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Fraport als Beispiel für Gewerbegebiete

Eine durchgehende In-frastruktur für umweltfreundliche Verkehrssysteme sollte bei neuen Gewerbegebieten für Tausende Beschäftigte heute eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Während der frisch eröffnete Berliner Flughafen hier patzt, zeigt die Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport AG zusammen mit dem Regionalverband, was alles geht. Eine Blaupause auch für andere Gewerbegebiete. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Mit der BER-Eröffnung Ende Oktober 2020 hagelte es vom Fahrradclub ADFC sofort Kritik. Denn trotz des langen Planungszeitraums und Verschiebungen um letztlich neun Jahre fehlt offensichtlich nach wie vor ein schlüssiges Radverkehrskonzept. Eine Anreise mit dem Rad sei „zwar theoretisch möglich, wird aber derzeit von uns nicht empfohlen, da bisher nicht durchgängig sichere Fahrradwege genutzt werden können“, so der BER in einer Stellungnahme Mitte November. Dabei gäbe es ein enormes Potenzial: Von perspektivisch 85.000 Beschäftigten brauchen mindestens 80.000 für ihren Weg zwischen Wohn- und Arbeitsort ein Verkehrsmittel, rechnet der ADFC Brandenburg vor. Davon könnten zehn Prozent mit dem Fahrrad kommen, was 8.000 Radfahrenden täglich bedeute. Tatsächlich sind andere Gewerbestandorte hier viel weiter und moderne Flughäfen wie Amsterdam, Frankfurt oder Kopenhagen sind nicht nur an das Radwegenetz der Region angebunden, sondern es werden auch vielfältige Anreize geschaffen, damit mehr Beschäftigte mit dem Fahrrad oder E-Bike pendeln. In Deutschland ist die Zusammenarbeit zwischen der Betreibergesellschaft des Frankfurter Großflughafens, der Fraport AG und der Region dabei ein gutes Best-Practice-Beispiel.

Schöne Aussichten: Vom Ausbau der Fahrradinfrastruktur zum Flughafen können alle profitieren. Ob Arbeitgeber, Berufspendler oder Flughafenbesucher.

Brücken bauen für neue Mobilität

Auch der Frankfurter Flughafen wurde einst unter dem Paradigma „Car first“ gebaut. „Der Arbeitsweg per Fahrrad zum Flughafen war bislang nur einem harten Kern von Radfahrenden vorbehalten, die sich ihre Wege dorthin selbst gesucht haben“, schreibt Birgit Simon vom Regionalverband Frankfurt-Rhein-Main im ersten Bericht des Arbeitskreises „Radanbindung an den Stadtteil Flughafen“ aus dem Jahr 2017. Ihr Kollege Georgios Kontos packte zwei provokante Fotos in seine NRVP-Projektvorstellung: Das eine zeigt ein Flugzeug, das ohne Weiteres über eine Autobahnbrücke rollt. Im zweiten müssen Radfahrer vor der Brücke absteigen, weil das Geländer hier zu niedrig ausgelegt ist. Die erste Botschaft ist eine Bestandsaufnahme: Zweierlei Maß beim großen Flieger und dem dagegen unscheinbaren Fahrrad. Die zweite blickt nach vorn: Brücken bauen für eine neue Fahrradmobilität zum Flughafen. Damit rannte Georgios Kontos bei der Fraport AG offene Türen ein. Gefragt nach dem grundsätzlichen Bedarf, mit dem Fahrrad zum Flughafen zu kommen, spricht Sebastian Linzbauer, Referent für Umweltmanagement der Fraport AG, Tacheles: „Schafft man erst die Fahrradinfrastruktur, wenn der Bedarf da ist? Oder macht man das vorher, damit mehr Leute mit dem Fahrrad kommen? Wir haben uns bei Fraport dafür entschieden, mit dem Angebot voranzugehen.“
Mit 80.000 Beschäftigten gehört das Unternehmen zum größten Arbeitgeber in der angrenzenden Rhein-Main-Region. Rund zehn Prozent davon wohnen in einem Umkreis von 15 Kilometern. Gut fünf Prozent kommen aktuell mit dem Fahrrad zur Arbeit. Bis 2030 sollen es mindestens zehn werden. Mit Umkleiden und Duschen für Fahrradpendlerinnen und -pendler, Abstellplätzen und E-Bike-Ladestationen schaffte die Betreibergesellschaft 2019 die ADFC-Zertifizierung „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“. Hinzu kommen smarte Fahrradboxen, die auch öffentlich nutzbar sind, und regelmäßige Aktionen wie zum Beispiel ein jährlicher Fahrradaktionstag mit kostenloser Radinspektion, Kodierung oder die Kooperation mit der AOK Hessen bei der Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“. In einem Pilotprojekt wird Beschäftigten ein Pool mit Leihfahrrädern angeboten. In Prüfung ist, ob das Angebot parallel zum Carpool auf den gesamten Standort ausgeweitet werden kann. Allein versicherungstechnische Gründe verhindern aktuell den Einsatz außerhalb des Betriebsgeländes als Pendler-Bikes. Auch ein Dienstrad-Leasingmodell soll noch in diesem Jahr hinzukommen.

4000

8.000 von 80.000 Beschäftigten am Frankfurter Flughafen
wohnen in einem Umkreis von 15 Kilometern.
4000 kommen aktuell mit dem Fahrrad zur Arbeit.

Früher rollten nur Flugzeuge ohne Weiteres über eine Autobahnbrücke. Weil das Geländer zu niedrig ausgelegt war, mussten Radfahrende dagegen absteigen. Mittlerweile herrscht ein anderes Bewusstsein in Frankfurt.

Neues Bewusstsein in Frankfurt

Die ADFC-Zertifizierung fördert, wie die ebenfalls von der Fraport AG angestrebte „Bike + Business“-Zertifizierung, das Unternehmensimage und die Mitarbeitergesundheit. Wenn Fahrradmobilität gefördert wird, dient die Außenspiegelung zugleich als innerbetriebliche Argumentationshilfe weiß man bei Fraport, etwa wenn es um die Abwägung unterschiedlicher Interessen geht. Das neue Bewusstsein für das Fahrrad reicht bei Fraport über Maßnahmen für die die Beschäftigten hinaus. So steht im öffentlichen Bereich zwischen Terminal 1 und 2 ein „Mobile Mobility Hub“ mit Reparaturstation und „Schlauchomat“. Dort findet man auch allgemeine Informationen zur Fahrradmobilität rund um den Flughafen. Und weil klar ist, dass die beste Infrastruktur am Flughafen nichts bringt, wenn niemand dorthin findet, übernahm Fraport in Abstimmung mit der Stadt Frankfurt die Komplettierung der Fahrradwege-Beschilderung rund um den Flughafen. Damit ist die Route von der Frankfurter Innenstadt bis zum Terminal 1 für Radfahrende ausgeschildert. Mitentscheidend für den velophilen Mobilitätssprung am Großflughafen waren Förderprojekte wie das EU-Programm CHIPS (Cycle Highway for Smarter People Transport und Spatial Planning) und das Förderprojekt „Fahrradmobilität in großen Gewerbe- und Industriestandorten am Beispiel des Frankfurter Flughafens“ des Bundes. Doch ohne den Willen und die finanzielle Beteiligung von Fraport und weiteren Partnern unter der Koordinierung des Regionalverbands wäre die Umsetzung so nicht möglich gewesen.

„Wird bei uns etwas neu gemacht, dann wird das Fahrrad jetzt von vornherein mitgedacht.“

Antje Quitta, Regionale Radverkehrsbeauftragte

Radverkehrsförderung im Netzwerk

Dass sich Bund, Länder und Kommunen in Sachen Fahrradinfrastruktur gern den Ball hin und her schieben, gilt als ebenso bekanntes wie unschönes Spiel. Umso erfreulicher zeigt sich am Beispiel Frankfurt, wie rund es unter einer Koordinierungsinstanz laufen kann. Neben den Fördermitteln weisen auch die Akteure immer wieder darauf hin, wie wichtig dieses Zusammenspiel ist. So formuliert Sebastian Linzbauer: „Alleingänge sind beim Thema Fahrradmobilität nicht sinnvoll. Es geht nur zusammen.“ Und auch die Regionale Radverkehrsbeauftragte Antje Quitta empfiehlt Koordinierung und Kommunikation. Was langfristig wiederum das Bewusstsein für den Radverkehr schärft: „Wird bei uns etwas neu gemacht, dann wird das Fahrrad jetzt von vornherein mitgedacht.“ So fangen Kommunikation und Zusammenarbeit heute bereits damit an, bei den Baustellen mitzudenken. „Wir haben eine Informationsseite erstellt, die die Zuwegung zum Flughafen mit Karten, Videos und Fotos zeigt. Dort findet man unter anderem aktuelle Nachrichten zum Baustellenstand, zu Forstaktivitäten oder auch zur Wildschweinjagd. Das Tolle ist, dass die Fraport das jetzt übernimmt und die Ressourcen dafür bereitstellt.“ Gemeint ist das Informations-Tool „Mit dem Fahrrad zum Flughafen“ unter region-frankfurt.de/airportradeln.
Erfolgreiche Fahrradmobilität erfordert eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren: Fahrradfreundliche Gewerbegebiete können nicht allein innerhalb des Unternehmens, etwa durch das Angebot von Abstellanlagen, Duschen oder Dienstrad-Leasingangeboten gedacht werden. So arbeiten Fraport und der Regionalverband für Beschäftigte wie Wochenendausflügler an komfortablen Zuwegungen sowie an der Verbesserung und Erweiterung der 20 Kilometer langen Flughafen-Rundroute. Falls nötig, werden Flächen für den Bau von Radschnellwegen angekauft. Auch der beliebte Regionalpark Rhein-Main wurde durch Fraport mit rund 18 Millionen Euro unterstützt.

Öffentliche Bike-Station mit Schlauchomat: Am Fernbusbahnhof P36 können Fahrradpendler ihr Fahrrad mit Werkzeug und Ersatzteilen selbst reparieren und sich über die Radinfrastruktur informieren.
Neuentwurf: Sechs Ampeln müssen Radfahrende bisher überwinden, um diese Kreuzung auf dem Weg zum Airport zu queren. „Green Line“ heißt der Entwurf für eine neue fahrradfreundliche und zukunftsweisende Brücke.

Echte Brücke für die Zukunft

Nicht zuletzt verdeutlicht das Beispiel Frankfurt die spezifischen Herausforderungen an Flughäfen: Wo Sicherheitsbereich, Fahrradmobilität und Naturschutz aufeinanderprallen, gibt es Grenzen des Machbaren. So ruft die Idee, Wege innerhalb eines Airports mit einem Pedelec zurückzulegen, umgehend den Brandschutz auf den Plan. Beim Bannwald am Flughafen geht es um das Thema Streckenqualität für Fahrradpendler. Radfahrende wünschen sich komfortable Wege. Aber allein aufgrund von Wildschweinjagd oder Forstarbeiten sind die schon mal unpassierbar. „Beim Fahrrad sind wir in Sachen Nachhaltigkeit auf derselben Seite“, sagt Georgios Kontos vom Regionalverband. Geht es um Versiegelung für einen Radweg, sei das ein No-Go. Eine weitere Strecke vom Norden her ist deshalb bisher nicht durchsetzbar, was aus der Sicht der Radfahrer unverständlich bleibt: Man darf keinen Radweg durch einen Wald versiegeln, aber man kann eine Landebahn bauen, und dann anderswo kompensieren.
Ein letztes positives Beispiel im Kleinen, das für das große Ganze arbeitet: Wenn alles klappt, wird aus dem anfangs erwähnten Bild vom Brückenbauen bald eine markante 200 Meter lange Brücke in natura. Andreas Grzesiek, Student der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, gewann mit seiner „Green Line“ den Studierenden-Wettbewerb für eine Fahrradbrücke am Flughafen. Allein die Wettbewerbsausstellung in der Fraport-Zentrale sorgte bereits für Sensibilisierung in Sachen Fahrradmobilität. Wo Radfahrende in der Kapitän-Lehmann-Straße bislang nacheinander ganze sechs Ampeln überwinden müssen, nur um auf die andere Straßenseite zu gelangen, könnte das futuristische Brückenkonstrukt mit den Mitteln der Architektur bald ein weiteres Mal vorbildlich über den Frankfurter Flughafen hinaus strahlen.

Flughafen fördert Radverkehr

Interview mit Sebastian Linzbauer,
Referent für Umweltmanagement der Fraport AG

Herr Linzbauer, wie hoch ist der Bedarf, mit dem Fahrrad zum Flughafen zu kommen?
Mit über 80.000 Beschäftigten ist der Flughafen Frankfurt die größte lokale Arbeitsstätte Deutschlands. Diese Menschen müssen alle zur Arbeit pendeln. Wir als Flughafenbetreiber möchten unseren eigenen Mitarbeitenden und auch allen anderen Pendlern dafür eine gute Infrastruktur zur Verfügung stellen. Bei der Fahrradmobilität haben wir ja immer das Henne-Ei-Problem: Schafft man erst die Fahrradinfrastruktur, wenn der Bedarf da ist? Oder macht man das vorher, damit mehr Leute mit dem Fahrrad kommen? Wir haben uns bei Fraport dafür entschieden, mit dem Angebot voranzugehen, und verzeichnen eine entsprechend steigende Akzeptanz.

Wie steht es um die Fahrradinfrastruktur direkt am Flughafen Frankfurt?
Aufgrund der langen Dienstwege auf 20 Quadratkilometern Betriebsgelände und sogar in den weitläufigen Terminals blicken wir am Flughafen Frankfurt bereits auf eine jahrzehntelange Tradition der Fahrradmobilität zurück. Heute sind allein bei Fraport über 900 Fahrräder im betrieblichen Einsatz. Im Außenbereich von Terminal 1 und 2 ist man aufgrund der räumlichen Gegebenheiten zu Mischwegen gezwungen. Sie werden gleichermaßen von Fußgängern und Radlern genutzt. Für den Terminal 3 wurde von vornherein mitgedacht, damit die Wegführung komfortabler wird: Wie reden von über drei Meter breiten Fahrradwegen mit der geteerten Wegequalität eines Direktschnellwegs. Langfristig ist es vorstellbar, diesen mit dem Radschnellweg von Darmstadt nach Frankfurt zu verbinden. Insgesamt ist der Airport aus sämtlichen Himmelsrichtungen mit dem Rad erreichbar – und das sowohl für Pendler als auch für Freizeitsportler.

Was waren wichtige Meilensteine zur Verbesserung der Fahrradanbindung?
Im Rahmen des NRVP-Projekts „fahrradfreundliche Gewerbegebiete“ haben wir mit dem Regionalverband Rhein-Main Hauptrouten identifiziert und Zählmessstellen aufgestellt und mithilfe des EU-Projekts CHIPS einen öffentlich zugänglichen Mobile Mobility Hub gebaut. Das NRVP-Projekt „fahrradfreundliche Gewerbegebiete“ ist ein Meilenstein für sich: In dessen Rahmen haben wir uns im Arbeitskreis „Radanbindung Flughafen“ mit den verschiedensten Interessengruppen vernetzt und unter anderem für eine durchgehende Beschilderung gesorgt.

Die Fraport AG wurde 2019 als fahrradfreundlicher Arbeitgeber ausgezeichnet. Wirken sich solche Zertifizierungen auch innerbetrieblich aus?
Wir sind sehr stolz darauf, als fahrradfreundlicher Arbeitgeber nach der Stufe Silber zertifiziert worden zu sein. Ein weiterer Grund, warum wir die Bikes & Business-Zertifizierung des Land Hessen anstreben: Man erhält damit praktisch ein Gutachten von außen, das auch als Argumentationslinie nach innen hilft: Damit können wir gezielt auf einzelne Akteure innerhalb des Unternehmens zugehen und pro Fahrrad argumentieren. Bei den Mitarbeitenden kommen unsere Angebote gut an – das wirkt sich natürlich auch auf die Gesamtzufriedenheit mit dem Arbeitgeber aus.

Welche Aufgaben stehen bei der Fraport AG aktuell in Sachen Fahrradmobilität an?
Aktuell tauschen wir sogenannte Felgenkiller aus gegen vom ADFC zertifizierte Abstellanlagen, eventuell mit Überdachung. Und wir wollen mehr mit der Internet-Plattform „Mit dem Fahrrad zum Flughafen“ arbeiten. Außerdem sind wir stolz darauf, dass wir bei Fraport höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahr ein Dienstfahrrad-Leasingmodell anbieten können. Hier sehen wir viel Potenzial, dass mehr Beschäftigte mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen.


Bilder: Fraport AG, Regionalverband FrankfurtRheinMain, Fraport AG, HfG Hochschule für Gestaltung Offenbach, Andreas Grzesiek, Sebastian Linzbauer