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Will Butler Adams im Veloplan-Interview: „Städte müssen zu Inseln werden“

Will Butler-Adams ist CEO des Faltradherstellers Brompton. Im Interview erklärt er, wie die Firma ihr eigenes Verleihsystem von Fahrrädern aufgebaut hat und welche Rolle die Fahrradindustrie in sich wandelnden Städten einnehmen sollte. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Sie sind seit 21 Jahren bei Brompton. Welche Entwicklungen der Industrie in dieser Zeit sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Ich war überall, auf der IFMA, der Eurobike, der Interbike etc. Auf der ganzen Welt habe ich mein Fahrrad auf- und eingefaltet. Für eine Weile hat sich die Industrie selbst verloren, glaube ich, und war auf Mode anstatt auf die Technik fokussiert. Sie war interessiert an sexy Postern und Werbung, kostenlosem Bier, riesigen Ständen und Partys auf der Eurobike. Der Technik-Fokus ist wieder zurückgekommen aufgrund des E-Bikes. Das hat Einnahmen erbracht, Innovationen gefördert und meiner Meinung nach die Branche gerettet.

Und welches derzeitige Branchen-Thema beschäftigt Sie und Ihr Team?
Wir haben eine Klima- und Gesundheitskrise. Es geht nicht um sexy Bilder, sondern darum, einige der globalen Probleme zu lösen. Ein großer Teil davon ließe sich durch das Fahrrad lösen. Wenn wir als Industrie Lobbyarbeit betreiben und zusammenarbeiten mit Stadtplanern, Bürgermeistern, Politikern, dann können wir diese Schande beenden, dass zwei Tonnen schwere Fahrzeuge für drei oder vier Meilen durch unsere Städte rollen. Wir müssen lauter und animierender sein und einen besseren Job dabei machen, die Politik zu verändern. Das muss passieren.

Wie sollten Unternehmen agieren in dieser Forderung nach Veränderung?
Wir müssen ehrlicher sein. Manchmal sind die Leute in der Wirtschaft zu höflich. Wir haben eine Klimakrise, weil wir zu viel konsumieren. Konsum führt zu CO2-Emissionen. Ich kann eine 100 Kilogramm schwere Person zehn Kilometer durch Berlin transportieren mit einem zehn Kilogramm schweren Rad. Ich brauche dafür keine über zwei Tonnen schweren Elektrofahrzeuge. Aber auf der Autobahn kann ich keine 120 km/h fahren und einen Unfall überleben. Dafür sind diese Fahrzeuge gemacht.
Auch Güter sollten in der Stadt mit leichten Elektrofahrzeugen transportiert werden, die keinen Überrollkäfig, keine Airbags und Co. brauchen, weil sie nur 25 km/h fahren. Städte müssen zu Inseln werden und die Menschen schützen, die in ihnen leben. Wir sollten uns mit dem öffentlichen und dem aktiven Verkehr fortbewegen. Aber Fahrzeuge, die für 120 km/h auf der Autobahn gebaut sind, sollten nicht in der Stadt erlaubt sein. Die sind dort nicht angemessen.

„Für uns ist es viel einfacher, jemanden von einem Scooter zum Fahrrad zu konvertieren als aus einem Auto oder aus einer Straßenbahn. “

Will Butler-Adams, CEO Brompton

In der 25-km/h-Kategorie sind E-Bikes aktuell besonders beliebt. Welche Rolle spielen die motorisierten Fahrräder für Brompton?
Wir denken immer darüber nach, was unsere Fahrräder für die Kunden und Kundinnen leisten können. E-Bikes sind wichtig, weil wir wollen, dass mehr Leute Fahrrad fahren. Es gibt eine gewisse Anzahl an Leuten, die das nicht tut. Wenn man sie auf ein elektrisch unterstütztes Fahrrad setzt, lächeln sie, sind glücklich und sagen: „Okay, jetzt verstehen wir uns!“ Wir können sie zum Radfahren zurückholen und das Radfahren inklusiv halten.
Für Brompton werden E-Bikes aber nie genauso wichtig sein wie für gewöhnliche Fahrräder. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Fahrrädern tragen wir unsere Räder. Das Gewicht ist wirklich wichtig. In den Märkten, wo wir die elektrischen Räder verkaufen, machen sie rund 30 Prozent aus. Wir verkaufen sie aber nur auf der Hälfte der Märkte. Wir bieten sie nicht an in China, Japan oder Südkorea, was einige unserer größten Märkte sind. An den Gesamtverkäufen machen die E-Bikes ungefähr 15 Prozent aus. Dieser Anteil wird vermutlich nie größer als 30 Prozent werden, weil die Elektronik je nach Einsatzzweck des Fahrrads zu viel wiegen kann.

Welche Märkte wird Brompton als Nächstes erschließen? Ist das Faltrad ein Produkt, das überall funktionieren kann?
Unser größter Markt weltweit ist aktuell China, das Land hat das Vereinigte Königreich überholt. Weitere große Märkte sind Japan, Südkorea, Singapur, Frankreich, Spanien, Benelux, Deutschland und die USA. Sie sind sehr divers, aber funktionieren allesamt. Ihre Gemeinsamkeiten sind größer als ihre Unterschiede, obwohl Städte sehr verschieden sind. Sogar Los Angeles, was ein seltsames flaches Konglomerat ist, hat mehr Gemeinsamkeiten mit New York oder Tokio als Unterschiede. Die Herausforderungen sind dieselben, etwa Gesundheit oder Bevölkerungsdichte. Unsere strategischen Schlüsselmärkte sind China, Deutschland, die USA und das Vereinigte Königreich. In die werden wir am stärksten investieren.

Gibt es Negativbeispiele, also Märkte, in die Sie nicht vordringen konnten?
Nicht wirklich. Als wir angefangen haben, Fahrräder in Indonesien zu verkaufen, erlebten wir aber eine spannende Situation. Niemand von uns war je in Indonesien gewesen, dennoch waren wir dort in drei Geschäften präsent. Die verkauften erst 200, dann 1000, dann 2500 Räder. Wir vermuteten, dass sie die Räder über den grauen Markt nach Japan oder Südkorea weiterverkaufen. Ich besuchte die Städte dort und verbrachte Zeit mit unseren Kunden. Bei einer Frühstücksausfahrt traf ich 750 Bromton-Besitzer und Besitzerinnen. Gerechnet hatte ich mit 20.

Brompton hat immer in London produziert. Andere Firmen arbeiten gerade am Reshoring, also daran, die Produktion nach Europa zurückzubringen. Was wären Ihre Tipps für diesen Schritt?
Um die Kosten lokaler Produktion zu rechtfertigen, braucht man geistiges Eigentum. Wenn ein Unternehmen nur mit Standardrahmen arbeitet, sollte man diese weiterhin aus Asien oder vielleicht aus Portugal beziehen. Der Grund, mit dem wir rechtfertigen, vor Ort zu produzieren, ist, dass der Rahmen voll von geistigem Eigentum steckt. Wir stellen ihn also nicht nur her, sondern schützen unser Knowhow. Wir folgen außerdem nicht der Mode. Die Industrie ändert ihre Rahmen alle zwei Jahre. Wir haben unser Rad und die Art, wie wir es herstellen, 50 Jahre lang optimiert. Wir sind dabei unglaublich effizient und haben sehr wenig Ausschussware. 99,5 Prozent der Räder sind im ersten Anlauf richtig.

Bike Hire ist die Leihradsparte des Londoner Herstellers Brompton. Bereits gezahlte Leihgebühren können Kund*innen sich beim Privatkauf zum Teil gutschreiben lassen.

Ein spezielles Geschäftsfeld Ihres Unternehmens in Großbritannien ist Brompton Bike Hire. Wie wichtig ist dieses Projekt für die Firma?
Bike Hire ist ein zwölf Jahre altes Projekt. Zu der Zeit waren wir eines der ersten Mietradkonzepte. Es war ein Desaster. Aber da das Projekt klein war, konnten wir uns das leisten. So lernt man dabei etwas.

Ist es denn immer noch ein Desaster?
Nein, es ist fantastisch! Wir haben das Projekt entwickelt, weil unser Fahrrad kontraintuitiv ist. Einem Ferrari sieht man an, dass er schnell ist. Wenn man ein Brompton ansieht, denkt man erst mal, dass es ein Rollstuhl ist. Dann glaubt man, dass das Rad kaputt gehen könnte oder die kleinen Räder stören. Man muss es ausprobieren, um es zu verstehen.
Der ganze Grund, warum wir Bike Hire gestartet haben, war, um den Leuten Tests zu geringen Preisen zu ermöglichen und das Fahrrad zu erleben. Dann kann man das Investment rechtfertigen. Wir sind außerdem die einzige Radvermietung der Welt, wo Leute ein Fahrrad von uns kaufen können, wenn sie nach dem Test davon überzeugt sind. Wir sorgen damit also für Einnahmen und haben ein profitables, landesweites Geschäft. Wir sind in 50 Städten in Großbritannien. Die Kosten liegen bei fünf Pfund pro Tag.

Bereits gezahlte Kosten können Mieter über einen Rabatt zurückerhalten, wenn sie sich ein eigenes Brompton kaufen. Wie viele Menschen nutzen dieses Angebot?
Das funktioniert für uns gut. Wir nutzen Bike Hire aber auch für soziale Zwecke. Wir können Communitys, die sich beim Radfahren eigentlich nicht wohlfühlen, die Möglichkeit geben, unser Rad umsonst zu testen. Außerdem können Menschen das Rad leihen, es mit nach Hause nehmen und mit dem Auto in einen Park bringen und es dort fahren. Dort fühlen sich die Leute sicher und können sich wieder mit dem Radfahren vertraut machen.

Gibt es Pläne, das Konzept auch in anderen Ländern einzusetzen?
Es hat elf Jahre gedauert, bis wir dieses Konzept zum Laufen gebracht haben. Wir planen, in den nächsten zwölf Monaten in Singapur an den Start zu gehen. Schöne ist, dass dort niemand etwas stiehlt. Dieses Problem zu lösen, war eine unserer größten Hürden. Jetzt haben wir ein System, dem wir vertrauen, und sind in der Lage, es in anderen Ländern auszurollen.

Multimodaler Transport ist eine der Kernstärken von Falträdern. Wie blicken Sie auf die Konkurrenz aus Leihrädern und Sharing-Scootern?
Ich sehe das eher als Chance, denn als Gefahr. Wir müssen mehr Leute auf Fahrräder aller Art kriegen. Der Haupttreiber ist, dass wir unser Leben in Städten falsch gestalten. Wir als Industrie, egal ob Fahrräder, E-Scooter oder andere elektrische Leichtfahrzeuge, tragen diese Verantwortung gemeinsam. Ich bin ein großer Fan von E-Scootern. Früher war es so, dass Menschen geboren wurden, mit vier Jahren ein Laufrad hatten, Fahrrad fuhren und es mit 13 nicht mehr so cool fanden. Dann nahmen sie lieber den Bus und irgendwann ein Motorrad oder Auto. Jetzt realisieren die Kinder mit Scootern, dass Autos und U-Bahnen langweilig sind. Scooter fahren ist cool und gibt ihnen einen kleinen Adrenalinrausch. Die Menschen verschwinden nicht ins Auto oder in die Straßenbahn, sondern bleiben auf der Straße. Wenn sie dann 25 oder 27 sind, überlegen sie, ob es nicht besser wäre, ein Fahrrad zu nutzen, weil es sicherer ist und sie sich bei der Fortbewegung mehr bewegen können. Für uns ist es viel einfacher, jemanden von einem Scooter zum Fahrrad zu konvertieren als aus einem Auto oder aus einer Straßenbahn. Außerdem erzeugen Scooter-Fahrer mehr Druck auf die Fahrradinfrastruktur und fordern hier Verbesserungen.

Österreich fördert das Mobilitätsmittel Lastenrad in Kombination mit einem ÖV-Abo. Sollten andere Länder solche Maßnahmen adaptieren?
Der wichtigere Punkt ist, dass Regierungen Autobesitz mit Milliarden von Euros subventionieren. Damit sollten sie aufhören und in Radinfrastruktur, die Radverkehrserziehung von Kindern, mehr Parks und bessere Gehwege investieren. Es geht nicht um das Fahrrad, sondern um unser Zusammenleben in Städten. Wir müssen uns unsere Städte zurückholen und zusammenhalten. Wir müssen Städte gemeinsam gestalten, anstatt von der Autoindustrie gespalten zu werden.


Bilder: Brompton