Lastenräder sind für viel Gewicht gemacht. Die Organisation Youth4Planet packt noch eine Ladung Ideen obendrauf. Mit der Macht des Geschichtenerzählens verfolgt sie das Ziel, junge Menschen für eine nachhaltige Zukunft zu inspirieren und so dem Klimawandel und Fake News zu trotzen. Wie funktioniert das? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Geht nicht gibt‘s nicht für ein kreatives Lastenrad. Es rollt und rollt und rollt für eine nachhaltige Welt: Das CreatiVelo radelte als mobiler Botschafter für einen positiven Wandel und Medienrad zur Klimakonferenz in Glasgow 2021. Bei der Klimakonferenz in Dubai 2023 war es als Reportagerad und mobiler Kommunikationsort vor Ort. Im Ahrtal ist das Rad der gemeinnützigen Organisation Youth4Planet (Y4P) nun als radelnder Kummerkasten und Mutmacher unterwegs, um die Menschen nach der Flut zu ermutigen. An luxemburgischen Schulen wird es als mobiler Workshop-Ort, fahrende Bühne oder mobiles Studio für Umfragen auf dem Marktplatz eingesetzt. Und auch in Indien wurde nun schon zum zweiten Mal eine CreatiVelo-Challenge durchgeführt. Studierende setzen dabei eigene Forschungs- und Bildungsideen radelnd um, etwa eine umherziehende Gesundheitsberatung.

Körper und Geist in Bewegung bringen

Y4P möchte mit den umgebauten E-Lastenrädern für eine nachhaltige Welt inspirieren und so die nachhaltige Transformation wortwörtlich ins Rollen bringen: „Das Fahrrad ist ja nicht nur das Fahrrad, sondern ein System zur Erkundung der Welt“, sagt Gründer und Vorsitzender Jörg Alte-kruse. Das CreatiVelo könne Ideen sowohl einsammeln als auch verbreiten. Er vergleicht dieses Konzept mit der Renaissance, als italienische Architekten durch Europa zogen und ihre neuen Bau-Ideen bis in die kleinsten Dörfer verbreiteten. Körperliche Bewegung sei zentral für geistige Veränderung. Das CreatiVelo vereine das und helfe so, junge Menschen für die Transformation zu empowern. Zudem schaffe es einen „Third Space“ – einen öffentlichen Raum, an dem Menschen sich treffen und austauschen können, ohne dafür bezahlen zu müssen, erklärt Altekruse. Sprich, ein Stückchen gelebte Transformation.
Das CreatiVelo sei ökologisch sauber, überall einsetzbar, ganz lokal und global vernetzt zugleich. Das bauliche Grundprinzip ist immer gleich: ein E-Lastenrad mit drei Rädern, hinten eine Lastenfläche mit einer Box – 80 cm breit, 120 cm lang, 145 cm hoch. Diese ist abnehmbar und auf Rollen. Mit an Bord ein in die Seitenfläche integrierter 50-Zoll-Monitor mit Klappe gegen Regen oder als Sonnenschutz. Solarpaneele und eine Batterie machen das Rad autark. Auf der Rückseite der Box ist Platz für ein großes Poster. In der Box: Mikrofone, Kamera, Laptop, Mischpult, Lautsprecher, Bühnenpodest, Kuppelzelt, Tisch und Hocker. Das Lastenrad hat Internetverbindung. Über die App EarthBeat sind die Räder auch untereinander verbunden. An den Außenwänden der Box prangen auffordernde Botschaften wie: „Lass uns gemeinsam die Erde retten.“

Das Konzept CreatiVelo funktioniert global, ob in Indien, Glasgow oder Luxemburg.

Nachhaltigkeit als Ziel

Y4P sitzt in Deutschland und Luxemburg und hat eine Niederlassung in den USA. Gründer Altekruse ist Filmemacher für Nachhaltigkeitsthemen. Als er eine 2013 veröffentlichte Fernsehserie über die Kipppunkte des Klimasystems drehte, merkte er, dass der Impact der Filme „gleich null“ war, obwohl sie in mehr als 100 Ländern gezeigt wurden. Die Filme hätten die „Lücke zwischen den Informationen und dem eigenen Standort“ nicht überbrücken können. Das sei der „Augenöffner“ für ihn gewesen, nicht länger nur mit Filmen in die Welt hinauszurufen, sondern etwas anderes zu tun. Als Ergebnis gründete er im Jahr 2015 Y4P. Im selben Jahr fuhr er mit jungen Leuten von verschiedenen Kontinenten nach Grönland, um sie zu Augenzeug*innen von schmelzenden Eismassen durch den Klimawandel zu machen. Die Jugendlichen drehten in Grönland selbst einen Film, traten im Fernsehen auf und berichteten in ihren Schulen von der Reise.
Die Idee von Y4P ist eng mit den UN-Nachhaltigkeitszielen verknüpft, die auch 2015 verabschiedet wurden und etwa Armut abschaffen, Klimawandel stoppen oder Ungerechtigkeiten bekämpfen sollen. Diese Ziele seien machtvoll, weil sie die Vision von 193 Ländern seien, so Altekruse, auch wenn man über Details streiten könne. So teile er das liberale Wirtschaftsverständnis der SDGs nicht, das auf Wirtschaftswachstum setzt. Er sieht die Lösung in einer zirkulären Ökonomie, um wieder innerhalb planetarer Grenzen zu leben.

„Das Fahrrad ist ja nicht nur das Fahrrad, sondern ein System zur Erkundung der Welt.“

Jörg Altekuse, Youth for Planet

Geschichten erzählen mit dem Handy

Das Y4P-Konzept nennt Altekruse „Storytelling for Future“: Y4P führt Storytelling-Workshops an Schulen, Universitäten oder in anderen Organisationen durch. So entstünden immer neue sogenannte Action Teams, die dann gemeinsam „ausschwärmen“ und Projekte umsetzen. In den Workshops lernen die Jugendlichen, wie sie Geschichten erzählen und Kurzfilme drehen – leicht und unkompliziert mit dem Smartphone, das die meisten eh in der Hosentasche haben. Sie sollen das Handy gezielt einsetzen, um die Welt um sie herum wahrzunehmen, festzuhalten und zu dokumentieren. Es gehe in den Workshops neben technischem Know-how vor allem darum, dass junge Menschen Mut für einen Standpunkt entwickeln: „Wenn ich eine Kamera irgendwo hinhalte, dann entscheide ich die Perspektive. Wenn ich eine andere Perspektive einnehmen will, dann muss ich halt weiter weggehen“, macht Altekruse mit dem Handy vor.
Junge Menschen sollen „Fähigkeiten entwickeln, um die Zukunft überhaupt anzupacken und nicht zitternde Knie zu kriegen“, beschreibt er. So sollen sie ermächtigt werden, sich im Raum und in der Welt so aufzustellen, dass sie eine Perspektive für sich und ihre Stimme finden. Eine der ersten Übungen sei deshalb, Handyfotos zu machen und diese auf ihre Geschichten hin zu analysieren. Etwa, welche Emotionen zugeparkte Straßen wachrufen. Durch die genaue Auseinandersetzung mit der Realität entstünden Ideen und Lösungen für eine neue, schönere Welt. So will Altekruse auch die Demokratie stärken: „Wir sind ein Teil des Gegengifts“ gegen die Zukunftsangst und die Unmengen an Falschinformationen, die etwa die AfD, Trump und mancher Milliardär säe. „Dagegen helfen nur starke Personen.“ Seine Vision: durch Y4P „resiliente Gemeinschaften und Individuen zu erzeugen, die sich vernetzen und gemeinsam an den erkannten Zielen arbeiten“.
Auf der Website von Y4P kann man sich durch viele Videos klicken, die vom Mut und der Energie verschiedener Menschen erzählen und Hoffnung machen: Etwa ein Rapsong über Plastik von Hamburger Schülerinnen; ein Video über Fairtrade- Orangensaft von Schülerinnen aus Luxemburg. Oder ein Video, das die Geschichte von Menschen im Togo zeigt, die die Küstenerosion zu bekämpfen versuchen.

CreatiVelos bestehen aus verschiedenen Komponenten – von A wie Antrieb bis Z wie zuklappbarer Monitor. So werden die Lastenräder quasi zur Eier legenden Wollmilchsau.

Lastenräder machen Schule

Inspiriert zu den CreatiVelos wurde Altekruse von der Bäckerei gegenüber seinem Hamburger Büro, die Brot mit einem Lastenrad transportiert. 2021 wurden die ersten Lastenräder umgebaut. Die Kinderkrankheiten seien mittlerweile überwunden: Die ersten Räder seien zu hoch gewesen und auf der Fahrt nach Glasgow zur Klimakonferenz mehrmals umgekippt. Aufgrund der Höhe passten sie auch nicht in Garagen oder durch Schultüren, erzählt Altekruse schmunzelnd.
Da Altekruse durch seine Dreharbeiten gut vernetzt ist, entstehen Projekte an ganz verschiedenen Orten der Welt: In dem kleinen Land Luxemburg arbeitet Y4P mit den 44 weiterführenden Schulen zusammen, führt Workshops und Forschungsprojekte durch und setzt drei CreatiVelos ein, bald sollen es sieben sein.
In Indien wurde nun bereits die zweite Challenge durchgeführt – eine Art mehrwöchige Sommeruniversität mit selbstorganisiertem Lernen: 12 Universitäten, über 30 Teams, über 150 Studierende. Die Studierenden schraubten die CreatiVelos vor Ort selbst zusammen mithilfe eines Startkapitals und dem, was sie auf Schrottplätzen fanden.. Ihre Universitäten unterstützen die Teams materiell und inhaltlich, so Altekruse. Die Teams entwickelten eigene Forschungsideen für die Challenges und schwärmten dann für acht Wochen aus. Adressiert werden dadurch etwa die Nachhaltigkeitsziele Klimaschutz und hochwertige Bildung: Ein CreatiVelo wurde so zur mobilen Gesundheitsberatung, mit der die Studierenden durch Dörfer radelten und über den Monitor Ärztinnen hinzuschalteten. Das sei bei den Menschen vor Ort und den Ärztinnen sehr gut angekommen und habe Mut gemacht, berichtet Altekruse. Ein anderes Team verschrieb sich mit einem Forschungsprojekt der Mädchenbildung und versuchte Diskriminierungen abzubauen. Wieder ein anderes Team habe Schadstoffe im Fluss Brahmaputra gemessen und dann gemeinsam mit NGOs angefangen, ihn zu reinigen. Die Studierenden hätten anschließend von einer Erfahrung fürs Leben geschwärmt und große persönliche Lernerfolge erzielen können, so Altekruse. Die erste Kohorte stand der zweiten als Coach zur Seite. Eine dritte Kohorte solle bald starten. Festgehalten werden diese Geschichten per Handyvideo und Posts auf Social Media oder es werden Vorträge gehalten. Auch die lokale Presse berichte.

Mut nach der Flut

In Deutschland ist ein CreatiVelo im Ahrtal unterwegs. Entstanden sei die Idee gemeinsam mit einer Psychologin, die mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen nach der Flutkatastrophe arbeitete. An einem Gymnasium in Adenau führte Y4P 2022 gemeinsam mit Psychologinnen einen Storytelling-Workshop durch, um sie zu ermutigen. Dabei blieb es nicht. Menschen in Sinzig im Ahrtal hörten vom Workshop und dem CreatiVelo. Mehrere Bildungsinstitute hatten sich nach der Flut zu einer Bildungsregion zusammengeschlossen. Dort ist das CreatiVelo nun als mobiles Event-Studio zum Erkunden von Berufs- und Ausbildungswegen im Einsatz und wird von verschiedenen Schulen bespielt: „Die Idee ist, eine Art Frischzellenkur für das Ahrtal aufzubauen, wo die jungen Leute nicht gehen müssen, sondern lernen, dass Dableiben auch was Gutes für sich hat und sie gestalten können“, erklärt Altekruse. Die Aufbruchshaltung für das Ahrtal nach der Katastrophe werde so durch das CreatiVelo unterstützt. Die Botschaft: „Hey da geht noch mehr. Lasst euch nicht entmutigen“, sagt Altekruse.
Diese Botschaft will er am liebsten überall verbreiten. Seine Vision: Jede deutsche Hochschule und jede Schule hat Action Teams mit CreatiVelos. Leider seien hierzulande die Strukturen sehr „verknöchert“ und es habe einige Rückschläge gegeben. Er sei im Kontakt mit der Initiative „Frei Day“, die sich dafür einsetzen, dass ein Tag die Woche freigeschaufelt wird für Zukunftsthemen. Das CreatiVelo sei wie dafür gemacht, neue Zukunftsformate umzusetzen, findet er. Etwa könnten Schüler*innen die Luftqualität in Stadtteilen messen und den Gemeinderäten vorlegen.

„Wir bauen Denkweisen und Systeme auf, wie zum Beispiel das CreatiVelo-Betriebssystem für ein bewegtes Lernen, was so aufgebaut ist, dass die Beteiligten lernen, wie sie für sich eine positive Zukunftsvision entwickeln“, so Altekruse von Y4P. Er steht vor dem ersten CreatiVelo frisch nach der Auslieferung.

Bildung in Bewegung

Vielleicht kommt bald auch das Bildungssystem in Nigeria ins Rollen. Auf der Klimakonferenz in Dubai baute sich ein Kontakt zum nigerianischen Gouverneur Mohammed Umaru Bago auf. Dieser möchte nun Tausende CreatiVelos mit Y4P für Nigeria organisieren, um sie als mobile Schulen einzusetzen, da in Nigeria aus unterschiedlichen Gründen viele junge Menschen die Schule abbrechen. So könnten junge Menschen direkt bei sich im Ort weiter an Bildung kommen. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sei angefragt für Gelder, so Altekruse. Auch seien bereits die ersten Kontakte zu Edmilson Rodrigues, Bürgermeister von Belem in Brasilien, wo 2025 die Klimakonferenz stattfinden wird, geknüpft. Der Plan: 2025 soll ein Y4P-Action Team mit CreatiVelo vor Ort sein.
Es wird deutlich: Geht nicht gibt‘s weder für ein kreatives Lastenrad noch für Altekruse. Für ihn gelte stets das Prinzip: „Da, wo ich heute stehe, kann ich anfangen loszulegen und neu entwickeln, nicht in die Vergangenheit gucken und sagen ‚Ach Mist‘.“ Er gucke immer nach der nächsten Chance. Die nächste Chance, die ins Rollen kommen kann.


Bilder: Youth4Planet

Mit dem Fahrzeug Ono hat Onomotion ein Segment eta-bliert, das die Vorteile von Autos und E-Bikes vereinen will. Der Berliner Hersteller zeigt sich bis heute visionär und innovativ. Welche Rolle die Fahrzeuge vor allem auf der letzten Meile in einer nachhaltigen Zukunft spielen werden, liegt aber nicht nur in den Händen der Mitarbeiter*innen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Wenn Beres Seelbach daran denkt, wie er und seine Mitgründer der Onomotion GmbH im Jahr 2018 den ersten Design-Prototypen des heute als Ono bekannten Fahrzeugs vorstellten, erfüllen ihn positive Emotionen. „Damals waren wir im Motion.Lab, einem Coworking-Space für Hardware-Start-ups. Wir haben viele Freunde, teilweise aber auch Geschäftspartner, Gesellschafter, Investoren und Familie eingeladen. Unsere Mitarbeiter aus dem Marketing hatten eine ganz tolle Präsentation vorbereitet und das Fahrzeug kam am Ende mit ein bisschen Rauch auf die Bühne. Es ist, glaube ich, ein paar Stunden vorher fertig geworden.“
Vor diesem Moment lag ein langer Weg. Der Präsentation der ersten Fahrzeuggeneration des Schwerlastenradherstellers gingen an die drei Jahre Produktentwicklung voraus. Ein erster Prototyp, den Onomotion in den Büros in Berlin ausstellt, beweist eindrucksvoll, wie viel in der Entwicklungsphase passiert ist. Das unverkleidete Fahrzeug mutet wie das Projekt eines fähigen Hobbybastlers an. Als Sitz fungiert ein Ikea-Stuhl, dessen Gestell abgeschraubt wurde.
Mit den Fahrzeugen, die Onomotion 2019 in einer Pionier-Ausführung und seit 2020 regulär produziert, hat der erste Prototyp abgesehen von seinen Abmessungen augenscheinlich wenig gemeinsam. Die Firma, die in ihren Anfängen Tretbox hieß, baut ein dreirädriges Schwerlastenrad mit Elektromotor, Wetterschutz und einer Ladefläche mit austauschbaren Container-Modulen. Die Nutzlast beträgt bis zu 200 Kilogramm, das Ladevolumen zwei Kubikmeter.
Geboren wurde das Design für die Ono (das Modell ist eine Sie), weil die Gründer einen Bedarf für eine neue Fahrzeuggattung sahen und diesem nachgingen. „Es hat begonnen mit den Kundenwünschen und den Kundenanforderungen und einem leeren Blatt Papier“, erklärt Geschäftsführer Beres Seelbach.
Die genauen Anforderungen ermittelten er und seine Mitgründer zu Beginn des Entwicklungsprozesses in Gesprächen mit Kurier-, Express- und Paketdiensten (KEP) wie UPS, Hermes und DPD. Für das Start-up war diese Zielgruppe damals unter anderem attraktiv, weil wenig Marketing nötig war, um die Dienstleister für sich zu gewinnen. „Die suchen quasi proaktiv nach einer Lösung“, erklärt Seelbach.

Die Montage findet bei Onomotion auf Hebebühnen statt. Perspektivisch könnte es sinnvoll sein, auf Fließbandmontage umzustellen.

Ist das noch Fahrradbranche?

Die Frage, ob das denn noch ein Fahrrad sei, dürfte den Fahrer*innen, die mit der Ono im Alltag unterwegs sind, nicht selten begegnen. Schon das fehlende Kennzeichen des Fahrzeugs ist ein starkes Indiz, wie diese zu beantworten ist. Noch valider als die Überlegung zur Fahrzeuggattung scheint hingegen die Frage zu sein, wie viel Fahrradbranche im Unternehmen Onomotion steckt. Die Historie der drei Firmengründer zumindest ist stark von der Automobilbranche geprägt. „Man merkt das vor allem am Design-Prozess, der eins zu eins aus der Automobilbranche stammt, also das Handzeichnen und Tapen. Das Einzige, was wir nicht gemacht haben, ist, das Fahrzeug aus Ton zu bauen“, erzählt Beres Seelbach mit Blick auf die gängige Design-Praxis in der Automobilindustrie, neue Modelle in Realgröße aus Ton zu formen.
Seelbach selbst hat gemeinsam mit Mitgründer und Fahrzeugingenieur Philipp Kahle vor der Onomotion-Zeit ein Service- und Vertriebsnetz für Elektrofahrzeuge aufgebaut. Murat Günak, der dritte im Bunde, war langjähriger Chefdesigner bei Mercedes und der Volkswagen-Gruppe. „Durch Murat stand das Thema Design von Anfang an sehr stark im Vordergrund“, so Seelbach. Günak zeichnete die ersten Design-Entwürfe von Hand. Mit Tape wurde der Entwurf auf eine weiße Wand übertragen und im Anschluss in ein Design-Programm übernommen. Parallel begannen die Ingenieure damit, Rahmen und Aufbau der Ono zu konstruieren. Mock-ups aus einfachen Materialien waren der nächste Schritt im Design-Prozess. Seelbach: „Dann haben wir erste Design-Prototypen gebaut, die noch etwas anfällig waren, was die Haltbarkeit angeht. Die haben wir dann auch den Kunden vorgestellt.“ Einmal ausgereift, wurde das grundlegende Design dann festgezurrt, und der Fokus verschob sich darauf, die tatsächlichen Fahrzeuge so haltbar, wartbar und produzierbar wie möglich zu machen.
Mittlerweile stellt das Berliner Unternehmen die Ono bereits in der vierten oder fünften Fahrzeuggeneration und die Container in der dritten Generation her. Beres Seelbach: „Das ist eigentlich für die Fahrenden und für die Kunden gar nicht sichtbar, aber wir bringen mit der Maintenance lauter Updates ein, die technischer Natur sind und vor allem die Zuverlässigkeit erhöhen und dadurch die Kosten senken.“

„Zu sagen, dass sich ein Mikrodepot langfristig rechnen müsse, ist vielleicht ein bisschen zu kurz gedacht.“

Beres Seelbach, Geschäftsführer Onomotion GmbH

Beres Seelbach hat Onomotion gemeinsam mit Philipp Kahle und Murat Günak 2016 gegründet. Die drei vereinen reichlich Expertise, die unter anderem aus der Automobilbranche stammt.

Wartungsintervalle sind entscheidend

Die verschiedenen Fahrzeuggenerationen unterscheiden sich bezüglich der verwendeten Komponenten. Komponenten wie die Shimano-Schaltung Nexus stammen vom Fahrrad. Viele Zulieferer kommen aber auch aus dem Automotive-Bereich. In der jüngeren Vergangenheit wechselte Onomotion zum Beispiel den Bremsenhersteller. Anstatt mit Magura-Fabrikaten rollen die Onos heute mit Bremsanlagen der Firma Fahrwerker aus dem Werk. Die Firma hat sich auf das Segment der Schwerlastenräder spezialisiert, eine Fahrzeuggattung, die neben Onomotion unter anderem Rytle, Mubea oder Citkar als Mitbewerber vorantreiben. Der Grund für den Wechsel der Bremsen liegt darin, dass die Fahrwerker-Modelle eine größere Haltbarkeit und längere Wartungsintervalle bieten. „Ich denke, dass das eine oder andere Fahrradbauteil in Zukunft noch ersetzt wird“, meint Beres Seelbach. „Nicht nur der Markt kommt in die Gänge, sondern auch die Zulieferinfrastruktur. Immer mehr Zulieferer entwickeln Komponenten wie Bremsen, Motoren oder Fahrwerke für diese neue Kategorie.“
Die Wartungsintervalle sind bei den gewerblichen Kunden die Krux, wenn es darum geht, rentabel zu sein. Die Ansprüche sind hoch, wie Seelbach erklärt: „Wir sprechen Kunden an, die normalerweise eher in einem Lieferwagen oder Transporter sitzen. Die sind es gewohnt, maximal einmal im Jahr, alle zehn- oder zwanzigtausend Kilometer zu einer Wartung zu fahren. Da ist bei uns definitiv noch Luft nach oben.“ Erste Kunden sind ihre Onos bereits 20.000 Kilometer gefahren. Das Unternehmen zielt über die Lebensspanne eines Fahrzeugs auf Laufleistungen zwischen 50.000 und 100.000 Kilometer ab.
Zu Beginn musste die Ono alle 600 Kilometer gewartet werden. Mittlerweile ließ sich die fahrbare Strecke zwischen zwei Wartungsterminen auf 2000 Kilometer erweitern. Perspektivisch will das Unternehmen diesen Wert noch um ein Vielfaches nach oben schrauben, um dem „Automobilstandard“ etwas näher zu kommen. Neben noch besseren Bremsen könnte auch der ketten- und ritzellose Antrieb eines seriellen Hybrids ein sinnvoller Schritt sein. „Das ist nicht das perfekte Fahrradfahrgefühl, aber in dieser Produktkategorie erwartet man das, glaube ich, sowieso nicht“, sagt Seelbach. Auch die Verkleidungsteile der Ono sollen noch robuster werden. Über Befragungen, unter anderem direkt auf dem Fahrzeug-Display, prüft der Hersteller, wie zufrieden seine Kundschaft ist. Verbesserungswünsche sammelt Onomotion auf einer Prioritätenliste. Aktuell in Arbeit und bald erhältlich ist eine Federung für die Hinterachse, die den Fahrkomfort gerade an langen Arbeitstagen erhöhen soll.
Auch wenn Onomotion stellenweise noch Aufholbedarf zum „Automobilstandard“ sieht, kombiniert das Schwerlastenrad grundsätzlich die Vorteile von Kfz und Fahrrädern und bietet somit gewissermaßen das Beste aus zwei Welten. Die Ono ist flexibel, platzsparend und hat entnehmbare Akkus. Als E-Bike lässt sie sich ohne Führerschein und auf der Fahrradinfrastruktur fahren und direkt am Zielort abstellen.
Gleichzeitig ist das Cargobike in Sachen Komfort, Design und Qualität eher dem Kfz nahe. Mit Gesamtkosten, die perspektivisch auf wenige Cent pro Kilometer fallen sollen, ist das Konzept auch wirtschaftlich für viele Lieferwagennutzerinnen interessant. Wie sehr diese Vorteile greifen, hängt mitunter stark von externen Bedingungen ab, weiß Seelbach: „Ich glaube, dass du immer diese zwei Faktoren hast. Das eine ist das Produkt, für das man als Unternehmer verantwortlich ist. Das andere sind die Marktbedingungen, für die die Politik und die Gesellschaft verantwortlich sind.“ Spürbar seien die externen Faktoren im Vergleich verschiedener Märkte. Onomotion ist in Deutschland gestartet, mittlerweile ist das Vereinigte Königreich ein mindestens genauso wichtiger Markt. Das liegt laut Seelbach nicht etwa an einer Förderung oder einem besonders hohen intrinsischen Interessen an Lastenrädern. Vielmehr scheint die Situation dort für Lieferwagen erheblich restriktiver zu sein. So wird die Ono als Alternative deutlich attraktiver. Aus demselben Grund findet Onomotion vergleichsweise leicht urbane Kundinnen in Österreich oder Belgien.

„Ich glaube, dass du immer diese zwei Faktoren hast. Das eine ist das Produkt, für das man als Unternehmer verantwortlich ist. Das andere sind die Marktbedingungen, für die die Politik und die Gesellschaft verantwortlich sind.“

Beres Seelbach, Geschäftsführer Onomotion GmbH

Am Standort in Berlin Mitte finden neben der Montage auch die Geschäftsführung, die Entwicklung und der Service für die Fahrzeuge in der Region Platz.

Verlässliche Mikrodepots

Im Kerngeschäft mit den KEP-Diensten steht und fällt der Erfolg vor Ort häufig mit den Mikrodepots, also kleinen, zentral gelegenen Lagern, von denen aus die Lastenräder ihre Routen beginnen können. Es gibt zwar ein paar Pilotprojekte, die als solche Förderung erhalten. Unter Realkosten werden sie nach Ende des Förderzeitraums dann oft nicht weitergenutzt. Wie bei Kaufprämien gilt für Onomotion auch hier, dass eine Förderung, wenn es sie denn gibt, langfristig und planbar sein muss. Vorzeigeprojekte nach dieser Maßgabe fallen Beres Seelbach zum Beispiel in Paris ein. Seitens der Fördergeldgeber wünscht er sich ein Umdenken: „Zu sagen, dass sich ein Mikrodepot langfristig rechnen müsse, ist vielleicht ein bisschen zu kurz gedacht.“ Schließlich verursachen Liefer-Kfz auch ohne Mikrodepots enorme Kosten, indem sie Bordsteine und Straßen abnutzen.
Allgemein ist es nicht leicht, in Innenstädten freie Flächen für Mikrodepots zu finden. Ein kleiner Lichtblick findet sich in Form von Parkhausbetreibern, zum Beispiel dem Unternehmen Apcoa, mit dem Onomotion an mehreren Standorten kooperiert. Dort wo weniger Autos in die Innenstadt fahren, sind Mikrodepots als alternative Nutzung der Parkplätze durchaus willkommen. Doch auch diese Art der Nutzung scheitert in der wirtschaftlich knapp gestrickten KEP-Branche oft am Geld.
Wer die Fahrzeuge von Onomotion nutzen will, muss nicht zwangsläufig auf einen Schlag viel Geld in die Hand nehmen. Die Kundinnen können die Onos direkt kaufen, sie als Vehicle-as-a-Service im Rundum-sorglos-Paket mieten oder wie 80 Prozent der Nutzerinnen über ein Leasing-Angebot des Herstellers finanzieren.
Neben den Paketzustellern adressiert das Berliner Unternehmen auch Handwerksbetriebe, vor allem im Facility-Management, und den Bereich der Werkslogistik. Auch Modelle, um Akkus einer E-Scooter-Flotte zu wechseln oder aktiv gekühlte Lebensmittel zu transportieren, hat Onomotion bereits verkauft. Jenseits der KEP-Logistik haben Schwerlastenräder durchaus noch Erklärungsbedarf. „Die Arbeit lohnt sich aber noch eher, wenn die Produkte noch interessanter für diese Branchen sind“, erklärt Seelbach. Das sei dann der Fall, wenn die Verkaufspreise, die aktuell je nach Ausstattung zwischen 15.000 und 20.000 Euro liegen, eher in Richtung 10.000 Euro gingen. Das will das Team von Onomotion durch günstigere Einkaufsbedingungen, neue Lieferanten und ein Angebot an simpleren Fahrzeugen erreichen. Künftig dürfte die Ono also in einer Light-Version erscheinen, bei der gewisse Komponenten, etwa das Container-System, aufpreispflichtig sind.

„Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren ein richtiger Volumenhersteller sind und mehrere Tausend oder Zehntausend Fahrzeuge in ganz Europa, vielleicht auch in Nordamerika und anderen Ländern vertreiben.“

Beres Seelbach, Geschäftsführer Onomotion GmbH

Der Drang, Städte lebenswerter zu machen

Die Montage am Standort in Berlin Mitte, den Onomotion vor rund zwei Jahren bezogen hat, soll ebenfalls effizienter werden. Aktuell statten die Mitarbeiter*innen die einzelnen Rahmen dort auf Hebebühnen mit den richtigen Komponenten aus. Bei größeren Stückzahlen dürfte ein Umstieg auf Fließbandmontage sinnvoll sein, so Seelbach. Gefertigt werden die einzelnen Bauteile von Zulieferern. Pro Fahrrad sind es rund 400 verschiedene Komponenten und insgesamt 1400 Einzelteile. Die meisten Bauteile, die bis auf einen einstelligen Prozentsatz aus europäischer Produktion stammen, werden verschraubt, die wenigsten verklebt. Für Onomotion ist diese Konstruktion ein wichtiger Schritt, um die Fahrzeuge reparierbar und am Ende ihres Lebenszyklus als Rohstoffe verwertbar zu halten.
Neben der Montagehalle finden mit Geschäftsbereichen wie der Entwicklungsabteilung, der Geschäftsführung oder dem Innendienst knapp 40 Personen in dem Gebäude in der Scheringstraße einen zentral in Berlin gelegenen Arbeitsplatz. Fahrzeuge, die in Berlin unterwegs sind, werden hier gewartet und repariert. Außerhalb Berlins kümmern sich eine Handvoll eigener Mitarbeiter und einige Partnerunternehmen um den Service.
Das Onomotion-Team ist jung und interdisziplinär. „Was uns eint, ist der Drang, die Städte lebenswerter zu machen“, sagt Seelbach, der Onomotion gern scherzhaft ein Umzugsunternehmen nennt. Der Hintergrund sind einige Standortwechsel, welche die Firma bereits hinter sich hat. Obgleich Onomotion laut Seelbach in München oder Stuttgart eventuell besser aufgehoben wäre, ist der Hersteller der Hauptstadt bislang treu geblieben. Die Stadt sei weltoffen und stelle gerne Dinge infrage: „Für mich ist Berlin schon immer eine Stadt der Start-ups gewesen. Ich finde es spannend, hier zu gründen.“ Durch das internationale Publikum in Berlin, das vor Ort die Fahrzeuge wahrnehme, habe Onomotion zudem bereits Anfragen aus der ganzen Welt bekommen.
Seelbach wünscht sich, vielen dieser Anfragen in einigen Jahren nachgehen zu können: „Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren ein richtiger Volumenhersteller sind und mehrere Tausend oder Zehntausend Fahrzeuge in ganz Europa, vielleicht auch in Nordamerika und anderen Ländern vertreiben.“ Die Produktionskapazität beziffert der Co-CEO aktuell auf mehr als 1500 Fahrzeuge im Jahr. Noch wird sie vor allem durch eine ausbaufähige Nachfrage begrenzt.
Die großen Wachstumszahlen im Lastenradmarkt seien in den vergangenen Jahren eher durch normale Cargobikes und vor allem Familien-Cargobikes als durch Schwerlastenräder zustande gekommen, meint Seelbach. „Wir hängen, glaube ich, eher am Zyklus der Gesamtwirtschaft und eigentlich noch wichtiger: am E-Commerce“, erläutert der Geschäftsführer. Der E-Commerce-Bereich ist im letzten Jahr um elf Prozent zurückgegangen. Bei den KEP-Dienstleistern herrsche entsprechend eher Krisenstimmung und wenig Laune für Innovationsprojekte.

400 verschiedene Bauteile und insgesamt rund 1400 Einzelteile sind nötig, um ein Schwerlastenrad von Onomotion zu bauen.

Lösungen von morgen

Vor allem Mischflotten mit Lastenrädern, Lkws und elektrischen Transportern sieht Seelbach trotz des konjunkturellen Dämpfers im E-Commerce als die Zukunft des Lieferverkehrs. Im April erst hat Onomotion deshalb eine Kooperation mit Mercedes Benz Vans vorgestellt. Ein spezieller E-Sprinter soll als mobiles Mikrodepot fungieren und die Onos flexibel für die Letzte Meile beliefern. Der E-Sprinter kommt mit Hebebühne, spezielle Ono-Container sind mit seiner Ladefläche kompatibel.
In einer anderen Kooperation werden Onos für ein Pilotprojekt der Uni Magdeburg mit Technik ausgestattet, die es ihnen ermöglicht, autonom zu fahren. Bis zur Serienlösung wird es allerdings noch dauern. Die autonomen Fahrzeuge sollen die Fahrerinnen eher nicht ersetzen, sondern ihnen den Alltag erleichtern, meint Seelbach: „Die Idee ist nicht, dass die Ono die komplette Lieferroute selber abfährt, sondern sie fährt quasi neben dem Zusteller her, damit der sich auf die Zustellung konzentrieren und schon zur nächsten Haustür vorgehen kann und das Fahrzeug ihm folgt.“ Die Technik könne auch für andere Branchen, etwa die Stadtreinigung von Interesse sein. Sie unterstreicht einmal mehr den Anspruch des Unternehmens, bei den Lösungen von morgen mittendrin zu sein. Als weiteres potenzielles Geschäftsfeld der Zukunft haben Seelbach und seine Kolleginnen bereits zu Gründungszeiten den Personentransport identifiziert. Für Menschen, die kein Auto mehr nutzen wollen, aber das Fahrrad oder E-Bike als etwas zu wenig empfinden, könnte die Zwischenlösung Schwerlastenrad interessant sein. Auch als Taxi-Service wäre es denkbar, so ein Fahrzeug zu nutzen. Den Vorzug erklärt Seelbach: „Wenn man in Berlin am Hauptbahnhof ankommt, nach Berlin Mitte will und sich in ein normales Taxi setzt, ist man wahrscheinlich deutlich länger unterwegs, als wenn man sich in eine komfortable Rikscha setzen würde. Die könnte man dann vielleicht auch über eine App buchen und die Fahrradwege im Regierungsviertel nutzen.“


Bilder: Aleksander Słota

Das Jahrhunderthochwasser hat vor zwei Jahren weite Teile der Stadt Stolberg bei Aachen zerstört. Beim Wiederaufbau will die Stadtregierung nun die Mobilität in der zerstörten Region neu ordnen. Stolberg soll zur Stadt der kurzen Wege werden. Ein Ortsbesuch. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Der Baulärm ist in Stolberg allgegenwärtig. Am Mühlener Bahnhof im Stadtzentrum sanieren Bauarbeiter den Parkplatz und rütteln Pflastersteine ins Sandbett. In der nahe gelegenen Geschäftsstraße wird hinter vielen der verbarrikadierten Fensterfronten gebohrt und gesägt, und in der angrenzenden Fußgängerzone reißen Bagger die Straße auf, um neue Leitungen für Strom, Gas und Wasser im Erdreich zu verlegen.
Seit zwei Jahren leben die Menschen in Stolberg, rund 15 Kilometer westlich von Aachen gelegen, auf einer riesigen Baustelle. Wann sämtliche Schäden behoben sind, ist nicht absehbar. Im Sommer 2021 hatte das Jahrhunderthochwasser die Talachse der Kupferstadt mit voller Wucht getroffen. Im Süden überschwemmte die braune Brühe zunächst die Produktionsmaschinen in den Industriebetrieben. Weiter flussabwärts walzte sie mit jeder Menge Unrat durch die frisch renovierte Fußgängerzone, setzte dort das Rathaus unter Wasser und breitete sich Stunde um Stunde in den umliegenden Straßen aus. Bis auf drei Meter Höhe türmte sich die Wassermasse an den Hausfassaden und riss alles mit, was sich ihr in den Weg stellte. Sie unterspülte die Asphaltdecke und verdrehte sie wie einen Hefezopf. Sie zerstörte Brückenpfeiler und riss Krater in Schwimmbadgröße in die Straßen. Nahezu alle Wohnungen und Geschäfte im Erdgeschoss der Talachse, dem Herzstück der Stadt, wurden geflutet.
„Das Ausmaß der Zerstörung war unglaublich“, sagt Bürgermeister Patrick Haas. Als er jedoch inmitten der Trümmer mit den Rettungskräften und den Anwohnern sprach, stand schnell für ihn fest: Ein Wiederaufbau allein reicht nicht aus. „Wir müssen die Katastrophe als Chance nutzen“, sagt er. Die Menschen brauchen eine Perspektive, um in Stolberg zu bleiben. Die will er ihnen geben, indem er in seiner Stadt so viel Klimaschutz, Klimaanpassung und nachhaltige Mobilität umsetzt wie möglich. Stolberg soll zu einer Stadt der kurzen Wege werden. Der Arbeitsaufwand dafür ist immens. Statt nur die alte Infrastruktur wiederherzustellen, arbeitet das Team um den Mobilitätsmanager der Stadt, Georg Trocha, mit Hochdruck daran, die öffentlichen Flächen in der Talachse, der Hauptschlagader der Kernstadt, neu aufzuteilen. Sie legen im „Verkehrskonzept Talachse“ für jeden Streckenabschnitt fest, welche primären Ziele sie erfüllen soll, also ob der Bus-, Rad-, Fuß- oder Autoverkehr dort bevorzugt wird. Außerdem kooperieren sie mit den Unternehmen in den Gewerbegebieten, um den Mitarbeiterinnen fürs Pendeln eine Alternative zum Privatwagen anzubieten.

In der Fußgängerzone werden noch neue Versorgungsleitungen verlegt. Aber der Neuanfang ist gemacht: Die Goldschmiede ist geöffnet.

Vorgeschichte ohne Katastrophe

Der Entschluss des Bürgermeisters, die Mobilität in der Talachse neu zu ordnen, hat eine Vorgeschichte, die schon vor der Flutkatastrophe beginnt. Auf seine Initiative hin hatte die Stadtregierung bereits 2018 das „Klimafreundliche Mobilitätskonzept“ beschlossen. Stolberg brauchte damals dringend eine Alternative zum Auto im Alltag. Etwa ein Drittel der Treibhausemissionen, die vor Ort produziert werden, verursacht der Autoverkehr. Das ist ein typischer Wert für ländliche Regionen, aber viel im Bundesdurchschnitt, wo der Wert mit rund 20 Prozent deutlich niedriger liegt. In Stolberg war zu diesem Zeitpunkt ein umweltgerechter Umbau nicht möglich, weil der Stadtrat bereits 2015 die Pläne für den Umbau der Talachse beschlossen hatte. Diese wurden 2019 umgesetzt. Nach der Flut gab das Mobilitätskonzept Haas den notwendigen Rückenwind, um in der Talachse den Rad- und Busverkehr zu stärken.
Die Rahmenbedingungen für den Umstieg auf den Umweltverbund sind gut. Die 60.000-Einwohner-Stadt ist an ein attraktives Schienennetz angebunden. Vom Hauptbahnhof am Stadtrand fährt bis zu viermal pro Stunde ein Regionalexpress Richtung Aachen oder Köln. Die Euregio-Bahn verbindet die Stadt zudem mit dem Umland und den Niederlanden und hält viermal im Stadtgebiet. Was den Pendlerinnen und Stadtbewohnerinnen bislang fehlte, war ein attraktives Stadtbussystem sowie eine Radinfrastruktur, auf der die Menschen sicher und bequem durch die Stadt oder zu den Bus- und Bahnhaltestellen radeln können.
Der Platz für mehr Radwege und neue Buslinien, die die Wohngebiete passieren, soll von den bisherigen Flächen für den Autoverkehr kommen. Damit das klappt, muss insbesondere das Parken neu geordnet werden. „Die Autos sollen in der Kernstadt nicht mehr überall am Fahrbahnrand abgestellt werden, sondern nur noch dezentral in Parkhäusern, Park&Ride-Stellplätzen oder auf neuen Sammelparkplätzen, die wir bauen werden“, sagt Haas. Die Idee ist, dass alle Autofahrenden in der Talachse dennoch im Umkreis von 150 bis 200 Meter einen Parkplatz finden. Sind die Wohnstraßen erst mal von geparkten Autos am Fahrbahnrand befreit, könnten dort neue Stadtbuslinien verkehren. Bislang scheiterten diese aufgrund des ruhenden Verkehrs an zu schmalen Fahrspuren und zu engen Kurven.

„Mir ist es lieber, nur drei Routen in Gänze zu bauen, als einen Flickenteppich zu produzieren.“

Georg Trocha
Mobilitätsmanager der Stadt Stolberg

Durchgehende Radroute statt Flickenteppich

Der gewonnene Platz soll auch für breitere Gehwege und neue Radwege genutzt werden. Radstreifen, separate Radwege oder Fahrradstraßen sind in Stolberg bislang die seltene Ausnahme. Das spiegelt auch das Mobilitätsverhalten der Anwohnenden wider. Nur magere drei Prozent der Wege wurden laut letzter Mobilitätsbefragung 2016 mit dem Rad zurückgelegt. „Mittlerweile sind es zwar deutlich mehr, aber wir stehen beim Ausbau des Radverkehrs noch am Anfang“, sagt Trocha.
Vor drei Jahren wurde ein Radverkehrsplaner eingestellt, der das bereits 2018 skizzierte gesamtstädtische Routennetz mit 18 Hauptrouten schrittweise umsetzen soll. „Das sind die wichtigsten Verbindungen für Radfahrer, um durch die Stadt zu kommen“, sagt Trocha. Sein Anspruch ist, jede dieser Routen stets komplett fertigzustellen. „Mir ist es lieber, nur drei Routen in Gänze zu bauen, als einen Flickenteppich zu produzieren. Schließlich wollen wir die Menschen aufs Rad bringen“, sagt er.
Eine der wichtigsten Verbindungen ist die Radroute, die in der Talachse parallel zum Fluss Vicht verläuft. Über eine Länge von rund sieben Kilometer verbindet sie die Industriestandorte am Stadtrand mit der Altstadt, den Geschäftsstraßen und dem Mühlener Bahnhof im Zentrum der Kupferstadt und führt dann weiter bis zum Hauptbahnhof am anderen Ende der Stadt. Diese Route ist für die Pendlerinnen, Anwohnerinnen attraktiv und sogar für Tourist*innen. Denn sie führt mitten durch die Fußgängerzone. Von dort sind es nur wenige Schritte hoch in die Altstadt mit ihren pittoresken Gässchen bis zur mittelalterlichen Burg.

Wenn alles nach Plan geht, wird in den kommenden Wochen der Gehweg um einen zweieinhalb Meter breiten Radweg erweitert.

Zweirichtungsradweg für die Talachse

In der Fußgängerzone unterhalb der Burg hat die Flut besonders gewütet. Als das Wasser abfloss, türmten sich dort bis auf Brusthöhe Tische, Stühle, Bretter und sonstiges Treibgut aus Holz, Metall und Plastik. Heute ist davon zwischen Geschenkladen und Goldschmiede nichts mehr zu sehen. Bunte Windspiele, Blumenkübel und kleinen Aufsteller locken die Pas-santinnen in die Läden. Aber weiterhin sind viele der umliegenden Ladenlokale verwaist. Ihre Schaufenster sind verbarrikadiert und dokumentieren mit frontfüllenden Fotos die Flutschäden. Dieser Teil der Talachse ist ein Lichtblick für die Stadtbewohn-erinnen. Seit dem Frühling verlegen hier Bauarbeiter Versorgungsleitungen im Erdreich. „Wenn die Fußgängerzone im Anschluss neu gepflastert wird, bekommt sie in der Mitte einen drei Meter breiten Zweirichtungsradweg“, sagt Haas und schiebt sein Gravelbike an Bagger und Baustellenbaken vorbei. Wenn alles nach Plan geht, wird das Teilstück der Radroute gegen Ende des Sommers fertig sein.
Im weiteren Verlauf des Tals wird die Fortsetzung des Zweirichtungsradwegs derzeit geplant. In der angrenzenden Rathausstraße gilt zwar bereits Tempo 30. Allerdings animiert die schnurgerade Straße Autofahrende dazu, deutlich schneller zu fahren. Zwischen den abgestellten Pkw am Fahrbahnrand und drängelnden Fahrzeugen am Hinterrad ist Radfahren dort momentan nur für hart gesottene Fahrradfahrende alltagstauglich. Wie die Flächen dort künftig verteilt werden sollen, diskutieren die Ratsmitglieder in den kommenden Wochen.
Auf dem letzten Drittel der Strecke Richtung Bahnhof ist die Planung schon deutlich weiter vorangeschritten. Noch in diesem Jahr soll der vorhandene Gehweg um einen rund zweieinhalb Meter breiten Zweirichtungsradweg erweitert werden. „Für die Radfahrer ist das ein echter Gewinn“, sagt Trocha. Vor der Flut mussten sie sich hier ebenfalls mit den Autofahrenden die Fahrspur teilen.
Der Zeitdruck für die Feinplanung der Teilabschnitte, der übrigen Routen und ihre Umsetzung ist immens. „Wir müssen viele große Projekte in kurzer Zeit planen und fertigstellen“, sagt Trocha. Für das kleine Team ist das ein Kraftakt, aber zugleich die einmalige Gelegenheit, die Alltagsmobilität in Stolberg in kurzer Zeit spürbar zu verändern. In der Regel können Planer*innen in ihrem Arbeitsleben stets nur einzelne Bereiche eines Stadtteils umplanen. „Wir dagegen bauen die gesamte Talachse um“, sagt der Mobilitätsmanager. Hilfreich ist, dass der Ausbau des Radverkehrs schon seit Jahren vorbereitet wurde.

Ein Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof

Auf dem Bahnhofsvorplatz zeigt sich, wie Bürgermeister und Mobilitätsmanager den Radverkehr schon lange auf Zuwachs planen. Eine große Zahl überdachter Stellplätze und 36 abschließbare Fahrradboxen stehen hier zwischen Parkplatz und Bahnsteig. „Sämtliche Boxen sind vermietet und rund zwei Dutzend Radfahrer stehen auf der Warteliste“, sagt Trocha. Mit diesem Bedarf hatte bei der Fertigstellung 2016 noch niemand gerechnet. „Damals standen gerade mal zehn Räder am Bahnhof.“ Trotzdem ließ die Stadt im Rahmen eines Förderprojekts 16 Fahrradboxen neben den Gleisen aufstellen. Als die Nachfrage hoch blieb, sorgten weitere Förderprogramme für Nachschub. Der stetig steigende Bedarf an sicheren Abstellplätzen ist für Trocha ein wichtiges Signal Richtung Stadtrat: „Diese Entwicklung beweist, dass die Infrastruktur, die wir bauen, immer auch eine Nachfrage erzeugt“, sagt er. Der nächste Schritt ist bereits gemacht. Im kommenden Jahr soll am Bahnhof ein Fahrradparkhaus mit 100 Stellplätzen entstehen.
Viele ihrer Mobilitätsideen setzen Patrick Haas und Georg Trocha selbst auch im eigenen Alltag um. „Ich habe drei Kinder, trotzdem haben meine Frau und ich ‚nur‘ ein Auto, das ist selten in unserer Region“, sagt Bürgermeister Haas. Er nutzt den Wagen werktags kaum, sondern fährt mit seinem Gravelbike ins Büro und zu all seinen Terminen. Obwohl die Region bergig ist und die Anstiege mit bis zu zehn Prozent Steigung immer wieder knackig. Trocha nimmt für seine Termine lieber ein E-Bike aus der Dienstfahrzeug-Flotte. „Mit Motorunterstützung ist Radfahren selbst in Stolberg fast für jedermann möglich“, sagt er.

Sichere Radabstellanlagen gibt es in Stolberg sowohl am Mühlener Bahnhof in der Stadt (links) als auch am Hauptbahnhof am Stadtrand (rechts)

Mit Unternehmen autoarme Mobilität fördern

Dass Stolberg Alternativen zum Privatwagen für die Alltagswege braucht, finden mittlerweile auch einige der lokalen Unternehmen. „Junge Ingenieure aus Aachen oder Düren fragen deutlich seltener nach einem Dienstwagen als noch vor zehn Jahren“, sagt Trocha. Vielmehr wollen sie diese Strecken per Bus, Bahn und Rad zurücklegen. Das berichten ihm ortsansässige Arbeitgeber. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen sie Alternativen zum Auto. Trocha reagiert darauf. Im kommenden Jahr startet er mit 16 Arbeitgebern aus Stolberg ein Projekt im Rahmen von „ways2work“.
Diesen Wettbewerb hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen initiiert. Die Aufgabe ist, autoarme Mobilität auch in ländlichen abgelegenen Gewerbegebieten umzusetzen. Stolberg ist eine von 15 Kommunen, deren Projektidee gefördert wird. Diese sieht vor, dass ab 2024 eine neue Stadtbuslinie nebst Rufbusverkehr vier Gewerbegebiete ans ÖPNV-Netz anbindet. Außerdem werden an den Unternehmensstandorten und im Stadtgebiet Sharing-Stationen für E-Bikes installiert. An der Umsetzung ist neben der Stadt Stolberg das regionale Verkehrsunternehmen ASEAG beteiligt und der Bike-Sharing-Anbieter Velocity Aachen.
Für die Arbeitgeber ist das Risiko gering. „Die Unternehmen zahlen für die Station mit sechs E-Bikes an ihrem Standort einen Eigenanteil von 8000 Euro“, sagt Trocha. Bei Bedarf kann die Flotte auch auf 12 oder 18 Räder erweitert werden. Die Resonanz bei den Unternehmen ist hoch. Anfang August waren 16 Arbeitgeber mit rund 1900 Mitarbeitern in Stolberg bei „ways2work“ dabei, Tendenz weiterhin steigend.

„Die Autos sollen in der Kernstadt nicht mehr überall am Fahrbahnrand abgestellt werden, sondern nur noch dezentral.“

Patrick Haas
Bürgermeister der Stadt Stolberg

Stadtbus im 15-Minuten-Takt

Die Mobilitätsstationen, die neue Buslinie und das Rufbussystem sind ein Vorgeschmack auf das neue Stadtbussystem, das die Stadtregierung in ein paar Jahren in der Kernstadt ausrollen will. Die neuen Linien sollen nicht mehr ausschließlich auf den Hauptstraßen unterwegs sein, sondern in die Wohnstraßen hineinfahren und dort in kurzen Abständen halten. Der Fußweg zur nächsten Haltestelle soll maximal 150 Meter betragen. „Momentan sind die Haltestellen oft 400, 600 oder 800 Meter entfernt und haben eine Steigung von zehn Prozent, das ist unattraktiv“, sagt Trocha. Acht Stadtbuslinien soll es geben, die im 15-Minuten-Takt zwischen 5 und 23 Uhr die einzelnen Haltestellen ansteuern. „Das Wichtigste ist der Takt, Takt, Takt!“, sagt Haas. Nur wenn die Menschen keinen Fahrplan benötigten und sich auf kurze Wartezeiten verlassen könnten, steigen sie um, sagt er. „Entscheidend ist, dass alle Busse gleichzeitig am Stadtbahnhof, dem Mühlener Bahnhof, ankommen und die Busse auch gleichzeitig abfahren“, sagt Trocha. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass jeder Fahrgast jeden Bus erreicht.

Bus und Bahn als Rückgrat für Alltagsmobilität

„Für uns sind der Bus und die Regionalbahn das Rückgrat der Alltagsmobilität“, sagt Trocha. Deshalb haben sie künftig Vorfahrt, vor dem Radverkehr und dem Autoverkehr. „Damit die Busse in die Wohngebiete überhaupt hineinfahren können, muss das Parken am Fahrbahnrand in den engen Straßen teilweise jedoch neu strukturiert werden“, sagt er. Im Frühjahr wurden in Stolberg bereits die potenziellen Routen abgefahren und angepasst. In den kommenden Wochen entscheidet der Stadtrat über die Pläne.
Der Ausbau des Stadtbussystems ist wie der Ausbau des Radverkehrs ein Projekt für die nächsten Jahrzehnte. Läuft alles nach Zeitplan, könnten laut Trocha zwei Buslinien im Jahr 2025 starten, sofern die Landesregierung die Finanzierung übernimmt.
Die Aufgaben in Stolberg sind riesig, der Kraft- und Arbeitsaufwand immens. Sämtliche Ratsmitglieder arbeiten ehrenamtlich. In den kommenden Monaten stellen sie die Weichen, wie sie und ihre Enkel zukünftig mobil sein werden. Wenn sie ihre aktuellen Vorhaben umsetzen, kann Stolberg in den kommenden Jahren zum Vorreiter werden und zeigen, wie eine nachhaltige Alltagsmobilität in ländlichen Kommunen aussehen kann. Bei allen Vorhaben sitzt dem Team um Haas und Trocha die Zeit im Nacken. Der Wiederaufbaufonds der Landesregierung und des Bundes ist momentan bis 2030 begrenzt.
Der Umbau der Mobilität ist dabei längst nicht die einzige Herausforderung. Gegen eine weitere Jahrhundertflut werden all die neuen Maßnahmen nichts ausrichten können. Das weiß Haas genau. „Das Wasser muss zukünftig weit vor unserer Stadt aufgehalten werden“, sagt der Bürgermeister. Ideen für große Rückhaltebecken inmitten grüner Wiesen weit vor der Stadt existieren bereits, die Pläne dafür sind noch nicht verabschiedet.


Bilder: Stadt Stolberg, Georg Trocha, Andrea Reidl

Über wenige Punkte ist man sich heute im Mobilitätssektor so einig wie darüber, dass der Einsatz von Lastenrädern eine wesentliche Bedingung für ein Gelingen der Verkehrswende ist. Aber welche Räder wo und wie einsetzen? Der Antwort dazu hat sich das Beratungsunternehmen Cargobike.Jetzt verschrieben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


165.000 – so viele Lastenräder mit elektrischer Unterstützung sind laut Zweirad-Industrie-Verband 2022 verkauft worden, ein Zuwachs von 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jemand, den diese Zahl nicht wundert, ist Martin Seißler. „Wir bemerken das direkt bei unseren Projekten. Im privaten Bereich ist das Lastenrad ein echter Selbstläufer geworden“, sagt der Geschäftsführer der Cargobike.Jetzt GmbH. Und auch die Kommunen hätten gemerkt, dass eine Verkehrswende – oder zumindest die Entlastung der Innenstadt – nicht ohne die großflächige Nutzung von Cargobikes ginge.
Die Aufgaben von Cargobike.Jetzt drehen sich ausschließlich um Lastenräder und ihren Sinn und Zweck als Transportmittel. Entsprechend sieht sich das Unternehmen nicht einfach nur als Berater rund ums Cargobike. „Wir sind eine Verkehrswende-Agentur“, so Seißler. Und dann hebt er an zu erklären und man merkt schnell: Das ist sein Thema.

Die Cargobike Roadshow ist ein Format, mit dem Familien und andere Zielgruppen niederschwellig ein Lastenrad antesten können.

Der Glaube an das Lastenrad

Allein in Europa gibt es etwa 200 Lastenradhersteller. Doch wer bringt Ordnung in dieses riesige Angebot? Ende 2020 gründete Martin Seißler mit Arne Behrensen die heutige GmbH „mit dem Ziel, die Verkehrswende mit dem Cargobike voranzubringen“. Und zwar, indem man den Menschen in allen Bereichen hilft, sich in dem Angebot an Lastenrädern zurechtzufinden. Da geht es zunächst um den bereits angesprochenen privaten Bereich, aber auch um den
gewerblichen – Cargobikes für Unternehmen in allen möglichen Variationen – und um den öffentlichen Sektor. „Was wir damals, als wir anfingen, vor allem brauchten, war Netzwerk-Erfahrung“, erklärt Seißler, „und die hatten wir beide.“ Mittlerweile ist aus dem Duo ein Unternehmen mit zwölf Angestellten und einer Vielzahl von Projekten geworden, die sich alle ums Lastenrad und seine Nutzung drehen.
Das Unternehmen sitzt am Franz-Mehring-Platz in Berlin, im Gebäude, in dem auch die sozialistische Tageszeitung „Neues Deutschland“ untergebracht ist. Mehr großstädtisches Ambiente geht kaum, und das passt für eine Verkehrswende-Agentur. Zu Pandemie-Zeiten war hier, wie fast überall, Homeoffice angesagt. „Jetzt ist wieder viel los im Büro in Berlin“, sagt Mitarbeiterin Kirsten Havers. Wie es sich für eine moderne Agentur gehört, läuft trotzdem viel digital, und die Arbeitsplätze werden flexibel zugeteilt.
Kirsten Havers ist bei Cargobike.Jetzt für die Projektkoordination zur gewerblichen Lastenrad-Nutzung zuständig – ein Feld, das noch viel beackert werden muss, wie wir noch sehen werden. Sie hat unter anderem beim BUND zu Themen wie Güterverkehr gearbeitet und ist seit 2021 bei Cargobike.Jetzt.

Bei der Cargobike Roadshow erklären Expert*innen die verschiedenen Modelle und ihre Vor- und Nachteile und bauen damit auch viele Vorurteile ab.

Lastenrad-Streetworker

Das bekannteste Projekt des Unternehmens ist die Cargobike Road-show als Testformat für Privatkunden. Kurztitel: Drei Lastenradexpert*innen und zwölf Lastenräder erobern eine Stadt. Dieses Jahr passiert das 53-mal in Deutschland. „Und diesmal ist die Roadshow erstmals in den östlichen Bundesländern unterwegs“, erzählt Seißler.
Die Organisation der Roadshow läuft über die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundliche Städte in Nordrhein-Westfalen (AGFS). Die Kommunen können sich bei der AGFS als Station der Road-show bewerben. „Die meisten Menschen nutzen das Angebot, weil die jeweilige Stadt noch keine Händler vor Ort hat“, so Seißler. „Sie wollen oft nur kurz vorbeischauen, sind nach drei Stunden immer noch da und haben Räder getestet.“ Und oft kaufen sie kurz danach ein Rad.
„Das Gewerbe ist da viel zögerlicher“, erklärt Seißler, „75 Prozent der Lastenräder dürften heute im privaten Einsatz sein, nur 25 Prozent im gewerblichen.“ Die Hersteller stellen die Räder zur Verfügung und sind Mit-Auftraggeber. „Wir sehen uns dabei als Kuratoren, stellen einen möglichst breiten Fuhrpark zur Verfügung.“ Schließlich sind auch die Interessenten bunt gemischt: Familien mit Kindern, Menschen, die ihren Einkauf transportieren, Menschen, die mit ihrem Hund mobil sein wollen. Schöner Nebeneffekt: „Die Entscheider in den Kommunen nehmen gern teil und lassen sich auf den Lastenrädern fotografieren.“

Lastenmobilität für Unternehmen: „Flottes Gewerbe“

Ein Punkt wird betont, wenn man mit dem Team spricht: Die Beratung der Unternehmen wie der privaten Lastenrad-Interessierten ist immer herstellerneutral. „Es ist uns enorm wichtig, dass das so ist – und die Interessenten und Interessentinnen das auch so wahrnehmen. Wir wollen die Kunden so beraten, dass sie oder er das genau passende Cargobike findet, und das hat zunächst nichts mit dem Hersteller zu tun“, erklärt Seißler.
Das gilt auch bei gewerblicher Nutzung. Um den Abbau des Rückstands der Nutzung im gewerblichen Bereich kümmert sich Projektleiterin Kirsten Havers mit dem vielleicht zweitwichtigsten Projekt Flottes Gewerbe. Das ist ein Projekt, das zusammen mit Städten organisiert wird. „In der Regel wenden sich die Kommunen an uns“, erklärt Havers. „Auch die IHK, die Handwerkskammer und Kreishandwerkerschaft sind oft involviert, sodass wir viele Unternehmen hierbei erreichen können.“
Lokale Unternehmen können sich ebenfalls für einen Lastenrad-Test innerhalb ihres Unternehmens bewerben. „Wir wählen dann acht Unternehmen pro Stadt aus. Dabei achten wir auf eine möglichst breite Streuung.“ In einer offiziellen Auftaktveranstaltung bekommen die Unternehmen ihre Räder übergeben, die sie dann fünf Wochen lang testen. Am Aktionstag gibt es zudem für interessierte Unternehmen die Möglichkeit, Räder vor Ort auf einem Parcours zu testen und sich beraten zu lassen. „Ganz wesentlich sind die Beratungsgespräche. Wir lernen unglaublich viel von den Unternehmen, auf das wir wieder mit den richtigen Angeboten reagieren können – wie ist die Parksituation in der Stadt, wie die Verkehrssituation, gibt es Probleme der Unternehmen, weil ihre Auszubildenden keinen Führerschein haben et cetera.“ Außerdem wird ein Abschlussbericht erstellt und später eine Evaluierung, in der festgehalten wird, welches Unternehmen tatsächlich dann auch in ein Lastenrad investiert hat. „Die Städte haben ein starkes Interesse an weniger belastendem gewerblichen Güterverkehr“, so Havers. Daneben läuft gerade auch das Projekt „Ich entlaste Städte“ an, das – mit anderen Partnern – ähnlich funktioniert (siehe www.lastenrad-test.de). Ein Ziel des Flotten Gewerbes ist auch, über den Kontakt zu Händlern und Servicestellen Grundlagen für Wartung und Instandhaltung der Räder zu schaffen. Denn erst wenn Fragen eines Netzwerkes dafür geklärt sind, können Unternehmen Vertrauen gewinnen in eine erfolgreiche Nutzung von Lastenrädern statt Lieferwagen auf der Last Mile.
Am schwierigsten ist dabei sicher die Einbeziehung von Logistik-Unternehmen, auch wenn es dazu schon erfolgreiche Beispiele gibt – wie etwa die Dreiräder von UPS. Hier spielen vielfältige Anforderungen eine Rolle – unter anderem braucht man auch ein System von Mikrodepots. Dazu müssen viele Partner zusammenwirken.

„Wir wollen die Kunden so beraten, dass sie oder er das genau passende Cargobike findet, und das hat zunächst nichts mit dem Hersteller zu tun.“

Martin Seißler, Cargobike.Jetzt

Martin Seißler hat die Entwicklung der Lastenradnutzung in der vergangenen Dekade an vielen Stellen mitgeprägt. Als Mitgründer und Geschäftsführer von Cargobike.Jetzt will er nun dieser Fahrradgattung zu noch mehr Popularität verhelfen, denn „wir haben wenig Zeit, unsere Städte umzubauen – und es gibt so viele Gründe, auf kleinere und energieärmere Fahrzeuge umzusteigen.“

Leihen und Laden

Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich von Cargobike.Jetzt sind Konferenzen und Fachvorträge. Bei der zweitägigen Nationalen Radlogistik-Konferenz – 2023 am 19. und 20. September in Darmstadt – ist das Unternehmen Organisator, der Radlogistik-Verband Deutschland Schirmherr. Hier werden am ersten Tag Exkursionen zu Orten der Radlogistik veranstaltet, am zweiten Tag trifft man sich zu Workshops. Eine weitere wichtige Konferenz ist die Cargo Bike Sharing Europe in Köln. Alexander Lutz, der den Vertrieb Kommunal bei Cargobike.Jetzt leitet, arbeitete in diesem Bereich und auch er sieht sich vor allem als Netzwerker für das Thema Lastenrad. Er baut die Kontakte zu den Kommunen aus, er weiß: „Das Lastenrad bietet für alle Beteiligten viel größere Chancen, die Verkehrswende aktiv zu beschleunigen. Und es ist ein erster Schritt in die lebenswerte Stadt!“
Als besonders wichtig zum Einstieg in die Verkehrswende sieht Lutz für die Kommunen das Lastenrad-Sharing. „Das liegt uns sehr am Herzen, denn Sharing ist eigentlich so eine Art Einstiegsdroge in die Lastenradnutzung“, sagt er. „Es macht das Rad finanzierbar auch für untere Einkommen und es ist wirklich im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge. In Köln fand im Mai die Cargobike Sharing Europe im Rahmen der Messe Polis Mobility statt. Lutz kann Beispiele gelungener Sharing- und Leih-Projekte herunterrasseln. Begeistert ist er vom „Stuttgarter Rössle“: Hier kann man sich für mehrere Jahre ein Lastenrad bereits ab 20 Euro (mit regionaler Ermäßigungskarte) im Monat leihen. „Damit schafft man es, den gut Situierten zumindest den Zweitwagen abspenstig zu machen“, sagt er. „Besonders wichtig“, sagt er, „ist auch die Kooperation mit dem Wohnungsbau.“ Stellplatz-Satzungen oder andere Regelungen, bei denen für Neubauten Stellplätze für Lastenräder oder allgemein alternative Mobilität mit eingeplant werden, sorgen quasi für integrierte Umstiegsvoraussetzungen in die schonende Mobilität.

Studien und Servicedienste für Cargobiker in spe

Eine weitere Aufgabe, der sich das Unternehmen widmet, sind Studien, für die Cargobike.Jetzt mit Hochschulen und anderen Partnern zusammenarbeitet. Für eine Hamburger Behörde hat man zusammen mit den Universitäten Wuppertal und Magdeburg über den Infrastruktur-Bedarf von Lastenrädern insbesondere beim Einsatz in der Last-Mile-Logistik gearbeitet. Eine andere Studie behandelte die Potenziale und Wirkungen von Mikro-Depots in Berlin.
„Cargobike.Jetzt ist nicht nur durch die Roadshow direkt für die Endverbrauchenden interessant. Auf der Homepage findet man eine ausführliche Beratung nach Ansprüchen und Nutzung von Lastenrädern und – unser beliebtester Anlaufpunkt – die Kaufprämien-Übersicht für Deutschland und Österreich“, so Lutz. Aber die Homepage ist unter dem Menüpunkt „Tipps“ ohnehin eine Fundgrube: Vom Marktüberblick über Rechtliches zum Personentransport bis hin zur Radwegnutzung von Cargobikes oder den Transport in der Bahn wird alles, was im Zusammenhang mit diesen Rädern Fragen aufwerfen kann, behandelt.
Darauf setzen auch viele, die das Cargobike publik machen und in die moderne Mobilitätsentwicklung implantieren wollen. So auch die Leitmesse der Fahrradbranche, die Eurobike 2023. Sie hat Cargobike.Jetzt als Partner für eine groß angelegte Cargo Area gewonnen.

Prominenter Beirat

Der Beirat von Cargobike.Jetzt liest sich wie ein Who-is-who der New Mobility.

Arne Behrensen

ist Mitgründer von Cargobike.Jetzt. Seit Januar dieses Jahres ist er der politische Lastenrad-Kopf bei Bundesverband Zukunft Fahrrad.

Swantje Michaelsen

ist Bundestagsabgeordnete für die Grünen. Sie bearbeitet vor allem Mobilitäts- und Verkehrsthemen.

Dr. Tom Assmann

ist Vorsitzender des Radlogistik-Verbands Deutschland und arbeitet zudem in der Erforschung und Entwicklung zu urbanen, nachhaltigen Logistiklösungen.

Johannes Reichel

ist Ressortleiter Transport bei der Zeitschrift Logistra.

Katja Diehl

hat mit „Autokorrektur“ einen Spiegel-Bestseller über die Mobilitätswende geschrieben. Sie ist dafür auch mit dem deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausge-zeichnet worden.


Bilder: Andreas Lörcher, CBRS, Andreas Domma

Verkehrswende, Gesundheit und Lebensqualität in der Stadt: Mit einem breiten Mix an Maßnahmen geht Wien die Herausforderungen der Zukunft in Richtung Klimaneutralität entschlossen an. Das Fahrrad spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Klimaschutz, Ressourcenschonung sowie Nachhaltigkeit stehen auf der Agenda der neuen Smart-Klima-City-Strategie und des Wiener Klima-Fahrplans. Um die Stadt bis 2040 CO2-neutral zu machen, investiert man auch in eine zeitgemäße Mobilität: Seit diesem Jahr sind jährlich 20 Millionen Euro mehr im Topf für Radinfrastrukturprojekte. Noch sind die Kfz-Verbrenner im Verkehr für rund 43 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dabei erledigen zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger der 1,9-Millionen-Metropole ihre Alltagswege längst mit alternativen Verkehrsmitteln. 42 Prozent der Wiener Haushalte besitzen kein Auto.
Schon 2018 beobachtete eine Studie der Universität Wien den Rückgang des Auto-Pendelns und einen konstant hohen Anteil an Fußgänger*innen. Denn traditionell ist Wien eine Stadt des ÖPNV, der Öffis, wie man hier sagt. Im Pandemiejahr 2020 ist die Fahrgastzahl allerdings um mehr als zehn Prozentpunkte auf 27 Prozent gesunken. Das zeigt eine Befragung im Auftrag der Wiener Linien. Der Anteil des MIV am Modal Split beträgt weiterhin ebenfalls konstant 27 Prozent. Bei der Fortbewegungsart der Stunde triumphieren die Flaneure: Ihr Anteil stieg von 28 auf 37 Prozent. Da ist es konsequent, dass sich die Kulturstadt des Gehens eine eigene Fußwegebeauftragte gönnt.

Wien ist die Stadt des ÖPNV, der Fuß- und Radwege. Neueste Zählungen belegen einen Fahrrad-Boom.

Das Fahrrad boomt wie nie zuvor

Die anderen wichtigen Trendsetter sind die Wiener Radfahrer*innen: Im Modal Split 2020 liegt ihr Anteil noch bei neun Prozent (plus 2). Angesichts neuer Zahlen aus 2021 spricht die Wiener Mobilitätsagentur von einem Rekordjahr für den Radverkehr. An den automatischen Zählstellen wurden 9,3 Millionen Radfahrerinnen und Radfahrer registriert. Seit 2019 stieg ihre Zahl um 13 Prozent. Deutlich zeigt sich zum Beispiel an der Verbindung zwischen Sonnwendviertel, Hauptbahnhof und Zentrum, der Argentinierstraße, dass Pendlerwege zunehmend mit dem Velo erledigt werden. Dort verdoppelte sich die Zahl der Radfahrenden von 2013 bis 2021 auf über 962.000.

Zukunftsprojekt Verbindung Praterstraße: Radfahrende nutzen hier künftig eine Spurbreite von insgesamt fast sechs Meter Breite.

Kühle, gendersensible und sichere Straßen

Zu den Instrumenten im Klimafahrplan gehören Verkehrsberuhigung, Sicherheit („Vision Zero“), zunehmende Einführung von Tempo 30 vor allem in Wohngebieten sowie die Realisierung von Superblocks, die in Wien „Supergrätzel“ heißen. 25.000 neue Stadtbäume sollen im Straßenraum Fahr- und Parkstreifen ersetzen. Und weil mit einer Stadtausdehnung von fast 30 Kilometern die Kombination von Fahrrad und ÖPNV wichtig ist, soll die Fahrradmitnahme im ÖPNV erleichtert werden. Derzeit dürfen Fahrräder in der U-Bahn nur außerhalb der Stoßzeiten und an Wochenenden ohne zusätzliche Kosten transportiert werden.
Gegenwärtig weist die Donaume-tropole 168,6 Kilometer Radwege und 41,3 Kilometer Radfahrstreifen aus. Das Radfahren gegen Einbahnstraßen ist auf einer Länge von 321,4 Kilometer erlaubt – Tendenz steigend. Zudem verdoppelte sich seit 2010 die Zahl der öffentlichen Radabstellplätze auf derzeit rund 50.700. An der Verdichtung des noch lückenhaften Wiener Hauptnetzes wird gearbeitet. Die Qualität befindet sich im Umbruch hin zu breiteren Spuren sowie der baulichen Trennung vom motorisierten Verkehr. Jüngstes Beispiel ist der Umbau der Praterstraße zu einem sechs Meter breiten Fahrrad-Highway.
Ausdrücklich soll der Straßenraum neu verteilt und umgestaltet werden, nach dem neuen Klimapapier „grüner, schattiger und kühler, gendersensibel, sicher und alltagstauglich und mit mehr Platz für aktive Mobilität.“

„Die Mariahilfer Straße zeigt, dass man auf einer staugeplagten Straße den Kfz-Verkehr komplett rausnehmen kann.“

Martin Blum, Stadt Wien

Öffentliche Wasserspender, Sprühnebel und verkehrsberuhigte Viertel sorgen für mehr Stadt- und Lebensqualität.

Von der Begegnungszonebis zum Supergrätzl

Wie Straßen im Handumdrehen klimafreundlicher werden und zur sozialen Begegnungszone avancieren können, bewies Wien bereits mit Pop-up-Aktionen wie temporär autofreie, „coole Straßen“ (s.Veloplan 4/20): Dafür bringen Anwohner Liegestühle, Planschbecken oder Grünpflanzen. Die Stadt sponsert zum Beispiel Wasserstelen, deren Sprühnebel erfrischen. Vier Straßen dieser Aktion wurden 2021 dauerhaft verkehrsberuhigt. Künftig wird das Projekt mit weiteren Plätzen, allerdings ohne für den Autoverkehr gesperrte Straßen fortgesetzt.
Seit 2013 gibt es in Wien Begegnungszonen, in denen Auto-, Rad- und Fußverkehr gleichberechtigt sind. Höchstgeschwindigkeit hier: Tempo 20. Berühmt wurde der Umbau der Mariahilfer Straße. Wie der Standard Mitte 2020 berichtete, mauserte sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung von der befürchteten „Berliner Mauer mitten in Wien“ zum lebendigen Stadtzentrum. An einem durchschnittlichen Wochentag flanieren dort mehr als 50.000 Passanten, im Jahr kommt man auf 17 Millionen. Die Wiener Wirtschaftskammer (WKW) schwenkte um vom Opponenten zum Fürsprecher verkehrsberuhigter Zonen. Der Wiener Radverkehrsbeauftragte Martin Blum resümiert: „Die Mariahilfer Straße zeigt, dass man auf einer staugeplagten Einkaufsstraße mit beiderseitigen Parkstreifen den Kfz-Verkehr komplett rausnehmen kann. Es funktioniert trotzdem.“
Von der Mariahilfer Straße aus wurden benachbarte Bezirke verkehrsberuhigt. Mehr als ein Dutzend solcher Zonen finden sich heute in Wien. Mit der Thaliastraße soll bis 2025 auch die wichtigste Einkaufsstraße Ottakrings als „Klimaboulevard“ in neuem Glanz erstrahlen: Auf einer Länge von 2,8 Kilometer werden Bäume gepflanzt, der Asphalt reduziert und mehr Aufenthaltsqualität geschaffen.
Nach der Superblock-Pilotstudie im Volkertviertel soll dort 2022 ein Supergrätzl umgesetzt werden. Das Konzept nach Vorbildern aus Barcelona fasst mehrere Wohnblocks zu verkehrsberuhigten Bereichen zusammen, in denen der Durchgangsverkehr unterbunden wird. Auch für das Supergrätzl Josefstadt gab die zuständige Bezirksvertretungssitzung grünes Licht. Vor der Umsetzung sollen die Wünsche der Bevölkerung in die Planung integriert werden.

Weniger Pendelverkehr, höhere Lebensqualität

Nach Feierabend noch viele Extrarunden drehen, um das eigene Auto abzustellen? Heute wünscht sich kaum jemand diese Situation vor der „Parkpickerl“-Einführung in den 1990er-Jahren zurück. Weniger Lärm, Staub und CO2-Ausstoß erhöhte die Lebensqualität in den Quartieren und sorgte für mehr Platz für Flaneure und Radfahrende. Nach Umfragen der Stadt Wien stieg die Akzeptanz in den Bezirken nach der Einführung von 46 auf 67 Prozent. Schon damals wurden im Westen Wiens bis zu 8.000 Pkw-Fahrten pro Werktag vermieden. Ab März 2022 gilt in ganz Wien eine Kurzparkzone, in der man nur als „Hauptwohnsitzer“ samt „Parkpickerl“ (Parkschein) seinen Pkw parken darf. Die Kosten betragen zehn Euro pro Monat. Die Maßnahme verhindert einen Verdrängungseffekt auf parkscheinfreie Bezirke und zielt auf eine Reduktion des einpendelnden Pkw-Verkehrs. Wer nicht in Wien wohnt, muss jetzt auf eine Garage ausweichen – oder löst einen Kurzparkschein. Hinzu kommen Zonen zur Reduktion des „Binnenverkehrs“ innerhalb der Bezirke durch Preis- oder Berechtigungsstaffelungen. Alle Einnahmen daraus fließen zweckgebunden in den Umweltverbund.

Wien ersetzt die alten „City-Bikes“ durch ein flächendeckendes Bikesharing-Modell für den multi-modalen Wegemix. Privatleute können kostenlos Lastenräder leihen.

Stadträume mit dem Privatauto okkupieren ist nicht kostenlos: Das Wiener Parkpickerl richtet sich besonders gegen Pendlerverkehre.

Sympathische Lufttankstellen. Neben Bikes werden hier auch Kinderwagen oder Rollis aufgepumpt.

Breite Sharing-Palette

Das Wiener Bikesharing-System befindet sich im Wechsel: „Das Citybike-Modell war international Vorbild für städtische Leihradsysteme, von Paris bis Sevilla oder Brisbane. Nach 18 Jahren erfolgt jetzt der Startschuss für ein modernes und flächendeckendes Bikesharing-Modell“, sagt Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ). Im April startet „WienMobil Rad“ mit den ersten 1.000 Fahrrädern. Bis zum Vollbetrieb im Herbst dieses Jahres werden es 3.000 sein. 185 physische Stationen sind für Leihräder reserviert und über die „WienMobil“-App zu finden. 50 digitale Stationen können temporär für Events eingerichtet werden. Hanke: „Das neue Bikesharing-Konzept bringt in Zukunft doppelt so viele Räder wie bisher, viele neue Standorte und das in allen 23 Bezirken.“
Kombiniert werden die Rad-Sharing-Stationen mit den „WienMobil“-Stationen. Sie bieten den Mobilitäts-Mix aus Öffis und Leihangebote für E-Autos, Scooter und Bikes. Aktuell gibt es neun Stationen. 100 sollen es bis 2025 sein. Bisher wurde an den WienMobil-Stationen Platz für 12 E-Autos, 56 Scooter und 36 Mopeds zum Ausleihen, 5 Radservicestationen sowie 15 Radboxen zum sicheren Abstellen von Fahrrädern geschaffen. Wichtig: Rund zwei Drittel der geplanten WienMobil-Stationen werden außerhalb des Gürtels und über der Donau entstehen. So werden Außenbezirke mit weniger dicht besiedelten Gebieten in die umweltfreundliche Mobilität einbezogen.
Ähnliches gilt für das städtische Regelwerk für E-Scooter. Für eine multimodale Wegekette sollen Anbieter eine gleichmäßige Versorgung nicht nur in der City, sondern auch in Außenbezirken berücksichtigen. Nach Angaben der Stadt werden rund 4.000 frei stehende Leih-E-Scooter genutzt. Die E-Roller sind Fahrrädern gleichgestellt, die auf Radwegen sowie in Begegnungszonen gefahren werden. Fünf Anbieter sind derzeit dabei. Plus die neuen „Wheels“-Fahrgeräte – flexible E-Bikes mit Fußrasten statt Pedale.

Lastenräder als Teil des Alltags sichtbar

Als klimaschonendes Kindertaxi oder für den Alltagstransport beim Shopping können Wiener*innen Lastenräder leihen. Das Ausborgen eines Grätzlrads ist kostenlos; reserviert wird telefonisch oder per E-Mail. Martin Blum betont den nachhaltigen Aspekt des Projekts: „Das Grätzlrad bewirkt, dass der klimaschonende Transport mit Lastenrädern Teil des städtischen Alltags wird. Einerseits sind die Transportfahrräder in der Stadt sichtbar, andererseits werden Menschen motiviert, auf Cargobikes umzusteigen.“ Das bestätigt auch eine Evaluierung des Projekts im Jahr 2019. Demnach spricht das Angebot eine große Zahl von Personen an, die erstmals ein Transportrad nutzten. Fazit: Der überwiegende Teil möchte zukünftig wieder ein Lastenrad nutzen.

Vorbild bei Radfahrkampagnen

Auch unscheinbare „Gimmicks“ machen Stadtradeln attraktiver. So hat die Mobilitätsagentur Wien an zehn wichtigen Radverkehrsverbindungen öffentliche Luftpumpen aufgestellt. Eine befindet sich am Praterstern, unweit der Haustür des Radverkehrsbeauftragten: „Fahre ich dort vorbei, sehe ich häufig Radfahrende ihre Reifen aufpumpen. Das sind kleine Dinge, die oft vergessen, aber gerne angenommen werden.“ Selbstverständlich für die Wiener Fahrradstadt ist eine schicke Webpräsenz (fahrradwien.at) mit Radwegen, Routenplaner, Fahrradgeschäften und Leihstationen.
Als Wien auf dem Copenhagenize Index 2019 unter 115 Mitbewerbern auf Platz neun hinter Paris landete, attestierte die dänische Agentur der Stadt Vorbildfunktion für andere Städte in Sachen Radverkehrskampagnen. Auffallend wendet sie sich an Ein- und Umsteiger. So porträtierte die 2018er-Kampgane #warumfährstDUnicht? lokale Testimonials, die ihre Motivation zum Radfahren im Alltag aufzeigen. Dabei ist es kein Zufall, dass die Kampagne Motive wie Individualität und Freiheit triggert – aus der Autowerbung gut bekannt. Martin Blum: „Für neue Zielgruppen ist es wichtig, andere Attribute anzusprechen. So haben wir uns beim Radfahrmarketing einiges von der Autowerbung abgeguckt.“ Die jüngste Kampagne #gofuture setzt diesen lebensbejahenden Impuls fort: „Lust auf Glücksgefühle? Fahr auch im Winter Fahrrad und geh zu Fuß. So tust du dir und der Stadt etwas Gutes.“  


„Stadt funktioniert auch anders“

Veloplan-Interview mit Martin Blum, Radverkehrsbeauftragter der Stadt Wien

Wie sehen die Herausforderungen aus bei der Fahrradinfrastruktur?
Mit 27 Millionen Euro pro Jahr gibt es derzeit in Wien so viel städtisches Budget für den Radwegebau wie nie zuvor. Dabei stehen wir heute vor zwei Herausforderungen: Einerseits das Radwegenetz, das etwas in die Jahre gekommen ist, was die Breite anbelangt. Zweitens: Die Lücken im Radverkehr schließen, sodass die Wege durchgängig sind. Es hat unterschiedliche Planungsparadigmen gegeben. Ende der 1990er- bis 2000er- Jahre war das Mitfahren im Fließverkehr Thema, Stichwort „Vehicular Cycling“. Dann kam der Radfahrstreifen, der in Wien „Mehrzweckstreifen“ heißt. Der darf auch vom Auto genutzt werden. Mittlerweile geht es klar in die Richtung: auf Hauptstraßen gute, getrennte und ausreichend breite Radwege. Auf Nebenstraßen verkehrsberuhigte Bereiche, Begegnungszonen oder Fahrradstraßen.
Seit zwei, drei Jahren gibt es immer mehr Fahrradstraßen. Oder „fahrradfreundliche Straßen“, wie wir sie auch nennen. Das ist ein Spezifikum: Die Fahrradstraße in Österreich ist rechtlich streng gefasst. Da dürfen Autos, außer zufahrende Anliegerverkehre, überhaupt nicht bis zur nächsten Kreuzung durchfahren.

Was macht Wien bei Radfahrkampagnen anders als andere Städte?
Natürlich ist das Fahrrad das klimaschonendste Fahrzeug in der Stadt. Aber wer aus Umweltmotiven fährt, nutzt sowieso schon das Fahrrad. Für neue Zielgruppen ist es wichtig, andere Attribute anzusprechen. So haben wir uns beim Radfahrmarketing einiges von der Autowerbung abgeguckt. Und wir haben uns angeschaut, was das Radfahren in der Stadt ausmacht. Das sind im Wesentlichen die Themen Freiheit und Individualität. Radfahren ist praktisch und flexibel. Der Fehler wird oft gemacht, dass man zu sehr den Sicherheitsaspekt anspricht. Aber es geht um diese Lebensfreude: Man bewegt sich wie auf einer Bühne durch die Stadt, zeigt sich und erlebt die Stadt hautnah mit allen Sinnen. Das alles sollte zum Ausdruck kommen, will man neue Zielgruppen ansprechen.

Wie integriert die Donau-Metropole neue Sharing-Anbieter für Mikromobilität?
Wir haben relativ früh ein Regulativ gefunden: Wir begrenzen die Scooter mit einer Verordnung mengenmäßig pro Anbieter. Zudem verpflichten sich die Scooter-Betreiber dazu, sich in den Bezirken unterschiedlich aufzustellen. Das heißt: Sie müssen auch einen bestimmten Anteil in äußeren Bezirken aufstellen und nicht nur in der City. Zudem braucht es gewisse Regeln, damit man beim Zufußgehen nicht darüber stolpert. So ist auf Gehsteigen, die schmaler sind als vier Meter, das Abstellen der Scooter nicht gestattet.

Welche Bedeutung besitzt die Begegnungszone in der Mariahilfer Straße?
Veränderungen sind oft kaum vorstellbar. Gibt es ein Umbauprojekt, kommt es zu einem Aufschrei und Vorbehalten. Die Mariahilfer Straße zeigt, dass man auf einer staugeplagten Einkaufsstraße mit beiderseitigen Parkstreifen den Kfz-Verkehr komplett rausnehmen kann. Es funktioniert trotzdem – und zwar auf 1,6 Kilometer Länge. Die Menschen haben einfach andere Fortbewegungsarten genutzt. Und die Straße boomt mehr als vorher. Das zeigt: Stadt funktioniert auch anders.

Welche Projekte packt die Verkehrsplanung als Nächstes an?
Große Projekte, wo es in Richtung zukünftige Stadtgestaltung und Mobilität geht, betreffen die Flächenkonkurrenz einzelner Verkehrsmittel. Dazu gehört das aktuelle Projekt in der Praterstraße. Ein Boulevard, wo die Radwegbreite – beide Seiten zusammengezählt – mehr als sechs Meter betragen wird. Radwege an Hauptachsen sind wichtig, weil sie zeigen, wie komfortabel Radfahren sein kann, wenn die entsprechende Qualität da ist. Da gibt es dann den Ruf nach mehr. Gerade wenn es um getrennte Radwege geht, heißt es: „Den wollen wir jetzt auch an der anderen Straßenseite.“ Und Nebenstraßen sollten so gestaltet sein, dass sich Autos zu Gast fühlen. Dort braucht es eine Qualität, wie man sie von den Fahrradstraßen in den Niederlanden kennt.
In Wien gibt es eine hohe Nahversorgungsdichte, das heißt, man kann viel zu Fuß erledigen. Das kann man noch weiterdenken und mittlere Strecken fürs Fahrrad übersetzen. Dazu hat Wien eine Strategie verabschiedet, den Klimafahrplan, in dem die 15-Minuten-Stadt verankert ist. Wenn das, was dort festgeschrieben ist, in den Zielen der Stadt, um Klimaneutralität zu erreichen, umgesetzt wird, dann braucht man nicht mehr so viel Vision.


Wiener Infrastruktur in Zahlen

Radwege: 168,6 km
Geh- und Radwege: 169,3 km
Radfahrstreifen: 41,3 km
Mehrzweckstreifen: 145,2 km
Radfahrerüberfahrten: 27 km
Fahrradstraßen: 7 km
Radfahren gegen die Einbahn: 321,4 km
Radfahren auf der Busspur: 18,5 km
Radroute: 276,4 km
Radfahren in Fußgängerzonen: 8,8 km
Wohnstraße: 38,1 km
Verkehrsberuhigter Bereich: 361,4 km
Mountainbike-Strecke: 72,4 km
Öffentliche Radabstellplätze: 50.700


Bilder: Mobilitaetsagentur Wien – Peter Provaznik, Wiener Linien, zoom vp – Mobilitätsagentur Wien Digital, Mobilitätsagentur Wien, Fuerthner, PID, Gewista, Mobilitätsagentur – Christian Fürthner, Regina Hügli

Rotterdam baut seine Innenstadt seit einigen Jahren fundamental um. Das Zentrum soll zur „City Lounge“ werden. Zufußgehen und Radfahren haben dann ebenso oberste Priorität wie der Zugang zu mehr Grün für alle Bewohner der Hafen- und Industriestadt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2021, September 2021)


Von Rotterdams Innenstadt war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr viel übrig. Alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen riesige Brachflächen rund um die Laurenskerk (Laurenskirche). Dort, wo sich einst die Altstadt befand, wurden in der Folge breite, mehrspurige Straßen gebaut sowie riesige Kreisverkehre für Autos und Straßenbahnen. Bis zum Jahr 2000 hatte die boomende Industriestadt am Flussdelta von Rhein und Maas das amerikanischste Straßennetz der Niederlande. Dann fand ein Kurswechsel statt. Das neue politische Ziel ist, das Zentrum in eine moderne „City Lounge“ zu verwandeln. Wo heute noch Autos fahren und parken, sollen Wiesen und Parks entstehen und der rasant wachsenden Bevölkerung Platz zum Bewegen, Spielen und Pausieren bieten. Dafür muss der Autoverkehr massiv zurückgedrängt und durch mehr Rad- und Fußverkehr ersetzt werden. Das Tempo, mit dem Politik und Planer den Wandel vorantreiben, ist hoch.

Ambitionierte Ziele für die Industriestadt

Außenstehenden erscheint die Stadt mit dem größten Seehafen Europas wie ein riesiges Pilotprojekt. Seit 15 Jahren wird die Stadt bereits umgebaut. Das hat einen Grund: Die Industrie- und Autostadt soll klimaresilient werden. Um das zu erreichen, hat die Stadt 2020 beschlossen, in den kommenden zehn Jahren sieben Stadtprojekte umzusetzen. Mit 230 Millionen Euro sollen sieben grüne Lungen im Zentrum entstehen, die bei Starkregen das Wasser aufnehmen und bei extremer Hitze die Umgebung kühlen. Dafür wird etwa ein großer Parkplatz begrünt, ein Park in Größe von elf Fußballfeldern direkt am Hafen geschaffen und ein Eisenbahnviadukt in einen Park verwandelt, der sich durch mehrere dicht besiedelte Stadtteile zieht. „Rotterdam hat ambitionierte Ziele und traut sich, sehr innovativ zu sein“, sagt Sophie Simon, Mobilitätsexpertin des niederländischen Beratungsunternehmens Mobycon. Die Verkehrsexpertin lebt in der Hafenstadt und bekommt den Umbau täglich mit. Der Wandel ist rasant. Noch vor zehn Jahren lag der Anteil des Radverkehrs hier mit gerade mal 20 Prozent und damit weit unter dem landesweiten Wert von 27 Prozent. Aber die Hafenstadt holt auf. 2020 legten bereits 28 Prozent der Menschen ihre Wege mit dem Rad zurück und es werden stetig mehr. Die Basis für den Umstieg bilden unter anderem die Fußgängerstrategie, das neue Parkraummanagement und das zukunftsweisende Mobilitäts- und Fahrradkonzept.
Der Name des Fahrradkonzepts ist Programm: „Fahrradkurs 2025 – Das Fahrrad als Hebel in der Rotterdamer Mobilitätswende“ heißt der Titel (Fietskoers 2025 – De Fiets als hefboom in de Rotterdamse mobiliteitstransitie). Für die Hafenstadt bedeutet das: Menschen jeden Alters und Einkommens sollen hier zukünftig sicher und komfortabel mit dem Rad von zu Hause ans Ziel kommen.

„Die Menschen suchen sich nicht nur alternative Routen, sie steigen auch auf andere Verkehrsmittel um.“

Bart Christiaens, Fahrradkoordinator in Rotterdam

Mehr als der Wechsel von einem Verkehrsmittel zum anderen. Die Stadt soll grüner werden, den Menschen im Sommer Schatten spenden und Platz zum Verweilen anbieten.

Umbauprojekt „Coolsingel“

Wie die neue Infrastruktur dafür in der Praxis aussehen könnte, lässt sich heute ein wenig in der umgebauten Straße „Coolsingel“ erahnen. Sie ist rund 700 Meter lang und eine der Hauptachsen in der Innenstadt. Anfang 2018 waren hier noch täglich rund 22.000 Autos unterwegs, außerdem Straßenbahnen sowie Rad-fahrerinnen und Fußgängerinnen. Dann wurde der Coolsingel umgebaut. Seitdem gibt es auf der Westseite der Tram statt einer zweispurigen Fahrbahn einen 4,5 Meter breiten Zweiwege-Radweg. Der Rest der Fahrbahn wurde zum Fußweg. Autoverkehr gibt es nur noch auf zwei Fahrspuren östlich der Tram und nur noch mit Tempo 30. Das zeigt Wirkung. Der Verkehrslärm ist seit dem Umbau deutlich zurückgegangen. Auch der sandfarbene Radweg und das helle Pflaster der erweiterten Fußgängerpromenade – gut gegen das Aufheizen im Sommer – haben die Straße verändert. Mit den 77 schattenspendenden Baumriesen (38 wurden neu gepflanzt) und den vielen neuen Sitzgelegenheiten unter den Laubbäumen steigt die Aufenthaltsqualität. Es erinnert an die großzügigen Boulevards in Südeuropa. Rund 58 Millionen Euro hat der Umbau gekostet. Geht das Konzept der Planerinnen auf, sind hier langfristig nur noch 10.000 Autos unterwegs. „Wenn ich dort bin, habe ich den Eindruck, dass bereits heute deutlich weniger Autos unterwegs sind“, sagt Bart Christiaens, Fahrradkoordinator von Rotterdam. Die genauen Zahlen kennt er noch nicht, denn die will die Gemeinde für eine realistische Einschätzung erst nach der Pandemie erheben. Aber schon während der Bauphase habe sich ein Teil des Verkehrs verlagert, sagt Christiaens. In einigen Nebenstraßen sei die Zahl der Autos etwas gestiegen, aber in einem geringeren Ausmaß, als es die Verkehrsanalyse vorhergesagt habe. Ein Teil der Fahrzeuge, die zuvor auf dem Coolsingel unterwegs gewesen seien, seien einfach verschwunden. Dieses Phänomen erleben Verkehrsplaner immer wieder, selbst beim Einrichten von Baustellen. „Die Menschen suchen sich nicht nur alternative Routen, sie steigen auch auf andere Verkehrsmittel um“, erläutert Christiaens das Phänomen. Trotz des guten Starts bleibt für ihn die Verkehrsentwicklung im Coolsingel in den kommenden Monaten spannend. In der unmittelbaren Nähe der Straße befindet sich rund ein halbes Dutzend Parkhäuser. „Die Frage ist, ob die Menschen zu den Einkaufszentren und in die Kinos weiterhin mit dem Auto fahren oder Alternativen nutzen“, sagt er. Das neue Parkraummanagement sieht vor, dass mehr Menschen den ÖPNV nutzen (siehe Kasten). Aber Christiaens weiß: „Die Menschen brauchen eine gewisse Zeit, um sich an die neue In-frastruktur zu gewöhnen.“ Rund um den Coolsingel wird diese Phase wohl noch eine Weile andauern. Schließlich sind die nächsten Großprojekte dort bereits in Planung. In ein paar Jahren soll der angrenzende Hofplein (Hofplatz) mit seinem 20 Meter breiten Springbrunnen umgebaut werden. Seine Neugestaltung ist eines der sieben Stadtprojekte und soll Radfahrerinnen, Fußgängerin-nen und Anwohnerinnen den Zugang überhaupt erst ermöglichen. Bislang umrunden Autos und Busse auf drei Fahrspuren den Brunnen, dazwischen kreuzen die Straßenbahnen. Fuß- oder Radverkehr waren hier nicht vorgesehen. Nach dem Umbau soll der Brunnen zum Herzstück des neuen Parks werden, mit vielen Fußwegen und Sitzgelegenheiten für die Anwohner. Die Straßenbahn darf weiterhin passieren, der Autoverkehr wird jedoch in einem großen Bogen um den Park herumgeführt.

Die Illustration zeigt, wie der Hofplein nach dem Umbau aussehen soll: Der Springbrunnen wird zum Zentrum eines neuen Parks für die Anwohner des Viertels.
Der Bahnhof im Zentrum ist Rotterdams Foyer zur Stadt und gibt einen Ausblick auf ihre Zukunft. Rad fahren, zu Fuß gehen oder der Umstieg auf Bus und Bahn sollen überall so leicht und komfortabel werden wie hier.

Schnelle Umsetzung von Großprojekten

Für die Transformation setzt Rotterdam auf eine breite interdisziplinäre Beteiligung. 25 Partner haben die sieben Stadtprojekte mitentwickelt. Ihre Fachrichtungen reichen von der Architektur über die Kunst und den Jugendrat, bis hin zu Vertreter*innen sozialer Organisationen und der Gemeinde. Die Phase von der Planung bis zur Eröffnung ist mit rund zehn Jahren sehr knapp bemessen. „Der Coolsingel ist etwa innerhalb von drei Jahren geplant und umgebaut worden“, sagt Sophie Simon. Dass es so schnell geht, liegt aus ihrer Sicht an dem Regelwerk „CROW“ für Verkehrsplaner, das der deutschen ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) entspricht. „Sämtliche Infrastruktur aus den Niederlanden baut auf den CROW-Richtlinien auf“, sagt die Mobycon-Expertin. Die Planer und die Verwaltungen orientierten sich an den modernen Richtlinien, weshalb der Bau von Radinfrastruktur in den Niederlanden deutlich schneller vonstattengehe als in Deutschland. „Die ERA ist veraltet. Viele deutsche Städte entwickeln deshalb eigene Standards“, sagt die Expertin. Das kostet Zeit. Sie sagt: „Es wäre viel einfacher, wenn alle ein einheitliches Regelwerk verwenden würden.“

28 %

28 Prozent der Menschen legten 2020
ihre Wege mit dem Rad
zurück, und es werden stetig mehr.

Vor dem Umbau: Bürgerbeteiligung und Pop-up-Tests

Zu jeder Planung gehört in den Niederlanden auch der intensive Austausch mit den Bürgerinnen vor Ort. „Bereits vor der ersten Planung befragt man die Anwohnerinnen; was gut und was schlecht in ihrer Straße funktioniert, worauf sie stolz sind und wo sie sich gerne aufhalten“, sagt Sophie Simon. Dieser Austausch werde zur Halbzeit und gegen Ende der Planung wiederholt. Für sie ist das Feedback wertvoll. „Manche Pläne funktionieren gut in der Theorie, aber nicht in der Praxis“, sagt sie. Deshalb sei es wichtig, nachbessern zu können. Außerdem zeige der Dialog den Bürgerinnen und Bürgern, dass Entscheidungen nicht über ihren Kopf hinweg getroffen werden.
In Rotterdam werden die neuen Pläne vor dem schlussendlichen Umbau in einem Testlauf ausprobiert. Das gilt beispielsweise auch für die Sperrung einer Nebenstraße des Coolsingels. In der „Meent“ störten „Auto-Poser“ seit Langem die Nachtruhe der Anwohnerinnen. Um das abzustellen, wurde die beliebte Flaniermeile für den Autoverkehr zeitweise gesperrt. Zunächst für zwei Monate jeweils donnerstags, freitags und am Wochenende. Bewährt sich die Sperrung, soll sie laut Sophie Simons dauerhaft umgesetzt werden. Auch in den Niederlanden sind nicht alle vom Kurs der Politik begeistert. Trotzdem bleibt der große Protest aus. „Die Akzeptanz ist größer, weil das Fahrrad omnipräsent in unserer Gesellschaft ist“, sagt Sophie Simon. Aber anscheinend zeigt auch die Umgestaltung der Innenstadt Wirkung. Christiaens bemerkt einen Wandel während des Feedback-Prozesses. „Die Menschen kommen zu unseren Veranstaltungen und unterstützen unsere Idee zum Umbau der Stadt“, sagt er. Das ist selbst in den Niederlanden neu und bestärkt die Planerinnen auf ihrem Weg.

Sichtbare Mobilitätswende

Die Mobilitätswende und die steigende Aufenthaltsqualität sind bereits vielerorts sichtbar und spürbar. Besonders deutlich ist das für Touristinnen am Hauptbahnhof. Früher verliefen direkt vor der Eingangshalle eine mehrspurige Straße und das Schienennetz. Wer heute aus der lichtdurchfluteten, weitläufigen Halle tritt, steht auf einem riesigen Vorplatz, auf dem sich vor allem Fußgängerinnen und Radfahrerinnen tummeln. Linke Hand geht es für Pendelnde und Reisende weiter zur Straßenbahn. Fahrradpendlerinnen erreichen nach wenigen Schritten einen der beiden Eingänge zum unterirdischen Fahrradparkhaus. Laufbänder bringen sie ins Untergeschoss zu den rund 5.200 Fahrradstellplätzen. Autopendler*innen hingegen müssen ein paar Hundert Meter laufen, um zu unterirdischen Parkhäusern zu gelangen. Wer nicht unbedingt darauf angewiesen ist, lässt sich auch nicht mit dem Auto abholen, denn die einspurige Einbahnstraße vor dem Bahnhof lässt keinen Stopp zu. Ähnlich sieht es auf der Rückseite des Bahnhofs aus. Die wenigen Parkplätze dort sind für Taxis reserviert. Mit dem neuen Bahnhof hat die Stadt ein Statement gesetzt. Das Zeitalter des Autos geht langsam zu Ende in der Stadt. Wer in Rotterdam zu Fuß, mit Bus, Bahn oder Rad unterwegs ist, bekommt Vorrang – jedenfalls langfristig. Bis es tatsächlich so weit ist, müssen noch viele Straßen umgebaut werden. Neben Raum zum Fahren brauchen Radfahrende aber auch Stellplätze für ihre Räder.

Ein Fahrradparkhaus und 1.000 zusätzliche Stellplätze am Bahnhof reichen nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken.

Auch die Doppelstockparker an der Markthalle reichen nicht mehr für Pendler*innen, die von hier aus per Bus, Bahn oder Metro weiterreisen.

Mehr Fahrradstellplätze benötigt

15.000 Fahrradstellplätze gibt es momentan im Zentrum. Das klingt viel. Gebraucht werden aber 45.000, also dreimal so viele. Dass die Stellplätze nicht reichen, hat einen Grund: In den vergangenen zehn Jahren sind 60 Prozent mehr Menschen aufs Rad gestiegen als zuvor und es werden täglich mehr. „Entsprechend viele Räder stehen überall in der Innenstadt am Straßenrand“, sagt Sophie Simon. Das gilt auch für die Wohngebiete. „In der Straße, in der ich wohne, gibt es zehn Fahrradbügel“, sagt sie. Dabei würden Hunderte gebraucht. Aus ihrer Sicht wäre es am einfachsten, in jeder Wohnstraße ein bis zwei Pkw-Stellplätze in Fahrradparkplätze umzuwandeln. Das ist momentan nicht vorgesehen. Allerdings können sich die Anwohnerinnen bei Bedarf direkt an die Stadt wenden. „Wenn drei Anwohner gemeinsam eine Anfrage stellen, dann wird für drei bis sechs Monate ein sogenanntes Fietsvlonder (Fahrradgeländer) aufgestellt“, sagt der Fahrradkoordinator. Das Pop-up-Kunststoffdeck mit zehn Fahrradbügeln wird auf einem Parkplatz abgestellt. Wenn die Fahrradbügel gut genutzt werden und sich die übrigen Anwohnerinnen nicht beschweren, dann wird das temporäre Modul durch einen dauerhaften Fahrradstellplatz ersetzt. Das gelingt laut Christiaens bei 80 Prozent der Pop-up-Stellplätze. Die Maßnahme ist jedoch nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. „Das Fahrradparken ist aktuell unsere Achillesferse“, so Christiaens. Mit seinem Team stockt er die Zahl der Stellplätze zwar permanent auf. Erst im Sommer kamen unter anderem rund 1.000 Stellplätze am Bahnhof hinzu und in der Nähe des Coolsingels wurde eine Fahrradgarage für 450 Räder eröffnet. Trotzdem fehlen große Flächen zum Fahrradparken im Zentrum. Bald sollen deshalb unter anderem im Keller eines ehemaligen Kaufhauses sowie in einer Bibliothek eine Parkgarage entstehen. Denkbar seien auch leerstehende Ladenlokale. Die Suche nach Flächen wird den Fahrradkoordinator auf jeden Fall auch in den kommenden Jahren beschäftigen. Die Gemeinde geht davon aus, dass 2030 mehr als 60.000 Fahrradstellplätze benötigt werden.

„Rotterdam hat

ambitionierte Ziele

und traut sich,

sehr innovativ zu sein“

Sophie Simon, Mobycon

Fahrradmobilität für alle

Eine weitere Herausforderung für die Politik ist es, den Anteil des Radverkehrs möglichst im gesamten Stadtgebiet gleichmäßig zu erhöhen. Das ist gar nicht so leicht. Im Süden der Stadt gaben zum Beispiel 52 Prozent der Befragten bei der letzten Mobilitätserhebung an, nie oder fast nie das Fahrrad zu nutzen. Christiaens kennt die Zahlen seit Jahren. „In Rotterdam Zuid leben traditionell viele Hafenarbeiter und Migrantinnen in der zweiten oder dritten Generation“, sagt er. Die niederländische Fahrradkultur habe sich dort noch nicht durchsetzen können. Manche der dort lebenden Rotterdamerinnen können gar nicht Radfahren oder besitzen kein Fahrrad. Um das zu ändern, startete die Gemeinde mit verschiedenen Partnern vor fünf Jahren das Programm „Fietsen op Zuid“. Die verschiedenen Organisatoren arbeiten eng mit Ansprechpartnerinnen vor Ort zusammen und versuchen über verschiedene Projekte, das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel bei den Menschen zu etablieren. „Cycle Along“ ist einer von vielen Bausteinen des Programms und wendet sich an Frauen mit bikulturellem Hintergrund. Neben Radfahrkursen für Hunderte von Frauen wird auch ein Botschafterinnen-Netzwerk aufgebaut. Das heißt, die ehemaligen Teilnehmerinnen bringen anderen Frauen vor Ort Fahrradfahren bei. Damit erweitern die Frauen gemeinsam ihren Aktionsradius und bilden neue Netzwerke. Für Kinder gibt es spezielle Kurse über die dortige BMX-Schule. Damit alle nach den Kursen weiterradeln können, hat die Stadt die „Fietserbank“ (Fahrradbank) eingerichtet. Wer sich kein eigenes Rad leisten kann, bekommt dort ein verwaistes Fahrrad. Rund 1.000 Fahrräder bekommen so jedes Jahr einen neue Besitzerinnen.
Aber es geht nicht nur darum, dass jeder und jede fähig ist, Rad zu fahren. Die neu gewonnenen Radfahrerinnen müssen sich auch trauen, mit dem Rad quer durch die Stadt zu fahren. Das will der „Fietskoers 2025“ sicherstellen. „Eine der Hauptkomponenten des Plans ist, dass die Infrastruktur gleichermaßen für schnelle und langsame Radfahrerinnen ausgelegt wird“, sagt Sophie Simon. Für sie ist das ausschlaggebend, um alle potenziellen Radfahrerinnen und Radfahrer in den Sattel zu bringen. Viele der älteren Radwege Rotterdams sind für die stetig wachsende Zahl an Radfahrenden jedoch zu schmal. Christiaens hat dazu bereits eine Idee. Die langsameren Radfahrenden sollten zukünftig weiterhin die Radwege nutzen, sagt er. Sportliche Radfahrerinnen und schnelle E-Bike-Fahrerinnen könnten dagegen auf die Fahrbahn wechseln und sich mit den Autos den Platz teilen. Das funktioniert aus seiner Sicht jedoch nur, wenn stadtweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit eingeführt wird. Für ihn ist das der nächste Schritt. Künftig also Tempo 30 auch in Rotterdam. Das passe auch deutlich besser zu dem Ziel der Stadt, das Zentrum in eine City Lounge umzuwandeln.



Industrie- und
Hafenstadt
Rotterdam

Rotterdam ist mit rund 650.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nach Amsterdam die zweitgrößte Stadt der Niederlande. Die an der Mündung von Rhein und Maas gelegene Stadt ist vor allem für den wichtigsten Industriehafen Europas bekannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Innenstadt im Jahr 1940 bei einem deutschen Luftangriff mit verheerenden Bränden fast vollständig zerstört und danach neu aufgebaut. Die Bevölkerung hat sich heute durch Zuwanderung verjüngt und ist sehr durchmischt. Rund die Hälfte der Menschen hat eine migrantische Geschichte. Eine Besonderheit gibt es beim Einkommen: Während das Durchschnittseinkommen im Stadtgebiet niedriger ist als im Landesschnitt, ist es im Umland der Stadt höher. Die Arbeitslosenquote lag in den letzten Jahren deutlich über dem Durchschnitt der Niederlande.


Bilder: Dutch Cycle Embassy, Gemeinde Rotterdam, Andrea Reidl, Melissa und Chris Bruntlett – Mobycon, stock.adobe.com – markus thoenen

Kann ein Fahrradparkhaus die Bahnhofsumgebung aufwerten? Wenn man nach Oranienburg schaut, dann lautet die Antwort ganz klar „Ja“. Sowohl in Bezug auf die Optik als auch den Mehrwert gelungen ist die Anlage eine echte Best-Practice-Empfehlung. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


Nicht nur funktional, sondern auch optisch ansprechend und ein klares Statement für den Radverkehr.Spezialisierte Hersteller wie Orion Bausysteme beraten bei der Ausstattung und bieten erprobte und zertifizierte modulare Lösungen.

Nach knapp einjähriger Bauzeit wurde das Bike+Ride-Fahrradparkhaus am Bahnhof Oranienburg, rund 30 Kilometer nördlich von Berlin, 2018 eröffnet. Der Bedarf war durch die verbesserten Zugverbindungen ins rund 30 Kilometer entfernte Berlin entstanden. Mit den neuen Verbindungen stieg auch die Zahl der Bahnreisenden und Pendler, die mit dem Fahrrad zum Bahnhof kamen. Die Folge: eine Vielzahl wild geparkter Fahrräder im Umfeld. Zählungen im Vorfeld des Neubaus ergaben, dass der Bedarf mehr als doppelt so hoch war wie die Kapazität der alten Anlage mit 350 Plätzen.
Mit der Errichtung des neuen Fahrradparkhauses sollte aber nicht nur eine praktische Lösung zum sicheren und wettergeschützten Abstellen entstehen, der Bahnhofsbereich sollte auch insgesamt aufgewertet werden. So entstand das Fahrradparkhaus als architektonisch ansprechendes „durchlässiges“ Gebäude, das durch die gute Beleuchtung auch nachts attraktiv wirkt und ein sicheres Gefühl vermittelt. Auch in Bezug auf den Platz ist das Fahrradparkhaus ein Gewinn. Es wurde direkt am S-Bahndamm auf einer Fläche angelegt, die anderweitig kaum nutzbar gewesen wäre. An den Standort der alten Abstellanlage rückten überdachte Bushaltestellen und Taxistände – auch das ein Vorteil.
Das neue Fahrradparkhaus bietet auf zwei Etagen Platz für über 1.000 Räder. Die können kostenlos im sogenannten Doppelstockparksystem eingestellt werden. Während die Abstellplätze im Erdgeschoss vom Gehweg aus zugänglich sind, kann das Obergeschoss über zwei Treppenanlagen mit seitlichen Schieberampen erreicht werden. Von hier aus gibt es auch eine direkte Verbindung zum S-Bahnsteig. Neben den kostenfreien Abstellmöglichkeiten wurden zusätzlich Fahrradboxen zum Mieten und Schließfächer mit Lademöglichkeiten für E-Bike-Akkus eingeplant. Als Service gibt es zudem eine kombinierte Luftpumpstation mit Werkzeugausstattung. Auch eine WC-Anlage wurde als Ergänzung zur vorhandenen öffentlichen Toilette am Bahnhofsplatz in das Parkhaus integriert. Vorausschauend wurden auch gleich die technischen Voraussetzungen für eine Videoüberwachung geschaffen. Dank der modularen Bauweise des Fahrradparkhauses ist es zudem möglich, die Nutzung zu variieren, indem zum Beispiel ein Teil der Anlage für die Unterbringung einer Serviceeinrichtung (Werkstatt oder Fahrradverleih) abgetrennt wird.
Um die Verkehrssicherheit am nun aufgeweiteten Bahnhofsplatz zu erhöhen, wurde er als verkehrsberuhigter Bereich mit Tempo 20 ausgewiesen. Die Kosten für das Fahrradparkhaus beliefen sich auf rund 1,75 Millionen Euro. Die Finanzierung erfolgt aus Städtebaufördermitteln im Rahmen des Förderprogramms „Aktive Stadtzentren“, wonach je ein Drittel der Aufwendungen von Bund, Land und Kommune getragen werden.

Ausstattung Fahrradparkhaus Oranienburg im Überblick

  • 1.056 Abstellplätze in Doppelstock-parkern – nach DIN 79008 „stationäre Fahrradparksysteme“ geprüftes und vom ADFC zertifiziertes Modell
  • 14 Gepäckschließfächer inklusive Lademöglichkeit für E-Bike-Akkus
  • 9 Fahrradboxen zur Anmietung
  • Reparatursäule inklusive Luftpumpe, Werkzeugset und Haltevorrichtung
  • Die Kosten für die Ausstattung, die durch die Unternehmen Orion Bausysteme und Orion Stadtmöblierung realisiert wurde, beliefen sich auf 264.000 Euro. Mehr Informationen unter orion-bausysteme.de

Bilder: Orion Bausysteme – Nikolay Kazakov, Stadt Oranienburg – Sven Dehler

In die Metropolregion Hamburg sollen künftig deutlich mehr Menschen aus den umliegenden Bundesländern mit dem Rad pendeln. Mit einem 270 Kilometer langen Radschnellwegenetz will man vor allem für Pendler aus ländlichen Regionen ein neues, attraktives Angebot schaffen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


In den Niederlanden längst Standard, in Hamburg noch Vision: Für Pendler im Umland soll es künftig ein Netz von Radschnellwegen geben.

Berufspendler brauchen häufig gute Nerven. Besonders, wenn sie in den ländlichen Regionen rund um eine prosperierende Großstadt wie Hamburg leben. Aus dem Alten Land, der Marsch und der Heide fahren jeden Morgen mehr als 300.000 Pendler in die Hamburger Innenstadt. Spätestens an der Landesgrenze stehen sie im Stau oder drängen in überfüllte Busse und Bahnen. Zu den Stoßzeiten hat das Straßen- und Schienennetz der Hansestadt sein Limit längst erreicht. 2019 war Hamburg die Stauhauptstadt Deutschlands. Zur Staubekämpfung baut man in den Niederlanden seit Jahrzehnten Radschnell-wege. Das will die Metropolregion Hamburg jetzt auch versuchen, und zwar in großem Stil. Ein Netz aus sieben Routen soll in naher Zukunft sternförmig aus allen Himmelsrichtungen in die Hafenstadt führen.

„Noch ist das Netz aus Radschnellwegen ein Versprechen.“

Susanne Elfferding, Projektkoordinatorin

Das Projekt ist ehrgeizig

Die kürzeste Route von Ahrensburg zur Stadtgrenze ist immerhin 8,5 Kilometer lang. Die beiden längsten Strecken im Hamburger Südwesten und Südosten bringen es sogar auf über 50 Kilometer. Sie führen von Lüneburg und Stade durch viele kleine Ortschaften zu den Elbbrücken. Wenn alle Routen fertig sind, soll im Hamburger Umland ein 270 Kilometer langes Premiumnetz für Fahrradfahrer die Straßen vom Autoverkehr entlasten und für Klimaschutz und bessere Luft sorgen. Allerdings wird das noch dauern. „Noch ist das Netz aus Radschnellwegen ein Versprechen, noch bauen wir nicht“, betont Susanne Elfferding, die für die Metropolregion das Projekt koordiniert. Die Partner sind die Hansestadt Hamburg und über 1.000 Orte, 20 Landkreise und kreisfreie Städte aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Diese Zusammenarbeit über vier Landesgrenzen hinweg ist einzigartig. Neben den sieben Radschnellwegen, die auf Hamburg zulaufen, sind auch noch zwei im Norden von Schleswig-Holstein geplant.

„Ich finde den Begriff Radboulevard treffender.“

Hartmut Teichmann, Stadtplaner

Basis: Gute Planung und gute Kommunikation

„Ende des Jahres sollen die Machbarkeitsstudien für die neun Routen fertig sein“, erläutert Susanne Elfferding. Die Technische Universität Hamburg hatte zuvor das Potenzial von über 30 Strecken ermittelt. Ausschlaggebend war schlussendlich, wie viele Arbeitsplätze, Schulen, Supermärkte und Bahnhöfe die Menschen auf den jeweiligen Routen innerhalb von 15 Radminuten erreichen könnten. Dabei zeigte sich: Die Bürger im schleswig-holsteinischen Kreis Pinneberg würden von ihrer 32 Kilometer langen Radschnellstrecke wahrscheinlich am meisten profitieren. „Etwa 70.000 Pendler fahren täglich Richtung Hamburg und rund 30.000 in die Gegenrichtung“, sagt Hartmut Teichmann, Stadtplaner des Kreises. Er erwartet, dass viele von ihnen das Auto gegen das Fahrrad oder E-Bike tauschen, wenn die Strecke fertig ist, und rechnet mit einem Anstieg des Radverkehrsanteils von 16 auf 25 Prozent. Bis es so weit ist, müssen er und seine Kollegen jedoch vor allem noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Die verschiedenen Bürgerbeteiligungen haben Teichmann beispielsweise gezeigt: Die Bezeichnung Radschnellweg irritiert viele Anrainer. Sie fürchten, dass rasende Radfahrer seltene Vogelarten vertreiben, ihre Kinder anfahren oder die Fußgänger stören, die im Moor spazieren gehen. „Ich finde den Begriff Radboulevard treffender“, sagt Teichmann. Damit ließen sich viele Vorurteile von vornherein ausräumen. Bis zum Baubeginn ist dafür noch jede Menge Zeit. Wenn Ende des Jahres alle Machbarkeitsstudien fertig sind, muss beispielsweise erst noch geklärt werden, wer die Trägerschaft der Radschnellwege übernimmt und wer sie bezahlt. Der Bund beteiligt sich mit durchschnittlich 75 Prozent an den Kosten für die Planung und den Bau. Allerdings bundesweit nur mit 25 Millionen Euro. Die reichen für die geplanten 270 Kilometer nicht aus. Aber Radschnellwege werden auch nicht ausgerollt wie Rollrasen. Zunächst werden Teilstücke gebaut. Teichmann rechnet mit einem positiven Effekt in der Bevölkerung, wenn der erste Abschnitt fertig ist. Denn Fotos und Imagefilme würden die Vorteile der Premiumrouten nur eingeschränkt abbilden. „Die Menschen müssen es selbst erfahren“, sagt er. Dann werde die Planung und Umsetzung der anderen Abschnitte leichter. Aber auch das wird seine Zeit dauern. Stadtplaner Teichmann sagt: „Wenn alles gut läuft, wird der erste Abschnitt Mitte der 20er-Jahre fertig sein.“


Bilder: M. Zapf – MRH, Metropolregion Hamburg

Der Bund fördert sieben Professuren für Radverkehr. Ein längst fälliger Schritt zur Weiterbildung und Vergrößerung der Chancengleichheit des Verkehrsträgers Fahrrad. Die Fakultäten verstehen sich als Teamplayer und wollen ein neues Kompetenznetzwerk aufbauen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Es war ein Mix aus Alltagstest und Werbetour für ihre neuen Studiengänge: Rund 1.500 Kilometer sind 120 Wissenschaftler mit ihren Studenten in den vergangenen Wochen kreuz und quer durch Deutschland geradelt. Auf ihrer Staffeltour von einer Universität zur nächsten testeten sie die Radinfrastruktur, sprachen mit Politikern, Verkehrsexperten und Unternehmen über ihren Ausbau und entwickelten Ideen für gemeinsame Projekte. Ihr Fazit: sehr durchwachsen. Radfahren in Deutschland reicht aus Sicht der Experten von gut bis mies. Das ist keine Überraschung. Schließlich sollen sie dafür sorgen, dass es besser wird.

Übergabe des Staffelstabs in Frankfurt. Die Vertreter der sieben Radverkehrs-Studiengänge wollen eng zusammenarbeiten. Im Sommer haben sie auf einer Radtour durch Deutschland das Netz genau untersucht.

Sieben Stiftungsprofessuren „Radverkehr“

Das BMVI finanziert mit 8,3 Millionen Euro sieben Stiftungsprofessuren „Radverkehr“ an ihren Fakultäten. Mit dem Geld sollen sie in den kommenden fünf Jahren die Rahmenbedingungen für Radfahrerinnen und Radfahrer verbessern, Daten liefern und den dringend benötigten Nachwuchs an Planern und Planerinnen für Städte, Kommunen und Ingenieurbüros ausbilden. Der Bedarf an Fachkräften ist riesig. Viele Stellen für Radverkehrsplaner bleiben oft monatelang, manche jahrelang unbesetzt, weil die Bewerber fehlen. Das sollen die Absolventen der neuen Masterstudiengänge ändern. Die TH Wildau und die Frankfurt University of Applied Sciences haben mit Jana Kühl und Dennis Knese bereits eine Professorin und einen Professor berufen. Die übrigen wollen in den kommenden sechs bis zwölf Monaten nachziehen. In Frankfurt am Main beginnen die ersten Veranstaltungen bereits im Wintersemester. Neben der Ausbildung der Studenten ist die Weiterbildung von Planern und Ingenieuren ein wichtiges Standbein. Das Spezialisierungsstudium für Bau- und Verkehrsingenieure hat die Schwerpunkte Simulation, Reallabor und Transformation. Das klingt nüchtern, birgt aber viel Zündstoff.

Jana Kühl ist seit 1. November Professorin für Radverkehr an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter.

Wuppertal ist eine echte Herausforderung für Radverkehrsplaner. Die bekannte Nordbahntrasse markiert den Beginn einer neuen Ära.

Verkehrsplanung auf neuen Rädern

Professor Felix Huber, Dekan an der Bergischen Universität Wuppertal, sagt: „Wir stellen Waffengleichheit in der Methodik her.“ 80 Jahre habe die Verkehrsplanung die Netze rein vom Auto her gedacht. Privatwagen durften die direkte Strecke fahren. Fußgänger und Straßenbahn wurden auf Restflächen verwiesen oder unter die Erde verbannt. Radfahrer bekamen nur die Restflächen und sie wurden auch bei den Regelwerken schlicht vergessen. „Viele Regelwerke wie etwa der Level of Service (LOS) existieren für Radverkehrsanlagen gar nicht“, so Professor Huber. LOS benotet die Qualität des Verkehrsablaufs von A = „Freier Verkehrsfluss“ bis F = „Verkehrsanlage ist überlastet“. Eine vergleichbare Richtlinie würde den Planern ihre Arbeit enorm erleichtern. Erhält ein Radweg die Kategorie „F“, so wären das für die Politik objektive Argumente für einen Umbau. Dann könnte laut Huber eine Umweltspur für Busse und Radfahrer eingerichtet werden.

„Bislang hat der Radverkehr in der Forschung nur wenig Platz gehabt. Die Datenlage ist extrem dünn.“

Sandra Wolf, Geschäftsführerin bei Riese & Müller

Teamplayer für ein neues Zukunftsnetzwerk

Alle Fakultäten sehen sich als Team-player. Einige von ihnen arbeiten seit Jahren zusammen. Diese Zusammenarbeit soll noch ausgebaut werden, etwa mit einem jährlichen Symposium an der TH Wildau oder einer weiteren Sommerradtour. Petra Schäfer, Professorin für Verkehrsplanung und Öffentlichen Verkehr von der Frankfurt University of Applied Sciences, hat die Tour mitentwickelt. Auf ihrer Etappe besuchte sie mit ihrem Team unter anderem Sharing-Anbieter, Planungsbüros, den Regionalpark RheinMain und Unternehmen aus der Fahrradbranche. Die enge Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort und die Weiterbildung der Ingenieure in den Verwaltungen und Planungsbüros spielt für Petra Schäfer eine entscheidende Rolle. „Die großen Städte können Radverkehrsplanung inzwischen ganz gut“, sagt die Professorin. Kleinere Städte tun sich ihrer Erfahrung nach häufig schwer, weil ihnen die Fachplaner fehlten. Für Bauingenieure, Stadt- und Verkehrsplaner will sie mit ihren Kollegen in den kommenden Jahren passgenaue Weiterbildungsangebote entwerfen und anbieten.
Die Forschung in Frankfurt am Main wird auch von der Wirtschaft unterstützt. Der E-Bike-Hersteller Riese & Müller übernimmt die Kosten für eine halbe Stelle eines wissenschaftlichen Mitarbeiters. „Bislang hat der Radverkehr in der Forschung nur wenig Platz gehabt. Die Datenlage ist extrem dünn“, sagt Sandra Wolf, Geschäftsführerin bei Riese & Müller. Aber für die Verkehrswende sei die infrastrukturelle Datenerhebung für alle Verkehrsmittel wichtig. Deshalb unterstütze ihr Unternehmen die Forschung. Der E-Bike-Hersteller ist seit Jahren Partner verschiedener Hochschulen. Studenten schreiben in Kooperation mit dem Unternehmen bei Darmstadt ihre Promotion oder ihre Masterarbeit über Radlogistik oder Maschinenbauthemen.
Für Tilman Bracher, Mobilitätsexperte am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu), sind die neuen Stiftungsprofessuren überfällig. „Der Bedarf an Planern in den Städten, Kommunen und den Planungsbüros ist riesig“, sagt er. So bleiben aktuell viele Stellen über Monate und Jahre unbesetzt, weil schlicht der Nachwuchs fehlt. Allerdings vermisst der Experte ein weiteres Ingenieursfach in dem Studienangebot: Die Ampelschaltung in der Signaltechnik. „Die Ingenieure, die heute die Ampeln schalten, haben gelernt, den Autofluss zu optimieren“, sagt Bracher. Nun sei genau das Gegenteil gefragt. Der Autoverkehr müsse gebremst werden und Radfahrer wie Fußgänger sollten die Kreuzungen schneller passieren dürfen. Mehr Platz für Radfahrer zu schaffen, wird laut Bracher allerdings nicht die einzige Aufgabe der neuen Planer sein: „Wir müssen schöne Straßen planen, wir müssen die Stadträume neu erfinden.“

Masterstudiengänge an sieben Hochschulen

Mithilfe der 8,3 Millionen Euro des Bundesverkehrsministeriums richten diese sieben Hochschulen neue Masterstudiengänge zum Radverkehr mit unterschiedlichen Schwerpunkten ein: In Baden-Württemberg hat die HS Karlsruhe „Radverkehr“, in Hessen die HS RheinMain „Rad_Entwurf“ und die Uni Kassel „Radverkehr und Nahmobilität“, in Frankfurt a. M. die Frankfurt University of Applied Sciences „Nachhaltige Mobilität insbesondere Radverkehr“, in Niedersachsen die Ostfalia HS in Wolfenbüttel „Radverkehrsmanagement“, in Nordrhein-Westfalen die Uni Wuppertal „Planungswerkzeuge für den Radverkehr der Zukunft – Simulation, Reallabor, Transformation“ und in Brandenburg die TH Wildau „Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen“.


Bilder: BMVI – Peter Adamik, Kevin Rupp – Frankfurt UAS, Marius Probst, Ostfalia – Matthias Nickel, Christa Mrozek Wuppertalbewegung

Mecklenburg-Vorpommern war jahrelang eine der führenden Radreisedestinationen Deutschlands. Allerdings haben das Land und die Kommunen die Pflege der Radfernwege vernachlässigt. Sie müssen saniert werden. Das ist kostspielig, birgt aber große Chancen für die Tourismusförderung und den Alltagsradverkehr. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


Die Ostseeküste ist eigentlich eine Traumdestination, und das nicht nur in Zeiten von Corona. Wer im Sommer von Travemünde Richtung Rügen radelt, behält die Badehose auf dem Rad am besten gleich an. Auf diesem Teil des Ostseeküsten-Radwegs ist das Meer meist in Sichtweite. Besonders stilvoll baden können Radfahrer auf diesem Streckenabschnitt des Ostseeküsten-Radwegs vor der Kulisse des ältesten Seebads der Region in Kühlungsborn. Nostalgiker nennen das Ensemble aus klassizistischen Villen und dem imposanten Grand Hotel „die weiße Stadt“. Weniger mondän, dafür bizarr und spooky ist wenige Kilometer weiter der Gespensterwald bei Nienhagen. Dort hat der starke Seewind das Geäst der Eichen, Eschen und Buchen so verformt, dass sie ohne Laub an greifende Klauen von Geisterwesen erinnern.

Ostsee beliebt bei Radausflüglern

Laut ADFC-Radreiseanalyse 2020 finden die meisten Radausflüge im Urlaub an der Ostsee statt. Im Ranking der beliebtesten Radrouten in Deutschland findet sich auch der Ostseeküsten-Radweg regelmäßig unter den Top 10. Allerdings gibt es noch deutlich Luft nach oben: In der aktuellen ADFC-Befragung zeigt sich die Route nur als halb so beliebt wie der Spitzenreiter Weser-Radweg, der vom Kreis Göttingen bis nach Cuxhaven führt.

Marode Radinfrastruktur bremst die Begeisterung

Landschaftlich schöner und abwechslungsreicher kann man wohl kaum an einer deutschen Küste entlang radeln. Allerdings geht es deutlich komfortabler. Das einstige Aushängeschild Mecklenburg-Vorpommerns ist mit vielen anderen Radrouten in der Region in Verruf geraten. Land, Kreise und Kommunen haben die Radwanderwege lange Zeit sich selbst überlassen. Das rächt sich heute: Eine Vielzahl der Streckenabschnitte ist verrottet, Asphalt durch Wurzeln aufgebrochen, zu Sand- und Schlammpisten mutiert und in Küstennähe teilweise sogar komplett weggebrochen. Verkehrsexperten und Radtouristen geben der Region deshalb seit ein paar Jahren schlechte Noten.

Region droht langfristiger Imageverlust

Diesen Imageverlust kann sich die Radreisedestination eigentlich nicht leisten. Der Tourismus bringt jedes Jahr ebenso viel Geld ins Land wie die Landesregierung in zwölf Monaten ausgibt. Jeder dritte Urlauber reist zum Radfahren an und schlechte Bewertungen schrecken Gäste schnell ab. Der Tourismusverband Rügen hat bereits eine Vielzahl verärgerte Rückmeldungen von Urlaubern erhalten. „Wir sind froh, gesund und ohne Unfall nach Hause gekommen zu sein, obwohl wir uns jeden Tag mindestens einmal in Lebensgefahr gefühlt haben“, schrieb eine Familie. Andere erklärten: „So eine schlechte Infrastruktur für Radfahrer haben wir noch nicht erlebt. Wenn Sie keine Lust auf Radtouristen haben, schreiben Sie es doch in Ihre Prospekte.“ Reinhard Wulfhorst, Referatsleiter für Verkehrspolitik der Landesregierung in Schwerin, findet ähnliche Beschwerden immer wieder in seiner Post. „Das sind keine Wutbürger, sondern verärgerte Urlauber, die ihre Erlebnisse schildern“, sagt er. Er ist selbst häufig mit dem Rad in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs und weiß: „Es gibt lange Strecken, die sind vorzüglich, aber es gibt auch Strecken, für die man sich einfach schämen muss.“ Eine Einschätzung, der erfahrene Radler kaum widersprechen werden.

Radfernwege sind nur so gut wie die schlechtesten Streckenabschnitte: An Betonplatten und Sperrungen erinnern sich Reiseradler, berichten anderen und geben der Region schlechte Noten.

Gutachten zeigen immensen Sanierungsbedarf

Die Landesregierung hat inzwischen auf die Kritik reagiert. Im letzten Jahr beauftragte sie ein Planungsbüro, um die Qualität des 2500 Kilometer langen Radfernwegenetzes zu bewerten. Die Experten konnten nicht das komplette Netz abfahren. Stattdessen haben sie jeden Meter des 78 Kilometer langen Radfernweges auf Usedom untersucht. Die Insel wurde ausgewählt, weil ihre Topografie und die Wegeführung exemplarisch sind für Mecklenburg-Vorpommern. Das Gutachten bestätigte die Kritik der Radfahrer. Der Sanierungsbedarf ist riesig. Nur etwas mehr als die Hälfte der Wege sind in gutem Zustand oder benötigen nur kleinere Reparaturen. 28 Prozent dagegen brauchen eine neue Asphaltschicht und 19 Prozent der Wege müssen komplett saniert werden. Auf Usedom zeigte sich außerdem: Der Handlungsdruck ist bei den kommunalen Straßen am größten. Zwar wissen Auftraggeber und Radexperten, dass die Ergebnisse der Bestandsaufnahme nicht eins zu eins übertragbar sind, aber sie zeigen dennoch: Der Sanierungsbedarf ist immens. Um die Schäden im ganzen Bundesland auf den Fahrbahnen, Radwegen sowie Wald- und Forstwegen zu beseitigen, müssten laut Gutachter etwa 348 Millionen Euro investiert werden.

AGFK MV wird zum landesweiten Verein

Im Herbst geht es los. Dann wird die seit 2017 bestehende Arbeitsgemeinschaft für fahrrad- und fußgängerfreundliche Kommunen Mecklenburg-Vorpommern (AGFK MV) zu einem eingetragenen Verein. Aktuell ist sie ein Projekt der Hansestadt Rostock und wird finanziert vom Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung sowie über kommunale Mitgliedsbeiträge. Ab Oktober gehören neben Rostock auch Stralsund, die Landeshauptstadt Schwerin, Greifswald, Wismar, Neustrelitz und Anklam sowie die Gemeinde Heringsdorf zur AGFK MV. Sie alle wollen mehr für Verkehrsteilnehmer tun, die nicht motorisiert unterwegs sind. Das BMVI fördert über das Sonderprogramm „Stadt und Land“ in Kürze erstmals die Planung und den Bau von qualitativ hochwertigen Radverkehrsanlagen mit Fördergeldern in Millionenhöhe. Die AGFK MV soll ihre Mitglieder unter anderem dabei unterstützen, diese Mittel zu beantragen und bei der Umsetzung der Projekte helfen. Rückenwind bekommt die neue AGFK auch durch den Städte- und Gemeindetag M-V, der die Entwicklung seit dem Projektstart unterstützt und die Mitgliedschaft per Vorstandsbeschluss empfiehlt.

Nachholbedarf bei Strategie und Zuständigkeit

Der Handlungsdruck für die Politik ist also groß. Allerdings stehen die Entscheider vor der Frage: Wer ist verantwortlich und wer soll das bezahlen? Für viele Radfernwege in Mecklenburg-Vorpommern gibt es keinen zentralen Routenbetreiber. Der ADFC rät dazu seit Jahren, und im Ruhrgebiet ist das Prinzip zum Beispiel seit Jahren bewährt. „Dort teilen sich die Ruhr-Tourismus GmbH und der Regionalverband Ruhr (RVR) die Aufgabe“, sagt Louise Böhler, Tourismus-Expertin beim ADFC. Während der RVR die Strecke regelmäßig kontrolliert und Schäden ausbessert, kümmert sich der Tourismusverband um Produktentwicklung und Marketing. „Sie unternehmen regelmäßig mit den Hoteliers, den Fahrradverleihern und den Anrainern Ausfahrten, um für das Produkt ͵Radreiserouteʹ vor ihrer Haustür zu werben“, sagt Louise Böhler. Das ist clever. Denn so erfahren alle am Projekt Beteiligten buchstäblich das touristische Angebot. „Sie erkennen, warum sich die Investition lohnt“, sagt sie. Im Nordosten der Republik ist das anders. Weil eine zen-trale Anlaufstelle fehlt, ist mal das Land, eine Kommune oder eine Gemeinde für ein Stück Radfernweg zuständig. Sie müssen die Wege warten und Schäden beheben. Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis fehlt kleineren Kommunen oftmals das Geld, um Schlaglöcher oder Wurzelaufbrüche auf ihrem Streckenabschnitt auszubessern. Manchmal investiert die Politik vor Ort auch lieber in den überfälligen Ausbau der Kita als in die Radroute – insbesondere wenn die Gemeinde nicht vom Tourismus profitiert.

Mangelware: Finanzmittel und Gesamtkonzept

Das schadet allerdings dem gesamten Land. Denn am Tourismus kommt zwischen Wismar und Usedom kaum jemand vorbei. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es rund 450.000 Betten für Urlauber. Die Ferienbranche ist hier ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. „7,75 Milliarden Euro haben der Tourismus und das Gastgewerbe 2014 ins Land gebracht. Das entsprach dem Landeshaushalt des Jahres“, sagt Referatsleiter Reinhard Wulfhorst. Das entspricht rund zwölf Prozent der Bruttowertschöpfung des Landes. Jeder sechste Arbeitsplatz hängt hier am Tourismus. Untersuchungen zeigen zudem: Mehr als 30 Prozent der Touristen kommen zum Radfahren an die Ostseeküste. Das weiß auch die Landesregierung. Trotzdem gibt es bislang noch keinen konkreten Plan, wie und wann die Reiserouten saniert werden sollen. Für kleine Sofortmaßnahmen hat sie 2019 ein Erhaltungsprogramm gestartet. Mit vier Millionen Euro sollen die Kreise und Gemeinden nun im Zeitraum von zwei Jahren kleine Mängel auf den Wegen ausbessern. „Das ist etwa ein Hundertstel des eigentlichen Bedarfs“, schätzt der Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC, Horst Krumpen. Allein für die Sanierung des Ostseeküsten-Radwegs, dem Aushängeschild der Region, seien 20 Millionen Euro notwendig. Horst Krumpen vermisst den politischen Willen und ein angemessenes Budget, um den Radverkehr für Radtouristen und Alltagsfahrer auszubauen.

Radentscheid: Auch in Rostock wurden Unterschriften für eine bessere Radinfrastruktur gesammelt. Marie Heidenreich (Mitte) setzt sich darüber hinaus für einen Radentscheid auf Landesebene ein.

Besserer Radverkehr für alle als Ziel

Wie es besser funktionieren könnte, hat der ADFC Landesverband zusammen mit dem Tourismusverband und der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK) Mecklenburg-Vorpommern bereits 2018 in einem Sieben-Punkte-Programm aufgezeigt: Das Herzstück des Programms ist der Aufbau eines lückenlosen Radwegenetzes bis 2030 für Alltags- und Freizeitfahrer. Der ADFC und die AGFK unterscheiden dabei nicht mehr zwischen Wegen für Touristen, Pendler oder Freizeitfahrern. „Die Radwege werden von verschiedenen Gruppen genutzt“, sagt Tim Birkholz, Projektkoordinator der AGFK in Mecklenburg-Vorpommern. Die Forderung nach einem landesweiten Netz für Radfahrer ist nicht neu. Bereits 2011 und 2016 haben die gewählten Volksvertreter in ihren Koalitionsvereinbarungen die Planung und den Bau des Netzes festgeschrieben. Passiert ist seitdem wenig. ADFC-Mann Horst Krumpen ist das Warten leid. „Für Autofahrer ist es selbstverständlich, von Wismar nach Schwerin auf einer gut ausgebauten und zusammenhängenden Straße zu fahren“, sagt er. Für Radfahrer endet der Weg auf der 30 Kilometer langen Strecke immer mal wieder vor einem Acker und werde erst 500 Meter später weitergeführt.

„Über 50 Prozent der Erwerbstätigen haben einen Arbeitsweg, der unter zehn Kilometer liegt.“

Tim Birkholz, Projektkoordinator der AGFK in Mecklenburg-Vorpommern

Hohe Potenziale auch für Alltagsradverkehr

Damit Radfahrer und auch Fußgänger bald sicher von A nach B kommen, sieht das Sieben-Punkte-Papier vor, auf Landesebene ein eigenes Referat für den Rad- und Fußverkehr zu schaffen. Auf diesem Weg soll die Mobilität für beide Zielgruppen attraktiver werden und ihr Anteil am Gesamtverkehr steigen. Das Potenzial, den Anteil der Radfahrer im Alltagsverkehr zu stärken, ist hoch in dem Bundesland. Laut der bundesweiten Studie „Mobilität in Deutschland (MID)“ von 2017 liegt ihr Anteil dort heute bereits bei 14 Prozent. Das sind vier Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Experten sehen gerade unter den Pendlern noch viele Autofahrer, die für kurze Strecken aufs Rad umsteigen könnten. Im Jahr 2016 war der Arbeitsweg bei 44 Prozent der Erwerbstätigen hier zwar länger als zehn Kilometer. „Im Umkehrschluss heißt das, dass über 50 Prozent einen Arbeitsweg haben, der unter zehn Kilometer liegt“, betont Tim Birkholz. Auf dieser Distanz sind das Fahrrad und das E-Bike beliebt bei Berufstätigen, was unter anderem der 2012 vom Bund geförderte „Schweriner Versuch“ zeigte. Hier testeten acht Personen zwei Wochen lang im Berufsverkehr verschiedene Fahrzeuge. Dazu fuhren sie morgens und nachmittags zur Hauptverkehrszeit aus der Vorortsiedlung Friedrichsthal zum Rathaus Schwerin in der Altstadt. Sie legten die 6,5 bis 8 km lange Strecke abwechselnd mit dem Pkw (Benzin und elektrisch), per Motorroller (Benzin und elektrisch), Fahrrad, E-Bike oder dem ÖPNV zurück. Die Forscher untersuchten die Parameter Zeit, Kosten, Energieverbrauch, CO2-Ausstoß, Stress und körperliche Bewegung. Die Ergebnisse zeigten: Das Fahrrad und das E-Bike landeten in sämtlichen Kategorien auf den ersten beiden Plätzen. „Nach meinem Eindruck sind viele Menschen bereits weiter als die Politik“, betont dazu Reinhard Wulfhorst. Aber damit sie das Auto tatsächlich stehen ließen und aufs Rad mit oder ohne Motor umstiegen, müssten die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehöre neben einem sicheren und zusammenhängenden Radwegenetz auch eine bessere Integration des Radverkehrs in das vorhandene Mobilitätsangebot.

Radgesetz nach NRW-Vorbild?

„Die Menschen brauchen eine gute Anbindung ans Schienennetz und überdachte Abstellanlagen mit Ladestationen für E-Bikes“, sagt Marie Heidenreich, Mitglied der Grünen in Rostock und Initiatorin des dortigen Rad-entscheids. Sie weiß: Beides ist Mangelware, selbst in der Landeshauptstadt Schwerin. Um das zu ändern, setzt sie sich nach dem gewonnenen Radentscheid in Rostock nun für ein Radgesetz auf Landesebene ein. Ihr Vorbild ist Nordrhein-Westfalen. NRW wird das erste Flächenland sein, das ein Radgesetz bekommt. Rund 207.000 Unterschriften haben die Aktivisten vom Radentscheid im vergangenen Jahr der Landesregierung in NRW vorgelegt, 66.000 waren für eine Anhörung nötig. An der großen Zustimmung für den Ausbau der Radinfrastruktur in der Bevölkerung kamen die Politiker nicht vorbei. Diese politische Richtungsentscheidung will Maria Heidenreich nun auch in Mecklenburg-Vorpommern umsetzen. „Ohne rechtliche Vorgaben bleibt es jedem Landkreis und jeder Kommune selbst überlassen, ob und wie sie den Radverkehr stärkt“, sagt sie. Das führt immer wieder dazu, dass Radwege an der Landesgrenze abrupt enden. Außerdem fehlten kleinen Gemeinden nicht nur das Geld, sondern auch die Planer, um die notwendige Infrastruktur zu umzusetzen. Sie fordert deshalb eine überregionale Radverkehrsplanung aus einer Hand sowie verbindliche Ziele und klar definierte Standards für Routen. „Dazu gehört unter anderem auch, dass die Pendler die Strecken im Winter oder bei Dunkelheit nutzen können“, sagt sie.

Ziel: Region zieht an einem Strang

Wie es mit dem Radverkehr in Mecklenburg-Vorpommern weitergeht, werden die kommenden Monate zeigen. Die Landesregierung hat Werkstattgespräche organisiert, um mit allen Beteiligten einen Plan zu erarbeiten. Tilman Bracher, Verkehrsforscher und Leiter des Forschungsbereichs Mobilität beim Deutschen Institut für Urbanistik wird die Gespräche moderieren. In einem sind sich alle Beteiligten jedenfalls einig: Die Bedingungen für alle Radfahrer müssen besser werden. Gute Argumente für einen schnellen Return on Investment liegen mit Blick auf die Stärkung des lokalen Tourismus ebenso auf der Hand wie vor dem Hintergrund von absehbar notwendigen Maßnahmen für Klimaschutz und der vielerorts geforderten Verkehrswende.

Tourismus als Wachstumsmotor im Nordosten

Fast sieben Prozent aller Reisenden aus Deutschland haben im vergangenen Jahr gemäß der Deutschen Tourismusanalyse 2019 die Seen und Ostseegemeinden in Mecklenburg-Vorpommern besucht und damit für rund 34 Millionen Übernachtungen gesorgt. Damit führt die Region in der Beliebtheit bei deutschen Gästen vor Bayern (5,5 %), Niedersachsen (4,8 %), Schleswig-Holstein (4 %) und Baden-Württemberg (2,9%). Der Tourismus ist ein wichtiger Umsatztreiber und wird auch für die Zukunft als Wachstumsmotor der Region gesehen.


Bilder: stock.adobe.com – Katja Xenikis, Tim Birkholz, stock.adobe.com – stylefoto24, Marie Heidenreich