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Der Mensch macht den Verkehr

In den 1920er-Jahren wurde der technische Fortschritt gefeiert, gleichzeitig lagen Verheißungen und Bedrohungen bei den Städten der Zukunft eng beieinander. 100 Jahre später stehen wir wieder vor Umbrüchen und wieder ist es der Mensch, der die Veränderungen bestimmt – nicht immer rational. Was ist nötig für eine echte Transformation der Mobilität? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Ein positives Mobilitätserlebnis ohne Pkw ist vor allem auch von emotionalen Faktoren abhängig. Die Professoren Vöckler und Eckart haben ihre Forschungsergebnisse zum Mobility Design der Zukunft jüngst in Buchform gebracht.

Der Wiener Verkehrsplaner und emeritierte Professor Hermann Knoflacher spricht in seinen Büchern und Vorträgen häufig davon, dass Verkehr kein Schicksal sei. Die jahrzehntelang autobedarfsorientierte Planung habe weniger auf kognitiven, sondern vor allem auf emotionalen Prozessen basiert, die mehr und mehr zur bestimmenden Grundlage des Denkens und Handelns geworden seien. Dieser Einschätzung kann man sich auch heute nicht entziehen, angesichts der oftmals hitzig geführten Diskussionen in Bezug auf eine wohl notwendige, wenn nicht überfällige Neuordnung der Mobilität. Dafür sprechen sich unter anderem auch Prof. Dr. Kai Vöckler (Urban Design) und Prof. Peter Eckart (Integrierendes Design) von der Hochschule für Gestaltung in Offenbach aus. In ihrem gerade in deutscher Übersetzung erschienenen Fachbuch „Mobility Design: Die Zukunft der Mobilität gestalten“ analysieren sie den Status quo und eröffnen einen Blick auf die Handlungsprämissen (s.a. Buchvorstellung S. 80). „Die individuelle und Automobilität ist infrastrukturell und institutionell in den Raum eingebettet, und hier muss der Umbau des alles Beherrschenden, auf individuelle Motorisierung setzenden Verkehrsmodells ansetzen“, so die Autoren. Rahmenfaktoren, wie Klimakrise, Ressourcenverknappung und negative Belastungen für Mensch und Umwelt, erhöhten die Dringlichkeit, neue Lösungen für eine nachhaltige Mobilität zu schaffen. Neben dem Ausbau der Infrastrukturen und der Bündelung von Verkehrsoptionen bedürfe es einer grundsätzlichen Transformation hin zu einem umweltfreundlichen Mobilitätssystem. „Dazu braucht es weniger fliegende Taxis und vollautonome Pkws, sondern einen von der öffentlichen Hand regulierten Markt, dessen Rückgrat neben dem schienengebundenen Fern-, Regional- und Nahverkehr das öffentliche Nahverkehrssystem bildet und das durch On-Demand-Angebote autonomer/teilautonomer Fahrzeuge (Kleinbusse) und Sharing-Angebote, angetrieben mit nicht-fossiler Energie, ergänzt wird.“ Eine klimaschonende Mobilität fördere dabei vor allem das Zufußgehen und die Nutzung des Fahrrads in der nahräumlichen Fortbewegung.

„Akzeptanz und Identifikation mit einer neuen umweltschonenden und vernetzten Mobilität wird es ohne eine qualitativ hochwertige Gestaltung nicht geben.“

Prof. Dr. Kai Vöckler und Prof. Peter Eckart, Hochschule für Gestaltung Offenbach

Transformation als gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Wie man sich bewegt und womit, sei dabei keineswegs eine nebensächliche Frage. Es ginge um „Subjektivierungspraktiken“, die sich an „emotional aufgeladenen Objekten wie dem Automobil festmachten. Sie seien tief in die Alltagskultur eingebettet und hier verbänden sich auch „Lebensstile, Konsumwünsche und Verhaltensweisen, die (…) individuelles Selbsterleben und damit Selbstbestätigung ermöglichen.“ Das müsse beim Mobilitätsdesign mitbedacht werden, verbunden mit der Frage, wie Menschen ein positives Mobilitätserlebnis abseits des privaten Pkws vermittelt werden könne. Es ginge um emotionale Faktoren: „Fühle ich mich wohl, fühle ich mich sicher? Wie spricht das System zu mir? Steht es für innovative Mobilität? Drückt es mir gegenüber Wertschätzung aus?“ Aufgabe des Mobilitätsdesigns sei es, zwischen Mensch und Mobilitätssystem zu vermitteln und Nutzungserfahrungen positiv zu beeinflussen, so Vöckler und Eckart. Aktuell gibt es hier in weiten Teilen Deutschlands allerdings noch viel zu tun. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind nach einer Erhebung des Portland Bureau of Transportation in Bezug auf das Radfahren „interested, but concerned“. Nach den aktuellen Daten des Deutschen Fahrradmonitors gibt hierzulande fast die Hälfte der Radfahrenden an, sich nicht sicher zu fühlen, wenn sie im Straßenverkehr unterwegs sind. Und das Image? Radfahrende werden nach wie vor oft pauschal als notorische Ver-kehrssünderinnen abgestempelt, die kostenlos die von Autofahrerinnen finanzierten Straßen nutzten, und Lastenrad-Fahrerinnen gehörten, wie im letzten Jahr ausgiebig diskutiert, zur besser verdienende Latte-Macchiato-Gesellschaft. Beides geht weit an der Realität vorbei. Und E-Scooter-Fahr-erinnen? Sie bewegen sich zwar geräuschlos, energiesparend und mit maximal 20 km/h eher gemütlich, trotzdem sind sie für viele willkommene Opfer von Missbilligung und Verurteilung – selbst in Fachmedien und bei Entscheider*innen. Wie soll man so eine wohl notwendige Transformation zu einem umweltschonenden Mobilitätssystem erreichen? Vöckler und Eckart sehen hier eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die politisch gestaltet werden müsse. Dazu bedürfe es eines gesellschaftlichen Konsenses dahingehend, dass diese Maßnahmen zum einen sinnvoll sind und zum anderen auch in den Alltagswirklichkeiten der Menschen funktionieren. Sie müssten also nicht nur machbar sein, sondern auch den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen entsprechen. „Akzeptanz und Identifikation mit einer neuen umweltschonenden und vernetzten Mobilität wird es ohne eine qualitativ hochwertige Gestaltung nicht geben.“

Zukunft des Verkehrs istmenschengemacht

„Wir müssen uns als Erstes darüber klarwerden, dass die Mobilität und der Verkehr der Zukunft kein Zufall sind“, sagt Prof. Dr. Markus Friedrich, der den Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik an der Universität Stuttgart leitet und für den Raum Stuttgart in Workshops und Analysen verschiedene Szenarien künftiger Mobilität untersucht hat. „Wir bekommen die Zukunft des Verkehrs, die wir wollen.“ Das Hauptproblem sei mit Blick auf eine tatsächliche Transformation, dass die Menschen und die Politik sehr ähnlich reagierten: Maßnahmen, die persönlich nutzen, also zum Beispiel die finanzielle Förderung von E-Mobilität oder kostenloser ÖPNV, seien beliebt. Andere Maßnahmen, wie Tempolimits, höhere Preise, höhere Parkgebühren oder mehr Kontrollen lehne man ab. Obwohl man genau wisse, dass das die Maßnahmen sind, die mit Blick auf eine nachhaltige Mobilität deutlich mehr brächten. In diesem Planungsdilemma steckten die Fachleute aktuell fest. Um wirklich weiterzukommen, müssten klare Ziele definiert und ein Zusammenhang hergestellt werden zu möglichen Maßnahmen. „Wenn wir echte Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit wollen, dann brauchen wir einen anderen Rahmen und eine andere Systematik für die Diskussion“, so Prof. Friedrich. Dazu bräuchte es auch Politiker*innen, „die sich hinstellen und sagen, wir müssen weiterdenken“.

„Wir wollen den Menschen die Wirkungszusammenhänge nahebringen, damit sie besser verstehen, dass nicht alles so ganz einfach ist, wie man erst mal denkt.“

Prof. Dr. Markus Friedrich

Vier Szenarien für die Mobilität der Zukunft

Prof. Dr. Friedrich hat mit Stuttgarter Bürger*innen und einem interdisziplinären Team der Universität Stuttgart mit „Visionsworkshops“ vier mögliche künftige Mobilitäts-Szenarien erarbeitet. Der Visionsworkshop sei eine gute Möglichkeit, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, so Friedrich. Zielkonflikte und Ergebnisse würden dabei schnell offensichtlich. In einem ersten Workshop wurden mögliche Ziele und Maßnahmen definiert, die die Experten dann zu vier Szenarien zusammenfassten, visualisierten und analysierten. In einem zweiten Workshop wurden die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Dabei ging es vor allem um die eigene Zustimmung oder Ablehnung, aber auch um die vermutete Zustimmung anderer sowie eine Einschätzung, wie realistisch eine Umsetzung jeweils bis zum Jahr 2030, 2040, 2050 oder nach 2050 sein wird. Hier die Ergebnisse in Kurzform:

Szenario 1: Weniger ist mehr

Diese Vision beschreibt eine entschleunigte Welt mit weniger Arbeitszeit, mehr Homeoffice und somit mehr Zeit in Wohnortnähe.

Wünsche und Visionen der Bürgerinnen und Bürger
  • Bescheiden werden, mehr Lokales, Zeit haben, Wege vermeiden, deutlich mehr Homeoffice und virtuelle Besprechungen, verbleibenden Verkehr gezielt verteilen, Urban Gardening statt Parkplätze, mehr Lebensqualität bei weniger Einkommen und Arbeitszeit
Auswirkungen im Bereich Verkehr:
  • Personenkilometer: -35 %
  • Pkw-Verkehr: -70 %
  • Öffentlicher Verkehr: +50 %
  • Rad und Fuß: +50 % weniger Pkw-Stellplätze im Straßenraum erforderlich
Zustimmung/Ablehnung:
  • 28% der Befragten meinen, „Ja, das wird super“, weitere 49% finden die Vision „Nicht perfekt, aber o.k.“. Nur 13% stehen ihr ablehnend gegenüber. Deutlich weniger optimistisch waren die Befragten, was die Zustimmung anderer angeht. 85 % äußerten sich hier kritisch. Bezogen auf die Umsetzung ging ein Großteil davon aus, dass das Szenario bis 2030 bzw. 2040 Realität werden könne.

Szenario 2: Vernetzt und vielfältig

In dieser Vision werden Anreize im Umweltverbund mit Preissteigerungen im Pkw-Verkehr kombiniert und die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt.

Wünsche und Visionen der Bürgerinnen und Bürger
  • Nutzung multimodaler Verkehrskonzepte, City-Maut, faire Kostenverteilung, externe Kosten von Verkehr werden von Nutzenden bezahlt, fußläufige Erreichbarkeit für Einrichtungen des täglichen Bedarfs, S-Bahn-Ring vollenden, Attraktivität des Umweltverbunds steigern (Individualverkehr teurer, öffentliche Verkehrsmittel kostenlos), flexible Mobilitätsplanung per App
Auswirkungen im Bereich Verkehr:
  • Personenkilometer: -10 %
  • Pkw-Verkehr: -35 %
  • Öffentlicher Verkehr: +55 %
  • Rad: +50 %
  • Fuß: ±0 %, da Öffentlicher Verkehr billiger wird
Zustimmung/Ablehnung:
  • Für diese Vision gibt es mit Abstand die größte Zustimmung. 48% finden sie super, weitere 39% o.k.. Rund ein Viertel der Befragten kann sich zudem vorstellen, dass einer Mehrheit der Stuttgarter diese Vision gefällt. 36% halten eine Umsetzung bis 2030 für realistisch, weitere 43% bis 2040.

Szenario 3: Individuell und autonom

Diese Vision verbindet den Sharing-Gedanken mit den potenziellen Möglichkeiten autonomer Fahrzeuge. Diese werden geteilt, aber individuell genutzt.

Wünsche und Visionen der Bürgerinnen und Bürger
  • Carsharing und neue Ansätze autonomer Lieferverkehr, selbstfahrende Drohne als Transportfahrzeug, „Endlich klappt’s“
Auswirkungen im Bereich Verkehr:
  1. Personenkilometer: ±0%
  2. Pkw-Verkehr: +15%
  3. Öffentlicher Verkehr: -30%
  4. Rad und Fuß: ±0%
  5. Pkw-Fahrzeuge: -40%
  6. weniger Pkw-Stellplätze im Straßenraum erforderlich
Zustimmung / Ablehnung:
  • Bei dieser Version gehen die Meinungen weit auseinander. 22 % finden sie super, weitere 12 % o.k., aber 49 % sagen ganz klar „Bitte nicht“. Nicht ganz so hoch ist die geschätzte Ablehnung in der Bevölkerung mit 42 %. Nur 6 % halten die Umsetzung bis 2030 für realistisch, weitere 33 % bis 2040 und 27 % bis 2050. 16 % gehen zudem davon aus, dass sich dieses Szenario nie verwirklichen lässt.

Szenario 4: Kollektiv und autonom

Diese Vision will eine Welt ohne private Fahrzeuge. Mobilität wird öffentlich organisiert, der Straßenraum gehört allen. Öffentliches Ridesharing ersetzt die privaten Pkw und Busse.

Wünsche und Visionen der Bürgerinnen und Bürger
  • Die Stadt gehört wieder allen! Stuttgart ohne private Autos: Motorisierter Individualverkehr 2030 minus 50% wird umgesetzt, „Feinstaub ade!“, „Wir haben es geschafft!“ Mobilität ist hauptsächlich öffentlich organisiert und wird durch private Sharing-Angebote ergänzt. Auf ehemaligen Hauptverkehrsachsen entstehen Parks.
Auswirkungen im Bereich Verkehr:
  • Personenkilometer: ±0 %
  • Pkw-Verkehr (inkl. öffentliches Ridesharing): -35 %
  • Öffentlicher Verkehr: -30 % (Wegfall Bus)
  • Rad und Fuß: ±0 %
  • Pkw-Fahrzeuge: -90 % (Pkw-Besetzungsgrad steigt von 1,3 auf 2,4)
  • weniger Pkw-Stellplätze im Straßenraum erforderlich
Zustimmung/Ablehnung:
  • Für diese Vision gibt es ebenfalls zwiespältige Meinungen. 31% finden sie super, weitere 29% o.k.. Rund ein Viertel sagt aber auch „Nein, bitte nicht“. 34% glauben, dass diese Vision bei den Büger*innen auf Ablehnung stößt, nur 17 % gehen von einer Zustimmung aus. Auch hier halten nur 6 % eine Umsetzung bis 2030 für realistisch, weitere 28 % bis 2040 und 26 % bis 2050. Für fast ein Fünftel (18%) ist dieses Szenario generell unrealistisch.

Bilder: stock.adobe.com – MicroOne, qimby.net – Philipp Böhme, Julian Schwarze – project-mo.de, qimby.net – Philipp Böhme