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Erstes Flächenland mit Fahrradgesetz

Der Verkehrsausschuss von Nordrhein-Westfalen ist am 20.11.2019 einstimmig dem Antrag der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ gefolgt. Der Mobilitätswandel pro Fahrrad soll gestaltet und in einem Fahrradgesetz festgeschrieben werden. NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst zufolge wird das Projekt mit hoher Priorität vorangetrieben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Zu den Hintergründen und Plänen haben wir mit Dr. Ute Symanski gesprochen. Die Kölner Organisationssoziologin, -beraterin und politische Aktivistin hat sowohl den Kongress Radkomm – Kölner Forum Radverkehr als auch Aufbruch Fahrrad mitinitiiert und geprägt. Als Vertrauensperson begleitet sie den weiteren Prozess.

Was waren Ihre Erwartungen beim Radgesetz und sind sie erfüllt worden?
Unsere Erwartungen sind mehr als erfüllt worden. Wir hätten tatsächlich nicht gedacht, dass es den Beschluss gibt, ein Fahrradgesetz für NRW zu machen. Wir haben neun Forderungen aufgestellt und als Zusatz den Wunsch, dass diese Forderungen in ein Fahrradgesetz überführt werden. Das haben wir bewusst abgeschwächt, weil wir es nicht fordern, aber trotzdem in den Raum stellen wollten. Es war dann überwältigend für uns zu hören, dass unsere Forderungen tatsächlich gesetzlich verankert werden sollen.

Sie haben dazu die „Volksinitiative Aufbruch Fahrrad“ gegründet. Was macht die Initiative aus?
Mit der Initiative Aufbruch Fahrrad verbindet sich viel mehr als einfach nur eine Unterschriftensammlung. Zum einen wollten wir gegenüber der Politik und der Verwaltung beweisen, dass es wirklich sehr viele Menschen im Land gibt, die dafür ihre Stimme geben. Das konnten wir nur mit einer Unterschriftensammlung. Zweitens wollten wir ein Bündnis schmieden und die zivilgesellschaftlichen Akteure, die etwas mit Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder Mobilität zu tun haben, zusammenführen. 215 Vereine und Verbände und Initiativen sind mit dabei – ein ganz breites Spektrum, von den großen Organisationen wie dem ADFC oder VCD bis hin zu kirchlichen Initiativen oder Sportvereinen. Wir wollten nach außen zeigen, dass es viele sind, aber auch, dass die Menschen das untereinander mitbekommen und ihnen klar wird, dass sie durchaus eine zivilgesellschaftliche Macht haben. Deshalb ist es auch ein Aktionsbündnis und ein Netzwerk.

Sie haben 207.000 Unterschriften gesammelt. Das ist ein enormes Ergebnis. Haben Sie damit gerechnet?
66.000 Unterschriften mussten gesammelt werden und dass wir das schaffen, daran habe ich nie gezweifelt. Aber das wir dann unser Wunschziel von 100.000 Unterschriften mit 207.000 so deutlich getoppt haben, damit bin ich wirklich glücklich. Ich merke auch, dass das eine Zahl ist, die im Land und vor allem in der Politik richtig Eindruck macht.

Wie schätzen Sie die Ergebnisse der Unterschriftensammlung ein?
In der Politik wird die Zahl der Unterschriften sehr hoch gewertet, weil man weiß, dass sie ohne einen Lobbyverband im Rücken zustande gekommen ist und jede Unterschrift umgerechnet in Aufwand einen Euro kostet. Wir haben das alles ehrenamtlich gemacht. Dazu kommt, dass es kein Leitmedium in NRW gibt und wir deshalb wahnsinnig viel Netzwerkarbeit machen mussten.

Feierlaune nach Monaten harter Arbeit bei den Aktivisten der Volksinitiative – und auch eine herzliche Umarmung von Ute Symanski mit NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst fehlt nicht.

Was macht die Zustimmung der Politik in NRW zur Volksinitiative zu etwas Besonderem?
Aufbruch Fahrrad ist die erfolgreichste Volksinitiative in NRW, in dem Sinne, dass der Landtag noch nie die Forderungen einer Volksinitiative vollständig übernommen hat. Mit den gesammelten Unterschriften wird ja nur erreicht, dass sich der Landtag damit beschäftigt. Aber ob dann zugestimmt wird, steht auf einem anderen Blatt. Dass dann einstimmig zugestimmt wurde, das gab es bislang noch nie. Es gab auch nie eine Volksinitiative, die von einer Frau eingereicht wurde. Und dann noch mit einem Mobilitätsthema in einer Männerdomäne. Darüber freue ich mich auch im Sinne der Sache der Frauen. Interessanterweise wird das von vielen, auch in den Medien, bislang gar nicht so wahrgenommen.

Wie geht es jetzt weiter?
Sofort nach dem Beschluss des Landtags wurden Termine zur weiteren Besprechung mit uns und allen Anspruchsgruppen geplant, die jetzt laufen. Bis Mai soll ein erstes Eckpunktepapier erstellt werden. Meine Wahrnehmung aus vielen Gesprächen ist, dass es aktuell eines der priorisierten Projekte im Verkehrsministerium ist. Ich denke, Minister Hendrik Wüst möchte der Erste sein, der ein Radverkehrsgesetz in einem Flächenland umsetzt. Auch das NRW Umweltministerium mit Ursula Heinen-Esser steht dahinter. Sie war eine der Ersten, die sagte, dass die ersten Lesungen vielleicht schon im Herbst stattfinden könnten.

Wie schätzen Sie die Wirkung des Fahrradgesetzes ein?
Ich teile mit Christine Fuchs von der AGFS (Anm.: Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW) die Meinung, dass dieses Gesetz enorm wichtig ist, weil es den Kommunen einerseits Rückendeckung gibt und zudem auch einen Aufforderungscharakter hat. Politik und Verwaltung können sich nur noch schwer hinter einem „das dürfen wir nicht“ oder „das geht nicht“ verstecken.

Was braucht es, damit das Fahrradgesetz eine Signalwirkung in NRW und darüber hinaus entfalten kann?
Enorm wichtig sind Fürsprecher für das Thema. Wenn ein Minister und andere hochrangige Persönlichkeiten sagen: „Wir geben unserem Land ein Radverkehrsgesetz, weil wir zeigen wollen, wie wichtig uns der Radverkehr ist“, dann wird es eine große Signalwirkung geben. Wichtig ist hier auch der direkte Draht zum Bund und dem BMVI. NRW hat gerade beim Thema Mobilität ein großes Gewicht in Berlin.

Maßnahmen für NRW im Überblick

  1. Mehr Verkehrssicherheit auf Straßen und Radwegen
  2. NRW wirbt für mehr Radverkehr
  3. 1000 Kilometer Radschnellwege für den Pendelverkehr
  4. 300 Kilometer überregionale Radwege pro Jahr
  5. Fahrradstraßen und Radinfrastruktur in den Kommunen
  6. Mehr Fahrrad-Expertise in Ministerien und Behörden
  7. Kostenlose Mitnahme im Nahverkehr
  8. Fahrradparken und E-Bike-Stationen
  9. Förderung von Lastenrädern

Forderungen in Langform und aktuelle Informationen unter aufbruch-fahrrad.de


Bilder: Aufbruch Fahrrad, Reiner Kolberg