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Entfaltung einer neuen Mobilität

Das Segment der Falträder hat seine klapprigen Ursprünge bereits im letzten Jahrhundert hinter sich gelassen. Nicht nur die Branche selbst ist von ihrem Mobilitätskonzept überzeugt. Österreich fördert Falträder mit einer Kaufprämie. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Heißt es nun Falt- oder Klapprad? Ein Blick hinter die Kulissen der Fahrradbranche zeigt, dass beide Antworten begründbar sind. Der Begriff Klapprad geht ins letzte Jahrhundert zurück, wo die ersten Klappräder mit minderwertiger Qualität und unter Preisdruck aufkamen. „Das Wort Klapprad ist stark geprägt aus den 70er-Jahren, als das Auto ein Fortbewegungsmittel war und das Fahrrad ein Spielzeug. Da kam das Klapprad auf den Markt, um in den Kofferraum vom Auto zu passen, damit man am Wochenende raus ins Grüne fahren und dort seine Zwei-Kilometer-Tour machen konnte“, so Markus Riese, Gründer und Engineering-Mentor bei Riese & Müller. Der Hersteller, der heute in erster Linie für E-Bikes bekannt ist, hat seine Anfänge in einem Rad gehabt, das in Abgrenzung zu den Freizeiträdern des 20. Jahrhunderts seit 1995 als Faltrad Birdy vermarktet wird. Der Ansatz des Modells geht nicht vom Auto aus. Das Birdy soll ein vollwertiges Fahrrad sein, das man eben auch noch praktisch mitnehmen kann. Auch Valentin Vodev, Geschäftsführer des Österreicher Herstellers Vello sieht es als notwendig an, sich vom ersten Entwicklungsstadium der faltbaren Fahrräder abzugrenzen. „Ein Klapprad klappert und unser Faltrad klappert nicht.“ Dennoch wolle man online auch diejenigen ansprechen, die das Netz eben doch nach Klapprädern durchforsten.

Mit dem klapprigen Image der 70er-Jahre haben moderne Faltradmodelle wenig gemeinsam. Die kompakten Abmessungen der gefalteten Räder sind nicht nur beim Transport praktisch, sondern auch für die Lagerung.

Unvergleichlich multimodal

Sehr verbreitet sind die Räder mit den zwei Namen unter pendelnden Menschen. Das handliche Faltmaß, das die meisten Modelle mit sich bringen, prädestiniert sie zur Mitnahme in anderen Verkehrsmitteln. Wie gut Falträder als multimodales Werkzeug funktionieren, hat auch das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) erkannt. Das BMK fördert seit März 2023 Falträder mit einem Zuschuss von 600 Euro. Förderfähig sind Betriebe, Privatpersonen, Vereine und Gemeinden. Für Privatpersonen setzt das Ministerium voraus, dass sie eine Jahreskarte des ÖV besitzen. Zudem darf das Faltrad die Gepäckmaße der Österreichischen Bundesbahn von 110 x 80 x 40 Zentimetern nicht überschreiten. Die Zielgruppe multimodal Reisender ist durch diese Details klar definiert. Felix Beyrer vom BMK erklärt: „Die Kombination von Fahrrad und Öffentlicher Verkehr ist essenziell für die klimafreundliche Mobilität der Zukunft. Neben dem Ausbau des Bike&Ride-Angebots und der Radverleihsysteme ist auch die Verbesserung der Fahrradmitnahme eine wichtige Maßnahme im österreichischen Masterplan Radfahren zur Verknüpfung von Fahrrad und ÖV. Falträder können als Gepäckstück kostenlos in den Öffis mitgenommen werden und bieten daher für unregelmäßige Fahrten eine platzsparende und kostengünstige Lösung für die letzte Meile an.“ Die Förderung in Österreich funktioniert und wird insbesondere für Falträder besonders gut angenommen, so das Ministerium. Zwischen März und Anfang August 23 wurden 2000 Anträge für deren Förderung gestellt. Am häufigsten kommen die Anträge aus Wien.
In Deutschland hat zumindest der Hersteller Brompton im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt mit der Deutschen Bahn und dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart ins Leben gerufen. Für 29 Euro im Monat bekommen Jahresabonennt*innen ein Brompton zur Verfügung gestellt. Nach Ablauf der zwölf Monate gibt es einen Rabatt beim Kauf eines Faltrads.

„Falträder können als Gepäckstück kostenlos in den Öffis mitgenommen werden und bieten daher für unregelmäßige Fahrten eine platzsparende und kostengünstige Lösung für die letzte Meile an.“

Felix Beyrer, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) Österreich

Nicht nur die Fahrer*innen von Falträdern des Wiener Herstellers Vello können in Österreich von einer staatlichen Förderung profitieren.

Nicht nur als Reiserad einsetzbar

Neben den verbreiteten multimodalen Nutzungsszenarien gibt es aber auch einige Nebenschauplätze, auf denen die Räder ihre Stärken ausspielen. Mit Reisefalträdern begann die Entstehungsgeschichte der Wiener Firma Vello im Jahr 2015. Valentin Vodev baute drei Prototypen für eine Reise nach Kuba, von der er begeistert berichtet. „Du kommst in Havanna mit einem Bus an, steigst aus, nimmst die Räder und dann zischst du in einer Stadt, wo du noch nie warst, mit deinem eigenen Rad davon. Das ist einfach so geil.“
Markus Riese bestätigt die Vorzügen der Räder, auch bei ungewöhnlicheren Reisen. „Ich kenne jemanden, der hat mit dem Birdy eine Kombinationstour gemacht aus Pack-Raft und Birdy. Zu Land hat er sein Boot auf dem Birdy und wenn er zum Fluss kommt, pumpt er sein Boot auf und lädt das Birdy auf. Das sind natürlich Möglichkeiten, die man mit einem normalen Rad überhaupt nicht hat.“
Nicht für alle Nutzer und Nutzerinnen ist das kompakte Faltmaß der ausschlaggebende Punkt, warum sie ein Faltrad kaufen. Manche Kund*innen benutzen das Birdy als Familienrad. Weil es leicht ist und der Verstellbereich der Sattelstütze groß, können sehr unterschiedliche, mitunter auch zierliche Personen das Fahrrad fahren. Falträder nicht zu falten, mag zunächst widersprüchlich klingen. Die Hersteller wissen aber, dass die kleinrädrigen Fahrräder auch deshalb in der Stadt genutzt werden, weil sie wendig sind und schnell beschleunigt werden können.
Auch wenn das Standing des Faltrads in Europa noch ausbaufähig ist, irrelevant ist das Segment nicht. Die Entwicklung des Faltradmarkts entspreche etwa der des gesamten Fahrradmarkts, gibt Jan Brinkmann von Brompton an. Die Firma bewegt sich bei den Absatzzahlen rund um die 100.000 Stück und blickt optimistisch in die Zukunft. Im vergangenen Jahr gab Brompton den Bauplan eines neuen Werks im Londoner Raum bekannt. In der futuristisch anmutenden Fabrik sollen ab 2027 200.000 Räder pro Jahr entstehen. „Der Stellenwert von Falträdern kommt ein bisschen aus der Nische raus. Wir sehen das auch an den Verkaufszahlen“, sagt Valentin Vodev. Analysten erwarten global betrachtet eine wachstumsgeprägte Zukunft des Segments. Eine Marktanalyse von Fortune Business Insights prognostiziert, dass der Markt von 820 Millionen US-Dollar im Jahr 2021 auf 1,61 Milliarden in 2028 anwachsen soll. Das klapprige Klischee des letzten Jahrhunderts hat die Mobilitätslösung hinter sich gelassen. Gerade in Zeiten des Umweltverbunds zeigt das Faltrad, wie zeitgemäß es ist.

Faltrad im Selbstversuch:

Mobilität in Höchstform

Das Faltrad ist das Gegenteil eines Autos. Es ist klein, leicht, platzsparend und umweltfreundlich. Überschätzen lässt sich die Mobilitätslösung in der Praxis nicht. Ein Versuch, das Lebensgefühl eines Faltrads zu vermitteln.

Hätte es die klapprigen Klappräder der 70er-Jahre nicht gegeben, wäre der Anteil der Falträder am Fahrradmarkt und ihre Rolle in der alltäglichen Wahrnehmung weitaus größer. So resümiere ich nach ein paar Monaten Selbstversuch, in denen ich ein Faltrad testen durfte und es mich im täglichen Leben begleitete.

Die Garderobe wird zum Stellplatz

Das Brompton-Rad, das mir die vergangenen Monate zur Verfügung stand, hat mich in erstaunlich diversen Situation begleitet. Das Fahrrad passt, wie die meisten Falträder, überall hinein, wo ein Koffer auch Platz findet. Dieser Vorteil geht weit über den Nahverkehr und die Züge der Deutschen Bahn hinaus. Das Brompton stand in Eingangsbereichen diverser Wohnungen, in Hotelzimmern oder neben dem Schreibtisch im Büro. Bei Konferenzen oder Theaterbesuchen lässt sich das Fahrrad einfach an der Garderobe abgeben. Die haften zwar meist nicht bei Verlust, das tun Fahrradständer im öffentlichen Raum aber auch nicht.
Auch im Kofferraum von Mitfahrgelegenheiten kam das kleine Fahrrad unter. Der Weg von der Wohnung zum Treffpunkt sowie vom Ausstiegspunkt zum Ziel war planbar und schnell erledigt. Diese Planbarkeit ist gut fürs Gemüt. Die Unzuverlässigkeit vieler öffentlicher Verkehrsmittel mit der Zuverlässigkeit des Radverkehrs ein Stück weit ausgleichen zu können, fühlt sich selbstermächtigend an. Der Zug fährt den Zielbahnhof nicht an? Faltradfahrerinnen können aussteigen und die Reise mit einer spontanen Radtour über die letzten zehn Kilometer vervollständigen. Am Bahnhof selbst oder in vollen Zügen hätte ich ab und an gern auf das zusätzliche Gepäck verzichtet. Mitgenommen habe ich den Mobilitäts-Booster dennoch fast immer. Öffentlicher Nah- oder Fernverkehr ohne Faltrad fühlt sich unvollständig an, wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist. Das Faltrad wird zur zweiten Natur. Wer das Zufußgehen vermisst, kann schieben. Die Falträder von morgen werden sich sicher von den heutigen unterscheiden. Ob der Sprung so deutlich sein wird, wie er es von früheren zu den heutigen Modellen war, wage ich zu bezweifeln. Moderne Falträder sind in erster Linie fahrbar und in zweiter Linie faltbar. In den 70er-Jahren war das noch andersherum. Mit dem Leih-Brompton habe ich mehr als 40 Kilometer lange Touren zu Berliner Badeseen gemacht. Die Anwendungsbereiche sind nicht auf den Alltag beschränkt. Mein Selbstversuch hat mir eine Sache besonders eindrücklich bewiesen. Nicht jeden Vorteil eines Konzepts kann man auf Anhieb erkennen. Mit dem Faltrad im Fahrradanhänger lassen sich sogar Besucherinnen vom Bahnhof abholen, mit denen man dann gemeinsam zurückradeln kann. Neue Mobilitätslösungen auszuprobieren, soviel lässt sich sogar verallgemeinern, ist klar empfehlenswert.

Bilder: Tern, Riese & Müller, Vello – Leonardo Ramirez Castillo, Brompton