung nicht nur klimaneutral ist, sondern auch die Fahrbahn sicherer macht und zudem bauwerkschädigendes Streusalz im Winter verzichtbar wird, was die Standzeit auf geschätzte 100 Jahre verlängern kann – ebenfalls geschenkt. Vielfach scheint es, als ob die zugegeben knappen Ressourcen an Personal, Geld und Zeit zusammen mit Bedenken zu Denkmal- und Landschaftsschutz und Anderem Veränderungen für mehr Fuß- und Radverkehr behindern und damit gewollt oder ungewollt dazu beitragen, Bestehendes zu konservieren. Es wird zudem oft primär an Verbesserungen für den Autoverkehr gedacht – auch wenn das im Einzelfall verkehrstechnisch längst überholt ist.
Kulturell sind Brücken im metaphorischen Sinn Symbole menschlicher Sehnsucht und Willensstärke. Man bricht zu neuen Ufern auf und erschließt nicht nur neue Stadtviertel. Die neuen Fahrradbrücken in Tübingen haben nicht nur praktischen Nutzwert, sie signalisieren auch „Radverkehr ist uns etwas wert“ oder „Radfahrende sind uns etwas wert – und ihre Gesundheit“. Geschickt kommuniziert die Stadt gleichzeitig: Mehr Radfahrende bedeuten weniger Autos in der Stadt. Also weniger Staus und mehr Platz für alle, die mit dem Auto fahren.

Alte Pläne und Restauration vor Innovation

Viel diskutiert und allgemein bekannt ist der Investitionsstau der letzten Jahrzehnte zugunsten eines ausgeglichenen Haushalts. Der zeigt sich auch bei den Brücken. Allein die Autobahnen und Bundesstraßen führen in Deutschland über gut 40.000 Brücken. Seit dem Teil-einsturz der Dresdener Carolabrücke im September 2024 steht der schlechte Zustand der Brücken nach langer Zeit wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei gelten Tausende Bauwerke schon seit Langem als sanierungsbedürftig. Über 2300 Brücken und Teilbrücken allein auf den Fernstraßen fallen nach Bewertung der Straßenbaubehörden aktuell in die Zustandskategorien „nicht ausreichend“ und „ungenügend“. Brückenbauexperte Prof. Martin Mertens vom Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen der Hochschule Bochum schätzt, dass es mindestens 15 Jahre dauern könnte, um die anstehenden Sanierungen abzuschließen. Sorgen machen dabei vor allem Bauwerke, die vor den 1980er-Jahren erstellt und, aus heutiger Sicht, mit unzureichenden verkehrlichen Grundlasten berechnet wurden.
Voraussetzung für den Zeitplan sei, dass ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt würden und die Politik mitspiele. Dabei ginge es unter anderem um Baurecht, Ausschreibungsverfahren und das Planungsrecht. „Wenn ich beispielsweise eine Brücke neu bauen möchte und nur einen Radweg ergänzen will, bin ich schon außerhalb meines Baurechts und muss ganz von vorn anfangen. Das kann doch nicht sein. Nicht in dieser digitalen Welt“, so Prof. Mertens. Seine Einschätzung zeigt dabei anschaulich, warum eine Angleichung bestehender Pläne an die verkehrlichen Anforderungen mit Blick auf modernen und komfortablen Radverkehr eben alles andere als einfach umzusetzen ist. Tatsächlich werden aktuell bereits vor langer Zeit genehmigte Pläne aus den Schubladen geholt und umgesetzt, auch wenn sie schon jetzt nicht mehr den Bedürfnissen entsprechen. Betoniert wird damit der Zeitgeist von gestern und vorgestern für die nächsten Jahrzehnte. Echte Innovationen werden dagegen „aus Sachzwängen“ verhindert.

Der Wesersprung Mitte ist eine von drei Fahrrad- und Fußgängerbrücken, die in Bremen künftig über die Weser führen sollen.

Zeit der Visionen vorbei?

Angesichts des starken politischen und mitunter populistischen Gegenwinds sowie der schwierigen personellen und gesamtwirtschaftlichen Situation fällt es schwer, an bestehenden Masterplänen festzuhalten oder neue Visionen zu entwickeln. Berlin ist dafür aktuell ein Beispiel. Auf der anderen Seite stehen die Städte und Kommunen im Wettbewerb um Unternehmen und gut ausgebildete Fachkräfte, verbunden mit der Notwendigkeit die Funktionsfähigkeit und das Miteinander zu erhalten und zu verbessern, zum Beispiel durch neue, gut angebundene Wohnquartiere, ausreichende Grünanlagen und Bewegungsmöglichkeiten.
Wenn man genauer auf aktuelle Projekte bei der Brückenplanung und Umsetzung für Radfahrende und Zufußgehende schaut, dann fällt ein Missverhältnis zwischen Anspruch, Notwendigkeiten und der Wirklichkeit ins Auge. Konkrete Äußerungen erhält man selten und wenn, dann hinter vorgehaltener Hand. Allein in der Rheinmetropole Köln schätzen Sachkundige den Bedarf auf rund fünf neue oder erweiterte Brücken. Besprochen wurde während der letzten 10 bis 15 Jahre viel – unter anderem zwei Fahrradbrücken. Konkret geplant oder umgesetzt? Bislang nichts.
Ganz so negativ sind die Aussichten allerdings auch nicht: So hat das Land Nordrhein-Westfalen beispielsweise ein umfangreiches Brückenertüchtigungsprogramm aufgelegt, das auch den Rad- und Fußverkehr berücksichtigt. Auch in Rheinland-Pfalz und Hessen beschäftigt man sich mit Projekten zur Ertüchtigung von Autobahnbrücken, mit innovativen Methoden wie Carbon-Beton, was auch dem Rad- und Fußverkehr zugutekommen soll. Die Stadt Bremen plant mehrere neue Brücken, die sogenannten Wesersprünge, speziell für Fußgänger und Radfahrer als Teil eines größeren Plans zur Förderung der Nahmobilität. In Rostock wird die neue Warnowbrücke gebaut, die speziell für den Rad- und Fußverkehr konzipiert ist. In Bonn soll eine Rheinbrücke als Verbindung für Zufußgehende und Radfahrende geschaffen werden. Weitere Projekte sind die oben angesprochene „Radbrücke West“ in Tübingen, die kürzlich eröffnet wurde, der Franklin-Steg in Mannheim, der als Teil eines nachhaltigen städtebaulichen Projekts die barrierefreie Überquerung der B38 bietet, die im Oktober 2024 eingeweihte Lange Brücke in Uelzen oder der 2021 eröffnete Golda-Meir-Steg in Berlin, der die Stadtteile Moabit und Mitte verbindet. Bei unseren Nachbarn aus den Niederlanden stößt das Ausbautempo auf Unverständnis. Hier wird, auch dank standardisierter modularer Bauweise, sehr erfolgreich gänzlich anders für Radfahrende geplant und gebaut.

Fahrradfreundlich = zukunftsfähig

Eine gute Anbindung stärkt die Attraktivität und Vitalität von Stadtvierteln, während Hindernisse oder Isolation negative soziale und wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen können. Insgesamt betrachtet gibt es dementsprechend wohl etliche Gründe, deutlich mehr Radrouten und Brücken für Radfahrende und Zufußgehende zu bauen oder bestehende Brücken auszubauen oder aufzuwerten – auch angesichts knapper Kassen und gegen oftmals populistische Widerstände. „Radverkehr bleibt der schnellste, günstigste und wirksamste Hebel für nachhaltige kommunale Verkehrspolitik“, betont Heinrich Strößenreuther, NGO-Gründer (u. a. Volksentscheid Fahrrad, Changing Cities e.V.), Buchautor und Keynote-Speaker. Der Radverkehr wachse schneller, als es die vorhandene In-frastruktur erlaube.
Visionen, Ideen und Masterpläne regelmäßig zu überprüfen ist sicher nicht falsch. Andererseits dürfen langfristige Entwicklungen, Ziele und gewünschte Veränderungen nicht aus den Augen verloren werden. Auch das ist eine Aufgabe von Politik und Verwaltung. Brücken für die Zukunft zu schaffen, ist dabei im eigentlichen und übertragenen Sinn ein Pflichtprogramm und eben keine Aufgabe, die nach Parteibuch, Mehrheiten oder der Kassenlage entschieden werden sollte.


Bilder: Universitätsstadt Tübingen, stock.adobe.com – ON-Photography, Freie Hansestadt Bremen

Eine Schweizer „Klima-Hacker“-Genossenschaft möchte neue Impulse für Mobilität setzen. Inspiriert von Pfadfindern erstellt sie ein simples Modell: Auto weg, alles andere gratis nutzen. Die Stadt Winterthur testete die Kampagne 31Days diesen Sommer. Wie das Modell funktioniert und was die Macher sich versprechen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Die Sache ist leicht erklärt, die Website macht ein einfaches Angebot: „Erlebe für 31 Tage kostenlose Mobilität.“ Was vielen kommunalen Verkehrspolitiker*innen aus dem fantasiebefreiten föderalen Betrieb der Bundesrepublik wie eine Utopie vorkommen muss, ist in der Schweiz bereits Realität geworden. Im zurückliegenden Sommer ließen 1000 Menschen in der Stadt Winterthur ihre Autos stehen, fotografierten den Kilometerstand und durften erst einen Monat danach wieder die Zündung betätigen. Dafür bekamen sie ein komplettes Paket für Fahrten im Nah- und Fernverkehr, sie fuhren mit eigenen Fahrrädern oder mit Leih-E-Bikes, und sie konnten sogar mit einem kleinen Fahrtenguthaben auf die Flotte des Schweizer Carsharing-Anbieters Mobility zurückgreifen. Für diesen Probemonat multimodaler Mobilität zahlten sie nur mit dem Verzicht auf ihr eigenes Auto. 31Days, so der Name dieser Aktion, erlebte eine starke Nachfrage. 3300 Menschen hatten sich laut Organisator für die Aktion registriert. Sie wollten den Gratismonat ohne Auto. Wenn es nach den Initiatoren geht, soll daraus mehr werden. Und die Stadt hofft, dass die Menschen dauerhaft ihr Verkehrsverhalten ändern. „Es ging uns um Sensibilisierung, um die Diskussion und auch darum, Menschen beim Einstieg in langfristig klimafreundliche Lebensweisen zu inspirieren“, erklärt Lukas Schmid, Kommunikationsmitarbeiter im zuständigen Amt der Stadt Winterthur.

Eindeutig lockend: Mit der direkten Ansprache und einem klaren Nutzenversprechen geht das Schweizer Projekt direkt die Menschen an – ungewöhnlich für sonst eher sperrige ÖPNV-Themen.

Hacken für das Klima – eine Schweizer Genossenschaft

Wie kann es gelingen, das Verkehrssystem klimafreundlich umzubauen und dabei relevante Effekte zu erzielen? Mit der Skalierungs- und Disruptions-Logik von Tech-Denkern macht sich die Schweizer Genossenschaft 42hacks genau an diesen Fragenkomplex. Sie ist ein Zusammenschluss von Start-up-Unternehmern und Hacker*innen mit Sitz im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Jessica Schmid ist eine der Mitgründerinnen dieser Genossenschaft, die sich als „Climate Hacker Community“ beschreibt. Neben dem Mobilitätssektor suchen die Hacker auch nach Wegen, um das Klima in den Sektoren Ernährung und Haushalt positiv zu beeinflussen. Sie spricht im Stil echter Tech-Gründer und neigt nicht zu unklaren Worten: „Wir sind extrem selbstkritisch. Wenn wir merken würden, dass das, was wir tun, nicht genug bringt, dann würde ich meine Zeit und meine Energie ganz sicher auf was anderes verwenden“, sagt Schmid. Doch bei 31Days sieht es eben anders aus. Schmid ist sofort gesprächsbereit, als die Interviewanfrage kommt. Derzeit, so schreiben es 42hacks auf ihrer Website, geht es ums Skalieren der Verkehrslösungen. „Ohne die Verkehrsverlagerung kommen wir nicht zu den Klimazielen, die auch der Schweizer Bund ausgegeben hat“, sagt Jessica Schmid. Und das Modell 31Days sei sowohl überzeugender Business- als auch Klima-Case, wenn man es vergrößere.

Was Pfadfinder mit der Verkehrswende zu tun haben

Wie ging das Projekt los? Inspiration für die Veränderung des Modal Splits haben sich die Macher hinter 31Days bei der Jugend geholt, zu deren Wohl ja auch die Verkehrsgewohnheiten in der Gegenwart so schnell wie möglich verändert werden sollten. Dafür reisten Leute vom Team um Jessica Schmid im Sommer 2022 nach Goms im Schweizer Kanton Wallis, wo sich 30.000 Pfadfinder*innen für das so- genannte Bundeslager trafen. Das Team befragte dort junge Scouts: Wie können wir eure Eltern dazu bringen, das Auto weniger zu nutzen? Zurück kam die Einsicht, dass es sich beim Autofahren um eine schlechte Angewohnheit handele, genau wie beim übertriebenen Medien- oder Zuckerkonsum. Nehmt doch einfach für einen Monat den Autoschlüssel weg – und gebt den Eltern dafür Gratis-ÖPNV und -Fahrradmobilität. „Das hat uns wirklich überzeugt, das war die Idee zu 31Days, wir wollten Menschen die Gelegenheit geben, alternative Verkehrsangebote überhaupt zu erleben“, sagt Jessica Schmid.

„Nach 10 kamen 100, nach 100 kamen 1000 Teilnehmer, da ist der nächste Schritt naheliegend.“

Jessica Schmid, 42hacks

Erste Praxistests mit 10 und 100 Personen

Wenige Wochen nach dem Pfadfinderlager startete schon der erste Praxisversuch. In Belp, einer Gemeinde im Kanton Bern, rekrutierte 42hacks zehn Freiwillige, die für 31 Tage ihr Auto stehen lassen würden. Das Projekt war Teil einer größeren Zusammenarbeit zwischen 42hacks und den Mobilitätsunternehmen BLS, SOB, PostAuto und dem Kanton Sankt Gallen, die auf eine Veränderung im Modal Split ausgelegt ist. Kontakte bestanden ohnehin wegen vorheriger Zusammenarbeit zu künstlicher Intelligenz im Verkehrssektor, was auch für die Kooperation bei den Gratistickets hilfreich war. Nach dieser Premiere im Herbst 2022 setzten die Macher 31Days im Sommer 2023 mit dem Faktor zehn um: in Bern gaben 100 Teilnehmer für 31 Tage ihre Autoschlüssel ab und bekamen im Gegenzug freien Zugang zu sämtlichen öffentlichen Verkehrsmitteln der Schweiz sowie zu Mieträdern und auch zur Flotte von Mobility, einem Carsharing-Anbieter. Am 31. Mai 2023 startete dieser Versuch im Kanton Bern. Die Ergebnisse ermutigten die Macher. Man habe die Ziele übertroffen, berichtet Schmid, 27 Prozent der Autos der Teilnehmenden wurden während des Monats oder kurz danach verkauft. In der Nachbefragung gaben 90 Prozent der Teilnehmer an, dass sie ihr Auto weniger und bewusster benutzten. Die Sache erregte schnell Aufmerksamkeit. Der österreichische VCÖ zeichnete 31Days als internationales Vorbildprojekt aus, das Medienecho in der Schweiz war erheblich.

Katrin Cometta, Winterthurer Stadträtin, überreicht am 12. April 2024 gemeinsam mit den Partnern des Projekts einem Teilnehmer der 31-Days-Challenge sein Mobilitätspaket.

Ausgangslage Stadt Winterthur

Im November 2021 beschlossen die Bürgerinnen der Schweizer Stadt Winterthur strenge Klimaziele für ihre Gemeinde. 60 Prozent der Abstimmenden sprachen sich für die Klimaneutralität Winterthurs bis zum Jahr 2040 aus. Nicht nur daraus leitet sich für die Verwaltung der Stadt ein Handlungsbedarf ab. Manuela Fuchs ist Projektleiterin Klima bei der Stadt und berichtet, dass ein Kollege aus ihrer Verwaltung über die Medienberichte auf 31 Days aufmerksam wurde. „Wenn wir Netto-null anstreben und auch eine nachhaltige räumliche Entwicklungsperspektive verfolgen – weg von einem autozentrierten Stadtbild, hin zu mehr öffentlichem Raum für alle –, dann erklärt sich unsere Aufmerksamkeit einfach“, sagt Fuchs. Winterthur verfügt über einen sehr gut ausgebauten öffentlichen Personenverkehr und eine moderne Radinfrastruktur. Aber die Menschen haben ihr Verhalten nur geringfügig verändert. Nach wie vor liegt der Anteil des motorisierten Individualverkehrs am Gesamtaufkommen nach Angaben der Stadt bei rund 40 Prozent. Die Stadt hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Anteil am „Modal Split“ bis 2040 auf 20 Prozent zu halbieren. „31Days legt den Fokus auf die Reduktion von Autofahrten beziehungsweise Autofahrerinnen und passte somit exakt zu den kommunalen Zielen. Diese Chance wollten wir nutzen und konnten uns schnell mit 42hacks auf eine Zusammenarbeit einigen.“ In Winterthur beschloss die Stadtverwaltung, aus dem eigenen Budget 70.000 Franken für einen Teil der Kampagne, nämlich die Finanzierung der Leihräder für die Teilnehmer bei 31Days, bereitzustellen. „Es gibt derzeit viele Projekte und Förderbeiträge für Energie- und Wärmeprojekte, aber kaum Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität – daher war das für uns ein einfacher logischer Schritt“, erklärt Lukas Schmid, der für die Kommunikation bei Umwelt- und Gesundheitsschutz zuständig ist. Die Stadt Winterthur hat sich darum entschieden, die sogenannten Umsteiger, also jene Teilnehmerinnen, welche während oder nach der Kampagne ihr Auto verkaufen, mit einer Umsteigerprämie aus dem kommunalen Energieförderprogramm zu unterstützen. Das „Kostendach“ beläuft sich auf 250.000 Franken. Umsteigerinnen profitierten von 3000 Franken, wenn ein Haushalt sein einziges Auto verkaufte, oder von 1500 Franken für den Verkauf eines Autos, wenn der Haushalt mehrere besaß. Mit etwa 100 Autoverkäufen rechnete Winterthurs Stadtverwaltung. Die finale Auswertung war bei Redaktionsschluss noch nicht erstellt, eine ursprünglich für November geplante Pressemitteilung wurde auf unbekannten Termin verschoben, da die finalen Zahlen noch nicht vorlagen und man erst auf eine endgültige Evaluation warten wolle. In einer frühen Stellungnahme der Kommune hieß es zudem, dass der CO2-Spareffekt in etwa der Wirkung von Fördermitteln bei Gebäudeisolierung und Photovoltaik entspreche.

Kritik an den Zuschüssen

Diese Incentivierung des Autoverkaufs ist jedoch ein Reizthema im politischen Raum. „Sogar von links kommt Kritik an der Umsteigeprämie der Stadt“, titelte etwa die Lokalzeitung Landbote am 5. September. Beschrieben wird Unmut bei Bürger*innen und in den politischen Parteien, weil die Prämie wiederum nur für Fahrkarten oder Dauerkarten im öffentlichen Verkehrssystem genutzt werden darf. „Verschwendung“ sei das, lässt sich die FDP zitieren, und zwar „ohne nachweisbaren Nutzen“. Die Mitte/EDU spricht sich für mehr E-Auto-Ladestationen und Photovoltaik aus. Bei der SVP heißt es, die gesamte Challenge sei ungerecht gegenüber Leuten, die sonst selten oder nie Auto fahren – und bei der SP findet man gar, dass die Stadt jene Menschen für dumm verkaufe, die ohne eine solche Aktion freiwillig auf den Pkw verzichten. Eine Forderung nach detaillierter Analyse der Kosten pro Einsparung bei CO2 fordert die SVP dem Bericht zufolge. Das ist etwas, dem 31Days-Mitinitiatorin Schmid jedoch offen gegenübersteht. „Es geht ja gerade darum, realistische Preise pro Tonne CO2 zu beziffern und Maßnahmen objektiv vergleichbar zu machen.“ Man müsse jedoch schauen: Wie hoch sind die externen Kosten des Straßenverkehrs wirklich? Wie steht es um die gerechte Verteilung, wenn etwa das Anbringen von Photovoltaikanlagen auf Eigenheimen gefördert werde – der komplette Verzicht auf Pkw allerdings nicht?

Die nächsten Schritte für 31Days

Um die Auswirkungen und Kosten-Nutzen-Rechnung genauer zu erfassen, arbeiten die Projektpartner mit zwei wissenschaftlichen Institutionen zusammen. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und die Scuola universitaria professionale della Svizzera Italiana (SUPSI) sind mit einer wissenschaftlichen Begleitstudie beauftragt, deren Ergebnisse allerdings erst Ende 2025 vorliegen werden. Schließlich geht es um die dauerhaften Wirkungen des Projekts. Derweil ist Mit-Initiatorin Schmid darauf aus, den nächsten logischen Schritt zu machen. „Wir wollen skalieren. Nach 10 kamen 100, nach 100 kamen 1000 Teilnehmer, da ist der nächste Schritt naheliegend“, sagt sie – jedoch auch ein bisschen humorvoll. Ihr Ziel ist vor allem, das Projekt schneller weiterzuentwickeln und zu verbreiten. „Wir wollen nicht immer ein halbes Jahr verhandeln, um dann ein Jahr arbeiten zu können – deshalb treiben wir das Projekt mit viel Nachdruck voran und stecken auch in Verhandlungen für weitere Auflagen“, erklärt Jessica Schmid. Ein angedachter Start mit einer der größten deutschen Städte sei jedoch wegen des kommunalen Sparkurses nicht zustande gekommen. Schmid jedoch ist vollends überzeugt, dass dieser Ansatz weiter fruchten wird. „Ich habe mit mehr als 400 der Teilnehmer aus Winterthur gesprochen, und was ich gehört habe, lässt keinen Zweifel zu. Da hat sich für viele eine ganz neue Welt aufgetan.“


Bilder: 31 Days, Umwelt- und Gesundheitsschutz Stadt Winterthur

Der herbstliche Morgenwind schneidet durch die Straßen Berlins, während sich zahlreiche Radfahrende ihren Weg durch den Verkehr bahnen – darunter Hipster auf minimalistischen Rädern, Pendelnde auf E-Bikes und Eltern auf Lastenrädern, in denen warm eingepackt die Kinder sitzen. Das Fahrrad hat als umweltfreundliches und flexibles Verkehrsmittel in Städten wie Berlin zunehmend an Bedeutung gewonnen und wird auch in der Stadtplanung immer relevanter. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Die Radverkehrsförderung hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem differenzierten Planungsansatz entwickelt, der unterschiedliche Zielgruppen anspricht. In Berlin, einer Stadt mit besonders diversen Fahrradkulturen, ist diese zielgruppenspezifische Planung besonders gefragt, um den Anforderungen der verschiedenen Radfahrenden gerecht zu werden.
Lange galt die Ansicht, dass sich Radfahrende einfach wie Autos verhalten sollten, um im autodominierten Straßenraum bestehen zu können. Doch gerade wer neu aufs Rad steigt, fühlt sich dabei oft verloren und unsicher. Heute denkt man um: Radwege sollen nicht nur mutigen Radler*innen zur Verfügung stehen, sondern allen Menschen ein sicheres Gefühl geben. Ziel der Radverkehrsförderung ist es, die Radverkehrspolitik und -kultur so zu transformieren, dass der Radverkehrsanteil signifikant steigt und Radfahren in seiner gesellschaftlichen Bedeutung stetig normalisiert wird. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Radverkehrsförderung grundlegend gewandelt, weg von einem Planungsparadigma, das auf das sogenannte Vehicular Cycling setzt, hin zu einer zielgruppenspezifischen Förderung, die breite Bevölkerungsschichten und insbesondere potenzielle Radfahrende anspricht.
Das Vehicular Cycling, ursprünglich von John Forester in den 1970er-Jahren in den USA propagiert, fordert, dass Radfahrende sich wie Autofahrende im Straßenverkehr verhalten, um sich ihren Raum anzueignen. Radfahrende sollen demnach mitten auf der Straße fahren, Handsignale bei Spurwechsel oder Abbiegevorgängen geben, den Schulterblick verwenden, mit den Autos im Verkehr mitfließen und sogar mit den Autos im Stau stehen. Diese Sichtweise hat jedoch lange Jahre den Ausbau sicherer Infrastruktur behindert und wird heute als exklusiv kritisiert, da sie unerfahrene und unsichere Radfahrende ausschließt. Viele der in den 1980er- und 1990er-Jahren angelegten Fahrradschutzstreifen auf der Straße sind Relikte dieses aus heutiger Sicht antiquierten Planungsverständnisses.
Heute liegt der Fokus auf einer inklusiven Planung, die ein breiteres Publikum ansprechen soll. Roger Gellers Konzept „Four Types of Cyclists“ verdeutlicht, dass nicht alle Radfahrenden dieselben Bedürfnisse haben: Von „Strong and Fearless“ bis „Interested but Concerned“ unterscheidet Geller vier Typen, die unterschiedliche Anforderungen an die Infrastruktur stellen. Gellers Typologie hat wesentlich beeinflusst, wie geplant und potenzielle Radfahrende angesprochen werden und steht als konzeptuelles Modell weitestgehend im Einklang mit empirischen Ergebnissen zur hiesigen Radnutzung. Die zen-trale Frage ist, wie diese unterschiedlichen Ansprüche in der Radverkehrsplanung berücksichtigt werden können: Sind die Wünsche und Vorstellungen von geübten und ungeübten Radfahrenden tatsächlich so unterschiedlich? Können wir von selbstbewussten Radfahrenden lernen, um potenzielle Radfahrende abzuholen? Um dies zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf die Fahrradkultur Berlins als lebendiges Beispiel einer multikulturellen Radszene zu werfen.

Das Konzept „Four Types of Cyclists“ von Roger Geller visualisiert unterschiedliche Typen von Radfahrenden.

Vielfalt der Fahrradkulturen im Schmelztiegel Berlin

Großstädte wie Berlin vereinen vielfältige Fahrradkulturen. Diese Vielfalt belebt die Stadt, stellt die Radverkehrsplanung jedoch vor Herausforderungen, da die Bedürfnisse und Erwartungen der einzelnen Gruppen teils stark auseinandergehen. In Berlin fahren Hipster auf Fixies, Familien mit Kindern kämpfen sich auf Lastenrädern durch den Verkehr und Akti-vistinnen engagieren sich für den Ausbau der Radinfrastruktur, während die sportliche Szene Geschwindigkeit und Stil schätzt. Diese unterschiedlichen Interessen verdeutlichen, dass die Berliner Fahrradkultur kein einheitliches Bild abgibt – sie reflektiert die individuellen Ansprüche und sozialen Hintergründe der Stadtbewohnerinnen.
In vielerlei Hinsicht weicht Berlin damit von den stereotypen Vorstellungen der deutschen Fahrradkultur ab, die oft durch schwere Fahrräder und Sicherheitsausrüstung geprägt ist. Einige Radfahrer*innen beschreiben die Ausstattung des typischen (in der Vorstellung tatsächlich fast ausschließlich männlichen) Radlers als „20-Kilo-Trekking-Panzer“ oder „Vollschutzblech-Fahrrad mit fünf Lampen“ – ein Bild, das der Vielfalt an unterschiedlichen Radfahrenden und ihren spezifischen sozialen und kulturellen Hintergründen nicht gerecht wird. Und auch das wissenschaftliche und planerische Verständnis des Radfahrens ist häufig stark vereinfacht und unsensibel gegenüber kulturellen Differenzen.
Radfahrende werden oft als „bewegliche Objekte“ wahrgenommen, die von A nach B wollen, während individuelle Motivationen und Nutzungsformen sowie subjektive Wahrnehmungen, Stile und Praktiken oft unterrepräsentiert bleiben. Obwohl sich die einzelnen Gruppen stark unterscheiden, eint sie die gemeinsame Suche nach Sicherheit und Akzeptanz im Straßenverkehr.

„Wir können uns aufs Fahrrad einigen, aber wir können uns nicht mal darauf einigen, wie das Fahrrad aussieht, wo wir mit dem Fahrrad fahren: Fahren wir im Gelände, fahren wir auf der Straße, fahren wir auf einem separierten Radweg, fahren wir bei den Autos mit? Also auf alles andere kann man sich nicht einigen, außer auf das Fahrrad. Und ist das ein Sport-Vehikel? Ist das ein Alltags-Vehikel? All diese Fragen beantwortet jede Szene unterschiedlich.“

Auszug aus einem vom Autor geführten Interview aus dem Dezember 2021

Aktivist*innen des Volksentscheids Fahrrad besetzten 2016 die Berliner Oranienstraße und forderten bessere Infrastruktur für Radfahrende.

Das Fahrrad als kleinster gemeinsame Nenner

Obwohl sie Radfahren unterschiedlich erleben, eint die Rad fahrenden Menschen der Wunsch nach einer Stadt, in der Radfahren sicher und selbstverständlich ist. Das Fahrrad ist der kleinste gemeinsame Nenner in der städtischen Fahrradkultur, doch die Auffassungen von Art, Nutzung und benötigter Infrastruktur variieren stark. Während einige eine Trennung des Radverkehrs vom motorisierten Verkehr befürworten, sehen andere die Integration als besseren Weg. Es gilt, Gemeinsamkeiten zu identifizieren und Kompromisse zu finden. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Akteurinnen und Szenen sind oft feiner Natur, was es Außenstehenden schwer macht, diese zu erkennen. Daher wird häufig nicht weiter differenziert: Ein Fahrrad ist ein Fahrrad, eine Radfahrerin ist eine Radfahrerin. Dennoch sind Unterschiede in sozialen Praktiken und Bedeutungen entscheidend, um die Fahrradkultur angemessen zu verstehen. Ein überkomplexes Bild der Szene braucht es trotz der großen Vielfalt nicht. Zwar zeigt sich eine zunehmende Differenzierung innerhalb der Fahrradszenen, gleichzeitig nähren sie sich an und durchmischen sich. Historisch wurde zwischen Radsport und Alltagsradfahren unterschieden, was in der Radverkehrsförderung zu einer Spaltung führte. Dies war zeitweise so wichtig, dass sich Anfang des 20. Jahrhunderts die gesamte Radverkehrsförderung in Nationen aufteilte, die das Radfahren eher als Sport verstanden, wie Frankreich oder Italien, und jenen, die das Radfahren als Alltags- und Freizeitmittel betrachteten, wie die Niederlande oder Dänemark (Carstensen & Ebert 2012). Diese Trennung ist heutzutage jedoch weitgehend aufgelöst, wie beispielsweise der aktuelle Gravel-Trend zeigt, der viel stilvoller, aber ähnlich wie das klassische Tourenfahren verschiedene Elemente aus Sport, Reisen und Freizeit kombiniert. In Städten wie Kopenhagen oder Amsterdam ist das Fahrrad ein alltägliches Verkehrsmittel. In vielen anderen europäischen Städten hat es hingegen einen stärkeren subkulturellen Charakter. Denn in Städten, in denen das Radfahren weniger normalisiert ist, muss man sich stärker als Rad-fahrerin identifizieren und gegenüber den automobilen Strukturen behaupten – man muss es „wirklich wollen“. Dies führt zu subkulturellen Szenen mit spezifischer Ausrüstung: Kleidung, Helmen, Reflektorstreifen, Messenger Bags oder Lycra. Diese subkulturellen Ausprägungen des Radfahrens können neue Nutzer*innen abschrecken, da Radfahren oft als anspruchsvoll, schweißtreibend und unsicher wahrgenommen wird. Etablierte Radfahrende werden in diesem Sinne als Hindernis für die Normalisierung des Radfahrens gesehen, da sie den Sport- und Lifestyle-Aspekt betonen, der Radfahren eher als voraussetzungsvoll und nicht als für alle zugängliche Alltagspraktik darstellt. Die Radverkehrsförderung versucht daher, das Radfahren von sportlichen Aspekten zu entkoppeln und das Fahrrad als normales Verkehrsmittel zu etablieren.

Ein modernes Gravelbike samt Bikepacking-Ausrüstung, schon kann das nächste Abenteuer losgehen.

Begeistern oder ausgrenzen?

Es ist jedoch problematisch, Radfahrende und Nicht-Radfahrende gegeneinander auszuspielen. Denn die Normalisierung des Radfahrens hängt stark von der allgemeinen gesellschaftlichen Akzeptanz ab. Der sportliche Aspekt kann dabei auch Begeisterung für das Radfahren erzeugen, indem er Geschichten erzählt, Bilder und Moden schafft und Menschen inspiriert. Es sollte also eher darum gehen, beides miteinander in Einklang zu bringen und die Potenziale und Synergien zu betonen. Mögliche Botschaften: „Zum Radfahren ist kein spezielles Fahrrad und keine spezielle Kleidung notwendig, aber wenn du Spaß daran hast, kannst du dich bis ins kleinste Detail individuell ausstatten“, oder: „Um Rad zu fahren musst du kein Mitglied einer bestimmten Szene sein, aber du hast die Möglichkeit dich mit anderen in Gemeinschaft zu begeben“.
Um dieser Heterogenität gerecht zu werden, ist eine kultursensible Planung erforderlich. Die sollte nicht nur Unterschiede respektieren, sondern auch die gemeinsamen Bedürfnisse aller Radfahrenden in den Vordergrund stellen und die Synergien betonen. Dabei ist es wichtig, klarzustellen, dass zum Radfahren keine spezielle Ausrüstung oder ein szenespezifischer Lifestyle erforderlich ist. Dann können erfahrene Radfahrende ihr wertvolles Wissen zur Planung von Radverkehrsinfrastruktur beisteuern. Ein Kurier sagte mir gegenüber: „Wenn du hundert Kuriere in Berlin zusammennimmst, fahren die im Jahr mehr als eine Million Kilometer mit dem Rad. Das ist eine Menge Erfahrung, die für bessere Infrastruktur genutzt werden könnte.“

„Wenn du hundert Kuriere in Berlin zusammennimmst, fahren die im Jahr mehr als eine Million Kilometer mit dem Rad. Das ist eine Menge Erfahrung, die für bessere Infrastruktur genutzt werden könnte.“

Radfahrende nutzen die geschützte Radspur am Kottbusser Damm – ein Fortschritt für den Berliner Radverkehr.

Radverkehr kultursensibel planen

Obwohl verschiedene Gruppen das Radfahren unterschiedlich wahrnehmen und einsetzen, ähneln sich ihre Anforderungen an eine gute Radin-frastruktur. Deshalb sollten sowohl erfahrene als auch neue Radfahrende in den Dialog eingebunden werden, um eine inklusive Radverkehrsförderung zu schaffen. Praktische Maßnahmen wie baulich getrennte Radwege, verbesserte Sichtbarkeit und zugängliche Angebote für neue Radfahrende schaffen nicht nur Sicherheit, sondern wirken integrativ. Erfahrene Radfahrende, die häufig besonders hohe Anforderungen an Geschwindigkeit und Dynamik haben, bringen wertvolle Perspektiven in die Planung ein und helfen, infrastrukturelle Schwachstellen zu identifizieren.
Indem wir den Dialog zwischen den Radkulturen fördern und sichere, leicht zugängliche Wege für alle Radfahrenden schaffen, unterstützen wir eine Stadt, in der Radfahren kein exklusives Hobby, sondern eine integrative Praktik ist. Letztlich geht es darum, Radfahren als etwas zu sehen, das verbindet – nicht als etwas, das voneinander trennt. Unabhängig davon, ob jemand Kurierin, Pendlerin, Sportlerin oder Alltagsradlerin ist, bleibt der Wunsch derselbe: sicher, komfortabel und schnell ans Ziel zu kommen.


Bilder/Grafik: Joshua Meissner, Geller 2006, Norbert Michalke, Changing Cities e.V., Stefan Hähnel, Matthias Heskamp

Christian Hoffmann ist seit gut zwei Jahren Präsident des Bundesamts für Logistik und Mobilität (BALM). Das Amt befindet sich mitten in einem Wandel zu einer dynamischen und entstaubten Behörde. Ein erklärtes Ziel ist dabei, Fahrradfreundlichkeit ganz nah an der Lebensrealität der Menschen erlebbar zu machen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Aus dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) wurde im vergangenen Jahr das BALM. Welche Veränderungen gingen mit der Umbenennung einher?
Es war eine Umbenennung, da haben Sie vollkommen recht. Wir haben keine organisationsinternen Umstrukturierungen vorgenommen, sondern haben in den letzten Jahren eine Veränderung der Aufgaben erlebt. Das ist im Bereich unserer Kon-trolldienste, die wir digital und modern weiterentwickeln, genauso festzustellen wie im Bereich der Ahndung, der Maut und der Verkehrswirtschaft, unsere klassischen Tätigkeitsfelder. Aber auch im Bereich des Krisenmanagements, mit welchem wir mit der Beförderung und Verteilung ukrainischer Geflüchteter als ad hoc reagierende Krisenmanagementbehörde durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BDMV) beauftragt wurden. Schließlich haben wir mit hoher Geschwindigkeit und Intensität den Bereich der modernen Mobilität ausgebaut. Das BALM ist als zentraler Projektträger zur Förderung des Radverkehrs im Auftrag des BMDV erste Anlaufstelle für viele Fragen zur Finanzierung und Förderung des Rad- und Fußverkehrs, des ÖPNV und betrieblichen Mobilitätsmanagements. So hat der neue Name, der ja auf den Minister zurückzuführen ist, eine neue Strahlkraft, die das gesamte Aufgabenportfolio vollumfänglich abbildet.

„Wir haben in den letzten Jahren eine Veränderung der Aufgaben erlebt.“

Christian Hoffmann, Präsident des Bundesamts für Logistik und Mobilität

Sie selbst sind schon seit 2005 beim BALM und seit gut zwei Jahren dessen Präsident. Was reizt Sie an diesem Aufgabenfeld?
Dass es sich immer dynamisch weiterentwickelt und nie Stillstand herrscht. Man kann daraus eine unheimlich starke Motivation ziehen. Sie gestalten hier mit. Gerade bei den Modellvorhaben und bei den Ideen, auch den längerfristigen kommunalen Investitionen. Wenn Sie da mit der Zeit gehen und Dinge unterstützen können, die dann in der Lebensrealität sichtbar sind und gesellschaftlichen Nutzen bringen, macht das ein Stück weit zufrieden.

Welche Bereiche und Kompetenzen des BALM machen sich denn in der Lebensrealität besonders bemerkbar?
Im Prinzip haben alle Bereiche und Kompetenzen des BALM konkrete Auswirkungen auf die jeweilige Lebensrealität. Wir sind als BAG mit hoheitlichen Überwachungsaufgaben gestartet, die heute so wichtig sind wie früher. Wir sorgen für Verkehrssicherheit auf den Straßen und einen fairen Wettbewerb in einer zunehmend unter Druck stehenden Branche.
Eine moderne, auf die zukünftigen Bedarfe ausgerichtete Mobilität zu fördern, steht ebenfalls für die konkrete Gestaltung von Lebensrealitäten. Wir haben in Köln ja selbst eine Innenstadtlage als Behörde. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen kommen mit dem Rad zur Arbeit. Und das unterstützen zu können, dass es sichere, gut ausgebaute, schlaglochfreie Radwege gibt, ist ebenso Ansporn wie zu sagen: Wir fördern Modellvorhaben im Bereich des ÖPNV, die sowohl in den urbanen als auch in den ländlichen Raum ausstrahlen.


„Wenn Sie mit der Zeit gehen und Dinge unterstützen können, die dann in der Lebensrealität sichtbar sind und gesellschaftlichen Nutzen bringen, macht das ein Stück weit zufrieden.“

Christian Hoffmann, Präsident des Bundesamts für Logistik und Mobilität

Viele Fördermaßnahmen des Bundes mit Radverkehrsbezug werden vom BALM verwaltet. Das Amt sorgt mit der Transferstelle und der Förderfibel für etwas Durchblick. Ist die Förderlandschaft Ihrer Ansicht nach zu unübersichtlich?
Zu unübersichtlich ist sie nicht, aber zunehmend komplex, auch durch verschiedene Fördergeber mit unterschiedlichen Bedingungen für Förderung. Unser Anspruch ist es, mit der Förderfibel niederschwellig interaktive Angebote zu machen. Diese ist auch als Ergänzung zur Hotline, mit einem Förderlotsen als Ansprechpartner, zu verstehen.

Dass die Förderungen so komplex sind, ist aber unvermeidlich? Oder ließe sich das vereinfachen?
Das kommt drauf an. Es geht immer um den jeweiligen Förderbereich und die rechtliche Ausgestaltung der jeweiligen Förderrichtlinie. Soweit unsere Erfahrung uns in die Lage versetzt, beratend auf entsprechende Sachverhalte Einfluss zu nehmen, sprechen wir uns immer dafür aus, dass es so einfach wie möglich geht, damit die Mittel möglichst schnell zum Fördernehmer kommen. Wir fördern in der Regel Modellvorhaben, die eine Strahlkraft und eine Übertragbarkeit sicherstellen sollen.

Laut Christian Hoffmann ist Deutschlands Förderlandschaft nicht zu unübersichtlich, aber zunehmend komplex. Mit dem Förderlotsen und der Förderfibel will das BALM Abhilfe schaffen.

Haben Sie ein Beispiel für ein Förderprogramm, wo Sie im Vorfeld Einfluss nehmen konnten?
Das machen wir eigentlich bei allen Förderprogrammen, dass wir in guter Zusammenarbeit mit dem BMDV in den Austausch gehen. Es gibt manchmal auch Programme, bei welchen uns das nicht so möglich ist, weil sie zum Beispiel aus dem Parlament kommen und Abgeordnete bestimmte Vorstellungen haben, die wir umzusetzen haben. Natürlich haben wir durch langjährige Erfahrung die Expertise, Vorschläge zu machen, an welcher Stelle bestimmte prozessuale Schritte gekürzt werden können. Umgekehrt geben wir auch Hinweise, was man noch beachten sollte. Das ist völlig unabhängig vom Gegenstand gern gesehen vom BMDV. Wenn das Programm friktionsfrei durchlaufen kann, hat jeder was davon.

Wie macht man ein Programm friktionsfrei?
Wenn man investive Maßnahmen plant, also zum Beispiel den Bau eines Fahrradparkhauses, dann ist es nicht nur die Aufgabe der Förderrichtlinie, das Programm technisch umzusetzen. Sondern wir tragen auch die kommunikative Verantwortung, den Bedarfsträger und den Fördernehmer entsprechend zu informieren, welche Punkte und Komplikationen man am besten schon in einer Vorplanungsphase in den Blick nehmen müsste.
Im besten Fall funktioniert das über die Transferstelle und den Förderlotsen im Vorfeld, dass wir unsere Erfahrungen eben auch als nicht-monetäres Angebot formulieren und Best-Practice-Beispiele über Netzwerke zur Verfügung stellen. Da kommt immer wieder das Mobilitätsforum Bund ins Spiel, mit welchem wir in einem ersten Schritt in der Transferstelle Wege zeigen, wie Förderungen gelingen können. In einem zweiten Schritt bieten wir auch Wissensaufbau über Aus- und Fortbildungen an und nehmen diese Best-Practice-Beispiele als Orientierung.

Die Kernkompetenzen des Bundesamts für Güterverkehr, das zum BALM umstrukturiert wurde, lagen im Bereich der Verkehrswirtschaft, der Maut und der Ahndung. Heute ist das Aufgabenspektrum breiter.

Sie sind in Ihrer Arbeit ja in gewisser Weise von der Bundespolitik abhängig. Wenn das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zum Klima- und Transformationsfonds für Förderchaos sorgt oder die Regierung sich zerstritten zeigt, wie gehen Sie mit solchen Situationen um?
So gut wie möglich! Wir hängen ja als BALM nicht an der ganzen Bundesregierung, sondern am BMDV. Dort haben wir sehr gute Abstimmungsverhältnisse. Dort erfährt das, was wir hier vorantreiben, sehr viel Zuspruch und Unterstützung. Wir haben Diskussionen über die Auskömmlichkeit von Haushaltsmitteln geführt, aber nicht über die Sinnhaftigkeit der Förderprogramme. Das muss man klipp und klar so sagen. Natürlich hat das (Chaos um den Klima- und Transformationsfonds, Anm. d. Red.) insgesamt zu einer haushalterischen Mangellage geführt, aus der der Radverkehr aber budgetär vergleichsweise gut herausgekommen ist.

Wie gut werden die Fördermittel abgerufen und wie bekannt sind die Programme im Einzelnen? Mitunter gibt es ja auch Förderprogramme etwa auf Landesebene, die auf dieselben Inhalte abzielen.
Es ist richtig, dass es oft komplementäre Angebote des Landes gibt. Das sind wichtige Fragen, wenn man im Vorfeld den Gesamtfinanzierungsbedarf klärt. Wenn es konkret darum geht, wie die Mittel abgerufen werden, muss man zwischen investiven und nichtinvestiven Maßnahmen unterscheiden. Gerade im investiven Bereich habe ich bei baulichen Leistungen natürlich ganz andere Vorlaufzeiten und auch gewisse Umsetzungszeiten, die in der aktuellen wirtschaftlichen Lage noch mit Baukostensteigerungen und Ähnlichem einhergehen. So treten tatsächlich immer wieder Verzögerungen ein. Wir bieten hier sehr viel Unterstützung an, um Fragen zu klären und den Mittelabfluss zu gewährleisten. Wir beobachten aber auch, dass gerade auf kommunaler Ebene sehr viel Schwung reingekommen ist. Man hat das Problem erkannt und der Abruf der Mittel wird immer fließender.

Wie stark wird die Transferstelle genutzt, die Sie in diesem Kontext betreiben?
Die Transferstelle ist mit dem Förderlotsen eine der vier Säulen des Mobilitätsforums Bund und zunehmend gefragt. Im besten Fall vor der konkreten Antragsstellung auf Fördermittel. Genau zu diesem Zeitpunkt sollte das Ob und Wie geklärt werden. Aber es passiert auch – dadurch, dass unsere Förderprogramme stark überzeichnet sind, da es eben doch mehr Nachfrage als Angebot gibt – dass man den Förderlotsen auch nach erfolgloser Antragsstellung seitens der Kommune in Anspruch nimmt und noch mal „lessons learnt“ bestimmt.

Wie öffentlichkeitswirksam ordnen Sie gerade in Bezug auf die moderne Mobilität die Arbeit des BALM ein?
Wir sind hier zunehmend proaktiv ausgerichtet. Wenn wir hier gesellschaftlich relevante Vorhaben umsetzen, dann müssen wir dies auch fortlaufend und unmittelbar kommunizieren. Früher haben wir ausschließlich mit Presseinformationen und unserem Internetauftritt gearbeitet. Jetzt richten wir unsere Öffentlichkeitsarbeit viel stärker auf die Kommunikation über Social-Media-Kanäle wie LinkedIn oder Instagram aus.
Darüber hinaus legen wir in der Öffentlichkeitsarbeit einen weiteren Schwerpunkt auf Messeauftritte und auf die Ausrichtung von Konferenzen und Veranstaltungen, wie den jährlich stattfindenden Fahrradkommunalkonferenzen. Das sind besonders wichtige Punkte, um das BALM ganz generell erlebbar zu machen, Transparenz herzustellen und zu zeigen, dass man mit uns in Kontakt treten kann.
Nehmen wir zum Beispiel mal dieses Gebäude. Das ist eine ältere Liegenschaft, die man auch als gesichtslosen Bau in der Kölner Innenstadt wahrnehmen könnte. Aber hier arbeiten Kölnerinnen und Kölner. Und nahezu alle Aufgaben, die wir hier wahrnehmen, sind auch für die Kommunalverwaltung interessant. Also sind wir gerade dabei, mit der Kölner Oberbürgermeisterin eine Partnerschaft einzugehen. Wir wollen die Arbeit, die wir tun, auch direkt vor der eigenen Haustür wirken sehen.

„Wir haben Diskussionen über die Auskömmlichkeit von Haushaltsmitteln geführt, aber nicht über die Sinnhaftigkeit der Förderprogramme.“

Christian Hoffmann, Präsident des Bundesamts für Logistik und Mobilität

Christian Hoffmann und sein Team wollen, dass ihr Arbeit auch vor der eigenen Haustür, also auch vor der Liegenschaft des BALM in Köln sichtbar wird. Mit der Kölner Oberbürgermeisterin entwickeln sie derzeit eine Partnerschaft.

In Sachen Kooperation sticht auch die Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club für den Radtourismuskongress heraus. Wie wichtig sind solche Kooperationen generell für das BALM und welche potenziellen Partner haben Sie noch im Blick?
Die Zusammenarbeit mit einem wichtigen Verband auf europäischer Ebene ist sehr wichtig, um nahe der Branche den Bedarf erkennen zu können. Wir haben den Anspruch, zu wissen, was konkret dort passiert.
Wenn man ins Inland schaut, haben wir mit der Geschäftsstelle Radnetz Deutschland ein sehr breites Aufgabenspektrum. Es geht nicht nur darum, wichtige Radwege instand zu halten, auszubauen und zu verbessern. Es geht auch darum, diese Radwege erlebbar zu machen, durch Marketingkonzepte gerade im touristischen Bereich. Wir arbeiten in der Geschäftsstelle mit allen Bundesländern zusammen, von daher sind das in der föderalen Struktur die wichtigsten Partner, die man braucht.

Was Radverkehr angeht, sind sicher auch die Kommunen zentrale Handlungsträger. Gibt es ein Thema, das diese Ihrer Meinung nach beim Radverkehr noch stärker in den Blick nehmen müssten?
Wir formulieren Angebote aus unserer Perspektive des Fördergebers. Kommunen sind in ihrem jeweiligen Bedarf oft gar nicht ohne Weiteres vergleichbar. Und deshalb wissen die Kommunen in den meisten Fällen selbst am besten, was für den jeweiligen Bedarf vor Ort das Richtige ist. Aus diesem Grund steht es mir an dieser Stelle nicht zu, das zu bewerten. Wir arbeiten daran, die Erfahrungen, die wir sammeln, in Angebote umzuwandeln, und werben für das Abfordern dieser Angebote durch die Kommunen, weil ich auch die kommunalen Abhängigkeiten und Diskussionen kenne und weiß, wie schwer es manchmal sein kann, solche Projekte vor Ort umzusetzen.

Das BALM führte im vergangenen Jahr eine Auslandsexkursion nach Paris durch. Was kann sich die deutsche Verkehrspolitik generell oder was können sich die Kommunen im Speziellen im Ausland abschauen?
Die Auslandsexkursion diente dazu, die Fahrradfreundlichkeit der Stadt wirklich erlebbar zu machen. Hier ist es unsere Aufgabe, durch angereicherte Best-Practice-Veranstaltungen Impulse geben zu können.
Wir suchen uns im Inland wie im Ausland positive Beispiele heraus. Das hat auch im Fall der Paris-Exkursion sehr gut funktioniert. Die Verkehrspolitik der Stadt Paris steht unter anderem beispielhaft für eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs vor Schulen. Best-Practice-Beispiele – beziehungsweise deren modellhafte Umsetzung – konnten vor Ort besichtigt werden, welche dann auch entsprechend übertragbar waren.

Wie soll sich das BALM in den kommenden Jahren Ihrer Zielsetzung nach weiterentwickeln?
Wir werden den Weg, den wir eingeschlagen haben, konsequent weitergehen. Das heißt, dass wir uns als Fördergeneralist weiterhin bewähren, beweisen und in Anspruch genommen werden. Das heißt, dass es uns gelingt, mit wachsender Expertise immer zielgenauer und treffsicherer Förderung zu betreiben. Ich wünsche mir auch, dass wir unsere Agilität als ad hoc handelnde Krisenmanagementbehörde beibehalten. In der Vergangenheit haben wir bewiesen, dass wir sehr schnell sehr gut handlungsfähig sind. Das sind Faktoren, die heute eine wichtige Rolle spielen. Das können Sie nur machen, wenn die ganze Behörde so tickt.
Wir wollen in einem dynamischen Entwicklungsprozess bleiben, denn Stillstand ist Rückschritt. Das gilt, glaube ich, überall, aber erst recht im Aufgabenfeld der modernen Mobilität. Man muss am Puls der Zeit bleiben.


Bilder: BALM

Gute Infrastruktur spricht Einladungen aus und vermittelt echte Sicherheit – gerade schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen. Wird man weiterhin nur träumen dürfen? Von einer gemeinsamen Anstrengung, die wirklich allen hilft? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Kennen Sie das Zitat in der Überschrift? Der Schlüsselsatz aus dem 1989er-Film „Feld der Träume“ sitzt mir schon lange wie ein Ohrwurm im Kopf. Dort im ländlichen Iowa ist mit „es“ ein Baseballfeld gemeint, das Kevin Costner als Farmer Ray Kinsella in seinem Maisfeld errichtet. Eine Stimme, die nur er hören kann, hat ihn davon überzeugt. Unter dem Spott seiner Nachbarn pflügt er einen Teil seines Ackers um und ruiniert so den familiären Frieden und beinahe seine Landwirtschaft. Als das Spielfeld jedoch fertig ist, erscheinen plötzlich „Geisterspieler“: Ihrerseits verdutzte, tote Legenden des Nationalsports, die durch das verbliebene Maisfeld ins Diesseits zurückkommen, um wieder Baseball zu spielen.
In meinem Mantra ist freilich „es“ das Radwegenetz und „er“ der Straßenverkehr einer lebenswerten Zukunft: unmotorisierter, umweltfreundlicher, platzsparender, gleicher, menschlicher und respektvoller. Denn gute Infrastruktur spricht ja ein Angebot aus, eine Einladung: Hier bist du Mensch, hier darfst du’s sein. Und zwar egal, welche Mobilitätsform man wählt. Dieses Privileg gilt hierzulande seit Jahrzehnten nahezu exklusiv fürs Kfz. So sehr, dass viele Menschen es als Anrecht leben. Höchste Zeit für eine Notbremsung! Und wenn der Film auch mit einer bis zum Horizont reichenden Autokolonne endet, so steht sie ja doch, die Hoffnung: auf eine Menge an Menschen, deren Erkenntnis oder Einsehen es benötigt, damit der verspottete Visionär am Ende recht behält.
Meine Vision, das ist eine Mobilität der Zukunft, die Fortbewegungsbedürfnisse von Menschen erfüllt, ohne zum Luxusgut zu werden, und gleichzeitig Natur, Gesundheit und Wohlergehen schützt, ohne sie zu gefährden. Ich wünsche mir einen Lebensraum, dem sich der Verkehr unterordnet, keinen Verkehrsraum, der das Leben verdrängt. Ich wünsche mir Tempo 30 innerorts, Superblocks und weitestgehend autofreie Städte. Da gibt es viele interessante internationale Vorbilder.
Seit der Straßenverkehrsgesetz-Novelle 2024 haben deutsche Kommunen eine Menge mehr Befugnisse, „es“ zu bauen. Beziehungsweise weniger Ausreden, es nicht zu tun. Doch geschieht da nichts von allein. Es braucht viel gute Laune, unser aller zivilbürgerliches, gesellschaftliches Engagement und striktes Nachhaken bei oder durch politische Akteur*innen, um die unzähligen kleinen nötigen Schritte umsetzen. Hoffentlich, so eine weitere Vision, im Dialog, geprägt von Rücksicht, Offenheit und Fairness, was Platzbedarf und wahre Kosten betrifft. Denn was sonst hülfe gegen die Beantwortung komplexer Fragen mit einfachsten Parolen und gegen die stark selektive Wahrnehmung in den Echokammern? Zu oft wird dort statt eines solchen Miteinanders ein Kampf erklärt: Pass nur auf, die wollen dir was wegnehmen! Dabei sollten wir uns doch mit allen Menschen, die ein Mobilitätsbedürfnis haben, an einen Tisch setzen! Als Chefredakteur eines Fahrradkulturmagazins bin ich überzeugt, dass das Fahrrad ein großer Teil der Lösung ist – aber natürlich nicht der einzige. Ohne gesellschaftliche Mehrheiten ist ein ausgewogener und friedlicher Verkehr nicht zu realisieren.
Weiter wie bisher, das geht ohnehin nicht mehr. Der alte Sponti-Spruch wird noch immer täglich wahrer: „Wer Straßen sät, wird Autos ernten.“ Oder Stau. Mehr Straßen, mehr Stau, mehr unglückliche Menschen. Es sah zwischendurch mal kurz so aus, als ginge es in eine gute Richtung. Doch die Bundesverkehrspolitik hat in Sachen Fahrrad und Lebensqualität alle Bremsen festgezogen. Wo Unionsparteien ans Lenkrad gelassen werden, legen sie den Rückwärtsgang ein und geben Vollgas – wie man „schön“ in Berlin beobachten kann.
Bei den politischen Hiobsbotschaften dieser Tage bekommt man den Eindruck, dass sich das Fenster der Möglichkeiten hierfür eher schließt. Wir müssen und können über vieles reden. Nur eines ist aus meiner Sicht nicht verhandelbar: Vision Zero. Die Schwächeren müssen geschützt werden und Rücksichtnahme zur Selbstverständlichkeit. Ich will keine Verkehrstoten mehr hinnehmen!


Bilder: Vaude – pd-f, Frank Stefan Kimmel – pd-f