(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)
Wie lassen sich Barrierefreiheit und Inklusion in der Radverkehrsplanung erreichen?
„Design für alle“
Das Thema läuft wahrscheinlich in vielen Städten noch unter dem Radar, auch wenn wir in Potsdam in einigen Punkten schon etwas erreichen konnten. Viele bauliche Maßnahmen, die die Barrierefreiheit im Radverkehr verbessern, lassen sich dabei ganz grundsätzlich mit besserer Radinfrastruktur betiteln. Wie etwa breitere Radverkehrsanlagen, also Radwege, aber auch Radfahrstreifen, die mehr Platz für alle Radfahrenden schaffen und neben Lastenrädern vor allem auch Spezialrädern zugutekommen.
Bei Brücken und Tunneln wiederum sind eine Rampenneigung von 5 Prozent und Zwischenpodeste nicht nur für Rollifahrer hilfreich, sondern auch für radfahrende Menschen mit Handicaps oder für junge angehende Radfahrerinnen oder Ältere, die (noch) nicht so viel Puste haben, die ganze Steigung auf einmal zu nehmen.
Ebenfalls eine wichtige Maßnahme im Sinne einer besseren Barrierefreiheit ist die Nullabsenkung an Übergängen vom Radweg auf die Fahrbahn anstatt eines Bordsteins von 3 cm oder mehr. Und durch eine vermehrte Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn oder auf baulich getrennten Radwegen schaffen wir auch eine Verbesserung der passiven Sicherheit für seheingeschränkte oder blinde Personen, die als Fußgehende unterwegs sind.
Grundsätzlich haben wir in Potsdam mit dem Prinzip „Design für alle“ das Ziel, möglichst vielen Nutzergruppen eine gute Teilnahme an aktiver Mobilität zu ermöglichen. Wir würden uns aber wünschen, dass wir von radfahrenden Menschen mit Handicaps mehr Rückmeldungen zu den bisher umgesetzten Radverkehrsmaßnahmen erhalten.
Torsten von Einem
Radverkehrsbeauftragter der Landeshauptstadt Potsdam
„Konfliktpunkte auf ein Minimum reduzieren“
Das Thema Barrierefreiheit und Inklusion wird in allen Planungen des Mobilitäts- und des Baureferats mitgedacht. Unter dem Motto „Mobilität für alle“ soll dabei die Verkehrssicherheit gerade für schwächere Verkehrsteilnehmende erhöht werden. Derzeit wird eine weitere Teilstrategie der Mobilitätsstrategie 2035 erarbeitet, die sich mit Fragen der Inklusion, der Gendergerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit in der Verkehrsplanung beschäftigt. Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich selbstbestimmt in der Stadt zu bewegen, möglichst auf der gesamten Wegekette. Mobilität darf keine Frage des Geschlechts, der gesellschaftlichen Rolle, der körperlichen oder kognitiven Fähigkeiten oder der finanziellen Situation sein.
In der Radverkehrsplanung geht es vor allem um die Höhe von Bordsteinen, Leitsysteme, ausreichende Radwegbreiten oder die Anpassung der Ampelsteuerung. Aber auch gestalterische Grundsätze wie freie Sichtbeziehungen zwischen den Verkehrsteilnehmenden sowie die bedarfsgerechte Verteilung der in München extrem knappen Flächen spielen eine zentrale Rolle. Die Planer*innen der Landeshauptstadt München fußen ihre Arbeit auf fortlaufend aktualisierten Leitlinien und können auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz bei der Radverkehrsplanung zurückgreifen. Ergänzend bringt bei nahezu allen Radverkehrsvorhaben der städtische Beraterkreis für barrierefreies Planen und Bauen sein wertvolles Wissen ein. Münchens Ziel ist es, so die Konfliktpunkte im öffentlichen Raum durch vorausschauende bauliche Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren.
Baureferentin Dr.-Ing. Jeanne-Marie Ehbauer und Mobilitätsreferent Georg Dunkel der Landeshauptstadt München
„Andere Maßstäbe als nur die der technischen Regelwerke“
Radfahren ist das effizienteste und kostengünstigste Verkehrsmittel, das je erfunden wurde. Inklusion bedeutet daher für mich, dass allen Menschen dieses Verkehrsmittel zugänglich gemacht werden sollte. Damit das gelingt, sind in der Radverkehrsplanung andere Maßstäbe als nur die der technischen Regelwerke anzulegen. Es geht auch um die Herstellung subjektiver Sicherheit. Mit Subjektivität ist dabei der Blick des Planenden und die Wirkungsprüfung bestimmter Maßnahmeoptionen auf die verschiedensten Nutzergruppen gemeint. Eine inklusive und barrierefreie Radverkehrsinfrastruktur ist dann die möglichst größte Schnittmenge aus den Optionen, die planerisch zu erreichen ist.
In Leipzig bauen wir schon viele Jahre mit Erfolg barrierefreie Haltestellen des ÖPNV mit angehobenen Radfahrbahnen. Wir wollen weg von Mindestmaßen in der Radinfrastruktur, um auch dreirädrigen Lastenrädern und im Idealfall Rikschas mit ihrem jeweiligen Tempo Platz zu geben. Inklusion beim Radverkehr heißt in Leipzig quer durch alle Generationen auch: Kindermitnahme im Lastenrad statt Elterntaxi und „Radeln ohne Alter“ als willkommene Ablenkung vom manchmal mühseligen Senioren-Alltag.
Barrierefreiheit in der Radverkehrsplanung heißt aber auch, die Ansprüche der nicht radfahrenden, mobilitäts- und seheingeschränkten Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Bei stetig zunehmenden Radverkehrsmengen kann das nur die Herstellung weitgehend getrennter Bereiche für den Fuß- und Radverkehr bedeuten sowie die verbleibenden Kreuzungspunkte von Fuß- und Radverkehr deutlich hervorzuheben. Dazu zählen wir inzwischen auch erste Fußgängerüberwege über Radwege, die dem Radfahrenden klare Wartepflichten auferlegen.
Dr. Christoph Waack Radverkehrsbeauftragter im Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Leipzig