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Mobilitätswende ist auch Gesundheitsmanagement

Der urbane Verkehr ist nicht nur ein Mitverursacher der Klimakatastrophe, sondern etwa durch Abgas- und Lärmemissionen auch Auslöser von gesundheitlichen Schäden. Nachhaltige Mobilität mit dem Fahrrad hat den umgekehrten Effekt: Wer mit dem Fahrrad pendelt, lebt nachweislich gesünder. Die Mobilitätswende kann somit auch eine Gesundheitswende sein. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2022, Juni 2022)


2017 hat eine Studie des Beratungsunternehmens EcoLibro zusammen mit der Goethe-Universität Frankfurt herausgefunden, dass fahrradfahrende Mitarbeitende im Schnitt etwa ein Drittel weniger Krankheitstage aufwiesen als ihre Kollegen und Kolleginnen, die mit anderen Verkehrsmitteln zur Arbeitsstelle kamen. 3,35 Krankheitstage standen 5,3 bei den Benutzerinnen des eigenen Pkws oder öffentlicher Verkehrsmittel gegenüber. Am besten schnitten darunter wiederum jene Radfahrenden ab, die nicht nur gelegentlich, sondern das ganze Jahr über mit dem Fahrrad oder E-Bike zur Arbeit kamen. Ein weiterer interessanter Aspekt: Sie schnitten in Sachen Krankheitstage sogar besser ab als Mit-arbeiterinnen, die regelmäßig Sport treiben. Außerdem sind zwar laut EcoLibro die Krankheitstage der Rad-pendler*innen nach Unfällen rechnerisch etwas höher als bei verunfallten Autofahrenden, trotzdem waren die Krankheitstage bei der Radfahr-Gruppe insgesamt noch die geringsten. Das lässt auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen aktiver Mobilität, wie Zufußgehen und Radfahren, und dem Gesundheitszustand der Mitglieder dieser Gruppe schließen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO werden viele der häufigsten Krankheiten, wie Erkältungs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Diabetes und Adipositas, von Bewegungsmangel verstärkt. Tatsächlich ist es also einfach, diese Krankheiten einzudämmen. Mehr aktive Mobilität bedeutet mehr Gesundheit.
Das gilt übrigens genauso für die mentale Gesundheit: Schon vor acht Jahren wurde in einer britischen Langzeitstudie mit 18.000 Probanden und Probandinnen an der East Anglia University in Norwich festgestellt, dass sich Menschen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, deutlich weniger zufrieden fühlten als solche, die mit anderen Verkehrsmitteln pendelten. Das mag mit den täglichen Staus auf den Straßen zu tun haben, aber auch mit der aktiven Form des Pendelns. Ein überraschendes Ergebnis war auch, dass Zu-Fuß-Pendler und -Pendlerinnen sich zufriedener fühlten, je länger ihre Pendel-Strecke war.

Leben auch E-Bike-Nutzende gesünder?

Wie sieht das für Pedelec-Fahrer und -Fahrerinnen aus? Sie bewegen sich mit weniger Krafteinsatz als Radfahrende ohne Motor. Ernten sie daher eher weniger Zufriedenheit und Gesundheit? Das könnte man vermuten, stimmt aber nicht ganz: Eine europäische Studie mit älteren Menschen hat 2019 nachgewiesen, dass Pedelec-Nutzer und -Nutzerinnen im Schnitt etwa 35 Prozent längere Strecken zurücklegen als die Vergleichsgruppe mit normalen Fahrrädern. Die Schlussfolgerung: Zwar ist der Kraftaufwand auf dem E-Bike geringer, doch Menschen, die Pedelec fahren, bewegen sich dafür häufig mehr auf dem Fahrrad. Zudem kommen viele Menschen überhaupt erst zum Radfahren respektive Pendeln, weil ihnen E-Bike-Fahren mehr Spaß macht als Radfahren ohne Unterstützung. Sie trauen sich eine bestimmte Entfernung erst mit dem Zusatzschub durch den E-Motor zu. All diese Punkte untermauern die These: Fahrradfahren ob mit oder ohne Motor kann – und sollte – Teil eines gesellschaftlichen Gesundheitsmanagements sein.

Der VCÖ sieht einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit letaler Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Anteil aktiver Mobilität am Modal Split.

Wie können Städte gesünder werden?

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) forderte im Herbst 2020: „Mehr Gesundheit in die Städte!“ Im Institut gibt es bereits seit 2002 die Arbeitsgruppe Gesundheitsfördernde Gemeinde- und Stadtentwicklung (AGGSE), die fünf Thesen zur nachhaltigen und gesundheitsfördernden Verkehrspolitik aufgestellt hat. „Nachhaltig kommunale Gesundheitsförderung braucht eine hinreichend soziale, technische und grüne Infrastruktur“, heißt es da in These fünf. Ein wichtiger Beitrag dazu seien die Priorisierung des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs und die Reduzierung des motorisierten Individual- und Güterverkehrs.

Bessere Infrastruktur – mehr gesellschaftliche Gesundheit

Was bedeutet das für den Bund und die Kommunen? Vor allem eines: für die Existenz, Sicherheit und den Komfort von Fahrrad-Infrastruktur zu sorgen. Ganz im Sinne von: Wer Radwege baut, wird Radverkehr ernten (Hans-Jochen Vogel, damals Münchner OB, prägte den Satz: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten!“). Dazu muss das Fahrrad zunächst in den Köpfen der Entscheiderinnen und Planerin-nen als Verkehrsmittel angekommen sein – ein Vorgang, der derzeit noch im Wachsen begriffen scheint.
Heißt das, dass die komplette Infrastruktur verändert werden muss, um mehr Autofahrende auf das Fahrrad zu bekommen? Nicht unbedingt und vor allem nicht überall.
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club ADFC hat einen Leitlinien-Katalog für den Ausbau einer nachhaltigen Fahrrad-Infrastruktur herausgegeben. Darin geht es nicht nur um geschützte Radverkehrsanlagen wie Protected Bike Lanes, wie wir sie bereits aus der Corona-Zeit in Berlin kennen, sondern auch grundsätzlich um das Zusammenspiel verschiedener Verkehrsmittel. In Tempo-Dreißig-Zonen etwa könne man getrost auf Radspuren verzichten und Mischzonen schaffen, in denen alle Verkehrsmittel parallel existieren. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch Kreuzungen und Schnittstellen. Hier wird das Plus an Gesundheit von Radfahrenden bedroht von gesteigertem Unfallrisiko. Grundsätzlich gilt allerdings: Je mehr sich die Verkehrsteilnahme vom Auto zum Fahrrad und E-Bike verschiebt, desto weniger unfallträchtig sind Letztere unterwegs. Beispiel Niederlande: In Städten mit sehr hohen Zahlen an Fahrradfahrenden gibt es eine signifikant geringere relative Verunfallung von Radlern und Radlerinnen.

Win-Win-Situation für die aktive Mobilität

Als wie weitreichend man den Zusammenhang zwischen gesunder Mobilität und gesellschaftlicher Gesundheit sehen kann, zeigt die Veröffentlichung „Gesunde Städte durch gesunde Mobilität“ des Österreichischen Verkehrsclubs VCÖ. Hier steht unter anderem ein Fakt im Vordergrund: Wenn wir unsere Mobilität auf Gesundheit der Verkehrsteilnehmenden ausrichten, gewinnen wir auch automatisch an Klima-Gesundheit, denn der Großteil der gesundheitsbelastenden Schadstoffe und Treib-hausgas-Emissionen wird vor allem von Verbrennungsmotoren verursacht, die auch die nächsten Jahre bei Weitem das Gros der Personenbeförderung bestimmen werden.
Jedenfalls führt die gesunde, weil aktive Mobilität als Konsequenz aus den angeführten Punkten erwartungsgemäß wieder zu weiterer gesellschaftlicher Gesundheit. So wie umgekehrt die Automobilität, vor allem auf die kurzen Strecken bezogen, uns bislang nicht nur aus Mangel an Bewegung krank gemacht hat, sondern auch einen Großteil der krank machenden klimatischen Veränderungen verursacht hat. Noch ein Grund mehr, auf die neue Velo-Mobilität zu setzen – und entsprechende Infrastruktur bereitzustellen.


„Gesundes Mobilitätsmanagement ist auch Arbeitgeberattraktivität“

Die Berliner Agentur für Elektromobilität eMO unterstützt kostenlos Berliner Unternehmen und Betriebe, die ihr Mobilitätsmanagement verbessern wollen. In Sachen Unternehmensmobilität informiert die eMO unter anderem über die Vorteile wie Nachhaltigkeit und Gesundheit, die zunehmend wichtigere Bedingungen für eine zeitgemäße Mobilität der Mitarbeitenden sind, und begleitet Unternehmen bei der Umsetzung.Darüber haben wir mit Luisa Arndt, Projektmanagerin in der Agentur, gesprochen.

Warum ist auch gesunde Mobilität für die Unternehmen, die Sie unterstützen, ein Thema?
Mobilität kann mit gesunder Fortbewegung verbunden sein – etwa indem immer mehr Mitarbeitende mit E-Bike oder Fahrrad zum Betrieb fahren. Gleichzeitig ist diese Mobilität umweltfreundlicher und oft wirtschaftlicher. Zudem fördert die aktive Fortbewegung die Gesundheit, was sich in weniger Krankheitstagen äußert, wie Studien belegen. Hinzu kommt: Gesunde Mobilitätsangebote wie das Dienstradleasing steigern auch die Arbeitgeberattraktivität deutlich.

Ist in den Betrieben ein Umdenken hin zu nachhaltigeren, gesünderen Formen der Mobilität bereits in Gange?
Das ist unterschiedlich. Manche Betriebe sehen, dass sie innerbetriebliche Mobilität strukturell angehen müssen. Andere wollen zunächst einfach nur Veränderungen im Detail schaffen, indem bestimmte Strecken nicht mehr mit dem Dienstauto, sondern per Dienstrad zurückgelegt werden sollen. Unsere Aufgabe ist es zunächst, den Blick des Unternehmens auf ihr eigenes Mobilitätsmanagement zu schärfen. Dazu ist eine ganzheitliche Betrachtung der Unternehmensmobilität notwendig.

Stichwort Arbeitswege-Mobilität. Wie kann der Betrieb seine Mitarbeiter motivieren, per E-Bike oder Fahrrad in die Arbeit zu kommen?
Das kann mit ganz kleinen Dingen anfangen – der Luftpumpe am Empfangstisch, das Schaffen von sicheren Abstellmöglichkeiten für E-Bikes im Betrieb, aber auch Umkleideräume im Unternehmen oder die Teilnahme an Aktionen wie „Wer radelt am meisten?“ oder „Stadtradeln“ können für Mitarbeitende motivierend wirken. Oft ist aber auch die Belegschaft vor dem Arbeitgeber sensibilisiert, wenn es etwa um die Akzeptanz des Jobradleasings im Unternehmen geht. Dusch- und Garderoberäume werden oftmals von Mitarbeitenden angeregt. Allgemein kann man sagen, es gibt beide Richtungen beim Anstoß von Veränderungsprozessen, Top-Down wie auch Bottom-Up.

Macht sich die Verkehrswende denn tatsächlich im betrieblichen Mobilitätsmanagement breit?
Jein. Es gibt ein zunehmendes Bewusstsein für nachhaltige Mobilität, sowohl von Geschäftsführenden als auch Mitarbeitenden. Oft spüren größere Betriebe mehr Druck, sich zu verändern. Hier braucht es allerdings oft Zeit, bürokratische Strukturen zu verändern. Bei kleinen Betrieben hängt Veränderung andererseits oft von einzelnen, hoch motivierten Personen ab, die diese Tätigkeiten übernehmen, dann jedoch auch schneller etwas erreichen können. Zukünftig könnte die von der EU eingeführte Berichtspflicht zur Nachhaltigkeit einen weiteren Beitrag zur Einführung von nachhaltigen Mobilitätsformen leisten.


Bilder: Georg Bleicher, VCÖ 2021, Berlin Partner