Mehr Platz für Neues im öffentlichen Raum
Die Städte sind im Zugzwang. Sowohl die Anzahl als auch die Größe der Autos verknappen den öffentlichen Raum immer weiter. Inzwischen nutzen Planer*innen einen breiten Maßnahmen-Mix, um dringend notwendigen Platz zu schaffen. Für neue Mobilität, aber auch für überlebenswichtige neue Grünflächen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)
Die Mobilitätswende lässt auf sich warten. Trotz Klimaschutzdebatten und Dauerstaus auf den Straßen wächst die Zahl der Autos und der gefahrenen Pkw-Kilometer. Anfang Januar 2021 waren bundesweit 48,2 Millionen Pkw zugelassen. Das waren 14 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor. Mit 575 Wagen pro 1000 Einwohner hat der Autobesitz einen neuen Höchstwert erreicht und die Fahrzeuge beanspruchen immer mehr Raum in den Kommunen. Die langjährige Taktik, Autofahrerinnen mit Anreizen zum Umstieg auf nachhaltige Verkehrsmittel zu bewegen, ist fehlgeschlagen. Politik, Stadt- und Verkehrs-planerinnen brauchen neue Strategien, wenn sie klimaresiliente Städte mit mehr Rad- und Fußverkehr wollen. Mobilitätsexperten und der Deutsche Städtetag sind sich einig: Der Autobesitz und die Zahl der Pendlerfahrzeuge in den Städten müssen drastisch sinken. Das Umweltbundesamt hat 2019 einen ehrgeizigen Zielwert genannt. Demnach soll es in der „Stadt von morgen“ maximal 150 zugelassene Pkw pro 1000 Einwohner geben. Diese Vision ist nur in einer Stadt der kurzen Wege umsetzbar. „Wir müssen unsere Städte umbauen und unser Mobilitätsverhalten verändern, um das zu schaffen“, sagt der niederländische Mobilitätsexperte Bernhard Ensink vom Beratungsunternehmen Mobycon. Sein Konzept lautet: Autoverkehr vermeiden, verlagern und verändern. Möglichst viele Autofahrten sollten demnach überflüssig werden, notwendige Fahrten auf den Umweltverbund verlagert werden und erst in letzter Instanz sollten Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden. Vorreiter-Kommunen wie Amsterdam machen vor, wie die geparkten Autos systematisch und programmatisch aus der Innenstadt entfernt werden können.
„Die Niederlande sind eine Fahrradnation, aber wir sind auch eine Autonation“, sagt Ensink. Das gilt ebenso für die Fahrradmetropole Amsterdam. Wer dort mit einem Ausflugsboot durch die Grachten schippert, blickt zurzeit noch oft auf Motorhauben vor pittoresken Herrenhäusern. Die Politik will das ändern. Der Platz soll zurück an die Menschen gehen. Seit 2019 reduziert die Verwaltung deshalb die Zahl der Anwohnerparkausweise im Zentrum um rund 1.500 jährlich. Sobald jemand die Stadt verlässt, sein Auto aufgibt oder stirbt, werden die Ausweise nicht mehr ersetzt. Und das, obwohl die Warteliste für Parkausweise lang ist. Außerdem werden bei Umbauarbeiten und Renovierungen der Uferstraßen und Hafenkais sukzessive Parkflächen im Zentrum entfernt. Bis 2025 sollen nach den Plänen der Verwaltung so rund 11.000 Innenstadtparkplätze entfallen.
„Die Niederlande sind eine Fahrradnation, aber wir sind auch eine Autonation“
Bernhard Ensink, Mobycon
Der Umbau ist in vollem Gange. Bis 2025 sollen nach den Plänen der Amsterdamer Verwaltung rund 11.000 Innenstadtparkplätze entfallen.
Zürich: 33.000 Parkplätze reichen
Auch in Zürich hat der Rückbau von Parkplätzen Tradition. 1996 hat die Politik im sogenannten historischen Parkplatzkompromiss beschlossen, die Zahl der Parkplätze in der Innenstadt auf den Stand von 1990 zu deckeln. „Seitdem wird für jeden Parkplatz, der unterirdisch gebaut wird, oberirdisch einer entfernt“, sagt Martina Hertel, Verkehrsforscherin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Das zeigt Wirkung. Mittlerweile nutzen nur noch 25 Prozent der Züricher*innen ihren Privatwagen, wenn sie sich in der Stadt bewegen. Das sind 15 Prozent weniger als noch im Jahr 2000. Allerdings bereitet der Abbau von Parkplätzen Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen zunehmend Schwierigkeiten. Sie finden trotz Gewerbeparkausweis oft keinen Stellplatz, wenn sie ihre Kunden besuchen. Nun sucht die Politik nach Lösungen. Zurzeit wird diskutiert, 10 bis 20 Prozent der 33.000 Parkplätze im Zentrum in Gewerbeparkplätze umzuwandeln.
Parkgebühren erhöhen und eigene Garagen nutzen
Ein weiteres wirksames Mittel, um den Parkverkehr in der Innenstadt und in den Wohnvierteln zu verringern, sind Anwohnerparkgebühren. Diese Stellschraube steht deutschen Städten erst seit Juli 2021 zur Verfügung. Zu dem Zeitpunkt hat der Bund die Deckelung der Gebühren aufgehoben. Inzwischen können die Länder oder Kommunen die Höhe ihrer Parkgebühren selbst regeln. Wie effektiv das sein kann, macht die 47.000-EinwohnerStadt Landau in der Pfalz vor. Dort hat die Politik im Oktober 2021 in der Innenstadt das kostenfreie Anwohnerparken flächendeckend abgeschafft. Wer seinen Wagen jetzt auf der Straße parken will, braucht ein Tages-, Monats- oder Jahresticket. Der Effekt ist beachtlich: „Seitdem stellen viele Anwohner ihren Privatwagen nicht mehr auf der Straße ab, sondern in der eigenen Garage oder auf einem Stellplatz auf ihrem Grundstück“, sagt Verkehrsforscherin Martina Hertel. Leichter kann man wohl kaum Platz schaffen.
Mit Gebühren Trend zu großen SUVs eindämmen
„Über die Anwohnerparkgebühren können die Städte langfristig auch die Zahl und die Art der Privatwagen regulieren, die in ihrer Stadt unterwegs sind“, sagt die Verkehrsforscherin. Aus ihrer Sicht ist das überfällig. „Die Autos werden mit jeder Generation größer, schwerer und PS-stärker.“ Der Anteil der Neuzulassung von SUVs lag im Jahr 2020 bei gut 21 Prozent. Bislang können ihre Besitzerinnen sie fast überall im öffentlichen Raum abstellen. Damit sind sie privilegiert. Ein durchschnittliches Fahrzeug verbraucht rund zwölf Quadratmeter. So groß sind manche Kinderzimmer. Aber während Wohnraum immer teurer wird, bleibt Parken vielerorts weiterhin kostenfrei. „Freiburg und Tübingen, versuchen diesem Trend der immer größer und schwerer werdenden Fahrzeuge, etwas entgegenzusetzen“, sagt die Verkehrsforscherin. In Tübingen müssen Anwohnerinnen bald bis zu 180 Euro pro Jahr fürs Parken vor der Haustür zahlen und in Freiburg bis zu 480 Euro. Der Clou: Je größer das Fahrzeug, umso höher sind auch die Gebühren.
Falschparken unterbinden
Neben der Bepreisung von Parkraum ist auch das Ordnen des Parkverkehrs ein probates Mittel, um Platz zu schaffen. Über Jahrzehnte hat sich das Bordsteinparken, das Parken im Kreuzungsbereich oder in Kurven überall in den Städten eingebürgert. Bremen geht seit einiger Zeit gezielt dagegen vor. Mit Pollern oder Fahrradbügeln, die parallel zum Bordstein in Kurven oder Kreuzungsbereichen aufgestellt werden, verhindern sie das regelwidrige Abstellen der Autos. In den vergangenen Jahren haben die Bremer Verkehrsplaner im Rahmen des Forschungsprojekts „Sunrise“ außerdem die Zahl der vorhandenen Parkplätze an den tatsächlichen Bedarf angepasst. Das Konzept haben sie erstmals in dem Wohnquartier „Östliche Vorstadt“ ausprobiert. Dort ist der Platz zwischen den stuckverzierten Bürgerhäusern begrenzt. Die Gehwege sind rechts und links der Fahrbahn von Autos zugestellt. In der Mitte kann gerade noch ein Wagen fahren. Eine Zählung vor Ort zeigte, es existieren 1436 legale Parkplätze in dem Wohngebiet. „Aber es waren nur 1315 Wagen bei der Kfz-Zulassungsstelle angemeldet“, sagt Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität bei der Bremer Senatsbehörde. Den übrigen Raum belegten demnach Pendlerinnen und Besucherinnen, die zum Bummel in die Innenstadt wollten oder in das nahe gelegene Krankenhaus. Nach einer ausgiebigen Phase der Bürgerbeteiligung hat die Behörde 120 Parkplätze aus dem Viertel entfernt. Der Erfolg der Maßnahme: Kinder, Erwachsene und Menschen mit körperlichen Einschränkungen können nun wieder die freigeräumten Gehwege nutzen. Für die Bewohnerinnen ändert sich wenig, für Besucherinnen und Pendler*innen viel. Theoretisch können sie zwar immer noch in dem Viertel parken. Allerdings nur für zwei Stunden und kostenpflichtig. Alternativ können sie auf den Parkplatz des nahe gelegenen Krankenhauses ausweichen. Der ist nach einem Umbau auf mehr Parkverkehr eingerichtet und selbstverständlich ebenfalls kostenpflichtig.
Abschied vom Auto vor der Haustür
Jetzt soll das Konzept stadtweit ausgerollt werden. Findorff, das Wohngebiet, das an den Bahnhof grenzt, ist als Nächstes an der Reihe. Die Ausgleichsfläche für das illegale Bordsteinparken vor der eigenen Haustür ist bereits gefunden. Autobesitzerinnen und Besucherinnen sollen auf eine große freie Parkfläche zwischen Bahnhof und Messegelände ausweichen. Bis zu 500 Meter müssen einige dann zu ihrem Wagen laufen. Für den Mobycon-Experten Bernhard Ensink ist das ein wichtiger Schachzug: „Solange das Auto vor der eigenen Haustür steht, ist Autofahren bequemer.“ Deshalb sei es notwendig, dass sich der Pkw-Parkplatz in ähnlicher Entfernung von der eigenen Haustür befindet wie die nächste Bus- oder Bahnhaltestelle. Was man den ÖPNV-Nutzer*innen zumutet, könne man auch von den Autofahrenden erwarten. „Das ist notwendig, damit ein Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel überhaupt in Erwägung gezogen wird“, sagt er.
Mobilitätswende ist Vielfalt
„Wir brauchen diese Kombination aus Push- und Pull-Maßnahmen, um den Druck auf die Autofahrer zu erhöhen, damit sie umsteigen“, sagt Osnabrücks Stadtbaurat Frank Otte. Er ist sich sicher: Die Menschen, die freiwillig vom Auto aufs Rad umsteigen, habe Osnabrück mit seinen Angeboten pro Fahrrad bereits erreicht. Aber die Zahl der Autos auf den Straßen wachse weiter. Otte und sein Team wollen mit einer Vielzahl von Maßnahmen den Richtungswechsel schaffen. Dazu gehört unter anderem, das Anwohnerparken zu bepreisen, Quartiersgaragen einzurichten und in Neubaugebieten den Bau neuer Parkplätze möglichst häufig durch Mobilitätskonzepte zu ersetzen. Aber der Stadtbaurat verfolgt noch eine weitere Strategie: „Wir wollen die verschiedenen Zielgruppen direkt ansprechen und individuelle Lösungen anbieten“, sagt er. Dazu sprechen die Mobilitätsexperten in Einrichtungen und Unternehmen direkt mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, um klimafreundliche Alternativen zum Privatwagen zu finden. „Natürlich wollen wir die Menschen in erster Linie aufs Rad bringen“, sagt Otte. Die Stadt sei fürs Radfahren prädestiniert. Vom Zentrum aus erreiche man alles, was man im Alltag brauche, in einem Fünf-Kilometer-Radius. „Aber die Menschen müssen verstehen, dass die Mobilitätswende vielfältig ist und nicht nur aus Radfahren besteht“, sagt Otte. „Diese Entweder-oder-Schere muss raus aus den Köpfen.“ Unternehmen könnten ihren Mitarbeitenden den Umstieg leicht machen, indem sie ihnen beispielsweise den Zugriff auf Sharing-Fahrzeuge sichern, Plattformen für Fahrgemeinschaften einrichten oder Fahrräder oder Jobtickets bezuschussen, sagt der Stadtbaurat. Mit dieser Strategie hofft er, dass Pendlerinnen kurzfristig ihren Zweitwagen abschaffen und langfristig im Idealfall auch den Erstwagen. Geht es nach ihm, werden möglichst viele dieser Maßnahmen parallel in einem Viertel umgesetzt, damit die Vorteile der Mobilitätswende für die An-wohnerinnen sichtbar werden.
„Die Mobilitätswende ist vielfältig und besteht nicht nur aus Radfahren“
Frank Otte, Stadtbaurat Osnabrück
Notwendige Aufgabe: Umbau der Städte
„Das Auto mehr und mehr aus den Städten zu vertreiben, ist kein Selbstzweck“, sagt Ensink. Die frei werdenden Flächen würden zum Beispiel gebraucht, um mehr Rad- und Fußverkehr zu realisieren. Aber es geht dabei um deutlich mehr, als nur um mehr und sichere Wege für aktive Mobilität. Damit die Zentren bei häufigerem Starkregen die Wassermassen besser aufnehmen können, müssen Flächen entsiegelt werden. Und es müssen Bäume und Sträucher gepflanzt werden, die im Sommer die Extremhitze mildern. Die Zeit drängt. 1983 wurden erstmals Temperaturen über 40 Grad in Deutschland gemessen. Seitdem wächst die Zahl der extremen Hitzetage in unseren Städten stetig an.
„Eine hohe Lebensqualität und gute Wege für Radfahrer und Fußgänger sind die Voraussetzung, um mehr nachhaltige Mobilität in unseren Städten umsetzen zu können und Autoverkehr zu vermeiden“, sagt Ensink. Er plädiert seit Jahren für das Konzept der 15-Minuten-Stadt oder auch der Stadt der kurzen Wege. Das beinhaltet: Alles, was man zum Leben braucht, kann man in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erreichen. Was manchen Menschen auf den ersten Blick als Verzicht erscheint, ist für andere längst ein Synonym für hohe Lebensqualität. Etwa in Groningen. Dort wurden bereits in den 1980er-Jahren die Autos aus dem Zentrum verbannt und die Innenstadt in vier große Quartiere unterteilt. Besucherinnen und Anwohnerinnen dürfen seitdem mit ihrem Wagen zwar in ihr Wohnviertel hineinfahren, landen dort aber in einer Sackgasse. In die angrenzenden Quartiere dürfen nur Radfahrende und Fußgänger*innen. Dieser stadtplanerische Kniff führt dazu, dass Radfahrende schneller im nächsten Viertel ankommen als Autofahrende. Das Konzept funktioniert nach Meinung vieler Experten auch in Großstädten. „Sie brauchen dann allerdings mehrere Unterzentren“, so Ensink. Gute Beispiele dafür finden sich in immer mehr europäischen Großstädten.
Bilder: Philipp Böhme, Mobycon, Qimby.net – Martin Huth