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Auf zwei Stufen zum Ziel

Das Durcheinander auf der Venloer Straße in Köln war sehr gefährlich. Ein Verkehrsversuch sollte das ändern, schuf Verwirrung und lieferte dann doch „Verzauberung“. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Die Venloer Straße in Köln ist eine Arterie in einem äußerst lebhaften Organismus. Sie durchzieht mittig das boomende Stadtviertel Ehrenfeld, wo sich eine urbane Mischung aus Cafés und Restaurants, Kebab-Läden, Schnäppchen-Shops, Bio-Boutiquen mit einer dichten Wohnbesiedlung mischt. Die Venloer ist Hauptgeschäftsstraße, Pendler-Achse im Kölner Westen und Shopping-Meile, zudem steht hier Kölns wichtigstes islamisches Gotteshaus, die sogenannte Zentralmoschee des türkisch-islamischen Religionsvereins Ditib. Mit gut 10.000 Pkw am Tag war die Venloer seit Langem eine Hauptverkehrsachse, die auch die meistfrequentierte Fahrradstrecke der Millionenstadt ist. Die Dauerzählstelle dort zeigte 2022 5500 Fahrradfahrer*innen am Tag an. Bei diesem Treiben wundert es nicht, dass die Venloer einer der Unfallschwerpunkte Kölns ist – und in einer Analyse der „Allianz Direct“ sogar als einzige Straße in NRW unter den zehn gefährlichsten Straßen des Landes rangierte. „Wir sind da als Kommunalpolitik gefragt, das hat vordergründig auch gar nichts mit Verkehrswende zu tun. Wir mussten das entschärfen“, sagt Volker Spelthann (Bündnis 90/Die Grünen), Bezirksbürgermeister in Ehrenfeld.

Im Laufe des Jahres 2023 machte die Venloer Straße einen oft sehr unsortierten Eindruck, was auch an Baumaßnahmen in anliegenden Straßen lag. In Ehrenfeld war das Durcheinander Dauerthema.

Alles auf sechs Meter gequetscht

Die Problematik ist seit Langem bekannt. Die Venloer war, man kann es so klar sagen, ein Alptraum für alle Verkehrsteilnehmerinnen. Sie führte gleich neben dem Fußgängerweg einen baulich getrennten, schmalen Radweg neben der Fahrbahn, die einspurig in jede Richtung ausgelegt ist. 2009 brachte die Stadtverwaltung Piktogramme für Radfahrerinnen auf dem Asphalt auf, denn der Radweg war inzwischen in einem sehr schlechten Zustand. Ab 2010 dann ließ die Verwaltung die Straße umbauen. Am Rand ist die Straße mit vier Reihen Steinen gepflastert, daneben verläuft ein rot gefärbter Schutzstreifen für die Radlerinnen. Diese Gestaltung führte ein Maximum an Verkehrsteilnehmerinnen auf engen Raum. Über Jahre wuchsen der öffentliche Druck und die Unzufriedenheit mit dieser Lage. Bezirksbürgermeister Spelthann spricht von einer „Lebenslüge“ der vergangenen 15 Jahre. Hier habe die Verwaltung alles auf sechs Meter Breite gequetscht. „Politische Gremien und Verwaltung haben dann immer eine große Lösung aus einem Guss angestrebt, bei der alles passen sollte.“ Deswegen habe sich nichts bewegt in der Politik, und so gelinge auch Verkehrswende nicht.

„Ohne den Verkehrsversuch wären wir erst in fünf Jahren, wo wir sind.“

Volker Spelthann, Bezirksbürgermeister Ehrenfeld

„Realer Irrsinn“ Verkehrsversuch

Am 8. November 2023 traf man den Kommunalpolitiker aber an einem windigen Herbsttag in gelöster Stimmung an. Der Grüne, studierter Wirtschaftsgeogeograf, war Beobachter eines Pressetermins der Stadt Köln. Neben einer Kebab-Bude auf einem Platz neben der Venloer Straße und mitten im Mittagstrubel informierte die Stadtverwaltung über ein Projekt, das hohe Wellen geschlagen hat. Spelthann kam mit einer klaren Meinung: „Ohne den Verkehrsversuch wären wir erst in fünf, sechs Jahren da, wo wir jetzt sind“, sagte der gut gelaunte Bezirksbürgermeister. Und das ist schon erstaunlich, denn die Venloer Straße hatte gerade in den zurückliegenden Monaten noch einmal richtig viel Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur die lokalen Medien hatten im Laufe des Jahres 2023 über ein großes Durcheinander berichtet, das hier ausgebrochen war. Im NDR gab es einen Bericht mit dem Titel „Realer Irrsinn“, Kabel 1 zog über „Chaos auf der Straße“ her. Wer die Venloer im Frühling oder Sommer nutzte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die ohnehin überlastete Verkehrsmeile hatte noch chaotischere Züge angenommen als ohnehin schon. Einen erheblichen Anteil daran hatten die Behörden, die eigentlich für Orientierung sorgen sollten.

Vorstoß aus der Kommunalpolitik

Rückblende ins Jahr 2021. Damals gab es nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen einen politischen Vorstoß in der Stadt. Der Verkehrsausschuss und die Bezirksvertretung 4 (Ehrenfeld) beauftragten die Verwaltung mit der Einrichtung eines Verkehrsversuchs. Vorausgegangen war in Ehrenfeld die Arbeit an einem Radverkehrskonzept, im Mai 2021 beschloss die Bezirksvertretung dann das neue Ziel: Die Venloer sollte zur Einbahnstraße werden. Zudem sollte ein „verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“ eingerichtet werden, mit Tempo-20-Zone und „Shared Space“ an verschiedenen Schlüsselstellen auf der Straße zwischen Ehrenfeldgürtel und Innerer Kanalstraße. Dieser politischen Forderung lag die Einschätzung eines Gutachters zugrunde. Er hatte vor allem die Einrichtung dieses Tempo-20-Segments für einen großen Wurf gehalten: „Dies hat unter den Einzelmaßnahmen die höchste Entlastungswirkung und weist zudem, anders als bei der reinen Einbahnstraßenführung, weniger negative Auswirkungen in Bezug auf die kleinräumige Verlagerung in die umliegenden Wohnstraßen auf“, so lässt es sich in der Beschlussvorlage des Verkehrsausschusses nachlesen.

Vorschrift ist Vorschrift: Während der ersten Phase des Verkehrsversuchs hob die Verwaltung mit gelber Farbe die Wirkung vorheriger Verkehrszeichen auf. Das führte zu Fehlwahrnehmungen im Alltag.

Gelbe Farbe sollte es richten

Zwei Jahre später lässt sich feststellen, dass die Einschätzung des Gutachters und die Realität des Kölner Straßenverkehrs miteinander kollidiert sind. Der Verkehrsversuch, den die Verwaltung infolge des politischen Beschlusses startete, lieferte Durcheinander auf Stein und Teer. „Im Verfahren gab es auch immer wieder Überraschungen. So scheint es bei vielen Stellen eine ungenügende Kenntnis der Straßenverkehrsordnung gegeben zu haben“, kommentiert Christoph Schmidt, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs in Köln. Er war es, der den Vorstoß zur Einbahnstraße im Facharbeitskreis des damaligen Radverkehrskonzepts Ehrenfeld ins Rollen brachte. Was sich dann in der Realität zeigte, war allerdings eher ein politischer Kompromiss, der die Menschen in Desorientierung stürzte. Schmidt erklärt, was falsch gedacht war: „Auch in einem verkehrsberuhigten Geschäftsbereich hat man keinen Shared Space, auch wenn das oft anders verstanden wurde.“ So war die Fahrbahn eben weiterhin Fahrbahn, aber viele Menschen verstanden das falsch. Die Tempo-20-Zone ging mit einer Rechts-vor-links-Regelung einher, doch auch das setzte sich nicht durch im Verkehrsgeschehen. Plötzlich rollten also Kraftfahrzeuge und Radler durch einen Verkehrsversuch, auf dem andere Regeln galten als zuvor – bei gleicher Verkehrslast. Es kam hinzu, dass die Straßenverkehrsbehörden der Bezirksregierung und der Stadt eher „konservativ“ (Schmidt) auf die Regeln der Straßenverkehrsordnung und der Verwaltungsverordnungen bestanden. Im Ergebnis waren die weißen Fahrradpiktogramme auf der Straße mit gelber Farbe überstrichen, Ampeln abgeschaltet, Verkehrsteil-nehmer*innen verwirrt. Die Logik dahinter: Gelb sticht Weiß. Was die Verwaltungsexperten dabei nicht im Blick hatten, war die Realität des Straßenraums. Die konkrete Umsetzung des Verkehrsversuchs brachte Hohn und Empörung. „Das hat sicher nicht dazu beigetragen, dass die Lage auf der Straße übersichtlicher wurde“, sagt Schmidt heute.

Mit Schildern, Zeichen und Farbe: Seit 23. Oktober gilt eine neue Einbahnstraßenregelung. Vorher überstrichene Verkehrspiktogramme wurden nun wieder freigelegt.

Zweite Stufe ab 23. Oktober

Inzwischen hat die Stadtverwaltung nachgesteuert. Der Verkehrsversuch, so hat man es aus dem Rathaus stets kommuniziert, ist eine zweistufige Angelegenheit. Stufe eins, so ließ sich schon nach kurzer Zeit feststellen, brachte Desorientierung in den Straßenraum. Der Verkehr blieb, wie er war; die durchgestrichenen Zeichen und die gelbe Farbe auf dem Asphalt verwirrten die Menschen ebenso wie auf der Fahrbahn aufgestellte Hindernisse, mit denen der Verkehrsfluss beruhigt werden sollte. Das Ergebnis war gerade für Radfahrende eine erheblich gefährlichere Lage auf der Straße. Nun aber, mit Stichtag 23. Oktober, hat sich das Bild auf der Venloer Straße vollständig gewandelt. „Das ist eine Verzauberung“, sagt Bezirksbürgermeister Spelthann, „wer die Straße vorher kannte, sieht nicht nur eine Verbesserung, der sieht quasi eine ganz andere Straße.“

Verbesserungen fallen ins Auge

Dem Orientierungsverlust der vergangenen Monate folgt nun eine zweite Versuchsphase, in der noch mal alles neu ist. Für den Kraftverkehr gilt zwischen dem Ehrenfeldgürtel und der Piusstraße seit dem 23. Oktober eine Einbahnstraßenregelung. Radfahrende dürfen weiter in beide Richtungen fahren. Die alten Zeichen gelten wieder, die Straße ist nun auch wieder mit Tempo 30 befahrbar, auch Ampeln sind wieder angeschaltet. Wer die Straße in den Wochen seither beobachtet, erkennt augenscheinlich verbesserte Bedingungen nicht nur für die Fahrradfahrer*innen, sondern auch entspanntere Zustände für die Menschen in Pkw und Lkw. Die Straße ist ruhiger, Hindernisse sind beseitigt, statt durchgestrichener Zeichen gibt es nun vor allem Hinweise auf die Einbahnstraßenregelung. In Aussicht gestellt hat die Stadtverwaltung auch, die Markierungen für den Radverkehr noch einmal zu verbessern – gerade entgegen der Einbahnstraße ist das relevant, um diese Verkehrsteilnehmenden vor dem Kraftverkehr zu schützen. Denn trotz aller Schilder und Öffentlichkeitsarbeit: Man kann nicht davon ausgehen, dass sich die Menschen schlagartig an neue Regelungen halten und sie auch verstehen.

„Wir brauchen Anpassungen, die uns in den Kommunen mehr Möglichkeiten geben.“

Ascan Egerer, Beigeordneter für Mobilität, Stadt Köln

Erste Zwischenbilanz: Im November zog Kölns Mobilitätsbeigeordneter Ascan Egerer (M.) mit Kolleginnen aus der Stadtverwaltung ein erstes positives Fazit der neuen Einbahnregelung. Dabei stellte die Verwaltung auch ihr Partizipationsmodell vor.

Verkehrsversuch in Deutz scheiterte vor Gericht

Zur Präsentation der zweiten Phase dieses Verkehrsversuchs war auch Ascan Egerer anwesend. Für den Mobilitätsdezernenten der Stadt Köln ist das Projekt eine wichtige Angelegenheit. Zwei Wochen nach Start der Einbahnstraßenregelung sah auch er ein deutlich reduziertes Verkehrsgeschehen: „Bei dem Ziel, die Verkehrssicherheit in diesem viel befahrenen Bereich der Stadt zu erhöhen, ist es ein Meilenstein.“ Mit Verkehrsversuchen hat die Stadtverwaltung unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Für viele Autofahrer überraschend hatte sie vor einiger Zeit Poller auf der Zülpicher Straße aufgestellt, um den Durchfahrtsverkehr zu stoppen – die Maßnahme war ein großer Erfolg für den innerstädtischen Verkehr. Im Herbst kassierte Egerers Behörde dann jedoch eine gewaltige Schlappe: Ein autofreier Verkehrsversuch in Köln-Deutz ist verwaltungsgerichtlich gestoppt worden – die Sache brachte der Verwaltung massive Negativschlagzeilen.

Botschaft nach Berlin: Lockerungen im Regelwerk gebraucht

Egerer sieht ein, dass die erste Phase des Verkehrsversuchs problematisch war. „Die Menschen haben manches nicht verstanden. Das hat zu Verwirrung geführt.“ Man habe darum sehr schnell nachgesteuert. Mitnichten gehe es seinen Leuten in der Verwaltung darum, überhaupt erst Verwirrung aufkommen zu lassen, um dann eine einfache Lösung durchzubekommen. Doch Egerer leitet daraus auch ein Problem ab. „Das ist genau der Punkt, den wir auch weitergeben müssen, auch in Richtung Berlin, dass wir da Anpassungen brauchen, die uns in den Kommunen mehr Möglichkeiten geben.“ Es brauche Lockerungen im Regelwerk, weil sonst lokale Verkehrswende-Maßnahmen nicht möglich oder in angestrebten Kombinationen „nicht vorgesehen“ sind. Und wenn die Fachleute aus der Verwaltung an Orientierung denken, sind sie vielleicht oft überrascht darüber, dass die Nutzer*innen der Straßen damit nicht klarkommen. So war es eben auch mit der Regel „rechts vor links“ während Stufe 1 – sie müsste eigentlich jedem bekannt sein, wurde aber nicht praktiziert. Egerer sieht das inzwischen ein. Das Beispiel zeige vielleicht auch, dass es auf der Venloer einfach zu unübersichtlich war. „Es ist ja ein lebhafter Raum hier. Hier ist viel los, hier ist es bunt, hier sind viele Menschen unterwegs. Da muss man genau hingucken, denn wir haben auch jetzt den Raum wirklich sicherer machen wollen.“

Erste Stufe als „politischer Zaubertrick“

Politisch lässt sich allerdings festhalten, dass erst Durcheinander herrschen musste, um zu der neuen Lösung zu gelangen. Die Stufe 1 mit „verkehrsberuhigtem Geschäftsbereich“ war ein bundesweites Kuriosum. Sie war aber, so sagt es Bezirksbürgermeister Spelthann, auch ein „politischer Zaubertrick“. Gern hätte man im grünen Milieu und bei Radfahrer*innen direkt die Einbahnregelung gehabt. Aber dafür hätte es keine Mehrheiten gegeben. Und so machten die Vorkämpfer für eine veränderte Venloer Straße Zugeständnisse, um ans Ziel zu kommen. Diejenigen, die einer Einbahnstraße gegenüber skeptisch waren, konnten mit dem zweistufigen Verfahren leben. Und nun, mit Stufe zwei, entfalte der eigentliche Plan seine Wirkung.

Erweiterte Beteiligung der Öffentlichkeit

Aber was halten die Menschen von diesem Ergebnis politischer Taktik? Die Verwaltung hat das, nach einer eher kritikwürdigen Beteiligung in der ersten Phase, jetzt zum wichtigen Thema gemacht. Das „Meinungs-Mobil“ der Verwaltung ist auf der Venloer anzutreffen, die Mitarbei-terinnen sammeln Rückmeldungen aus der Bevölkerung, auch online kommt Feedback an. Begleitet wird diese Phase von Workshops, in denen Bürgerinnen mitwirken. So soll der Versuch um sich greifen. Christoph Schmidt vom ADFC sieht das mit Genugtuung. „Vor der ersten Phase des Verkehrsversuchs hat man die Öffentlichkeit nicht gut mitgenommen“, sagt er, das habe sich nun wie schon seinerzeit beim Radverkehrskonzept geändert. „Die Verwaltung hat hier alle Akteure eingebunden, spricht die Öffentlichkeit an. Da wurde nichts durchgeboxt, es hat das Potenzial, dass sich so Legitimation erhöht.“ Und das geht natürlich nur, wenn die Leute sich auch auf der Venloer Straße zurechtfinden.


Bilder: stock.adobe.com – tashalex, Tim Farin