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Champs-Élysées werden wieder grün

Mit dem Entschluss, die wohl berühmteste Allee der Welt komplett neu zu gestalten und dafür 225 Millionen Euro zu investieren, hat Paris ein starkes Zeichen für die Transformation der Stadt gesetzt. Statt Durchgangsverkehr, Lärm, Hitze und Smog soll es künftig ein grünes Band mit viel Platz zum Flanieren, Verweilen und nur noch Langsamverkehr geben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Paris geht voran: flächendeckend Tempo 30 sofort, 170.000 neue Bäume und sichtbare Ergebnisse bis zu den Olympischen Spielen 2024.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die ehemalige Prachtstraße mit Ladengeschäften für Luxusartikel, teuren Cafés und den weltweit höchsten Gewerbemieten zu einer Hauptverkehrsader mit 3.000 Fahrzeugen pro Stunde gewandelt. Attraktiv ist die rund zwei Kilometer lange Allee vom Louvre-Palast zum Triumphbogen nach den Analysen der Architekturfirma PCA-Stream, die das Projekt mit initiierte, nur noch für Tourismus und Unternehmen. Von den schätzungsweise 100.000 Menschen, die hier vor der Pandemie täglich unterwegs waren, entfielen 72 Prozent auf Touristen, vorwiegend aus dem Ausland, und 22 Prozent auf dort Arbeitende. Von Pariserinnen und Parisern selbst wurde die berühmte Meile, abgesehen von Großveranstaltungen wie der jährlichen Parade am Nationalfeiertag, eher gemieden. Mit zum Niedergang haben zuletzt auch Ausschreitungen der „Gelbwesten“, die Gesundheits- und Wirtschaftskrise und nicht zu vergessen auch der Internethandel beigetragen. Deshalb brauchte nicht nur die Allee, sondern das ganze Viertel eine neue Perspektive. Dazu kommen als weitere zunehmende Probleme Smog und Hitze in der Stadt, die den Bedarf an Frischluftschneisen und baumbeschatteten Straßen immer drängender machen.

Aufenthaltsqualität? Eingequetscht zwischen acht Autospuren bleibt heute kaum Raum für ein Foto. Nach dem Umbau soll der Platz wieder zum Flanieren einladen.

Breite Zustimmung zum Leuchtturmprojekt

Bei der Neugestaltung geht es nach den Plänen vor allem darum, den Einwohnern das Herz der Stadt zurückzugeben. Aufenthaltsqualität steht deshalb ganz oben auf der Prioritätenliste, mit Bäumen, Parkflächen, Sitzgelegenheiten, Spielplätzen, Außengastronomie und viel Raum für Fußverkehr. Unterstützung für die Änderungen kommt nicht nur aus verschiedenen politischen Lagern, sondern auch von den Unternehmen und aus der Bevölkerung. Die mythenhafte Avenue habe in den vergangenen drei Jahrzehnten ihren Glanz verloren, schreibt das „Komitee Champs-Élysées“, ein Zusammenschluss aus 180 Geschäftsleuten, Kulturschaffenden und Ladeninhabern, das vor zwei Jahren den Architekten Philippe Chiambaretta beauftragte, Vorschläge für die Begrünung und Umgestaltung zu entwickeln. Für eine breite Beteiligung der Bevölkerung sorgte eine Ausstellung mit Entwürfen und Modellen in der Halle Pavillon de l’Arsenal und eine Befragung im Internet, an der 100.000 Menschen teilnahmen. Zurückgedrängt werden soll der Autoverkehr unter anderem durch eine Umverteilung des Raums von acht auf maximal vier geschwindigkeitsreduzierte Fahrspuren mit hellem Straßenbelag, der sich weniger stark aufheizt. Geplant ist wenig Autoverkehr und, zumindest in den ersten Visualisierungen, eine gesonderte Spur für den Radverkehr. Neben der Allee sollen vor allem die berühmten Plätze umgestaltet und begrünt werden. Zum Beispiel der Place de la Concorde mit dem Obelisken und der Place Charles-de-Gaulle (ehem. Place de l‘Étoile) mit dem Triumphbogen. Denn hier werden im Sommer inzwischen regelmäßig Temperaturen von über 40 Grad gemessen. Seitenstraßen sollen zu Fußgängerzonen umgewandelt werden und insgesamt wieder „ein großer Garten“ entstehen.

„Wir müssen ein neues Modell erfinden. Die Stadt der Zukunft ist grün und verkehrsberuhigt.“

Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris

Ziel: Re-Transformation

Bürgermeisterin Anne Hidalgo und die Planer verweisen darauf, dass sie mit der Neugestaltung das Quartier zu seiner ursprünglichen Berufung zurückführen und damit gewissermaßen eine Re-Transformation planen. Denn noch bis 1833 bestanden die Champs-Élysées (übersetzt „die Gefilde der Seligen“) aus Park- und Grünflächen. Erst im 19. Jahrhundert kam es zur systematischen Bebauung und nachfolgend zu dem überbordenden Auto- und Lkw-Verkehr, der heute den Bereich um die berühmten Denkmäler bestimmt. Auch die Umgebung des Eiffelturms soll deshalb künftig grundlegend umgestaltet und begrünt werden. „Wir müssen ein neues Modell erfinden“, so die Bürgermeisterin. Die Stadt der Zukunft sei grün und verkehrsberuhigt. Auch in Bezug auf den zeitlichen Horizont hat sich Paris ambitionierte Ziele gesetzt. In diesem Jahr wird bis auf wenige Ausnahmen flächendeckend Tempo 30 in der Stadt eingeführt, und viele der geplanten Änderungen sollen bereits zu den Olympischen Sommerspielen in Paris im Jahr 2024 umgesetzt sein. Bis 2025 sollen beispielsweise rund 170.000 Bäume gepflanzt werden. Die komplette Umgestaltung der Champs-Élysées soll dann, wie viele andere Projekte der grünen und fahrradfreundlichen „Stadt der 1/4 Stunde“, bis 2030 abgeschlossen
sein.

Michel Lussault, Geograf Universität Tours:

„Die Champs-Élysées sind einer jener Hyper-Orte, die die Besonderheit haben, Repräsentationsräume im strengen Sinne des Wortes zu sein, in denen die Dynamik einer Gesellschaft inszeniert wird. In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, dass sich das moderne Modell der Champs-Élysées erschöpft hat, denn es verkörpert, was wir als urbane Gesellschaft geworden sind, das heißt, es zeigt, wie mächtig die Urbanisierung in den letzten sechzig Jahren war, aber auch, wie problematisch ihre Auswirkungen waren. Wenn die Pariser die Champs nicht mehr mögen, und wenn die Champs die Pariser nicht mehr mag, dann liegt das daran, dass dort die Sackgassen eines Entwicklungsmodells inszeniert werden.“


Bilder: PCA-Stream, Salem Mostefaoui