Die Zeiten, in denen eine Automesse wie die IAA stabil rund eine Million Besucher anzog, scheinen definitiv vorbei. Auch zur diesjährigen IAA Mobility kamen erstaunlich wenige Aussteller und mit 400.000 Besuchern nur rund die Hälfte im Vergleich zum Jahr 2017. Es scheint, als ob der Zauber des Automobils einer eher pragmatischen Beziehung gewichen ist und mehr und mehr andere Mobilitätsformen in den Vordergrund rücken. Zu den Gewinnern gehören das Fahrrad, das E-Bike, viele weitere neue Produkte und Angebote in den Bereichen Mikromobilität und Mobility as a Service (MaaS) und auch neue Messeformate. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Die Mobilität der Zukunft kann und wird nach Meinung vieler Experten nicht durch immer mehr Autos und übergroße SUVs, wie kürzlich noch von BMW vorgestellt, geprägt werden. Auch die oft betonten Trennlinien zwischen zu Fuß gehenden, Rad oder Auto fahrenden Menschen machen wenig Sinn. Wohl genauso wenig wie neue Feindbilder, die man wahlweise in E-Bikes, E-Kickscootern oder auch in Lieferfahrzeugen und den dazugehörigen Services sehen kann. Dafür entwickeln sich die Technik, das Marktumfeld und die Nutzergewohnheiten aktuell viel zu schnell. Nicht zu unterschätzen sind dabei allerdings die Beharrungskräfte, die sich in der Kommunal- und Wirtschaftspolitik ebenso finden wie bei Herstellern, Händlern, Messeveranstaltern oder Lobbygruppen. Wo findet das boomende Segment Mikromobilität Platz? Wo eine Lobby? An den aktuellen Entwicklungen gründlich vorbei geht allein die vielfach übliche Gleichsetzung von Mikromobilität mit E-Kickscootern, denn der Oberbegriff beinhaltet inzwischen sehr viel mehr.

Kleine Stars auf der IAA Mobility: Microcars, wie der ACM City One – mit Akkus zum Wechseln, Platz für 5 oder 2 Personen plus eine Palette. Ein echtes Multi-Use-Konzept auch für Sharing und Ride-Hailing.

Viele Potenziale im jungen, hochdynamischen Markt

Die Kickscooter-Verleiher gehen mit frischen Investorengeldern in dreistelliger Millionenhöhe mit maximaler Geschwindigkeit voran, erweitern ihre Flotten durch E-Mopeds und setzen verstärkt auch auf Fahrräder und E-Bikes. Bestes Beispiel dafür ist das weltweit operierende Berliner Start-up Tier Mobility, das seine Fahrzeugflotte mit der Übernahme des Bikesharers Nextbike über Nacht auf 250.000 verdoppelt hat. Auch im Verkaufsgeschäft ist die Entwicklung hochdynamisch. In Frankreich wurden zuletzt mehr E-Kickscooter verkauft als E-Bikes und in vielen Ländern gibt es mit hochmodernen Fahrzeugen ein Revival bei E-Mofas, E-Rollern, E-Mopeds und Modellen, die zwischen diesen Kategorien liegen. Revolutionär ist der Stand der Technik, nicht nur was die Akku- und Fahrleistungen angeht, sondern auch mit Blick auf smarte Hightech-Lösungen. So gehören App-Anbindung und IOT (Internet of Things) bei vielen Herstellern inzwischen nicht mehr nur im Premiumsegment zum Standard. Längst nicht ausgemacht ist, wo sich Interessenten einen Überblick über das junge Segment verschaffen können. Hersteller finden sich genauso auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas wie auf der Eurobike in Friedrichshafen, auf der IAA Mobility in München oder der World of eMobility in Amsterdam. Dazu kommen Fachmessen im Bereich Logistik, spezielle Cargobike-Events und -Roadshows, Radlogistik-Konferenzen und, und, und. Nicht ausgemacht ist bislang zudem, wo man diese neuen Mobilitätsformen kaufen und anschließend warten lassen kann. Im Fahrradhandel, in spezialisierten Fachgeschäften, im Elektronikmarkt, im erweiterten Autohandel oder durch mobile Anbieter und Services? Und zuletzt spielt auch der Austausch zwischen Fachleuten, Anspruchsgruppen und Entscheidern eine wichtige Rolle, denn ebenso vielfältig wie die Probleme der Gegenwart und Zukunft sind auch die existierenden, machbaren oder absehbar in den nächsten Jahren kommenden Lösungen.

Neue Konzepte und Öffnung der Veranstalter

Nicht nur bei der früheren Automesse IAA gibt es inzwischen ein Umdenken, auch die internationale Fahrradleitmesse Eurobike setzt nach den Plänen für den neuen Messestandort Frankfurt auf ein erweitertes Konzept: „Thematisch betrachtet wird der Markenkern der Eurobike unverändert bleiben, jedoch werden ihre Inhalte breiter, zeitgemäßer und auch urbaner. Neue Schwerpunkt-Themen, die Treiber für zukünftiges Branchenwachstum sein werden, kommen hinzu“, so die Veranstalter. Zu den geplanten Erweiterungen zählen Themen wie Micromobility, Technologie, Fitness, Gesundheit, Lifestyle, Tourismus, Infrastruktur und Nachhaltigkeit. Eine besondere Rolle soll zukünftig auch in der gesellschaftlich-politischen Komponente (B2G) des Radfahrens liegen, welche integraler Bestandteil der neuen Eurobike wird. „Die Eurobike 2022 wird eine Kombination aus Innovationsschau, Handelsplattform, Festival, Medienereignis und politischer Bühne“, so der langjährige Messechef Stefan Reisinger.

Die micromobility expo bietet ein hochklassiges Konferenzprogramm, unterschiedlichste Aussteller und einen riesigen, teils überdachten Testparcours.

Deutsche Messe Hannover Vorreiter bei Mobilität der Zukunft

Gleich auf zwei Veranstaltungen greift die Deutsche Messe im Mai 2022 das Thema Mobilität der Zukunft auf. „Unsere neue Immobilienmesse Real Estate Arena und die micromobility expo überschneiden sich am 19. Mai 2022 auf dem Messegelände. Das Thema Mobilität der Zukunft baut die inhaltliche Brücke zwischen beiden Veranstaltungen“, so Daniela Stack, Leiterin Neugeschäft bei der Deutschen Messe AG in Hannover. Auf dem Branchentreff für die Real-Estate-Branche im Norden wird die künftige Mobilität aus der Perspektive der Immobilien- und Quartiersentwicklung sowie der Stadtplanung betrachtet. „Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, muss sie eingebettet werden in einen größeren Kontext. Hier sind Stadtplaner, Architekten, Investoren und Kommunen gleichermaßen gefragt“, sagt Projektleiter Hartwig von Saß. „In der Diskussion um die Mobilität der Zukunft führt die Auseinandersetzung Auto gegen Fahrrad gegen Fußgänger nur weiter in die Sackgasse. Die Verkehrswende gelingt nur in der Zusammenarbeit.“ Die Perspektive der technologischen und infrastrukturellen Lösungen soll die Messe micromobility expo einbringen, die nach der erfolgreichen Premiere 2019 und der pandemiebedingten Pause im Mai zum zweiten Mal in Hannover stattfindet. „Gerade in neuen Quartieren, in den Stadtteilen und in den Innenstädten können intelligente Mobilitätskonzepte und der Einsatz von Mikromobilen die Verkehrswende voranbringen“, betont MME-Projektleiter Florian Eisenbach. „Wir wollen mit dem Messe-Doppel Mobilitätsexperten, öffentliche Verwaltung, Projektentwickler und Wissenschaftler nach Hannover holen, die bei der Planung von Mobilität der Zukunft an den Tisch gehören. In der Kooperation der beiden Messen wollen wir die Zukunft interdisziplinär gestalten und die Expertinnen und Experten aus den relevanten Bereichen Lösungen entwickeln lassen.“


„Es geht um die Neuerfindung der Mobilität“

Florian Eisenbach, Projektleiter micromobility expo

Herr Eisenbach, in diesem Jahr ist viel über die Produkte und Ausrichtungen der Messen Eurobike und IAA Mobility diskutiert worden. Wo unterscheiden Sie sich von den anderen?
Der wichtigste Punkt: Die micromobility expo ist systemoffen. Darauf legen wir großen Wert. Wenn wir von Mobilität der Zukunft sprechen, dann müssen wir alles berücksichtigen und mitdenken und uns von den über Jahrzehnte gelernten Kategorien freimachen. Der Kontext wird breiter, das intelligente Zusammenspiel der Fahrkategorien und die komplette Palette der Leichtfahrzeuge wird hochrelevant und kann eine echte Rolle in der Mobilitätswende spielen.

Bei der Premiere 2019 drehten sich viele Gespräche ja noch um die damals neue Kategorie der E-Kickscooter. Was verändert sich 2022?
Durch den Neuigkeitswert haben die Scooter relativ viel Raum eingenommen, aber auch 2019 ging es schon um viele andere Produkte, Dienstleistungen und Lösungsanbieter, zum Beispiel Lastenräder für Business-Anwender, Microcars, E-Mopeds, Sharing-Systeme und allgemein Mobility as a Service. Diese Bereiche werden in diesem Jahr deutlich stärker in den Vordergrund rücken.

Was hat sich in den letzten drei Jahren im Umfeld verändert?
Wir stehen heute vor einer ganz anderen Situation. Experten sind sich sicher, dass Mikromobilität ein Grundpfeiler künftiger nachhaltiger Mobilität sein wird. Und auch in der Gesellschaft und in großen Unternehmen gibt es ein Umdenken: Ein Beispiel ist die Caritas, die auf der Messe explizit nach neuen Mobilitätslösungen für ihre Mitarbeiter*in-nen, unter anderem im mobilen Pflegebereich sucht. Diese müssen klimafreundlich, kostengünstig und flexibel sein.

Auch auf der technischen und finanziellen Seite ist die Dynamik ja extrem hoch.
Wir sehen, dass weltweit viele institutionelle Investoren erhebliche Summen in klimafreundliche Lösungen investieren – auch im Bereich Mobilität. Davon profitieren die Anbieter, und das verleiht neuen Entwicklungen und dem Markt insgesamt einen kräftigen Schub. Die Fahrzeuge haben sich deutlich weiterentwickelt, es gibt neue Ladeinfrastruktur und neue Kooperationen. Wir erwarten über 100 Aussteller und schaffen den Raum für Diskurs und für Netzwerke. So kann man gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten.

Welchen Stellenwert sehen Sie künftig für die Mikromobilität?
Prof. Dr. Stephan Rammler vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und sein Team begleiten das Konferenzprogramm, das dieses Jahr wieder hochkarätig besetzt sein wird. Sein Credo: Vor dem Hintergrund einer dynamisch wachsenden Weltbevölkerung ist es erforderlich, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Effizienz miteinander zu verbinden. Es geht um die Neuerfindung der Mobilität des 21. Jahrhunderts. Hier sehen wir uns als die eigentliche Zukunftsmesse.

Eine Neuerfindung der Mobilität würde ja auch viele Umbrüche bedeuten. Warum sollten Unternehmen und Kommunen zur Messe kommen?
Der erste Grund: Die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen um die Mobilität von morgen werfen Fragen auf, die micromobility expo liefert Antworten und führt Industrie, Politik und Anwender zusammen. Unser Anspruch ist, die zentrale Anlaufstelle für Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch zu sein. Bei unserem Call for Speakers haben wir Rückmeldungen nicht nur von Mobilitätsexperten, sondern unter anderem auch von Stadtplanern und universitären Einrichtungen und zu den Themen Stadt-Land-Entwicklung, Sicherheit und New Work bekommen. Das sind alles wichtige und hoch spannende Themen. Der zweite Grund ist, dass wir auf dem großen und teilweise überdachten Freigelände eine hervorragende Möglichkeit bieten, die unterschiedlichsten Produkte zu testen. Unsere Erfahrung ist, dass persönlicher Austausch, eigene Eindrücke und Networking enorm wichtig sind. Wir werden einen Teil der Veranstaltung streamen, aber das ist nur eine Ergänzung.



Über die micromobility expo 2022

Die micromobility expo richtet sich an Kommunen und Städte, Stadtplanungsämter, Verkehrsämter sowie Politik. Zudem werden Einkäufer, Händler, Logistikunternehmen, Flottenmanager, Bahnhofsmanager, Werkstätten, Pflegedienste und Endverbraucher angesprochen.
Die Messe gliedert sich in drei Themenbereiche: Mikromobile, Mobilitätsinfrastrukturen und Mobilitätsdienstleistungen. Das Konzept aus Forum, Ausstellung und Parcours bietet ein breites Erlebnisspektrum. Im Forum diskutieren Experten und Anwender aus Industrie, Verwaltung und Politik über Innovationen, Best-Practice-Beispiele und Lösungsansätze. Auf einem großen Parcours im Freigelände und in den Pavillons können Fachbesucher und Endverbraucher unterschiedliche Mikromobile testen.

Messegelände Hannover, 19. – 21. Mai 2022; 19./20. nur für Fachpublikum micromobilityexpo.de


Bilder: Deutsche Messe / micromobility expo, Reiner Kolberg, Deutsche Messe

Das Verkehrsministerium geht überraschend an die FDP. Wie stehen die Chancen für eine Verkehrswende mit den Liberalen? Bislang hatte sich weder die FDP selbst noch eine(r) ihrer Kandidat*innen nach allgemeiner Einschätzung in diesem Bereich ein besonderes Renommee aufgebaut. Aber vielleicht werden die Möglichkeiten und Perspektiven für Veränderungen, die sich mit der neuen Situation ergeben, ja auch unterschätzt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Ein Bild, das durch alle Medien ging: das gemeinsame Selfie nach dem ersten Spitzengespräch zwischen FDP und Grünen. Mit Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck.

Nicht einmal eine Woche vor der Präsentation des Koalitionsvertrags und der Verteilung der Ministerien habe ich mit Stefan Gelbhaar, MdB und Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr bei Bündnis 90/Die Grünen, ein Interview geführt. Alles deutete zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass das Verkehrsministerium künftig zum Ressort der Grünen werden würde. Tage vor der Vorstellung kursierten sogar vollständige Listen mit Posten von Ministerinnen und Staatssekretärinnen. Und dann am 24.11., 15.00 Uhr völlig überraschend die Nachricht: Das Verkehrsministerium geht an die FDP. Wir gehörten sicher nicht zu den Einzigen, die bereits ein Bild gezeichnet hatten von den Kompetenzen und dem politischen und persönlichen Werdegang der Kandidaten Anton Hofreiter und Cem Özdemir, denn auf einen von ihnen, so die Meinung einer großen Mehrheit, würde es ganz sicher hinauslaufen als neuer Verkehrsminister. Und jetzt?

Erster Eindruck: große Ernüchterung – nicht nur bei den Grünen

„Die Verkehrswende ist nach der Energiewende mit das wichtigste Projekt, das wir aktuell haben und um das wir uns kompetent und sehr intensiv kümmern müssen“, so Stefan Gelbhaar im Interview. Tatsächlich haben die Grünen hier in der Vergangenheit unter anderem mit Symposien und Fachkongressen einiges getan, um Kompetenz und Glaubwürdigkeit aufzubauen. Auch personell schienen sie hier sehr gut aufgestellt: Der gebürtige Münchner Anton „Toni“ Hofreiter war beispielsweise von 2011 bis 2013 Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Verkehrspolitik war, nach eigener Aussage, für ihn immer eines der Lieblingsfelder. Mindestens ebenso viel Kompetenz und dazu nach Umfragen ein hohes Ansehen bei Fachleuten und in der Bevölkerung hätte der zweite Kandidat Cem Özdemir aus Bad Urach bei Reutlingen mitgebracht. Der „anatolische Schwabe“ war bislang Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale In-frastruktur, ist bodenständig und bestens vernetzt und dazu ein bekennender und praktizierender Fahrradfan: „Das Fahrrad ist ein Gewinnertyp und gehört in die Bundesliga der Politik.“ In einem Interview mit dem ADFC skizzierte er einige zentrale Herausforderungen: „Wir sind in puncto Fahrradwegen in Deutschland Entwicklungsland.“ Der Anteil fürs Fahrrad im Etat des Verkehrsministeriums liege bisher bei unter einem Prozent. Die Kommunen bräuchten beispielsweise die Freiheit, unbürokratisch Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen einrichten zu können.
Auch wenn die Koalitionsvereinbarung weitgehend Zustimmung findet, sorgt die Tatsache, dass das Bundesministerium für Verkehr und Digitales nicht an die Grünen gegangen ist, bei vielen Fahrradinteressierten erst einmal für Unverständnis und Frustration. Deutliche Worte fand zum Beispiel der Grüne Landtagsabgeordnete Arndt Klocke, der sich in Nordrhein-Westfalen für ein Fahrradgesetz starkgemacht hat, auf Twitter: „Mein fachlicher Eindruck: Im Koalitionsvertrag sind die Bereiche Verkehr und Wohnen inhaltlich für Grün tragfähig. Natürlich müssen aus Worten im Vertrag jetzt politische Taten werden. Bedauerlich bis ärgerlich ist, dass das Verkehrsministerium nicht grün besetzt wird.“ Nach Medienberichten, unter anderem im Spiegel, stößt die Entscheidung unter etlichen Experten auf Unverständnis. Andererseits wird in der Presse auch berichtet, dass die Sozialdemokraten aus industriepolitischen Gründen ein Grünes Verkehrsministerium unbedingt verhindern wollten und deswegen die Bemühungen der FDP unterstützten, das Ressort zu erhalten.

„Das Fahrrad

gehört in die

Bundesliga der Politik“

Cem Özdemir, Grüne

Passen FDP und Verkehrsministerium zusammen?

Auf den ersten Blick ergeben sich mit Blick auf die immer wieder angemahnte Notwendigkeit einer Mobilitäts- oder Verkehrswende sicher Zweifel, ob die FDP und Volker Wissing hier eine optimale gute Lösung sind. Auf den zweiten Blick lassen sich aber auch gute Argumente und neue Optionen erkennen:

Punkt 1: mehr Freiheit, weniger zusätzliche Belastungen.

Durch die Pandemie ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zuletzt deutlich gesunken. Viele Menschen sind zudem sichtbar und nachvollziehbar verbotsmüde geworden. Hier kann die FDP, die als Markenkern auf individuelle Freiheitsrechte und weniger Staat pocht, in der aktuellen Situation viele Menschen wahrscheinlich besser mitnehmen als die Grünen, die den Staat im Bereich Verkehr in einer eher paternalistischen Rolle sehen, zum Beispiel mit flächendeckenden Tempobeschränkungen oder Dieselfahrverboten. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und galoppierender Energiepreise sind auch zusätzliche Belastungen momentan eher schwierig zu vermitteln. Ein Versprechen für tatsächliche Umbrüche in der Mobilität liegt, genau betrachtet, aber durchaus in der vielfach von der FDP beschworenen freien Wahl der Verkehrsmittel. Denn de facto können Bürger oftmals gar nicht frei wählen, da das Auto entweder alternativlos ist oder Alternativen wie Radfahren oder ÖV-Nutzung zumindest gefühlt zu unpraktisch, zu teuer oder zu gefährlich sind.

„Es sind enorme Veränderungsprozesse nötig.“

Volker Wissing, FDP
Punkt 2: mehr Eigenverantwortung.

Die FDP könnte zum Beispiel für die Städte und Kommunen mehr Gestaltungsräume eröffnen, was der parteiunabhängige Deutsche Städtetag schon seit Langem (vergeblich) fordert. Unter anderem bei der Einrichtung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, bei der Verkehrslenkung, der Parkraumbewirtschaftung oder der Freigabe von Radspuren für schnelle E-Bikes. Das wäre sicher im Sinne des von den Liberalen schon immer vertretenen Subsidiaritätsprinzips. Das besagt, dass eine höhere staatliche Institution nur dann regulativ eingreifen sollte, wenn die Möglichkeiten des Einzelnen, einer kleineren Gruppe oder niedrigeren Hierarchie-Ebene allein nicht ausreichen, eine bestimmte Aufgabe zu lösen. „Wir wollen den Verkehr in den Städten effizienter, klimaschonender und sicherer machen. Dafür brauchen wir aber vor Ort mehr Entscheidungsspielräume“, forderte Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages, nochmals im Juni dieses Jahres zum Thema Tempo 30. Die Kommunen könnten am besten entscheiden, welche Geschwindigkeiten in welchen Straßen angemessen seien.

Punkt 3: Transformation von Wirtschaft und Mobilität.

„Mobilität ist für uns ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen“, so heißt es im Koalitionsvertrag. Unter Experten ist klar, dass eine Verkehrswende immer auch die Belange der Wirtschaft und der Automobilwirtschaft im Blick haben muss. Traut man das der wirtschaftsnahen FDP zu? Ja. Und traut man ihr auch die, ebenfalls im Koalitionspapier vereinbarte Transformation zu? Im Koalitionspapier zumindest sind die Ziele gesteckt. Hier heißt es „Wir wollen die 2020er-Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen.“

Punkt 4: neue Technologien und Digitalisierung.

Erstaunlich konkret wird der Koalitionsvertrag beim Thema Digitalisierung, ebenfalls eins der Kernthemen der FDP und als zweiter Schwerpunkt im Ministerium angesiedelt. „Für eine nahtlose Mobilität verpflichten wir Verkehrsunternehmen und Mobilitätsanbieter, ihre Echtzeitdaten unter fairen Bedingungen bereitzustellen“, heißt es dort zum Beispiel. „Anbieterübergreifende digitale Buchung und Bezahlung wollen wir ermöglichen. Den Datenraum Mobilität entwickeln wir weiter.“ Und im Folgenden: „Digitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing werden wir unterstützen und in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehre einbeziehen.“ Im Bahnverkehr soll „die Digitalisierung von Fahrzeugen und Strecken prioritär“ vorangetrieben werden. Kaum jemand wird bestreiten, dass digitale Systeme und Mobility as a Service Kernpunkte der künftigen Mobilität sind und Deutschland beim Thema Digitalisierung Nachholbedarf hat.

Punkt5: Abstimmungsbedarf mit Grünem „Superministerium“.

Fraglich bleibt ersten Einschätzungen nach, ob die von vielen als übergroß wahrgenommene Nähe zur Automobilindustrie so aufrechterhalten wird und ob der FDP-Minister nicht andere Prioritäten setzt – zum Beispiel im Bereich Digitalisierung. Dazu kommt die Frage, wie frei das Verkehrsministerium agieren kann mit den anspruchsvollen Vorgaben aus Brüssel und dem neu geschaffenen „Superministerium“ für Wirtschaft und Klima am Kabinettstisch, das von Robert Habeck geführt werden soll. Es soll zwar nur ein abgeschwächtes Vetorecht des Ministeriums geben, nicht zu unterschätzen sind aber die Berichtspflichten für den Verkehrssektor. Damit steht zu vermuten, dass banale Erklärungen wie „die Klimaziele sind nicht erreicht worden, weil der Verkehr insgesamt zugenommen hat“ künftig nicht mehr ausreichen werden und stattdessen ernsthaft an Alternativen und der dringend benötigten klimaneutralen Transformation im Automobil- und Verkehrssektor gearbeitet wird. Wie sich die neuen Ministerien im Einzelnen und die Regierung insgesamt positionieren, bleibt also noch abzuwarten.


„Die Ampelkoalition muss sich unterscheiden“

Interview: Stefan Gelbhaar MdB, Verkehrspolitiker bei Bündnis 90/Die Grünen und ehemaliger Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr

Herr Gelbhaar, kommt es mit der Ampelkoalition zu einer Mobilitätswende?
Eins ist klar: Die Ampelkoalition muss sich unterscheiden. Darin waren wir uns in den Koalitionsgesprächen alle einig. Und wir alle sehen die Probleme und Herausforderungen. Die Verkehrswende ist nach der Energiewende mit das wichtigste Projekt, um das wir uns kompetent und intensiv kümmern müssen. Das ist nun mit dem FDP-Verkehrsministerium in beständiger Zusammenarbeit nach vorne zu entwickeln. Einfach wird das mit so unterschiedlichen Partnern natürlich nicht – aber dass es einfach wird, hat ja auch niemand gedacht.

Inwiefern wird es Unterschiede geben zur alten Bundesregierung?
Die Ziele, die sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren gesetzt hat, sind nicht ansatzweise erfüllt worden. Wir haben, je nachdem, wie wir es interpretieren wollen, die letzten vier, acht oder zwölf Jahre verschenkt. Das betrifft auch, aber nicht nur den Bereich Verkehr. Es ist in den Gesprächen klar geworden, dass es nicht ausreicht, nur hier und da einen Akzent zu setzen.

Welche konkreten Ziele sehen Sie mit der Ampelkoalition in Reichweite?
Im Bereich Verkehrssicherheit sind wir beispielsweise nah beieinander, was die Zielbeschreibung Vision Zero angeht. In der Vergangenheit haben sich die Hersteller erfolgreich um die Insassensicherheit in Fahrzeugen gekümmert. Vernachlässigt wurde allerdings die Umfeldsicherheit. Da gibt es ganz viele Ansatzpunkte auf der Bundes-, aber auch auf der EU-Ebene. Was die Sicherheit angeht, ist die EU ja normalerweise Treiber. Bei Technologien wie Lkw-Abbiegeassistenten kann und sollte die Bundesregierung – auch in der EU – mehr Druck machen.

Wo sehen Sie allgemeine Schwerpunkte in der Verkehrspolitik?
Viele Punkte finden sich im Koalitionspapier. Ein wichtiges Feld, das zu bearbeiten ist, ist neben der Verkehrssicherheit und der Antriebswende die Vernetzung der Mobilität. Bei der geteilten Mobilität etwa besteht die gemeinsame Einschätzung: Das ist ein großer Baustein der künftigen Mobilität. Die Zeit ist reif, die vorhandenen Angebote viel stärker zu vernetzen. Wir müssen uns generell fragen: Was haben wir schon? Was können wir wie besser nutzen?

Was braucht es konkret?
Wir brauchen bessere rechtliche Regelungen, Zuschüsse, mehr Personal, mehr Forschungsgelder und mehr Freiheiten für die Kommunen. Wir müssen ran an das Verkehrsrecht und den Bußgeldkatalog, und wir brauchen Forschungsgelder, nicht nur, wie in der Vergangenheit, für die Belange des Autos, sondern beispielsweise auch beim ÖPNV und im Bereich Mikromobilität. Natürlich brauchen wir auch mehr Radinfrastruktur, zum Beispiel entlang von Bundesstraßen, und eigenständige Radnetze. Und ganz wichtig: Wir müssen die Kommunen befreien und empowern.

Wo liegen die Herausforderungen in den Kommunen?
Alle sind sich beispielsweise über die Probleme im Klaren mit dem zunehmenden Wirtschaftsverkehr im städtischen Raum. Dazu kommt, dass wir auch die Infrastruktur schnell anpassen müssen, wenn wir mehr Radverkehr wollen. Der Bund kann beispielsweise bei der Finanzierung von Fahrradbrücken, Radparkhäusern oder beim Aufbau von zentralisiertem Know-how helfen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Förderung und der Kompetenzaufbau bei der DB für Fahrradparkhäuser an Bahnhöfen.

Wie stehen Sie als Berliner zur Zunahme der E-Kickscooter in der Stadt?
Ich denke, E-Scooter sind in der Mobilität eine gute Ergänzung, und oft habe ich das Gefühl, dass die Debatte schief ist. Wir empfinden über 1,2 Millionen zugelassene Pkw in Berlin als normal, einige Tausend E-Scooter sind dagegen ein Aufreger. Was wir aus meiner Sicht aber brauchen, ist eine gute Evaluation, aus der wir dann gezielt Maßnahmen ableiten können.

Welche Aufgaben sehen Sie in der Bundespolitik über das Verkehrsministerium hinaus?
Wir sehen aktuell beispielsweise die Versorgungsengpässe der Fahrradindus-trie. Hier könnte es eine Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sein, dabei zu helfen, Teile der Produktion wieder nach Deutschland oder in die EU zu holen. Auch das betriebliche Mobilitätsmanagement und das Thema Mobilitätsbudget gehören mit auf die bundespolitische Agenda. Umweltfreundliche Mobilität sollte beispielsweise nicht länger steuerlich benachteiligt werden.

Was sagen Sie Kritikern, denen es nicht schnell genug geht?
Wir haben die Wahl nicht mit 51% gewonnen. Deshalb geht es darum, immer wieder Wege und auch zufriedenstellende Kompromisse mit den Ampelpartnern zu finden. Das gehört mit zur Wirklichkeit und es ist klar, dass wir da auch einen seriösen Umgang mit Konflikten finden. Mit zur Wirklichkeit gehört aber genauso: Mobilität ist nicht statisch. Das Thema ist schon aus Klimasicht enorm wichtig. Wir sind in der Pflicht. Paris, die 1,5-Grad-Grenze gelten für diese Ampelkoalition, das müssen wir gestalten – und wir werden den künftigen Verkehrsminister dabei unterstützen, den Pfad zum Klimaschutz seriös und zügig zu beschreiten.


Volker Wissing bezieht Stellung in Interview

In einem ersten Interview mit dem Fernsehsender Phoenix im Anschluss an die Vorstellung des Koalitionspapiers, das er als Generalsekretär der FDP wesentlich mit verhandelte, hat der designierte neue Bundesverkehrsminister Volker Wissing Stellung bezogen und erste Schwerpunkte gesetzt. Deutschland stehe im Bereich der Mobilität in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. „Es sind enorme Veränderungsprozesse nötig. So wie es ist, kann es nicht bleiben“, erklärte Wissing im Fernsehsender. Es gehe künftig darum, die Balance zu wahren zwischen einer Klimaneutralität bei der Mobilität und den Bedürfnissen derjenigen, die auch künftig auf das Auto angewiesen seien. Gleichzeitig müsse man „den Bahnverkehr besser vertakten, wir brauchen einen Deutschland-Takt, und wir müssen gleichzeitig eine Ladesäulen-Infrastruktur aufbauen, die es jedem ermöglicht, mit Elektromobilität auch größere Strecken zurückzulegen“, so Wissing. Auch müsse die neue Koalition eine Antwort auf die Frage finden, wie die Menschen im ländlichen Raum mobil bleiben könnten. „Politik ist ein Inklusionsauftrag. Wir müssen jeder und jedem ein Angebot machen“, ist der FDP-Politiker überzeugt. Die neue Ampelkoalition werde das Land modernisieren und besitze den Mut, diese große Aufgabe auch anzugehen. „Wir werden das nicht so machen, dass wir die Menschen überfordern, aber wir werden es in dem Maße tun, wie es das Land braucht“, so Wissing. Es gelte, die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren und sowohl Arbeitsplätze wie auch die Zukunft der jungen Generation zu sichern.

Über Volker Wissing

Stand Redaktionsschluss ist der FDP-Generalsekretär Volker Wissing designierter Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Der gebürtige Rheinland-Pfälzer bringt seit 2016 Ampel-Erfahrung aus seinem Heimatbundesland mit und gilt als einer der zentralen Architekten der Koalition.
Medienberichten zufolge hat er im rot-gelb-grünen Kabinett bis Mai dieses Jahres einen respektablen Landesminister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie stellvertretenden Ministerpräsidenten abgegeben. Auf den ersten Blick deutlich spröder als sein Vorgänger Andreas Scheuer gilt der Vollblutjurist, der unter anderem als Richter am Landgericht Landau tätig war, als guter Redner, inhaltlich qualifiziert und in Unternehmerkreisen geschätzt. In ersten Äußerungen war ihm anzumerken, dass das BMVI nicht sein Wunschministerium ist. Seine Aufgabe sieht er nach eigenen Aussagen darin, das Land insgesamt wieder nach vorne zu bringen. Auf deutlichen Widerspruch stießen seine kürzlich gegenüber der Bild-Zeitung getätigten Aussagen, höhere Energiesteuern auf Dieselkraftstoffe durch geringere Kfz-Steuern auszugleichen.


Bilder: stock.adobe.com – monika pinter/EyeEm, Sedat Mehder, Stefan Kaminski, Volker Wissing

Mit dem Cargoline FS 800 stellt Kettler Alu Rad ein modular aufgebautes Lastenrad vor, das kaum einen Wunsch offen lassen möchte. So ist das elektrisch unterstützte Cargobike für den sicheren Kinder- und Las-tentransport einsetzbar. Mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 250 kg können Einkäufe, Getränkekästen, Kinder etc. mühelos befördert werden. Trotz der hohen Lasten verhält es sich laufruhig und wendig und ist damit stabil und sicher. Dafür ist unter anderem das moderne Lenksystem der ELIAN-Nabe in Verbindung mit einem Federelement unterhalb der Ladefläche verantwortlich. Das Cockpit kann zudem für Fahrerinnen und Fahrer mit einer Körpergröße von 1,60 bis 2,10 m per Schnellspanner angepasst werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Orientierung an modernen Verkehrskonzepten

Mit seiner Vielfalt will sich das das Cargoline FS 800 als Alternative zum Automobil etablieren und insbesondere in den Städten eine attraktive Form der Mobilität vorstellen. Dass das Bike bereits viele Menschen überzeugt hat, zeigt sich auch an der Auszeichnung mit dem Red Dot Award, bei dem Funktionalität, Innovationsgrad und Langlebigkeit prämiert wurden, oder dem Eurobike Award in Gold.
Technisch fährt das Bike mit dem Bosch-Motor Cargo Line Cruiser vor und wird von einem 625-Wh-Powertube-Akku mit Energie versorgt (erweiterbar auf 1250 Wh). Neben der Kettenschaltungsvariante gibt es noch eine Version mit Enviolo-Schaltung und eine mit Gates-Riemenantrieb. Gebremst wird mit hydraulischen Scheibenbremsen.


Bilder: Kettler

Logistikexperten erproben neue Lösungen zur Lieferung in Stadtzentren. Ein vielversprechender Ansatz ist die Nutzung von Straßenbahnen als Cargotram in Kombination mit innovativen Lastenrädern und Wechselcontainern. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. 2050 sollen etwa 68 Prozent der Weltbevölkerung in den Zentren leben. Mit ihrer Zahl wächst auch der tägliche Bedarf an Gütern und Lebensmitteln. Verkehrsplaner und Logistikexperten suchen deshalb nach Alternativen und Ergänzungen zu den bestehenden Zustellkonzepten. Eine davon ist die Güter- bzw. Cargotram. Sie fungiert in den Innenstädten als Bindeglied zwischen Lkw und E-Cargo-bike. In Hessen und Baden-Württemberg gab und gibt es dazu bereits verschiedene Pilotprojekte. Das wichtigste Ergebnis: Die Kombination aus Lkw, Tram und Schwerlast-Cargobikes ist günstiger als die Zustellung per Sprinter und reduziert zudem die Emissionen. Im Frühjahr haben das unter anderem der spezialisierte Berliner Cargobike-Hersteller Onomotion und die Frankfurter University of Applied Science zusammen mit einer Gruppe von Logistikexperten in einem Whitepaper gezeigt.

bis 80 %

in Frankfurt am Main könnten 60 bis 80 Prozent
der innerstädtischen Lieferungen mit einer
dreistufigen Lieferkette und Cargotrams zugestellt werden.

Große Potenziale für das dreistufige Konzept

„60 bis 80 Prozent der innerstädtischen Lieferung könnten in Frankfurt am Main mit dieser dreistufigen Lieferkette zugestellt werden“, sagt Dr. Kai-Oliver Schocke. Er ist Professor im Forschungslabor für Urbane Logistik an der Frankfurt University of Applied Sciences und Mitherausgeber des Whitepapers „Intermodale Logistikkette im urbanen Raum. Wie der Einsatz standardisierter Container die letzte Meile optimiert“. Prof. Schocke ist auf diesem Gebiet einer der Vordenker in Deutschland. Bereits 2019 hat er im Rahmen eines Pilotprojekts mit Hermes die Zustellung von Paketen im Stadtzentrum per Logistiktram und Cargobike getestet.
Auf den ersten Blick wirkt der Einsatz von Straßenbahnen für den Warentransport fast wie ein Revival. Lange Zeit war es selbstverständlich, Post und Güter über die Schiene in die Zentren zu bringen. In Hannover, Stuttgart und Wuppertal wurden bis in die 1960er-Jahre Kohle, Lebensmittel und andere Produkte auf diesem Weg in die Innenstadt transportiert. Anfang des 21. Jahrhunderts hat der Autohersteller Volkswagen in Dresden sogar eine eigene Gütertram gebaut, um seine „gläserne Manufaktur“ mit Fahrzeugteilen zu beliefern. Die klimafreundliche Zustellung war damals die Voraussetzung für die Ansiedlung des Werks mitten im Stadtzentrum. Als die Produktion vor ein paar Jahren umgestellt wurde, war die Tram nicht mehr ausgelastet und sie wurde Ende 2020 eingestellt.

„Wir brauchen eine neue City-Logistik. Die Städte müssen jetzt aktiv werden und die Güterstraßenbahnen aufs Gleis setzen.“

Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke, Frankfurt University of Applied Sciences

Grundlage: Standardcontainer für Citylogistik

Damit die Verbindung reibungslos funktioniert, müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Entscheidend ist der Einsatz standardisierter Behälter. „Die Ono-Container haben Europaletten-Breite“, sagt Schocke. Diese Standardisierung des Behälters, seine Witterungsbeständigkeit und die Rollen am Boden machen den schnellen Wechsel vom Lkw in die Tram und dann aufs Lastenrad überhaupt erst möglich.
„Die Containerisierung der City-Logistik startet jetzt“, sagt der Professor. In der Praxis sieht die dreistufige Lieferkette so aus: Die vorkommissionierten Container werden per Lastwagen vom Depot am Stadtrand zur Endhaltestelle der Straßenbahn gebracht. Dort verstaut ein Servicemitarbeiter die rund 23 Container in der Tram. Dafür hat er etwa 15 Minuten Zeit. Anschließend begleitet er die Gütertram auf ihrer Fahrt durch die Stadt und entlädt einzelne Container an den Haltestellen im Zustellgebiet. „Das dauert maximal drei Minuten“, sagt Schocke. Damit der straffe Zeitplan eingehalten werden kann, müssen die Haltestellen barrierefrei ausgebaut sein. An den einzelnen Stationen nehmen die Cargobike-Fahrerinnen die Container in Empfang oder sie werden in sogenannten Mikrodepots zwischengelagert. Das können Lagerräume sein oder abschließbare Gitterboxen, wie man sie von Flughäfen kennt. Von dort schwärmen die Fahrerinnen aus und verteilen die Waren in einem Radius von etwa zwei Kilometern.

In Dresden versorgte bis Ende 2020 die „CarGoTram“ die Volkswagen-eigene „gläsernen Manufaktur“ mit Fahrzeugteilen – eine Grundvoraussetzung für die Ansiedlung des Werks im Stadtzentrum.

Bahnumbau rentiert sich

Der größte Kostenfaktor in dem Konzept ist die verwendete Gütertram. „Sie muss nicht neu sein“, betont Schocke. So könnten beispielsweise ausrangierte Personenwaggons für den Warentransport umgebaut werden. Damit die Container zügig ein- und ausgeladen werden können, brauchen die Waggons breitere Türen, mehr Deckenhöhe, Führungsschienen am Boden, eine neue Beleuchtung und Laderampen an jeder Tür. Laut den Macher*innen des Whitepapers kostet der Umbau zu einer Gütertram rund zwei Millionen Euro.
Die Anschubfinanzierung scheint auf den ersten Blick hoch. Aber Martin Jambor, New Mobility Experte von Porsche Consulting, und Vertreter der Hörmann Gruppe, die unter anderem Lebenszyklen-Analysen für Schienen- und Straßenfahrzeuge erstellen, kommen zu dem Schluss, dass sich der Umbau lohnt. Sie haben die Kosten für das tägliche Paketaufkommen in Frankfurt am Main berechnet und festgestellt: Die Zustellung in dem hybriden System aus Lkw, Tram und Ono PAT (Pedal Assisted Transporter) ist um zehn Prozent günstiger als die traditionelle Zustellung per Sprinter.

Hohe Potenziale

14.500 Pakete werden momentan laut Martin Jambor täglich mit 121 Lkw in der Innenstadt der Mainmetropole ausgeliefert. Pro Kubikmeter Ladung fallen dabei Kosten von 30,59 Euro an. Seinen Berechnungen zufolge könnten rund 80 Prozent, also 11.600 Pakete, mit dem neuen dreistufigen System zugestellt werden. Dafür benötige Frankfurt zwei Gütertrams am Tag, zwei Lastwagen, 84 Cargobikes und diverse Mikrodepots. Bei diesem Modell kommen die Experten auf Gesamtkosten von 27,62 Euro pro Kubikmeter. Außerdem produziert dieses Konzept nur 1,1 Tonnen Kohlendioxid, die Sprinter-Lösung dagegen 3,1 Tonnen. Das entspricht Einsparungen von 64 Prozent. Nur noch 20 Prozent oder rund 2.900 Lieferungen müssten dann aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts überhaupt noch auf dem traditionellen Weg zugestellt werden.

„Die Containerisierung der

City-Logistik startet jetzt!“

Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke, Frankfurt University of Applied Sciences

Effizient mit neuester Cargobike-Technik

In dem Whitepaper verwenden die Zustellerinnen für die letzte Meile das elektrische Schwerlast-Cargobike von Onomotion. Mit einem Pedelec hat das Fahrzeug auf den ersten Blick nicht mehr viel zu tun. Mit seiner Höhe von 2,05 Meter und 3,4 Meter Länge ist es ein Riese unter den Cargobikes. Seine Entwickler nennen es auch nicht mehr Lastenrad, sondern Pedal Assisted Transporter (PAT) oder in der Kurzversion: Ono PAT. Das Besondere an dem Fahrzeug ist die hohe Fahrerkabine und der schnell wechselbare Container. „Der abnehmbare Container hat ein Volumen von zwei Kubikmeter“, sagt Beres Seelbach, Mitgründer von Onomotion. Nach Pilotprojekten mit Hermes und Liefery sind jetzt rund 50 Ono PAT in Berlin, Hamburg, Leipzig, Neuss, München und Magdeburg unterwegs. Trotz seiner Größe darf das 1,16 Meter breite Lastenrad noch auf dem Radweg fahren. Das verschafft ihm den entscheidenden Vorteil gegenüber den aktuellen Diesel-Sprintern. „Es kann viel näher an die Lieferadressen fahren, dadurch werden die Wege für die Boten kleiner“, sagt Seelbach. Das erleichtert den Zustellerinnen ihre Arbeit immens. „Die Fahrer laufen jeden Tag einen Halbmarathon, um die Pakete auszuliefern“, sagt Schocke. Aber nicht nur das. Auch die Rahmenbedingungen für ihren Arbeitsalltag verschlechtern sich. „In Hessen sind die Städte zunehmend von Diesel-Fahrverboten betroffen“, sagt Schocke. Auch die Bußgelder für das Falschparken wurden im November angehoben. Gleichzeitig wächst der Online-Handel und damit das Paketaufkommen. Von Logistik-Anbietern hört er immer wieder, ihre Fahrer stünden ständig im Stau. Um ihre Liefertermine überhaupt noch einhalten zu können, setzen sie doppelt so viele Fahrzeuge ein, wie noch vor ein paar Jahren. „Die Transporter stehen dann aber 80 Prozent der Zeit herum, während die Fahrer weite Strecken laufen“, sagt Schocke.

Baustein einer effizienten, umweltfreundlichen und stadtverträglichen Lösung: Nur 1,16 Meter schmal ist der Ono-Transporter, der mit Wechselcontainern arbeitet.

Innovative Städte gesucht

Der Professor ist sich sicher: „Wir brauchen eine neue City-Logistik. Die Städte müssen jetzt aktiv werden und die Güterstraßenbahnen aufs Gleis setzen.“ Mit seinem Team sucht er momentan nach interessierten Kommunen, die ihr Konzept testen. Mit Darmstadt und Frankfurt ist er bereits im Gespräch. Die Rahmenbedingungen dafür sind momentan günstig. Das Bundesverkehrsministerium aber auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördern klimaneutrale Logistikprojekte.
In Baden-Württemberg unterstützen das BMWi und das Land Baden-Württemberg beispielsweise das Verbundprojekt „regioKArgo“. Es ist im März 2021 gestartet und geht noch einen Schritt weiter als Schocke und sein Team. Die Teilnehmenden von regioKArgo wollen in Karlsruhe und im Umland Waren und Lebensmittel per Tram zum Kunden bringen. Das Einzugsgebiet ist riesig und reicht von Karlsruhe sternförmig ins Umland. Dabei sind Distanzen bis ins 90 Kilometer entfernte Heilbronn möglich. Das funktioniert, weil sich Straßen- und Eisenbahn seit über 30 Jahren in der Region ein Schienennetz teilen. Unter dem Dach „regioKArgo“ befinden sich verschiedene Teilprojekte. Noch haben nicht alle Projekte eine Förderung erhalten. Das Land Baden-Württemberg finanziert das Herzstück des Projekts: den Bau des Gütertram-Prototyps durch die Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK). Sie wollen Personen und Güter gemeinsam transportieren. 100 Fahrzeuge, die sonst ausschließlich Personen befördern, könnten künftig zur Hälfte Güter und zur Hälfte Personen transportieren, sagt VBK-Sprecher Michael Krauth. Die Güter-trams sollen außerhalb der Stoßzeiten unterwegs sein. Das Interesse bei Einzelhändlern, Supermärkten, aber auch großen Unternehmen wie Papierherstellern für Alternativen zur Straße sei groß, sagt Krauth.


Über Onomotion

Das 2017 gestartete Unternehmen Onomotion hat es sich zum Ziel gesetzt, die urbane Mobilität zu verändern. Die Gründer Beres Seelbach (CEO), Murat Günak (CDO) und Philipp Kahle (CTO) haben zusammen über dreißig Jahre Erfahrung im Bereich der Elektromobilität. Beres gründete sein erstes Unternehmen für E-Mobilitätslösungen, Lautlos, mit 24 Jahren.
Murat ist ehemaliger Designchef von Volkswagen und Mercedes-Benz und war 2010 Mitbegründer des Elektro-autoherstellers Mia Electric. Philipp ist Experte für Leicht-Elektrofahrzeuge und hat unter anderem Erfahrung in der Entwicklung von Ladeinfrastrukturen bei GreenPack Mobile Energy Solutions. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin hat derzeit über dreißig Mitarbeiter. Ono PAT befinden sich seit Oktober 2020 im Einsatz, unter anderem bei Hermes, DPD, beim E-Kick-scooter-Sharer Tier und bei Mailboxes.



Whitepaper „Intermodale Logistikkette im urbanen Raum“

Die Frage, wie der Einsatz standardisierter Container auf der „letzten Meile“ funktioniert, stand im Mittelpunkt der Untersuchung einer Fachgruppe auf Initiative der Berliner Onomotion GmbH. Erstellt wurde das Whitepaper vom Research Lab for Urban Transport der Frankfurter University of Applied Sciences, dem Logistikanbieter Hermes, der „Porsche Consulting“, der „Wissens- und Innovationsgemeinschaft EIT“, der EU-Gesellschaft InnoEnergy, die Start-ups finanziell unterstützt, sowie der „Hörmann Gruppe“, einem Fahrzeugspezialisten, der unter anderem Lebenszyklen-Analysen erstellt, und der EurA, einer AG für Innovations- und Fördermittelberatung. Die unterschiedlichen Fachgruppen zeigen, wie vielschichtig das Thema City-Logistik betrachtet werden muss.


Bilder: Hörmann Group, Prof. Kai-Oliver Schocke, Onomotion, Qimby.net, U. Wolf, FRA-UAS, Onomotion – Janine Graubaum

Bürger*innen in Deutschland greifen zu Farbe und Pinsel und malen sich Verkehrswege einfach selbst. Damit machen sie ihrer Frustration über die Verkehrsplanung Luft – und ernten gemischte Reaktionen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Eine dicke weiße Linie schlängelt sich die Landstraße zwischen zwei Ortsteilen der brandenburgischen Stadt Kyritz entlang. Neben der zwei Kilometer langen Linie lassen schemenhaft gezeichnete Fahrräder und Fußgänger erahnen, was hier passiert ist. Unbekannte hatten im August dieses Jahres den zwei Verkehrsspuren über Nacht eine dritte abgerungen. Bestehen blieb sie nicht. Hohe mediale Wellen hat sie dennoch geschlagen, berichtet Harald Backhaus. Er ist Ortsvorsteher des Ortsteils Berlitt, den die Unbekannten mithilfe der improvisierten Markierungsarbeiten mit Rehfeld verbinden wollten.

Medial kommen die Malaktionen gut an. Auch bei Satiriker Jan Böhmermann. Der spottete auf Twitter über einen Artikel zum Radstreifen in Kyritz, der eine Polizei-Sprecherin zitierte, dass man zum Motiv der Verursacher noch gar nichts sagen könne. „WAS NUR könnte das Motiv der Fahrrad-Banditen sein?“

Was tun, wenn es keine geschützte Radroute gibt?

Die Idee eines Radwegs zwischen den zwei Ortsteilen ist nicht neu. Seit 15 Jahren gibt es politische Bestrebungen, eine bessere Verbindung für Radfahrerinnen zu schaffen. „2021 sollte jetzt etwas passieren, dann gab es aber wieder keine Fördergelder. Das ist sehr unbefriedigend. Vor diesem Hintergrund passte diese Aktion so richtig gut“, sagt Backhaus. Eine Verkehrszählung ergab 2014, dass die Kreisstraße rund 1.000 Fahrzeuge pro Tag befahren. Ab 3.000 Fahrzeugen hätte man einen höheren Förderanspruch, so Backhaus. Für einen Fahrradweg fahren also zu wenige Autos durch das größtenteils von Wald geprägte Gebiet. Weiteres Problem: 15 Landbesitzer müssten Fläche abgeben, um neben der Straße einen Radweg bauen zu können. „Wenn einer von denen Nein sagt, stirbt das Projekt“, so Backhaus. Im Gegensatz zum Ortsvorsteher war der Kreis allerdings nicht sonderlich begeistert und ließ die Farbe schnell wieder abfräsen. Vor allem die Tatsache, dass die aufgebrachte Farbe nicht wasserlöslich war, scheidet die Geister. Die Täterinnen wurden laut Brandenburger Polizei bislang nicht gefunden und so bleibt der Kreis auf den Reinigungskosten von rund 5.000 Euro sitzen. Wenn es kein Geld kostet, erzeugt es keine Aufmerksamkeit, meinen einige. Harald Backhaus kann die Frustration nachvollziehen, die zu der Tat geführt haben könnte. Mit einer Petition für einen neuen Radweg sammelte er in diesem Jahr über 400 Unterschriften in Berlitt und einem Nachbarort. „Man hört immer: Das Rad ist das Verkehrsmittel der Zukunft, die Wege müssen ausgebaut werden. Wenn man dann sieht, was davon auf dem Land ankommt, ist man natürlich enttäuscht.“ Was er will, weiß Ortsvorsteher Backhaus sehr gut. Ein neuer Radweg soll auf einer stillgelegten Bahntrasse entstehen, die ohnehin schon der Stadt gehört.
Vom Landkreis heißt es dazu, dass der völlig andere Stellenwert des Radverkehrs im Alltag außerhalb von Ballungsräumen ein sehr neues Phänomen sei, der ein Umdenken erfordere. Bislang lag der Fokus auf dem touristischen Radverkehr, der sich auf besonders attraktive Regionen des Kreises konzentrierte. Dort wurden für rund 5 Millionen Euro verschiedene Radwege modernisiert. 2022 soll nun ein Radverkehrskonzept erarbeitet werden, das sich auf den Alltagsverkehr fokussiert. Zwischen den Stadtteilen Berlitt und Rehfeld soll in den kommenden Jahren ein Wanderweg mit einer gebundenen Decke für den ganzjährigen Radverkehr ertüchtigt werden.

Auch Berliner Kiez-Bewohner greifen zum Pinsel

Menschen vor dem Autoverkehr zu schützen, fordert auch eine Berliner Gruppe. Die Mitglieder des Kiezblocks Vineta wollen ihr Umfeld nachhaltiger, ruhiger und sicherer gestalten. Mit einem Anwohnerantrag soll motorisierter Durchgangsverkehr ausgeschlossen werden. Im August hat eine Handvoll Anwohner selbst zu Pinsel und Farbe gegriffen. Sie bemalten die Parkverbotszone einer viel befahrenen Kreuzung mit Schraffuren und Fußgängerbereichen. „Wir haben bewusst am helllichten Tag angefangen. Die Reaktionen waren sehr positiv. Nur eine Person rief die Polizei, die die Aktion dann beendete. Die Kreuzung war exemplarisch für uns, da Kinder hier ihren Schulweg gehen. Außerdem herrscht viel Durchgangsverkehr von Leuten, die durch den Kiez abkürzen“, erklärt ein Mitglied der am Jahresanfang gegründeten Gruppe. Die Aktion generierte Aufmerksamkeit und brachte einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von 2017 wieder auf die Tagesordnung. Die BVV hatte in diesem entschieden, dass Kreuzungsvorzüge sichtbar gemacht und mit Markierungen und Pollern geschützt werden sollten. Dass der Beschluss noch nicht umgesetzt worden ist, wundert das Kiezblock-Mitglied. „Das Aufmalen ist kein großer Aufwand. Aus stadtplanerischer Sicht sollte man das überall machen. Das Parken ist fünf Meter vor der Kreuzung ohnehin verboten.“


Kiezblocks

Kiezblocks sind Stadtquartiere, in denen durchgehender Kfz-Verkehr ausgeschlossen wird. Der Verein Changing Cities möchte für Berlin 180 dieser Blocks einrichten undunterstützt die lokalen Gruppen bei ihrer Arbeit. Als Vorbild dienen die Superblocks in Barcelona und die Kompartments in den Niederlanden.


Bilder: Vineta-Kiezblock, Polizei Brandenburg, Screenshot Changing Cities

Spezialisierte Messen wie die micromobility expo bieten sowohl für Aussteller als auch wie für Besucher wohl die beste Gelegenheit für Information und Austausch. Wir sind gespannt und werden berichten. Aber auch auf anderen Messen und beim Blick über den deutschen Tellerrand lässt sich einiges entdecken. Hier einige Hersteller und Produkte, die uns besonders aufgefallen sind. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Segway-Ninebot: hochmoderne Produktpalette

Das amerikanisch-chinesische Unternehmen Segway-Ninebot bietet als einer der Marktführer inzwischen eine komplette Palette ausgereifter Mikromobilitätslösungen an. Neben E-Kickscootern von preisgünstig bis High End (für Sharing und Privatkunden) auch schicke E-Scooter und neu E-Mofas. In den Niederlanden sind E-Mofas aktuell ein Renner, wohl auch, weil sie bislang ohne Helm gefahren werden dürfen. Die Innovationskraft ist enorm, vor allem, wenn man sich das „IOT-Innenleben“ anschaut: 100 % Smartphone-Integration mit App-Steuerung, Keyless Go, Antitheft mit GPRS, automatische Sicherheitserkennung, smart Dashboard etc. Dazu bei den E-Scootern LED-Matrix-Scheinwerfer, ein extrem niedriger Akku-Schwerpunkt und genug Platz für Integralhelme oder Einkäufe unter dem Sitz.

Mehr: segway.com

Vässla: Kreuzung aus E-Bike und E-Kickscooter

Das junge schwedische Unternehmen Vässla Micromobility (Vässle steht für Wiesel) ist in seinem Heimatland Marktführer im E-Mobility-Sektor. Hier wird weitergedacht. Das Vässla-„Bike“ soll eine Lücke schließen: Sicherer als ein Kick-scooter, bequemer als ein Fahrrad und mit den Fahreigenschaften eines E-Rollers. Ergänzt wird das Angebot durch einen klassischen E-Roller: Der Vässla 2 kommt mit einem Powermotor von Bosch und spielt in der 45-km/h-Klasse. Mit zwei Akkus sollen bis zu 120 km Reichweite möglich sein.

Mehr: vassla.de

Brekr: E-Moped mit Coolness-Faktor

Bislang gelingt es kaum, die praktischen und umweltfreundlichen Komponenten der E-Mobilität mit dem Coolness-Faktor eines richtigen Motorrads zu verbinden. Eine Ausnahme ist das junge niederländische Brekr. Der einfache Grund: Auch große Jungs bekommen bei dem Anblick, der an Retro-Motorräder der Café-Racer oder Scrambler-Klasse erinnert, leuchtende Augen. Der Auftritt auf der IAA Mobility bewies, dass Mann (Frau natürlich auch) selbst ohne Lederoutfit schnell zu einem Hingucker wird. Weiteres Ergebnis der Testfahrt: Die Akkus bilden einen niedrigen Schwerpunkt; zusammen mit den breiten Reifen, der gut abgestimmten Federung und einer guten Sitzposition macht das Fahren richtig Spaß. Dank zuschaltbarem Sound wird das Bike per Knopfdruck auch für Fußgänger hörbar. Technisch ebenfalls gut gelöst sind die entnehmbaren Akkus. Großes Lächeln bei den Tester*innen und den Zuschauern. E-Mobilität mit Style, der nach mehr ruft.

Mehr: brekr.com

Microcars: ein unterschätzter Markt

Während der Markt für leichte, kleine und umweltfreundliche Microcars hierzulande bislang noch eine Nische ist und viele davon ausgehen, dass es auch so bleiben wird, werden in China gerade Ansätze einer möglichen Mobilitätsrevolution sichtbar. Zu den meistverkauften E-Fahrzeugen zählt hier der Hongguang Mini EV der neuen Marke Wuling. Die ist ein chinesisches Joint Venture von SAIC und General Motors. Die Markteinführung des 2,92 Meter kurzen und rund 100 km/h schnellen viersitzigen Fahrzeugs (der zweisitzige Smart fortwo misst 2,69 Meter) begann im Juli 2020. Innerhalb kurzer Zeit löste das Fahrzeug den Tesla Model 3 als meistverkauftes Elektroauto ab und führt seit Monaten die Verkaufsstatistiken an. Nochmals kleiner ist das neue Modell Wuling Nano EV mit einer Länge von 2,50 Metern und einer Breite von 1,53 Metern. 30.000 Fahrzeuge des Mini EVs werden nach Presseberichten aktuell jeden Monat verkauft, bei einem Preis von umgerechnet ca. 3.700 bis 5.000 Euro, abhängig von der Akkugröße. Laut Geschäftsbericht beträgt der Verkaufsgewinn eines Mini EV laut SAIC/GM nur etwa 12 Euro. Trotzdem lohnt sich das Geschäft. Analog zu den USA erhalten chinesische Autohersteller für die von ihnen verkauften CO₂-freundlichen Autos Gutschriften über ein Punktesystem. Bis zum Ende des Jahres gesammelte Punkte können dann an andere Hersteller mit umweltschädlicher Bilanz verkauft werden. Die Zeitschrift Auto Motor Sport errechnet beim prognostizierten Verkauf von 400.000 Fahrzeugen in diesem Jahr zusätzlich zum erwartenden Verkaufsgewinn von mageren 4,6 Millionen Euro weitere 390 Millionen Euro aus dem Punktesystem. Also ein lohnendes Geschäftsmodell, das sich prinzipiell jederzeit auch in Europa verwirklichen ließe.

WULING, City One, Microlino und Rocks-e:
Namen zum Merken

Auch auf der IAA Mobility wurden unter großem Zuspruch zwei Microcar-Modelle aus Europa vorgestellt. Professionell gemachte, originelle, leichte und umweltfreundliche elektrische Fahrzeuge für die Stadt. Der ACM City One (acm.city/home) bietet einen modularen Innenraum mit bis zu vier Sitzen. Unter dem Kofferraum verstecken sich vier Wechselakkus, die mit einem kleinen Handwagen transportiert werden können und eine Reichweite von 240 Kilometern bieten sollen. Ideal zum Beispiel für Gewerbetreibende mit überschaubaren Radien. Der Prototyp auf dem Messestand hatte ein hochauflösendes LED-Panel als Werbefläche in der Heckklappe integriert.
Ein von vielen sehnlich erwartetes Highlight ist auch die Retro-Knutschkugel Microlino 2.0 (microlino-car.com), die sehr an BMWs Rollermobil Isetta aus den 1950er-Jahren erinnert. Ein echter Hingucker und mit einem erstaunlich guten Raumgefühl für zwei Personen. Laut Hersteller Micro Mobility Systems soll der Produktionsstart für das 90 km/h schnelle Fahrzeug mit einer Reichweite von bis zu 230 Kilometern in Kürze beginnen. 24.000 Bestellungen sollen Medienberichten zufolge schon vorliegen.
Neu auf den deutschen Markt kommt auch das 45-km/h-Microcar Opel Rocks-e (opel-rockse.de), ein Bruder des Citroën Ami, der bereits in Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Belgien konfigurierbar ist. Der 2,41 Meter lange Zweisitzer ist, so Opel, Vorreiter der „SUM“-Kategorie (Sustainable Urban Mobility) und wird rechtlich gemäß EU-Norm mit 471 Kilogramm Gewicht und maximal 45 km/h als Leichtkraftfahrzeug eingestuft. Wie das Schwestermodell Citroën Ami kann der Rocks-e so schon ab 15 Jahren mit dem Führerschein der Klasse AM gefahren werden. Zielgruppe sind neben jungen Menschen in den Städten auch Sharing-Anbieter, für die die PSA-Gruppe als Mutter bereits spezielle Softwarelösungen entwickelt hat.


Bilder: Opel, Reiner Kolberg, Wikicommons

Eine Möglichkeit zur Entzerrung der Pendlerströme sehen Expert*innen unter anderem in der verstärkten Nutzung von schnellen S-Pedelecs/E-Bike 45. Um neue Potenziale zu erschließen, bringen Hersteller Innovationen, wie weitgehende Wartungsfreiheit, höhere Reichweiten, Blinker sowie eine adaptive Anpassung der Höchstgeschwindigkeit. Mit Letzterem ließen sich die bislang starren gesetzlichen Klassifizierungen auflösen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


S-Pedelecs funktionieren wie normale E-Bikes: Beim Pedalieren steuert ein Motor im Tretlager oder Hinterrad Kraft bei. Doch anders als das normale Pedelec schaltet der Motor nicht bei erreichten 25, sondern nach EU-Regelung bei maximal 45 Stundenkilometern ab. Realistische Reisegeschwindigkeiten bewegen sich in der Regel zwischen 30 und 35 km/h. Das S-Pedelec ist damit potenziell ein perfekter Autoersatz für Pendler auf Strecken von etwa 5 bis 25 Kilometern Länge. In Citys und Ballungsräumen sind die schnellen E-Bikes potenziell sogar schneller als Autos, die dort eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gerade einmal 20 Stundenkilometern erreichen.

Ideales Verkehrsmittel für Pendler

Das S-Pedelec oder E-Bike 45 hat, anders als das normale E-Bike 25, rechtlich keinen Fahrradstatus, sondern wird in die Kleinkraftrad-Kategorie eingestuft (Klasse L1e-B). Neben Zulassung, Versicherungskennzeichen und Führerscheinpflicht hat das hierzulande auch infrastrukturell weitreichende Folgen: Es darf nicht auf Radwegen und auf für Fahrzeuge
gesperrten Straßen, wie Wirtschaftswegen fahren. Eigentlich müssten Fahrer*innen damit in der Praxis beispielsweise auch auf Bundesstraßen fahren, wo zum Teil eine Tempobegrenzung von 100 km/h gilt, selbst wenn nebenan ein breit ausgebauter Radweg oder Radschnellweg vorhanden ist. Oft müssen auch große Umwege im Kauf genommen werden, wenn man legal unterwegs sein möchte. All das sind Gründe, warum das S-Pedelec auf dem deutschen Markt im Gegensatz zu anderen Ländern wie der Schweiz oder den Beneluxländern fast nicht vertreten ist. In einem Hintergrundpapier des VCD wird daher eine Freigabe geeigneter Radwege und Radschnellwege inner- und außerorts für S-Pedelecs gefordert. Die VCD-Sprecherin Anika Meenken fasst es so zusammen: „Das Potenzial von S-Pedelecs wurde bislang vernachlässigt, und das können und dürfen wir uns nicht länger leisten. S-Pedelecs sind eine sinnvolle und wirksame Ergänzung für einen klima- und gesundheitsfreundlichen Mobilitätsmix – sofern die Politik die passenden Rahmenbedingungen schafft.“

„Die Verkehrswende braucht das S-Pedelec – und die Akzeptanz des schnellen E-Bikes nimmt weiter zu.“

David Eisenberger, ZIV

Deregulierung brächte Vorteile für alle

Auch beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sieht man die Möglichkeiten des schnellen E-Bikes derzeit nicht ausgereizt. „Vor allem auf Strecken außerhalb von Ortschaften könnten S-Pedelecs aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit viele Autofahrten ersetzen, wäre diesen Rädern die sichere Nutzung nicht rechtlich verwehrt“, so David Eisenberger vom ZIV. Außerhalb von Ortschaften könne man sich aufgrund der hohen Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Lkw, Pkw und E-Bikes auf einer gemeinsamen Fahrbahn nicht sicher fühlen. Meist ernte man völliges Unverständnis, wenn man regelkonform die Straße statt des Radwegs nutze. „Dabei profitierten auch Pkw-Fahrende von einer verstärkten Nutzung der schnellen Räder. Daher sollte auch der Autolobby daran gelegen sein, das Regelwerk zu ändern.“ Der ZIV wirbt als Radfahrer-Lobby der Indus-trie öffentlich, aber auch im direkten Kontakt mit Politikern „hinter geschlossenen Türen“ zunächst, insbesondere für die Änderung der Radwegnutzung außerhalb von Ortschaften. „Wir sind zuversichtlich, dass es bald eine Lösung geben wird. Die Verkehrswende braucht das S-Pedelec – und die Akzeptanz des schnellen E-Bikes nimmt weiter zu“, sagt David Eisenberger.

„Wir arbeiten daran,

die Stimme der Industrie

stärker zu machen.“

Ties Carlier, Van Moof

Dynamische Regelungen als neuer Lösungsansatz

Was wäre, wenn man mit technischer Hilfe die Maximalgeschwindigkeit entsprechend den äußeren Bedingungen anpassen könnte? Diese Frage werfen BMW sowie VanMoof, ein dynamisch wachsender niederländischer E-Bike-Hersteller, auf. VanMoof überraschte jüngst mit der Ankündigung, dass der Antrieb des neu vorgestellten S-Pedelec-Modells „V“ nicht EU-konform bei 45 km/h, sondern erst bei 50 km/h abgeregelt werden solle. Eine integrierte elektronische Anpassung der möglichen Höchstgeschwindigkeit solle zudem automatisch die Kompatibilität des „Hyperbikes“ für die jeweils vor Ort geltende Regelung gewährleisten.
Die VanMoof-Gründerbrüder Ties und Taco Carlier fordern dazu in einer Pressemitteilung Gesetzgeber und Stadtverwaltungen auf, die E-Bike-Vorschriften zu überarbeiten, um die Entwicklungen im Bereich S-Pedelec als Pendlerfahrzeug voranzutreiben. „Auch auf EU-Ebene arbeiten wir daran, die Stimme der Industrie stärker zu machen.“
Ein ganz ähnliches E-Bike-Konzept zeigte BMW kürzlich mit einer Studie auf der Messe IAA Mobility. Drei Fahrstufen mit maximal 25, 45 oder 60 km/h soll das Konzept-E-Bike „BMW i Vision Amby“ bieten und in der stärksten Stufe eine Reichweite von bis zu 75 Kilometern. Amby steht dabei für „Adaptive Mobility“. Eine manuelle Wahl der Fahrstufe soll ebenso denkbar sein, wie die automatische Erkennung von Position und Straßentyp per Geofencing-Technologie und eine damit verbundene automatische Anpassung der Höchstgeschwindigkeit. Da es die rechtlichen Rahmenbedingungen für derartige Fahrzeuge mit modularem Geschwindigkeitskonzept noch nicht gibt, wollen die Hersteller Möglichkeiten aufzeigen und einen Impuls für neue Gesetze geben. „Überall brechen scheinbar feste Kategorien auf – und das ist gut“, so Werner Haumayr, Leiter der BMW Group Designkonzeption. „In Zukunft sollen nicht Einteilungen wie ‚Auto‘, ‚Fahrrad‘ und ‚Motorrad‘ bestimmen, was wir denken, entwickeln und anbieten. Vielmehr gibt uns dieser Paradigmenwechsel die Möglichkeit, Produkte an den Lebensgewohnheiten von Menschen auszurichten.“

„In Zukunft sollen nicht Einteilungen wie ‚Auto‘, ‚Fahrrad‘ und ‚Motorrad‘ bestimmen, was wir denken, entwickeln und anbieten.“

Werner Haumayr, Leiter der BMW Group Designkonzeption
„Mit dem BMW i Vision Amby, dem ersten High-Speed-Pedelec für Urbanisten, präsentiert die BMW Group einen visionären zweirädrigen Lösungsansatz für die urbane Mobilität von morgen“, heißt es in der Pressemitteilung von BMW. Ein Schwestermodell aus dem Motorradsegment als Studie und verschiedene Serien-E-Roller sollen das Angebot komplettieren.

Lösung: Geschwindigkeiten regional anpassen

Mit Geofencing-Technik und einem entsprechenden Netzwerk würden die neuen E-Bikes so gesteuert, dass sie auf dem Radweg innerorts nur bis maximal 25 km/h unterstützen, auf freigegebenen Strecken etc. aber deutlich schneller sind. Dass sich die Gesetzgeber auf Länder- bzw. EU-Ebene in Kürze mit entsprechenden Regelungen beschäftigen, ist wenig wahrscheinlich. Leichter als vielfach gedacht, ist es dagegen für Stadtverwaltungen für Verbesserungen zu sorgen. Wie das Beispiel des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer zeigt, ist es in den Gemeinden mit wenig Aufwand möglich, Radwege für den S-Pedelec-Verkehr freizugeben und das Rad-Pendeln damit wesentlich zu erleichtern.

Viel Kraft, hohe Reichweite und extrem wartungsarm: S-Pedelecs der neuesten Generation, wie das Klever X Alpha, sind für viele ein echter Autoersatz.

Kraftvoll, wartungsfrei, innovativ und mit hoher Reichweite

Insgesamt hat sich bei der aktuellen Generation der S-Pedelecs inzwischen eine Menge getan. Die schnelle Klasse hat inzwischen bei vielen Herstellern einen festen Platz im Programm, unter anderem auch als Lastenrad. Auf kraftvolle Bikes als echte Auto-Alternative für Vielfahrer und Pendler haben sich beispielsweise Stromer aus der Schweiz und Klever Mobility, Tochter der weltweit für Motorroller bekannte Kymco Unternehmensgruppe spezialisiert. Beim neuen Spitzenmodell X Alpha setzt Klever erstmals einen 800 Watt starken Heckmotor für „echte 45 km/h“, so der Hersteller, ein. Der wird mit einem 12-Gang-High-End-Getriebe von Pinion und Riemenantrieb kombiniert. Damit ist das E-Bike enorm stark und zudem besonders wartungsarm. Der 1.200-Wh-Akku soll laut Hersteller bei maximaler Motorunterstützung für 70 Kilometer Reichweite selbst unter widrigen Bedingungen sorgen. Von außen zeigen EU-konforme Blinker, dass es sich hier nicht um ein normales Pedelec handelt. Und warum kein E-Roller? „Mit einem S-Pedelec bleibt man immer in Bewegung und gesund“, betont Niklas Lemm von der europäischen Klever Zentrale in Köln. „S-Pedelecs sind ideal als Ganzjahresfahrzeug für Pendler, weil man im Winter nicht friert und im Sommer nicht schwitzt.“ Mit der richtigen Bereifung, modernster Beleuchtung und guter Kleidung und Hightech-Helmen ist man auch in der dunklen Jahreszeit sicher unterwegs.


Bilder: BMW Group, ZIV, Vanmoof

Das Multicharger 750 fährt sich so agil wie ein normales E-Bike, dabei strotzt es vor Kraft wie ein Cargo-Bike. Ob als Offroad-Fahrzeug auf Reisen, als Werksfahrzeug im Kleingewerbe, als Kindertaxi und Einkaufswagen in der City: Der Einsatzzweck des Midtail-Bikes kennt dank umfangreicher Zubehöroptionen wenig Grenzen. Mit 65 Kilo Maximallast und zahlreichen Upgrade-Kits für fast jedes Nutzungsverhalten ist der extragroße Gepäckträger das Herzstück des Multicharger 750. Für die hohen Leistungswerte sorgen ein kraft-voller 85-Nm-Motor von Bosch, ein 750 Wh großer Akku und eine integrierte LED Remote, über die der Fahrmodus gut erkennbar ist, während das Kiox-300-Display die verbleibende Reichweite anzeigt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Multicharger 750 auch mit RX Connect verfügbar

Mit intelligenter Technologie, digitalen Features und Premium-Services baut Riese & Müller smarte E-Bikes für die Mobilität der Zukunft. Erhöhte Sicherheit und innovativer Diebstahlschutz stehen dabei an erster Stelle. Deshalb ist der RX Chip in allen Modellen verfügbar, in einigen ist er bereits serienmäßig verbaut. Der RX Chip macht das E-Bike zum Connected E-Bike und erweitert das Fahrerlebnis digital. Dabei ermöglicht er die Lokalisierung, umfassenden Diebstahlschutz und Vernetzung und dient als Portal zu den Riese & Müller RX Services ConnectCare und ConnectRide.

In Verbindung mit der neuen RX Connect App wird das Smartphone zum digitalen Cockpit des E-Bikes. Mit dem RX Chip und Buchung eines ConnectCare oder ConnectRide Services ist die App direkt mit dem E-Bike verbunden und bietet zusätzliche Features: Der Standort des E-Bikes, der Akkustand des RX Chips sowie Fahrtdatenstatistiken können abgerufen werden. Ein weiteres Plus an Sicherheit bringt das Aktivieren des digitalen Alarms: Der RX Chip sendet eine Benachrichtigung an das Smartphone, sobald das geparkte und digital gesicherte E-Bike bewegt wird.


Bilder: Riese & Müller

Cargobikes übernehmen einen immer größeren Anteil der Warenzustellungen in den Stadtzentren. Damit die Fahrerinnen und Fahrer nicht an Baustellen, Umlaufgittern oder zu hohen Bordsteinen scheitern, benötigen sie eine fahrzeuggerechte Navigation. Daran sollten Städte arbeiten. Denn bislang fehlen Anwendern die Daten. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Noch spielen Lastenräder in Innenstädten für den Wirtschaftsverkehr eine relativ kleine Rolle. Nach Einschätzung von Expert*innen und der Bundesregierung ändert sich das in den kommenden Jahren aber rasant. Fast ein Drittel der Waren könnten dann laut Bundesverkehrsministerium mit sogenannten Heavy Cargobikes zum Kunden gebracht werden. Die Infrastruktur ist dafür jedoch vielfach nicht ausgelegt. Momentan bremsen Hindernisse die Fahrerinnen und Fahrer auf vielen Strecken aus. Ansätze für digitale Lösungen gibt es. Das Projekt „SmartRadL“ oder die App „Cargorocket“ helfen dabei, die Routenplanung für Lastenräder zu optimieren.

17,5 %

Weniger als ein Fünftel der vom ADAC
in einer Untersuchung
gemessenen Radwege war
mindestens 1,60 Meter breit.

Pionierarbeit bei der Cargobike-Routenplanung

Steffen Bengel ist Geograf und Projektleiter am Institut für Arbeitswissenschaften und Technologiemanagement der Universität Stuttgart im Bereich Logistik und Fahrradmobilität. Er begleitet bis 2022 in dem Projekt „SmartRadL“ die Entwicklung einer integrierten Softwareanwendung für ein intelligentes Routen- und Auftragsmanagement für Lastenradverkehre. Dafür arbeitet er mit dem Software-Entwickler FLS und dem Logistikunternehmen velocarrier zusammen. Ein primäres Ziel ist, Lastenradlogistikern eine Software an die Hand zu geben, die Hindernisse in der Stadt von starken Steigungen bis zu hohen Bordsteinkanten bei der Routenplanung berücksichtigt und damit die Effizienz und Wirtschaftlichkeit des Lastenradeinsatzes auf der letzten Meile verbessert. Dafür schaut sich Bengel die Radinfrastruktur genau an und stellt fest: „Auf den Lieferverkehr per Fahrrad sind die Kommunen überhaupt nicht vorbereitet.“ In den Städten ist es bereits heute eng auf den Radwegen. Seit dem ersten Corona-Lockdown sind rund 20 Prozent der ÖPNV-Nutzer und Nutzerinnen dauerhaft aufs Rad umgestiegen. Hinzu kommt, dass immer mehr Zusteller und Dienstleister vom Auto oder Lieferwagen aufs E-Bike oder Cargobike wechseln. Dazu gehören neben Essenszustellern wie Lieferando inzwischen auch Supermärkte wie Rewe oder Lebensmittelzusteller wie Getir, Flink oder Gorillas, die Lieferungen per E-Bike innerhalb von zehn Minuten versprechen. Allein Gorillas hat seit seiner Gründung im Jahr 2020 in neun Ländern ein Netz von 140 Lagern in großen Städten aufgebaut. „Entwicklungen wie diese verstärken den Radverkehr an den Hotspots rund um die Lager zu manchen Tageszeiten um teilweise mehr als 100 Prozent“, sagt Bengel. Es wird also immer enger auf den Radwegen. Außerdem fehlen in den Städten zusammenhängende Netze, und die Radwege, die es gibt, sind oft zu schmal. „Der Automobilclub ADAC hat 2020 in einer Untersuchung in zehn deutschen Landeshauptstädten auf 120 Strecken nachgemessen“, sagt Bengel. Das Ergebnis ist alarmierend. Gerade mal 17,5 Prozent aller gefahrenen Routen entsprachen demnach den Empfehlungen für den Radverkehr und waren mindestens 1,60 bis 2 Meter breit. An sicheres Überholen ist so kaum zu denken.

„Auf den Lieferverkehr

per Fahrrad sind die Kommunen überhaupt nicht vorbereitet.“

Steffen Bengel, Institut für Arbeitswissenschaften
und Technologiemanagement der Universität Stuttgart

Problem erkannt: Daten und Lösungen sind gefragt

In Interviews mit den Zustellern fand Bengel außerdem heraus: Poller, fehlende Bordsteinabsenkungen und Einbahnstraßen bremsen Cargobikes auf ihren Touren immer wieder aus. Aktuell kommen die Fahrerinnen und Fahrer mit den Tücken auf den Strecken klar. „Viele von ihnen sind Fahrradenthusiasten“, sagt Bengel. Sie kennen ihre Stadt, ihre Routen und Schleichwege, die sie selbst mit sperriger Ladung im Heck oder im Anhänger passieren können. Aber je mehr des Wirtschaftsverkehrs aufs Lastenrad verlegt wird, umso wichtiger wird eine zugeschnittene Tourenplanungssoftware. Denn die Hindernisse auf der Strecke sind vielfältig. Manchmal sind beispielsweise die Verkehrsinseln in der Mitte der Straße so schmal, dass die Lastenräder oder ihre Anhänger beim Stopp bis auf die Fahrbahn reichen. Auch in geöffneten Einbahnstraßen kann es für sie bei Gegenverkehr extrem eng werden. Ein Problem sind auch aktuelle Baustellen. Eine Routing-App für Lastenräder könnte diese Aspekte bei der Tourenplanung berücksichtigen. Aber dafür fehlen bislang noch die Daten. „Infrastrukturdaten von Radwegebreiten bis zu Bordsteinhöhen sind entweder gar nicht oder nur sporadisch vorhanden oder nicht frei zugänglich“, sagt Bengel. Das gelte auch für Live-Informationen zu Behinderungen wie Außenveranstaltungen, Baustellen oder Demonstrationen.
Im November 2020 schilderte Steffen Bengel beim Hackathon des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg das Problem mit der Datenlücke. Unter den Expertinnen für Verkehrsgestaltung, Daten-Providern und kreativen Entwicklerinnen waren auch Alexandra Kapp, David Prenninger und Henri Chilla. Die drei kannten einander nicht, wollten aber eine Routing-App für Lastenräder entwickeln. Das Verkehrsministerium in Baden-Württemberg unterstützte ihre Idee mit 25.000 Euro. Der Student und die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen gründeten das Start-up Cargorocket und veröffentlichten im Mai 2021 den bundesweit ersten „Cargobike-Index“, der inzwischen die Lastenradtauglichkeit vieler Straßen in ganz Deutschland zeigt. Ein paar Wochen später folgte ihre App. „Beides sind keine fertigen Produkte“, betont Entwickler David Prenninger. Das Trio habe damit einen Diskurs eröffnen und zeigen wollen, welche Standards Lastenräder brauchen, um als Autoersatz in der Stadt unterwegs sein zu können, und welche Daten für ein Routing notwendig sind.

„Infrastrukturdaten für Cargobikes sind entweder gar nicht oder nur sporadisch vorhanden oder nicht frei zugänglich.“

Steffen Bengel, Universität Stuttgart

Sammeln von Daten in Heimarbeit

Auch sie erkannten schnell: Infrastrukturdaten zu sammeln, ist in Deutschland schwierig. „Die Daten, die beim Bund, den Ländern und Kommunen existieren, sind kaum zugänglich“, sagt Alexandra Kapp, die im Team für die Geodaten zuständig ist. Allein um die Höhen von Baden-Württembergs Bordsteinen zu erfahren, hätten sie in jeder, der mehr als 1.000 Kommunen nachfragen müssen. Um sich Zeit und mögliche Absagen zu ersparen, nutzten sie die freie Weltkarte OpenStreetMap (OSM). „Viele Radwege, Bordsteine, Drängelgitter oder Poller sind dort bereits gemappt“, sagt Kapp. Was fehlt, sind die Informationen zu den Radwegebreiten, wie viel Platz rechts und links der Poller verbleibt oder ob die Oberflächen der Radwege glatt sind oder Holperpisten ähneln. Kurzum, es geht um Straßentypen, Oberflächen und Barrieren. Um die fehlenden Daten zu ergänzen, organisierte das Trio im April 2021 einen sogenannten Mapathon. Das ist ein koordiniertes Mapping-Event, bei dem Freiwillige in ihrer Stadt Informationen über die Wegbeschaffenheit sammeln und zu den OpenStreetMap-Daten hinzufügen.
Das Sammeln der Daten ist bislang Handarbeit. Die Mapper*innen messen vor Ort die Breite der Radwege oder die Höhe der Bordsteine und ergänzen die Werte in der OpenStreetMap. „Für die Barrieren gibt es eigene Tags wie ‚bollard‘ (Poller) oder ‚cycle_barrier‘ (Umlaufgitter)“, sagt Kapp. Neben der Art der Barriere kann zudem die maximale Breite über „width“ oder „maxwidth:physical“ sehr genau getaggt werden. Das System von OSM sei selbsterklärend und funktioniere gut, sagt Kapp. In Ulm wurde seit dem Mapathon aus ihrer Sicht relativ viel gemappt. Für 26 Radwege wurden die Daten ergänzt. „Die Tag-Vollständigkeit ist dort von 20 auf 32 Prozent gestiegen“, sagt Kapp. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: 68 Prozent der Radwege bleiben ungemappt.

Kommunen leisten mit einer geeigneten Infrastruktur und den nötigen Daten einen wichtigen Beitrag, um den Einsatz von Cargobikes im Wirtschaftsverkehr zu erleichtern.

Vorausschauende Planung durch Kommunen nötig

Die Standards, die Cargorocket entwickelt hat, inspirieren auch Steffen Bengel und sein Team für ihre Routingsoftware. Außerdem profitieren sie von den neuen Daten in OSM, die seit dem Mapathon hinzugekommen sind. Das gilt für alle Anbieter von Tourenplanungssoftware, die OSM nutzen. Hier wünscht sich Bengel künftig deutlich mehr Unterstützung durch die Kommunen. Denn indem sie ihre Daten zur Radwegeinfrastruktur zur Verfügung stellen, machen sie den Einsatz von Cargobikes im Wirtschaftsverkehr wesentlich leichter. „Am besten werden die Daten in ein offenes, bewährtes System wie OpenStreetMap eingespeist“, sagt Bengel. Dort kann jeder auf die Daten zugreifen und weitere Tools zum Einsatz von Lastenrädern für Gewerbetreibende oder auch für Privatleute entwickeln. Neben dem Routing ist für ihn auch das Parken beim Kunden relevant. „Momentan halten die Zusteller je nach auszuliefernder Ware alle 50 Meter auf dem Gehweg“, sagt er. Erreicht die Radlogistik tatsächlich einen Marktanteil von 30 Prozent der Warenzustellung in der Innenstadt auf der letzten Meile, kann das zum Problem werden. Um das Zuparken von Gehwegen durch Zusteller*innen auf Cargobikes zu vermeiden, sollten die Kommunen jetzt Strategien entwickeln, um das Parken in der Innenstadt zu erleichtern.

Fazit und Aufgaben

Dass der Anteil von Cargobikes am Gesamtverkehr steigt, ist notwendig, absehbar und gewünscht. Auch der Boom der Logistik durch E-Commerce und neue Lieferservices wird nach Meinung der Experten weitergehen. Projekte wie SmartRadL und Cargorocket helfen Radlogistikern dabei, die Vorteile der Cargobikes auf der Kurzstrecke effektiver auszuspielen. Die Kommunen können und sollten sie unterstützen, indem sie die passende Infrastruktur für Cargobikes von Lieferdiensten und privaten Anwendern in der Planung ab sofort immer mitdenken. Das gilt für die Erhebung und Freigabe von Infrastrukturdaten ebenso wie für die Planung von ausreichend bemessenen Radwegen oder Stellflächen im gesamten Stadtgebiet.


Cargorocket:
OpenStreetMap plus X

Die meisten Straßen im Cargobike-Index basieren weiterhin ausschließlich auf OSM-Datenmaterial. Das heißt: Sämtliche Straßen von der Bundesstraße über den Fußweg bis zum Feldweg sind dort erfasst. Die App Cargorocket übersetzt mit ihrem Index jede Straßenkategorie in eine Empfehlung für Lastenräder. Die App ermittelt dann anhand dieser und der getaggten Daten die beste Strecke durch die Stadt.


Bilder: stock.adobe.com – antoine-photographe, Steffen Bengel, Cargorocket