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Cargobikes eignen sich im Stadtverkehr prima als Autoersatz zum Transport von Lasten. Erste Städte und Kommunen testen das Sharing der Schwertransporter. Die Niederländer sind bereits einige Schritte weiter. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


160 elektrische Sharing-Cargobikes stehen zurzeit in den Straßen von Den Haag. Kommerzielle Anbieter wie Cargoroo und BAQME haben sie dort aufgestellt. Die Stadtregierung findet das gut. Sie will die Zahl der Räder bis 2027 sogar auf 1500 steigern. „Unser Ziel ist, in jeder Straße von Den Haag ein Cargobike aufzustellen“, sagt Rinse Gorter, zuständig für Sharing-Mobility in der Gemeinde. Die geteilten Lastenräder sollen es den 550.000 Einwohner*innen leichter machen, auf Autofahrten im Zentrum zu verzichten und die Emissionen zu senken.
Auch in deutschen Großstädten gehören Cargobikes längst zum Stadtbild. Hierzulande sind die Menschen aber vor allem auf eigenen Rädern unterwegs. Die Verkaufszahlen zeigen: Die Transporträder sind beliebt. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Sparte Cargobike mit 37,5 Prozent das größte Wachstum in der Fahrradbranche. 212.800 Lastenräder wurden insgesamt verkauft, 165.000 von ihnen hatten einen Motor. Allerdings ist es mit den Transporträdern ähnlich wie mit den Autos: Die meiste Zeit des Tages stehen sie ungenutzt herum. Für Verkehrsforscher ist Sharing deshalb eine sinnvolle Alternative. In Berlin, Düsseldorf, Hamburg oder auch Freiburg haben die Stadtregierungen und kommerzielle Anbieter erste Flotten auf die Straßen gestellt. Allerdings sind die oft zu klein, um Autofahrten im großen Stil zu ersetzen.
Eine Ausnahme ist Berlin. Dort versucht der niederländische Sharing-Anbieter Cargoroo seit 2022 ein engmaschiges Netz aus geteilten E-Cargobikes aufzubauen. Aktuell sind 250 Cargoroos mit den auffälligen gelben Transportwannen in der Hauptstadt unterwegs. Bis zum Sommer soll die Flotte auf 350 wachsen, damit die Nutzenden an ihrem Wohnort idealerweise alle 300 Meter ein Cargoroo finden. Die Leihräder stehen an festen Stationen. Das heißt: Die Räder können nur dort ausgeliehen und zurückgegeben werden. „Das gibt unseren Kundinnen und Kunden Planungssicherheit“, sagt Alexander Czeh, Country Manager von Cargoroo Deutschland.
Außerdem bevorzugen die Bezirksregierungen in Berlin das stationsbasierte Sharing-System. Sie wollen damit die Gehwege von Sharing-Fahrzeugen freihalten. Die Cargoroo-Stationen werden in Berlin nur auf breiten Gehwegen markiert, die ausreichend Platz zum Rangieren bieten. Ansonsten werden sie auf umgewandelten Pkw-Stellplätzen eingerichtet oder an einer Jelbi-Mobilitätsstation der Berliner Verkehrsbetriebe. Nur dort kann die Ausleihe per App beendet werden.
Das stationsbasierte Modell lohnt sich auch für die Sharing-Anbieter. Die Service-Mitarbeiter müssen die Räder nicht einsammeln. Sie checken die Räder zweimal pro Woche an ihrem Standort und wechseln dann die beiden Akkus. Das senkt die Kosten. Auch die Nutzenden haben laut Czeh keine Nachteile. Schließlich sind 80 Prozent Lastenradfahrten Rundfahrten. Wer zum Discounter fährt oder zum Baumarkt, bringt seine Einkäufe anschließend heim.
Cargoroo wirbt damit, dass ihre E-Lastenräder die Verkehrswende vorantreiben. In den Niederlanden teilen sich laut Alexander Czeh rechnerisch zwischen 40 und 60 Kunden ein Cargoroo. „Eine Umfrage unter ihren Nutzerinnen und Nutzern aus Amsterdam zeigt zudem, dass 73 Prozent von ihnen mit unseren Rädern Autofahrten ersetzen“, sagt Czeh. Im kommenden Jahr rechnet er mit ähnlichen Werten für Berlin. „Dann können unsere 350 Räder 625.000 Autokilometer im Jahr ersetzen“, sagt er, und damit rund 100 Tonnen Kohlendioxid einsparen. Damit würde die Cargoroo-Flotte einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätswende leisten.

Fahrradkeller 2.0: Die Mobilitätsstation für Lastenräder, Fahrradanhänger und Trolleys ist hell, sicher und komfortabel im Erdgeschoss des Mietshauses untergebracht.

Städte brauchen autoärmere Innenstädte

Die Klimaziele zwingen viele Städte und Gemeinden, den Verkehr in ihren Zentren nachhaltiger zu gestalten. Die bayerische Landeshauptstadt München will bis 2035 klimaneutral werden. Deshalb fördert das städtische Mobilitätsreferat klimafreundliche Alternativen zum Auto. Beim Neubau von Wohnungen können die Bauherren Stellplätze einsparen, indem sie Mobilitätskonzepte einreichen. Damit senken sie die Baukosten und ermöglichen ihren Mietern eine autoarme Mobilität.
Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist die städtische Wohnungsgesellschaft GWG in München. Sie hat bereits an vier Neubau-Standorten Mobilitätsstationen errichtet. Neben Autos, E-Bikes, Trolleys und Fahrradanhängern bietet die GWG auch E-Lastenräder an. Der Clou ist: Die Ausleihe der E-Cargobikes ist kostenlos. Die Mieter müssen lediglich einen Chip beantragen. Untergebracht sind die Räder in hellen Räumen mit Fenstern im Erdgeschoss der Mehrfamilienhäuser. Per Chip schwingt die Tür automatisch auf. Das macht den Fahrer*innen das Rangieren mit den Transporträdern leicht und komfortabel.
Obwohl die Hemmschwelle für die Cargobike-Ausleihe bei der GWG niedrig ist, ist ihre Nutzung kein Selbstläufer. Am Eröffnungstag der beiden Mobilitätsstation in Hardthof im Norden von München ist Steffen Knapp, Architekt und zuständig für die Projektentwicklung im Team Städtebau der GWG, zwei Stunden von Tür zu Tür gegangen und hat die Mieter über das Angebot informiert. „Ich habe sie eingeladen, die Lastenräder vor der Haustür auszuprobieren“, sagt er. Er weiß, die Probefahrt ist wichtig. Die meisten GWG-Mieter saßen noch nie auf einem Lastenrad. Sie brauchen eine Einführung und Unterstützung bei der Probefahrt. Knopps Engagement zahlt sich aus. Rund 40 Prozent der Mieterschaft hat sich fürs Sharing-Angebot registriert. Die E-Cargobikes sind laut Knopp die „Hotrunner“ im Sharing-Angebot. Sie werden am häufigsten ausgeliehen. Bis 2026 plant die GWG, rund 30 weitere Mobilitätsstationen in ihren Wohnprojekten zu etablieren.

40 bis 60

Kunden teilen sich ein
Cargoroo in Amsterdam

70 Lastenräder für Hamburg

Erste Städte beginnen, Cargobikes in das städtische Bike-Sharing-System zu integrieren. In Freiburg im Breisgau können die Kund*innen mittlerweile 20 E-Cargobikes über die städtischen Leihradflotte „Frelo“ ausleihen. In Hamburg bekam das „StadtRad“-Verleih-System bereits 2019 Zuwachs von 19 Cargobikes. Inzwischen ist ihre Zahl auf 37 gestiegen. Eigentlich sollte die Flotte längst 70 Transporträder umfassen, aber Lieferengpässe verzögern seit Monaten den Ausbau. In beiden Städten kommen die Lastenräder gut an. Laut dem Sprecher der Hamburger Verkehrsbehörde wurden sie 2022 rund 3700-mal ausgeliehen. „Im Mai lag der Spitzenwert bei 445 Ausleihen“, sagt er, im Schnitt waren die Nutzenden mit ihnen zwei Stunden unterwegs.

Das Angebot ist vielseitig an der Mobilitätsstation am Bachplätzchen. Neben E-Lastenrädern können die Anwohner*innen auch E-Autos oder E-Scooter leihen und eigene Fahrräder sicher parken.

Mehr Grün mit Mobilitätsstationen

Erste Städte wollen mit ihrem Lastenrad-Sharing-Angebot auch die Aufenthaltsqualität in den Zentren verbessern. In Düsseldorf sind die Transporträder beispielsweise in vielen Wohnquartieren ein Bestandteil der Mobilitätsstationen. Bis 2030 soll das Startup Connected Mobility Düsseldorf GmbH (CMD) im Auftrag der Stadt Düsseldorf 100 Mobilitätsstationen im Zentrum errichten. Damit werden für die Anwohnerinnen nachhaltige Mobilitätsangebote vor Ort geschaffen. Acht Stationen sind bereits fertig. Eine von ihnen ist das Bachplätzchen im Düsseldorfer Stadtteil Unterbilk. Früher parkten 30 Autos auf dem asphaltierten Oval. Im Dezember 2022 ist aus dem Parkplatz ein begrünter Treffpunkt geworden. Zwischen Bäumen und Pflanzen haben die Anwohnerinnen dort nun ausreichend Platz zum Verweilen und zum Boule spielen. Außerdem können sie auf einen Fahrzeug-Pool aus E-Autos, drei E-Lastenrädern, E-Scootern und E-Mopeds zugreifen.
„Platz ist Luxus im Stadtzentrum“, sagt Ariane Kersting, Sprecherin der CMD. Jede Mobilitätsstation soll deshalb auch das Umfeld aufwerten. Neben dem Fuhrpark werden stets neue Grünflächen geschaffen oder Sitzgelegenheiten. Je nachdem, wie viel Platz im Wohnquartier, der ÖPNV-Station oder bei den Unternehmen zur Verfügung steht.
Das neue Mobilitätsangebot in Düsseldorf gefällt den Anwohnern. „Kaum waren die ersten Stationen fertig, riefen uns die Bürger an, und meldeten ebenfalls Bedarf an“, sagt die CMD-Sprecherin. Aber auch hier braucht das Lastenrad-Sharing Starthilfe. „Wir organisieren immer wieder Aktionstage oder Veranstaltungen im Quartier, damit die Menschen Lastenräder ausprobieren können“, sagt sie. In Nutzervideos erklären sie außerdem auf den Social-Media-Kanälen wie die Ausleihe funktioniert und worauf beim Fahren mit Last und Motor zu achten ist.
Lastenrad-Sharing zu etablieren, ist für Ariane Kersting ein Dauerlauf und kein Sprint. „Die Menschen müssen die Chance bekommen, das Angebot in ihrem Alltag auszuprobieren und nach und nach zu integrieren“, sagt sie. Erst wenn ihnen der Zugriff auf die Alternative zum Auto gesichert und komfortabel erscheint, würden sie überhaupt darüber nachdenken, auf ihren Zweitwagen zu verzichten.
Die Integration der Lastenräder an Mobilitätsstationen oder in das städtische Leihrad-System hat für Carina Heinz vom Deutschen Institut für Urbanistik einen großen Vorteil: Es sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit in der Mobilität. „Nicht jeder kann oder will 5000 bis 8000 Euro für ein elektrisches Lastenrad ausgeben“, sagt sie. Zwar fördern einige Städte und Bundesländer den Kauf von Lastenrädern über Zuschüsse, aber die Käufer müssen dennoch mehrere Tausend Euro bezahlen. Das ist viel, wenn man das Rad nur ein oder zweimal pro Woche nutzt. Deutlich wirkungsvoller ist aus ihrer Sicht die Förderung von Lastenrad-Sharing direkt über die Kommune. „Der Hebel ist größer. Die Gemeinde erreicht mit diesem Service in kürzerer Zeit eine viel größere Bevölkerungsgruppe“, sagt sie. Im Idealfall auch die Menschen, die sich selbst mit einem Zuschuss kein eigenes Lastenrad leisten können.
Der Schritt vom Besitz zum Teilen ist entscheidend für die Mobilitätswende. Die Anbieter der Sharing-Systeme am Wohnort sind die Wegbereiter des Wandels. Im direkten Vergleich mit vielen niederländischen Städten wie Den Haag steckt das Lastenrad-Sharing in Deutschland noch vielerorts in den Kinderschuhen. Jetzt sind die Städte und Gemeinden am Zug. Sie müssen in den Stadtzentren Millionen kurzer Autofahrten ersetzen, die kürzer sind als fünf Kilometer. Lastenrad-Sharing ist dabei nur ein Baustein von vielen. Aber einer mit großer Wirkung.


Bilder: Cargoroo, GWG München – Jonas Nefzger, CMD

Sharing-Angebote werden meistens mit einem urbanen Umfeld assoziiert. Das Beispiel BARshare im brandenburgischen Landkreis Barnim zeigt jedoch, dass Sharing von E-Autos und Lastenrädern auch auf dem Land Potenzial besitzt. Auch wenn es dort etwas anders funktioniert als beispielsweise im benachbarten Berlin. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2022, Sept. 2022)


Die Bürger von Melchow fühlten sich von ihren Nachbargemeinden lange Zeit abgeschnitten. Zwar hält in dem 1000-Einwohner-Ort im brandenburgischen Landkreis Barnim sogar ein Regionalzug, aber davon haben insbesondere die älteren Be-wohnerinnen wenig. „Der Weg zum Zug und die Wege am Zielort sind für viele von ihnen zu weit und die Wartezeiten zu lang“, sagt Ronald Kühn, ehrenamtlicher Bürgermeister des Ortes. Die Älteren, die nicht mehr selbst Auto fahren können, brauchten einen Shuttle in die umliegenden Orte, wo sie einkaufen, zum Arzt oder zur Therapie gehen. Aber sämtliche Anfragen Kühns bei Busunternehmen oder Ride-Sharing-Anbietern blieben erfolglos. Das Kernproblem ist: Herkömmliche Sharing-Systeme passen nicht in den ländlichen Raum. Sie sind dort nicht wirtschaftlich. Deshalb organisieren die Menschen ihre Alltagsmobilität dort in Eigenregie je nach Familiengröße mit einem, zwei oder mehr Autos. Die Kreiswerke Barnim (KWB) suchten nach einer Lösung für dieses Problem. Das war nicht einfach. Der Landkreis Barnim grenzt im Norden an die Uckermark und im Süden an Berlin. Dazwischen gibt es viel Landwirtschaft, Seen und Naherholungsgebiete. Die Menschen leben verstreut in einer Handvoll Kleinstädte und Gemeinden mit wenigen Tausend Einwohnern wie Biesenthal oder Chorin. Die Mehrzahl der Orte wie Ziethen oder Liepe kommt sogar nur auf ein paar Hundert Einwohner. In den beiden Bevölkerungszentren Eberswalde und Bernau leben jeweils knapp über 40.000 Menschen. „Mit BARshare wollen wir ein alltagstaugliches Sharing-System für den ländlichen Raum anbieten, das wirtschaftlich ist, die CO₂-Emissionen im Verkehr senken und die Auslastung vorhandener Fuhrparks erhöhen“, sagt Christian Vahrson, Prokurist bei der KWB. Sie entwickelten schließlich mit BARshare ein Sharing-Konzept, das ausschließlich Elektrofahrzeuge verwendet und zwei Nutzergruppen kombiniert, die Hauptnutzer und die Mitnutzer. 2019 ging BARshare mit 23 Elektrofahrzeugen an den Start. Der Knackpunkt für das Sharing-Konzept war: Hauptnutzer zu finden, die bereit waren, ihre Dienstwagenflotte auf E-Fahrzeuge umzustellen und die Fahrzeuge dann privaten Nutzerinnen zur Verfügung zu stellen. Die Ausgangssituation war gut. Vahrson und sein Team hatten erkannt, dass es bereits Hunderte potenzielle Kandidaten im Landkreis gab. Dazu gehören Verwaltungen, Kommunen, Wohnungsgenossenschaften, Unternehmen oder auch Vereine. „Fahrzeuge gemeinsam nutzen, gehört im dienstlichen Kontext zum Alltag. Die Mitarbeiter teilen sich bereits Dienstwagen“, sagt Vahrson. Allerdings nutzen sie die Fahrzeuge nur tagsüber, während der Bürozeiten. Danach stehen sie herum. An diesem Punkt setzt die BARshare-Idee der Mitnutzer an: Außerhalb der Arbeitszeiten können Privatleute die Elektrofahrzeuge für ihre Fahrten mieten. Das Konzept von BARshare kombiniert also dienstliche und private Nutzung, einfach und digital.

Als kommunales Unternehmen sind wir den Hauptnutzern ein zuverlässiger Partner

Christian Vahrson

Servicepaket für Fuhrparkbetreiber

Um die Fuhrparkbetreiber zum Umstieg zu bewegen, entwickelte BARshare ein Rundum-sorglos-Paket. Dazu gehört, dass BARshare wie herkömmliche Sharing-Anbieter der Flottenbetreiber ist. Sämtliche Fahrzeuge gehören BARshare und damit den Kreiswerken Barnim. „Als kommunales Unternehmen sind wir den Hauptnutzern ein zuverlässiger Partner. Durch die vertraglichen Vereinbarungen stehen die Fahrzeuge gesichert und dauerhaft zur Verfügung“, sagt Vahrson. Außerdem baut BARshare die Ladeinfrastruktur an den Standorten der Hauptnutzer auf, stellt die Buchungssoftware zur Verfügung und kümmert sich um Reinigung, Service und Reparatur. Für die Hauptnutzer ist das bequem. „Die Unternehmen oder Verwaltungen mieten nicht das komplette Fahrzeug, sondern nur ein gewisses Stundenkontingent. Auf diese Weise können sie ihre bestehende Dienstwagenflotte erweitern oder durch klimafreundliche Elektroautos ersetzen“, sagt Saskia Schartow, Projektleiterin von BARshare. Der Nebeneffekt ist: Die Unternehmen verbessern ihre Klimabilanz, wenn sie vom Verbrenner auf Elektromobilität umsteigen.
Der Aufbau des Angebots war kostspielig. 42 Elektroautos, vom kleinen Stadtflitzer bis zum Siebensitzer-Van stehen inzwischen an 23 Standorten im Landkreis. Das konnte der Landkreis Barnim mit seinen rund 185.000 Einwohnern nicht in Eigenregie finanzieren. „Die Fahrzeuge und den Aufbau der Ladeinfrastruktur haben wir mit Unterstützung verschiedener Fördermittel vom Land Brandenburg, dem Europäische Fonds für regionale Entwicklung und dem Bundesverkehrsministerium finanziert“, sagt Vahrson. Mit den Einnahmen aus dem Sharing-Betrieb deckt das BARshare-Team nun die laufenden Kosten der Flotte. Dazu gehören unter anderem der Betriebsservice, die Versicherung, der Hotline-Service oder die Software für das Buchungssystem nebst App.
Das Sharing-Angebot kommt im Landkreis gut an. Inzwischen nutzen 20 Barnimer Unternehmen, Verwaltungen oder auch Wohnungsgenossenschaften den Service. „Über sie sind rund 700 Fahrer und Fahrerinnen registriert“, sagt Projektleiterin Saskia Schartow. Dazu kommt die große Resonanz aus der Bevölkerung: 1800 private Nutzer haben sich seit 2019 angemeldet und die Tendenz ist weiterhin steigend.

BARshare interessant für Pendlerinnen

Eine von ihnen ist Helga Thomé aus Eberswalde. Als Coach für Team- und Organisationsentwicklung ist sie beruflich häufig in Berlin und Brandenburg unterwegs. „Nach Berlin fahre ich immer mit der Bahn“, sagt sie. Für die Strecken ins Umland braucht sie ein Auto. Ihren eigenen Wagen hat sie verkauft, bevor sie das BARshare Auto getestet hat. „Wären die Kosten durch die Decke gegangen, hätte ich über den Kauf eines eigenen Wagens wieder nachgedacht. Das muss ich allerdings nicht“, sagt sie. Für sie ist das Mieten günstiger. „1300 Euro habe ich im ersten Halbjahr 2022 an Mietkosten ausgegeben“, sagt sie. Das klingt viel. Aber wenn sie die laufenden Kosten wie Kfz-Versicherung, anfallende Reparaturen bis hin zum Wertverlust einbeziehe, sei das BARshare-Auto für sie deutlich günstiger und zudem noch umweltfreundlicher. „Außerdem muss ich mich nicht mehr um Werkstattbesuche oder den Reifenwechsel kümmern. BARshare übernimmt sogar das Waschen des Autos“, sagt sie.
Für Helga Thomé ist das Sharing-Angebot eine gute Ergänzung zum bestehenden Angebot. In der Kreisstadt Eberswalde erledigt sie die meisten Wege mit dem Fahrrad. Hat sie mal keine Lust zum Radfahren, steigt sie in einen der Busse, die regelmäßig in der 43.000 Einwohner-Stadt unterwegs sind.

Im 1000-Einwohner-Ort Melchow hat sich ein Verein als Haupt-nutzer von BARshare gebildet, der mit einem Siebensitzer den Einwohner*innen nun einen Busersatz bietet.
Die Wohnungsgenossenschaft Eberswalde wiederum nutzt BARshare als Mobilitätsangebot für Mitarbeitende und Mitglieder.

Alltagsmobilität in Landgemeinden sicherstellen

Von dieser Auswahl träumen die 1000 Einwohner von Melchow. In ihrem Dorf stellt ein BARshare-Siebensitzer seit 2019 für sie nun die Basismobilität wieder her. Um die Lade-infrastruktur und den Wagen zu erhalten, brauchte der Ort allerdings einen Hauptnutzer. Dafür haben die Dorfbewohner den Verein „Melchow mobil“ gegründet. Aktuell zählt er rund 40 Mitglieder. Etwa 15 von ihnen steuern den Bus. Momentan fährt das Elektrofahrzeug laut Bürgermeister Kühn zweimal täglich in die umliegenden Gemeinden. „Wenn der Bus nach Biesenthal zur Einkaufsfahrt aufbricht oder samstags zu den ‚Guten Morgen Eberswalde‘-Konzerten, ist jeder Sitz besetzt“, sagt er. Nur wenn es zum Arzt oder zur Therapie geht, sei in der Regel nur eine Person unterwegs. Selbst im Coronajahr 2021 unternahm der Bus 300 Touren und sammelte 12.000 Kilometer. Die Kosten für die Mitfahrenden sind überschaubar. 50 Euro kostet die Vereinsmitgliedschaft eine Einzelperson im Jahr, Familien zahlen das Doppelte. „Die Gemeinde Melchow unterstützt den Verein finanziell, um mit dem Siebensitzer die Alltagsmobilität zu sichern“, sagt Ronald Kühn.
Zwischen 250 und 450 Euro kosten die Elektrofahrzeuge bei BARshare für Hauptnutzer je nach Stundenkontingent im Monat. Hinzu kommt noch eine Kilometerpauschale von 0,084 Euro. Mitnutzer zahlen je nach Tageszeit und Fahrzeuggröße zwischen 1,90 und 4,90 je Stunde plus eine Buchungsgebühr von 2 Euro und 10 Cent Kilometerpauschale. Lastenräder sind mit 2 Euro je Stunde und einem Euro Buchungsgebühr nicht wesentlich günstiger.
Allerdings decken die Einnahmen die anfallenden Kosten von BARshare noch nicht. „Das Wachstum geht aber in die richtige Richtung, wir kommen der Wirtschaftlichkeit immer näher“, sagt Vahrson. Er rechnet damit, dass sich BARshare in wenigen Jahren selber trägt. Die Corona-Pandemie war auch für den Sharing-Anbieter eine Herausforderung. „Uns fehlten die öffentlichen Veranstaltungen, um das Angebot bekannter zu machen und mit den Menschen direkt ins Gespräch zu kommen“, sagt Saskia Schartow. Mit Informations- und Bedienvideos auf der BARshare-Webseite versuchte das Team Berührungsängste abzubauen. „Aber Elek-tromobilität und Carsharing sind für viele Menschen noch ungewohnt. Um bestehende Hemmschwellen abzubauen, hilft eine begleitete Probefahrt“, sagt sie. Neue Hauptnutzer bekommen deshalb stets eine persönliche Einführung in das Fahrzeug und den Ausleihvorgang.
Autos und Minibusse sind jedoch nicht das einzige Mittel, um auf dem Land klimaneutral unterwegs zu sein. Mithilfe von E-Bikes und E-Lastenrädern lassen sich viele Wege auch zwischen den Ortschaften zurücklegen. Der Vorteil: Die Investitionen und Unterhaltskosten sind erheblich geringer als die Anschaffung von Elektroautos. Allerdings benötigt es hier noch mehr Kommunikationsarbeit, damit die Räder tatsächlich genutzt werden.

Uns fehlten die öffentlichen Veranstaltungen, um das Angebot bekannter zu machen und mit den Menschen direkt ins Gespräch zu kommen.

Saskia Schartow, Projektleiterin von BARshare
Saskia Schartow und ihr Team leisten häufig Pionierarbeit im ländlichen Raum, etwa wenn im bisher autolastigen Landkreis Lastenräder als Transportalternative etabliert werden.

E-Bikes ergänzen die Flotte

BARshare setzt auch dabei auf das persönliche Erlebnis. Eine Probefahrt im geschützten Raum ist für die Ausleihe der fünf Cargobikes entscheidend. In urbanen Zentren gehören Lastenräder längst zum Stadtbild. „Im Kreis Barnim sieht man sie selten. Für viele sind sie eine komplett neue Fahrzeugkategorie“, sagt Saskia Schartow. Vor der ersten Ausleihe steht deshalb immer die Probefahrt. Bei den E-Bikes und den Cargobikes ist die Lernkurve des BARshare-Teams besonders steil. Kaum hatte eines der ersten Lastenräder seinen Standort bei der Wohnungsgenossenschaft Eberswalde bezogen, wurde es gestohlen. Ein paar Tage später tauchte es zwar wieder auf, allerdings fehlten die Laufräder.
„Wir müssen sie nicht nur vor Wind- und Wetter schützen, sondern auch vor Vandalismus“, sagt Saskia Schartow.
Mit ihrem Bike-Sharing-Angebot leistet das BARshare-Team im ländlichen Raum Pionierarbeit. Neben der Infrastruktur fehlt oft die Akzeptanz in der Bevölkerung. „Hier nutzen nur wenige das Fahrrad im Alltag“, sagt Saskia Schartow, „aber wir wollten auch Menschen ohne Führerschein E-Mobilität ermöglichen.“ Inzwischen können sie BARshare-E-Bikes oder -E-Lastenräder am Bahnhof, an der Mobilitätsstation in Werneuchen (10.000 Einwohner) und im Fahrradparkhaus in Bernau (42.000 Einwohner) ausleihen. Die Ausleihen liegen noch im niedrigen dreistelligen Bereich, aber sie steigen ebenfalls.
„Unser Angebot bietet nicht für jeden eine Lösung. Aber wir bieten bereits heute mit unseren Elektrofahrzeugen ein Angebot für verschiedene Mobilitätsbedürfnisse an und steigern die Lebensqualität der Menschen spürbar“, sagt Saskia Schartow. Mit dem Sharing-Konzept will der Landkreis Barnim auch die eigene Klimabilanz verbessern. Bereits 2008 hatte der Kreistag beschlossen, dass die Energie für das tägliche Leben langfristig ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden soll. Die Kreiswerke Barnim setzen als 100-prozentige Tochtergesellschaft des Landkreises Barnim nun auch mit BARshare die Ziele des Landkreises um.


Bilder: Torsten Stapel