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Bewegungsräume im urbanen Umfeld werden immer wichtiger für unsere bewegungsarme Gesellschaft. Sie sind heute auch Wegbereiter für die Mobilitätswende, vor allem, was die Flächen für Kinder und Jugendliche betrifft. Ein Erfahrungsüberblick über Bedürfnisse, Chancen und Möglichkeiten. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Urbane Bewegungsräume werden oft unterschätzt oder missverstanden. Besonders Flächen, auf denen Kinder und Jugendliche sich in verschiedenen Sportarten austoben können, sind in vielerlei Hinsicht wichtig für die Gesellschaft und deren Gesundheit. Mittelbar sogar auch für die Mobilitätswende, wie noch zu sehen sein wird. Daher fordern Experten mehr solche urbanen Areas wie Skateparks oder Pumptracks oder die Kombinationen von möglichen Formen. Im September 2022 veranstaltete das Mountainbike-Tourismus-Forum zu diesem Thema ein digitales Fachpanel „Biken Urban“, um den Blick für die Zusammenhänge zu schärfen, ihre Chancen und Möglichkeiten auszuloten und Praxis-erfahrungen zu teilen. Dabei waren Vertreterinnen von Wissenschaft und Planungsbüros sowie Entschei-derinnen und Planer*innen aus Gemeindeämtern sowie der Chefredakteur von Veloplan, Markus Fritsch. Die eingebrachten Expertisen und Erfahrungen konnten wir als Grundlage für diesen Beitrag nutzen.

Ein Skateplatz ist ein niederschwelliges Bewegungsangebot. Kinder und Jugendliche müssen keinem Verein beitreten oder sich anmelden, um sich hier sportlich auszutoben.

Warum sind Pumptracks wichtig?

Für den Veranstalter Mountainbike-Tourismus-Forum war es naheliegend, sich mit Urban Biking zu beschäftigen. „78 Prozent der deutschen Bevölkerung leben in Städten. Menschen müssen sich aber wohnortnah erholen können, was diese Bewegungsräume ermöglichen. Auch soziale Aspekte sind aber nicht zu vernachlässigen. Pumptrack und Co. stellen für junge Menschen sozial gerechte Möglichkeiten dar, sich zu entwickeln, denn mit ihnen sind Kinder und Jugendliche von Vereinsstrukturen unabhängig“, erklärt Nico Graaff, Geschäftsführer des Forums. „Für uns ist es ein wichtiges Anliegen, zu zeigen, was diese Bewegungsräume können und wie die Kommunen sie realisieren können.“
Dass Bewegung an sich ein wesentlicher Grundpfeiler unseres Lebens und der Gesellschaft ist, ist unbestritten. Bewegung unterstützt die körperliche wie mentale Gesundheit und ermöglicht, wie schon vor Jahrzehnten bestätigt, auch schon in jungen Jahren erhöhte Lern- und Aufnahmefähigkeit. Ganz wesentlich ist aber auch, dass diese Bewegungsräume für junge Menschen soziale Fähigkeiten trainieren. Pumptracks, Skater- und Rollparks sind Orte, an denen Spaß gemeinsam erlebt wird, an denen aber auch Social Skills wie gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme praktisch erlernt werden.
Und der Bezug zur Mobilitätswende? „Spaß am Fahrradfahren und Mobilitätswende sind verknüpft“, erklärt Markus Fritsch von Veloplan. „Wer als Kind oder Jugendlicher mit dem Rad aufwächst, wird auch als Erwachsener eher das Fahrrad nutzen.“ Dazu kommt: Heute bekämen Kinder das Radfahren als bedrohlich vermittelt. Wer jedoch durch den Fahrspaß auf dem Pumptrack oder anderen Rad-Parcours sein Fahrrad spielerisch beherrscht, der oder die lernt dadurch auch für die sichere und selbstbewusste Radbeherrschung auch im Straßenverkehr.
Dass es nötig ist, Kinder nicht nur ans Radfahren zu führen, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, dabeizubleiben, erklärt Ulrich Fillies, Gründer und Beiratsvorsitzender der Aktion Fahrrad, die sich um mehr Radfahr-Initiativen in den weiterführenden Schulen bemüht. Die Kinder machten in der Grundschule den Fahrradführerschein, „doch dann verschwindet das Fahrrad wieder aus dem Blickfeld“. Wie auch die Schulen das Fahrrad in den Unterricht implementieren können, ohne auf diese Areale zurückgreifen zu können, dafür hat er als Gründer der Aktion Fahrrad jede Menge Tipps für Lehrer. Der Verein hat die Schulmeisterschaften aufgebaut, aber auch Geschicklichkeitswettbewerbe lassen sich gut an Schulen organisieren. Und mit den Klimatouren regt Aktion Fahrrad zum Fahrradpendeln zur Schule an, bei dem Kilometer gesammelt und in CO2-Ersparnis umgerechnet werden.

Herausforderung Realisation

Doch warum ist es so schwer, Bewegungsräume zu planen und einzurichten? Oft sind die Bedürfnisse den Entscheiderinnen in den Gemeinden gar nicht bewusst, weiß Stephan Schlüter aus eigener Anschauung. Er ist Projektleiter im Amt für Tiefbau und Verkehr in Kempten. Schließlich haben die Youngster kaum eine Lobby, ganz im Gegensatz zu den Fußball- oder sonstigen Vereinen anderer Sportarten. Hier fehlt die Vertretung, und daher auch langjährige Erfahrung der Menschen in den Ämtern, die mit ihnen zu tun haben. Welcher Bedarf bei den jungen Menschen da ist, muss erst kommuniziert werden (s. Kasten), und dazu fehlen derzeit feste Strukturen. Umgekehrt helfen beispielsweise auch Rennradvereine nicht weiter, wenn es um Pumptracks geht. Auch in diesen Vereinen kennt man die Bedürfnisse der jungen Radfahrer und Radfahrerinnen nicht, die jenseits von schmalen Rennradreifen unterwegs sind und Radsport eher als spielerische Artistik erleben, wie auf dem BMX-Rad. Auch Jan Kähler, Leiter der Sportentwicklungsplanung und Bereichsleiter Sport der Landeshauptstadt Hannover meint, „die Bedürfnisse der einzelnen Gruppen sind bei den Gemeindeämtern unbekannt“. Sie wissen nicht, wie viele Menschen Rad fahren oder Radsport betreiben. Das Thema Bewegung zu platzieren, sei immer schwierig. Schlüter hat viel Erfahrung mit diesen Herausforderungen und fordert Entscheiderinnen und Planer*innen auf: „Bezieht die Menschen mit ein, macht Öffentlichkeitsarbeit, geht raus auf die Straße und lasst euch sagen, was die Leute wirklich brauchen.“
Noch ein Widerstand, wenn auch diesmal ein innerer, steht den Bewegungsräumen entgegen: Während den Sportvereinen meist eindeutige Entscheidungs- und Planungsabteilungen in den Gemeinden zugeordnet sind, sieht das bei genannten Projekten, die meist auch ungewohnt und fremd für die Administration sind, anders aus. Hier hilft „die gleiche Kaffeemaschine auf dem Flur“, so Schlüter: der vor allem in kleineren Behörden einfache, direkte Dienstweg und die aktive Vernetzung.

„Wir sollten nicht nur die Sportstätte promoten, sondern vor allem auch die Bewegungsflächen“

Stephan Schlüter, Stadt Kempten

Der Skatepark in Gersthofen wurde im Zuge der Sanierung einer existierenden Anlage als langlebige Ortbetonanlage errichtet. Statt aufgestellter Elemente werden Tables & Co. dabei mit dem Untergrund in Betonbauweise modelliert.

In Flächen-Konkurrenz zur Shopping-Mall

Schließlich ist da, vor allem in der Großstadt, auch die Flächenkonkurrenz. Ein Projekt, zu dem die Entscheider in den Ämtern wenig Bezug haben, hat es da grundsätzlich etwas schwerer, seine Fläche zur Verfügung zu bekommen. Denn womit man Erfahrung hat, das lässt sich gut einschätzen, man ist mit seinen gemachten Erfahrungen, etwa mit Turnhallen, auf der sicheren Seite. Auch hier zählt Aufklärungsarbeit in Sachen Pumptrack und Skatepark. Aber andererseits können diese Areale auch einfacher in vorhandene Strukturen eingefügt werden. Eine Möglichkeit ergibt sich, wie der Hannoveraner Kähler betont, gelegentlich in multifunktionaler Nutzung: die Schulhöfe nach Schulschluss öffentlich zugänglich machen und hier entsprechende Optionen zur Verfügung zu stellen. Doch grundsätzlich hängt auch die Wahrnehmung von solchen Möglichkeiten nach wie vor von einzelnen Personen in den Ämtern ab.
Überhaupt, so weiß auch Veloplan-Herausgeber Markus Fritsch: Manche planen und handeln sehr schnell, andere brauchen Jahre für eine Realisation. „Man hat in unterschiedlichen Städten doch auch immer unterschiedliche Ausgangssituationen, das bemerken wir auch am Feedback, dass wir von den Lesern und Leserinnen zurückbekommen.“ Die Strukturen für Entscheidungen für ein Projekt sind nie dieselben – wie eben auch die Menschen, die an den entscheidenden Positionen sitzen.

Bedenken ausräumen

Bleibt eine konkrete Herausforderung, die es Bedenkenträger*innen oft leicht macht: die Kosten. Doch Zahlen helfen da weiter, sie zu überzeugen: Kai Siebdrath vom Bauunternehmen Schneestern, das viel Erfahrung mit der Planung und Realisation von Bewegungsräumen wie Skateparks hat, rechnet vor: „Der Durchschnitts-Pumptrack hat etwa 500 Quadratmeter reine Baufläche und kostet um die 200.000 Euro.“ Ein vergleichsweise niedriger Betrag, der Projektgegnern wenige Argumente geben dürfte.
Aber auch jenseits vom Geld gibt es, nach Schneestern, überzeugende zielführende Argumente. Bei durchschnittlicher Nutzerzahl ergeben sich im Jahr unzählige Stunden, in denen die Kids nicht auf ein Handydisplay gucken und stattdessen beim Spiel Millionen von Kalorien verbrauchen, was ihrer Gesundheit zugutekommt. In größeren Städten könne man sogar mit dreimal so viel Nutzungsintensität rechnen wie in kleinen Gemeinden.

Ein Urban Sports Park, wie hier in Salem, ist ein vielseitiges Rollsportangebot für alle Altersgruppen.

Förderung derzeit einfach

Professor Robin Kähler ist Vorsitzender der IAKS (International Association for Sports and Leisure Facilities). Das ist ein internationaler Verband aus Unternehmen, Kommunen, Vereinen und Dienstleistern, die sich für Sportstätten und Bewegungsräume auf vielerlei Ebenen einsetzen. Kähler weiß: Momentan werden Sportstätten und Bewegungsräume sehr gut gefördert. Allerdings gibt es bei Letzteren mehr Erklärungsbedarf, weil, wie wir schon gesehen haben, Skateparks und Pumptracks bei den Entscheider*innen noch nicht so präsent sind.
Dabei müsste Radfahren aber als Ganzes umfassender gefördert werden, fordert Kähler. Wichtig sei es, Institutionen wie den ADFC mit einzubinden. „Ein Netzwerk hilft da weiter“, sagt er.
Ein wesentlicher Punkt in der deutschen Administration: Es gibt bislang keine einheitlichen Förderstrukturen für Skate-Anlagen, Dirtparks oder Pumptracks. Das muss aber nicht nur von Nachteil sein, meint Projektleiter Schlüter aus Kempten. „Sprecht immer mit den zuständigen Leuten“, erklärt er. Kommunikation mit den direkten Ansprechpartnern, auch jenseits der üblichen Instanzen, zählt besonders da, wo feste Förderungsstrukturen nicht vorhanden sind und Förderung davon abhängt, wie klar die Wichtigkeit des Projekts zu erkennen ist.

Städteplanung ist kein Wunschkonzert? Manchmal doch!

Wünsche können in Erfüllung gehen, auch was den städtischen Raum anbelangt: „Wir brauchen eine Jumpline für Kids!“ schrieben zwei Schulkinder in Kempten an den Projektleiter im Amt für Tiefbau und Verkehr, Stephan Schlüter. Gemeint ist dabei ein Mountainbike- oder BMX-Rad-Parcours mit Sprunghügel für Kinder. Schlüter wollte das Projekt ausführen, andere Stellen hatten Gründe dagegen. Der Oberbürgermeister der Stadt, selbst Lehrer und mit dem Bewegungsdefizit der Schülerinnen vertraut, wusste: Die jungen Menschen in Stadt brauchen einen solchen Park. Innerhalb weniger Monate wurde ein entsprechender Park mit Jumpline umgesetzt. „Das konnten wir“, erzählt der Projektleiter im Amt für Tiefbau und Verkehr, „weil wir visionär gearbeitet haben“. Soll heißen: Eine erste Planung für urbane Bike-Angebote lag im Tiefbauamt, dessen Ent-scheiderinnen einen entsprechenden Bedarf schon geahnt hatten, bereits in der Schublade und konnte den entsprechenden Gremien rasch vorgelegt werden. Dazu kommt: Schlüters Abteilung sitzt im Tiefbauamt Kempten. „Wir können vieles bereits auf dem kurzen Dienstweg klären.“

In Zukunft wird noch mehr gepumpt

„Grundsätzlich hat sich die Einstellung von Kommunen zu Anlagen wie Pumptracks und Rollsport-Flächen klar zum Positiven verändert“, erklärt Dirk Scheumann, Gründer und CEO des Unternehmens Schneestern, das Action Sports Parks plant und baut oder bei solchen Projekten unterstützt. Dass diese Bewegungsräume in den letzten Jahren einen Boom erfuhren, sieht er als logisch an, unabhängig von zeitweiligen Einflüssen wie der Corona-Pandemie. „Da sind auch ein paar technische Entwicklungen zusammengekommen“, sagt er und verweist beispielhaft auf den Scooter, mit dem die Kids ihre Tricks machen – ein Produkt, das so vielleicht zehn Jahre alt ist. Dazu kommen die verschiedensten Versionen des Fahrrads von BMX bis zum Dirt Bike. Scheumann glaubt, dass sich die positive Entwicklung zu mehr Flächen für die Jugendlichen und Kinder noch verstärken wird. Zum einen durch das wachsende allgemeine Verständnis, dass auch diese Bewegungsräume gebraucht werden, zum anderen, weil auch eine Weiterentwicklung dieser Flächen ansteht: „Heute treffen im Skatepark Biker oder Skater auf spielende Kinder“, erklärt er. „Da gibt es durchaus Konfliktpotenzial.“ Für eine breitere Nutzung müssen auch für die jüngeren Nutzerinnen bedarfsgerechtere Möglichkeiten geschaffen werden. Dazu will Schneestern schon bald ein neues Produkt vorstellen, das zusammen mit Wissenschaftlerinnen entwickelt wurde. Denn klar ist: Je jünger die Menschen sind, die den Spaß an der Bewegung erleben können, umso gesünder wird und bleibt unsere Gesellschaft. Und desto besser stehen die Chancen für ein Gelingen der Mobilitätswende.


Bilder: Matthias Schwarz, Vanessa Zeller, Janik Steiner, Matthias-Schwarz

Die Generation Z denkt ökologisch – und handelt pragmatisch. Flexibel, schnell und bequem soll ein Verkehrsmittel sein. Unterschiede im Mobilitätsverhalten sind erkennbar. Aber wie groß sind sie wirklich? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Mobilitätsentscheidungen Jugendlicher fallen unterschiedlich aus: abhängig von der speziellen Altersgruppe und der sozialen Lage, von Bildungsgrad, Verkehrsprägung in der Kindheit durch das Elternhaus, Stadt oder Land. Zur aktuellen Generation Z (Gen Z), den sogenannten Post-Millennials, gehören junge Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind. In diversen Studien werden manchmal frühere Jahrgänge angesetzt. Zu den jüngeren Befragungen über das Verkehrsverhalten der Gen Z gehört die „Mobility Zeitgeist“-Studie von 2020. Sie wurde für Ford vom Zukunftsinstitut erstellt.

Für junge Erwachsene verbindet sich Mobilität mit dem Wunsch nach Autonomie. Zugleich werden die kostengünstigeren Verkehrsmittel bevorzugt.

Führerscheinfrage: Weniger Bock auf den Lappen?

Die pauschale Aussage, der Führerschein würde unter jungen Erwachsenen an Bedeutung verlieren, stimmt nur teilweise. Nach der Ford-Studie besitzen in der Gen Z (18 bis 23 Jahre) nur noch 72 Prozent einen Pkw-Führerschein. Zum Vergleich: In der Gen Y (24 bis 39 Jahre) waren es noch 87 Prozent. Das Deutsche Kraftfahrtbundesamt veröffentlicht in seinem Zentralregister (ZFER) jährliche Bestandszahlen auch nach Alterskohorten. Während der Führerscheingesamtbestand bei Menschen bis 17 Jahren von 2013 (270.526) bis 2022 (126.953) rückläufig ist, liegt er unter den 21- bis 24-Jährigen in den letzten Jahren konstant bei knapp 2,6 Millionen. Bei der Interpretation der Zahlen gilt zu beachten: Gleichzeitig sank der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass zum Jahresende 2021 etwa 8,3 Millionen Menschen 15 bis 24 Jahre alt waren. Das entspricht einem Anteil von 10 Prozent an der Gesamtbevölkerung. 2013 lag sie noch bei 10,8 Prozent. Zudem gibt das ZFER keine Auskunft über die Ursache rückläufiger Zahlen bei den Erstanwärter*innen auf den Führerschein. Möglicherweise verfahren jüngere potenziell Berechtigte nach dem Motto „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“. Dr. Juliane Stark vom Institut für Verkehrswesen an der Uni Wien sagt für das Nachbarland: „Dass das Führerscheineintrittsalter gestiegen ist, lässt sich signifikant an Zahlen belegen. Für Österreich verschiebt sich der Führerschein von 18,5 auf 20 Jahre.“


Jugendmobilität der Generation Z in Zahlen

10 % (8,3 Millionen) der deutschen Bevölkerung sind 15 bis 24 Jahre alt *

55 % der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland sorgen sich um den Klimawandel **

72 % der Gen Z besitzen einen Führerschein ***

87 % der Gen Y besitzen einen Führerschein ***

58 % der Gen Z besitzen ein Auto (Gen Y: 71 Prozent) ***

46 % der jungen Erwachsenen in der Stadt besitzen ein Auto ***

71 % der jungen Erwachsenen auf dem Land besitzen ein Auto ***

32 % leihen sich lieber ein Auto in der Familie ***

29 % suchen lieber nach Mitfahrgelegenheiten ***

04 % nutzen eine Autovermietung oder Carsharing ***

18 % sehen das Auto als Top-Konsumentscheidung ***

30 % präferieren das Reisen als Top-Konsumentscheidung ***

23 % sehen ein Studium im Ausland als Top-Konsumentscheidung ***

22 % verzichten aus Umweltgründen aufs Auto ***

27 % zählen das Fahrrad zu den am häufigsten genutzten Verkehrsmitteln ***

20 % nutzen Sharing-E-Scooter ***

14 % nutzen Sharing-Bikes ***

48 % der 20- bis 29-Jährigen interessieren sich für Pedelcs ****

78 % der 14- bis 29-Jährigen würden auf ausgebauten Radschnellwegen häufiger pendeln ****

70 % wünschen sich bessere Mobilitätsangebote im ländlichen Raum ***

56 % fordern den Ausbau von Radwegen sowie mehr Stellflächen für Fahrräder ***

63 % wünschen sich zukünftig hohe Umweltstandards, Ressourcen- und Klimaschutz ***

61 % wünschen sich die Verbindung von individueller Mobilität und ÖV ***

* Statistisches Bundesamt – 2021, ** Jugend in Deutschland – Sommer 2022, *** Zeitgeist-Studie, **** Fahrradmonitor 2021


Lieber Reisen, Auslandsstudium oder ein Fahrrad

Klar scheint indes: Der Führerscheinerwerb steht bei den jüngsten Anwerbern nicht an erster Stelle. Das mag am Budget liegen. Immerhin kostet ein Führerschein Klasse B mittlerweile bis zu 3500 Euro. Zugleich steigt die Gen Z später in Beruf und Verdienstmöglichkeiten ein als frühere Generationen. So muss der Führerschein hinter anderen Konsumwünschen anstehen. Schon länger wird beobachtet, dass sich die Präferenzen verschieben: „Jung, deutsch, autolos“, brachte vor wenigen Jahren die Deutsche Welle das gesunkene Jugendinteresse am Auto auf den Punkt. Dort sagte der Wirtschaftssoziologe Holger Rust: „In den Wirtschaftswunderjahren war die individuelle Motorisierung so etwas wie das eingelöste Versprechen der Nachkriegsdemokratie. Beruflicher und persönlicher Erfolg zeigten sich in der Wahl des Autos. Über die Jahrzehnte hat das Auto dann als Statussymbol langsam seine Bedeutung verloren.“ Nach Rust zeigen junge Menschen ihre Milieuzugehörigkeit übers Smartphone, ein bestimmtes Fahrrad oder die Einrichtung ihrer Wohnung. Entsprechend die Ergebnisse der Zeitgeist-Studie: Unter den Top-Konsumentscheidungen rangiert das Auto nur bei 18 Prozent. Bevorzugt genannt werden Reisen oder ein Auslandsstudium. Besaßen in der Gen Y noch 71 Prozent ein Auto, sinkt die Zahl innerhalb der nachfolgenden Gen Z auf 58 Prozent.

Mieten statt Besitzen liegt bei der Gen Z voll im Trend: Die flexiblen E-Scooter sind mittlerweile das am häufigste genutzte Sharing-Modell.

Sharing statt Besitz – außer auf dem Land

Der Trend geht also vom Besitz zum Sharing. So leihen sich 32 Prozent ein Auto lieber innerhalb der Familie. 29 Prozent suchen nach Mitfahrgelegenheiten. Lediglich 4 Prozent nutzen eine Autovermietung oder Car-sharing. Dabei fällt auf, dass das Auto dann als Alternative genannt wird, wenn es an der Infrastruktur hapert. Tenor: „Wenn ich schnell mal irgendwo hinkommen muss und öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu langsam oder zu umständlich sind.“
Dies betrifft besonders ländliche Verkehrsräume mit infrastruktureller, aber auch tradierter Fixierung auf das Auto, die von Kindheit an geprägt wird. Hinzu kommt ein schlecht ausgebauter öffentlicher Verkehr. Auf einen beachtlichen Unterschied zwischen Stadt und Land verweist die Zeitgeist-Studie auch beim Autobesitz: Demnach geben 46 Prozent der Befragten aus der Gen Z in der Stadt an, ein eigenes Auto zu besitzen. Auf dem Land hingegen sind es noch 71 Prozent.
Mobilitätsforscher Weert Canzler schreibt in einem Beitrag für den Datenreport 2021: „Ein Hinweis auf die sich öffnende Schere zwischen Stadt und Land sowie zwischen Jung und Alt könnte sich in der Entwicklung des Pkw-Besitzes von 2002 bis 2017 zeigen. In allen Regionstypen mit Ausnahme der Metropolen ist in diesem Zeitraum der Pkw-Besitz bezogen auf 1000 Einwohnerinnen und Einwohner gestiegen. Das Wachstum ist in den dörflichen und kleinstädtischen Räumen am stärksten. Ein wichtiger Grund dafür dürften fehlende digital unterstützte intermodale Verkehrsangebote sein.“ Die Ursache für eine Negativspirale: „Wo es keine Bus- und Bahnanbindungen mehr gibt, werden beispielsweise auch keine Mietrad- oder E-Scooter-Angebote installiert, wie man sie in fast allen großen Städten kennt. Das bedeutet zugleich, dass die Abhängigkeit vom Auto weiter steigt.“

Zukunftswünsche der Post-Millennials: Mobilitätslücken auf dem Land und für Pendler*innen schließen, klimafreundliche Fahrzeuge, E-Tanken gratis.

Klimakrise nicht die einzige Sorge

Umgekehrt lädt eine entsprechend entwickelte Infrastruktur auch Jugendliche zur Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel ein. Die Ford-Studie fragt nach den Verkehrsmitteln, die am häufigsten an einem Tag genutzt werden. Unter den umweltfreundlichen liegt das Zufußgehen mit knapp 60 Prozent an erster Stelle. Es folgen der ÖPNV mit 47 Prozent und das Fahrrad, das von einem knappen Drittel genutzt wird. Unter den Sharing-Modellen stehen E-Scooter mit 20 Prozent an erster Stelle. Leihfahrräder werden von 14 Prozent, Cargo Bikes von 6 Prozent genutzt.
Laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland – Sommer 2022” der Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann sorgen sich 55 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland um den Klimawandel. Dazu passt, dass 58 Prozent laut Ford-Umfrage ein „ökologisch nachhaltiger, sozial verantwortungsvoller“ Lebens- beziehungsweise Konsumstil wichtig ist. Trotzdem steht unter den fünf häufigsten Gründen, warum die Gen Z kein Auto nutzt, die Klimakrise nicht an erster Stelle. Nur 22 Prozent geben an, aus Umweltgründen aufs Auto zu verzichten. Weitere 13 Prozent sagen, sie verzichten „aus Überzeugung“. Mehr als die Hälfte, 56 Prozent, nutzt stattdessen öffentliche Verkehrsmittel. Rund ein Drittel fährt lieber Fahrrad oder geht zu Fuß. Abschreckend wirken Anschaffung und Unterhalt. Mit 31 Prozent geben ein knappes Drittel an, dass ihnen die Kosten zu hoch sind.
„Jedes Verkehrsmittel hat seine Vor- und Nachteile. Als ,idealʹ wird oft pragmatisch das Verkehrsmittel genannt, das am besten in die derzeitige Lebenssituation der Jugendlichen passt.“ Zu diesem Schluss kommt die Sinus-Jugendstudie, die sich 2016 noch explizit mit der Mobilität von 14- bis 17-Jährigen beschäftigte. Weiter heißt es dort: „Vorteile des Fahrrads sind, dass es (fast) nichts kostet, nicht von einem Fahrplan abhängt und schneller sein kann, da es nicht anfällig für Staus und Streiks ist. Welches Verkehrsmittel am besten ,passtʹ, hängt vom Reisezweck ab.“
Juliane Stark weist darauf hin, dass Flexibilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit eine sehr große Rolle spielen: „Da hat das Fahrrad natürlich einen großen Vorteil.“ Isoliert von individueller Abhängigkeit kann die Motivation zur Verkehrsmittelwahl nicht betrachtet werden. Insbesondere bei den jüngeren Altersgruppen stellt sich die Frage, wie autonom Verkehrsentscheidungen überhaupt getroffen werden können, wenn sie von den Eltern fremdbestimmt sind.

Die Studie fragte nach den 5 am häufigsten genutzten Verkehrsmitteln an einem normalen Tag. In der Grafik fehlt der Favorit: 56 Prozent gehen zu Fuß.

Selbst wenn man die Beifahrer*innen einbezieht, rangiert das Auto nicht mehr unter den Top-Favoriten bei der individuellen Verkehrsmittelwahl.

Gesundheitsfaktor Bewegung

Dabei hat die Verkehrsmittelwahl Auswirkungen auf die Gesundheit junger Menschen. Lediglich ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland erreichen die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Untersuchungen zeigen, dass gleichzeitig die Raten von Fettleibigkeit in jungen Altersgruppen steigen. Mehr als 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig. Juliane Stark konstatiert eine zunehmende Institutionalisierung der Jugendorte.
Ebenso wenig außer Acht gelassen werden kann die Verkehrssicherheit Jugendlicher: Häufiger als andere Altersgruppen verunglücken die 18- bis 24-Jährigen mit dem Auto. Das Statistische Bundesamt spricht in diesem Zusammenhang von den sieben risikoreichsten Jahren. Schlüsselt man die Todesopfer im Verkehr 2020 nach Verkehrsbeteiligung auf, verunglückten rund 63,4 Prozent der jungen Erwachsenen als Pkw-Insassen. 23.791 dieser jungen Menschen waren Fahrerinnen und 8.030 Mitfahrerinnen. Unter den Ursachen liegt eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“ vorn.

Wünsche für die Zukunft

Die Forscherinnen des Sinus-Fahrradmonitors 2021 fragten die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen, welche Verkehrsmittel sie in Zukunft gerne häufiger nutzen würden. Die Hälfte der Befragten nannte das Fahrrad und das Pedelec an erster Stelle. Mit Blick auf Veränderungswünsche für die Zukunft sprachen sich in der Ford-Studie 56 Prozent für eine Stärkung des Radverkehrs durch den Ausbau von Radwegen sowie mehr Stellflächen für Fahrräder aus. 45 Prozent teilten die Ansicht, es sollte in den Metropolen mehr autofreie Zonen geben, die mehr Raum für Fahrradfahrende und Fußgängerinnen bieten. Der Fahrradmonitor erkundete auch das Pendelpotenzial durch Radschnellwege unter den 14- bis 29-Jährigen, die das Fahrrad für den Weg zur Schule, Uni oder zu ihrer Ausbildungsstätte nutzen. Im Ergebnis können sich satte 78 Prozent vorstellen, die Strecke mit dem Rad häufiger als bisher zurückzulegen.
Von der Gen Z wird eingefordert, bestehende Mobilitätsdefizite zu schließen. Auf die Frage „Wo ist Ihrer Meinung nach der Bedarf zur Verbesserung der Mobilität am größten?“, antworten 54 Prozent „im ländlichen Raum“, 46 Prozent „beim Pendeln zwischen Umland und Städten“. 30 Prozent sehen Bedarf bei der „Mobilität innerhalb der Stadt“.
Schließlich halten junge Erwachsene die Multimodalität im Sinne einer Vernetzung der Verkehrsmittel für zukunftsfähig. So sprechen sich 56 Prozent für Mobilitätssysteme aus, „die automatisch für eine schnellere, reibungslose Mobilität mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln sorgen“. Die Hälfte wünscht sich Mobilitätsservices, die selbstständig Verkehrsmittel und Mobilitätsoptionen kombinieren, sodass sie problemloser von Haustür zu Haustür unterwegs sein können.

„Von einem altersgerechten Verkehrssystem profitieren am Ende alle“

Interview mit Dr. Juliane Stark, Institut für Verkehrswesen, BOKU Wien

Frau Stark, welche Motivationen haben Jugendliche, klimafreundliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad zu nutzen?
Mehr als jeder zweite Jugendliche sagt, die Klimakrise ist das größte Problem, das wir jetzt haben. Daraus leitet sich ein erhöhtes Umweltbewusstsein ab. Aber was bei Jugendlichen nach unseren eigenen Erhebungen bei der Verkehrsmittelwahl eine große Rolle spielt, ist Flexibilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit. Da hat das Fahrrad natürlich seinen großen Vorteil.
Wenn wir Jugendliche betrachten, müssen wir auch immer zurückschauen: Wachse ich im Kindesalter in einer nicht fahrradaffinen Familie auf? Dann entwickelt sich das als Jugendlicher nicht noch mal von alleine anders. Verkehrsverhalten ist ein habitualisiertes Verhalten. Hat man im Kindesalter schon verloren, kommt da nicht mehr viel. Da kann ich erst wieder ran, wenn sich ein Lebensumbruch ergibt. Zum Beispiel, dass sie selbst Kinder bekommen oder einen neuen Job starten und umziehen.

Ist der Führerschein unter jungen Menschen out?
Man muss ein bisschen aufpassen mit der Aussage: Wir haben hier einen Trend, die Zahl der Führerscheinneulinge sinkt, wenn alles nach hinten raus kompensiert wird. Dass das Führerscheineintrittsalter gestiegen ist, lässt sich signifikant an Zahlen belegen. Für Österreich verschiebt sich der Führerschein von 18,5 auf 20 Jahre. Leider schleicht sich der coole Effekt dann aus. Es macht auch einen Unterschied, ob ich in der Stadt bin oder auf dem Land. In der Stadt mache ich den Führerschein später. Hauptsache, ich habe meine Mobilität. Aber wenn junge Erwachsene auf dem Land ihre Ausbildung anfangen, sind sie eher affin für den motorisierten Individualverkehr.

Der E-Scooter scheint in der Altersgruppe besonders beliebt zu sein …
Junge Erwachsene sind viel offener für Sharing-Angebote, dieses Nutzen statt Besitzen. Für die E-Roller und Scooter, die ganze Mi-kromobilität. Auch wenn ich kein großer Fan bin, weil sie sich nicht bewegen, wenn sie da draufstehen: Gleichzeitig ist es ein erweitertes Mobilitätsangebot. Es erhöht ihren Aktionsradius. Sie können selbstständig unterwegs sein. Das ist etwas, was extrem zurückgegangen ist: eigenständige Mobilität. Gerade für die letzte Meile ist das sehr wichtig geworden. Von der U-Bahn nach Hause. Aber die Sharing-Angebote sind auch nicht billig. Für alle Wege den Scooter – das machen Jugendliche deshalb sicher nicht.

Welche Herausforderungen besitzt Jugendmobilität unter Gesundheitsaspekten?
80 Prozent der Jugendlichen erfüllen die WHO-Bewegungsempfehlungen nicht. Heute haben die Heranwachsenden teilweise eine geringere Lebensqualität als ihre Eltern. Dabei spielen verschiedene Trends eine Rolle: Dazu gehört die Verhäuslichung, also eher drinnen zu bleiben. Man spricht auch von der Institutionalisierung der Kindheit. Alles ist durchgetaktet. Es fehlen diese Zwischenverbindungen, die man früher einfach mal zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt hat. Wenn sie nur einen Standort haben, da hingebracht und abgeholt werden, verlieren sie den Bezug zwischen Räumen. Dabei spielt das Smartphone ebenso eine große Rolle. Viele Dinge werden jetzt im Sitzen oder Liegen durchgeführt.

Wie können Jugendliche in der Verkehrsplanung berücksichtigt werden?
In einem Vortrag habe ich kürzlich gesagt: „Jeder Weg ist eigentlich ein Schulweg.“ Denn diese Strecke sollte nicht allein hervorgehoben werden. Wie ich aus eigenen Datenerhebungen beobachtet habe: Der Schulweg wird oft brav zurückgelegt mit dem Umweltverbund. Schüler sind aber sehr viel in ihrer Freizeit unterwegs. Ist das Angebot nicht so flexibel, werden sie oft mit dem Elterntaxi kutschiert. Da sehe ich ein großes Potenzial, die Freizeitwege mit einzubeziehen. Die sollten mehr mit dem Rad zurückgelegt werden.
Wichtig ist es, das Verkehrssystem so zu gestalten, dass es kinder- und jugendfreundlich ist. Dabei spielen drei Punkte eine wesentliche Rolle: Die Verkehrsgeschwindigkeit muss runter. Weiter müssen die Sichtbeziehungen gewährleistet sein. Drittens geht es um die Verkehrsmenge des motorisierten Individualverkehrs.
Dann sollten Verkehrsplaner daran denken, Jugendliche auch an Planungsprozessen zu beteiligen. Weil sie eine relativ große Menge der Bevölkerung bilden und ein Recht darauf haben. Jugendliche wollen auch viel Grün, sie haben einen großen Anspruch auf Aufenthaltsqualität, wo sie herumspazieren oder chillen. Habe ich so ein altersgerechtes Verkehrssystem, profitieren davon am Ende alle.
Mit unseren 12- bis 14-Jährigen haben wir geschaut: Wenn ich bewusstseinsbildende Maßnahmen mache und ihnen sage, wie gesund das ist, wie umweltfreundlich und bequem: „Schau mal, diesen Weg könntest du auf jeden Fall mit dem Fahrrad fahren, dann sind schon die Bewegungsempfehlungen der WHO erfüllt.“ Doch ob das überhaupt etwas bringt? Wenn wir in solche weichen Maßnahmen wie Flyer und Hochglanzbroschüren investieren, dann habe ich das Problem, dass es kaum Evaluierungen dazu gibt. Käme später heraus, dass das nicht so viel bringt? Dann sollte ich besser das Geld nehmen und einen Radweg bauen, damit die Infrastruktur attraktiv ist.

Info:

Ford Mobility Zeitgeist 2020

https://media.ford.com/content/fordmedia/feu/de/de/news/2020/09/30/mobility-zeitgeist–ford-studie-untersucht-die-mobile-generation.html

Fahrrad-Monitor Deutschland 2021

https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/StV/fahrrad-monitor-2021.pdf

Jugend in Deutschland – Trendstudie: Sommer 2022

Bilder: iStock – RossHelen, Grafiken: Zukunftsinstitut GmbH, Ford-Werke GmbH 2020, Juliane Stark

Die Bewegungs- und Koordinationsfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland haben rapide abgenommen. Dr. Achim Schmidt von der Deutschen Sporthochschule Köln zeigt in einem Gastbeitrag die Hintergründe auf und warnt vor einer Entwicklung, die ohne aktives Gegensteuern in eine Sackgasse führen könnte. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2020, Juni 2020)


Radfahren schult die Bewegungs- und Koordinationsfähigkeit viel mehr, als den meisten bewusst ist.

Das Fahrrad boomt und Politiker fangen an, diese bewährte Mobilitätsform wahrzunehmen. Auch in den Visionen zur Verkehrswende spielt das Fahrrad eine bedeutende Rolle. Es könnte so weitergehen, doch am Horizont braut sich ein Szenario zusammen, das den meisten Verkehrsplanern völlig fremd scheint: Kinder fahren immer weniger und zunehmend schlechter Fahrrad. Doch die Kinder von heute sind die Radfahrer von morgen, und was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Radfahren bei Kindern rückläufig

„Kinder fahren weniger und schlechter Fahrrad als noch vor zehn Jahren.“ Diese Feststellung wird von Lehrkräften an Grund- und weiterführenden Schulen, von Verkehrssicherheitsberatern der Polizei sowie von Eltern oft geäußert. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich zu dieser subjektiven Wahrnehmung von Experten als einzige Quelle eine Studie der Unfallforscher der Versicherer (UDV) zur Häufung von motorischen Schwierigkeiten. Auf Grundlage einer Befragung von 347 Verkehrserziehungsdienststellen (Polizei und Schulen) aus dem Jahr 2009 ergibt sich allerdings ein recht eindeutiges Bild: Während bei der gleichen Fragestellung im Jahr 1997 nur 45,6 Prozent der Befragten angaben, dass die Anzahl der Kinder mit auffallenden motorischen Schwierigkeiten zunähme, stieg der Wert bei der Befragung im Jahr 2009 auf 72 Prozent an. Besonders betroffen schienen Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund zu sein, insbesondere Mädchen, sowie Kinder aus sozial schwächeren Familien, überbehütete, übergewichtige Kinder und Kinder mit Bewegungsmangel. Auffällig auch: Die motorischen Schwächen sind bei Kindern in Großstädten und Städten stärker ausgebildet als bei Kindern auf dem Land. Heute, gut zwölf Jahre nach dieser Befragung, hat sich die Situation nochmals verschärft. Das radspezifische Fertigkeitsniveau der Grundschüler sinkt erkennbar weiter, während die Zahl der Kinder, die sehr schlecht oder gar nicht Fahrrad fahren, steigt.

„Kinder lieben das Radfahren und sind hoch motiviert.“

Angela Baker Price, Lehrerin und Fachberaterin für Mobilitätserziehung in Grundschulen

Große Unterschiede und viel Potenzial an Grundschulen

Das gleiche Bild zeichnen Lehrkräfte an Schulen. Angela Baker Price, Grundschullehrerin und Fachberaterin für Mobilitätserziehung für die Grundschulen der Städteregion Aachen, betont: „Die meisten Kinder fahren weniger und vor allem schlechter Rad als noch vor 15 Jahren.“ Allerdings gäbe es andererseits auch Kinder aus radaffinen Familien, die ihr Fahrrad schon in der Grundschule perfekt beherrschten. Die erfahrene Pädagogin unterrichtet schon seit über 30 Jahren Kinder im Radfahren und stellt fest, dass die Schere zwischen Nichtradfahrern und Radfahrern mehr und mehr auseinandergeht. Während es vor allem in bildungsnahen Schichten recht viele radaffine Familien gibt, sinkt der Anteil bei bildungsfernen Bevölkerungsschichten dagegen drastisch. „Das stellt die Lehrkräfte methodisch vor erhebliche Probleme, denn ich muss absolute Könner im Fahrradtraining mit herausfordernden Übungen beschäftigen und mich gleichzeitig um die Kinder kümmern, die noch nicht fahren können.” Aber Baker-Price sieht auch große Potenziale: „Trotz aller Probleme stelle ich immer wieder fest, Kinder lieben das Radfahren und sind hoch motiviert. Wenn wir diese Chance nicht nutzen, dann sind wir es selber schuld, dass Kinder weniger Rad fahren.“

Best-Practice-Ideen:

Kreis Euskirchen: Der Kreissportbund führt mit Mitteln der Bezirksregierung Fahrradangebote für Kinder und Jugendliche durch. Zusätzlich werden Fortbildungen für Lehrkräfte an Grundschulen angeboten.

Städteregion Aachen: Eine extra geschaffene Stelle für den Radverkehr kümmert sich hier auch intensiv um die Belange junger Radfahrer. So werden Radlernkurse angeboten, Fortbildungen organisiert, Materialien angeschafft und Maßnahmen in Gremien und AGs zur Verbesserung des Radverkehrs durchgeführt.

www.radfahreninderschule.de ist ein Portal für Lehrkräfte an Grund- und Weiterführenden Schulen zum Thema Fahrradunterricht. Hier werden mit Videos erprobte Unterrichtsübungen und Konzepte gezeigt, die einfach nachzumachen sind. Ziel ist, einen möglichst spaßbetonten Fahrradunterricht durchzuführen, der die Sicherheit der Kinder erhöht, indem er ihre Fahrfertigkeiten verbessert. Zudem finden sich hier alle rechtlichen Grundlagen und Termine für Fortbildungen in den Städten und Landkreisen in NRW.

Pumptracks: Der neueste Trend für Kinder und Jugendliche. Auf einer etwa tennisplatzgroßen Fläche versucht man sein Mountainbike ohne zu treten durch Pumpbewegungen mit Armen und Beinen in Schwung zu halten. Einige Kommunen in Deutschland haben schon Pump Tracks eingerichtet und geben radbegeisterten Kids somit eine Anlaufstelle. In Skandinavien ist man schon viel weiter, denn hier finden sich die kostengünstigen Anlagen in sehr vielen Kommunen.

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Problem: Skepsis bei Lehrern und Eltern

Lehrkräfte äußern in Gesprächen immer wieder große Ängste und Bedenken gegenüber Unterrichtsangeboten, bei denen Fahrrad gefahren wird. Und während an Grundschulen deutschlandweit die Verkehrserziehung und damit das Radfahren verpflichtend auf dem Lehrplan steht, ist es an weiterführenden Schulen sehr schlecht um das schulische Radfahren bestellt. „Wandertage oder Klassenfahrten mit dem Rad sind die absolute Ausnahme“, sagt Prof. Helmut Lötzerich von der Deutschen Sporthochschule in Köln, der sich mit dem Thema im Rahmen einer Schulbefragung befasst hat.
Auch Eltern setzten seltener auf das Fahrrad als Transportmittel. „Das Radfahren mit den Kindern im Stadtverkehr ist uns zu gefährlich“, so Lars Schulz aus Köln, Vater von zwei Grundschulkindern. „Da fahren wir lieber mit dem Auto. Radtouren machen wir am Wochenende und im Urlaub.“ Damit steht er nicht alleine da. Das Verkehrschaos vor Schulen zeigt, dass viele Eltern ihre Kinder am liebsten bis in den Klassenraum fahren würden. Schulleitungen bitten die Eltern jedes Halbjahr schriftlich, auf das Elterntaxi zu verzichten, doch die modernen Helikoptereltern können oder wollen gerade diese Bitte anscheinend nicht erfüllen. Dabei verunglücken überdurchschnittlich viele Kinder in den chaotischen Situationen vor den Schulen. Im Widerspruch dazu steht das oft auch schriftlich formulierte Verbot, Kinder mit dem Rad in die Grundschule zu schicken. Eine gängige Praxis, obwohl den Schulleitungen dazu die gesetzliche Grundlage fehlt, denn der Schulweg ist Sache der Eltern. Die zentrale Frage lautet also: Wo und vor allem mit wem sollen Kinder Rad fahren, wenn sowohl die Eltern als auch die Lehrer vor dem Thema kapitulieren?

Auf „Pumptracks“ bewegt man sich durch Pumpbewegungen mit Armen und Beinen fort. Kostengünstig einzurichten und beliebt bei Klein und Groß.

Mit dem Fahrrad zur Schule: Früher eine Selbstverständlichkeit, heute vielen zu gefährlich.

Bewegungslos mit Smartphone

Mögliche Gründe für die skizzierte Entwicklung finden sich genug, harte Fakten in Form von wissenschaftlichen Studien gibt es jedoch kaum. Ein wesentlicher Treiber für die abnehmenden Radfertigkeiten in den letzten Jahren ist der ausgeprägte und zunehmende Bewegungsmangel von Kindern, der durch die Nutzung von Smart­phones und anderen digitalen Endgeräten noch verstärkt wird. Während vor wenigen Jahren noch Spielekonsolen und Fernseher die Kinder im Haus fesselten, sind das heute die immer verfügbaren Smartphones mit ihren hochattraktiven Inhalten. Kinder, die ein Smartphone bedienen, bewegen sich nicht. Schon im Kleinkindalter haben über 70 Prozent der Kinder Nutzungszeiten von über 30 Minuten pro Tag. Das wurde in einer repräsentativen Studie der Drogenbeauftragten des Bundestags ermittelt.

„Wo und vor allem mit wem sollen Kinder Rad fahren, wenn sowohl die Eltern als auch die Lehrer vor dem Thema kapitulieren?“

Dr. Achim Schmidt, Deutsche Sporthochschule Köln

Elterntaxi erschwert Bewegungskoordination

Der zweite wesentliche Treiber für weniger Radmobilität sind die Eltern bzw. deren Verhalten. Kinder werden zu einem hohen Prozentsatz zur Schule und zu Terminen mit dem Auto gefahren. Selbstgetätigte Wege durch eigene Muskelaktivität gehören im Alltag vieler Kinder zur Ausnahme. Die Gründe hierfür sind die Angst vor Kontrollverlust, Stichwort Helikoptereltern, sowie der zeitlich verdichtete Alltag der Familien. Und Kinder, die sich wenig bewegen, fahren auch weniger und schlechter Fahrrad. Die Transferwirkung von Bewegung auf die Koordination anderer Bewegungsarten ist in der Sportwissenschaft hinlänglich bekannt.

Corona zeigt: Es geht auch anders

Jeder, der mit offenen Augen im Verkehr unterwegs ist, nimmt die während der Schönwetter-Corona-Krise zunehmende Zahl von Kindern und Familien auf Fahrrädern wahr. Gleiches gilt für Rennradfahrer, Inlineskater und Jogger. Oftmals sind Erwachsene mit mehreren Kindern auf Rädern unterwegs, auch aus Bevölkerungsschichten, die man normalerweise nicht auf Rädern sieht. Manche Kinder fahren nunmehr täglich Rad und ihre Eltern unterstützen das.
Das wundert nicht, denn trotz aller Widerstände und hemmender Faktoren ist Radfahren bei Kindern und Jugendlichen außerordentlich beliebt. Bei 4- bis 17-jährigen Mädchen steht Radfahren an erster Stelle der Sportarten. Bei Jungen wird es ab dem Alter von elf Jahren von Fußball von Platz eins verdrängt. Dazu kommt: Kinder motivieren Eltern. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass Kinder oftmals der Motor für neue Familienaktivitäten oder Verhaltensänderungen sind. So ist es auch beim Radfahren.

Nachahmenswert: Überall auf der Welt, wie hier in Seattle, USA, bilden Eltern begleitete Fahrradgruppen (Bike Bus/Bike Train) für den Schulweg.

Aktive Förderung gefragt

Es bleibt zu hoffen, dass einiges von dieser Aufbruchsstimmung in den Familien erhalten bleibt und künftig zunehmend mehr Menschen und vor allem Kinder und Jugendliche mit dem Rad im Alltag unterwegs sein werden. Aber auch Kommunen können viel tun, um aktiv steuernd einzugreifen. Die Liste der Fördermöglichkeiten für den Radverkehr von morgen ist lang. Jede Kommune muss für sich entscheiden, welche Maßnahmen Aussicht auf Erfolg haben und was realisierbar ist. Am Geld scheint es oftmals nicht zu mangeln, denn die Töpfe für Verkehrs- und Mobilitätserziehung und damit für das Radfahren von Kindern und Jugendlichen sind gut gefüllt. Wichtig ist, dass sich jemand engagiert kümmert. Denn die Verortung dieses Themas innerhalb der kommunalen Verwaltung ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von Radverkehrsbeauftragten, Umwelt- oder Mobilitätsmanagern bis hin zu Verkehrsplanern.

Für mehr Fahrradmobilität von Kindern und Jugendlichen

  • kindgerechte Radinfrastruktur ausbauen
  • Umgestaltung von Kreuzungen zur Erhöhung der Sicherheit von „kleinen“ Radfahrenden
  • Arbeitskreis Schule ins Leben rufen (Grundschule, Sek I, Sek II)
  • Netzwerk Kinder- und Jugendmobilität aufbauen
  • Fortbildungen für Lehrkräfte an Schulen zum Thema Fahrrad
  • Fortbildungen für Erzieher*innen an Kitas
  • Erhebungen zur Radnutzung bei Kindern und Jugendlichen (ggf. als Projektarbeiten an weiterführenden Schulen)
  • Pro-Fahrrad-Kampagnen in Kommunen
  • gezielte Kinder- oder Familienangebote schaffen
  • „Bike Bus“-/„Bike Train“-Projekte fördern

Dr. Achim Schmidt

ist Sportwissenschaftler am Institut für Outdoor Sport und Umweltforschung der Deutschen Sporthochschule Köln und Fahrradexperte. Er befasst sich seit vielen Jahren unter anderem mit der Fahrradsozialisation von Kindern und Möglichkeiten zur Förderung von Bewegung und aktiver Mobilität.


Bilder: Dr. Achim Schmidt, www.pd-f.de / Luka Gorjup, Clint Loper, Klima-Bündnis – Laura Nickel