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Do-it-yourself-Verkehrsplanung

Bürger*innen in Deutschland greifen zu Farbe und Pinsel und malen sich Verkehrswege einfach selbst. Damit machen sie ihrer Frustration über die Verkehrsplanung Luft – und ernten gemischte Reaktionen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Eine dicke weiße Linie schlängelt sich die Landstraße zwischen zwei Ortsteilen der brandenburgischen Stadt Kyritz entlang. Neben der zwei Kilometer langen Linie lassen schemenhaft gezeichnete Fahrräder und Fußgänger erahnen, was hier passiert ist. Unbekannte hatten im August dieses Jahres den zwei Verkehrsspuren über Nacht eine dritte abgerungen. Bestehen blieb sie nicht. Hohe mediale Wellen hat sie dennoch geschlagen, berichtet Harald Backhaus. Er ist Ortsvorsteher des Ortsteils Berlitt, den die Unbekannten mithilfe der improvisierten Markierungsarbeiten mit Rehfeld verbinden wollten.

Medial kommen die Malaktionen gut an. Auch bei Satiriker Jan Böhmermann. Der spottete auf Twitter über einen Artikel zum Radstreifen in Kyritz, der eine Polizei-Sprecherin zitierte, dass man zum Motiv der Verursacher noch gar nichts sagen könne. „WAS NUR könnte das Motiv der Fahrrad-Banditen sein?“

Was tun, wenn es keine geschützte Radroute gibt?

Die Idee eines Radwegs zwischen den zwei Ortsteilen ist nicht neu. Seit 15 Jahren gibt es politische Bestrebungen, eine bessere Verbindung für Radfahrerinnen zu schaffen. „2021 sollte jetzt etwas passieren, dann gab es aber wieder keine Fördergelder. Das ist sehr unbefriedigend. Vor diesem Hintergrund passte diese Aktion so richtig gut“, sagt Backhaus. Eine Verkehrszählung ergab 2014, dass die Kreisstraße rund 1.000 Fahrzeuge pro Tag befahren. Ab 3.000 Fahrzeugen hätte man einen höheren Förderanspruch, so Backhaus. Für einen Fahrradweg fahren also zu wenige Autos durch das größtenteils von Wald geprägte Gebiet. Weiteres Problem: 15 Landbesitzer müssten Fläche abgeben, um neben der Straße einen Radweg bauen zu können. „Wenn einer von denen Nein sagt, stirbt das Projekt“, so Backhaus. Im Gegensatz zum Ortsvorsteher war der Kreis allerdings nicht sonderlich begeistert und ließ die Farbe schnell wieder abfräsen. Vor allem die Tatsache, dass die aufgebrachte Farbe nicht wasserlöslich war, scheidet die Geister. Die Täterinnen wurden laut Brandenburger Polizei bislang nicht gefunden und so bleibt der Kreis auf den Reinigungskosten von rund 5.000 Euro sitzen. Wenn es kein Geld kostet, erzeugt es keine Aufmerksamkeit, meinen einige. Harald Backhaus kann die Frustration nachvollziehen, die zu der Tat geführt haben könnte. Mit einer Petition für einen neuen Radweg sammelte er in diesem Jahr über 400 Unterschriften in Berlitt und einem Nachbarort. „Man hört immer: Das Rad ist das Verkehrsmittel der Zukunft, die Wege müssen ausgebaut werden. Wenn man dann sieht, was davon auf dem Land ankommt, ist man natürlich enttäuscht.“ Was er will, weiß Ortsvorsteher Backhaus sehr gut. Ein neuer Radweg soll auf einer stillgelegten Bahntrasse entstehen, die ohnehin schon der Stadt gehört.
Vom Landkreis heißt es dazu, dass der völlig andere Stellenwert des Radverkehrs im Alltag außerhalb von Ballungsräumen ein sehr neues Phänomen sei, der ein Umdenken erfordere. Bislang lag der Fokus auf dem touristischen Radverkehr, der sich auf besonders attraktive Regionen des Kreises konzentrierte. Dort wurden für rund 5 Millionen Euro verschiedene Radwege modernisiert. 2022 soll nun ein Radverkehrskonzept erarbeitet werden, das sich auf den Alltagsverkehr fokussiert. Zwischen den Stadtteilen Berlitt und Rehfeld soll in den kommenden Jahren ein Wanderweg mit einer gebundenen Decke für den ganzjährigen Radverkehr ertüchtigt werden.

Auch Berliner Kiez-Bewohner greifen zum Pinsel

Menschen vor dem Autoverkehr zu schützen, fordert auch eine Berliner Gruppe. Die Mitglieder des Kiezblocks Vineta wollen ihr Umfeld nachhaltiger, ruhiger und sicherer gestalten. Mit einem Anwohnerantrag soll motorisierter Durchgangsverkehr ausgeschlossen werden. Im August hat eine Handvoll Anwohner selbst zu Pinsel und Farbe gegriffen. Sie bemalten die Parkverbotszone einer viel befahrenen Kreuzung mit Schraffuren und Fußgängerbereichen. „Wir haben bewusst am helllichten Tag angefangen. Die Reaktionen waren sehr positiv. Nur eine Person rief die Polizei, die die Aktion dann beendete. Die Kreuzung war exemplarisch für uns, da Kinder hier ihren Schulweg gehen. Außerdem herrscht viel Durchgangsverkehr von Leuten, die durch den Kiez abkürzen“, erklärt ein Mitglied der am Jahresanfang gegründeten Gruppe. Die Aktion generierte Aufmerksamkeit und brachte einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von 2017 wieder auf die Tagesordnung. Die BVV hatte in diesem entschieden, dass Kreuzungsvorzüge sichtbar gemacht und mit Markierungen und Pollern geschützt werden sollten. Dass der Beschluss noch nicht umgesetzt worden ist, wundert das Kiezblock-Mitglied. „Das Aufmalen ist kein großer Aufwand. Aus stadtplanerischer Sicht sollte man das überall machen. Das Parken ist fünf Meter vor der Kreuzung ohnehin verboten.“


Kiezblocks

Kiezblocks sind Stadtquartiere, in denen durchgehender Kfz-Verkehr ausgeschlossen wird. Der Verein Changing Cities möchte für Berlin 180 dieser Blocks einrichten undunterstützt die lokalen Gruppen bei ihrer Arbeit. Als Vorbild dienen die Superblocks in Barcelona und die Kompartments in den Niederlanden.


Bilder: Vineta-Kiezblock, Polizei Brandenburg, Screenshot Changing Cities