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Wien soll klimaresilient werden

Der Klimawandel ist in Wien schon spürbar. Die Stadt baut um und schafft mit „coolen Straßen“ erfrischende Oasen für die Bewohner vor der Haustür. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Temperaturen über 30 Grad sind im Sommer in Wien keine Seltenheit mehr. Mit zusätzlichen Sitzgelegenheiten, Trinkbrunnen und Sprühnebel schafft die Stadt kühle Orte zum Aufhalten im Freien

Seit Jahren landet Wien bei Rankings lebenswerter Städte auf den vordersten Plätzen. Das hat einen Grund. Die Politik räumt dem eine hohe Priorität ein und treibt unter anderem den Umbau der autogerechten Stadt zur „Smart City“ massiv voran. Und der Druck auf die Politik bleibt hoch. Der Klimawandel setzt den Einwohnern, wie in anderen Städten, mehr und mehr zu. Im Sommer 2019 wurde hier bereits an über 40 Tagen die 30-Grad-Marke geknackt. Jeden Tag heizt sich die Stadt in diesen Perioden weiter auf und es bilden sich Hitzeinseln. Mit gezielten Pop-up-Projekten versucht Birgit Hebein, bis November 2020 Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung & BürgerInnenbeteiligung, die Hitzeinseln im Zentrum zu entschärfen und den Menschen gleichzeitig mehr Platz im öffentlichen Raum zu schaffen. Ein nachahmenswertes Beispiel sind die „coolen Straßen“ in Wohngebieten.

So lässt es sich aushalten: Der Sprühnebel sorgt für Erfrischung und kühlt gleichzeitig die Umgebung. Die Stelen stehen an Plätzen und in Straßen, die sich besonders stark aufheizen und wo außerdem viele Kinder und Senioren leben.

Coole Straßen als Erfrischungszonen

„Coole Straßen“ sind autofrei. Selbst das Parken ist dort verboten. Die Anwohner können den Platz mit Liegestühlen, Planschbecken, Spielen oder Grünpflanzen frei gestalten. Die Stadt steuert Pflanzen bei und installiert Stelen, die mit Sprühnebeln für Erfrischung sorgen. Der Testlauf im vergangenen Jahr in drei Straßen kam so gut an, dass das Projekt für Juni 2020 auf 18 Straßen ausgedehnt wurde. Rückblickend war das ein Glücksgriff. Denn aufgrund der Corona-Pandemie haben viele Wiener den Sommer in der Stadt verbracht. Die Standorte für mögliche Erfrischungszonen im Stadtzentrum hatte die Verwaltung bereits im vergangenen Jahr anhand von Hitzekarten festgelegt. „Es wurden die Stellen in der Stadt identifiziert, die sich besonders stark aufheizen und wo außerdem viele Kinder und Senioren leben“, sagt Kathrin Ivancsits, Sprecherin der Mobilitätsagentur der Stadt Wien. Kleinkinder und ältere Menschen leiden besonders unter den lang anhaltenden hohen Temperaturen. Selbst in der Nacht, weil die Betonschluchten die Hitze speichern und noch viele Stunden nach Sonnenuntergang abgeben.
Der neu gewonnene Platz wurde bestens angenommen. „Die Kinder eignen sich die Flächen sofort an“, sagt Kathrin Ivancsits. Erwachsene brauchten ihrer Erfahrung nach manchmal etwas länger, um sich den öffentlichen Raum tatsächlich zurückzuerobern. Aber von Juni bis September nutzten die Anwohner in fast allen „coolen Straßen“ den neu entstandenen Park vor der Haustür intensiv zum Klönen, um Zeitung zu lesen oder einfach nur um ihrer aufgeheizten Wohnung zu entfliehen. Die Erfrischungszonen vor der Haustür machten es ihnen leichter, die Hitze in der Stadt zu ertragen.

Per App zur Stadterfrischung

175 Nebelduschen, 1.000 Trinkbrunnen, 22 coole Straßen und rund 1.000 Parks gibt es mittlerweile in Wien. Seit ein paar Monaten kann man sich per App auf den kürzesten Weg zu den Plätzen navigieren lassen. Die App „Cooles Wien“ hat die Umweltstadträtin Ulli Sima initiiert. Für sie ist klar, dass jede Maßnahme für sich nur wenig bewirkt. In ihrer Gesamtheit machten sie vielen Stadtbewohnern den Alltag bei Hitze aber deutlich leichter.

Erfolgreiche Pilotprojekte machen Lust auf mehr

Die Messungen der Stadt haben gezeigt, dass die Temperaturen in den coolen Straßen um bis zu fünf Grad sanken. Die größte Abkühlung bringen die Sprühnebel. Inzwischen wurden vier dauerhafte „Coole Straßen Plus“ eingerichtet. In den Straßen oder Straßenabschnitten ist nun der Verkehr beruhigt; es wurden neue Bäume gepflanzt, Wasserspiele, Trinkbrunnen und Nebelduschen installiert und Sitzmöglichkeiten geschaffen. Wo es möglich ist, sollen noch Teile der Fassaden begrünt werden. Die coolen Straßen passen gut ins Konzept der Stadt, den Platz neu zu verteilen. Seit Jahren baut Wien den Verkehrsraum strategisch in Freiräume für Menschen um. Das berühmteste Beispiel ist die Mariahilfer Straße. Sie war über Jahrzehnte eine Hauptverkehrsader für Autofahrerinnen vom Westbahnhof in die Innenstadt. 2015 hat die Stadt ein 1,8 Kilometer langes Teilstück in eine Begegnungszone umgebaut. Seitdem sind dort Auto-, Rad- und Rollerfahrer sowie Fußgänger gleichberechtigt. Das heißt: Alle müssen aufeinander Rücksicht nehmen. In dem Maß, wie in der Mariahilfer Straße Wege und Parkplätze für Autos verringert wurden, wurde hier mehr Platz für Menschen geschaffen. In regelmäßigen Abständen wurden in der Begegnungszone Bänke, Sitzgruppen und Spieltische aufgestellt. Sie sind teilweise überdacht, damit die Menschen bei Regen und Sonnenschein Schutz finden.

Zu Beginn der Corona-Pandemie hat Wien sogenannte Bewegungszonen eingerichtet. Sie sollten Fußgänger zum Spazierengehen einladen und gleichzeitig das Abstandhalten dort leicht machen, wo die Gehwege schmal sind.

Corona ändert die Platzverteilung

„Die Corona-Krise hat uns noch deutlicher vor Augen geführt, dass der Raum in Wien ungleich verteilt ist: Zwei Drittel des Platzes ist durch parkende Autos belegt, für die Menschen wird es an manchen Orten zu eng“, sagt Birgit Hebein. Die Fußwege sind mancherorts so eng, dass die Menschen die Abstandsregeln nicht einhalten konnten. Damit sie sich dort trotzdem sicher bewegen konnten, hatte die Vizebürgermeisterin seit April 26 „temporäre Begegnungszonen“ eingerichtet. Für einige wurde die Laufzeit bis Ende Oktober immer wieder verlängert. Die Regeln dort schränken Autofahrer ein. Für sie gilt Tempo 20 und sie müssen auf Fußgänger Rücksicht nehmen. Diese sind dort gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und dürfen auch auf der Fahrbahn gehen.

Wien misst seit 25 Jahren die Lebensqualität

Seit 1995 erstellt die Stadt Wien zusammen mit der Universität Wien alle fünf Jahre eine Lebensqualitätsstudie als sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung. Der Vorteil der wiederkehrenden Befragungen ist, dass auch Veränderungen im Zeitverlauf sichtbar gemacht werden. Der letzte Bericht aus dem Jahr 2018 beschäftigt sich vertiefend mit den Themen Stadtentwicklung, Mobilität und Umwelt – Themen, die laut den Machern von großer gesellschaftlicher Brisanz sind. Ein erster Themenblock befasst sich mit der Frage, wie in Wien lebende Personen die Tatsache beurteilen, dass Wien eine wachsende Stadt ist. Dabei wird genauer beleuchtet, wie sich verschiedene Einflussfaktoren wie etwa Geschlecht, Einkommen oder Migrationshintergrund auf die Einstellung gegenüber Wiens Stadtwachstum auswirken.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Lebensqualität in Wiens Wohngebieten. Dabei werden besonders die Zufriedenheiten bestimmter Teilbereiche der Lebensqualität genauer betrachtet. Im dritten Kapitel geht es um die Mobilität mit Blick auf die Entwicklung der Verkehrsmittelnutzung, die Fragestellung, welche Faktoren die Einstellung zum Auto und zu verschiedenen Maßnahmen im Bereich Mobilität beeinflussen, und die Parkplatzsituation in den verschiedenen Bezirken.

Informationen und Download unter

https://www.wien.gv.at/stadt entwicklung/grundlagen/stadt forschung/soziologie-oekono mie/lebensqualitaetsstudien/


Bilder: Christian Fürthner ­– Mobilitätsagentur Wien, PID – Christian Fürthner