Beiträge

Große Hitze und Starkregen setzen den Innenstädten zu. Um die Folgen des Klimawandels abzupuffern, müssen Stadtstraßen zukünftig deutlich grüner werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


Es sind die Städte, die die Folgen des Klimawandels besonders spüren. Während der Sommermonate ist die Hitze im Zentrum ihr größtes Pro-blem. Die asphaltierten Straßen und die Gebäude heizen sich überproportional stark auf und erwärmen wie riesige Heizkörper die Umgebung bis spät in die Nacht. Zudem führen die hohen Temperaturen zu extremen Regen, der die Abwasserkanäle schnell überlastet und zu Überschwemmungen führt. Verkehrsforscherinnen und -planerinnen sind sich einig: Ein weiter so wie bisher können sich Städte und Gemeinden nicht mehr leisten. Ihre Straßen und Plätze sollten zügig an das veränderte Klima angepasst werden.
Dr. Michael Richter erforscht seit Jahren, wie die klimagerechte Straße aussehen kann. Der Geoökologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HafenCity Universität (HCU) in Hamburg und Experte für umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung. In den vergangenen Jahren hat er mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des „BlueGreen-Streets“-Projekts Werkzeuge und Methoden entwickelt, um Städte gezielt abzukühlen. Ein zentraler Hebel ist dabei der Umbau der Straßen. „Im Gegensatz zu vielen Gebäuden gehören die Straßen den Städten. Die Politik und die Verwaltung haben es demnach in der Hand, diese Flächen relativ schnell an die neuen Gegebenheiten anzupassen“, sagt er.
In der Praxis heißt das: auf der Fläche zwischen den Gebäuden ausreichend blaue und grüne Infrastruktur einplanen, also ausreichend Flächen für Wasser, Bäume und Grün anzulegen. „Die zentrale Aufgabe ist, den Wasserkreislauf wieder in Gang zu bringen und über Speichersysteme im Boden das Stadtgrün auch während Trockenperioden mit Wasser zu versorgen“, sagt Richter. Nur wenn das gelingt, können Bäume ihre Aufgabe erfüllen und in den Sommermonaten Wasser verdunsten und die Zentren abkühlen.

„Im Gegensatz zu vielen Gebäuden gehören die Straßen den Städten.“

Dr. Michael Richter, HafenCity Universität Hamburg

Königstraße in Hamburg-Altona: Wo jetzt noch Beton und Asphalt den Eindruck prägen, will die Hansestadt eine „Straße der Zukunft“ errichten.

Blaugrünes Projekt

Einige der Elemente, die Richter mit seinen Kolleginnen und Kollegen entwickelt hat, um Stadtbäume besser mit zu Wasser versorgen, wurden im Rahmen von „BlueGreenStreets“-Projekten bereits in Berlin und Hamburg getestet. Außerdem begleiten die Wissenschaftler den Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), den Umbau der Königstraße zur „Straße der Zukunft“. Für Hamburg ist das ein Leuchtturmprojekt. Auf der 1,2 Kilometer langen Straße zwischen der Reeperbahn und dem Altonaer Rathaus verknüpft die Hansestadt Klimaschutz und Klimaanpassung mit der Mobilitätswende.
Es ist ein Umdenken in großem Stil. Die Flächen für die Alltagsmobilität sollen dort in den kommenden Monaten grundlegend neu verteilt werden. Geplant ist, die zwei äußersten Fahrstreifen der vierspurigen Straße jeweils zu 2,5 Meter breiten Protected Bikelanes umzubauen und die Gehwege auf 2,65 m zu verbreitern. Zusätzlich werden mehr Grünstreifen angelegt und 47 zusätzliche Bäume gepflanzt. Sie sollen der Straße Allee-charakter verleihen und Grünanla-gen miteinander verbinden, die noch von der Königstraße zerschnitten werden.
Damit sich die Bedingungen für Radfahrende bereits vorher verbessern, wurden 2021 76 Parkplätze am Fahrbahnrand provisorisch entfernt und mit Farbe zu Radwegen markiert. Fahrspuren können relativ schnell mit Farbe, Poller, Baustellenbaken oder Fahrbahnschwellen in alltagstaugliche Radspuren verwandelt werden. Bei Grünanlagen ist das deutlich schwieriger. Trotzdem lohnen sich laut Richter auch hier provisorische Lösungen.
„Pop-up-Lösungen schaffen sofort Entlastung für Anwohnende, Radfahrer und Fußgänger und überbrücken die Zeit bis zum Umbau“, sagt er. Das zeigt das Beispiel vom Jungfernstieg in Hamburg. Der breite Prachtboulevard mit Blick auf die Alsterfontäne wurde 2020 für den privaten Autoverkehr provisorisch gesperrt. Seitdem teilen sich Radfahrer*innen dort die Fahrbahn mit Bussen und Taxis. In der Mitte der vier Fahrspuren wurden Pflanzkübel für Bäume und Blumen aufgestellt sowie Stadtmöbel zum Verweilen. Seitdem überqueren die Menschen entspannt die Straße und nutzen den gewonnenen Raum. Wird der Zeitplan eingehalten, rücken im kommenden Sommer die Baufahrzeuge an. Dann wird die Breite der Fahrbahn baulich reduziert und an der Wasserseite eine vierte Baumreihe angelegt.
Neue Bäume zu pflanzen oder großzügige Grünanlagen anzulegen, funktioniert in der Regel nur beim Sanieren von Straßen oder im Neubau. Selbst dann ist das Pflanzen von Bäumen laut Richter oft schwierig. Das liegt am Erdreich. Der Untergrund ist in Innenstädten stark verdichtet. Unter der Fahrbahn verläuft eine Vielzahl von Kabeln und Rohren für Gas, Strom, Telekommunikation und vieles mehr. Am Jungfernstieg befindet sich außerdem der Zugang zu einer U- und S-Bahnhaltestelle. Neue Bäume zu pflanzen, ist hier eine Herausforderung. Neben dem Platz im Erdreich für ihre Wurzeln fehlt den Bäumen obendrein oft das Wasser.
Wie in vielen anderen Städten war auch in Hamburg lange die Vorgabe: Regenwasser soll schnellstmöglich in die Kanalisation geleitet werden. In der Königstraße soll dieser Prozess nun rückgängig gemacht werden. „Entscheidend ist, dass wir den Wasserkreislauf wieder in Gang bringen“, sagt Uwe Florin, Mitarbeiter der Abteilung „Grün“ beim Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG). Mit Mitarbeitern des „BlueGreenStreets“-Projekts will die LSBG verschiedene neue Systeme testen, um die entsiegelten Flächen zu bepflanzen und zu bewässern. Das saubere Niederschlagswasser von den öffentlichen Flächen wird in der Königstraße direkt zu den Bäumen oder in die Grünflächen geleitet, damit es dort versickern kann. Das entlastet bei Starkregen das Siel und reduziert das Risiko von Überschwemmungen.
Für die Bäume werden außerdem sogenannte Baumrigolen angelegt. Ihr Markenzeichen ist, dass ihre Pflanzmulden größer sind als die herkömmlicher Stadtbäume. Das gilt für die unversiegelte Oberfläche wie für die Pflanzmulde. Zudem leiten die verwendeten Materialien, wie Kies und andere Substrate, das Regenwasser entweder direkt ins Grundwasser und ins umliegende Erdreich oder sie speichern es wie ein Schwamm, um es nach und nach ins umliegende Erdreich abzugeben. Auf diese Weise sollen Bäume Hitzeperioden besser überstehen und an heißen Tagen die Umgebung kühlen.

Vorher, nachher: Der Sankt-Kjelds-Platz in Kopenhagen ist nach dreijähriger Umbauphase kaum wiederzuerkennen.

Bäume machen einen Unterschied

Mehr Bäume sind entscheidend, um das Stadtklima zu verbessern. Sie sind natürliche Klimaanlagen. Ihr Blätterdach hält die Sonnenstrahlen ab und beim Verdunsten von Wasser kühlen sie ihre Umgebung. „Im Idealfall senkt ein ausgewachsener Baum die Temperatur seiner Umgebungsluft um etwa fünf Grad“, sagt Florin. Das steigert die Aufenthaltsqualität und macht Radfahren oder Zufußgehen selbst an heißen Tagen erträglich.
„Wir versuchen blue-green, also mehr Wasser und Grün, inzwischen bei jeder Straßenbaumaßnahme in Hamburg umzusetzen, und es gelingt uns sehr häufig“, sagt Professorin Dr. Gabriele Gönnert, die bei der LSBG den Fachbereich Hydrologie und Wasserwirtschaft leitet. Aber die Flächenkonkurrenz ist groß – auf der Straße wie im Untergrund.
Torsten Perner kennt das aus seinem Alltag. Er ist Verkehrsplaner bei Ramboll, einem international tätigen Beratungsunternehmen, das auch im Bereich Stadt- und Verkehrsplanung tätig ist. „Die verschiedenen Behörden, die Industrie, die Wirtschaftskammer, Umweltverbände und viele andere ringen bei der Planung um jeden halben Meter Straßenraum“, sagt er. Um die Straßen jetzt fit für die Zukunft zu machen und ausreichend Platz für Grünanlagen und für den Rad- und Fußverkehr unterzubringen, sei ein Umdenken bei der Stadt- und Verkehrsplanung notwendig. „Wir müssen die Straße neu denken“, sagt er, „sie ist mehr als Verkehr auf 20 bis 40 Meter Breite.“ Gut gestaltet werde sie zum attraktiven Aufenthaltsraum mit verschiedenen Funktionen, den die Menschen gerne passieren.

Der Steindamm zählt nicht unbedingt zu Hamburgs schönsten Straßen. Dass bei der Umgestaltung der Straße kaum Parkplätze entfernt wurden, ändert daran wenig.

Umdenken nach Milliardenschaden

Wie das aussehen kann, macht Kopenhagen vor. Die dänische Hauptstadt war zwischen 2010 und 2014 dreimal von Starkregen und Überflutungen betroffen. Der stärkste Wolkenbruch im Juli 2011 überflutete Straßen und Keller und verursachte Schäden von fast einer Milliarde Euro. Daraufhin hat die Stadtverwaltung mit dem Kopenhagener Ver- und Entsorgungsbetrieb 2012 den Sky-brudsplan (Wolkenbruchplan) beschlossen. Dieser legt fest, wie die Stadt zukünftig vor Überschwemmungen geschützt werden soll. 300 Projekte wurden innerhalb von drei Jahren identifiziert, die in den nächsten 20 Jahren schrittweise umgesetzt werden, um die Stadt zur Schwammstadt umzubauen.
Dazu gehören der Sankt-Kjelds-Platz und die angrenzende Straße Bryggervangen im Stadtteil Osterbro. Etwa 25 Prozent der Fläche des Platzes und der Straße wurden entsiegelt und zu einem grünen Regenwasserschutzgebiet umgewandelt. Der Boden ist dafür teilweise abgesenkt worden und es wurden 586 neue Bäume gepflanzt. Bei Starkregen kann sich das Wasser in den Vertiefungen sammeln und langsam versickern.
Wer sich die Vorher-Nachher-Bilder anschaut, erkennt die Umgebung rund um den Platz und die Straße Bryggervangen nach dreijähriger Umbauphase kaum wieder. Wo früher der Boden versiegelt war und Autos parkten, laufen heute Passanten auf verwinkelten Wegen zwischen Bäumen und Büschen zur Arbeit, zum Einkauf oder zum Parkhaus. Zahlreiche begrünte Ecken und Nischen mit und ohne Sitzgelegenheiten laden die Anwohner*innen dazu ein, Zeit draußen zu verbringen.
Der Sankt-Kjelds-Platz und die Bryggervangen Straße wurden komplett neu strukturiert. Um Ähnliches in Deutschland zu realisieren, müssten nach den Ramboll-Experten alle Beteiligten Abstriche machen. Stets mit dem Ziel vor Augen, die Straße fit für den Klimawandel zu machen. „Dazu gehört, dass Radfahrer sich mit schmaleren Wegen zufriedengeben, wenn die Straße zu schmal ist“, sagt Perner. Im Gegenzug drosseln Autofahrer ihr Tempo auf 30 km/h, damit Radfahrer sicher unterwegs sind. Das funktioniert momentan jedoch nur in der Theorie. In der Praxis dürfen laut Straßenverkehrsordnung die Verkehrsplaner Tempo 30 nur in Ausnahmefällen anwenden.
Ein schnelles Mittel, um mehr Grün in die Straßen zu bringen, ist laut Perner auch der Umbau von Parkplätzen an Hauptverkehrsstraßen. „Mit dem gezielten Abbau dieser Parkplätze kann schnell viel Fläche für Grün geschaffen werden“, sagt Perner. Für ihn ist das überfällig. Aber viele Städte tun sich damit schwer. Auch Hamburg. Beim Umbau der Hauptstraße Steindamm wurden von den 132 Parkplätzen beispielsweise nur 31 entfernt.
„Bisher ist die Klimaanpassung eine freiwillige Aufgabe von Kommunen“, sagt Richter. Er fordert einen zentralen Klimaanpassungsplan, der bundesweit gültig ist. „Nur so schaffen wir es, schnell von der Phase der Pilotprojekte zur Standardanwendung in der Praxis zu kommen“, sagt er. Die Zeit drängt. Das hat der Sommer 2022 gezeigt.

Zukunft Schwammstadt

Für etliche Stadtplanerinnen und Verkehrsforscherinnen ist die Schwammstadt eine Lösung, um die Städte an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Wenn es regnet, sollen die Grünflächen so viel Wasser aufnehmen und speichern wie nur möglich. Richtig angelegt, haben sie eine Doppelfunktion. Sie werden zu einem natürlichen Klärwerk. Die Pflanzen, Erdreich und Mikroorganismen filtern die schädlichen Inhaltsstoffe aus dem Wasser, bevor es tiefer in den Boden sickert.
So können die Grundwasserspeicher wieder aufgefüllt werden und die wie Schwämme vollgesogenen Böden über längere Zeit Wasser an die Pflanzen ringsum abgeben. Berlin investiert massiv in neue Stauräume. Bis 2024 sollen gut 300.000 Kubikmeter Zwischenspeicher entstehen. Bei starken Regenfällen soll das Wasser über Notwasserwege auf Sport- und Spielplätze fließen, um kritische Infrastrukturen zu schützen. Damit soll verhindert werden, dass das alte Mischkanalsystem überläuft und das Schmutz- und Regenwasser ungefiltert samt schädlicher Stoffe in die Gewässer fließt.

Link zu Toolbox A und B

Mit seinen Kolleginnen hat der Wissenschaftler im Rahmen des „BlueGreenStreets“-Projekts die einen Leitfaden nebst Praxisbeispielen entwickelt. Beides soll Planerinnen und Praktiker*innen dabei helfen, Lösungen für ihre Straßenzu entwickeln.

repos.hcu-hamburg.de/handle/hcu/638


Bilder: SLA, Andrea Reidl, stock.adobe.com – Jusee

Mit dem Klimawandel gehen Wissenschaftler davon aus, dass sommerliche Hitzeperioden öfters eintreten, länger dauern und extremer werden. Dazu kommt ein oft unterschätzter Faktor: In den zunehmend verdichteten Städten bilden sich Hitzeinseln, die Menschen nicht nur beeinträchtigen, sondern auch gefährliche bis tödliche Wirkungen entfalten können. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Ist Deutschland auf heiße Sommer vorbereitet? Wenn man in den letzten Hitzeperioden in größeren Städten unterwegs war und mit den Menschen gesprochen hat, dann wohl eher nicht. Ab Mittag fast nicht aushaltbare Temperaturen auf kaum beschatteten Straßen und auch nachts wenig Abkühlung. Fahrradfahren und zu Fuß gehen wird zur Qual, in Bussen und Bahnen sieht es nicht besser aus und die wenigen Plätze, die Abkühlung versprechen, sind schnell überlaufen.

Die gefühlte Realität in Deutschland bestätigen auch aktuelle Untersuchungen von Wissenschaftlern. Im Dezember 2020 im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte Modellrechnungen zeigen, dass die Zahl der Hitzetoten hierzulande im weltweiten Vergleich weit vorn liegt und in den letzten Jahren stark gestiegen ist. So habe die Zahl der Hitzetoten in den Jahren 2014 bis 2018 in Deutschland im Schnitt bei 12.080 gelegen. Das seien 3.640 Hitzetote mehr als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004. Gründe seien die Zunahme der Hitzetage pro Jahr in Kombination mit dem steigenden Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre und zudem auch der hohe Urbanisierungsgrad in Deutschland.

Für die Zukunft rechnen die Forscher mit einer weiteren Verschärfung der Situation. Betroffen von dieser Entwicklung ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Mobilität. Auch ohne Studienergebnisse kann man davon ausgehen, dass in Hitzeperioden Mobilitätsformen der Vorzug gegeben wird, die als angenehm empfunden werden. Dazu zählen vor allem klimatisierte oder offene motorisierte Fahrzeuge, die wenig Anstrengung und Fahrtwind garantieren und die keine Schutzkleidung erfordern, also zum Beispiel E-Bikes, E-Tretroller oder Motorscooter.

Mobile Sprühnebel helfen bei Backofentemperaturen als Sofortmaßnahme.

Schweizer Erkenntnisse und Strategien

Nach dem Hitzesommer 2015, in dem die Schweiz Gletscherschmelze, dürre Bodenvegetation, Wasserknappheit und 800 Hitze-Todesfälle mehr als in einem normalen Jahr registrierte, haben die Eidgenossen in einer Studie die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt analysiert und bilanziert.

„Schweizer Städte: Bis zu 7°C höhere Nachttemperaturen als im Umland.“

Fachbericht MeteoSchweiz

Vor allem die Städte seien durch die hohe Bevölkerungs-, Gebäude- und Infrastrukturdichte besonders von der Klimaänderung betroffen. Ohne Anpassungsmaßnahmen führe das zu einer spürbaren Verminderung der Aufenthalts- und Lebensqualität, der Gesundheit und einem höheren Mortalitätsrisiko. Vor allem betroffen waren dabei ältere Menschen. Nötig seien deshalb Hitzepläne zum Schutz der Bevölkerung und der verstärkte Kampf gegen den weiteren Klimawandel.

Kritisch gesehen werden die hohen Tagestemperaturen, aber vor allem auch die fehlende Abkühlung in der Nacht. Damit kommt es in den Städten zu einem Backofeneffekt: Im Maximum wurden an den untersuchten Stationen rund 6 bis 7°C höhere Nachttemperaturen als im Umland verzeichnet. In den wärmsten Nächten sank die Temperatur in den Stadtzentren nicht unter 24 bis 25°C ab. Insgesamt ist die Anzahl der Tropennächte in den Städten deutlich höher als auf dem Land, während die Anzahl der Hitzetage nur wenig erhöht ist. Auch die Stadt Basel geht davon aus, dass die Wärmebelastung weiter zunehmen wird. So bringt selbst der Rhein nachts keine Kühlung, sondern strahlt aufgrund der hohen Wassertemperatur noch zusätzlich Wärme ab. Deshalb setzt Basel auf ein Stadtklimakonzept, mit neuen Grünräumen, einer besseren Luftzirkulation und Zufuhr von Frischluft aus dem Umland.

Simulationen belegen Effekte bekannter Maßnahmen

Für die Zürcher Altstadt wurden Computersimulationen für den dortigen Münsterplatz vorgenommen. Ein Großteil des Platzes ist mit Pflastersteinen bedeckt, der Rand betoniert und es gibt keine Bäume, die Schatten spenden würden. Zudem ist der Münsterhof auf fast allen Seiten von Gebäuden umgeben. Messungen zeigten, dass sich gerade die Fassaden durch die Sonneneinstrahlung beträchtlich erhitzen. Mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen lassen sich signifikante Verbesserungen erzielen: Die Temperaturen wären deutlich niedriger, wenn der Platz nicht gepflastert, sondern mit Erde und Gras bedeckt wäre. Schon die Umwandlung eines Viertels der gepflasterten Fläche durch einen anderen Bodenbelag würde gemäß der Simulation ausreichen, um den Backofen zu entschärfen. Noch deutlicher würde das Ergebnis ausfallen, wenn hier Bäume stünden. Durch den Schatten und die Transpiration der Bäume würde die Hitzebelastung erheblich verringert und die gefühlte Temperatur auf weiten Teilen des Platzes um 2 °C und in der Nähe von beschatteten Fassaden sogar um bis zu 4 °C sinken.


Zum Vertiefen:

Untersuchungen und Studien zeigen einen dringenden Handlungsbedarf

The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding
to converging crises
“ (Dezember 2020).
Die aktuelle Analyse von Klimaveränderungen mit Prognosen für die Zukunft gibt
es nach Registrierung kostenlos zum Download.

Der „Fachbericht MeteoSchweiz Nr. 273, Städtische Wärmeinseln in der Schweiz – Klimatologische Studie mit Messdaten in fünf Städten“ wird ebenfalls zum Download angeboten.


Bilder: stock.adobe.com – Dmitry Vereshchagin / Xato Lux

Der Klimawandel ist in Wien schon spürbar. Die Stadt baut um und schafft mit „coolen Straßen“ erfrischende Oasen für die Bewohner vor der Haustür. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Temperaturen über 30 Grad sind im Sommer in Wien keine Seltenheit mehr. Mit zusätzlichen Sitzgelegenheiten, Trinkbrunnen und Sprühnebel schafft die Stadt kühle Orte zum Aufhalten im Freien

Seit Jahren landet Wien bei Rankings lebenswerter Städte auf den vordersten Plätzen. Das hat einen Grund. Die Politik räumt dem eine hohe Priorität ein und treibt unter anderem den Umbau der autogerechten Stadt zur „Smart City“ massiv voran. Und der Druck auf die Politik bleibt hoch. Der Klimawandel setzt den Einwohnern, wie in anderen Städten, mehr und mehr zu. Im Sommer 2019 wurde hier bereits an über 40 Tagen die 30-Grad-Marke geknackt. Jeden Tag heizt sich die Stadt in diesen Perioden weiter auf und es bilden sich Hitzeinseln. Mit gezielten Pop-up-Projekten versucht Birgit Hebein, bis November 2020 Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung & BürgerInnenbeteiligung, die Hitzeinseln im Zentrum zu entschärfen und den Menschen gleichzeitig mehr Platz im öffentlichen Raum zu schaffen. Ein nachahmenswertes Beispiel sind die „coolen Straßen“ in Wohngebieten.

So lässt es sich aushalten: Der Sprühnebel sorgt für Erfrischung und kühlt gleichzeitig die Umgebung. Die Stelen stehen an Plätzen und in Straßen, die sich besonders stark aufheizen und wo außerdem viele Kinder und Senioren leben.

Coole Straßen als Erfrischungszonen

„Coole Straßen“ sind autofrei. Selbst das Parken ist dort verboten. Die Anwohner können den Platz mit Liegestühlen, Planschbecken, Spielen oder Grünpflanzen frei gestalten. Die Stadt steuert Pflanzen bei und installiert Stelen, die mit Sprühnebeln für Erfrischung sorgen. Der Testlauf im vergangenen Jahr in drei Straßen kam so gut an, dass das Projekt für Juni 2020 auf 18 Straßen ausgedehnt wurde. Rückblickend war das ein Glücksgriff. Denn aufgrund der Corona-Pandemie haben viele Wiener den Sommer in der Stadt verbracht. Die Standorte für mögliche Erfrischungszonen im Stadtzentrum hatte die Verwaltung bereits im vergangenen Jahr anhand von Hitzekarten festgelegt. „Es wurden die Stellen in der Stadt identifiziert, die sich besonders stark aufheizen und wo außerdem viele Kinder und Senioren leben“, sagt Kathrin Ivancsits, Sprecherin der Mobilitätsagentur der Stadt Wien. Kleinkinder und ältere Menschen leiden besonders unter den lang anhaltenden hohen Temperaturen. Selbst in der Nacht, weil die Betonschluchten die Hitze speichern und noch viele Stunden nach Sonnenuntergang abgeben.
Der neu gewonnene Platz wurde bestens angenommen. „Die Kinder eignen sich die Flächen sofort an“, sagt Kathrin Ivancsits. Erwachsene brauchten ihrer Erfahrung nach manchmal etwas länger, um sich den öffentlichen Raum tatsächlich zurückzuerobern. Aber von Juni bis September nutzten die Anwohner in fast allen „coolen Straßen“ den neu entstandenen Park vor der Haustür intensiv zum Klönen, um Zeitung zu lesen oder einfach nur um ihrer aufgeheizten Wohnung zu entfliehen. Die Erfrischungszonen vor der Haustür machten es ihnen leichter, die Hitze in der Stadt zu ertragen.

Per App zur Stadterfrischung

175 Nebelduschen, 1.000 Trinkbrunnen, 22 coole Straßen und rund 1.000 Parks gibt es mittlerweile in Wien. Seit ein paar Monaten kann man sich per App auf den kürzesten Weg zu den Plätzen navigieren lassen. Die App „Cooles Wien“ hat die Umweltstadträtin Ulli Sima initiiert. Für sie ist klar, dass jede Maßnahme für sich nur wenig bewirkt. In ihrer Gesamtheit machten sie vielen Stadtbewohnern den Alltag bei Hitze aber deutlich leichter.

Erfolgreiche Pilotprojekte machen Lust auf mehr

Die Messungen der Stadt haben gezeigt, dass die Temperaturen in den coolen Straßen um bis zu fünf Grad sanken. Die größte Abkühlung bringen die Sprühnebel. Inzwischen wurden vier dauerhafte „Coole Straßen Plus“ eingerichtet. In den Straßen oder Straßenabschnitten ist nun der Verkehr beruhigt; es wurden neue Bäume gepflanzt, Wasserspiele, Trinkbrunnen und Nebelduschen installiert und Sitzmöglichkeiten geschaffen. Wo es möglich ist, sollen noch Teile der Fassaden begrünt werden. Die coolen Straßen passen gut ins Konzept der Stadt, den Platz neu zu verteilen. Seit Jahren baut Wien den Verkehrsraum strategisch in Freiräume für Menschen um. Das berühmteste Beispiel ist die Mariahilfer Straße. Sie war über Jahrzehnte eine Hauptverkehrsader für Autofahrerinnen vom Westbahnhof in die Innenstadt. 2015 hat die Stadt ein 1,8 Kilometer langes Teilstück in eine Begegnungszone umgebaut. Seitdem sind dort Auto-, Rad- und Rollerfahrer sowie Fußgänger gleichberechtigt. Das heißt: Alle müssen aufeinander Rücksicht nehmen. In dem Maß, wie in der Mariahilfer Straße Wege und Parkplätze für Autos verringert wurden, wurde hier mehr Platz für Menschen geschaffen. In regelmäßigen Abständen wurden in der Begegnungszone Bänke, Sitzgruppen und Spieltische aufgestellt. Sie sind teilweise überdacht, damit die Menschen bei Regen und Sonnenschein Schutz finden.

Zu Beginn der Corona-Pandemie hat Wien sogenannte Bewegungszonen eingerichtet. Sie sollten Fußgänger zum Spazierengehen einladen und gleichzeitig das Abstandhalten dort leicht machen, wo die Gehwege schmal sind.

Corona ändert die Platzverteilung

„Die Corona-Krise hat uns noch deutlicher vor Augen geführt, dass der Raum in Wien ungleich verteilt ist: Zwei Drittel des Platzes ist durch parkende Autos belegt, für die Menschen wird es an manchen Orten zu eng“, sagt Birgit Hebein. Die Fußwege sind mancherorts so eng, dass die Menschen die Abstandsregeln nicht einhalten konnten. Damit sie sich dort trotzdem sicher bewegen konnten, hatte die Vizebürgermeisterin seit April 26 „temporäre Begegnungszonen“ eingerichtet. Für einige wurde die Laufzeit bis Ende Oktober immer wieder verlängert. Die Regeln dort schränken Autofahrer ein. Für sie gilt Tempo 20 und sie müssen auf Fußgänger Rücksicht nehmen. Diese sind dort gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und dürfen auch auf der Fahrbahn gehen.

Wien misst seit 25 Jahren die Lebensqualität

Seit 1995 erstellt die Stadt Wien zusammen mit der Universität Wien alle fünf Jahre eine Lebensqualitätsstudie als sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung. Der Vorteil der wiederkehrenden Befragungen ist, dass auch Veränderungen im Zeitverlauf sichtbar gemacht werden. Der letzte Bericht aus dem Jahr 2018 beschäftigt sich vertiefend mit den Themen Stadtentwicklung, Mobilität und Umwelt – Themen, die laut den Machern von großer gesellschaftlicher Brisanz sind. Ein erster Themenblock befasst sich mit der Frage, wie in Wien lebende Personen die Tatsache beurteilen, dass Wien eine wachsende Stadt ist. Dabei wird genauer beleuchtet, wie sich verschiedene Einflussfaktoren wie etwa Geschlecht, Einkommen oder Migrationshintergrund auf die Einstellung gegenüber Wiens Stadtwachstum auswirken.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Lebensqualität in Wiens Wohngebieten. Dabei werden besonders die Zufriedenheiten bestimmter Teilbereiche der Lebensqualität genauer betrachtet. Im dritten Kapitel geht es um die Mobilität mit Blick auf die Entwicklung der Verkehrsmittelnutzung, die Fragestellung, welche Faktoren die Einstellung zum Auto und zu verschiedenen Maßnahmen im Bereich Mobilität beeinflussen, und die Parkplatzsituation in den verschiedenen Bezirken.

Informationen und Download unter

https://www.wien.gv.at/stadt entwicklung/grundlagen/stadt forschung/soziologie-oekono mie/lebensqualitaetsstudien/


Bilder: Christian Fürthner ­– Mobilitätsagentur Wien, PID – Christian Fürthner