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EcoMobileum für nachhaltige Mobilität

Elektromotoren und vor allem leistungsfähige Akkus haben eine kaum überschaubare Vielfalt kleiner und umweltfreundlicher Verkehrsmittel und Mobilitätshilfen hervorgebracht, und ständig kommen weitere hinzu. Um diese sichtbar und erlebbar zu machen und die Mobilitätswende voranzubringen, plädieren unsere Gastautoren Dipl.-Ing. Konrad Otto-Zimmermann (The Urban Idea) und der Verkehrsplaner Prof. Dr. Oliver Schwedes für ein „EcoMobileum“ als neue Erlebniswelt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2021, Juni 2021)


Die Verkehrsplanung und die Fachdiskussion unterscheiden üblicherweise zwischen Fußgängerverkehr (Fuß), Radverkehr (Rad), motorisiertem Individualverkehr oder auch Pkw (MIV/Pkw) und dem öffentlichen Verkehr (ÖV). Rad wird dabei auf das Fahrrad beschränkt, das Pedelec eingeschlossen. Zwischen dem Fußverkehr einerseits und dem Pkw bzw. Öffis andererseits gibt es aber wesentlich mehr Bewegungsmittel als nur Fahrräder. Zum einen gibt es eine wahre Räderwelt: Bewegungsmittel mit ein, zwei, drei, vier oder mehr Rädern; mit ein, zwei oder mehr Sitzen; zur Eigenbeförderung oder zum Personen- und Gütertransport. Zum anderen gibt es Schnee-, Schwimm- und Flugzeuge. Es gibt muskelkraftbetriebene „Human Powered Vehicles“ (HPV) und solche mit Elektroantrieb sowie wenige mit Brennstoffzelle. Unsere Datenbank erfasst bereits über 700 verschiedene Typen solcher Bewegungsmittel.
Diese Verkehrsmittel „zwischen Schuh und Auto“ zeichnen sich durch ein menschliches Maß aus und setzen sich damit von den heute noch den öffentlichen Stadtraum dominierenden, immer größeren Fahrzeugen ab. Im Kontrast zu den groben, schweren, bis hin zu kolossalen, dickwanstigen „Boliden“, lassen sich die Bewegungsmittel mit menschlichem Maß als „fein“ charakterisieren, gemäß Duden also als angenehm, vorzüglich, hochwertig, leise, von zarter Beschaffenheit, erfreulich und lobenswert. Die Fahrzeuge im Spektrum „zwischen Schuh und Auto“ bezeichnen wir hier daher mit dem Arbeitsbegriff „Feinverkehrsmittel“. In der Feinmobilität sehen wir einen beträchtlichen Beitrag zur Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschonung sowie zur Entlastung der Stadträume, zur Steigerung der städtischen Lebensqualität – und damit zur Mobilitätswende. Das Potenzial dieser Fahrzeuge bleibt, mit Ausnahme des Fahrrades und dank des Hypes im Jahr 2019 des Elektrotretrollers, in der vorherrschenden Diskussion weitgehend unberücksichtigt (siehe Kasten).

Reality Parcours zum Ausprobieren von Fahrzeugen der Feinmobilität unter realitätsnahen städtischen Bedingungen.

Bedarf an Exposition

Wir haben festgestellt: Viele kleine, umweltfreundliche Verkehrsmittel und Mobilitätshilfen existieren, sind aber nicht verfügbar. Das heißt, sie sind auf dem Markt, aber zumeist nicht bekannt, nicht auf den Straßen zu sehen und nicht im örtlichen Handel erhältlich. Welche Hemmnisse gibt es?

Hemmnis 1: Branchenstruktur. Der Markt der Fahrzeuge und Mobilitätshilfen ist stark segmentiert durch eine starre Branchenstruktur: Fahrradhandel, Motorradhandel, Industrielogistik, Sanitätshäuser, Sportbedarf, Eltern & Kind, Spielwaren, Elektromobile. Eine Branche „Feinmobilität“ fehlt. Es gibt keine „Mobilitätsläden“. Das erschwert sowohl interessierten Bürgern den Zugang zu umweltfreundlichen Alternativen zum Automobil, als auch den Herstellern den Zugang zur interessierten Kundschaft. Etliche interessante Fahrzeuge aus der Industrielogistik werden nur Business-to-Business vertrieben und sind für den Normalbürger nicht erhältlich. Fahrzeuge wie Mobility Scooter, die eine flotte Fortbewegung im städtischen Raum ermöglichen, werden bislang fast nur als Seniorenmobile über den Sanitätshandel vertrieben und leiden damit unter einer entsprechenden Stigmatisierung.

Hemmnis 2: Marktzugang für innovative Bewegungsmittel. Die meisten der Feinverkehrsmittel werden von kleinen und mittleren Unternehmen hergestellt. Diese Unternehmen haben oft keinen breiten Marktzugang. Viele neue, innovative Produkte passen nicht in das o.g. Branchen-schema, und Entwickler wie auch Start-ups finden keinen adäquaten Platz in der Branchen- und Vertriebsstruktur und damit keinen ausreichenden Zugang zu potenziellen Kunden.

Hemmnis 3: Klassifikationen und Nomenklatur. Das „feine“ Segment städtischer Mobilität – diejenige mit Fahrzeugen zwischen Schuh und Auto – leidet an fehlender einheitlicher Nomenklatur und Klassifikation. Zahlreiche Fahrzeuge, darunter viele innovative Neuentwicklungen, haben keine generische Typenbezeichnung. Beispielsweise werden viele von ihnen „E-Scooter“ genannt, eine Bezeichnung, die kaum eine Unterscheidbarkeit verleiht, weil sie Elektro-Motorroller ebenso umfasst wie Seniorenmobile, Dreirad-Stehmobile und Zweirad-Tretroller. Beispielsweise werden drei- oder vierrädrige Elektro-Fahrsessel mal als Elektromobile, mal als Mobility Scooter, mal als Seniorenmobil bezeichnet. Mit bauartbedingter Begrenzung auf 15 km/h gelten sie als Krankenfahrstühle, wenn sie die Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h ausreizen, als vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge bzw. als Kleinst-Pkw.

Wertvoll: draußen unterwegs sein, auch mit Handicap. Viele umweltfreundliche Verkehrsmittel und Mobilitätshilfen sind verfügbar, aber kaum sichtbar.

Erfahrung ermöglichen: Campus für nachhaltige Mobilität

Ideen für den Wandel städtischer Mobilität gibt es inzwischen viele – es gibt jedoch keinen Ort, an dem die Mobilität der Zukunft in ihrer Diversität schon jetzt erlebt werden kann. Es gibt eine nahezu stufenlose Palette von „feinen“ Fahrzeugen und Mobilitätshilfen, die eine zügige, „ökomobile“ Fortbewegung von Menschen und den Transport von Gütern in urbanen Bereichen ermöglichen. Zusammen mit Zufußgehen und öffentlichen Verkehrsmitteln im Umweltverbund erlaubt ihre Nutzung einen Stadtverkehr, der emissionsarm, energiesparend und sicherer ist, die Straßenräume entlastet und es erlaubt, Straßenflächen an die Menschen für soziale Aktivitäten zurückzugeben.
Soll ein Durchbruch hierhin erfolgen, so ist es nötig, die Welt der Feinmobilität ans Tageslicht zu bringen, die Branchengrenzen aufzubrechen und Orte zu schaffen, an denen die breite Palette existierender sowie ganz neu entwickelter Verkehrsmittel und Mobilitätshilfen für Menschen aller Altersgruppen und physischen Befindlichkeiten verfügbar wird. Wir möchten allen Stadtbewohnern Gelegenheiten geben, nachhaltige Mobilität mit Feinmobilen selbst erfahren zu können. Unter dem Arbeitstitel „EcoMobileum“ konzipieren wir daher eine Erlebniswelt für nachhaltige städtische Mobilität der Zukunft. Dem Automobil sind in Wolfsburg, Stuttgart, Ingolstadt und München Tempel gewidmet. Diesen soll nun ein Campus für nachhaltige Mobilität entgegengesetzt werden.
Ein wesentliches methodisches Merkmal des Ausstellungskonzepts ist es, die Grenzen zwischen den Marktsegmenten bzw. Branchen Fahrrad, Spezialrad, motorisiertes Zweirad, Elektromobile, Eltern & Kind, Sportartikel, Spielzeug, Sanitätsartikel, Industrielogistik u.a. aufzuheben. Idealerweise wird jeder Typ von Bewegungsmittel mit zumindest einem prototypischen Exemplar präsent sein – wenn nicht in Ausstellung und Ausfahrung, so doch im Schaulager.
Die Angebote und die Attraktion des EcoMobileum werden Hunderttausende von Besuchern von nah und fern anziehen. Die Besucher werden dazu angeregt, sich mit der praktischen Seite der Mobilitätswende auseinanderzusetzen: Warum sollte ich mein Mobilitätsverhalten ändern? Welche nachhaltigen Mobilitätsoptionen bieten sich mir? Wie kann ich meine Mobilitätsbedarfe und Transportzwecke mit Verkehrsmitteln und Mobilitätshilfen „mit menschlichem Maß“ erfüllen? Welche feinmobilen Gefährte gibt es dafür?
Wir positionieren unsere Einrichtung als zukunftsorientierte Erlebniswelt für nachhaltige städtische Mobilität im Gegensatz zu einem Verkehrsmuseum mit hohem Anteil von Rückwärtsgewandtheit oder einem Informationszentrum für rein kognitives Lernen. Die Erlebniswelt soll als Katalysator für die persönliche Mobilitätswende wirken, die zur Unterstützung des Gesundheits-, Klima- und Umweltschutzes und zur Rückgewinnung öffentlicher Stadträume für die Menschen notwendig ist. Im politischen Diskurs, auf dem Markt und unter den Erlebnisorten wird die Erlebniswelt eine Nische mit hohem Potenzial füllen.

Zum Konzept

Die Einrichtung soll in ihrem Angebot und Betrieb dynamisch sein, immer aktuelle Themen aufgreifen und die neuesten Produkte präsentieren. Anders als in traditionellen Museen werden die Besucher der Ausstellung dazu ermuntert, die Exponate anzufassen, sich draufzusetzen beziehungsweise einzusteigen und zu testen.
Thematisch wird die Erlebniswelt fokussiert auf:

  • Nachhaltigkeit, Gesundheitsschutz, Umwelt- und Klimaschonung
  • Eine ständige Ausstellung informiert über Kriterien der Nachhaltigkeit (bezogen auf den gesamten Lebenszyklus der Verkehrsmittel und ihrer Infrastrukturen) und legt es Besuchern nahe, die Nachhaltigkeitsmerkmale verschiedener Mobilitätsoptionen und Verkehrsmittel durch Exponate, Informationsterminals, interaktive Lernspiele und Probefahrten zu erfahren, zu verstehen und zu vergleichen.
  • Urbane Räume (Stadt)
  • „Straßenräume für alle“ werden gezeigt; wie kann Feinmobilität die Inanspruchnahme der Straßenräume durch Verkehr minimieren, um den sozialen und kulturellen Funktionen Raum zu geben? Zur Fokussierung werden Fernverkehre und internationaler Waren- und Reiseverkehr ausgeblendet.
  • Abrüstung im Stadtverkehr
  • Ausstellung und Ausfahrung bringen den Besuchern die Welt der feinen Bewegungsmittel nahe.

Format der Erlebniswelt

Das Format unserer Erlebniswelt ist innovativ und einzigartig. Umfangreiche Recherchen und Expertenbefragungen unterstützen unsere Annahme, dass es eine solche Erlebniswelt für nachhaltige städtische Mobilität noch nirgendwo auf der Welt gibt. Wir schaffen einen Ort, an dem die Besucher dazu eingeladen sind, nicht nur in der Ausstellung kognitiv zu lernen, sondern sich vor allem auch durch spaßvolle Fahrerlebnisse für Mobilität zwischen Schuh und Auto zu begeistern und Verhaltensbereitschaften zugunsten der Mobilitätswende zu ändern. Deshalb umfasst die Erlebniswelt eine charakteristische Kombination von fünf Komponenten:

Ausstellung:
  • Fahrzeuge und Mobilitätshilfen
  • interaktive Lernstrecken zu aktuellen Themen der Mobilitäts- und Verkehrsdiskussion
  • unter den Aspekten städtische Lebensqualität, Gesundheit, Klimaschutz
Ausfahrung:
  • verschiedene Parcours, indoor und outdoor, für realitätsnahe Fahrerlebnisse
  • unterschiedlichste Fahrzeuge und Mobilitätshilfen zum Ausprobieren
Animation & Aktionen
  • Besucheranimation auf Veranstaltungsflächen und Parcours
  • zielgruppenspezifische, thematische bzw. saisonale Aktionen
Akademie
  • Dokumentation (Bibliothek, Datenbank)
  • Studien (Arbeitsplätze für Masterstudierende und Doktoranden)
  • Information und Austausch (Vortragsveranstaltungen, Workshops, Kolloquien, Fachtagungen)
Einzigartiges Cuvet: Das Beste von Allem

Die Erlebniswelt vereinigt die besten Charakteristika von verschiedenen vorhandenen Einrichtungsarten:

  • Kognitive Lernerfahrungen vermitteln wir durch interaktive Stationen, die wir aus Science Centers und Technikmuseen kennen und durch Lernstrecken entsprechend moderner Ausstellungsgestaltung.
  • Produkte und Marken präsentieren wir basierend auf unserer Analyse wirksamer Präsentationen in Fahrzeugmuseen, Messeauftritten und Showrooms.
  • Die Vorführung von Fahrzeugen folgt Mustern beliebter und erfolgreicher Fahrzeugparaden.
  • Wir bieten Rennspaß nach Beispielen gelungener Kindermotorparks und Kartbahnen.
  • Wir faszinieren Besucher durch Attraktionen, die Spiel und Spaß bringen nach Vorbildern guter Freizeitparks.
  • Produktentwicklern, die ihren Prototyp oder ihr Vorserienfahrzeug einem breiteren Nutzertest durch Hunderte bzw. Tausende von Besuchern unterziehen möchten, kann ein Testpaket angeboten werden. Sie bringen ihr Fahrzeug, wir bringen die Besucher als Testnutzer. Faszinierend für die Besucher: sie können ein Fahrzeug erleben, das es noch gar nicht auf dem Markt gibt.
Die vernachlässigte Komponente der Mobilitätswende:

Größe und Gewicht

Durchweg ist die Frage zu kurz gekommen, welche Fahrzeuge denn geteilt, klimaschonend angetrieben und digitalisiert werden sollen: Fahrzeuge mit menschlichem Maß oder massive Gebilde? Leichte, feine Fahrzeuge oder monströse Panzerwagen? Damit rufen wir ein neues Themenbündel auf: den Übergang von Kolossalmobilität auf Feinmobilität, von Schwerfahrzeugen auf Leichtfahrzeuge im Stadtverkehr. Warum Feinmobilität? Nüchterne, vernünftige Betrachtung gebietet es, das ökonomische und ökologische Prinzip im Verkehr anzuwenden.

  • Ökonomische Mobilität bedeutet die Erfüllung des Mobilitäts- und Transportbedarfs mit den leichtesten, bezogen auf Raum- und Flächenbedarf kleinsten, energiesparendsten, kostensparendsten (einschl. soziale und Folgekosten) Verkehrsmitteln.
  • Ökologische Mobilität bedeutet die Erfüllung des Mobilitäts- und Transportbedarfs mit den Verkehrsmitteln mit dem geringsten Schadstoffausstoß, dem geringsten Raum- und Flächenbedarf, der geringsten Lärmemission, dem geringsten Ressourcenverbrauch und Abfallanfall über den gesamten Lebenszyklus.

Solche Öko-Mobilität erfordert eine Ausrichtung der Fahrzeuggrößen auf das menschliche Maß und stellt Feinmobile in den Fokus.

Auf den Standort kommt es an

Das Projekt des EcoMobileums als Erlebniswelt für nachhaltige Mobilitätskultur ist ausgereift, machbar und erhält von vielen Seiten Anerkennung. Es wird die erste Einrichtung mit diesem Profil sein. Es verdient einen Standort, an dem die politische Führung das EcoMobileum nicht nur als Tourismus-Attraktion und Besuchermagnet betrachtet, sondern als Katalysator für die persönliche Mobilitätswende der Bürger zur Flankierung der Verkehrswende.

Machbarkeitsstudie erfolgt

Diesem (gekürzten) Artikel liegt eine Machbarkeitsstudie für eine Erlebniswelt zugrunde, die das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin und das Freiburger Kreativstudio The Urban Idea mit Förderung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt erstellt haben (https://www.ivp.tu-berlin.de/AB_Machbarkeitsstudie). Diese Arbeit wurde durch einen wissenschaftlichen Beirat begleitet, dem renommierte Repräsentanten der Zukunfts-, Nachhaltigkeits-, Mobilitäts- und Verkehrswissenschaft, des Freizeit- und Ausstellungswesens sowie des Stiftungswesens angehörten. „EcoMobileum“ ist eine eingetragene Marke von The Urban Idea GmbH.

Zu den Autoren:

Dipl.-Ing., Mag.rer.publ. Konrad Otto-Zimmermann

ist ehemaliger Generalsekretär des Weltstädteverbandes für nachhaltige Entwicklung, ICLEI und Kreativdirektor bei The Urban Idea in Freiburg.


konrad@theurbanidea.com

Prof. Dr. Oliver Schwedes

leitet die Fachgebiete Integrierte Verkehrsplanung, Fakultät für Verkehr und Maschinensysteme an der Technischen Universität Berlin.


oliver.schwedes@tu-berlin.de


Bilder: The Urban Idea 2020, Hase Bikes, HP Velotechnik – pd-f, CityQ, Riese & Müller, pd-f, Kyburz