Im Dezember 2023 war die Regierung aus SPD, FDP und Grünen zwei Jahre im Amt. Wie sieht ihre bisherige verkehrspolitische Halbzeitbilanz aus Sicht der Fahrradbranche aus? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Es sollte eine „Fortschrittskoalition“ werden. Das neue Bündnis hatte sich viel vorgenommen. Im 177-seitigen Koalitionsvertrag von 2021 findet sich 72-mal das Wort „Zukunft“, 11-mal ist von „Aufbruch“ die Rede. Doch neben blumigen Worten gibt es kaum etwas zum Thema Mobilität und Verkehrswende. Ein Lichtblick: Die Ampel-Koalitionäre formulierten ihre Absicht, Straßenverkehrsgesetz und StVO so anzupassen, „dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen“.
Der Fahrradbranche fiel ansonsten auf, dass der Begriff „Verkehrswende“ im Koalitionsvertrag überhaupt nicht vorkam. Dem Thema Radverkehr waren ganze vier Zeilen gewidmet, zum Beispiel: „Wir werden den Nationalen Radverkehrsplan umsetzen und fortschreiben, den Ausbau und die Modernisierung des Radwegenetzes sowie die Förderung kommunaler Radverkehrsinfrastruktur vorantreiben.“ Allgemeinplätze.
Für den Radverkehr war der Koalitionsvertrag 2021 daher eine Enttäuschung. Hinzu kam – neutral gesagt – die Überraschung, dass ein FDP-Minister das Ministerium führen sollte. Viele waren davon ausgegangen, dass der Grüne Cem Özdemir Verkehrsminister werden würde. Dessen Haltung zur Verkehrswende war bekannt, Volker Wissing hingegen hier eher ein unbeschriebenes Blatt. In seiner Zeit als Landesminister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in Rheinland-Pfalz war er nicht durch eine besonders fortschrittliche Verkehrspolitik aufgefallen.

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Verkehrspolitische Zwischenbilanz

Nach gut zwei Jahren Regierungszeit lässt sich nun eine Zwischenbilanz ziehen. Welche verkehrspolitischen Akzente hat Volker Wissing als Bundesverkehrsminister gesetzt? Hat er die Verkehrswende vorangebracht? In welcher Weise hat er etwas für die Fahrradbranche bewegt?
In den ersten Monaten seiner Amtszeit war auffällig, wie sehr sich Volker Wissing öffentlich bemühte, jede Erwartung zu zerstreuen, er könnte die Rahmenbedingungen für den motorisierten Verkehr verschlechtern oder das Autofahren teurer machen. Die Ablehnung von Tempolimits war sogar im Koalitionsvertrag bereits festgeschrieben worden. Allerdings war nach dem Bundesklimaschutzgesetz (KSG) 2019, das zwei Jahre später als Konsequenz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts nochmals verschärft wurde, eine klar definierte CO2-Reduktion auch für das Verkehrsressort gesetzlich verpflichtend. Daher stand der Minister unter Druck, hier auch zu liefern.
Doch Volker Wissing schien das KSG nicht weiter zu interessieren. Bisher wurde in jedem Jahr seiner Amtszeit festgestellt, dass der Verkehrssektor die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten hat und die Reduktionsziele deutlich verfehlt wurden. Für den Minister war dies allerdings kein Anlass, seinen Kurs zu ändern. Stattdessen wurde die Verantwortung weitergeschoben: Nicht Volker Wissing würde die Klimaschutzziele reißen. Es wären die Bürgerinnen und Bürger, die eben mobil sein wollten – so lautete die Begründung seines Parteichefs Christian Lindner. Der Spiegel nannte diese Haltung eine „Verweigerung des Klimaschutzes“ und „Nichtstun als Methode“.

Dass die Radinfrastruktur noch nicht gerade perfekt ist, ist offensichtlich, aktuell wird aber das Bemühen, daran etwas zu ändern, ausgebremst.

Was kümmert mich das Klimaschutzgesetz?

Mit seinem offensichtlich gesetzeswidrigen Verhalten ist Volker Wissing natürlich ein nicht unerhebliches Risiko eingegangen. Deshalb haben er und seine Partei mit dafür gesorgt, dass das KSG in der Weise geändert werden soll, dass es künftig keine separaten Reduktionsziele für den Verkehrssektor mehr gibt, sondern nur noch ein Gesamtpool aller Sektoren betrachtet wird. Das Kabinett hat im Juli 2023 einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet, der allerdings noch nicht durch den Bundestag ist (Stand Januar 2024).
Ein Handeln nach dem Motto: „Wenn ich die Vorgaben des Gesetzes nicht einhalten kann, ändere ich einfach das Gesetz“ ist im Hinblick auf das Rechtsempfinden der meisten Bürgerinnen und Bürger und für die politische Moral in Deutschland allerdings verheerend. Es zeigt zudem, wie wichtig der Ampel-Regierung offenbar ein Festhalten am verkehrspolitischen Status quo ist – mit ein bisschen mehr E-Mobilität und verbessertem ÖPNV.
Das temporäre 9-Euro-Ticket sowie nun das 49-Euro-„Deutschlandticket“ für den Nahverkehr ist hingegen ein Punkt, den sich der Verkehrsminister auf der Haben-Seite seiner Bilanz zu Recht ans Revers heften kann.

Planungsbeschleunigung

Ein weiteres wichtiges verkehrspolitisches Thema in den letzten zwei Jahren war die Planungsbeschleunigung für Infrastrukturmaßnahmen. Hier ging es darum, die Genehmigungsverfahren substanziell schneller zu machen. Durch das vom Bundestag im Oktober 2023 verabschiedete Genehmigungsbeschleunigungsgesetz soll sich das ändern, und zwar für alle Bauvorhaben, die im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegen. Doch welche sind das? Der Ausbau der Bahn-Infrastruktur war zwischen allen Ampel-Partnern unstrittig. Auch die Einbeziehung von maroden Straßen- und Autobahnbrücken, wodurch lange Staus oder Umleitungen entstehen, waren nachvollziehbar. Ob angesichts der gravierenden Klimaproblematik jedoch auch Autobahnaus- und -neubauten zum „überragenden öffentlichen Interesse“ gehören, darüber wurde lange gerungen. Der Verkehrsminister argumentierte, ohne Straßen gäbe es in Deutschland kein Wachstum und keinen Wohlstand. Schließlich setzte sich die FDP hier durch, die Koalition verständigte sich neben den unstrittigen Themen auf eine Liste von 138 Autobahnvorhaben, bei deren Genehmigung nun unter anderem die Umweltverträglichkeitsprüfung entfällt. Im Sinne der Verkehrswende müsste die Beschleunigung allerdings auch für Radschnellwege und andere bauliche Radwege gelten. Doch was fiel für den Radverkehr ab? Nur der Bau von Radwegen an Bundesstraßen – aber nur dort, weil diese in der Kompetenz des Bundes liegen – soll ebenfalls beschleunigt werden. Tusch!

Standen dem Radverkehr im Jahr 2022 noch 750 Millionen Euro zur Verfügung, so sollen es in diesem Jahr nur noch rund 350 Millionen Euro sein.

Reform des Straßenverkehrsgesetzes

Eine zeitgemäße Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) stand bereits im Koalitionsvertrag. Bisher zielt das Gesetz allein auf die Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs. Klima- und Umweltschutz oder städtebauliche Aspekte spielen keine Rolle. Die Integration dieser Themen ins Gesetz würde den Kommunen mehr Gestaltungsraum vor Ort geben – eigentlich ein klassisches FDP-Anliegen, dass Dinge von denen entschieden werden, die demokratisch legitimiert und unmittelbar betroffen sind: Stichwort Subsidiaritätsprinzip. Nachdem es 2023 endlich einen Regierungsentwurf gab, der von der Fahrradbranche immerhin als „Schritt in die richtige Richtung“ bewertet wurde, scheiterte dieser überraschend im Bundesrat. Also keine Reform, stattdessen gilt das alte Gesetz weiter.

Bis zur Fahrradidylle ist es noch ein weiter Weg. Die Branche und ihre Verbündeten werden kämpfen müssen, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen.

Haushaltsentwicklung

Die Fahrradwirtschaft ist in erheblichem Umfang von der Haushaltskrise des Bundes nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts betroffen. Zunächst wurde im Herbst 2023 durch die Haushaltssperre die gewerbliche E-Lastenrad-Förderung gestoppt, was viele Hersteller von Cargobikes vor massive Probleme stellt. Auch die Bike+Ride-Offensive wurde blockiert. Schließlich beschloss der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 18.01.24 Kürzungen in Höhe von 44,6 Mio. Euro bei dem so wichtigen kommunalen Radverkehrs-Infrastrukturprogramm „Stadt und Land“. Fast komplett gestrichen wurde das „Fahrradparken an Bahnhöfen“. Weitere Kürzungen gibt es bei Finanzhilfen zur Unterstützung des Radverkehrs in Ländern und Kommunen und bei der Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans. Die Kritik der Fahrradverbände ist deutlich, zumal beim Haushalt 2024 die Mittel für den Autobahnausbau verschont blieben und zugleich die Mittel für Regionalflughäfen erhöht wurden. Der ZIV spricht in einer Stellungnahme von einem „Schreddern beim Radverkehr und der Verkehrswende“ durch die Ampel-Parteien. Standen dem Radverkehr im Jahr 2022 noch 750 Mio. Euro zur Verfügung, so sollen es in diesem Jahr nur noch rund 350 Mio. Euro sein. Dabei hatte die Verkehrsministerkonferenz der Länder 2023 unterstrichen, dass Deutschland eine Bundesförderung für den Radverkehr von rund 1 Mrd. Euro pro Jahr benötigt, um zum „Fahrradland“ zu werden.
Die EU hat ihren Mitgliedsländern im April als Beitrag zum Klimaschutz erstmals die Möglichkeit gegeben, Fahrräder statt mit dem Standard-Umsatzsteuersatz nur noch mit dem ermäßigten Satz zu belegen. Zum Vergleich: Bus, Bahn und sogar Taxi werden nur mit 7 Prozent MwSt. belegt, das Ausleihen oder der Kauf von Fahrrädern mit 19 Prozent. Die Verbände der Fahrradwirtschaft hatten sich für eine Umsatzsteuersenkung stark gemacht, doch das Finanzministerium entschied anders. Staatssekretär Michael Kellner begründete die Absage auf dem Vivavelo-Kongress im September unter anderem mit einer sehr gut florierenden Fahrradwirtschaft.

Fahrradbeauftragte des BMDV weg

Seit dem 1. Oktober 2023 hat das BMDV keine Radverkehrsbeauftragte mehr. Karola Lambeck wurde auf eine andere Stelle befördert, seitdem ist die Funktion unbesetzt. Frau Lambeck hatte das Amt seit 2018 bekleidet und war auch in der Fahrradbranche durchaus geschätzt. Nun sind personelle Wechsel innerhalb eines Ministeriums nichts Ungewöhnliches. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Position bisher nicht neu besetzt wurde und dass es keine Information darüber gibt, wann beziehungsweise ob es einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin geben wird oder ob das BMDV diese Funktion künftig für entbehrlich hält. Für Letzteres gäbe es angesichts eines personell und strukturell inzwischen deutlich gestärkten Radverkehrsreferats im BMDV sachlich durchaus Argumente. Doch offiziell gibt es keine Erklärungen.Was sagen die
Fahrradverbände?
Mit der radverkehrspolitischen Bilanz der Ampel-Regierung ist in der Fahrradwirtschaft kaum jemand zufrieden. Im Gegenteil: Burkhard Stork, Geschäftsführer des ZIV, kritisiert, dass die Bundesregierung die Orientierung in der Verkehrspolitik verloren habe und appelliert, die Verkehrswende nicht bis zur Bundestagswahl 2025 zu verschleppen: „Wir erwarten, dass schnellstmöglich der Vermittlungsausschuss angerufen wird, um die StVG-Reform zum Abschluss zu bringen.“ Auch der Verband Zukunft Fahrrad sowie der ADFC sind von der bisherigen Regierungsarbeit im Hinblick auf die Verkehrswende enttäuscht und appellieren gemeinsam mit anderen Verbänden der Mobilitätsbranche an die Koalition, „in der verbleibenden Amtszeit ihre Verkehrspolitik stärker an ökologischen und sozialen Kriterien auszurichten“. Hinter den Kulissen fallen die Worte deutlich drastischer aus, aber richtigerweise will man mit der Regierung im Gespräch bleiben. Ein zugespitztes Ampel-Bashing würde zwar gerade gut in den Zeitgeist passen, wäre aber letztlich eher kontraproduktiv. Da ist es klug, sich mit scharfen öffentlichen Statements etwas zurückzuhalten.

Volker Wissing – wes Geistes Kind?

Bundesminister prägen als Person maßgeblich ihr Ressort, und das gilt auch für Volker Wissing und den Verkehrsbereich. Nach gut zwei Jahren zeichnet sich ein klares Bild ab: Sein abgewählter Amtsvorgänger Andreas Scheuer hatte recht, als er den Koalitionsvertrag der Ampel mit den Worten kommentierte: „Schön, dass die Ampel meine Politik der letzten Jahre fortsetzt.“ Allerdings mit einem Unterschied: In der zweiten Hälfte von Scheuers Amtszeit wurde vieles für den Radverkehr bewegt und es wurden höhere Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Unter Volker Wissing findet das Gegenteil statt.
Gleich nach seiner Nominierung positionierte sich Wissing massiv als Anwalt der Autofahrer. Das hätte noch taktischer Natur sein können, aber der Minister meint es ernst mit der Überzeugung, dass der Kfz-Verkehr die Grundlage unseres Wohlstands ist. Wie seine Vorgänger ist er zuallererst Autominister, vielleicht mit einer Einschränkung: ÖPNV (Ländersache) und die Bahn scheinen ihm wichtiger zu sein, Stichwort Deutschlandticket. Aber das Fahrrad?
Die Fahrradbranche sah es als positives Signal, dass Volker Wissing höchstpersönlich am 7. April 2022 zum Parlamentarischen Abend während des Vivavelo-Kongresses kam und enthusiastische Worte über das Fahrrad sagte. Aber das war‘s dann auch mit dem Ministerengagement. Zur Eurobike nach Frankfurt kam nur noch sein Staatssekretär. In seiner eigenen, 13-seitigen „Halbzeitbilanz“ nennt das Ministerium den Radverkehr ganz am Ende auf elf Zeilen und zählt als Erfolge die Verstetigung des Förderprogramms „Stadt und Land“ auf, das Erscheinen einer Broschüre mit ergänzenden Fortbildungskursen sowie die Zertifizierung des BMDV als „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“ in Gold. Das war‘s.
Die grundlegende Desillusionierung über Volker Wissing begann aber durch seinen respektlosen Umgang mit dem Bundesklimaschutzgesetz. Nachdem 2022 erstmals festgestellt wurde, dass der Verkehrsbereich die Sektorziele gerissen hat, musste das BMDV ein Sofortprogramm erstellen. Der Expertenrat der Bundesregierung hat dies als inhaltlich unzureichend bezeichnet, was Volker Wissing aber nicht weiter störte. 2023 wurde erneut amtlich das Verfehlen der gesetzlichen Ziele festgestellt. Diesmal verweigerte das BMDV sogar ein Sofortprogramm mit dem Argument, man wolle das Klimaschutzgesetz ohnehin ändern, was aber bis heute (Stand Januar 24) nicht rechtswirksam geschehen ist. Ende November 2023 verurteilte das OLG Brandenburg die Bundesregierung dazu, Paragraf 8 des KSG einzuhalten und Sofortprogramme aufzulegen. Die Bundesregierung legte Revision ein, um weiter Zeit zu gewinnen. Ein derartiger Umgang mit dem wichtigen Gut der Zukunftssicherung durch den Klimaschutz und vor allem auch mit unserem Rechtssystem erschüttert ganz grundsätzlich das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die politische Moral der Regierung. Ein schwerwiegender Vorgang, den Volker Wissing, selbst Rechtsanwalt und Angehöriger einer Partei, die sich die Rechtsstaatlichkeit besonders auf die Fahne geschrieben hat, mitzuverantworten hat. Gleichwohl liegt hier auch eine Verantwortung beim Bundeskanzler und dem gesamten Kabinett.
Wes Geistes Kind Volker Wissing ist, zeigte sich auch beim Gerangel um die Reform des auch für den Radverkehr so wichtigen Straßenverkehrsgesetzes (SVG), das die Verkehrswende ein Stück weit hätte erleichtern können. Zunächst verzögerte das BMDV das Angehen des Themas, dann gab es um jede Formulierung zähe Verhandlungen innerhalb der Ampel-Parteien und schließlich, nach dem Scheitern des Gesetzes im Bundesrat, verzichtete der Minister auf die umgehende Anrufung des Vermittlungsausschusses, um doch noch zu einer Einigung zu gelangen. Es wirkt so, als wäre es kein allzu großer Schmerz für Volker Wissing, wenn nun wieder alles beim Alten bliebe.

Albert Herresthal


Bilder: stock.adobe.com – Kirill Gorlov, stock.adobe.com – A. Rochau, stock.adobe.com – Kara

Lastenräder erfordern von ihren Fahrerinnen eine andere Routenwahl als ein wendiges Stadtrad oder ein sportliches Mountainbike. Im Projekt I-Route-Cargobike wurde gewerblichen Lastenrad-Nutzerinnen deshalb genau auf die Finger geschaut. Im Veloplan-Interview erklären Michael Heß (Seven Principles Mobility GmbH) und Johannes Gruber (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) das Forschungsprojekt und die Vision dahinter. Passend navigiert zu werden, könnte immer wichtiger werden, wenn in Zukunft neben Kurier-Profis auch Anfänger*innen vermehrt mit dem Lastenrad unterwegs sind. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Michael Heß (oben) und Johannes Gruber (unten) bringen Cargobike-Expertise aus der Praxis und der Forschung zusammen.

Wie ist das Projekt I-Route-Cargobike entstanden und was genau wollten Sie damit herausfinden?
Johannes Gruber: Alle Arten von Betrieben – vom großen Logistiker bis hin zum Handwerksbetrieb – nutzen Lastenräder, und auch die technologische Entwicklung von Lastenrädern ist extrem dynamisch. Vor diesem Hintergrund haben wir gesehen, dass es noch nicht wirklich Support-Tools gibt, wenn jemand auf das Cargobike umsteigen möchte, der noch nicht bereits jahrelang als Kurierfahrer tätig war. Etwa beim Thema Navigation und Routing: Wir sind davon ausgegangen, dass gewerbliche Cargobike-Fahrende andere Vorlieben und Rahmenbedingungen für die Routenwahl haben als normale Fahrradfahrende.
In der Zusammenarbeit haben wir uns ideal ergänzt, da die Seven Principles Mobility GmbH aus der Praxis kommt und eine datengetriebene IT-Lösung beitragen will. Wir bringen die Vorerfahrung mit Cargobike-Nutzern ein. Aus bestehenden Datengrundlagen haben wir ermittelt, wie sich diese Präferenzen für verschiedene Routencharakteristiken von Lastenradfahrern unterscheiden und bieten damit eine Grundlage, wie sich Strazoon Cargobike, das Produkt von 7P Mobility, weiterentwickeln lässt.

In Ihrem Projekt stützen Sie sich auf den Datensatz eines großen DLR-Projekts. Wie bewerten Sie diese Arbeitsgrundlage?
Gruber: Wir haben ein sehr großes Daten-Set gehabt aus dem früheren Projekt „Ich entlaste Städte“, für das wir insgesamt 750 Unternehmen und Betriebe deutschlandweit begleitet haben. Dabei haben wir im Projekt den Unternehmen und Betrieben Lastenräder zur Verfügung gestellt. Über GPS-Tracking und appbasierte Befragungen haben wir einen einzigartigen Datensatz aufgebaut, was reale Fahrten von Neuanfängern im Lastenradgeschäft betrifft. Das waren Unternehmen jeder Couleur, Lieferdienste, Handwerker, öffentliche Einrichtungen, Werksverkehre, Agenturen oder Gebäudedienstleistungen – alles, wo hin und wieder solche Güter zur Aufrechterhaltung von Betrieben transportiert werden müssen, die in ein Cargobike passen. Das war die Grundlage. Die gefahrenen Routen haben wir ergänzt um Kontextfaktoren, zum Beispiel, ob ein Radweg genutzt wurde, der Weg durch Grünflächen ging, wie hoch die Knotendichte ist oder ob das Haupt- oder Nebenstraßennetz genutzt wurde.
Michael Heß: Was in der Datenqualität etwas schwieriger war, sind die Open-Street-Map-Daten. Die sind grundsätzlich sehr gut, aber als wir erstmals ein spezielles Cargobike-Routing entwickeln wollten, sind wir auf verschiedene Probleme gestoßen. Zum Beispiel heißen Datenelemente in unterschiedlichen Regionen oder Ländern anders. Verschiedene Communitys pflegen das in Open Street Map unterschiedlich ein. Da wäre es natürlich super, wenn noch mehr und weltweit einheitliche Daten verfügbar wären, mit denen man eine Route noch besser berechnen kann. So etwas wie Poller und Drängelgitter zum Beispiel. Solche Barrieren würden wir den Lastenradfahrenden auf ihrer Route gerne ersparen. Da ist noch Potenzial in den Datengrundlagen vorhanden.

Profikuriere in Zürich wurden mit Kameras ausgestattet, um die von ihnen gewählten Routen später detailliert verstehen zu können.

Zusätzlich zu den Fahrten aus „Ich entlaste Städte“ haben Sie auch qualitative Daten erhoben, unter anderem in Zürich. Spielt das Land, in dem die Nutzer*innen unterwegs sind, kaum eine Rolle? Oder sind die Schweiz und Deutschland in dieser Hinsicht besonders gut vergleichbar?
Gruber: Hinter den Datenerhebungen stecken zwei unterschiedliche Ansätze. Wir haben für die Analyse der quantitativen Daten real gefahrenen Routen alternative Routen gegenübergestellt. Diese basierten auf einem Vorschlag von 7P Mobility, der ein normales Fahrrad-Routing mit speziellen Logiken erweiterte, um zum Beispiel Treppen oder steile Anstiege zu vermeiden. Auf dieser Basis haben wir versucht herauszufinden, welche Einflussfaktoren bei der Routenwahl wirken. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass ein hoher Grünflächenanteil sehr wertgeschätzt und dass das Nebenstraßennetz tendenziell bevorzugt wird von Cargobike-Fahrenden. Eine größere Abweichung vom normalen Radverkehr war, dass Fahrradinfrastruktur nicht per se genutzt wird, sondern nur dann eine Rolle spielt, wenn es sich um die schlanken einspurigen Lastenräder handelt. Wir konnten in den Daten also nachweisen, dass dreirädrige und größere Lastenräder zumindest durch die aktuell vorhandene Fahrradinfrastruktur keinen Vorteil haben.
Beim qualitativen Zugang spielen der individuelle Hintergrund des Fahrenden und der räumliche Kontext eine stärkere Rolle. Wir haben mit Berliner Profi-Logistikern gesprochen und die Daten verglichen. Noch detaillierter sind wir mit Züricher Lastenradkurieren vorgegangen, die wir drei Tage begleitet haben. So individuell, wie die Fahrradwege manchmal beschaffen sind, Kreuzungen besonders sind oder es sogar leichte Unterschiede zwischen den Regulierungen verschiedener Länder gibt, so hilfreich ist es doch, durch ganz konkrete Beobachtungen von einzelnen Situationen abzuleiten, wo wir gute Nutzungsentscheidungen treffen und diese vielleicht sogar generalisieren können. Wo ist es für Anfänger nützlich, wenn das Wissen von Profis in so eine Software-Lösung einfließt? Und wo sehen wir aber, dass es ganz individuelle, situative Entscheidungen gibt, die nicht generalisiert abgebildet werden können?
Heß: Die Bedeutung lokaler Besonderheiten fand ich bemerkenswert. Der Profi-Logistiker aus Berlin sagte zum Beispiel „Durch den Tiergarten fahre ich nicht! Da laufen lauter Touristen und Jogger rum“. Solche spezifischen Details kennt man halt nur, wenn man schon vor Ort war und sich durch einen Touristenstrom gekämpft hat.

„Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind.“

Johannes Gruber, DLR

Gibt es sonst noch Verhaltensweisen der Lastenradprofis, die Sie überrascht haben?
Gruber: Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind. Gerade wenn wir an Handwerker denken, die drei bis vier Kundentermine haben und bei denen das Geld woanders erwirtschaftet wird. Da kann man in so einer App später sagen: „Ich nehme lieber den komfortablen Weg oder den Weg durch den Park und bin daher bereit, auch 10, 20 oder 30 Prozent längere Wege in Kauf zu nehmen.“

Da sind wir dann beim Punkt Stadtgrün, der auf vielen Routen präferiert wurde. Was steckt denn hinter einer anderen Präferenz, den Strecken mit vielen Knotenpunkten? Warum sind die für die Nutzer*innen attraktiv?
Gruber: Ein klassisches Erklärungsmuster ist, dass viele Knoten, also eine hohe Konnektivität, eine möglichst direkte, individuell passende Route ermöglichen. Das würde ich in dem Fall auch mit der großen Präferenz für Nebenstraßen zusammenbetrachten. Dieses Netz hat mehr Kreuzungen, die sind aber leichter einsehbar, ohne Ampeln und können einfacher passiert werden. Die hohe Knotendichte ist da also nicht schädlich. Große Kreuzungen gilt es zu vermeiden, da es dort viel Passantenaufkommen und viele Busspuren und Tramlinien mit gefährlichen Bodenbeschaffenheiten gibt. Die sind deutlich schädlicher.

War Strazoon Cargobike, das Tool, mit dem Sie die Vergleichsrouten entwickelt haben, von Anfang an eine Anwendung spezifisch fürs Cargobike? Mit welcher Navigationslogik sind Sie in das Projekt gestartet?
Heß: Wir waren auf der Suche nach innovativen Lösungen für die letzte Meile und hatten damit schon vor dem Forschungsprojekt begonnen. In Strazoon Cargobike haben wir uns drauf konzentriert, primär die alltäglichen Prozesse der Kuriere abzubilden, also Track & Trace, Nachweis der Übergabe oder auch Handling im Mikrodepot. Wir haben gelernt, dass die Prozesse der Radlogistiker aktuell zu heterogen sind, als dass wir sie alle abbilden könnten. Die machen alle tolle Sachen, aber leider alle ein bisschen anders. Die einen holen Korken beim Restaurant ab und bringen sie zum Wertstoffhof, die anderen haben Container mit Mini-Depots in der Stadt verteilt und vieles mehr.
Auch eine erste Version der Touren- und Routenplanung war bereits in Strazoon Cargobike enthalten. Aufgebaut haben wir die auf einer Open-Source-Lösung, dem Open-Route-Service. Der hatte bereits ein Routing-Profil „E-Bike“. Da war zum Beispiel schon hinterlegt, dass Treppenstufen komplett zu vermeiden sind. Das war unser Startpunkt, weil es den Routing-Bedürfnissen eines Cargobikes nahekommt.

Was haben Sie nach dem Projekt nun mit der Anwendung Strazoon Cargobike für eine Vision?
Heß: Für mich persönlich ist das ein bisschen frustrierend. Die Idee, Logistiker mit unserer Lösung glücklich zu machen, funktioniert derzeit wegen der zu geringen Volumina und Heterogenität leider nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. Das ist für mich zwar sehr schade, aber dann ist das halt so. Wir sehen zwar noch weitere Kundengruppen – die eine oder andere Supermarktkette liefert zum Beispiel per Lastenrad aus –, die haben aber meist schon Track-and-Trace-Lösungen und Apps für ihre Fahrer. Für uns ist daher klar, dass wir uns noch mehr fokussieren und auf einen Kernteil spezialisieren wollen. Das ist, das Cargobike-Routing als API-Lösung anzubieten. Kunden können ihre Anwendung dann über eine Internetschnittstelle anbinden und unser Routing direkt in ihre eigenen Applikationen integrieren. Dort bekommen wir dann die anzufahrenden Stopps und liefern für Cargobikes optimierte Touren und Routen zurück. Damit lösen wir uns davon, ein sehr heterogenes Kundenumfeld bedienen zu müssen und konzentrieren uns auf den Innovations-Aspekt unserer Lösung.

Inwiefern ist diese Innovation auch für private Nutzer*innen von Lastenrädern interessant?
Heß: Wir haben den Versuch gewagt und eine App gebaut, die nur Zielführung und Navigation bietet. Im Prinzip eine Zweitverwertung des Routings. Die App ist auch schon im Play-Store zu finden. Wir haben aber nicht geglaubt, dass man damit die Menschen besonders glücklich machen kann, da man als Privatnutzer sehr häufig dieselben Routen fährt, so die Annahme. Man fährt da, wo man sich gut auskennt, und braucht die Routing-Unterstützung eher selten. Wir wollten es trotzdem ausprobieren.
Was wir noch auf dem Zettel haben, aber noch nicht als Feature eingebaut haben, ist eine unfallfreie Route. Man kann sich zum Beispiel anschauen, wo Unfallschwerpunkte sind und diese meiden, um sicherer durch die Stadt zu kommen. Das wäre ein Feature, das vielleicht auch für private Kunden einen Mehrwert bietet.
Gruber: Die Erkenntnisse, die wir herausgezogen haben – wie zum Beispiel die Wichtigkeit eines guten Nebenstraßennetzes oder die Radwegebreite – sind natürlich Aussagen, die auch für die Planung von Relevanz sein können. Dass man das Fahrradnetz nicht nur an Hauptstraßen denkt, sondern zum Beispiel durch Fahrradstraßen auch Möglichkeiten schafft in den Nebenstraßen. Ich denke, dass Privatleute das eher bevorzugen würden und tendenziell große Knoten und Ansammlungen eher meiden. Wenn man sich die stark wachsenden Lastenradverkaufsanteile ansieht, verbunden mit Substitutionsquoten, die manche Kommunen und Unternehmen rausgeben, dann können über den Aspekt der Planung auch Privatleute profitieren.

„Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.“

Michael Heß, 7P Mobility

Was hoffen Sie, wie sich das Thema Lastenradnavigation in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird, und welche Projekte und Forschung sind zu diesem Thema noch nötig?
Gruber: Ich denke, wir haben einige Ansatzpunkte, an denen es Optionen gibt, weiterzumachen. So könnte man vielleicht die situativen Aspekte wie den aktuellen Verkehrsfluss berücksichtigen oder unterschiedliche Stadttypen und Nutzungsarten unterscheiden.
Heß: Wir versuchen, einen Teil dessen, was ich mir auch persönlich wünsche, umzusetzen: nämlich, dass wir das, was wir jetzt erarbeitet haben, Open Source bereitstellen. Damit können auch andere zum Thema beitragen. Denn die Entwicklung einer Navigation, die an einen Radkurierprofi heranreicht, ist sehr herausfordernd. Mein Erlebnis war bisher auch immer, dass die Profis das ein wenig abtun und sagen „euer Algorithmus kann nicht so gut sein wie ich, wenn ich hier unterwegs bin“ – was ja ehrlicherweise auch stimmt. Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind aber nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.
Gruber: Wahrscheinlich müsste man direkt beim Absatz, also bei Händlern oder Herstellern anfangen. Man kann sich überall sein Smartphone auf den Lenker schnallen. Jedes Auto hat ein Touchdisplay, braucht es das nicht auch noch stärker? Wo ich auswählen kann, wo ich hinwill und ob der Weg schnell, sicher, bequem oder landschaftlich reizvoll sein soll. Das könnte ein Hebel sein für nachhaltige Fahrradlogistik, aber eben auch für Routing-Lösungen.


Bilder: DLR – Amac Garbe, 7 Principles, DLR, Johannes Gruber

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Natenom ist verstummt

Andreas Mandalka hat zu Lebzeiten vermieden, dass Bilder von ihm öffentlich gemacht werden. Der kleine Stoffelefant Kagube war sein Begleiter bei Fahrradtouren und sein Alter Ego im Internet.

Andreas Mandalka, als Fahrradaktivist und Blogger unter dem Pseudonym Natenom bekannt, ist am Abend des 30. Januars bei einem Verkehrsunfall auf dem Fahrrad ums Leben gekommen. Der Unfallhergang war zum Redaktionsschluss noch Gegenstand polizeilicher Ermittlungen, gesichert ist wohl bereits, dass Mandalka von hinten bei Dunkelheit auf einer Landstraße von einem 77-jährigen Autofahrer angefahren wurde. Er verstarb noch am Unfallort.
Die Landstraße, auf der sich der tödliche Unfall unweit seines Wohnortes Neuhausen im Nordschwarzwald ereignete, war regelmäßig Gegenstand von Mandalkas Blog-Beiträgen. Die Situation dort ist exemplarisch für ein zentrales Anliegen des Radaktivisten gewesen. Teilweise verläuft neben der Landstraße ein Radweg, der jedoch aufgrund seines schlechten Zustands nicht mehr benutzungspflichtig ist. Um dem holprigen Belag und Schlaglöchern dort auszuweichen, nutzte Mandalka regelmäßig die Straße.
Bundesweite Bekanntheit erlangte Mandalka unter anderem als Radfahrer mit einer Poolnudel als Abstandhalter auf dem Gepäckträger. In seinem Blog ist nachzulesen, wie er 2019 von der Polizei auf einer Landstraße gestoppt und ihm die Weiterfahrt mit Abstandhalter untersagt wurde. Begründung: Der 1,50 Meter breite Abstandhalter verhindere, dass der Radfahrer auf der Landstraße überholt werden könne.
Als Radaktivist dokumentierte Natenom mit Videoaufnahmen und Open-Bike-Sensor, wenn er von Autofahrenden nicht mit dem vorgeschriebenen Mindestabstand überholt wurde. Besonders gefährliche Überholmanöver brachte er bei der Polizei zur Anzeige, die diese aber offenbar nur widerwillig aufnahm. Sein Blog ist eine Dokumentation, mit welchen hanebüchenen Argumenten Staatsanwaltschaft und Polizei ihre Ermittlungsverfahren bei offenkundiger Gefährdung eines Radfahrenden einstellen. So sei beispielsweise das Überholen eines Pkws mit Dauerhupe lediglich als akustische Ankündigung des Überholvorgangs von der Polizei abgetan worden. An anderer Stelle zitiert Natenom aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft, die ihm angesichts seiner häufigen Anzeigen einen „gewissen Belastungseifer“ unterstellt habe. Bei einer Gedenkveranstaltung für den im Straßenverkehr getöteten Andreas Mandalka sagte einer seiner Mitstreiter: „Er hat für sein Recht die Hilfe der Polizei eingefordert, diese Hilfe aber nur selten erhalten.“
Die Nachricht von Mandalkas Tod hat viele Menschen erschüttert, auch weit über sein persönliches Umfeld hinaus. Menschen, die ihn gut kannten, beschreiben Andreas Mandalka als „engagierte und akribische“ Persönlichkeit. Mandalka sagte einmal, er sei kein Ideologe gegen das Auto, sondern setze sich für eine Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer ein. Als die „Zeit“ vor fünf Jahren mit Mandalka ein Interview führte, sagte er, „einige Autofahrer meinen, die Straße sei nur für Autos da. Die erwarten von Radfahrern, dass sie mitten durch den Wald fahren“. Mit dieser Ungerechtigkeit wollte sich Mandalka nicht abfinden. Seine konsequente und geradlinige Einstellung war den Behörden wohl vor allem unbequem, in seinem dörflichen Lebensumfeld ist dem Aktivisten durchaus auch Hass entgegengeschlagen. Dieser äußerte sich nicht nur zu seinen Lebzeiten durch vorsätzliche Gefährdungen im Straßenverkehr und gezielte Gewaltaufrufe in sozialen Medien, auch wurde eine Gedenkstätte für Mandalka an der Unfallstelle bereits einen Tag nach deren Einweihung von Unbekannten mutwillig zerstört.
Im zuvor genannten „Zeit“-Interview sagte Mandalka auch: „Es braucht sichere Infrastruktur, am besten geschützte Radwege, die von der Straße abgetrennt sind. Weil dieser Umbau dauert, ist es wichtig, dass die Polizei Fälle wie meine ernst nimmt und Abstandskontrollen durchführt. Sie sollte Kampagnen organisieren, bei denen sie Autofahrer aufklärt, wie viel Abstand sie halten müssen.“ Wäre dieser Appel gehört worden, könnte Andreas Mandalka noch leben.


(mf)


Fahrradverband sorgt sich um Image von Lastenrädern

In Zusammenhang mit der Berichterstattung in der Tagespresse zum Verkaufsstopp von Lastenfahrrädern des niederländischen Herstellers Babboe befürchtet der Verband Zukunft Fahrrad offenbar, dass das Image für diese boomende Fahrradgattung insgesamt Schaden erleiden könnte. Ein Pressestatement soll hier entgegenwirken.

Der von der niederländischen Behörde für die Lebensmittel- und Verbrauchsgütersicherheit NVWA im Februar angeordnete Verkaufsstopp für Lastenfahrräder der Marke Babboe hat rasch auch Wellen in der Tagespresse geschlagen. Jüngster Stand bei Redaktionsschluss ist, dass Babboe über die Website – auch auf der deutschsprachigen – über den Verkaufsstopp informiert und Besitzer von betroffenen Babboe-Lastenfahrrädern direkt angeschrieben hat, dass diese ihr Fahrrad vorläufig nicht mehr nutzen sollen. Gemeinsam mit der NVWA wurde eine Rückrufaktion der betroffenen Babboe-Modelle angekündigt.
Beim Branchenverband Zukunft Fahrrad beobachtet man diese Schlagzeilen offenbar mit Sorge und stellt dabei jedoch fest: „Klar ist: Produktsicherheit ist für die Verkehrssicherheit essenziell. Rückrufe von Produkten kommen deswegen in allen Branchen vor. Gerade erst musste VW weltweit über 47.000 Modelle verschiedener Baureihen wegen Brandgefahr zurückrufen.“ Zudem gebe es keine Hinweise auf ein erhöhtes Unfallgeschehen mit Lastenrädern in Deutschland.
Arne Behrensen, Lastenrad-Experte bei Zukunft Fahrrad ergänzt dazu: „Außerdem fahren Eltern mit Kindern an Bord eher defensiv. Beides senkt die Unfallgefahr. Würden mehr Menschen und Unternehmen ihre Transporte mit dem Lastenrad statt dem Auto erledigen, wäre der Straßenverkehr für alle sicherer und ruhiger.“ Gleichzeitig ruft er Konsumentinnen und Konsumenten in dem Presse-statement auf, auf Sicherheitsstandards der Branche zu achten und sich im Fachhandel beraten zu lassen.


(jw)


E-Lastenrad-Verleiher Sigo startet in die neue Saison

Nach der Übernahme durch einen Investor im vergangenen Herbst startet E-Lastenrad-Verleiher Sigo unter neuer Firmung und neuer Geschäftsführung in die neue Saison. Zudem grüßt das Unternehmen neu als Mitglied von Zukunft Fahrrad.

Schon kurz nach der letztjährigen Insolvenzanmeldung im Juni standen die Zukunftsaussichten für den E-Lastenrad-Verleiher sehr gut. Das Unternehmen war auf Wachstumskurs, stolperte aber über die erheblichen Zinserhöhungen am Kapitalmarkt im vergangenen Jahr und eine gescheiterte Finanzierungsrunde.
Das Insolvenzverfahren gehört jedoch längst der Vergangenheit an. Eine Investorenlösung wurde bereits im vergangenen Jahr erzielt. Die Sigo Green GmbH wurde neu gegründet und der Geschäftsbetrieb übertragen, alle Arbeitsplätze blieben erhalten.
Neuer Gesellschafter ist Felix von Borck mit seinem Investmentunternehmen Fanta4. Felix von Borck ist ein bekannter Unternehmer und Gründer des Batteriespezialisten Akasol AG. Wie die mit der Restrukturierung beauftragte Rechtsanwaltskanzlei Pluta bei der Verkündung der Übernahme im vergangenen Jahr erklärte, verfüge der Investor über große Erfahrung in den Bereichen Elektromobilität, Unternehmensgründung und -entwicklung. Mit seinem Know-how und einer neuen Geschäftsführung soll die neue Sigo Green zum geplanten Wachstum und einem gewinnbringenden Betrieb geführt werden. Der Investor sieht großes Potenzial für das Start-up. „Ab sofort sitzt die Sigo Green fester im Sattel denn je“, so Felix von Borck.
Die Sigo Green GmbH mit Sitz in Darmstadt ist mit den induktiven Ladestationen einer der ersten Anbieter eines vollautomatischen E-Lastenrad-Systems in Deutschland. Als neuer Geschäftsführer grüßt nach der Übernahme durch Fanta4 Kai von Borck. Auch unter neuer Führung bleiben das Sigo-Logo und die Mission erhalten, E‑Lastenräder und E‑Bikes als Sharing-Dienstleistung zu den Menschen zu bringen und damit einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende zu leisten. Aktuell ist Sigo Green an über 150 Standorten in 34 Städten präsent. Seit Kurzem unterstützt das Unternehmen wie berichtet auch die politische Arbeit als Mitglied des Branchenverbands Zukunft Fahrrad.

(jw)


Bundesregierung will Blinker erlauben

Fahrtrichtungsanzeiger sind derzeit nur bei mehrspurigen Fahrrädern und Fahrzeugen mit einem Aufbau zulässig. Künftig, so geht aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hervor, soll sich das ändern.

Geplant werden die Regelungen im Rahmen der Neufassung der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO). Wann genau der Bundesrat sich mit der Neufassung beschäftigen wird und Blinker für alle erlaubt sein werden, lässt sich jedoch noch nicht genau prognostizieren.
Begrüßt wird das Vorhaben unter anderem vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), der die Änderung im Rahmen einer Verbändeanhörung im Sommer vergangenen Jahres eingebracht hat. Manfred Wirsch, Präsident des DVR, ordnet ein: „Es ist Zeit, dass in der StVZO die Möglichkeit geschaffen wird, die Sichtbarkeit von Fahrradfahrenden mit Blinkern – oder Fahrtrichtungsanzeigern – zu verbessern. Denn Blinker können einen Beitrag für mehr Verkehrssicherheit und weniger Verletzte im Straßenverkehr leisten. Abbiegevorgänge werden sicherer, weil beide Hände am Lenker bleiben, und insbesondere nachts ist die Abbiegeintention für andere Verkehrsteilnehmende besser sichtbar. Zusammenstöße mit linksabbiegenden Fahrradfahrenden ziehen oft schwerwiegende Verletzungen nach sich und könnten so reduziert werden. Ein Blick zurück zeigt, dass Blinker sich an motorisierten Zweirädern und auch an Elektrokleinstfahrzeugen bewährt haben und u. a. für mehrspurige Fahrräder und Fahrradanhänger bereits zugelassen sind.“
Roland Huhn, Rechtsexperte des ADFC, erklärt, weshalb sich auch der Verband schon länger für eine freiwillige Nutzung von Blinkern an Fahrrädern und Pedelecs einsetzt: „Fahrtrichtungsanzeiger sind vor allem bei Dunkelheit besser erkennbar als das Handzeichen und bleiben auch tagsüber während des gesamten Abbiegevorgangs wirksam, bei dem oft beide Hände zum Betätigen der Bremsen benötigt werden.“
Skepsis kommt unter anderem von Stefan Gelbhaar, dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. „Blinker an normalen Straßenrädern werden die Verkehrssicherheit nicht erhöhen“, äußerte er gegenüber der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Da normale Straßenräder sehr schmal sind, seien die Blinker kaum wahrnehmbar. Sinnvoller wäre es, den Weg für gute Radverkehrsinfrastrukturen und angemessene Geschwindigkeiten zu bereiten.

(sg)


Politische Leitung neu besetzt

Der ADFC hat seit Mitte Februar eine neue politische Bundesgeschäftsführerin. Die Führung des weltweit größten Interessenverbandes ist damit wieder komplett.

Dr. Carolin Lodemann übernimmt die Position, die Ann-Kathrin Schneider im vergangenen Juni abgelegt hatte. Sie ist damit beim Bundesverband künftig zuständig für die Bereiche Politik, Kommunikation und Verband. Die Bundesgeschäftsführung teilt sie sich mit Maren Mattner, die für Tourismus und Dienstleistungen sowie den kaufmännischen Bereich verantwortlich ist.
Die neue Geschäftsführerin hat sich zum Ziel gesetzt, die Präsenz des ADFC weiter zu steigern. Dr. Caroline Lodemann sagt: „Mich motiviert das ganzheitlich Gute am Fahrrad. Denn das Fahrradfahren fördert ja nicht nur Gesundheit und Wohlbefinden derer, die es selbst praktizieren. Es ist auch gut für jene, die selbst nicht Rad fahren können oder wollen. Denn Radfahren hilft beim Klimaschutz, reduziert Lärm und Abgase und macht unsere Orte lebenswerter. Das Radfahren ist also ein Gewinn für uns alle. Umso mehr müssen Radwege flächendeckend sicher sein – damit es überall selbstverständlich werden kann, mit dem Rad zur Schule, zur Arbeit, zum Einkaufen und zum Sport zu fahren. Dazu möchte ich beitragen und möglichst viele Menschen für das Rad und die Ziele des ADFC gewinnen.“
Bisherige berufliche Stationen der Literaturwissenschaftlerin lagen in Bildungs- und Forschungsorganisationen. Unter anderem war Lodemann langjährige Leiterin des Präsidialstabs und der Kommunikation der Leibniz-Gemeinschaft.
Der ADFC-Bundesvorsitzende Frank Masurat freut sich über den Neuzugang der Geschäftsleitung: „Der ADFC-Bundesvorstand ist sehr glücklich, mit Caroline Lodemann eine ausgemachte Kommunikationsexpertin als Bundesgeschäftsführerin gewonnen zu haben, die viel Managementerfahrung und wissenschaftliche Expertise mitbringt und bestens vertraut ist mit Politikberatung und Interessenvertretung. In der sonst eher männlich geprägten Verkehrspolitik wird die weibliche Doppelspitze beim ADFC wieder einen erfrischenden Kontrapunkt setzen. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, auf kraftvolle politische Kampagnen für die Verkehrswende und viel Sichtbarkeit für einen sympathischen, professionell aufgestellten ADFC.“


(sg)


Schwedischer E-Bike-Hersteller ist insolvent

Der schwedische Mikromobilitätsanbieter Vässla wurde von einem Gericht in Schweden für insolvent erklärt.

Vässla hatte große Pläne als Hersteller von Mobilitätslösungen, insbesondere in Deutschland als Anbieter von E-Bikes. Nachdem das Unternehmen den deutschen Markt zunächst mit einem Fahrzeug, das eine Mischung aus E-Bike und Moped darstellt, in Angriff genommen hatte, präsentierte Vässla im Herbst 2022 ein erstes E-Bike, das aus der Design-Feder des Münchner Studios Zanzotti Industrial Design stammte. Vorausgegangen war eine Finanzierungsrunde, die insgesamt neun Millionen Euro ins Unternehmen pumpte.
Die Zukunft von Vässla ist nun jedoch ungewiss. Wie CEO und Gründer Rickard Bröms via LinkedIn mitteilt, wurde von einem schwedischen Insolvenzgericht eine Verlängerung der Unternehmensumstrukturierung in Eigenregie abgelehnt. Das Unternehmen wird in Folge für insolvent erklärt und ein Insolvenzverwalter übernimmt das Ruder.
Man sei nur wenige Tage davon entfernt gewesen, die notwendigen Mittel für den Ausstieg aus der Restrukturierung zu beschaffen, schreibt Bröms und berichtet gleichzeitig über die geleisteten Erfolge im Rahmen des Umstrukturierungsprozesses. So sei es gelungen, Väss-la von fast 8 Millionen Euro Verlust pro Jahr innerhalb von sechs Monaten in die Gewinnzone zu führen, zudem seien Abschreibungen mit Gläubigern in Höhe von 85 Prozent ausgehandelt und die Betriebskosten deutlich gesenkt worden. Hinzu kam die Erschließung neuer Märkte in Übersee und strategische Schließungen anderer Märkte. In Summe sieht Bröms im Unternehmen Potenzial für eine erfolgreiche Zukunft. Das Unternehmen sei vollständig umstrukturiert und bereit für ein neues Kapitel. Den Treuhänder wolle Bröms beim Übergang von Vässla in die nächste Phase und unter neuer Führung unterstützen.

(jw)


Bochum gewinnt Vorentscheid für Fahrradprofessur

Der Fachkräftemangel ist ein ernst zu nehmendes Problem, wenn es darum geht, Radverkehrsinfrastruktur zu planen und zu bauen. Die Universität Bochum hat sich in einer Vorauswahl durchgesetzt und bekommt künftig eine Fahrradprofessur, die aus Landesmitteln Nordrhein-Westfalens gefördert wird.

Fünf wissenschaftliche Einrichtungen hatten an der Vorauswahl teilgenommen, die nun von einer Jury mit Experten und Expertinnen aus Verwaltung, Planung, Bau und Verbänden entschieden wurde. „Die Hochschule Bochum hat uns mit ihrem praxisorientierten Konzept auf ganzer Linie überzeugt. Die zukünftige Professur setzt auf die Planung und den Bau von Radverkehrsinfrastruktur, ohne dabei den interdisziplinären Ansatz zu vernachlässigen oder relevante Themenfelder wie die Digitalisierung aus dem Blick zu verlieren. Zusammen mit dem ÖPNV ist der Radverkehr das Rückgrat der Mobilität der Zukunft“, gratulierte NRWs Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer. „In Nordrhein-Westfalen sollen Fachkräfte insbesondere für den Landesbetrieb Straßenbau und den kommunalen Bereich auf hohem Niveau ausgebildet werden. Mit einer Professur können wir auch über die akademische Schiene für eine langfristige Ausbaubeschleunigung der Radverkehrsinfrastruktur sorgen.“
Die Hochschule Bochum hatte bis Ende Februar 2024 Zeit, den Förderantrag einzureichen. Die Professur wird durch das Land Nordrhein-Westfalen für die Dauer von zehn Jahren mit bis zu 400.000 Euro jährlich gefördert. Auch die Stadt Bochum habe bereits signalisiert, sich finanziell an einer wissenschaftlichen Mitarbeitendenstelle beteiligen zu wollen, heißt es aus dem Ministerium.
Prof. Dr. Andreas Wytzisk-Arens, Präsident der Hochschule Bochum, erklärt, welche Rolle Radverkehr an der Hochschule spielt. „Die Stärkung einer nachhaltigen Mobilität ist ein zentrales Anliegen der Hochschule Bochum. Daher haben wir schon früh begonnen, das Thema Radverkehr strategisch in Forschung und Lehre zu verankern. Die Hochschule Bochum liefert damit nicht nur wichtige Impulse für die Verkehrswende, sondern setzt auch bei der Ausbildung der für den Ausbau von Radverkehrsinfrastrukturen so dringend benötigten Fachkräfte ein Zeichen. Der Bedarf ist immens. Die erfolgreiche Einwerbung der vom Verkehrsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Fahrradprofessur und die damit verbundene substanzielle Stärkung des Lehr- und Forschungsgebietes ‚Radverkehr‘ sind für die Hochschule daher von enormer strategischer Bedeutung“.


(sg)


Fahrradfahren hat noch viel Potenzial

Die achte Ausgabe des vom Sinus-Institut durchgeführten Fahrradmonitors zeigt, dass das Fahrrad als Verkehrsmittel gefragt ist und die Ausgabebereitschaft in den letzten Jahren nach oben geschnellt ist. Die Studie enthält aber auch Handlungsempfehlungen, die den Radverkehr zum Beispiel durch mehr Sicherheit noch attraktiver machen könnten.

Das Interesse an E-Bikes und Fahrrädern und die Kaufbereitschaft der Menschen in Deutschland sind hoch. 46 Prozent wollen in Zukunft häufiger mit dem Fahrrad oder Pedelec fahren. Ein Viertel hat zudem angegeben, innerhalb des nächsten Jahres ein Fahrrad oder Pedelec erwerben zu wollen. Das zeigen Ergebnisse des Fahrradmonitors. Diese Studienreihe erhebt im Zwei-Jahres-Rhythmus das subjektive Stimmungsbild der Radfahrenden in Deutschland. Seit 2009 liegt nun bereits die achte Ausgabe vor.

Ausgabebereitschaft steigt rasant

Die Summe, die die Menschen für ihr neues Rad zu investieren bereit sind, liegt im Schnitt bei 1424 Euro pro Person. 2019 lag dieser Wert noch bei 1052 Euro, 2019 sogar bei 685. Bei 48 Prozent der Stichprobe sind Fahrräder mit Elektroantrieb besonders begehrt. Sieben Prozent planen, sich ein Lastenrad zu kaufen, und 26 Prozent der Kaufinteressenten und -interessentinnen planen, für den Kauf ein Leasingangebot ihres Arbeitgebers zu nutzen.
Spannende Ergebnisse bietet die Studie auch beim Blick auf die Details. Regelmäßig, also täglich oder mehrmals die Woche, nutzen 39 Prozent der Befragten das Fahrrad. Dieser Wert ist unter den Erwachsenen konstant, hat sich allerdings, auf die verschiedenen Altersgruppen aufgeschlüsselt, angeglichen. Auch die Gruppe der 50- bis 69-Jährigen kommt auf 38 Prozent und schließt damit zu den jüngeren Befragten auf. Kinder hingegen nutzen das Fahrrad häufiger. 47 Prozent der Befragten zwischen 0 und 15 Jahren fahren mehrmals pro Woche Rad. Großes Potenzial besteht beim Pendelverkehr. Unter den Berufstätigen nutzen 22 Prozent das Verkehrsmittel regelmäßig auf dem Weg zur Arbeit.

Verschenktes Potenzial

Radfahrende, die das Rad selten oder nie zum Pendeln nutzen, begründen das am häufigsten damit, dass der Weg zu weit ist oder die Fahrt zu lange dauert. Der Fahrradmonitor 2023 unterstreicht, wie wichtig die Kombination von öffentlichem Verkehr und dem Fahrrad mit Blick auf das Pendeln ist. Im Nah- und Regionalverkehr ist es wichtig, ein Fahrrad gut mitnehmen oder abstellen zu können.
Vergebenes Potenzial hat aber auch einen anderen Hintergrund, wie die Studie hervorhebt. 60 Prozent sind es, die sich beim Radfahren sehr sicher oder meistens sicher fühlen. Unsicherheit erzeugen vor allem rücksichtsloses Verhalten von Autofahrenden und zu viel Verkehr auf den Straßen. In der neuen Studie wurde erstmals auch das Sicherheitsempfinden auf unterschiedlichen Führungen des Radverkehrs abgefragt. 94 Prozent fühlen sich vor allem auf Radwegen sicher, die vom Auto- und Fußverkehr getrennt sind. Das schließt auch Protected Bike
Lanes ein, die zum Beispiel durch Poller oder ähnliche Elemente vom Autoverkehr abgetrennt sind. 83 Prozent bewerten Fahrradstraßen positiv. Unsicher fühlen sich die Radfahrenden vor allem dort, wo die Fahrbahn mit dem Kfz-Verkehr geteilt wird. Bei Tempo 50 fühlen sich in dieser Konstellation nur 13 Prozent, bei Tempo 30 hingegen 21 Prozent sicher. Auf freigegebenen Bus-Sonderfahrstreifen fühlen sich 29 Prozent sicher. Der Fahrradmonitor räumt weiter mit Vorurteilen auf. So lässt sich zwischen Stadt und Land beim Interesse an Lastenrädern kein Unterschied mit den Daten belegen. Auch bei anderen Themen sind die Unterschiede zwischen Stadt und Land geringer als oft vermutet.

Wo die Politik gefragt ist

Andere Unterschiede sind sehr wohl belegbar. Frauen fahren immer noch seltener mit dem Fahrrad als Männer. Bei ihnen liegt die regelmäßige Nutzung mit 36 Prozent sechs Prozentpunkte unter der der Männer. Unverändert sind auch die meistgewünschten Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Seitens der Befragten gibt es klare politische Forderungen. Unter den Top 5 finden sich dort die Forderungen, mehr Radwege zu bauen (56 Prozent), Radfahrende von den Pkw-Fahrenden zu trennen (50 Prozent), mehr Schutz- und Radfahrstreifen einzurichten und sichere Abstellanlagen zu bauen (je 41 Prozent). Auf Platz 5 landet mit 39 Prozent der Wunsch, mehr Fahrradstraßen einzurichten. Obwohl diese Wünsche unverändert sind, wird die Politik auf verschiedenen Ebenen etwas fahrradfreundlicher wahrgenommen als in der letzten Ausgabe des Fahrradmonitors. 62 Prozent bewerten die Kommunalpolitik als fahrradfreundlich, auf Landesebene sind es 58 und auf Bundesebene 52 Prozent.

(sg)

Die Studienreihe Fahrradmonitor wird seit 2009 im Zweijahresrhythmus vom Sinus-Institut durchgeführt. 4003 Bürgerinnen und Bürger zwischen 14 und 69 Jahren wurden von Mitte Mai bis Anfang Juni des vergangenen Jahres zu ihrem Mobilitätsverhalten und ihren Mobilitätspräferenzen mit Radverkehrsfokus befragt. Die Quotenstichprobe repräsentiert die deutsche Wohnbevölkerung nach Geschlecht, Alter, Bildung und Ortsgrößenklassen. Das Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr hat den Fahrradmonitor als Maßnahme zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans gefördert.


Das Fahrrad ist für die Verkehrswende unerlässlich. Und es ist inklusiv: Tatsächlich können auch viele Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten gut fahrradmobil sein. Wir stellen Beispiele und Entwicklungen vor und beleuchten Hintergründe. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Unsicherheit, verlorene Balance-Fähigkeiten oder einfach mehr Komfort-Bedürfnis: Dreiräder sind oft ein Aha-Erlebnis.

Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten und Radfahren: Das ist eine überraschend gut funktionierende Kombi, einfacher, als viele heute noch denken. Grob kann man die technischen Möglichkeiten, die Radfahren zu einem inklusiven Erlebnis machen, zunächst in zwei Kategorien einteilen: Erstens gibt es Fahrräder für zwei Menschen, also verschiedene Arten von Tandems. Hier ist es möglich, dass ein Mensch ohne Einschränkung das Fahrrad steuert und ein Mensch mit Einschränkungen mitfährt. Je nach Fahrradtyp und persönlichen Fähigkeiten ist es dabei möglich, dass beide für den Vortrieb sorgen. Die andere, sehr große Kategorie: Fahrräder mit drei oder vier Rädern, die aufgrund ihrer Bauart durchaus für Menschen mit ganz unterschiedlichen Einschränkungen und Bedürfnissen geeignet sind. Die Bandbreite ist riesig und geht, wie wir noch sehen werden, von Menschen, die einfach einen hohen Komfort- oder Sicherheitsanspruch ans Fahrrad haben, bis hin zu Menschen, die zum Beispiel aufgrund einer Querschnittslähmung ihre Beine nicht mehr bewegen können. Dabei handelt es sich mittlerweile bei diesen Therapie- oder Reha-Rädern meist um Fahrräder mit Motor-Unterstützung bis 25 Stundenkilometer, also Pedelecs. Besser wäre sicher eine allgemeine Bezeichnung wie Sicherheits- und Komforträder, da die Beweggründe, ein Dreirad zu fahren, sehr vielfältig sein können.

„Immer mehr Menschen fahren Fahrrad, und wenn sie das aus irgendwelchen Einschränkungen nicht mehr können oder sich nicht mehr trauen, steigen sie mittlerweile immer mehr aufs Spezialrad um.“

Zusammen unterwegs: Tandems in unterschiedlichsten Variationen sind auch für Menschen mit starken Einschränkungen eine Möglichkeit, zusammen mobil zu sein.

Inklusion on Bike

Das Pino von Hase Bikes ist schon ein moderner Klassiker und das beste Beispiel für die erste Kategorie. Das Rad ist ein sogenanntes Stufentandem. Der Sessel vorne thront über dem kleinen Vorderrad, der Hintermann sitzt aufrecht im Sattel und überblickt seinen Passagier. Er hat Steuer- und Bremshoheit. Der Mensch im Vordersitz kann in seinem eigenen Rhythmus mittreten und erlebt dabei großes Kino – sitzt er doch nicht versteckt hinter einem Rücken wie beim normalen Tandem, sondern im bequemen „Kinosessel“ mit Panoramablick. Dieses Rad gibt es in vielen Variationen und es ist vielfach an spezielle Bedürfnisse anpassbar. Bereits Kinder ab einem Meter Größe können hier mitfahren – und tatsächlich auch mitpedalieren.
„Der Reha-Bereich ist breit“, sagt Dario Valenti, Sprecher des Unternehmens Hase Bikes. „Das geht von Menschen mit Behinderungen bis hin zu solchen, die aus verschiedenen (Alters-)Gründen nicht mehr auf dem Normalrad fahren können oder wollen, aber auf das Radfahren nicht verzichten möchten.“
Wichtig ist immer: Mit Mobilität meint man nicht nur den Sonntagsausflug im Park, sondern auch die Alltagsstrecke. Neben dem Pino für zwei, das zusammengeschoben nur wenig größer als ein Normalrad ist und so auch gut transportiert werden kann, ist Hase Bikes auch Hersteller von Dreirädern mit und ohne Unterstützung, unter anderem von Rädern mit Handantrieb.
Bei Handbikes werden die Pedale durch Handkurbeln ersetzt, an denen wie am normalen Lenker die Brems- und Schaltgriffe montiert sind. Übrigens hat auch hier die elektrische Unterstützung Einzug gehalten, sodass diese Handbikes ohne große Anstrengung gefahren werden können.
Auch vielfältige Anpassungen wie spezielle Kurbeln oder Pedale oder sogar eine Schulterlenkung sind für viele verschiedene Räder von Hase verwendbar. Bei den Dreirädern gilt – nicht nur bei Hase: Die Breite ist mit knapp 80 Zentimetern türentauglich.

Kippsicher für den City-Verkehr

Eine weitere Variante des Dreirads ist in den letzten Jahren immer beliebter geworden: Das Tadpole (englisch für Kaulquappe) mit zwei gelenkten Rädern vorne und einem hinten. Es kommt eigentlich aus dem sportlichen Bereich. Der Liegeradhersteller HP Velotechnik hat mit dem Scorpion eine technische Basis, die er mit vielen Details an die Bedürfnisse des Fahrers oder der Fahrerin anpassen kann. Dieses Rad hat nicht nur in seiner tiefen Grundversion, sondern auch mit höherem Komfortsitz dank breiter Spur gute Kippsicherheit. Aber nicht nur Geometriedetails zählen. „Das Thema Motor ist bei uns ein ganz wichtiges Segment geworden“, sagt Alexander Kraft, Pressesprecher des bei Frankfurt sitzenden Unternehmens. „Beim Delta TX stehen vier unterschiedliche Motorvarianten zur Auswahl“, erklärt er. Sogar solche mit Rückwärtsgang gibt es im Sortiment. Für Menschen mit Einschränkungen ist das einfache Rangieren besonders wichtig – schon beim Abholen aus der Parkanlage. Tatsächlich, so Kraft, sei die Tadpole-Variante des Dreirads – zwei Räder vorn – in der City für viele noch ungewohnt. Neben der aufgeräumteren Optik schätzen viele das einfachere Aufsteigen auf Delta-Dreiräder – seitlich auf den Sessel setzen und sich in Fahrtrichtung drehen. Das Bein wird dabei wie nebenher über den Rahmen gehoben. Das Delta TX kommt übrigens serienmäßig mit Motor. Und gerade diese Dreiräder bieten beste Möglichkeiten zum Gepäcktransport – vom großen Korb hinter dem Sitz über verschiedene Transportboxen und Taschen geht die Range bei den Herstellern. „Damit kommt man in der City genauso zurecht wie auf der Radtour über Land“, sagt Kraft. „Sieht man einmal von der falschen Infrastruktur ab, die dem Radfahrer unter anderem zu wenig Breite gewährt.“

Rotes Dreirad: Tadpole (englisch für Kaulquappe)heißt die Bauart des Dreirads mit zwei gelenkten Vorderrädern. Die Variante ist in den letzten Jahren immer beliebter geworden.

Blaues Dreirad: Sogenannte Delta-Trikes sind nicht nur sehr einfach zu handhaben, sie vermitteln mit Federung und hochwertigen Sitzen auch Komfort, wie man ihn vom Auto kennt. Dabei kann man sie bestens an die Alltagspraxis anpassen.

Trikes sind vielfältig einsetzbar. Sie machen beim gemütlichen Dahinrollen durch die Natur genauso Spaß wie im Alltag in der City – vorausgesetzt, die Infrastruktur lässt das zu.

Dreirädrige Hollandräder

Ein Therapierad ist ein sehr individuelles Produkt, sagt Marnix Kwant, Directeur Business Development beim Hersteller Van Raam. „Wir haben kein einziges Rad fertig auf Lager“, so Kwant. Jedes Fahrrad ist eine Individualisierung. Und das ist wichtig. Verkauft wird – wie bei oben genannten Herstellern auch – grundsätzlich nur über einen Händler.
Das Unternehmen aus dem niederländischen Varssefeld ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer im Bereich Therapierad. Gemeint sind auch bei Van Raam für das urbane Segment vor allem Dreiräder – elf verschiedene Typen gibt es hier. Dabei gibt es auch die klassischen Variationen von Rädern, die wie Hollandräder wirken, aber zwei Hinterräder besitzen. Wer sich nicht mehr aufs normale Fahrrad traut, Angst vor Stürzen hat und Ähnliches, orientiert sich an solchen Rädern. Das ist oft der klassische Zugang zum Spezialrad. „Das können sich die Kunden und Kundinnen gut vorstellen, zu fahren“, sagt Kwant. Der Unterschied zum gewohnten, normalen Rad ist optisch gering. Beim ersten Ausprobieren aber merken sie oft, dass dieses Dreirad ganz anders funktioniert und in Kurven langsam gefahren werden muss. „Dann erst entdecken viele den Easy Rider, das Sesseldreirad von Van Raam, für sich. Den Komfort, auf einem Sitz mit Lehne zu sitzen und das trotz ungewohnter Optik einfache Handling. Als reines Stadtfahrzeug führt Van Raam das Modell Easy Rider Compact im Sortiment, das maximale Wendigkeit bieten soll. Spezialteile gibt es auch bei den Niederländern für alle möglichen Arten von Bedürfnissen bis hin zur kompletten Steuerung auf einer Lenkerseite oder Schulterlenker für Menschen ohne Arme. In der Produktion setzt Van Raam auch auf moderne Techniken wie Stahl oder Nylon aus dem 3-D-Drucker, um individuelle Spezialteile herzustellen.
„Der Markt in Deutschland für Spezialräder wächst sehr stark“, sagt Kwant. „Immer mehr Menschen fahren Fahrrad, und wenn sie das wegen irgendwelcher Einschränkungen nicht mehr können oder sich nicht mehr trauen, steigen sie mittlerweile immer mehr aufs Spezialrad um.“ Dabei sind die Bedürfnisse vielfältig: Neben Gleichgewichtsproblemen ist es der Wunsch, langsamer fahren zu können oder mehr Komfort auf dem Rad zu haben. „Was ist Behinderung, was nicht? Das ist egal, es geht um Bedürfnisse der Radfahrenden“, so Kwant.

Vom Behelfsrad zum Luxus-Trike

Die Wahrnehmung ändert sich: Wurden Reha- und Therapieräder noch vor wenigen Jahren als „Behindertenräder“ gebrandmarkt, können sie heute oft technisch wie optisch überzeugen. Der Rahmenbau ist teils dem klassischen Fahrrad sogar voraus, Komfort zeigt sich oft schon durch die Möglichkeit vieler ergonomischer Anpassungen oder in der Auswahl von unterschiedlichen Sitzen. Bei den genannten Herstellern gibt es beispielsweise Sessel mit unterschiedlich starker Polsterung, vielfältiger Einstellbarkeit und speziellen Ausstattungsdetails wie verstellbaren Kopfstützen. Unterstützungsmotoren sind fast immer an Bord. Automatische Getriebe sind stark im Vormarsch und Sicherheitsdetails wie Blinker ziehen gerade in das Segment ein. Alles wie geschaffen für eine neue Mobilität für alle – für die die Infrastruktur jetzt deutlich nachziehen sollte.

Herausforderungen für die

Fahrrad-Infrastruktur

Radwege haben in Deutschland heute eine offizielle „lichte Breite“ von mindestens 1,50 Metern – das ist schon zu wenig, wenn ein einspuriges Rad ein anderes überholen soll. Dreiräder brauchen nochmals deutlich mehr Platz. Schon heute sind also, auch durch den hohen Zuwachs an mehrspurigen Lastenrädern, die Radwege deutlich zu schmal. Zusätzliche Probleme, die nicht nur in der City die inklusive Fahrradmobilität weiter einschränken:

Umlaufgitter, wie sie unter anderem oft an Knotenpunkten von gemeinsamen Fuß- und Radwegen mit anderen Wegen platziert sind. Sie sind für Tandems, aber auch für Drei-räder nur sehr schwer oder gar nicht passierbar.

Dasselbe gilt für manchmal zu eng aufgestellte Sperrpfosten (Poller).

Seitlich schiefe Ebenen: Gerade bei straßenbegleitenden Radwegen auf Gehweg-Niveau gibt es oft ein starkes seitliches Gefälle, das dem Radfahrer, vor allem mit Mehrspurer, das Fahren schwierig macht. Letztere kommen hier stark in Schieflage und müssen sich gegen die Schräge stemmen. Für viele Menschen mit Behinderung nicht nur unbequem, sondern gefährlich.

Lichtsignalanlagen mit Anforderungstaster, sogenannte Bettelampeln, sind ein klares Symbol für die Unterordnung des Rad- und Fußverkehrs gegenüber dem Autoverkehr. Schlimmer noch: Ihre Tasten sind oft, und dann gerade für Menschen auf mehrspurigen Rädern, sehr schwierig zu erreichen.

Schon seit dem Zuwachs von Cargobikes im Gespräch: Abstellanlagen für Räder jenseits der klassischen Zweiradmaße. Therapieräder sind oft zu breit und/oder zu lang für die üblichen Maße, mit denen Anlehnbügel aufgestellt sind.

Die Infrastruktur in Bahnhöfen ist schon für Nutzer und Nutzerinnen normaler Fahr-räder ein Daueraufreger. Mit Blick auf Therapieräder multipliziert sich das: Aufzüge zu Bahn- und U-Bahnsteigen sind oft zu schmal für Mehrspurer und zu kurz für große Räder. Auf Bahnsteigen ist man mit dem Rad oft ein Störfaktor, weil Säulen oder andere Hindernisse gerade unter Zeitdruck umschoben werden müssen. Und auch das Schieben ist ein Problempunkt: Manche Menschen mit Einschränkungen können Fahrrad fahren, aber kaum gehen. Sie können, wenn sie nicht auf dem Bahnsteig in Schrittgeschwindigkeit rollen dürfen, keine kombinierte Nutzung von Bahn und Fahrrad realisieren.


Bilder: Hase Bikes, Van Raam, HP Velotechnik, stock.adobe.com – ARochau – Maryana

Mein ältester Sohn ist 14 und ein richtiger Teenie. Oft merkt man gar nicht, dass er von Geburt an eine Gehbehinderung hat. Er sitzt im Rollstuhl. Außer er fährt Rad. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)

von Hartmut Ulrich


Ein Liegerad ermöglicht Hartmut Ulrichs Sohn Leo eine komfortable Alltagsmobilität. Auch auf Fahrradtouren, wie auf einer Fahrt nach Kroatien, kann er bei seinen Klassenkameraden dabei sein.

Nein, ein Zweirad kann er nicht kontrollieren. Aber ein Liege-Dreirad. Mit E-Motor und in Fußschalen fixierten Unterschenkeln. Im Juli letzten Jahres gab es ein Schulprojekt: Die Schüler*innen bildeten Gruppen und nahmen sich herausfordernde Ziele vor, die sie gemeinsam planten, organisierten, finanzierten und durchführten. Die Gruppe meines Sohnes nahm sich vor, zu siebt den Ex-Sportlehrer in seiner neuen Heimat Kroatien zu besuchen. Von München aus mit dem Zug bis nach Villach und dann durch Italien und Kroatien. Mit dem Rad. Und mit Zelt.
Ohne das Liegerad hätte mein Sohn von einer solchen Tour nicht mal träumen können. Es hat ihm sein bislang größtes Erlebnis von Autonomie, Selbstwirksamkeit und Freiheit beschert – in der Gruppe. Die Schülergruppe hat gelernt, was es bedeutet, mehrere Räder, ein Liegerad und das ganze Gepäck am Bahnhof in einen Zug hieven zu müssen – und am Ziel schnell genug wieder hinaus. Alle für einen, einer für alle: Leo hatte einen Motor und viel Gepäck für die anderen gefahren.
Mehr als 11.000 Euro hat uns das Rad gekostet – und es ist jeden Cent wert. Seit Juni hat Leo mehr als 1.500 Kilometer damit zurückgelegt. Er liebt es. Er fährt jeden Tag mit dem Liege-Dreirad zur Schule, sogar im kalten Winter. Ich pflege und repariere das Fahrzeug. Beispielsweise war der mitgelieferte Regenschutz für den Sitz nicht wasserdicht. Nach dem dritten Mal mit nassem Hintern und Rücken habe ich Leo einen Überzug aus der Regenhülle für einen großen Wanderrucksack gemacht. An der Schule kann er sein Rad nicht unterstellen, die Infrastruktur für Fahrräder rund um die Schule ist lieblos und schlecht.
Keine Frage: Ein Liegerad in der Großstadt bleibt auch ganz ohne Behinderung eine Herausforderung. Ich habe mitangesehen, wie Leo auf dem Radweg um ein Haar von einer Linksabbiegerin überfahren worden wäre, die einfach unaufmerksam war – sie wollte schnell über die vierspurige Straße und hat null auf den Radweg geachtet, der zudem von geparkten Autos verstellt war. Da half auch nicht die Stange mit dem aufragenden Fähnchen am Liegerad. Es ist gerade noch gut gegangen: Leo hat blitzschnell reagiert und konnte ausweichen. Dafür eine geeignete Infrastruktur zu schaffen, hieße, Radwege konsequent baulich vom Autoverkehr zu trennen. So wie zum Beispiel in Dänemark.
Inklusion bleibt das Zünglein, an dem sich Städte und Gesellschaften messen lassen müssen. Da haben wir in Deutschland noch sehr viel zu lernen. Zunächst mal im Kopf.

Hartmut Ulrich, 58, ist seit sieben Jahren Geschäftsführer der BVA BikeMedia GmbH. Der Verlag publiziert Magazine, Bücher und Radwanderkarten rund ums Radfahren. Er liebt Fahrräder, macht jede Reparatur selbst und genießt das Glück des Draußenseins bevorzugt auf Rennrad und Gravelbike.


Bilder: Hartmut Ulrich

(erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)

Das Thema läuft wahrscheinlich in vielen Städten noch unter dem Radar, auch wenn wir in Potsdam in einigen Punkten schon etwas erreichen konnten. Viele bauliche Maßnahmen, die die Barrierefreiheit im Radverkehr verbessern, lassen sich dabei ganz grundsätzlich mit besserer Radinfrastruktur betiteln. Wie etwa breitere Radverkehrsanlagen, also Radwege, aber auch Radfahrstreifen, die mehr Platz für alle Radfahrenden schaffen und neben Lastenrädern vor allem auch Spezialrädern zugutekommen.
Bei Brücken und Tunneln wiederum sind eine Rampenneigung von 5 Prozent und Zwischenpodeste nicht nur für Rollifahrer hilfreich, sondern auch für radfahrende Menschen mit Handicaps oder für junge angehende Radfahrerinnen oder Ältere, die (noch) nicht so viel Puste haben, die ganze Steigung auf einmal zu nehmen.
Ebenfalls eine wichtige Maßnahme im Sinne einer besseren Barrierefreiheit ist die Nullabsenkung an Übergängen vom Radweg auf die Fahrbahn anstatt eines Bordsteins von 3 cm oder mehr. Und durch eine vermehrte Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn oder auf baulich getrennten Radwegen schaffen wir auch eine Verbesserung der passiven Sicherheit für seheingeschränkte oder blinde Personen, die als Fußgehende unterwegs sind.
Grundsätzlich haben wir in Potsdam mit dem Prinzip „Design für alle“ das Ziel, möglichst vielen Nutzergruppen eine gute Teilnahme an aktiver Mobilität zu ermöglichen. Wir würden uns aber wünschen, dass wir von radfahrenden Menschen mit Handicaps mehr Rückmeldungen zu den bisher umgesetzten Radverkehrsmaßnahmen erhalten.

Torsten von Einem
Radverkehrsbeauftragter der Landeshauptstadt Potsdam

Das Thema Barrierefreiheit und Inklusion wird in allen Planungen des Mobilitäts- und des Baureferats mitgedacht. Unter dem Motto „Mobilität für alle“ soll dabei die Verkehrssicherheit gerade für schwächere Verkehrsteilnehmende erhöht werden. Derzeit wird eine weitere Teilstrategie der Mobilitätsstrategie 2035 erarbeitet, die sich mit Fragen der Inklusion, der Gendergerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit in der Verkehrsplanung beschäftigt. Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich selbstbestimmt in der Stadt zu bewegen, möglichst auf der gesamten Wegekette. Mobilität darf keine Frage des Geschlechts, der gesellschaftlichen Rolle, der körperlichen oder kognitiven Fähigkeiten oder der finanziellen Situation sein.
In der Radverkehrsplanung geht es vor allem um die Höhe von Bordsteinen, Leitsysteme, ausreichende Radwegbreiten oder die Anpassung der Ampelsteuerung. Aber auch gestalterische Grundsätze wie freie Sichtbeziehungen zwischen den Verkehrsteilnehmenden sowie die bedarfsgerechte Verteilung der in München extrem knappen Flächen spielen eine zentrale Rolle. Die Planer*innen der Landeshauptstadt München fußen ihre Arbeit auf fortlaufend aktualisierten Leitlinien und können auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz bei der Radverkehrsplanung zurückgreifen. Ergänzend bringt bei nahezu allen Radverkehrsvorhaben der städtische Beraterkreis für barrierefreies Planen und Bauen sein wertvolles Wissen ein. Münchens Ziel ist es, so die Konfliktpunkte im öffentlichen Raum durch vorausschauende bauliche Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren.

Baureferentin Dr.-Ing. Jeanne-Marie Ehbauer und Mobilitätsreferent Georg Dunkel der Landeshauptstadt München

Radfahren ist das effizienteste und kostengünstigste Verkehrsmittel, das je erfunden wurde. Inklusion bedeutet daher für mich, dass allen Menschen dieses Verkehrsmittel zugänglich gemacht werden sollte. Damit das gelingt, sind in der Radverkehrsplanung andere Maßstäbe als nur die der technischen Regelwerke anzulegen. Es geht auch um die Herstellung subjektiver Sicherheit. Mit Subjektivität ist dabei der Blick des Planenden und die Wirkungsprüfung bestimmter Maßnahmeoptionen auf die verschiedensten Nutzergruppen gemeint. Eine inklusive und barrierefreie Radverkehrsinfrastruktur ist dann die möglichst größte Schnittmenge aus den Optionen, die planerisch zu erreichen ist.
In Leipzig bauen wir schon viele Jahre mit Erfolg barrierefreie Haltestellen des ÖPNV mit angehobenen Radfahrbahnen. Wir wollen weg von Mindestmaßen in der Radinfrastruktur, um auch dreirädrigen Lastenrädern und im Idealfall Rikschas mit ihrem jeweiligen Tempo Platz zu geben. Inklusion beim Radverkehr heißt in Leipzig quer durch alle Generationen auch: Kindermitnahme im Lastenrad statt Elterntaxi und „Radeln ohne Alter“ als willkommene Ablenkung vom manchmal mühseligen Senioren-Alltag.
Barrierefreiheit in der Radverkehrsplanung heißt aber auch, die Ansprüche der nicht radfahrenden, mobilitäts- und seheingeschränkten Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Bei stetig zunehmenden Radverkehrsmengen kann das nur die Herstellung weitgehend getrennter Bereiche für den Fuß- und Radverkehr bedeuten sowie die verbleibenden Kreuzungspunkte von Fuß- und Radverkehr deutlich hervorzuheben. Dazu zählen wir inzwischen auch erste Fußgängerüberwege über Radwege, die dem Radfahrenden klare Wartepflichten auferlegen.

Dr. Christoph Waack Radverkehrsbeauftragter im Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Leipzig

Das vollautomatische Fahrradparkhaus Bikesafe von Wöhr ist ein Raumwunder für bis zu 122 Fahrräder auf acht Ebenen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Der Fahrradverkehr ist ein wichtiges Bindeglied zwischen öffentlichem und Individualverkehr. Moderne Parkmöglichkeiten sind vor allem gefragt an Bahnhöfen, S-/U-Bahn-Stationen und ZOBs, aber auch an Campus und Schulen, auf Firmengeländen und Bürogebäuden, bei Gesundheitseinrichtungen, Touristenattraktionen und vielen mehr. Automatisierte Fahrradparkhäuser, die wenig teure Grundfläche verbrauchen und Schutz vor Wind, Wetter, Diebstahl und Vandalismus bieten, erfüllen alle Anforderungen an zeitgemäßes Parkraummanagement.
Besonders an dem Verkehrsknotenpunkt Bahnhof bietet der Wöhr Bikesafe einen wesentlichen Baustein für ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept aus Rad und Bahn. Um den hohen Bedarf an Fahrradparkplätzen und den Pendler*innen gerecht zu werden, wurden an der Nordseite des Bahnhofs in Hannover-Wunstorf im November 2023 gleich zwei Parktürme nebeneinander eröffnet.
244 Stellplätze auf einer geringen Grundfläche von nur 72 Quadratmeter bieten Fahrrädern einen sicheren und platzsparenden Abstellplatz. Zur Ausstattung der Zwillingstürme gehören Schließfächer sowie Steckdosen für E-Bike-Akkus. Per App können Dauer- und Wechselparker bequem ihr Fahrrad kostenlos innerhalb weniger Sekunden abgeben und wieder abholen. Ob Rennrad oder E-Bike, Satteltaschen oder Kindersitz – bis zu einer Lenkradbreite von 76 bis 83 Zentimeter findet hier jedes Fahrrad den passenden Stellplatz.
Die Übergabebereiche sind mit einem Bedien-Tableau ausgestattet. Diese befinden sich in Sichtweite der jeweiligen Einfahrtstore. Der Nutzer betritt die Trittmatte und stellt sein Fahrrad auf der dafür vorgesehenen Radschiene ab. Per Chip oder QR-Code wird der Einparkvorgang am Bedien-Terminal angefordert und das Einfahrtstor öffnet analog der maximalen Radbreite. Das Vorderrad wird bis zum Radanschlag eingeschoben, worauf das Schiebetor geschlossen und das Rad fixiert wird. Der Nutzer verlässt die Trittmatte und bestätigt am Bedientableau mit dem Bedienmedium (individuell Chip oder QR-Code) die Einlagerung. Das Vorderrad wird vom Hubschlitten gefasst und in das Regalsystem eingezogen. Während des Einziehens überprüfen Lichtschranken die Höhe, Breite und Länge des Fahrrads.
Die smarten Fahrradparkhäuser am Bahnhof in Wunstorf sind ein zentraler Bestandteil des Verkehrsentwicklungsplans 2035 der Region Hannover – mit dem Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden.
Mit seinem innovativen, nachhaltigen und zukunftsorientierten Ansatz ist der Wöhr Bikesafe mehr als ein Fahrradparkhaus: Er ist ein Musterbeispiel der Mobilitätswende. Wenn Radfahren in Zukunft noch attraktiver werden soll, müssen ganzheitliche Lösungen her. Dazu gehören neben einem lückenlosen Ausbau des Fahrradverkehrsnetzes vor allem ausreichend öffentliche Ladestationen für E-Bikes sowie sichere und wettergeschützte Stellplätze an zentralen Punkten und Verkehrsschnittstellen. Denn der Ausbau der Infrastruktur für Fahrräder und E-Bikes ist ein zentraler Baustein zum Erreichen der Klimaziele.


Mehr Informationen: http://www.woehr.de

Bilder: Wöhr

Hase Bikes zählt zu den Marktführern bei Fahrrädern für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Einer der Bestseller in diesem Segment, das Trigo Up E von Hase Bikes, hat jüngst eine umfassende Überarbeitung erhalten. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


„Mit dem Trigo Up E können auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder ältere Menschen sportlich unterwegs sein“, sagt Marec Hase, Gründer und Geschäftsführer von Hase Bikes. „Der tiefe Einstieg sorgt dafür, dass man bequem Platz nehmen kann. Die stabile Delta-Bauweise und der niedrige Schwerpunkt machen das Trigo Up E zudem extrem kippsicher, auch in den Kurven.“
Das Pedelec-Trike hat mit 30 Kilogramm ein geringes Eigengewicht, trägt aber bis zu 140 Kilogramm. Perfekt für mehrere Fahrer*innen unterschiedlicher Größe: Der Lenker wird ohne Werkzeug in Höhe, Winkel und Abstand eingestellt und auch der Sitz ist höhen- und neigungsverstellbar. Außerdem lässt er sich stufenlos auf Körpergrößen von 1,40 bis 2 Meter einstellen. Auch dazu benötigt man kein Werkzeug, sondern löst einfach den Klemmhebel, schiebt den Sitz in die richtige Position und arretiert den Klemmhebel wieder. „Die Sitzpolster können an mehreren Stellen individuell angepasst werden. Zusätzlichen Komfort bietet die optional erhältliche Kopfstütze, die ebenfalls verstellbar ist“, erklärt Marec Hase.
Wichtigste Neuerung ist fünf Jahre nach der Markteinführung die serienmäßige Ausstattung mit einem Elektroantrieb. Während beim bisherigen Modell die Motoroption nur als Nachrüstung erhältlich war, ist das neue Trigo Up E nun mit dem leistungsstarken Shimano-Motor Steps E5000 und einem 504-Wh-Akku ausgestattet.
Das Trigo Up E ist als fertig vorkonfiguriertes Serienmodell oder als individuell zusammengestelltes Custom-Modell erhältlich, das neben typischen Fahrradoptionen auch spezielle Lösungen aus dem Reha- und Handicap-Bereich wie Spezialpedale, Kurbelverkürzer und Pedalpendel bereithält.


Mehr Informationen: http://www.hasebikes.com

Bilder: Hase Bikes

In vielen deutschen Städten gleicht Fahrradfahren einer waghalsigen Mutprobe: Radwege, die als Mittelspur mitten durch Autos, Busse und Pkw führen. Abbiegespuren, die als solche kaum erkennbar sind. Glatte Fahrradstreifen, die bei Regen und Schnee zur echten Herausforderung werden. Um die Sicherheit und Attraktivität des Radverkehrs zu verbessern, bedarf es moderner und sicherer Radwege. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Mit EP-Grip Velo bietet die Possehl Spezialbau GmbH eine innovative Lösung für die Herausforderungen,
denen Radfahrende auf deutschen Straßen täglich gegenüberstehen. Die innovative Beschichtung wurde entwickelt, um große und kleine Verkehrsflächen gleichermaßen sicherer, sichtbarer und schöner zu machen, seien es Fahrradstraßen oder einzelne Radwege.
Das Besondere an EP-Grip Velo: Die Beschichtung ist nachhaltig, langlebig und griffig sowie überaus hell und attraktiv. Eine Vielzahl von Farboptionen ermöglicht es Städten und Gemeinden, ihre Radwege individuell zu gestalten – von grünen und blauen Abschnitten bis zu Flächen in leuchtendem Rot. So sorgt die Beschichtung für mehr Aufmerksamkeit für Radfahrer und trägt zur Sicherheit auf den Straßen bei, Mittelspur hin oder her. Eine Stärke ist die herausragende Griffigkeit des Belags. Selbst bei Regen und Schnee sind Radfaher*innen sicher unterwegs.

EP-Grip Velo hat noch eine Reihe weiterer Vorteile:

Nachhaltige Materialien:

EP-Grip Velo wird aus nachwachsenden Rohstoffen sowie recyceltem Granulat hergestellt. Dies trägt zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft bei.

Bester Schutz:

Die Beschichtung ist äußerst langlebig. Sie schützt den darunter liegenden Belag, was die Lebensdauer von Straßen verlängert.

Umweltschonend:

Durch ihre hohe Widerstandsfähigkeit verringert EP-Grip Velo den Abrieb von Mikroplastik.

Verbesserung des Klimas:

Indem der helle Belag einen Teil des einfallenden Sonnenlichts reflektiert, wird weniger Wärme absorbiert, der sogenannte Albedo-Effekt verringert sich. Städte und Gemeinden heizen sich weniger stark auf.

Mit EP-Grip Velo investieren Städte und Gemeinden in die Sicherheit und Attraktivität ihrer Radwege und leisten einen Beitrag für die Zukunft.


Mehr Informationen: http://www.possehl-spezialbau.de/leistungen/ep-grip/ep-grip-velo

Bild: Possehl

Ob sie es selbst nutzen oder sich den Straßenraum mit seinen Nutzer*innen teilen, das Fahrrad spielt in der Mobilität blinder und sehbehinderter Menschen eine große Rolle. Zwischen Interessenkonflikten und fehlender Achtsamkeit finden sich auch Lösungsansätze – und jede Menge Handlungsbedarf. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Blinde und sehbehinderte Menschen können in Deutschland leicht übersehen werden. Das liegt zum einen daran, dass es hierzulande keine Kennzeichnungspflicht für Menschen gibt, die blind oder sehbehindert sind. Sie sind also nicht gezwungen, sich als solche nach außen zu präsentieren. Viele tun es trotzdem, erklärt Eberhard Tölke vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV): „Es ist natürlich vorteilhaft, den weißen Langstock zu nutzen. Weitere anerkannte Verkehrsschutzzeichen sind die gelbe Armbinde und das weiße Führhundgeschirr.“ Auch ein gelber Anstecker mit drei schwarzen Punkten ist üblich. Von hinten erkennbar sind diese Menschen damit aber nicht. Wer also nicht gerade den Langstock benutzt oder wessen Armbinde übersehen wird, kann sich nicht auf eine erhöhte Aufmerksamkeit bei den anderen Verkehrsteilnehmerinnen verlassen. Statistisch ist dieser Teil der Bevölkerung schlecht dokumentiert. Wie viele Leute in Deutschland ohne oder mit eingeschränkter Sehfähigkeit leben, ist schlichtweg nicht bekannt. Der DBSV erklärt auf seiner Website, warum er von rund 559.000 blinden und sehbehinderten Menschen als absolutem Mindestwert ausgeht. Diese Zahl stammt aus der Schwerbehindertenstatistik aus dem Jahr 2021 und lässt sich noch in rund 71.000 blinde Menschen sowie 47.000 hochgradig sehbehinderte und 441.000 sehbehinderte Menschen aufschlüsseln. Enthalten sind in der Summe aber nur jene blinden oder sehbehinderten Menschen, die einen Schwerbehindertenausweis haben. Auf einen erheblichen Teil der Sehbehinderten und selbst einige blinde Menschen trifft das nicht zu. Eine Sehbehinderung unterscheidet sich mitunter stark von der nächsten. Die Krankheit Retinitis Pigmentosa verursacht zum Beispiel ein eingeschränktes Sichtfeld. „Menschen mit einem sogenannten Tunnelblick schauen je nach Schwere der Erkrankung nur durch ein stecknadelgroßes Loch. Rein gesetzlich gelten diese Betroffenen aufgrund dieser starken Orientierungseinschränkung durchaus als blind. Der Betroffene läuft mit einem Langstock, er läuft mit einem Blindenführhund, setzt sich in die Straßenbahn, nimmt die Zeitung heraus und liest. Das ist möglich, weil er auf diesem Punkt gegebenenfalls noch 100 Prozent sehen kann. Das ist für den Sehenden nicht vorstellbar, liegt jedoch im Rahmen des Möglichen. Das führt zu Irritationen“, erklärt Tölke. Ziemlich verbreitet ist auch der Graue Star als Erkrankung. Tölke erläutert: „Den Grauen Star kann man sich vorstellen wie Nebel. Es ist alles eingetrübt und es sind keine scharfen Konturen erkennbar.“ Leicht zu übersehen sind mit Grauem Star vor allem feine Hindernisse wie Masten. Das gilt erst recht, wenn diese grau sind. Als Volkskrankheiten gelten unter den Sehbehinderungen weiterhin die altersabhängige Makula-Degeneration und die diabetische Retinopathie. Wer erfahren will, wie eine Sehbehinderung sich auf das Sichtfeld auswirkt, sollte einmal ein Blindenmuseum besuchen, empfiehlt Margot Daris von der Dutch Cycling Embassy. Das Museum in der niederländischen Stadt Nijmegen zeigt, wie verschieden die Sicht sehbehinderter Menschen untereinander ist. Mal ist sie verschwommen, bei anderen fleckenweise eingeschränkt. Das Museum bietet Führungen an, bei denen die Besucherinnen sich selbst temporär ohne Sehfähigkeit orientieren müssen. Für die Zielgruppe der Blinden und Sehbehinderten wurde Margot Daris von irischem Besuch bei der Dutch Cycling Embassy sensibilisiert. Dir irischen Delegierten diskutierten über die räumliche Aufteilung von Bushaltestellen und Fahrradspuren und deren Einfluss auf Menschen mit schlechter Sehfähigkeit. Gebräuchlich ist es in den Niederlanden, den Radweg zwischen Haltestelle und Straße entlanglaufen zu lassen. Der irische Besuch äußerte Bedenken: „Die wollten eine Ampel für die Fahrradfahrer, sodass die Leute in den Bus steigen können. In den Niederlanden ist das nicht üblich, weil wir das Gefühl haben, dass Gehen, Radfahren und auf den Bus warten jeweils auf menschlicher Interaktion basiert“, erzählt Daris. Diese Sichtweise habe ihr die Augen geöffnet und dazu geführt, dass Daris Vorträge zum Thema „Blinde und sehbehinderte Menschen und Radverkehr“ hält. „Besonders wenn man eine Sehbehinderung hat, ist es wichtig, dass man sich noch immer unabhängig fortbewegen kann und nicht abhängig ist von Partnern, der Familie oder Freunden.“

Sehbehinderungen können sehr unterschiedlich wirken. Die Erkrankung Retinitis Pigmentosa verursacht einen Tunnelblick (Mitte), während der Graue Star die Sicht eher vernebelt (unten).

Auch Blinde fahren Fahrrad

In dieser unabhängigen Fortbewegung haben fast alle blinden und sehbehinderten Menschen in ihrem Alltag Berührungspunkte mit Radfahrerinnen und ihrer Infrastruktur. Darüber hinaus fahren einige von ihnen selbst Fahrrad. Das gilt sogar für Personen, die rechtlich als blind gelten. „Ich möchte darauf hinweisen, dass Blinde durchaus Fahrrad fahren, und zwar mit dem Tandem“, erklärt Eberhard Tölke. „Es gibt sogar Vereine wie „die Weiße Speiche“, die das Tandemfahren zum Gegenstand ihrer Vereinigung haben. Diese Leute sind mit ihren Piloten sehr aktiv und unternehmen auch größere Touren.“ Als sportliche Betätigung wird diese Art des Radfahrens von vielen Blinden geschätzt. In der Alltagsmobilität dürften Tandems aber eine geringere Rolle spielen. Richtig empfehlenswert ist das Radfahren für Menschen, auch mit leichteren Sehbehinderungen nicht, findet Gerald Fröde, der sich ebenfalls beim DBSV engagiert. „Da geht es darum, ob ich mir mit einer vorhandenen Sehbeeinträchtigung noch zutraue, aufs Rad zu steigen. Man kennt es ja aus dem Kraftfahrzeugverkehr, dass viele denken, sie sehen noch gut, obwohl es nicht so ist.“ Dennoch fahren viele Menschen mit leichteren Sehbehinderungen im Alltag sehr erfolgreich Fahrrad. Auch schwerwiegendere Sehbehinderungen entstehen meist in einem Prozess, zu dessen Beginn die Betroffenen das Fahrrad noch nutzen können. Fröde hat persönlich eine ausgeprägte Meinung dazu: „Ich bin selbst früher noch tagsüber gefahren. Ich würde es keinem empfehlen, der ernsthafte Probleme hat.“ Wenn jemand einen Unfall baut und später bekannt wird, dass derjenige eine Sehbehinderung hat, ist das ein Problem. Fröde: „Ich habe mir noch 2017 ein neues Rad gekauft und bin es auch gefahren. Aber das war schon eine Grauzone, sich damit im Straßenverkehr zu bewegen. Meine Krankheitsgeschichte geht aber schon 20 Jahre.“ Eberhard Tölke, der selbst quasi nicht mehr sehvermögend ist, ist zuletzt in seiner Jugend Rad gefahren. Beide Herren kennen die Probleme gut, die blinde und sehbehinderte Menschen mit dem Radverkehr haben, ohne selbst auf dem Rad zu sitzen. Schwierig finden sie etwa die gemeinsame Nutzung von Geh- und Radweg, weil man die Radfahrerin-nen, die sich leise von hinten nähren, nicht gut wahrnehmen kann. Vielen Rädern fehle zudem auch eine Klingel. Fahrrädern spontan auszuweichen ist für blinde Menschen selbst dann schwer, wenn sie eine Klingel hören können oder einen Zuruf bekommen. Tölke erzählt von einer Situation, wo eine Radfahrerin, die er nicht wahrnehmen konnte und die ihn zu spät wahrnahm, auf die Fahrbahn einer viel befahrenen Straße ausweichen musste. Die Situation ging glimpflich aus, blieb ihm aber doch im Gedächtnis. „Ich kann mich nur auf etwas einstellen, wenn ich es wahrnehme“, sagt er. Die Situation zeigt, dass nicht nur blinde und sehbehinderte Personen selbst von den schwierigen Interaktionen gefährdet sind.
Das Problem ist noch größer bei Elektrofahrzeugen und E-Bikes, aufgrund der gestiegenen Geschwindigkeit. „Da ist der Sehbehinderte das schwächere Glied in der Kette“, erläutert Fröde. „Man müsste eigentlich von jedem Verkehrsteilnehmer erwarten können, dass jeder sich in dem ihm zugewiesenen Bereich aufaufhält.“

Kritische Stellen im Gehwegbereich sind mit Bodenindikatoren markiert. Manchmal mangelt es an Bewusstsein dafür, dass diese frei bleiben müssen.

Gehweg und Bodenindikatoren freihalten

Probleme gibt es auch durch im Gehbereich abgestellte Fahrräder. Radfahrbügel seien deshalb unbedingt in den Nebenbereichen anzuordnen. „Der Gehbereich ist unser Heiligtum. Den hätten wir gerne frei“, sagt Fröde. Der Langstock, mit dem viele Blinde den Gehweg fühlen, kann sich auch in den Speichen am Rand abgestellter Räder verfangen, wodurch die Räder im besten Fall zu einem Ärgernis, im schlimmsten zur Stolperfalle werden. E-Scooter sind für die Blinden in den letzten Jahren zur zusätzlichen Herausforderung geworden. Eberhard Tölke: „Die stehen kreuz und quer und können natürlich nicht rechtzeitig und sicher erkannt werden. Wir fordern deswegen, dass wirklich Abstellflächen geschaffen werden, wo diese E-Roller positioniert werden.“
Die besonders kritischen Stellen im Gehwegbereich sind mit flächigen Bodenindikatoren nach der Norm DIN 32984 ausgestattet. Diese Leitstreifen, so weiß auch Margot Daris, werden von vielen Menschen wenig beachtet und sind oft zugestellt. Das Blindenmuseum in Nijmegen hat die Leitstreifen vorm Museumseingang so bemalen lassen, dass diese wie eine Brücke über einen Teich aussehen. „Ich denke, es sollte ein größeres Bewusstsein dafür geben. Mehr Schilder helfen nicht unbedingt. Das Ganze entspricht einer größeren gesellschaftlichen Fragestellung. Wir müssen mehr achtgeben aufeinander“, meint die Niederländerin.
Den Fußweg verstehen Blinde und Sehbehinderte nicht nur dort, wo es Leitstreifen gibt, als ein System mit einer inneren Leitlinie und dem Kant- oder Bordstein als äußerer Leitlinie. Kleinpflaster umsäumt den häufig glatten Gehwegbereich und macht diesen taktil erfahrbar. Die Grenze des Weges lässt sich so mit dem Langstock oder mit den Füßen erfühlen.

„Wenn wir öffentliche Räume gestalten, müssen wir berücksichtigen, dass wir sie für alle Menschen nutzbar machen wollen und nicht bloß für körperlich Leistungsfähige zwischen 15 und 45 Jahren.“

Margot Daris, Dutch Cycling Embassy

Schwer vereinbare Interessen

Der Gehweg und der Bordstein sind also wichtige Orientierungshilfen für jene, die wenig bis gar nichts sehen. Hier unterscheiden sich die Bedürfnisse dieser Gruppe mitunter von denen anderer Behindertengruppen. Rollstuhlfahrer*innen würden von abgesenkten Bordsteinen profitieren. Das ist nicht der einzige Interessenkonflikt, mit dem blinde und sehbehinderte Menschen zu kämpfen haben.
Gerald Fröde verweist auf Pro-bleme mit moderner Fahrradinfrastruktur, etwa Radschnellverbindungen: „Die Bestrebungen, die auch ampellos zu machen und freie Fahrt zu gewähren, sehen wir durchaus kritisch. Am Ende des Tages gibt es gar keine Möglichkeit mehr für Blinde und natürlich auch für andere, gefahrlos über den Radweg rüberzukommen.“ Nicht nur Radschnellverbindungen erschweren die Alltagsmobilität. Das Queren von breiten Radwegen bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich, gerade wenn diese nicht in die Ampelschaltung eingegliedert sind. „Das akustische Orientierungssignal hat eine vorgegebene Reichweite von vier bis fünf Metern. Wenn ich neben der Fahrbahn eine Wartefläche mit Lichtsignalanlage habe und dann einen seitlich abgesetzten Radweg, dann ist die Entfernung so groß, dass die Akustik auf dem Gehweg nicht mehr ankommt“, erklärt Tölke. Auch zusätzliche Fußgängerüberwege, die man über die Radwege führen könnte, helfen nur bedingt. „Ich kann zwar mithilfe der Bodenindikatoren die Querungsstelle finden, aber weiß nicht, ob ein Radfahrer kommt. Ich bin auf das Verhalten des Radfahrers angewiesen, dass ich heile da rüber komme.“ Auf die gegenseitige Rücksichtnahme könne er sich leider nicht immer verlassen, weiß Tölke.
Die ideale Lösung für die Blinden und Sehbehinderten wäre, den Radweg wieder an den Fahrbahnrand zu versetzen und ihn in die Lichtsignalanlage einzugliedern. Dass die Situation kompliziert ist, sieht Gerald Fröde natürlich auch: „Das ist verkehrsplanungstechnisch sehr diffizil. Da wird sich zurückgehalten, auch vonseiten derer, die diese Sache fachlich begleiten.“ Er wünscht sich, dass die eigenen Bedürfnisse differenzierter wahrgenommen werden. Zu einem Modellprojekt für eine geschützte Kreuzung nach niederländischem Vorbild hat der DBSV sich positioniert und einen Shitstorm kassiert. Fröde mahnt: „Zum Teil gibt es Stimmen aus den Landesverbänden, die sagen: „Früher haben wir gegen das Auto angekämpft und jetzt eigentlich gegen das Fahrrad.“

Kontrastreiche Farben helfen

Nicht alle stadtgestalterischen Schritte ziehen einen Interessenkonflikt nach sich. Margot Daris erklärt, warum in den Niederlanden fast alle Radwege rot markiert sind: „Das ist sehr hilfreich, wenn man eine Sehbehinderung hat, weil man einschätzen kann, wo man sich im Straßenraum bewegt und ob man auf der richtigen Spur ist.“ Auch Verkehrsteil-nehmer*innen ohne Sehbehinderung profitieren von gut sichtbaren Radwegen.
Für jene mit Sehbehinderung spielt die Farbgebung im öffentlichen Raum eine große Rolle. Die sogenannte Michelson-Formel hilft, den Mindestkontrast zu bestimmen, mit dem Markierungen und Gegenstände gut zu erkennen sind. Blumentöpfe, Baustellen oder Bänke sollten nicht dieselbe Farbe wie der Gehweg haben. Bodenindikatoren sind üblicherweise in Weiß, Markierungen von Stufen in Gelb und Weiß gehalten. Auch Rot gilt als Signalfarbe. Markierungen müssen flächig genug sein, sodass diese auch mit einem verschwommenen Sichtfeld wahrnehmbar sind.
Besonders wichtig sind kontrastreiche Farbunterschiede in der Dunkelheit. „In der dunkeln Jahreszeit sind alle Katzen grau“, scherzt Gerald Fröde. Ein grauer Mast kann dann schnell zum Unfallrisiko werden. Menschen, die schlecht sehen, sind mitunter überfordert, wenn es zu einem abrupten Licht-Dunkel-Wechsel kommt. Eine durchgängig gute Beleuchtung der Rad- und Fußwege ist für diese Personen unabdingbar. In den Niederlanden werden Unterführungen stets mit mittigen Lichtdurchlässen geplant. Das hilft, einen starken Licht-Dunkel-Wechsel zu vermeiden, und trägt zur sozialen Sicherheit bei.

„Alles, was bald mobil auf dem Gehweg ist, muss eigentlich für Blinde hörbar gemacht werden.“

Marc Rummeny, RTB

Ampeln können Nutzer*innen der App Loc.ID detektieren und ihr akustisches Signal lauter stellen. Die App soll zu einem Ökosystem für Blinde werden und ihnen den Alltag erleichtern.

Sprechende Infrastruktur

Lösungsansätze für ihre Probleme erhalten die Blinden und Sehbehinderten aus der Wirtschaft, etwa vom Unternehmen RTB. Die Firma stellt seit über 30 Jahren akustische Signalgeber und Taster für Ampeln her und hat rund um die Anwendung Loc.ID ein Netzwerk mit anderen Unternehmen gegründet. Sie allesamt wollen es blinden Menschen erleichtern, sich im öffentlichen Raum zurechtzufinden. Loc.ID ist eine App, die auf dem Smartphone im Hintergrund laufen kann und die via Bluetooth mit öffentlicher Infrastruktur, im Falle RTBs mit den Ampeln, kommuniziert. Marc Rummeny, Geschäftsführer von RTB erklärt: „Ich habe das Handy in der Hosentasche, Brust- oder Jackentasche, laufe durch die Gegend und werde im Bereich von etwa 15 Metern Entfernung von dem akustischen Signalgeber der Ampel detektiert. Dann hebt die Akustik die Lautstärke an. Wenn ich den Bereich verlasse, wird sie wieder leiser.“
Ampeln sind nur ein Anwendungsfeld von Loc.ID. Wenn es nach RTB geht, kann die Anwendung zukünftig mit diversen Infrastrukturelementen kommunizieren. Außerdem kooperiert RTB mit dem E-Scooter-Anbieter Bolt. Der hat Loc.ID bereits in rund 25.000 E-Scootern installiert. Auch mit anderen E-Scooter-Herstellern führt RTB Gespräche. Lastenräder hat Rummeny für die Anwendung ebenfalls im Visier und geht auf die Fahrradindustrie zu, etwa als Aussteller auf Konferenzen. Zudem finden aktuell Gespräche mit Herstellern von Lieferrobotern statt. „Alles, was bald mobil auf dem Gehweg ist, muss eigentlich für Blinde hörbar gemacht werden.“ Viele Alltagssituationen, so die Vision, sollen so inklusiver für blinde und sehbehinderte Menschen werden.
Beispiele wie diese zeigen, dass es durchaus Lösungsansätze gibt. Die Frage, wie öffentlicher Raum aufzuteilen und zu nutzen ist, gilt es gerade bezüglich der Interessenkonflikte aber noch differenziert auszuhandeln. Eberhard Tölke mahnt davor, was passiert, wenn vor allem ältere Menschen, die einen Großteil der vulnerablen Gruppe stellen, nicht mehr mobil sind. „In der Folge produzieren wir unsere eigenen Pflegefälle.“ Inklusion ist zum einen eine Frage des Aufeinander-Achtgebens. Zum anderen ist sie auch eine Gestaltungsaufgabe für den urbanen Raum. Margot Daris fasst fordernd zusammen: „Wenn wir öffentliche Räume gestalten, müssen wir berücksichtigen, dass wir sie für alle Menschen nutzbar machen wollen und nicht bloß für körperlich Leistungsfähige zwischen 15 und 45 Jahren.“


Bilder: stock.adobe.com – MarkRademaker, Andreas Friese, stock.adobe.com – elypse, RTB