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Langer Atem für die Langstrecke

In die Metropolregion Hamburg sollen künftig deutlich mehr Menschen aus den umliegenden Bundesländern mit dem Rad pendeln. Mit einem 270 Kilometer langen Radschnellwegenetz will man vor allem für Pendler aus ländlichen Regionen ein neues, attraktives Angebot schaffen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


In den Niederlanden längst Standard, in Hamburg noch Vision: Für Pendler im Umland soll es künftig ein Netz von Radschnellwegen geben.

Berufspendler brauchen häufig gute Nerven. Besonders, wenn sie in den ländlichen Regionen rund um eine prosperierende Großstadt wie Hamburg leben. Aus dem Alten Land, der Marsch und der Heide fahren jeden Morgen mehr als 300.000 Pendler in die Hamburger Innenstadt. Spätestens an der Landesgrenze stehen sie im Stau oder drängen in überfüllte Busse und Bahnen. Zu den Stoßzeiten hat das Straßen- und Schienennetz der Hansestadt sein Limit längst erreicht. 2019 war Hamburg die Stauhauptstadt Deutschlands. Zur Staubekämpfung baut man in den Niederlanden seit Jahrzehnten Radschnell-wege. Das will die Metropolregion Hamburg jetzt auch versuchen, und zwar in großem Stil. Ein Netz aus sieben Routen soll in naher Zukunft sternförmig aus allen Himmelsrichtungen in die Hafenstadt führen.

„Noch ist das Netz aus Radschnellwegen ein Versprechen.“

Susanne Elfferding, Projektkoordinatorin

Das Projekt ist ehrgeizig

Die kürzeste Route von Ahrensburg zur Stadtgrenze ist immerhin 8,5 Kilometer lang. Die beiden längsten Strecken im Hamburger Südwesten und Südosten bringen es sogar auf über 50 Kilometer. Sie führen von Lüneburg und Stade durch viele kleine Ortschaften zu den Elbbrücken. Wenn alle Routen fertig sind, soll im Hamburger Umland ein 270 Kilometer langes Premiumnetz für Fahrradfahrer die Straßen vom Autoverkehr entlasten und für Klimaschutz und bessere Luft sorgen. Allerdings wird das noch dauern. „Noch ist das Netz aus Radschnellwegen ein Versprechen, noch bauen wir nicht“, betont Susanne Elfferding, die für die Metropolregion das Projekt koordiniert. Die Partner sind die Hansestadt Hamburg und über 1.000 Orte, 20 Landkreise und kreisfreie Städte aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Diese Zusammenarbeit über vier Landesgrenzen hinweg ist einzigartig. Neben den sieben Radschnellwegen, die auf Hamburg zulaufen, sind auch noch zwei im Norden von Schleswig-Holstein geplant.

„Ich finde den Begriff Radboulevard treffender.“

Hartmut Teichmann, Stadtplaner

Basis: Gute Planung und gute Kommunikation

„Ende des Jahres sollen die Machbarkeitsstudien für die neun Routen fertig sein“, erläutert Susanne Elfferding. Die Technische Universität Hamburg hatte zuvor das Potenzial von über 30 Strecken ermittelt. Ausschlaggebend war schlussendlich, wie viele Arbeitsplätze, Schulen, Supermärkte und Bahnhöfe die Menschen auf den jeweiligen Routen innerhalb von 15 Radminuten erreichen könnten. Dabei zeigte sich: Die Bürger im schleswig-holsteinischen Kreis Pinneberg würden von ihrer 32 Kilometer langen Radschnellstrecke wahrscheinlich am meisten profitieren. „Etwa 70.000 Pendler fahren täglich Richtung Hamburg und rund 30.000 in die Gegenrichtung“, sagt Hartmut Teichmann, Stadtplaner des Kreises. Er erwartet, dass viele von ihnen das Auto gegen das Fahrrad oder E-Bike tauschen, wenn die Strecke fertig ist, und rechnet mit einem Anstieg des Radverkehrsanteils von 16 auf 25 Prozent. Bis es so weit ist, müssen er und seine Kollegen jedoch vor allem noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Die verschiedenen Bürgerbeteiligungen haben Teichmann beispielsweise gezeigt: Die Bezeichnung Radschnellweg irritiert viele Anrainer. Sie fürchten, dass rasende Radfahrer seltene Vogelarten vertreiben, ihre Kinder anfahren oder die Fußgänger stören, die im Moor spazieren gehen. „Ich finde den Begriff Radboulevard treffender“, sagt Teichmann. Damit ließen sich viele Vorurteile von vornherein ausräumen. Bis zum Baubeginn ist dafür noch jede Menge Zeit. Wenn Ende des Jahres alle Machbarkeitsstudien fertig sind, muss beispielsweise erst noch geklärt werden, wer die Trägerschaft der Radschnellwege übernimmt und wer sie bezahlt. Der Bund beteiligt sich mit durchschnittlich 75 Prozent an den Kosten für die Planung und den Bau. Allerdings bundesweit nur mit 25 Millionen Euro. Die reichen für die geplanten 270 Kilometer nicht aus. Aber Radschnellwege werden auch nicht ausgerollt wie Rollrasen. Zunächst werden Teilstücke gebaut. Teichmann rechnet mit einem positiven Effekt in der Bevölkerung, wenn der erste Abschnitt fertig ist. Denn Fotos und Imagefilme würden die Vorteile der Premiumrouten nur eingeschränkt abbilden. „Die Menschen müssen es selbst erfahren“, sagt er. Dann werde die Planung und Umsetzung der anderen Abschnitte leichter. Aber auch das wird seine Zeit dauern. Stadtplaner Teichmann sagt: „Wenn alles gut läuft, wird der erste Abschnitt Mitte der 20er-Jahre fertig sein.“


Bilder: M. Zapf – MRH, Metropolregion Hamburg