,

Das Pedelec wird zum „Pedelcar“

In den nächsten beiden Jahren wollen Unternehmen mit einem neuen Fahrzeugtyp europäische Straßen und Radwege erobern: Das elektrisch unterstützte Bike mit Dach über dem Kopf – quasi ein „Pedelcar“. Was bedeutet das für die Infrastruktur von heute und morgen? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Laut Gesetzgeber gehören die neuen muskelgetriebenen und motorunterstützten zweispurigen Gefährte zur Klasse der Pedelecs: Man könnte sie Pedelcar nennen. Sie haben drei oder vier Räder, sind meist um die 80 Zentimeter breit und etwa 2 Meter lang und erlauben die Mitnahme von mindestens einer Person. Das Wichtigste: Diese Fahrzeuge geben den Insassen einen Wetterschutz. Schon in den Achtzigerjahren gab es sogenannte Velomobile. Auch sie wurden als Autoersatz entwickelt und manche boten sogar elektrische Unterstützung. Sie gelten aufgrund vieler Besonderheiten aber immer noch als eigensinnige Fahrzeuge für Enthusiasten. Den großen Unterschied soll nun die Praxistauglichkeit machen, die Pedelcars bieten wollen: Wendigkeit für den urbanen Kurzstrecken-Einsatz in der City steht hier im Vordergrund, während die zigarrenförmigen Velomobile vor allem für mittlere Strecken jenseits der Stadt entwickelt wurden. Die neue Klasse bietet viel Komfort, der sich am Auto orientiert, und steht für aktuelles Hightech.

Der CityQ kommt aus Oslo, soll aber bald schon in Deutschland für deutsche Radwege gebaut werden. Wichtig ist den Machern auch hier, dass der Fahrkomfort möglichst nah am Auto liegt und das Design Emotionen anspricht.

Die Grenzen ausloten

„Das neue Fahrzeug muss dem Auto ebenbürtig sein und es substituieren können“, so Martin Halama, CEO und Gründer von Hopper. Zusammen mit einigen Kommilitonen hat er 2019 die Hopper GbR ins Leben gerufen, doch die ursprüngliche Idee geht schon auf seine Masterarbeit 2015 zurück. Sie beschäftigte sich mit der Frage: „Was ist auf dem Radweg möglich?“ Der Name Hopper steht dabei für die besondere Kurzstreckenpraktikabilität des Fahrzeugs – hop on, hop off. Ganz wichtig ist dem Leiter des Augsburger Unternehmens, dass grundsätzlich vom Auto gedacht wurde: „Da unterscheiden wir uns von den Mitbewerbern“, sagt er. „Die Menschen wollen die Vorteile des Autos nutzen, aber sie wollen auch lebenswertere Städte haben.“ Es gibt bereits einige Hopper-Prototypen und auch wenn noch nicht alles bis ins Detail konzipiert oder ausgeführt ist, die primären Dinge sind geklärt: So wird der Kofferraum beispielsweise größer, wenn statt eines Erwachsenen ein Kind mitfährt – dann lässt sich der Schulranzen gut hinter dem Sitz unterbringen. Das Äußere des Hoppers folgt eher der fließenden Formgebung durch einen Autodesigner als dem geraden Ingenieursblick. Die Macher können und wollen die Nähe zu einem Autohersteller der Premiumklasse nicht verhehlen.
Ziemlich einzigartig ist die Steuerung des Hoppers: Gelenkt wird über das angetriebene Hinterrad, was dem Fahrzeug eine hohe Wendigkeit bringt. Wer an enge Radwege oder gar Umlaufgitter denkt, die hierzulande des Öfteren Radfahrer- und Fußgängerbrücken und selbst Radwege begrenzen, der weiß, dass man hier bislang ein wendiges Fahrzeug braucht. Selbst mit normalen Dreirädern ist es gelegentlich schwierig. Auch die Radwegfurten können problematisch werden, denn meist sind die zugehörigen Bordsteine nicht auf Fahrbahnhöhe abgesenkt. Ein mehrspuriges Rad kann man dabei nicht entlasten wie ein normales Zweirad. Daher hat der Hopper eine aufwendige Vollfederung. Das Dreiradkonzept ermöglicht es auch, dass der Hopper mit nur einem Radnabenmotor angetrieben werden kann.

„Die Men­schen wollen die Vorteile des Autos nutzen, aber sie wollen auch lebens­wertere Städte haben.“

Martin Halama, CEO Hopper Mobility

Der Hopper aus Augsburg glänzt mit Integration und flächigem Design. Die Vorderräder können aufgrund der Hinterradlenkung versteckt werden. Sie soll wiederum im Radweg-Dschungel für viel Wendigkeit sorgen.

Neue Herausforderung für Planer

Für Verkehrs- und Städteplaner in Europa dürfte vor allem wichtig sein, wie die Kombination von Pedelcars mit der vorhandenen Infrastruktur künftig funktionieren könnte. „Wir hoffen, dass es in Sachen Radwegnutzung zu keinen Problemen kommen wird“, so Halama. Denn die Einstufung als Pedelec für die Mini-Autos zieht bislang eine Radweg-Benutzungspflicht nach sich – mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. „Auf lange Sicht werden Fahrzeuge wie der Hopper dazu führen, dass die Infrastruktur angepasst wird. Die Gesellschaft muss schließlich mobil bleiben!“

Pedelcars müssen auf dem Radweg fahren. Ob das so harmonisch wird wie hier dargestellt, ist noch nicht entschieden. Mit Sicherheit muss aber die Infrastruktur verbessert werden.

„Keine Übermotorisierung auf dem Radweg“

Neue Fahrradmobilität, das bedeutet natürlich weniger Autos auf den Straßen, mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger. Oder ist das nur Theorie? Stephanie Krone, Pressesprecherin des ADFC meint dazu: „Wir beobachten mit Spannung, wie sich die Welt der Fahrräder und Pedelecs immer weiter ausdifferenziert – und auch für den Wirtschaftsverkehr neue, faszinierende Lösungen hervorbringt. Gut, wenn es dafür jetzt viele neue Konzepte gibt. Aber die Radwege in Deutschland sind schon jetzt viel zu klein – deshalb sagen wir der Verkehrspolitik, dass sie bei der Planung die größeren Fahrzeuge mitdenken muss.“ Es ist also auch die Frage einer leistungsfähigen Rad-Infrastruktur, ob solche Geschäftsmodelle in Zukunft Erfolg haben. Aus Sicht des ADFC sei es aber essenziell, dass „normale Menschen auf normalen Rädern“ weiterhin die erste Geige auf Radwegen spielten. „Wir wollen keine Übermotorisierung in den Städten, auch nicht auf dem Radweg. Alles, was deutlich schneller als ein Radfahrer und nicht muskelbetrieben ist, gehört innerstädtisch nicht auf den Radweg, sondern auf die Fahrbahn.“

Infrastruktur nur für einspurige Fahrzeuge?

Das würde im Umkehrschluss bedeuten: Viele zweispurige Fahrzeuge müssten auf die Fahrbahn und verlören damit ihren wesentlichen infrastrukturellen Vorteil. Das beträfe derzeit besonders viele Lastenräder. Kommt es zu einer weiteren Verschärfung des Kampfes um den Platz auf der Straße? Wie sehen Verkehrsplaner das? Für Johannes Pickert, Raum- und Verkehrsplaner von der Planersocietät Frehn, Steinberg & Partner in Dortmund muss das nicht sein. „Der Radverkehr ist tatsächlich überall auf einem aufsteigenden Ast, aber die vorhandenen Radwege sind meist nur um einen Meter breit.“ Schmale Radwege und große Fahrzeuge – das funktioniere nur begrenzt. Allerdings sei die Perspektive besser als die aktuelle Lage. Derzeit würden grundsätzlich breitere Radwege gebaut, weiß der studierte Raumplaner auch schon aus seinen früheren Erfahrungen als Radverkehrsbeauftragter. „Auf Schutzstreifen auf der Fahrbahn sehe ich da kein großes Problem. Die Protected Bike Lanes, die heute vielfach angestrebt werden, lassen dagegen kaum ein Überholen mit Abstand zu.“ Für ihn stellt sich auch die Frage der grundsätzlichen Vor- und Nachteile dieser Fahrzeuge. „Der Wetterschutz ist wichtig, aber ich kann das Rad nicht mit ins Haus nehmen, und wenn ich mich beispielsweise nicht durch den Verkehr schlängeln kann wie mit dem Zweirad, ist das wieder eine deutliche Einschränkung.“ Vorteile sieht er in schnelleren Varianten, falls es dafür künftig eine gesetzliche Grundlage gäbe. „Auf der Straße mitschwimmen und wenn es eng wird, auf den Radweg ausweichen. Aber dort fehlt dann größenbedingt Flexibilität. Wenn es eng wird, ist ein Einspurer besser.“ Teil der Lösung unserer Mobilitätsprobleme könnten die Pedelcars trotzdem sein. Schon, weil sie eine subjektive Sicherheit der Passagiere böten, die das Fahrrad nicht leiste.

Eine Plattform, mehrere Varianten: Der Bio-Hybrid, bis vor Kurzem ein Kind des Autozulieferers Schaeffler, kann auch als Cargobike mit unterschiedlichen Aufbauten bestellt werden.

Mikromobil vom Autozulieferer

Mit der Bio-Hybrid GmbH ist die frühere Tochter des Autozulieferers Schaeffler ins Rennen um den Radweg eingetreten. Schaeffler, eines der größten Automotive-Unternehmen der Welt, gab Mitte Oktober den vollständigen Verkauf der Sparte an die Micromobility Solutions GmbH bekannt. Seit 2014 bei Schaeffler gewachsen, blickt man bei der Bio-
Hybrid GmbH nicht nur auf viel Erfahrung in Sachen Mobilität, sondern auch auf enormes technisches Know-how im Mutterunternehmen. Begonnen wurde mit einer Problemstellung, nicht mit der Idee eines neuen Fahrzeugs. „Wir haben uns Gedanken zu einer neuen Mobilität gemacht, die helfen kann, Staus zu vermeiden und unsere Städte lebenswerter zu machen“, sagt Patrick Seidel, Leiter Strategie und Unternehmensentwicklung von Bio-Hybrid. „Dazu haben wir viele Gespräche mit Verkehrs- und Städteplanern geführt.“ Dabei ging es um die durchschnittliche Besetzung der Fahrzeuge, Staus und allgemeine Platzprobleme. So hätten sie den Bio-Hybrid quasi als Lücke zwischen Fahrrad und Elektroauto identifiziert. Das entstandene Fahrzeug ist ganzjahrestauglich, mit Dach, Frontscheibe und einer Transportkapazität für den Wocheneinkauf – und im Flächenbedarf sowohl in Bewegung als auch stehend sehr effizient. Die Fahrzeugplattform des Bio-Hybrids soll es als Passagierfahrzeug und als Cargobike in drei Versionen geben. Eine davon kommt mit einem Wechselcontainermodul für Logistiker. Es wird Varianten mit einem oder zwei Akkus geben, Letztere sollten dann bis 120 Kilometer Reichweite haben. Wie sieht man bei der ehemaligen Schaeffler-Tochter die potenziellen Probleme mit der Infrastruktur? Mit Blick auf die Radwegnetze der Städte meint man im Unternehmen, der Platz sei ja da und die Städte gingen den Weg zu mehr Fahrradinfrastruktur ohnehin. Warten, bis die Städte den Wandel zur perfekten Infrastruktur für Mikromobilität vollzogen haben, muss man nach Meinung der Macher nicht. „Wir stellen fest, dass es auch heute schon gut funktioniert“, so der Geschäftsführer. „Man sucht sich ja automatisch andere Strecken, um von A nach B zu gelangen. Man fährt nicht dieselben Wege wie mit dem Auto.“ Aber auch um die Sicherheit bei starkem Verkehr sei es gut bestellt. So sei nach den Erfahrungen des Unternehmens beispielsweise der Überholabstand der Autos zum Bio-Hybrid, im Gegensatz zum Fahrrad, überhaupt kein Thema.

Das Future-Mobility-Projekt des Fahrradherstellers Canyon kommt nicht nur dem klassischen Auftritt eines Autos sehr nahe – es ist technisch auch kein reines Pedelec. Es soll als solches, aber auch als bis 60 km/h zugelassenes Fahrzeug betrieben werden, jeweils mit hybridem Antrieb. Bietet sich in der Rushhour das Fahren auf dem Radweg an, wird der Pedelec-Modus aktiviert, ansonsten kann man im Stadtverkehr mit 50 km/h mitschwimmen.

Aus Norwegen für Deutschland

Auch im Ausland schaut man zuerst Richtung E-Bike-Land Deutschland und seiner Infrastruktur. Morten Rynning vom Unternehmen CityQ sieht in Deutschland sogar schon bald eine mögliche Produktionsstätte seines vierrädrigen Pedelcars mit Business-Chic. Zunächst wird das Fahrzeug aber in seiner Heimat Norwegen gebaut. Bereits 2021 sollen die ersten Exemplare ausgeliefert werden. Auch hier gibt es bei 87 Zentimetern Breite und etwas mehr als 2 Metern Länge Vierradfederung, elektronischen Antrieb mit einem 250-Watt-Motor und etwa 100 Newtonmetern Drehmoment. Gute 70 Kilometer weit soll ein Erwachsener mit zwei Kindern, mit Fracht oder einem zweiten Erwachsenen kommen. Schon der Name erklärt: Es geht um die Innenstadt, also auch hier um die Radweg-Infrastruktur.
Erst seit vier Jahren steht das CityQ (das Q steht für Quattro/Vierrad) im Lastenheft des gleichnamigen Unternehmens. Auch dieses Pedelcar wurde in breiter Expertise angegangen, mit Planern und Stadt-Spezialisten zusammengearbeitet. Und von Anfang an hat man mit dem Vorzeige-Beratungsunternehmen Roland Berger einen Spezialisten für urbane Infrastruktur im Boot. Das Start-up um den CEO Rynning ist seit 2017 enorm gewachsen. Zum Team gehört unter anderem Ketil Solvik Olsen, Norwegens Ex-Verkehrsminister.
In Deutschland sollen nach den Plänen des Unternehmens in Kürze fünf bis zehn eigene CityQ-Stationen für Service und Wartung der Fahrzeuge entstehen. Und die Nachfrage? Bis September 2020 gab es bereits Vorbestellungen im dreistelligen Bereich. Diese Käufer zahlen aktuell 7.400 Euro für ein Fahrzeug. „Das Pricing ist schwierig“, erläutert Rynning. Es gelte aber dem Auto Paroli zu bieten. Mit viel digitalem Komfort wie Tempomat, automatischer Schaltung und einem Schwerlastmodus will man das erreichen. „Der E-Bike-Markt wandelt sich sehr schnell“, sagt Rynning. „Es kommt jetzt darauf an, dabei zu sein!“ Sollten die Pedelcars tatsächlich in den Zwanzigerjahren deutlich zulegen, dürften sie nicht nur den E-Bike-Markt, sondern auch die Vorherrschaft um die urbane Infrastruktur aufmischen. Man darf gespannt sein.

Parken? Kein Problem.

Die neuen zweispurigen Fahrzeuge werden bislang als Pedelecs/E-Bike 25 eingestuft und sind damit Fahrrädern gleichgestellt. Damit sind sie aktuell nicht versicherungspflichtig und dürfen dementsprechend gemäß StVO sowohl auf normalen Parkplätzen abgestellt werden als auch auf dem Gehweg, solange das Gebot beachtet wird, „platzsparend“ zu parken.


Bilder: Bio-Hybrid, CityQ, Hopper Mobility, Bio-Hybrid, Canyon, CityQ