Die Städte sind im Zugzwang. Sowohl die Anzahl als auch die Größe der Autos verknappen den öffentlichen Raum immer weiter. Inzwischen nutzen Planer*innen einen breiten Maßnahmen-Mix, um dringend notwendigen Platz zu schaffen. Für neue Mobilität, aber auch für überlebenswichtige neue Grünflächen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Die Mobilitätswende lässt auf sich warten. Trotz Klimaschutzdebatten und Dauerstaus auf den Straßen wächst die Zahl der Autos und der gefahrenen Pkw-Kilometer. Anfang Januar 2021 waren bundesweit 48,2 Millionen Pkw zugelassen. Das waren 14 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor. Mit 575 Wagen pro 1000 Einwohner hat der Autobesitz einen neuen Höchstwert erreicht und die Fahrzeuge beanspruchen immer mehr Raum in den Kommunen. Die langjährige Taktik, Autofahrerinnen mit Anreizen zum Umstieg auf nachhaltige Verkehrsmittel zu bewegen, ist fehlgeschlagen. Politik, Stadt- und Verkehrs-planerinnen brauchen neue Strategien, wenn sie klimaresiliente Städte mit mehr Rad- und Fußverkehr wollen. Mobilitätsexperten und der Deutsche Städtetag sind sich einig: Der Autobesitz und die Zahl der Pendlerfahrzeuge in den Städten müssen drastisch sinken. Das Umweltbundesamt hat 2019 einen ehrgeizigen Zielwert genannt. Demnach soll es in der „Stadt von morgen“ maximal 150 zugelassene Pkw pro 1000 Einwohner geben. Diese Vision ist nur in einer Stadt der kurzen Wege umsetzbar. „Wir müssen unsere Städte umbauen und unser Mobilitätsverhalten verändern, um das zu schaffen“, sagt der niederländische Mobilitätsexperte Bernhard Ensink vom Beratungsunternehmen Mobycon. Sein Konzept lautet: Autoverkehr vermeiden, verlagern und verändern. Möglichst viele Autofahrten sollten demnach überflüssig werden, notwendige Fahrten auf den Umweltverbund verlagert werden und erst in letzter Instanz sollten Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden. Vorreiter-Kommunen wie Amsterdam machen vor, wie die geparkten Autos systematisch und programmatisch aus der Innenstadt entfernt werden können.
„Die Niederlande sind eine Fahrradnation, aber wir sind auch eine Autonation“, sagt Ensink. Das gilt ebenso für die Fahrradmetropole Amsterdam. Wer dort mit einem Ausflugsboot durch die Grachten schippert, blickt zurzeit noch oft auf Motorhauben vor pittoresken Herrenhäusern. Die Politik will das ändern. Der Platz soll zurück an die Menschen gehen. Seit 2019 reduziert die Verwaltung deshalb die Zahl der Anwohnerparkausweise im Zentrum um rund 1.500 jährlich. Sobald jemand die Stadt verlässt, sein Auto aufgibt oder stirbt, werden die Ausweise nicht mehr ersetzt. Und das, obwohl die Warteliste für Parkausweise lang ist. Außerdem werden bei Umbauarbeiten und Renovierungen der Uferstraßen und Hafenkais sukzessive Parkflächen im Zentrum entfernt. Bis 2025 sollen nach den Plänen der Verwaltung so rund 11.000 Innenstadtparkplätze entfallen.

„Die Niederlande sind eine Fahrradnation, aber wir sind auch eine Autonation“

Bernhard Ensink, Mobycon

Der Umbau ist in vollem Gange. Bis 2025 sollen nach den Plänen der Amsterdamer Verwaltung rund 11.000 Innenstadtparkplätze entfallen.

Zürich: 33.000 Parkplätze reichen

Auch in Zürich hat der Rückbau von Parkplätzen Tradition. 1996 hat die Politik im sogenannten historischen Parkplatzkompromiss beschlossen, die Zahl der Parkplätze in der Innenstadt auf den Stand von 1990 zu deckeln. „Seitdem wird für jeden Parkplatz, der unterirdisch gebaut wird, oberirdisch einer entfernt“, sagt Martina Hertel, Verkehrsforscherin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Das zeigt Wirkung. Mittlerweile nutzen nur noch 25 Prozent der Züricher*innen ihren Privatwagen, wenn sie sich in der Stadt bewegen. Das sind 15 Prozent weniger als noch im Jahr 2000. Allerdings bereitet der Abbau von Parkplätzen Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen zunehmend Schwierigkeiten. Sie finden trotz Gewerbeparkausweis oft keinen Stellplatz, wenn sie ihre Kunden besuchen. Nun sucht die Politik nach Lösungen. Zurzeit wird diskutiert, 10 bis 20 Prozent der 33.000 Parkplätze im Zentrum in Gewerbeparkplätze umzuwandeln.

Parkgebühren erhöhen und eigene Garagen nutzen

Ein weiteres wirksames Mittel, um den Parkverkehr in der Innenstadt und in den Wohnvierteln zu verringern, sind Anwohnerparkgebühren. Diese Stellschraube steht deutschen Städten erst seit Juli 2021 zur Verfügung. Zu dem Zeitpunkt hat der Bund die Deckelung der Gebühren aufgehoben. Inzwischen können die Länder oder Kommunen die Höhe ihrer Parkgebühren selbst regeln. Wie effektiv das sein kann, macht die 47.000-EinwohnerStadt Landau in der Pfalz vor. Dort hat die Politik im Oktober 2021 in der Innenstadt das kostenfreie Anwohnerparken flächendeckend abgeschafft. Wer seinen Wagen jetzt auf der Straße parken will, braucht ein Tages-, Monats- oder Jahresticket. Der Effekt ist beachtlich: „Seitdem stellen viele Anwohner ihren Privatwagen nicht mehr auf der Straße ab, sondern in der eigenen Garage oder auf einem Stellplatz auf ihrem Grundstück“, sagt Verkehrsforscherin Martina Hertel. Leichter kann man wohl kaum Platz schaffen.

Mit Gebühren Trend zu großen SUVs eindämmen

„Über die Anwohnerparkgebühren können die Städte langfristig auch die Zahl und die Art der Privatwagen regulieren, die in ihrer Stadt unterwegs sind“, sagt die Verkehrsforscherin. Aus ihrer Sicht ist das überfällig. „Die Autos werden mit jeder Generation größer, schwerer und PS-stärker.“ Der Anteil der Neuzulassung von SUVs lag im Jahr 2020 bei gut 21 Prozent. Bislang können ihre Besitzerinnen sie fast überall im öffentlichen Raum abstellen. Damit sind sie privilegiert. Ein durchschnittliches Fahrzeug verbraucht rund zwölf Quadratmeter. So groß sind manche Kinderzimmer. Aber während Wohnraum immer teurer wird, bleibt Parken vielerorts weiterhin kostenfrei. „Freiburg und Tübingen, versuchen diesem Trend der immer größer und schwerer werdenden Fahrzeuge, etwas entgegenzusetzen“, sagt die Verkehrsforscherin. In Tübingen müssen Anwohnerinnen bald bis zu 180 Euro pro Jahr fürs Parken vor der Haustür zahlen und in Freiburg bis zu 480 Euro. Der Clou: Je größer das Fahrzeug, umso höher sind auch die Gebühren.

Falschparken unterbinden

Neben der Bepreisung von Parkraum ist auch das Ordnen des Parkverkehrs ein probates Mittel, um Platz zu schaffen. Über Jahrzehnte hat sich das Bordsteinparken, das Parken im Kreuzungsbereich oder in Kurven überall in den Städten eingebürgert. Bremen geht seit einiger Zeit gezielt dagegen vor. Mit Pollern oder Fahrradbügeln, die parallel zum Bordstein in Kurven oder Kreuzungsbereichen aufgestellt werden, verhindern sie das regelwidrige Abstellen der Autos. In den vergangenen Jahren haben die Bremer Verkehrsplaner im Rahmen des Forschungsprojekts „Sunrise“ außerdem die Zahl der vorhandenen Parkplätze an den tatsächlichen Bedarf angepasst. Das Konzept haben sie erstmals in dem Wohnquartier „Östliche Vorstadt“ ausprobiert. Dort ist der Platz zwischen den stuckverzierten Bürgerhäusern begrenzt. Die Gehwege sind rechts und links der Fahrbahn von Autos zugestellt. In der Mitte kann gerade noch ein Wagen fahren. Eine Zählung vor Ort zeigte, es existieren 1436 legale Parkplätze in dem Wohngebiet. „Aber es waren nur 1315 Wagen bei der Kfz-Zulassungsstelle angemeldet“, sagt Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität bei der Bremer Senatsbehörde. Den übrigen Raum belegten demnach Pendlerinnen und Besucherinnen, die zum Bummel in die Innenstadt wollten oder in das nahe gelegene Krankenhaus. Nach einer ausgiebigen Phase der Bürgerbeteiligung hat die Behörde 120 Parkplätze aus dem Viertel entfernt. Der Erfolg der Maßnahme: Kinder, Erwachsene und Menschen mit körperlichen Einschränkungen können nun wieder die freigeräumten Gehwege nutzen. Für die Bewohnerinnen ändert sich wenig, für Besucherinnen und Pendler*innen viel. Theoretisch können sie zwar immer noch in dem Viertel parken. Allerdings nur für zwei Stunden und kostenpflichtig. Alternativ können sie auf den Parkplatz des nahe gelegenen Krankenhauses ausweichen. Der ist nach einem Umbau auf mehr Parkverkehr eingerichtet und selbstverständlich ebenfalls kostenpflichtig.

Mehr Platz für alle: Der Gehweg an der TU Darmstadt wurde früher vollständig zugeparkt.

Abschied vom Auto vor der Haustür

Jetzt soll das Konzept stadtweit ausgerollt werden. Findorff, das Wohngebiet, das an den Bahnhof grenzt, ist als Nächstes an der Reihe. Die Ausgleichsfläche für das illegale Bordsteinparken vor der eigenen Haustür ist bereits gefunden. Autobesitzerinnen und Besucherinnen sollen auf eine große freie Parkfläche zwischen Bahnhof und Messegelände ausweichen. Bis zu 500 Meter müssen einige dann zu ihrem Wagen laufen. Für den Mobycon-Experten Bernhard Ensink ist das ein wichtiger Schachzug: „Solange das Auto vor der eigenen Haustür steht, ist Autofahren bequemer.“ Deshalb sei es notwendig, dass sich der Pkw-Parkplatz in ähnlicher Entfernung von der eigenen Haustür befindet wie die nächste Bus- oder Bahnhaltestelle. Was man den ÖPNV-Nutzer*innen zumutet, könne man auch von den Autofahrenden erwarten. „Das ist notwendig, damit ein Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel überhaupt in Erwägung gezogen wird“, sagt er.

Mobilitätswende ist Vielfalt

„Wir brauchen diese Kombination aus Push- und Pull-Maßnahmen, um den Druck auf die Autofahrer zu erhöhen, damit sie umsteigen“, sagt Osnabrücks Stadtbaurat Frank Otte. Er ist sich sicher: Die Menschen, die freiwillig vom Auto aufs Rad umsteigen, habe Osnabrück mit seinen Angeboten pro Fahrrad bereits erreicht. Aber die Zahl der Autos auf den Straßen wachse weiter. Otte und sein Team wollen mit einer Vielzahl von Maßnahmen den Richtungswechsel schaffen. Dazu gehört unter anderem, das Anwohnerparken zu bepreisen, Quartiersgaragen einzurichten und in Neubaugebieten den Bau neuer Parkplätze möglichst häufig durch Mobilitätskonzepte zu ersetzen. Aber der Stadtbaurat verfolgt noch eine weitere Strategie: „Wir wollen die verschiedenen Zielgruppen direkt ansprechen und individuelle Lösungen anbieten“, sagt er. Dazu sprechen die Mobilitätsexperten in Einrichtungen und Unternehmen direkt mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, um klimafreundliche Alternativen zum Privatwagen zu finden. „Natürlich wollen wir die Menschen in erster Linie aufs Rad bringen“, sagt Otte. Die Stadt sei fürs Radfahren prädestiniert. Vom Zentrum aus erreiche man alles, was man im Alltag brauche, in einem Fünf-Kilometer-Radius. „Aber die Menschen müssen verstehen, dass die Mobilitätswende vielfältig ist und nicht nur aus Radfahren besteht“, sagt Otte. „Diese Entweder-oder-Schere muss raus aus den Köpfen.“ Unternehmen könnten ihren Mitarbeitenden den Umstieg leicht machen, indem sie ihnen beispielsweise den Zugriff auf Sharing-Fahrzeuge sichern, Plattformen für Fahrgemeinschaften einrichten oder Fahrräder oder Jobtickets bezuschussen, sagt der Stadtbaurat. Mit dieser Strategie hofft er, dass Pendlerinnen kurzfristig ihren Zweitwagen abschaffen und langfristig im Idealfall auch den Erstwagen. Geht es nach ihm, werden möglichst viele dieser Maßnahmen parallel in einem Viertel umgesetzt, damit die Vorteile der Mobilitätswende für die An-wohnerinnen sichtbar werden.

„Die Mobilitätswende ist vielfältig und besteht nicht nur aus Radfahren“

Frank Otte, Stadtbaurat Osnabrück

Notwendige Aufgabe: Umbau der Städte

„Das Auto mehr und mehr aus den Städten zu vertreiben, ist kein Selbstzweck“, sagt Ensink. Die frei werdenden Flächen würden zum Beispiel gebraucht, um mehr Rad- und Fußverkehr zu realisieren. Aber es geht dabei um deutlich mehr, als nur um mehr und sichere Wege für aktive Mobilität. Damit die Zentren bei häufigerem Starkregen die Wassermassen besser aufnehmen können, müssen Flächen entsiegelt werden. Und es müssen Bäume und Sträucher gepflanzt werden, die im Sommer die Extremhitze mildern. Die Zeit drängt. 1983 wurden erstmals Temperaturen über 40 Grad in Deutschland gemessen. Seitdem wächst die Zahl der extremen Hitzetage in unseren Städten stetig an.
„Eine hohe Lebensqualität und gute Wege für Radfahrer und Fußgänger sind die Voraussetzung, um mehr nachhaltige Mobilität in unseren Städten umsetzen zu können und Autoverkehr zu vermeiden“, sagt Ensink. Er plädiert seit Jahren für das Konzept der 15-Minuten-Stadt oder auch der Stadt der kurzen Wege. Das beinhaltet: Alles, was man zum Leben braucht, kann man in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erreichen. Was manchen Menschen auf den ersten Blick als Verzicht erscheint, ist für andere längst ein Synonym für hohe Lebensqualität. Etwa in Groningen. Dort wurden bereits in den 1980er-Jahren die Autos aus dem Zentrum verbannt und die Innenstadt in vier große Quartiere unterteilt. Besucherinnen und Anwohnerinnen dürfen seitdem mit ihrem Wagen zwar in ihr Wohnviertel hineinfahren, landen dort aber in einer Sackgasse. In die angrenzenden Quartiere dürfen nur Radfahrende und Fußgänger*innen. Dieser stadtplanerische Kniff führt dazu, dass Radfahrende schneller im nächsten Viertel ankommen als Autofahrende. Das Konzept funktioniert nach Meinung vieler Experten auch in Großstädten. „Sie brauchen dann allerdings mehrere Unterzentren“, so Ensink. Gute Beispiele dafür finden sich in immer mehr europäischen Großstädten.


Bilder: Philipp Böhme, Mobycon, Qimby.net – Martin Huth

Indem sie am Tag der Bestellung liefern, können kommunale Radlogistik-Projekte sogar große Online-Händler übertrumpfen. Da die Lieferung aus dem lokalen Einzelhandel die schnellste Option ist, gibt es gute Chancen für den Einsatz gegen das Händler- und Innenstadtsterben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Fakt ist: der Online-Handel boomt. Ob es nun der Pandemie zugeschoben werden kann oder nicht, ist zweitrangig. Laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel sind die online erzielten Umsätze vieler Warengruppen innerhalb eines Jahres im zweistelligen Bereich gestiegen. Im ersten Quartal 2021 wurden online 84 Prozent mehr Lebensmittel verkauft als im Vorjahresquartal. Bei Drogerie-Produkten waren es 62 Prozent mehr, und auch Blumen, Medikamente und Haushaltswaren zogen massiv an. Der kleinste Teil dieses Wachstums dürfte dem kleinen, lokalen Einzelhandel zugutekommen. Doch gerade dieser prägt das Stadtbild, mit oft einzigartigen Ladengeschäften und lokal ansässigen Mitarbeitenden. Die kleinen Einzelhändler*innen machen zwar nur zehn Prozent des Umsatzes, aber
54 Prozent der Standorte in Innenstädten aus. Damit der Einzelhandel in der Innenstadt bestehen bleibt, gibt es immer mehr Kommunen und andere Akteure, die Logistikprojekte mit Lastenrädern ins Leben rufen.

Wichtig: zukunftsfeste Innenstädte

Vielerorts gibt es Leerstände, Handelsketten füllen viele der verbleibenden Ladenlokale. Die Stadtverwaltungen sind besorgt. Das bestätigt die Studie „Zukunftsfeste Innenstädte“, bei der unter anderem der Industrie- und Handelskammertag und der Deutsche Städtetag die Verwaltungen aller Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnerinnen befragten. Nach Corona wird es an Standorten mittlerer Qualität, sogenannten B-Lagen, voraussichtlich fünf Prozent mehr Leerstand geben. An den Haupteinkaufsorten, den A-Lagen, rechnen die Macherinnen der Studie mit wenig Leerstand. Im Schnitt gehen die Teil-nehmerinnen der Studie davon aus, dass es nach der Pandemie 13 bis 14 Prozent weniger Einzelhandelsbetriebe geben wird als davor. Tot sind die Innenstädte zwar nicht, aber gerade während der Pandemie begegnete die Politik dem vermeintlichen Innenstadtsterben mit Maßnahmenpaketen und Finanzspritzen. Für den Erhalt der Innenstädte, wie die Menschen sie kennen und manchmal romantisieren, scheint der Handel weiterhin ein wichtiges Standbein zu sein. 2020 zeigte eine Umfrage, dass über die Hälfte der Menschen zum Befragungszeitpunkt in der Stadt waren, weil sie etwas einkaufen wollten. Der Handel ist also wichtig für Innenstädte. Sicher ist er nicht die einzige Funktion, die ihnen zukommt, aber er belebt sie spürbar. Die Frage, die Verwaltungen sich stellen müssen, ist, wo sie die Bürgerinnen abholen wollen. Eine Strategie könnte lauten „Die Leute wollen ihre Einkäufe schnell haben und beliefert werden, also beliefern wir sie schnell.“ Eine andere wäre der Versuch, das Verhalten der Leute zu ändern und ihnen das Treiben in der Innenstadt attraktiver zu machen.
Um die Menschen in der neuen Gewohnheit der Online-Käufe abzuholen, bieten immer mehr Städte und Unternehmen die Belieferung aus der Innenstadt an. Lastenräder machen es möglich, dass diese umwelt- und umgebungsschonend ist. Sogar taggleiche Lieferungen sind möglich.

Modellprojekt Kiezkaufhaus in Bad Honnef

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mittags im Homeoffice am Schreibtisch und überlegen, was es abends Gutes zu essen geben soll. Sie entscheiden sich für eine Lieferung aus verschiedenen Fachgeschäften, wie den örtlichen Metzger, Frischfisch-, Gemüse- oder Weinhändlern. Zu einem vereinbarten Zeitpunkt kommt ein Lastenradfahrer und überreicht Ihnen eine Tasche mit Ihren Bestellungen. Ein entspannter Abend kann beginnen. In Bad Honnef funktioniert das längst mit einem virtuellen Kiezkaufhaus. Das liefert auch verderbliche Waren lokal per Lastenrad in einem Radius von bis zu 15 Kilometern.
Die Fahrerinnen des Kiezkaufhauses liefern bei Bestellungen, die vor 13 Uhr eingehen, noch am selben Tag aus. Die Lieferung kostet 2,50 Euro. An Wochentagen können die Bürgerinnen Bad Honnefs flexible Lieferzeitfenster zwischen 16 und 20 Uhr wählen. Über 30 der etwa 70 Einzelhändler der Stadt machen mit. Die Kuriere bringen die Waren zu einem Tagesdienst, wo sie kommissioniert werden. Das hat den Vorteil, dass alle, auch bei unterschiedlichen Händlern bestellten Waren, in einer Tasche geliefert werden.
Gefördert wurde die Initiative mit je 100.000 Euro vom Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt. In einem Innenstadtbüro ist das Kiezkaufhaus auch analog ansprechbar. Das stärkt die Verbindung zum Einzelhandel. Dieser setzte den anfänglichen Impuls und berichtete bei der Wirtschaftsförderung von ausbleibenden Umsätzen und einer sinkenden Besucherfrequenz. Das 2018 begonnene Projekt muss für Bad Honnef nicht wirtschaftlich sein, sondern es läuft als Wirtschaftsförderung 2.0. „Wir unterstützen den Einzelhandel dabei, sich zukunftsfähig zu machen, sich zukunftsorientiert aufzustellen.“, sagt Andrea Hauser von der Wirtschaftsförderung Bad Honnef. Abhängig vom Lieferservice seien die Händler*innen aber nicht.
Das Kiezkaufhaus müsse als kleines Rädchen eines großen Ganzen gesehen werden, so Hauser. „Wir haben ein Fahrradkonzept für die ganze Stadt entworfen. Das Thema Fahrradfahren und emissionsfreie Logistik ist wirklich ein ganz großes in unserer kleinen Stadt.“ Deshalb will Bad Honnef in diesem Jahr knapp 97.000 Euro, davon 70 Prozent Fördermittel vom Bundesministerium für Verkehr und Digitales, in eine Analyse der städtischen Logistik investieren.

Beim Kiezkaufhaus in Bad Honnef machen über 30 der rund 70 Einzelhändlerinnen der Stadt mit. Sogar frischen Fisch können die Kundinnen bestellen.

Neues Kaufverhalten mitgedacht

Das Same-Day-Konzept ist ein fester Bestandteil des Projekts. „Ich glaube, das ist sehr wichtig, weil ich gerade bei Produkten des täglichen Bedarfs sehr spontan und kurzfristig sein möchte“, erklärt Hauser. „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zu den Big Playern, sondern als kleine, feine lokale Lösung, die aber durchaus in Nachbar- und anderen Kommunen denkbar ist mit den entsprechenden Voraussetzungen.“ Das Konzept Kiezkaufhaus stammt von einer Agentur und kann als Franchise lizenziert werden.
Viele Kundinnen nutzen die teilnehmenden Geschäfte dabei hybrid. Sie sind manchmal vor Ort und bestellen gelegentlich digital. Dass die Grenzen zwischen Offline- und Online-Handel immer mehr verschwimmen, beschrieb Jörg Albrecht von der Agentur Neomesh bei der 2. Nationalen Radlogistik-Konferenz, die im September des letzten Jahres in Frankfurt am Main stattfand. Die Vision: Ein Kunde sieht zum Beispiel ein Produkt online, geht dann in den Laden, um sich dort beraten zu lassen, und bestellt dann online, um es sich lokal liefern zu lassen. Was im Einzelhandel sonst als Beratungsklau bekannt ist, stellt kein Problem mehr dar, wenn der Offline-Händler auch online verfügbar ist. Die Grenzen zwischen Offline und Online zerfließen und bei jedem Schritt im Kaufprozess könnten die Kundinnen die Sphäre wechseln.

Sorgenloses Shoppen in Würzburg

Ein ähnlich innovatives Projekt verfolgt die Stadt Würzburg mit WüLivery, einer Wortschöpfung aus Würzburg und Delivery. Die Firma Radboten will den Würzburgerinnen das Lästige am Shoppen, nämlich den Transport nach Hause abnehmen. Das Prinzip: Shop & Drop, also lokales Einkaufen mit nachträglicher Lieferung per Lastenrad. Die Kundinnen können aber ebenfalls gleich online lokal einkaufen. Alles, was vor 16 Uhr bestellt ist, wird vor 19 Uhr geliefert. Kostenpunkt: 4,50 Euro pro Lieferung. Um den Stein ins Rollen zu bringen, wurde der Preis zunächst mit 2,50 Euro, später mit einem Euro bezuschusst.
Inzwischen ist das Projekt etabliert und bietet gute Nebeneinkünfte für die Radboten, deren Hauptgeschäft die schnelle Lieferung von Dokumenten und Arzneimitteln ist. Initiiert wurde das Projekt von der Stadt und dem Stadtmarketing. Auch der Handelsverband Bayern steht dahinter. „Wir haben als Stadtmarketing immer gesagt: Wir dürfen nicht teurer sein als DHL oder andere Paketdienstleister“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Weier. Im November 2020 startete WüLivery mit 35 Lieferungen pro Tag. Aktuell hat sich die Nachfrage auf 30 bis 50 Lieferungen am Tag eingependelt. Über 110 der 650 Einzelhändler*innen in Würzburgs Innenstadt machen inzwischen mit.

Die Radboten übernehmen die Logistik für das Projekt WüLivery. Auf einen eingespielten Partner zurückgreifen zu können, war ein Vorteil für das Projekt.

An einem Strang ziehen und Fördermittel nutzen

Die Beispiele haben gemeinsam, dass sie auf Kooperationen basieren. An einem Strang zu ziehen, ist laut Andrea Hauser ein Erfolgsfaktor. „Ich würde frühzeitig die beteiligten Akteure mit ins Boot nehmen, damit sie so ein Projekt als ihr eigenes und wichtiges ansehen und damit auch den Bedürfnissen des Marktes gerecht werden.“ Wenn das Projekt wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen soll, rät Wolfgang Weier zu einer Mindestgröße. „Unter 50.000 Einwohnern wird es schwierig, dass sich ein Radkurierservice lohnt.“ Wenn es schon einen Anbieter gibt, mit dem eine Kooperation denkbar ist, umso besser. Die Stadtgröße müsse ermöglichen, ein etwas profitableres Hauptgeschäft zu haben. „Man sollte sich von vorneherein die Zeit geben, die so ein Projekt braucht, um fliegen zu lernen“, ergänzt Weier.
Neben Zeit braucht ein solcher Projektstart natürlich auch Geld. Zur Unterstützung für gewerbliche Lastenrad-Projekte gibt es eine bundesweite Kaufprämie, die bis zu 2.500 Euro der Anschaffungskosten abdeckt. Dar-über hinaus gibt es verschiedene Bundesländer und Kommunen, die die Anschaffung unterstützen. Manche davon sind mit der Bundesprämie kombinierbar. Mit weniger Startkapital kommt aus, wer ein Lastenrad mietet, anstatt es zu kaufen. Das ist zum Beispiel bei Dockr möglich. Dort bekommt man im Abo ein Rundum-sorglos-Paket, inklusive Service, Reparaturen und Ersatzrad, falls eine Reparatur mehr als zwei Tage dauert.
Immer wieder gibt es außerdem Fördertöpfe, aus denen Lastenradlogistik-Projekte bedient werden können, zum Beispiel das Programm „Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken“ in Nordrhein-Westfalen. Die aktuelle Einreichungsfrist ist der 30. Juni 2022. Auch städtische Verwaltungen oder das Stadtmarketing können die Lieferung per Lastenrad unterstützen. Denkbar ist eine finanzielle Unterstützung, oder aber es gibt städtische Grundstücke oder Gebäude, die für die Infrastruktur der Logistik nutzbar sind.


Bilder: Dockr – Steven van Kooijk, Kiezkaufhaus Bad Honnef, Radboten Würzburg

Digitalisierung in der Radverkehrsplanung – wie sieht das eigentlich aus? Katja Krause, Geschäftsführerin von infraVelo in Berlin, erklärt im Interview, wie digitale Lösungen in der Stadt helfen, den Radverkehr voranzubringen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Was macht infraVelo in Berlin? Wer steht hinter dem Unternehmen?
infraVelo wurde Mitte 2017 als Tochtergesellschaft der landeseigenen Grün Berlin GmbH gegründet. Wir unterstützen das Land Berlin dabei, neue Radinfrastruktur zu schaffen und den Umweltverbund zu stärken. Diese Aufgabe ist im Mobilitätsgesetz festgeschrieben. Hier ist auch die Unterstützung durch ein landeseigenes Unternehmen für die überbezirklichen Projekte enthalten. Wir entwickeln, planen und bauen neue Radwege und Fahrradabstellanlagen und kümmern uns auch nach der Fertigstellung um den Betrieb und den Unterhalt. Damit trägt infraVelo zur neuen Mobilität und zur Verkehrswende bei.

Wo liegen die besonderen Herausforderungen in Berlin für die Planenden?
Berlin ist in Bezirken organisiert, die sehr eigenständig sind. Gleichzeitig müssen sie sich mit dem Senat abstimmen, wenn es um größere Projekte geht. Zudem hat die Stadt in den letzten Jahren einen sehr starken Personalzuwachs für den Radverkehr bekommen. Das erfordert erst einmal, sich zusammenzufinden, alle Vorhaben zu koordinieren und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten.

Warum braucht es überhaupt Digitalisierung bei der Radverkehrsplanung?
Digitalisierung ist zwingend erforderlich, um die wachsende Komplexität zu bewältigen. Berlin will noch grüner, mobiler und klimafreundlicher werden. In Berlin wird mit dem Mobilitätsgesetz und dem Radverkehrsplan eine deutliche Ausweitung des Radverkehrsnetzes geplant. Stellen Sie sich vor, dass 360 Kilometer nun zu 865 Kilometern werden. Das ist mehr als eine Verdopplung nur der Haupt- beziehungsweise Vorrangwege und dabei soll noch der Querschnitt der Radwege deutlich verbreitert werden. Das ist ein großes Arbeitspaket, für das es Lösungen braucht – wie beispielsweise eine direkte und gemeinsame Datenbasis. Dafür bietet sich eine Business-Intelligence-Softwareentwicklung an, wie wir sie für Berlin umgesetzt haben. Eine Information kann damit mehrfach und für verschiedenste Zwecke genutzt werden. Das kann ein Bericht sein oder Kennzahlen für die Öffentlichkeitsarbeit. Wir können Daten sammeln, auswerten und einheitlich darstellen. Der Kern ist, zusammen und cloudbasiert in einer Datenbank zu arbeiten.

Wie viele Projekte laufen derzeit über infraVelo?
Unsere Datenbank umfasst derzeit mehr als 500 bezirkliche Projekte. Dazu kommen 37 aktuelle Projekte von infraVelo. Damit schaffen wir einen hohen Grad an Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch der Verwaltung, den Haushaltsausschüssen und allen anderen, die sich dafür interessieren.

Berlin will mehr Radwege. Mit zahlreichen Projekten soll das Netz von 360 auf 865 Radwegekilometer wachsen.

Welche Effekte können bisher erzielt werden?
Es geht darum, im Projektmanagement-Geschäft schnell zu agieren, Effizienz zu steigern, Transparenz herzustellen, Einheitlichkeit zu fördern und Fehler zu minimieren. Das Datenmanagement hilft bei zahlreichen Projekten immens. Wir haben beispielsweise auch Schnittstellen geschaffen, um Karten, Bilder und Informationen zusammenzuführen. Das schafft einen leichten Überblick.
Die Digitalisierungen, die wir geschaffen haben, wirken sich auf vielerlei Prozesse aus, wie beispielsweise auf Abstimmungen. Bei Besprechungen zwischen Senat und Bezirk sehen wir, dass sich der Gesprächsaufwand halbiert hat. Da kommt schon eine Menge eingesparte Arbeitszeit zusammen.
Zeitgleich entstehen weitere Effekte durch die Zusammenführung von Informationen. So können Projekte priorisiert werden. Bei ungefähr 2000 Projekten für die Umsetzung des Vorrangnetzes und des Radverkehrsplans in Berlin muss man überlegen, wo man anfängt. Zur Bewertung und Auswahl von Straßen sind objektive Kriterien notwendig. Eine hoch digitalisierte Datenbank macht das möglich.

Wie lange braucht Berlin aktuell, um ein Radverkehrsprojekt umzusetzen?
Dazu gibt es keine Standardantwort, denn es kommt sehr darauf an, um welche Art von Radverkehrsanlage es sich handelt. Wenn wir als Bauherr gesetzlich verpflichtet sind, bestimmte Verfahren einzuhalten und Dritte einzubinden, sind mindestens zwei Jahre erforderlich, um eine Anlage zu planen, Genehmigungen einzuholen und zu bauen. Bei den sogenannten Pop-up-Bikelanes geht es schneller, aber um eine dauerhafte Anlage daraus zu machen, braucht es weitere Prozesse. Wir haben in diesem Jahr auch mehrere Radwegsverbreiterungen, Protektionen und Grünmarkierungen innerhalb von mehreren Monaten ausgeführt, aber da hatten wir schon Rahmenverträge mit ausführenden Bauunternehmen, und besondere Genehmigungen waren hierfür nicht erforderlich.

„Bei ungefähr 2000 Projekten […] muss man überlegen, wo man anfängt.“

Katja Krause, Geschäftsführerin von infraVelo

Wer kann alles auf das neue Datenbank-Tool zurückgreifen?
Bei infraVelo arbeiten 50 Personen, die darauf zugreifen. Dazu kommen Verantwortliche im Senat und in den Bezirken, die einen sehr engen Austausch pflegen müssen. In den zwölf Bezirken gibt es jeweils mehrere Personen, die mit dem Radverkehr beauftragt sind, in der Senatsverwaltung ebenfalls. All diese Menschen nutzen die Datenbank.

So eine Datenbank muss auch gepflegt und gespeist werden. Ist das ein großer Aufwand und wie gut funktioniert das?
Der Aufwand gehört für unsere Projektmanagerinnen und -manager dazu und sie sehen auch den Mehrwert. Denn wenn eine Information, wie gesagt, für unterschiedliche Zwecke oder Anfragen genutzt werden kann, spart das viel Aufwand an anderer Stelle.

Auch die Öffentlichkeit kann den Fortschritt der Arbeiten verfolgen. Wie wichtig ist das?
Das ist unglaublich wichtig. Die Informationen aus der Datenbank werden direkt auf eine Karte auf unserer Website übertragen. Das hilft, um Projekte besser verständlich und transparenter zu machen. Diese Rückmeldung haben wir auch im Rahmen unserer Beteiligungsprozesse von Teilnehmenden bekommen. Die Karte liefert detaillierte Informationen über anstehende, laufende und vergangene Maßnahmen. Auch Machbarkeitsstudien, Planungsunterlagen oder Ergebnisse von Bürgerbeteiligungen stehen allen zur Verfügung. Letztendlich wollen wir Transparenz schaffen und die komplexen Prozesse nachvollziehbarer machen, denn es gibt hohe Erwartungen der Berlinerinnen und Berliner, dass ihre Stadt noch fahrradfreundlicher und lebenswerter wird.

infraVelo Berlin:
Ordnen, Digitalisieren, Priorisieren, Umsetzen


Bis 2030 soll der Radverkehr in Berlin auf einen Anteil von 23 Prozent aller zurückgelegten Wege steigen. Um das zu erreichen, soll nach den Plänen des Senats ein Radverkehrsnetz durch die Stadt mit einer Gesamtlänge von 2371 Kilometern festgelegt werden. Davon bilden 865 Kilometer ein Vorrangnetz auf den wichtigsten Verbindungen für Radfahrerende – überwiegend aus baulich vom übrigen Verkehr getrennten Radwegen oder geschützten Radfahrstreifen und mit einer Regelbreite von 2,50 Metern. Vor der Um-setzung kommt die systematische Planung.
Seit 2020 unterstützt die infraVelo Digitalisierungsaktivitäten des Landes Berlin. Zusammen mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und den Bezirksämtern arbeitet das Unternehmen am digitalen Management der Projekte, um Prozesse effizienter und transparenter zu machen und die Mobilitätswende zu beschleunigen. Herausgekommen ist eine cloudbasierte Datenbank – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer modernen Verwaltung. Das Vorhandene zu sammeln und zu systematisieren ist dabei die Basis für weitere Auswertungen, Projektmanagement und Controlling.


Bilder: infraVelo – Thomas Rafalzyk, Peter Broytman

„Verkehrswende jetzt“ steht auf Bautafeln in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Gemeint sind damit aber nicht nur Baumaßnahmen, sondern vor allem Digitalisierung und Sharing als Schlüsselwörter für die Zukunft. Mobilitätsdezernent Jochen Kral erklärt, wie die Neue Mobilität aussehen soll und was moderne Großstädte tun sollten. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Er scheint zunächst nur ein kleiner Schritt zu sein, zeigt aber beispielhaft die Richtung, in die die Neue Mobilität in deutschen Großstädten gehen soll: der Lastenrad-Automat, der Ende Januar 2022 in einem Düsseldorfer Quartier aufgestellt wurde. Für einen Euro pro Stunde können Anwohner*innen hier E-Cargobikes ausleihen. Drei Räder sind elektronisch an der Station gesichert, können digital per Handy ausgeliehen und wieder zurückgegeben werden. Auch die Zahlung erfolgt über eine App von Velocity Mobility, einem Mobilitätsservice-Anbieter, der mit vielen Kommunen zusammenarbeitet. Zwei Universitäten in der Region sollen Daten über Zielgruppe, Nutzung und Nachfrage eruieren und verarbeiten. Anhand dieser will man in Düsseldorf schon ab 2023 das Projekt größer ausbauen. Es soll so zu einem Schritt in die Klimaneutralität 2035 werden. Die Kosten für das Projekt werden über den Klimafonds der Stadt Düsseldorf finanziert.

Mobilität und Digitales

Warum ist das Projekt beispielhaft? Digitalisierung und Sharing sind die Schlüsselwörter für Düsseldorfs Zukunft: „Wir haben drei Probleme in unseren Städten“, erklärt Jochen Kral, seit April 2021 Dezernent für Mobilität bei der Stadt Düsseldorf, den allgemeinen Hintergrund. „Die Städte sind mit den Maßnahmen zur Klimavorsorge nicht weitergekommen. Ein Prozent Rückgang an CO2-Ausstoß pro Jahr seit 1990 ist deutlich zu wenig. Damit sind wir in Düsseldorf aber nicht allein“, schiebt er hinterher.
Zweitens sei die schnelle Erreichbarkeit von Arbeits-, Einkaufs- und Kulturorten innerhalb der Stadt und aus dem Umland derzeit nicht gewährleistet. „Und drittens muss der städtische Raum attraktiver, die Stadt lebenswerter werden – und das ist übrigens durchaus wirtschaftskonform zu machen.“

„Die Städte sind mit den Maßnahmen zur Klimavorsorge nicht weitergekommen.“

Jochen Kral, Mobilitätsdezernent der Stadt Düsseldorf

Auch autonomes Fahren als Standbein

Wie kann man das angehen? Dazu braucht es für den 52-Jährigen eben Digitalisierung und Sharing. Und natürlich nicht nur im eingangs genannten Beispiel der Cargobike-Flotte, sondern über alle Fahrzeuggattungen hinweg: Kral verweist zum Beispiel auf das Projekt Komodnext. Auf einer zwanzig Kilometer langen, häufig genutzten Zufahrtstrecke in die Stadt werden derzeit neuen Fahrzeug-Infrastruktur-Vernetzungen getestet. Was sich wie Zukunftsmusik anhört, soll tatsächlich einmal autonomes Fahren sicherer und flowiger machen. Ampeln, die ihren Status bei Ankunft des anfahrenden Fahrzeugs melden, Park-and-Ride-Plätze, die ihre Auslastung an Fahrzeuge weitergeben oder Brücken, die dem Fahrzeug signalisieren, dass der Asphalt eisglatt sein könnte. Auch wenn sich das Auto-fokussiert anhört: Diese Digitalisierung ist wichtiger Bestandteil der allgemeinen weiteren Entwicklung hin zu neuer Mobilität – nämlich der Möglichkeit, mit wesentlich weniger Autos mehr Mobilität zu fördern.

Modale Mobilität und Handy als Wegbereiter

Dazu braucht es auch einen Wandel in der Gesellschaft: den Wechsel vom Besitz zum Leihen. In puncto Leihräder und E-Scooter ist das heute in manchen Altersgruppen schon selbstverständlich. Aber dieser Wandel ermöglicht nach Kral auch Szenarien, in denen etwa Nutzerinnen von ÖNV-Fahrzeugen wie U-Bahnen im Zug die Weiterfahrt mit ihrem Smartphone planen oder planen lassen. So könnte das Handy per App ein automatisiertes Fahrzeug bestellen, das Nutzerin-nen mit ähnlicher Endstation am U-Bahnhof erwartet und sie dann die letzte Meile nach Hause fährt. Erst mit dem Sharing von Fahrzeugen ergäben sich Möglichkeiten wie diese: das Teilen von Fahrzeugen, die von einem Anbieter zur Verfügung gestellt werden, die flexibel sein können – und dank ihrer digitalen Vernetzung und Steuerung nicht auf Fahrer*innen angewiesen sein werden. „Erst im Rahmen einer Digitalisierung kann ich die intermodale Welt strukturieren“, sagt Kral. Ganz so futuristisch ist das nicht. Schon jetzt kann man mit einer App des Nahverkehrsanbieters Rheinbahn optional verschiedene Fahrzeuge vom Leihrad über den E-Scooter bis hin zur Straßenbahn buchen, um von A nach B zu kommen – allerdings kann man sich nicht die Routen von der App kombinieren lassen.

Velo-orientierte Beiträge zur Düsseldorfer Mobilitätswende: breit angelegte und klar strukturierte Radwege mit Abbiegeweichen und aufgestockte (Lasten-)Radabstellplätze.

E-Scooter statt Bike-Sharing?

Die E-Scooter und ihre Nutzerinnen sind auch in Düsseldorf nicht von allen Verkehrsteilnehmerinnen gut beleumundet. Das Ziel für den Mobilitätsdezernenten ist, hier „nicht nur zu dezimieren, sondern auch den Einsatz der E-Scooter zu optimieren!“ Dazu gehört, die Abstellflächen zu definieren. „Die Regeln dazu muss die Gesellschaft erst lernen“, sagt Kral mit einem Lächeln. „Tatsache ist: E-Scooter kannibalisieren derzeit Fuß- und Radverkehr. Wir müssen sie besser in die intermodalen Wegketten einbauen!“ Die Koppelung mit dem ÖPNV soll dabei selbstverständlicher werden.
Doch wie sieht man die Rolle des Radverkehrs in Düsseldorfs Zukunft? Viele Projekte zeigen: Er soll zu einer noch wichtigeren Säule der Neuen Mobilität werden – und sich in ein intermodales System einordnen. Gerade erst hat der Stadtrat den Bau der ersten von zwei geplanten Radleitrouten vom Flughafen im Norden, den Rhein und die Altstadt entlang bis in den Süden beschlossen. Die Routen sind in Teilen vorhanden und müssen optimiert werden, große Teile werden neu geschaffen. Standards sind hierbei entschärfte Kreuzungen und Vorrang für den Radverkehr – ähnlich den Radschnellwegen. „Dass diese Routen als Protected Bikelanes verlaufen, hat derzeit nicht erste Priorität“, meint Kral zum Modus dieser Radinfrastruktur.
Das gesamte Düsseldorfer „Radhauptnetz“ wird nun vorrangig bearbeitet und soll erweitert werden. Die Radinfrastruktur stellt sich dabei uneinheitlich dar und ist – auch an sicherheitsrelevanten Punkten – tatsächlich noch Flickwerk. Doch man merkt den Impuls des Ausbaus als Radfahrender in Düsseldorf tatsächlich. Auf mehrspurigen Straßen zum Zentrum hin fallen rechte Autospuren zum Teil zugunsten von Radspuren weg, – auch wenn gerade diese Routen noch lückenhaft sind.
Doch da sollen natürlich auch noch andere Zutaten zur Initiative „Verkehrswende jetzt“ greifen: „Wir wollen viel mehr 30er-Zonen ausprobieren“, so Kral etwas vorsichtig, der sich in diesem Zusammenhang vor Kurzem mit Vertretern vieler anderer Kommunen beim Städtetag für mehr Entscheidungsverantwortung auf kommunaler Ebene ausgesprochen hatte. „Nicht auf allen Hauptverkehrsstraßen“, sagt er, „um den Verkehrsfluss bündeln zu können.“ Viele breite Straßen werden einspurig. Auch hier gibt es bereits Anfänge. Parkplätze werden an neuralgischen Punkten zu Radabstellplätzen.
Als ganz wichtig sieht der Dezernent auch die interne Umstrukturierung an. Eine neue Projektgruppe wertet das frühere Büro für Radverkehr in Düsseldorf auf. Die Mitarbeiterzahl wird erhöht, aber wichtiger noch: Die Mitarbeiterinnen sollen in alle Bereiche der Stadtentwicklung involviert werden, sodass bei Entwicklungsvorhaben ein koordiniertes Vorgehen gesichert ist. „Sie haben auch Eingriffsbefugnis“, bekräftigt Kral. „Das Verkehrsmanagement wird so auf Radverkehr programmiert.“ Die Kommunikation mit den Bürgerinnen scheint mittlerweile allgemein in den Städten angekommen. Auch in Düsseldorf finden regelmäßig Bürgerdialoge unter dem neuen Titel „Düsseldorf fahrradfreundlich“ statt – aktuell als Online-Veranstaltung. „Ziel ist es, ein breites Feedback zu sammeln, das wir bei der Ausarbeitung unseres ganzheitlichen Programms zur Radverkehrsförderung berücksichtigen können“, so Kral in einer Ankündigung zum Dialog auf den Seiten der Stadtverwaltung.

„Eine Stadt braucht auch Bürger und Bürgerinnen, die bereit sind, mit Verkehrsmitteln zu experimentieren. Man kann nicht nur aus der Theorie heraus sagen, was letztendlich herauskommt.“

Jochen Kral, Mobilitätsdezernent der Stadt Düsseldorf

Ziel: erst weniger Autos, dann „Superblocks“

Das Ziel, die Stadt wieder zu einem attraktiveren Lebensraum zu machen, wird mit der Verkehrsberuhigung großer Abschnitte ins Visier gefasst. An Superblocks, wie die beruhigten und zu neuem Straßenleben erweckten Wohnblöcke in Barcelona oder Berlin genannt werden, denkt man auch in Düsseldorf, aber bislang eher vage. „Superblocks nach Berliner Vorbild sind im gesamtstädtischen Entwicklungskonzept für die nächsten zehn Jahre mitgedacht. Und natürlich planen wir auch quartiersbezogen“, so Kral. Derzeit ist vor allem ein digitaler Superblock in der Entwicklung: In Derendorf, nördlich der Innenstadt, entsteht gerade ein Wohnviertel, das Arbeiten, Wohnen und Leben vereinen soll. Fahrradstraßen und Spielstraßen, Erholungsräume und alle wesentlichen Geschäfte des täglichen Bedarfs sollen in diesem neu geplanten Viertel vertreten sein. Ein Vorbild für ganze lebenswerte Städte? Sicher. Allerdings kann man selbstverständlich nicht alles neu entwickeln. Man muss auf dem Vorhandenen aufbauen und die Stadtteile sukzessive wandeln.


Bilder: Amt für Verkehrsmanagement der Stadt Düsseldorf, Georg Bleicher

Vom Seniorenfahrzeug zu leistungsfähigen und innovativen Elektromobilen für Flottenbetreiber und Gewerbetreibende: Die Kyburz Switzerland AG bietet erprobte Lösungen für viele Einsatzgebiete. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Für den Transport schwerer Lasten mit Zwischenstopps oder schlechte Straßen- und Wetterverhältnisse sind zweispurige Fahrzeuge die bessere Wahl. Wenn es dann noch gilt, Steigungen oder längere Entfernungen zu bewältigen, kommen Fahrzeuge der E-Bike-25-Klasse schnell an ihre Grenzen. Für diese und andere Anwendungen entwickelt, produziert und vertreibt die Kyburz Switzerland AG mit Tochtergesellschaften in Deutschland und Australien innovative Elektrofahrzeuge. Zu den Großkunden zählt seit 2010 die Schweizer Post. Auch in Australien ist das Post-Zustellfahrzeug Kyburz DXP mit über 2.000 Fahrzeugen weit verbreitet. Für maximal 45 km/h und 30 Prozent Steigung ist die Motorisierung mit 2,4 kW (3,3 PS) Peak Power ausgelegt. Die Zuladung der Box beträgt 30 bzw. 90 kg (Front/Heck) und der optionale Anhänger mit Auflaufbremse verträgt 150 kg.
Interessant für Anwender und Flottenbetreiber ist die Vielzahl an Modellvarianten, die Möglichkeit der individuellen Ausstattung und das Thema Service. Keyless go mit automatischer Ver- und Entriegelung ist dabei ebenso erhältlich wie ein gefederter Sitz oder ein von Australien gefordertes Dach mit UV-Schutz.
Ergänzend bietet das von Martin Kyburz gegründete Unternehmen mit 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch Fleet Management. Über eine spezielle Box können zum Beispiel Position, Stromverbrauch, Batterie- und Laderaumtemperatur getrackt werden.

Infos, Modelle und Anwenderberichte: kyburz-switzerland.ch


Mit der Studie „Ich entlaste Städte“ hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ein großes Reallabor für Cargobikes im Unternehmensalltag geschaffen. Mit dem Abschluss des Projekts haben Lastenräder ihr großes Potenzial für gewerbliche Anwender unter Beweis gestellt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


„Ich ersetze ein Auto.“ Dieses Statement trifft zumindest auf etwa zwei Drittel der 30.000 Fahrten zu, die in Europas größtem Lastenradtest getätigt wurden.

Der Verkehr ist mit 160 Millionen Tonnen jährlich die drittgrößte Emissionsquelle von CO2 in Deutschland. Gewerbliche Transporte haben daran einen nicht unwesentlichen Anteil, sie machen ein Drittel der Kfz-Fahrten aus. Dieser Sektor hat aber nicht nur, wenn es um Klimaziele geht, noch Verbesserungspotenzial. Transport-Pkw nehmen viel Platz ein, verursachen Lärm und verschlechtern die Luft. In den genannten Punkten sind Lastenräder eine bessere Alternative. So zumindest lautet der Grundtenor des Projekts „Ich entlaste Städte“, das über einen mehrjährigen Zeitraum das Potenzial von Lastenrädern für gewerblichen und dienstlichen Einsatz evaluierte. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat nach dem Ende der Projektlaufzeit nun die Ergebnisse vorgestellt.

Projekt mit großem Umfang

Europas größter Lastenradtest sorgte für 300.000 Testkilometer bei 30.000 Fahrten. 755 Unternehmen durften Räder aus der 152 Stück großen Flotte des DLR testen. Aber auch NGOs und Vereine, öffentliche Einrichtungen und Soloselbstständige sowie Freibe-rufler*innen nahmen teil. Am häufigsten vertreten waren die Wirtschaftszweige Dienstleistungen, Verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe. Insgesamt waren die Nutzungsbereiche divers: von der Filmproduktionsfirma übers Architekturbüro bis zur Radiomanufaktur. „Es gibt nicht die eine Branche, die für den Lastenradeinsatz prädestiniert ist. Denn es ist für Organisationen aller Couleur und Größe sinnvoll, zu überlegen, welche Warentransporte und betrieblichen Dienstleistungen mit dem Lastenrad abgewickelt werden könnten“, so das Resümee im Projektabschlussbericht.

Long John, Trike, Longtail, Lieferbike und Schwertransporter (v. l.). Die Teilnehmer*innen des großen Lastenradtests konnten alle Bauformen für ihre Zwecke testen.
Getränkelieferung per Lastenrad? Unter den 755 Unternehmen im Projekt „Ich entlaste Städte“ befanden sich auch ein Brauhaus, zwei Brauereien und zwei Getränkehändler.

Große Nachfrage – nicht nur in Großstädten

2000 Betriebe hatten sich auf die Projektteilnahme beworben. Überproportional groß war die Nachfrage in den Stadtstaaten – aber auch in Landgemeinden bis 20.000 Einwohner*innen. Relativ zur Bevölkerungsverteilung waren diese im Test sogar überrepräsentiert.
Die meisten Standorte der Testbetriebe lagen mit weniger als vier Kilometern relativ nahe an den Stadt- und Ortszentren. Das ist nicht verwunderlich, spielt das Lastenrad doch insbesondere auf kurzen Strecken seine Stärken aus. Das bestätigen auch die Studienergebnisse: Bei gefahrenen Strecken bis zu drei Kilometern Länge sind Pkw und E-Lastenrad weitgehend gleich schnell. Und auch auf Distanzen bis zu 20 Kilometern dauerte die Hälfte aller Cargobike-Fahrten nur zwei bis zehn Minuten länger als mit dem Pkw. In der Realität dürften die Unterschiede noch etwas kleiner ausfallen. Die Parkplatzsuche der Verbrenner wurde in die Vergleichswerte nicht einkalkuliert. Im Mittel betrug der Radius vom Betriebsstandort, in dem die Räder eingesetzt wurden, 2,4 Kilometer.

Für jede Anwendung das richtige Modell

Fünf Lastenradtypen konnten die Betriebe testen. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bauweise. Ein Lastenrad der Klasse Trike hat drei Räder und bringt die Last vor dem Fahrer oder der Fahrerin unter. Die gleiche Reihenfolge aus Last und Fahrersitz haben die einspurigen Long Johns. Umgekehrt ist es bei der Bauart Longtail, die auch mit zwei Rädern auskommt und dadurch wendiger ist. Dann gibt es noch die Schwertransporter und Lieferbikes, die an
gewöhnliche Fahrräder mit viel Transportkapazität erinnern. Das Förderprogramm vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) schließt letzteren Typ bei ihrem Förderprogramm aus. Alle anderen gewerblich genutzten Lastenräder können sich auf bis zu 25 Prozent Förderung auf den Kaufpreis freuen. Dass es diese Prämie gibt, ist ein großer Vorteil für Interessierte. Im DLR-Test waren es die hohen Implementierungskosten, die die Teilnehmenden am meisten bei der Anschaffung hemmen.

78,2 %

der Teilnehmenden sehen
Verbesserungspotenzial bei den Cargobikes.
Die meisten von ihnen kritisierten
Cargobox oder Ladefläche.

Fast 80 Prozent sehen Optimierungsbedarf

Das Reallabor hat gezeigt, dass 78,2 Prozent der Teilnehmenden Verbesserungswünsche am getesteten Modell sehen. Besonders oft kritisiert, nämlich von 63 Prozent der Testerinnen, wurden Cargobox und Ladefläche. 43 Prozent wünschen sich mehr Komfort. Auch verbesserungswürdig sind die Komponenten (36 Prozent) sowie der E-Antrieb und der Akku (35 Prozent). Die Testimonials der Teilnehmerinnen auf der Projektwebsite lesen sich trotzdem weitgehend positiv. „Der Lastenradtest war für uns ein Erfolg mit Anspruch – wir möchten uns demnächst ein eigenes Lastenrad mit
E-Motor anschaffen. Wir konnten durch den Einsatz des Lastenrades bei unseren Kunden mit ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten trumpfen“, sagt zum Beispiel Oskar K. L. Wolf vom Solarbüro Fischbach. Luft nach oben gibt es auch beim Wartungsangebot für Lastenräder. Das Geschäft mit den Wartungen müsse sich erst noch richtig entwickeln, bestätigt Martin Seißler vom Thinktank Cargobike.jetzt, der beratend am Projekt beteiligt war. „Das ist eine sehr zerklüftete Landschaft ohne Qualitätskontrollen und Standards“, so Seißler. Der Bereich muss als Geschäftsfeld erkannt werden. Mit zunehmenden Lastenrad-Zahlen dürfte sich der Fokus einiger Fahrrad-Fachhändler*innen auf den neuen Service-Markt verschieben. Neben dem Service-Netzwerk müsse sich auch die Verkehrsin-frastruktur verbessern.

Mehr als Umweltvorteile

400 Kilogramm CO₂ könnte jedes Lastenrad, das im Anschluss an den Test angeschafft wurde, jährlich einsparen. Bei einigen dürfte es sogar eine Tonne pro Jahr sein. Aber die Vorteile für Umwelt und Klima sind nur ein Faktor von vielen. Die Teilnehmerinnen rechneten auch mit gesünderen, zufriedeneren Mitarbeiterinnen und einem Imagegewinn für ihre Organisation. Gerade in Innenstädten bieten die Lastenräder gegenüber Autos mehr Flexibilität und ersparen die Parkplatzsuche. Die Zuverlässigkeit, die dadurch entsteht, beeinflusst auch die Arbeitsabläufe. 43 Prozent der Testbetriebe gaben an, dass sich diese durch das neue Vehikel verbesserten.
„Ich entlaste Städte“ hat mit viel Praxisnähe gezeigt, dass der Projektname passend gewählt ist. Rund zwei Drittel der 300.000 im Test zurückgelegten Fahrtenkilometer wären sonst mit dem Pkw zurückgelegt worden. Wer auf den Trend und das Lastenrad aufsteigen möchte, findet die detaillierten Ergebnisse unter lastenradtest.de. Außerdem gibt es dort eine Übersicht über die genutzten Modelle sowie ein Handout mit Praxistipps für die Anschaffung von Lastenrädern. Weil die Nachfrage so hoch war, hat das Unternehmen Cargobike.jetzt eine Verstetigung der Testmöglichkeiten ins Leben gerufen. Unter dem Namen „Flottes Gewerbe“ soll es ab April dieses Jahres wieder unkomplizierte Testmöglichkeiten geben, zunächst in Karlsruhe und Stuttgart. Dabei stellt das Unternehmen potenziell interessierten Betrieben die richtigen Räder für einen Test zur Verfügung. Sie kooperieren dafür mit Herstellern, Wartungspartnern und Städten.


Bilder: ich-entlaste-staedte – Amac Garbe