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Zum fünfjährigen Verbandsjubiläum des RLVD zeigte die Radlogistikbranche, wie weit sie in den letzten Jahren gekommen ist. Obwohl große Ziele und viel Mut vorhanden sind, ist die Branche auch von politischen Entscheidungen abhängig. Nun gilt es für die Akteure der Radlogistik, ihre Hausaufgaben zu machen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Das deutsche Ökosystem für Radlogistik ist divers. Trotz (oder wegen) dieser Vielfalt gaben 45 Prozent der Kommunen in einer Umfrage im Projekt iKnowRadlogistik an, einen schlechten bis sehr schlechten Wissensstand zur Radlogistik zu haben. Das Vorhaben, welches Luise Braun für den Radlogistikverband Deutschland (RLVD) verantwortet, soll deshalb eine Wissensdatenbank entwickeln und Best-Practice-Beispiele beleuchten. Dass auch innerhalb der Branche weiterhin wichtige Fragen zu klären sind, bewies das Programm der Radlogistikkonferenz, die Mitte September mit rund 140 Teilnehmer*innen in Darmstadt stattfand.

Die Aussteller und Speaker*innen der Radlogistikkonferenz waren so divers wie die Branche selbst. Der Radlogistikverband hat seine Arbeit vor fünf Jahren mit damals 13 Mitgliedern aufgenommen. Mittlerweile sind es 80.

Keine einfachen Rahmenbedingungen

Tom Assmann, erster Vorsitzender des RLVD, ordnete bei der Eröffnung der Konferenz den aktuellen Stand der Radlogistik und die Rahmenbedingungen ein. „Das Ökosystem Radlogistik ist ausgereift und setzt neue Trends. Alles ist da! Politik und Kommunen sind jetzt mehr denn je gefordert, passende und zukunftsweisende Rahmenbedingungen zu schaffen, um innovativen, modernen Stadtverkehr für die nächste Generation zu gestalten.“ Das letzte Jahr sei für die Radlogistik von Herausforderungen geprägt gewesen, auch durch Parteien, denen Sachlichkeit weniger wichtig sei als Populismus, so Assmann. Insbesondere Schwerlastenräder werden auch innerhalb der Branche durchaus kritisch gesehen. Das Auf und Ab müsse gestaltet werden und die Branche ihre Hausaufgaben machen, sagte Assmann. Die Branche zeige viel Mut und bekomme durch den Trend, die Innenstädte wieder stärker für Menschen zu gestalten, Aufwind.
Martin Seißler, Geschäftsführer von Cargobike.jetzt und Organisator der Konferenz, erläutert weiterhin die aktuelle Situation: „Viele Flottenmanager, von welchen Unternehmen auch immer, treffen aktuell keine Entscheidungen über größere Investitionen in ‚neuartige‘ Fahrzeuge. Deshalb werden im gewerblichen Bereich sehr viel weniger Lastenräder verkauft als vor einem Jahr.“ Als große Bedrohung der Wirtschaftssparte wertete Andreas Schumann vom Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste ein drohendes Verbot von Werkverträgen, welches die Gewerkschaft Ver.di zuletzt Mitte September forderte. Die Forderung, die gegen undurchsichtige Subunternehmerketten helfen soll, könnte auch die Radlogistikbranche viele Aufträge kosten. Unter diesen Umständen wird besonders ersichtlich, wie wichtig die Verbandsarbeit auch für die Radlogistikbranche ist. „Man merkt deutlich, wie wichtig es ist, dass es die Nationale Radlogistikkonferenz gibt, weil dort Gespräche stattfinden, die auf anderen Veranstaltungen nicht stattfinden. Genau deshalb wird es diese Veranstaltung auch weiterhin geben“, erklärt Martin Seißler. Der Verband nahm seine Arbeit vor fünf Jahren mit damals 13 Mitgliedern auf. Mittlerweile sind es über 80.

Tom Assmann
Erster Vorsitzender des RLVD

Radlogistik hat Tradition

Trotz des jungen Verbandsalters gibt es Radlogistik nicht erst seit wenigen Jahren, erklärte ein Vertreter des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Daran erinnere ihn auch ein ausrangiertes Lastenrad, das bei einem Gemüsehändler in seinem Heimatort als Blumenbeet dient. Viele Herausforderungen, etwa bei multimodalen Transportketten, werden dennoch erst jetzt deutlich. In diese Kategorie fällt sicher auch das Thema der Routenführung. Für Lastenräder brauche es eigentlich eine angepasste Navigation. Daran arbeitet Michael Hess von der 7 Principles Mobility GmbH. Cargobikes bewegen sich anders als Autos, aber auch anders als Fahrräder, durch Städte hindurch. Problematisch sind zum Beispiel Umlaufsperren, Bordsteine oder für den Radverkehr freigegebene Einbahnstraßen. Im Projekt iRouteCargobikes untersucht Hess deshalb Abweichungen von den Standardrouten. Das Ziel ist eine Navigationsanwendung, in der die Fahrer*innen ihre eigenen Präferenzen auswählen können.
Viele Themen im Ökosystem Radlogistik entwickeln sich stetig weiter. Das Projekt KV MD² bietet neue Mikrodepots, die sich an der Größe eines Parkplatzes orientieren und eine integrierte Rampe sowie ein IT- und Steuerungssystem haben. Umstellen lassen sie sich per Gabelstapler. Auch das Lieferantensystem hat sich entwickelt, sodass es mittlerweile selbst für Schwerlasträder einen ausgeprägten Lieferantenmarkt gibt, meint Inga Töller von der Onomotion GmbH.

Die Teilnehmer*innen der Konferenz tauschten sich über wichtige Herausforderungen der Radlogistikbranche aus. Dazu gehören stets auch technische Aspekte.

Mehr Vereinheitlichung

Projekte und Forderungen, die der Radlogistik helfen sollen, gibt es in der jungen Branche dennoch viele. Logistiker, die Lastenräder verschiedener Hersteller nutzen, wollen diese wie im Kfz-Bereich mit einem Standard-Diagnosegerät auslesen können. Generell dürfe die Radlogistik der motorisierten Logistik in Sachen Software in nichts nachstehen, sondern muss in dieser Hinsicht komfortabel und zuverlässig sein.
Das Potenzial für gewerbliche Lastenräder ist riesig. Pflegedienste, Bestatter, Gärtner oder ein Bringdienst der Osnabrücker Tafel wurden auf der Konferenz als Beispiele genannt. Auch für den Berliner Kreislaufwirtschaftsdienstleister Interzero, der Altkleider mit einem Cashback-System sammelt und transportiert, ist das Cargo-Bike das Mittel der Wahl. „Wir müssen nicht nach dem einen Gewerbe suchen. Wir haben diese Potenziale überall“, erklärte Seißler auf der Konferenzbühne. Um die Potenziale zu heben, brauche es faire Marktbedingungen. Neben den Straßen und anderen Infrastruktursystemen sind auch die Beschaffungs- und Vergaberichtlinien der öffentlichen Hand ein wichtiger Hebel für die Radlogistik. Um dies zu fördern, müsse die Branche aktiv werden und sich in Gremien setzen, in denen Radlogistik eine Rolle spielen sollte.
Spannende Entwicklungen könnte es auch von regulatorischer Seite geben. Arne Behrensen von Zukunft Fahrrad stellte die Klasse H-Pedelec (Heavy Pedelec) in den Raum, die zum Beispiel mit Motorleistungen bis zu 500 Watt bis 25 km/h unterstützen könnte. Auch die neue europäische Lastenradnorm (EN 17860, Teil 1–7), die gerade entsteht, gilt es genau zu beobachten, so Anke Schäffner vom Zweirad-Industrie-Verband.

Exkursionstag in Darmstadt

Für eine Teilmenge der Besucher*innen begann der erste Konferenztag mit einer Werksführung beim Unternehmen Riese & Müller, das im Ort Mühltal in der Nähe von Darmstadt produziert. Die Exkursion am Nachmittag machte Station bei verschiedenen Radlogistikakteuren in der hessischen Großstadt, darunter ein Weinhändler, ein Fahrradhändler, das Stadtkulturmagazin, sowie das Projekt LastenLeichtBauFahrrad. Dieses Forschungsprojekt ist im Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF angesiedelt, wo der erste Tag seinen Ausklang fand.
Als Veranstalter sei man sehr glücklich über die Wahl des Standorts Darmstadt, so Martin Seißler. „Man sieht deutlich, dass hier schon ganz viel passiert und im Schwange ist, was das Thema Radverkehrsförderung angeht, aber in der Radlogistik durchaus noch Entwicklungspotenzial besteht.“ Und weiter: „Thematisch betrachtet fand ich es am spannendsten, dass wir jetzt anfangen, über die reine Logistik hinaus zu denken. Wir betrachten breitere Anwendungsfelder und stellen die Frage, was alles Logistik ist. Wir gehen vom Stückgut zur Baustelle, zu den Handwerkern und allen, die in der Stadt Wirtschaftsverkehr machen. Ich glaube, das ist wichtig, weil im Endeffekt alles die gleiche Infrastruktur braucht, mit Ausnahme von Mikrodepots.“


Bilder: Andreas Lörcher – RLVD

Vom 20. bis 21. September fand im zeitlichen Rahmen der IAA Transportation die dritte Nationale Radlogistikkonferenz in Hannover statt. Die Branche zeigte auf, wie professionell sie agiert und dass sie mit großen Schritten ein „Erwachsenwerden“ des Wirtschaftszweigs vorbereitet. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


Eine Fahrrad-Demo? Ist denn schon Freitag? Nein, es war ein Donnerstag im September. Und die Fahrradkolonne mit vielen kleinen und großen Lastenrädern hatte ein Ziel. Viele Teilnehmerinnen der Radlogistikkonferenz fuhren gemeinsam zum Messegelände Hannover, um dort Logistikgrößen und Publikum auf der IAA Transportation auf sich aufmerksam zu machen und zu zeigen: Radlogistik ist gekommen, um zu bleiben, und hat große Ziele. Um diese in den nächsten Jahren zu erreichen, muss die Branche bei rechtlichen Rahmenbedingungen und Standardisierungen an einem Strang ziehen, so der Tenor der Konferenz. Diese fand im Kongresszentrum Hannover eine Bühne, wo neben den vielen Rednerinnen auf der von Nico Lange moderierten Bühne, über 25 Unternehmen ihre Produkte präsentierten und im Außenbereich Testfahrten anboten. Die Veranstaltung begann am Dienstag mit einem Exkursionstag, der mehr als 100 Menschen an verschiedene für die Radlogistik relevante Orte in Hannover führte. Nach begrüßenden Worten, unter anderem von Oberbürgermeister Belit Onay, besuchte die Gruppe einen Mini-Hub in einem Parkhaus, eine Zustellbasis am Güterbahnhof von DHL, die Fahrradkurierfirma Tretwerk sowie weitere Orte. Das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover traten bei der Konferenz als Unterstützer auf.
Am zweiten Konferenztag standen nach der Eröffnung durch Tom Assmann, Vorsitzender des Radlogistikverbands Deutschland (RLVD), und drei Grußworten, unter anderem vom Parlamentarischen Staatssekretär Oliver Luksic, inhaltliche Fragen im Vordergrund. Diese wurden in einigen Panels zunächst mit Input gefüllt und anschließend diskutiert. Die Branche entwickelt sich dynamisch weiter. Martin Seißler von Cargobike.jetzt war an der Organisation des Events beteiligt: „Es war ja die dritte Radlogistik-Konferenz und wir sehen jedes Mal eine Steigerung der Zahl der interessanten Modelle und eine technische Weiterentwicklung. Das ist sehr schön, zu sehen, und auch wichtig für die, die Lastenräder am Ende nutzen wollen. Wir wollen eine erwachsene Branche werden und haben am Anfang der Konferenz noch mal die 30 Prozent der Logistik in den Innenstädten als machbares Ziel propagiert. Die Schwelle der technischen Entwicklung nehmen wir immer besser.“
Es gibt viele Fragen, die es im jetzigen Stadium zu klären gilt, damit der optimistischen Aussicht der Radlogistik-Unternehmen nichts im Weg steht. „Wir sehen auch, dass das hier die Leitveranstaltung für die Branche der Radlogistik ist. Hier trifft sich einmal im Jahr die Branche und kann sagen, wo sie steht. Ich bin sehr zufrieden, wie das Ganze auch in den Panels weiterentwickelt wurde“, so Seißler.

Lastenräder aller Couleur fanden nicht nur in Vorträgen und auf Podien der Konferenz statt. Gut zwei Dutzend Unternehmen stellten ihre Fahrzeuge und Produkte im Foyer aus und boten Testfahrten an.

Politische Herausforderungen

Auf politischer Seite gibt es aktuell noch starke Hemmnisse für die Radlogistik. Zum einen sind schmale Radwege vor allem für Schwerlastenräder mit mehreren Hundert Kilo Gewicht nicht geeignet. Zum anderen ist die finanzielle Förderung nicht hoch genug, als dass sie völlig selbstverständlich mit teils um 40 Prozent rabattierten Verbrennertransportern konkurrieren kann. Gerade lokale Förderprogramme sind zudem oft schnell ausgeschöpft. Um in der Konkurrenz bestehen zu können, will der Radlogistikverband aber vermeiden, dass die Radlogistik Dumping-Preise einführt. Vielmehr müssen Verbrenner-Vans teurer werden, die derzeitigen Niedrigpreise können als Marktversagen gewertet werden. „Die Politik darf mutiger werden“, forderte Martin Schmidt, stellvertretender RLVD-Vorsitzender in seinem Resümee der Veranstaltung. Das Verbrennerverbot ab 2035 sowie die derzeit steigenden Treibstoffkosten dürften der Radlogistik in die Karten spielen. Gerade kleinere, reine Elektrofahrzeuge könnten der Branche aber künftig Marktanteile streitig machen.
Auch in der Bevölkerung sollen Lastenräder noch besser als Lösung bekannt werden. Wenn der Wert der Serviceleistung Lieferung mehr geschätzt würde, hätten die Radlogistiker leichteres Spiel. Eine größere Präsenz von Lastenrädern auf der letzten Meile dürfte auch die Chancen bei städtischen Vergabeverfahren erhöhen. Hier, so berichtet Matthi Bolte-Richter, Geschäftsführer des Kieler Radlogistikunternehmens Noord Transport, müssen die Logistiker oft erst mal vermitteln, wie leistungsfähig moderne Lastenräder sind, und werden so benachteiligt. „Das Lastenrad ist häufig einfach ausgeblendet“, bestätigte auch Jonas Kremer, RLVD-Fachvorstand Politik. Wenn ein Flottenanteil an Elektrofahrzeugen über Quoten geregelt ist, würden Lastenräder oft nicht mitgezählt und können damit ihr Potenzial nicht ausspielen.

„Wir schreiben jetzt Spielregeln, das ist eine einmalige Chance“

Martin Schmidt, Radlogistikverband Deutschland

Technische Feinheiten

Die Teilnehmerinnen in drei optionalen Workshops bearbeiteten Themen, die die Branche stärker vereinen könnten. Es ging um eine deutschlandweite Buchungsplattform für Radlogistik-Dienstleistungen, digitale Schnittstellen durch offene KEP-Standards (Kurier-, Express- und Paketdienst) und darum, was zu beachten ist, wenn die Branche Aufbauten und Wechselsysteme standardisiert. „Wir schreiben jetzt Spielregeln, das ist eine einmalige Chance“, kommentierte Martin Schmidt abschließend. Normen, die Lastenräder betreffen, werden von der Industrie gut angenommen, haben laut Tim Salatzki vom Zweirad-Industrie-Verband aber Lücken, was die Sicherheit im Schwerlastsegment betrifft. Es sollte im Interesse der Branche sein, diesem Thema proaktiv zu begegnen, wie es beispielsweise durch den Verhaltenskodex im Verkehr des RLVD bereits beispielhaft geschehen ist. Wenn es schwere Unfälle geben sollte, könnte das dem Ruf der Lastenräder schaden. In einer Paneldiskussion, in der auch Luise Braun von Onomotion und Wasilis von Rauch von Zukunft Fahrrad sowie Jonas Kremer sprachen, wurde die Möglichkeit einer eigenen Kategorie für Schwerlastenräder als sinnvoll bewertet. Diese dürfe allerdings kein Monstrum an Regulierungen mitbringen, so der Tenor der Runde. Schulungen für Schwerlastenräder könnten zielführend sein, eine Führerscheinpflicht lehnte die Gruppe allerdings entschieden ab. Weiteren Input gab es auch zu den Fahrerinnen der Lastenräder. Diese sind in Österreich bereits mit einem Tarifvertrag aufgestellt. Es gilt, hier auch in Deutschland die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, StVO-Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit den Kund*innen zu vermitteln. Die Menschen, die die Räder fahren, sind das Rückgrat der Branche, verrichten eine körperlich schwere Arbeit und müssen entsprechend gewürdigt werden. Sie brauchen gute Konditionen ohne Dumping-Löhne und Scheinselbstständigkeiten, auch damit die wachsende Branche in Zukunft keinen Personalmangel hat.

Empfangskomitee oder Randnotiz? Die Last-Mile-Area auf der IAA Transportation sorgte bei den ausstellenden Unternehmen für gemischte Gefühle.

Mit Versendern vernetzen

Als Positivbeispiel hingegen kürte der RLVD den Radlogistikversender des Jahres. Der Preis ging an die Memo AG, die Bürobedarf in Kooperation mit 13 verschiedenen Radlogistikdiensten ausliefern lässt. Den Versendern soll in der vierten Konferenzausgabe eine größere Rolle zukommen. Diese könnte sich auch in anderer Hinsicht von der diesjährigen Veranstaltung unterscheiden, sagt Martin Seißler. „Ich habe das Gefühl, wir müssen das Programm vielleicht ganz weglassen, weil die Leute die ganze Zeit netzwerken wollten. Aber so funktioniert es natürlich nicht. Wir wollen das Thema Netzwerken aber besser koordinieren, professionalisieren und etwas zielgerichteter gestalten. Und wir wollen auch die Versender mehr zu Wort kommen lassen, ihnen eine Bühne bieten und klarmachen, wie wichtig sie in diesem ganzen Prozess sind.“ Auch eine Art Speeddating, um die Akteure effizienter zu vernetzen, wäre dazu ein möglicher Weg.

Links: Das Schwerlastenrad von Fulpra bietet bis zu 3000 Liter Stauraum und 350 Kilogramm Zuladung.
Rechts: Die Mobilitätsstation des Unternehmens Fairventure lädt dank Solarmodulen und eingeschweißter Batterie autark Elektrofahrzeuge auf.

Das Fahrzeugkonzept der ZF-Tochter Brakeforce One (links) hat Platz für kühle Getränke. Deutlich mehr kühlen Stauraum bieten die Aufbauten von Wello (rechts).

IAA Transportation – Radlogistik als Teil des Ganzen

Am Tag nach der Konferenz sind viele Teilnehmerinnen dann mit ihren Lastenrädern und -anhängern publikumswirksam auf der IAA Transportation eingefahren. Der Nutzfahrzeugableger der Internationalen Automobilausstellung fand zeitgleich in Hannover statt. Die zeitliche Überschneidung war nicht zufällig, vielmehr war die Radlogistikkonferenz in Zusammenarbeit mit der Fachmesse geplant worden. Auch auf der IAA Transportation selbst waren Lastenräder präsent. Es gab einen gesonderten Ausstellungsbereich für die Letzte-Meile-Logistik, die Last-Mile-Area. Ein Cargobike-Parcours bot die Möglichkeit, viele Modelle zu testen. Im Nachgang der publikumswirksamen Einfahrt verlieh die Fachzeitschrift Logistra ihren jährlichen Award „International Cargobike of the Year“. Die ersten Plätze konnten sich die Hersteller Riese & Müller für das Modell Transporter 2, Mubea für das Schwerlastenrad Cargo und Nüwiel für den Anhänger eTrailer sichern. Überlaufen war die Last-Mile-Area nicht. Neben den Award-Gewinnern gab es dennoch auch ein paar Produktneuheiten zu entdecken. Der Hersteller Urban Arrow präsentierte ein neues Bremssystem, das auf Motocross-Technik setzt. Rytle hatte mit dem auffällig grün überdachten Schwerlastenrad Movr3 eine neue Produktgeneration im Gepäck. Und Mubea zeigte neben einer Variante des prämierten Modells Cargo für Gärtnerinnen, Landschaftsarchitektur und Co. einen dreirädrigen E-Scooter, der ab dem kommenden Jahr produziert werden soll.
Auf dem großen Hannoveraner Messegelände fanden sich zwischen den großformatigeren Cargo-Exponaten an wenigen Stellen vereinzelte Lastenräder, ein Symbol für die zukünftige Verknüpfung der Transportmittel. Ob diese Verknüpfung von der restlichen Branche wirklich ernst genommen wird, bleibt abzuwarten. Eindeutig bewerten ließ sich das Standing der Radlogistik in der gesamten Branche aber nicht. Manch ein Aussteller fühlte sich auf der Sonderfläche etwas an den Rand gedrängt, andere verstanden sich in der Lage am westlichen Eingang in der Halle 13 eher als Empfangskomitee der Fachmesse. In den Vorträgen, die auf mehreren Bühnen gehalten wurden, fand das Thema Radlogistik höchstens als Randnotiz statt. Dabei könnte aber auch die ausgelagerte Konferenz des RLVD eine Rolle gespielt haben.

„Wir schaffen die 30 Prozent Radlogistik“

Dr.-Ing. Tom Assmann, Vorstandsvorsitzender des Radlogistikverbandes Deutschland

Wie beurteilen Sie die diesjährige Radlogistikkonferenz?
Wir sind sehr zufrieden mit der Veranstaltung. Sie war gut besucht und wir haben gezeigt, dass Radlogistik ein hochinnovativer Bereich ist. Ein Bereich, der die Technologie so weit entwickelt hat, dass sie ausgerollt werden und in der Breite in den Städten in Deutschland den Verkehr entlasten und sicher machen kann. Wir sind bereit, im großen Game um die letzte Meile vollständig mitzuspielen und sie auch in der Zukunft zu gestalten. Wir schaffen die 30 Prozent Radlogistik.

Wie wird sich die Branche in nächster Zeit weiterentwickeln?
Wir werden nächstes Jahr deutlich mehr Lastenräder auf den Märkten sehen. Ich höre das in den Gesprächen, dass eigentlich überall große Absatzzugewinne zu verzeichnen sind und dass die Akteure trotz der Weltlage positiv in die Zukunft schauen, weil Lastenfahrräder und -anhänger die Transportmittel der Zeit sind. Wir sparen 90 Prozent Energie pro Kilometer ein und haben günstigere und klimagerechte Fahrzeuge. Deswegen können wir positiv gestimmt sein, hoffen aber, dass da nicht noch größere Probleme in den Lieferketten kommen.

Was sind die größten Herausforderungen für die Branche?
Eine wichtige Frage auf politischer Ebene ist, wie man Radlogistik in die Breite der kommunalen Planung bekommt. Die Kommunen müssen die Radlogistik, die Flächen und die In-frastruktur standardmäßig mitplanen, sodass unsere Fahrzeuge supereinfach, komfortabel und schneller als ein Sprinter überall genutzt werden können. Das ist die eine Herausforderung, die andere ist, wie wir auf europäischer Ebene einen harmonisierten Rechts- und Standardrahmen schaffen, damit diese Fahrzeuge überall in der EU sicher, zuverlässig und kostengünstig auf Radwegen betrieben werden können.

Am hinderlichsten ist also die Politik?
Ein großes Hemmnis ist auch, dass insgesamt noch zu viel Zögern da ist. Nicht unbedingt in der Logistikbranche, die Logistikakteure sehen, sie müssen da reingehen und werden das auch tun. Aber insbesondere abseits des klassischen Paket- und Postgeschäftes, wo Lastenräder sich gut entwickeln, da braucht es noch mehr Berührungspunkte, und es braucht mehr und bessere Förderung, damit auch kleine und mittlere Unternehmen umsteigen können und sagen: „Ein Lastenfahrrad ist günstiger und es ist besser für mein Unternehmen.“ Es ist Marktversagen, dass das Leasing von E-Autos im Moment besser gefördert wird als das Leasing von E-Lastenfahrrädern.

Berührungspunkte habt ihr auch auf eurer Exkursion schaffen wollen. Was hat dort die größte Neugier und die meisten Gespräche ausgelöst?
Wir hatten tolle Gespräche, die gesamte Exkursion entlang. Es gab ein wirklich wunderbares Grußwort von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der klar gezeigt hat, dass es Städte gibt, die bereit sind, den Weg zu einer klimagerechten, zu einer lebenswerteren und zu einer autoärmeren Stadt zu gehen. Das hat mir sehr gut gefallen, genau wie unsere letzte Station bei unserem neuen Mitglied Modes. Die kommen ursprünglich aus dem klassischen Umbau von Vans für Personen mit Behinderung und haben jetzt als neues Geschäftsmodell den Service von Lastenrädern mitaufgenommen und zeigen, dass sie die Transformation hin zu nachhaltiger Mobilität gehen.

Die Radlogistik-Konferenz fand während der IAA Transportation statt und machte dort mit einer kollektiven Einfahrt auf die Messe auf sich aufmerksam. Was waren die Hintergründe dieser Entscheidung?
Es war die richtige Entscheidung, diese Veranstaltung parallel zur IAA Transportation zu machen und zu zeigen: Wir als Radlogistik sind da und wir sind bereit, unser 30-Prozent-Ziel bis 2030 umzusetzen. Jetzt ist es auch an den etablierten Akteuren, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu sagen, dass es neue Formen der Mobilität und neue Formen der gewerblichen Logistik in der Stadt braucht. Deswegen fand die Konferenz auch hier und in Abstimmung und Kooperation mit der IAA statt. Das war ein Angebot der IAA, dass wir mit unseren Ausstellern und unseren Lastenfahrrädern auf die Messe kommen und dem Publikum dort das zeigen konnten, was wir eben auch auf der Konferenz hier gezeigt haben: Die Technik ist da, kauft sie, setzt sie ein und fahrt damit.


Bilder: Ulrich Pucknat, Sebastian Gengenbach, Jana Dünnhaupt – OVGU

„Nicht die Idee des Lastenradtransports an sich macht den Erfolg und eine Revolution im Wirtschaftsverkehr möglich, sondern die Kombination hochleistungsfähiger Komponenten“, betont Berger. „Ich bin davon überzeugt, dass wir gerade einen Durchbruch erleben. Cargobikes mit neuer Technik sind eine echte Alternative, nicht irgendwann in der Zukunft, sondern jetzt.“

Neue Geschäftsmodelle und Chancen

Auch veränderte Kundenerwartungen und neue Geschäftsideen dürften den Markt künftig weiter befeuern. Zu den Abnehmern des Tricargo Lademeisters gehört beispielsweise das im Raum Köln/Bonn tätige wertegetriebene Unternehmen „Himmel un Ääd“ – analog zum rheinischen Gericht Äpfel (Himmel) und Kartoffeln (Ääd/ Erde). Das Geschäftsmodell ruht dabei auf zwei Säulen: Radlogistik und ein Onlineshop für regionale Lebensmittel, die mit dem Lastenrad ausgeliefert werden. Ein weiterer Kunde und gleichzeitig Multiplikator ist die Memo AG. Der Spezialist für nachhaltigen Öko-Bürobedarf mit über 20.000 Produkten im Sortiment legt Wert darauf, dass Bestellungen auf der letzten Meile mit E-Lastenrädern ausgeliefert werden, die ausschließlich Ökostrom als Energie nutzen und so komplett emissionsfrei unterwegs sind. Um das zu gewährleisten stellt das Unternehmen Radlogistikern entsprechend gebrandete Räder zur Verfügung.
Generell sind die Einsatzgebiete von Profi-Cargobikes enorm vielfältig. Aktuell sind sie nicht nur technisch ausgereift, sie passen auch in die Zeit und hervorragend zu wieder lebenswerten Städten und Quartieren. Entsprechende Verbesserungen bei der Infrastruktur vorausgesetzt, zum Beispiel mit mobilen oder stationären Sammelpunkten für Pakete, sogenannten Micro-Hubs/Mikro-Depots, breiten Radwegen und ausreichend großen Park- und Halteflächen, verschiedenen Push- und Pull-Faktoren und neuen gesetzlichen Regelungen könnte hier ein völlig neuer, klimafreundlicher Multimillionen-Markt entstehen. Technologietreiber sind aktuell vor allem kleine und mittelständische Unternehmen. Sie aktiv zu fördern und neuen Entwicklungen für den nachhaltigen Lastentransport keine unnötigen Steine, wie bei der Begrenzung der Motorkraft, in den Weg zu legen, sollte mit Blick auf die Herausforderungen der Zeit eine Selbstverständlichkeit sein. Besonders wichtig für die Zukunft ist laut Experten unter anderem, dass die rechtliche Gleichstellung von Schwerlasträdern bis zu einem Gewicht von 500 kg zum Fahrrad erhalten bleibt. Eine umfangreiche Stellungnahme zum Nationalen Radverkehrsplan 3.0 mit Wünschen an die Politik hat der Radlogistik Verband Deutschland e.V. (RLVD) vorgelegt.

Steckbrief Lademeister

Das Schwerlastrad Lademeister von Tricargo ist optimiert für den Transport von Europaletten und allen kompatiblen Kistenformaten. Er lässt sich ergonomisch be- und entladen – auch per Gabelstapler. Die effektive Nutzlast beträgt 210 kg und das zulässige Gesamtgewicht 425 kg, bei 140 kg Leergewicht inkl. Box. Die Reichweite beträgt in der Praxis 40 bis 60 km. Für die Energie sorgt ein Greenpack-Wechselakku mit 1.456 Wh und einer Ladezeit von vier Stunden. Der Vorderradnabenmotor unterstützt mit 250 Watt und verfügt über eine Anfahr- bzw. Schiebehilfe. Die hintere Scheibenbremsanlage sowie die Laufräder kommen aus dem Motorradbau. Die optionale Transportbox hat ein Volumen von 2,17 Kubikmetern, Ladefläche in der Box 1522 × 815 × 1520 mm (L × B ×H).
Weitere Konfigurationen sind optional verfügbar. Informationen: www.lademeister.bike / www.pinion.eu.

Technisch einzigartig: Als einzige Schaltung am Markt sind Pinion T-Linien-Getriebe optional mit einem Neutralgang ausgestattet. Dieser ermöglicht ergonomisches Rückwärtsrangieren schwerer Cargo-Fahrzeuge.

Text: Reiner Kolberg

Bilder:

Tricargo, Wikimedia Commons, Pinion