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Umbrüche in europäischen Städten

Europaweit erkennen die Städte und Kommunen langsam die Tragweite der Pro­bleme, denen sie aktuell gegenüberstehen. Im Bereich des Verkehrs und der öffentlichen Räume gehen immer mehr konsequent voran und ziehen u. a. geplante Maßnahmen vor. Wir haben uns bei unseren Nachbarn umgesehen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2020, Juni 2020)


Wie soll es mittel- und langfristig weitergehen? Kaum jemand rechnet wohl ernsthaft mit dem schnellen Ende der Pandemie und einer Aufhebung der Vorsichtsmaßnahmen. Wie können Menschen auf viel zu engen Rad- und Fußwegen Abstand halten? Wie schafft man Sicherheit auch für Radfahrer, denen Erfahrung und Routine fehlen? Und was passiert eigentlich mit der Gastronomie ohne zusätzliche Flächen? In Deutschland warnen Verbände und Experten vor dem Verkehrskollaps und einem Anstieg der Unfälle mit Radfahrern. Der Hotel- und Gaststättenverband fürchtet das Aus für jeden dritten Betrieb im Gastgewerbe. Wenn es um Straßenraum, Parkplätze, Änderungen der Geschwindigkeit oder Ausnahmeregelungen geht, ist man hierzulande allerdings sehr zurückhaltend. Ganz anders im Ausland.

London

Ziel London: Verzehnfachung des Radverkehrs und
Verfünffachung des Fußgängerverkehrs nach der Lockdownphase.

Mehr Platz für Menschen: Weltweit wird intensiv an Corona- und umwelttauglichem Verkehr gearbeitet.

London

„Wir müssen die Zahl der Menschen, die den öffentlichen Verkehr nutzen, so gering wie möglich halten. Und wir können nicht zulassen, dass diese Fahrten künftig mit dem Auto erledigt werden, weil unsere Straßen sofort blockiert wären und die toxische Luftverschmutzung anschwellen würde”, so Bürgermeister Sadiq Khan zu den Herausforderungen in seiner Stadt. Mit dem „London Streetspace“-Programm sollen Straßen rasch umgestaltet werden, um eine Verzehnfachung des Radverkehrs und eine Verfünffachung des Fußgängerverkehrs zu ermöglichen, wenn die Sperrmaßnahmen gelockert werden. Da die Kapazität des öffentlichen Nahverkehrs in London potenziell nur ein Fünftel des Niveaus von vor der Krise erreichen könnte, müssten Millionen von Fahrten pro Tag mit anderen Verkehrsmitteln durchgeführt werden.

Paris

Die Region Paris will unter anderem 300 Millionen Euro in das – ohnehin geplante – Radwegenetz der Île-de-France schneller investieren mit dem Ziel, die Fahrradnutzung zu verfünffachen. Helfen sollen nicht nur neue (temporäre) Radwege, sondern auch das Fahrradverleihsystem Véligo und Kaufanreize für Pedelecs. Als Sofortmaßnahme wurden Fahrradreparaturen mit 50 Euro pro Rad subventioniert, finanziert werden künftig auch zusätzliche Fahrradständer sowie Radkurse und Sicherheitstrainings. Die Bürgermeisterin Anne Hidalgo sieht sich in ihren Plänen für ein lebenswerteres Paris, die von den Einwohnern mit großer Mehrheit mitgetragen werden, bestätigt. Eine Rückkehr zu alten Verhältnissen sei nach ihren Worten völlig undenkbar.

Brüssel

Dem Vorbild der Stadt Wien, die als eine der ersten Metropolen während der Ausgangsbeschränkungen temporäre Begegnungszonen geschaffen hat, ist auch Brüssel gefolgt und macht deutlich mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer. So wurde das gesamte Zentrum zur Begegnungszone deklariert. Innerhalb des inneren Stadtrings haben Fußgänger und Radfahrer Vorrang. Busse, Straßenbahnen und Autos dürfen zwar weiter in die Zone einfahren, aber nur mit bis zu 20 km/h. Im Hinblick auf weitere Verbesserungen soll ab 2021 im gesamten Stadtgebiet Tempo 30 gelten.

Mailand

Insgesamt 35 Kilometer neuer Radwege sollen in Mailand demnächst entstehen – bis Ende des Sommers allein 22. Aktuell entsteht eine „Maxipiste“ für Fahrräder vom Zentrum in Richtung Norden. Auf einem ersten Teilstück hat man zwei von vier Autospuren umgewidmet. Radfahrer und Fußgänger haben damit viel mehr Platz, ebenso wie die Gastronomen. Zudem soll in weiten Teilen Tempo 30 gelten. Um schnelle Änderungen zu ermöglichen und die Bedingungen für Radfahrer zu verbessern, wurde das italienische Verkehrsgesetz geändert. Und es gibt Kaufprämien vom Staat für Fahrräder. 60 Prozent des Kaufbetrags –maximal 500 Euro – werden volljährigen Einwohnern von Kommunen mit mehr als 50.000 Einwohnern erstattet.


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