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E-Scooter nach dem ersten Hype

Nach der Winterpause startet in Deutschland die zweite E-Scooter-Saison. Zeit, den Stand der Dinge zu prüfen. Wie sieht es mit der Nutzung aus, wie mit der Technik und wo geht es künftig hin? Erster Eindruck: Mit neuen Ideen, Gestaltungswillen und Hightech-Einsatz lassen sich viele Probleme lösen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Bewegen sich Menschen nur noch auf elektrischen Rollern durch die Stadt? Beim Start der E-Scooter befürchteten viele, dass sie vor allem Fußwege und öffentliche Verkehrsmittel ersetzen würden. Danach sieht es allerdings nicht aus. Die Agora Verkehrswende hatte schon im Herbst 2019 Zahlen aus den USA und Frankreich veröffentlicht, die das nicht bestätigten.

Studie aus Paris: keine Verdrängung durch E-Scooter

Eine aktuellere Studie aus Paris für den Anbieter Dott zeigt ähnliche Ergebnisse: Demnach gaben 37 Prozent der Befragten an, dass sie zu Fuß gegangen wären, wenn kein Roller zur Verfügung gestanden hätte. Allerdings sagten nur sechs Prozent der Befragten, dass sie weniger zu Fuß gingen, seit es E-Scooter gibt. Beim ÖPNV sind die Zahlen ähnlich: 18 Prozent der E-Scooter-Fahrten fanden in Kombination mit dem ÖPNV statt, wobei in fast der Hälfte der Fälle der Roller nur für eine Strecke, also den Hin- oder Rückweg genutzt wurde. Bevorzugt wurden die E-Scooter für kurze Strecken unter drei Kilometern mit einer durchschnittlichen Dauer von 13 Minuten eingesetzt; fast zwei Drittel der Fahrten dauerten weniger als eine Viertelstunde. Dabei wurden sie für notwendige Fahrten nach Hause oder zum Studium/der Arbeitsstelle genutzt, häufig aber auch in der Freizeit. Der Roller scheint sich aktuell zudem zu einer beliebten Form der gemeinschaftlichen Mobilität zu entwickeln. So wurden rund ein Fünftel der Fahrten von mehreren Personen unternommen. Viele Fahrten fanden zwischen 17 und 21 Uhr und noch spät in der Nacht statt, wenn keine Bahnen oder Busse mehr fuhren.

Stuttgart: Zusatzverkehr mit Entlastungspotenzial

Die Pariser Studie deckt sich mit Erfahrungen aus Stuttgart. Ralf Maier-Geißler ist Leiter des Referats „Strategische Planung und nachhaltige Mobilität“ in Stuttgart. Er bekommt die Analysen der Anbieter und kann von seinem Büro in der Innenstadt aus die Entwicklung auch direkt beobachten. Den Daten zufolge ist der Großteil der Nutzer unter 30 Jahre alt. Die Strecken, die mit E-Scootern zurückgelegt werden, sind hier kürzer als in Paris. Im Schnitt 1,2 Kilometer beziehungsweise acht Minuten. Kein Vergleich auch zum RegioRad, dem Leihradangebot der Stadt. „Dort sind wir beim fast Zwanzigfachen“, so Maier-Geißler. Anhand der Auswertung der Bewegungsdaten, die die Stadt von den Anbietern bekommt, prüft er die These, ob damit die sogenannte Anschlussmobilität gefördert wird. Im Moment sieht es in Stuttgart aber eher so aus, als ob es sich um zusätzliche Fahrten handelt, die nicht den Autoverkehr, sondern eher den Fußweg oder eine ÖPNV-Strecke ersetzen. Letzteres findet Maier-Geißer nicht schlimm, wenn sie in den Stoßzeiten stattfinden und damit den ÖPNV entlasten.

Potenzial zur Ergänzung des Umweltverbunds

Trotz des rasanten Wachstums macht die Mikromobilität bislang in der Summe nur einen sehr kleinen Teil der städtischen Mobilität aus. So erreichten die E-Scooter in Paris einen Anteil am Gesamtverkehr von 0,8 bis 2,2 Prozent. In der Reihenfolge der Gründe, den Roller zu nehmen, steht dabei an erster Stelle die Geschwindigkeit, gefolgt von der Bequemlichkeit und der Möglichkeit, von Tür zu Tür zu kommen. Die Agora sieht in ihrer Studie die Verknüpfung mit dem ÖPNV als große Chance für den Umstieg vom Auto, dazu müsse aber der gesamte Umweltbund attraktiver gemacht werden. E-Scooter-Anbieter, Kommunen und ÖPNV müssten vor allem an drei Punkten anpacken: Bei der Tarifgestaltung, der Verfügbarkeit und der digitalen Integration. Tatsächlich gibt es in hier inzwischen Bewegung: Lime und Circ haben bereits Sparpakete eingeführt: Bei Lime gibt es einen Wochenpass, der für knapp sieben Euro die Kosten für das Entsperren enthält, bei Circ gibt es eine ganze Reihe von Optionen, vom Einstundenpass für 3,99 Euro, über den Wochenpass bis zum Monatsplan mit 30 Tagen Gratisentsperrungen und 120 Minuten Guthaben. Daneben arbeiten die Anbieter mit Algorithmen und Kommunen mit Abstellplätzen in ÖPNV-Nähe daran, sicherzustellen, dass ausreichend E-Scooter für Anschlussfahrten vorhanden sind. Und Vorreiterstädte integrieren E-Scooter-Angebote inzwischen in ihre digitalen Navigations- und Buchungssysteme. Am weitesten ist dabei die Stadt Berlin mit der BVG-App Jelbi. Sie ermöglicht es, Fahrten mit verschiedenen Mobilitätsformen über eine Oberfläche zu planen und zu bezahlen.

Klare Ansagen auf dem Display bei Lime

Zweite Wachstumsphase bei E-Scooter-Anbietern

In der ersten Wachstumsphase ging es den Anbietern zufolge hauptsächlich darum, sichtbar zu sein und Marktanteile zu gewinnen. Das erfolgte häufig auf Kosten der Nachhaltigkeit. Dieses Jahr geht es nach den Aussagen vieler Anbieter darum, wirtschaftlich zu arbeiten – und das fängt bei den Rollern an. So gehören die aktuellen E-Scooter in Stuttgart seit dem Start im Januar 2019 schon zur dritten Generation. Die Modelle von Tier und Cirq kommen jetzt zum Beispiel mit einem Wechselakku, sodass zum Laden nicht mehr die kompletten Scooter eingesammelt werden müssen. Die neuen Modelle sollen im harten Verleihbetrieb außerdem wesentlich länger halten. Bis zu 18 Monate Laufzeit gegenüber drei bis vier Monaten bei der ersten Generation verspricht beispielsweise Tier.

Lösbares Problem: Abstellflächen

Größere Probleme gibt es bislang noch beim Abstellen. Aber auch hier sind Lösungen in Sicht: In Berlin hat der Senat für die Bezirke die Möglichkeit geschaffen, Kfz-Stellflächen in Parkzonen für Tretroller und Fahrräder umzuwandeln. Hunderte Parkplätze sollen so Platz für die bis zu 16.000 E-Scooter in der Stadt schaffen. Außerdem sollen in Fünf-Meter-Bereichen von Kreuzungen, an denen Autos nicht parken dürfen, Abstellplätze für Fahrräder und Scooter entstehen. Auch in Köln richtet man demnächst gesonderte Abstellflächen ein. Christian Leitow, Mitarbeiter im Team des Kölner Fahrradbeauftragten, vertraut dabei auf die „Macht der Linien“ und eine „Incentivierung“, sprich Belohnung, oder Bestrafung durch die Scooter-Anbieter. In Paris funktioniert das bereits beim Unternehmen Bird. Der Anbieter hat legale Abstellplätze in der App markiert und überprüft, ob die Nutzer ihre Roller auch dort abstellen. Tun sie es, werden sie anfangs noch belohnt. Tun sie es nicht, werden sie später bestraft. Für die Anbieter selbst hat das in Bezug auf die Verfügbarkeit Nachteile, andererseits aber wiederum Vorteile beim Servicen der Flotte.

Hightech-Einsatz hilft Anbietern und Kommunen

Wenn es Probleme gibt, setzen Start-ups auf Technik – und sie sind dabei sehr kreativ. So kann der kalifornische Anbieter Lime inzwischen erkennen, ob sein E-Scooter auf dem Bürgersteig gefahren wird. Dazu filtern die Entwickler aus den Daten der Beschleunigungssensoren Vibrationen heraus und ordnen diese dem jeweiligen Untergrund zu. Eigenen Aussagen zufolge erkennt man in San José Gehwegfahrer mit 95-prozentiger Sicherheit. In der App folgt dann prompt eine Mahnung. Da mit E-Scootern häufig dann auf Gehwegen gefahren wird, wenn es keine Radwege gibt, sind diese Daten aber auch für Städte interessant. So können sie erkennen, wo Bedarf für eine bessere Infrastruktur besteht. Das ITF schlägt vor, ähnliche Techniken zu nutzen, um etwa schlechte Straßenbeläge zu dokumentieren oder aus Beinahe-Unfällen (erkennbar zum Beispiel durch Bremsen und Schlingern), gefährliche Straßenabschnitte zu ermitteln. Das Tracking der Fahrten bietet auch für Polizei und Kommunen Ansatzpunkte, um die Sicherheit zu verbessern. So berichtet Ralf Maier-Geißer, dass die Stadt Stuttgart aus den Daten der Anbieter ablesen kann, an welchen Stellen besonders häufig die gesperrte Fußgängerzone gequert wird. Dort könne dann ganz gezielt kon­trolliert werden.

Weniger Unfälle als angenommen

Auch das Thema Sicherheit ging immer wieder durch die Medien: unvorsichtige junge Menschen, die, alkoholisiert oder zu zweit, auf dem Bürgersteig führen und sich bei Stürzen schwer verletzten. Ist das wirklich so? Anfang des Jahres überraschte der Versicherer DEVK, indem er die Preise für die Versicherung privater E-Scooter für Fahrer ab 18 Jahren um bis zu 42 Prozent senkte. Die Begründung: Sie seien weniger in Unfälle verwickelt als erwartet. Nur die Jüngeren zahlen weiterhin den vollen Betrag. Auch bei Leihrollern scheint die Situation nicht so dramatisch zu sein, wie ursprünglich angenommen. Im Fe­bruar veröffentlichte das International Transport Forum (ITF) eine Studie zur Sicherheit der Mikromobilität. Zusammenfassend heißt es hier:

  • Die Gefahr eines tödlichen Unfalls oder einer schweren Verletzung ist auf einem Leih-E-Scooter nicht größer als auf einem Fahrrad.
  • In 80 Prozent der tödlichen Unfälle sind motorisierte Fahrzeuge beteiligt.
  • Der Verkehr wird für alle sicherer, wenn E-Scooter oder Fahrräder die Fahrten von Autos und Motorrädern ersetzen.

Wie sicher oder gefährlich das Fahren mit E-Scootern in Deutschland tatsächlich ist, wird sich künftig gut prüfen lassen. Denn das Statistische Bundesamt nimmt die Zahlen als eigenen Eintrag mit in die Unfallstatistik auf.

Mehr Sicherheit ist machbar

Um die Sicherheit zu erhöhen und schwere Unfälle zu verhindern, gibt das International Transport Forum eine Reihe von Empfehlungen. Die reichen von geschützten Wegen über Tempo 30 bis hin zu Design-Verbesserungen bei den Scootern – unter anderem mit größeren Rädern und veränderten Geometrien, um die Fahreigenschaften auf schlechten Straßen und Radwegen zu verbessern. Außerdem sollten Blinker vorgeschrieben werden, denn im Gegensatz zum Fahrrad ist es auf dem Roller schwierig, beim Abbiegen Handzeichen zu geben. Das schlägt auch der Verkehrsgerichtstag vor, dessen Empfehlungen in der Vergangenheit schon häufiger von der Politik aufgegriffen wurden. Er empfiehlt außerdem mehr Aufklärung über die Verkehrsregeln durch die Anbieter und setzt sich ein für eine „Prüfbescheinigung zum Führen eines Elektrokleinstfahrzeuges“. Ob die wirklich notwendig ist? Christian Leitow vom Team des Fahrradbeauftragten in Köln berichtet, dass es immer noch Beschwerden über das Fahrverhalten mancher Nutzer gäbe, diese aber deutlich abgenommen hätten. Erstens, weil im Winter defensiver gefahren werdem, und zweitens, weil die Ausprobierphase des Sommers wohl vorbei sei und sich zudem ein gewisser Lerneffekt eingestellt habe.


Bilder: Mack Male, Creative Commons, Lime, René Mentschke, Creative Commons