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Rotterdam erfindet sich neu

Rotterdam baut seine Innenstadt seit einigen Jahren fundamental um. Das Zentrum soll zur „City Lounge“ werden. Zufußgehen und Radfahren haben dann ebenso oberste Priorität wie der Zugang zu mehr Grün für alle Bewohner der Hafen- und Industriestadt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2021, September 2021)


Von Rotterdams Innenstadt war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr viel übrig. Alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen riesige Brachflächen rund um die Laurenskerk (Laurenskirche). Dort, wo sich einst die Altstadt befand, wurden in der Folge breite, mehrspurige Straßen gebaut sowie riesige Kreisverkehre für Autos und Straßenbahnen. Bis zum Jahr 2000 hatte die boomende Industriestadt am Flussdelta von Rhein und Maas das amerikanischste Straßennetz der Niederlande. Dann fand ein Kurswechsel statt. Das neue politische Ziel ist, das Zentrum in eine moderne „City Lounge“ zu verwandeln. Wo heute noch Autos fahren und parken, sollen Wiesen und Parks entstehen und der rasant wachsenden Bevölkerung Platz zum Bewegen, Spielen und Pausieren bieten. Dafür muss der Autoverkehr massiv zurückgedrängt und durch mehr Rad- und Fußverkehr ersetzt werden. Das Tempo, mit dem Politik und Planer den Wandel vorantreiben, ist hoch.

Ambitionierte Ziele für die Industriestadt

Außenstehenden erscheint die Stadt mit dem größten Seehafen Europas wie ein riesiges Pilotprojekt. Seit 15 Jahren wird die Stadt bereits umgebaut. Das hat einen Grund: Die Industrie- und Autostadt soll klimaresilient werden. Um das zu erreichen, hat die Stadt 2020 beschlossen, in den kommenden zehn Jahren sieben Stadtprojekte umzusetzen. Mit 230 Millionen Euro sollen sieben grüne Lungen im Zentrum entstehen, die bei Starkregen das Wasser aufnehmen und bei extremer Hitze die Umgebung kühlen. Dafür wird etwa ein großer Parkplatz begrünt, ein Park in Größe von elf Fußballfeldern direkt am Hafen geschaffen und ein Eisenbahnviadukt in einen Park verwandelt, der sich durch mehrere dicht besiedelte Stadtteile zieht. „Rotterdam hat ambitionierte Ziele und traut sich, sehr innovativ zu sein“, sagt Sophie Simon, Mobilitätsexpertin des niederländischen Beratungsunternehmens Mobycon. Die Verkehrsexpertin lebt in der Hafenstadt und bekommt den Umbau täglich mit. Der Wandel ist rasant. Noch vor zehn Jahren lag der Anteil des Radverkehrs hier mit gerade mal 20 Prozent und damit weit unter dem landesweiten Wert von 27 Prozent. Aber die Hafenstadt holt auf. 2020 legten bereits 28 Prozent der Menschen ihre Wege mit dem Rad zurück und es werden stetig mehr. Die Basis für den Umstieg bilden unter anderem die Fußgängerstrategie, das neue Parkraummanagement und das zukunftsweisende Mobilitäts- und Fahrradkonzept.
Der Name des Fahrradkonzepts ist Programm: „Fahrradkurs 2025 – Das Fahrrad als Hebel in der Rotterdamer Mobilitätswende“ heißt der Titel (Fietskoers 2025 – De Fiets als hefboom in de Rotterdamse mobiliteitstransitie). Für die Hafenstadt bedeutet das: Menschen jeden Alters und Einkommens sollen hier zukünftig sicher und komfortabel mit dem Rad von zu Hause ans Ziel kommen.

„Die Menschen suchen sich nicht nur alternative Routen, sie steigen auch auf andere Verkehrsmittel um.“

Bart Christiaens, Fahrradkoordinator in Rotterdam

Mehr als der Wechsel von einem Verkehrsmittel zum anderen. Die Stadt soll grüner werden, den Menschen im Sommer Schatten spenden und Platz zum Verweilen anbieten.

Umbauprojekt „Coolsingel“

Wie die neue Infrastruktur dafür in der Praxis aussehen könnte, lässt sich heute ein wenig in der umgebauten Straße „Coolsingel“ erahnen. Sie ist rund 700 Meter lang und eine der Hauptachsen in der Innenstadt. Anfang 2018 waren hier noch täglich rund 22.000 Autos unterwegs, außerdem Straßenbahnen sowie Rad-fahrerinnen und Fußgängerinnen. Dann wurde der Coolsingel umgebaut. Seitdem gibt es auf der Westseite der Tram statt einer zweispurigen Fahrbahn einen 4,5 Meter breiten Zweiwege-Radweg. Der Rest der Fahrbahn wurde zum Fußweg. Autoverkehr gibt es nur noch auf zwei Fahrspuren östlich der Tram und nur noch mit Tempo 30. Das zeigt Wirkung. Der Verkehrslärm ist seit dem Umbau deutlich zurückgegangen. Auch der sandfarbene Radweg und das helle Pflaster der erweiterten Fußgängerpromenade – gut gegen das Aufheizen im Sommer – haben die Straße verändert. Mit den 77 schattenspendenden Baumriesen (38 wurden neu gepflanzt) und den vielen neuen Sitzgelegenheiten unter den Laubbäumen steigt die Aufenthaltsqualität. Es erinnert an die großzügigen Boulevards in Südeuropa. Rund 58 Millionen Euro hat der Umbau gekostet. Geht das Konzept der Planerinnen auf, sind hier langfristig nur noch 10.000 Autos unterwegs. „Wenn ich dort bin, habe ich den Eindruck, dass bereits heute deutlich weniger Autos unterwegs sind“, sagt Bart Christiaens, Fahrradkoordinator von Rotterdam. Die genauen Zahlen kennt er noch nicht, denn die will die Gemeinde für eine realistische Einschätzung erst nach der Pandemie erheben. Aber schon während der Bauphase habe sich ein Teil des Verkehrs verlagert, sagt Christiaens. In einigen Nebenstraßen sei die Zahl der Autos etwas gestiegen, aber in einem geringeren Ausmaß, als es die Verkehrsanalyse vorhergesagt habe. Ein Teil der Fahrzeuge, die zuvor auf dem Coolsingel unterwegs gewesen seien, seien einfach verschwunden. Dieses Phänomen erleben Verkehrsplaner immer wieder, selbst beim Einrichten von Baustellen. „Die Menschen suchen sich nicht nur alternative Routen, sie steigen auch auf andere Verkehrsmittel um“, erläutert Christiaens das Phänomen. Trotz des guten Starts bleibt für ihn die Verkehrsentwicklung im Coolsingel in den kommenden Monaten spannend. In der unmittelbaren Nähe der Straße befindet sich rund ein halbes Dutzend Parkhäuser. „Die Frage ist, ob die Menschen zu den Einkaufszentren und in die Kinos weiterhin mit dem Auto fahren oder Alternativen nutzen“, sagt er. Das neue Parkraummanagement sieht vor, dass mehr Menschen den ÖPNV nutzen (siehe Kasten). Aber Christiaens weiß: „Die Menschen brauchen eine gewisse Zeit, um sich an die neue In-frastruktur zu gewöhnen.“ Rund um den Coolsingel wird diese Phase wohl noch eine Weile andauern. Schließlich sind die nächsten Großprojekte dort bereits in Planung. In ein paar Jahren soll der angrenzende Hofplein (Hofplatz) mit seinem 20 Meter breiten Springbrunnen umgebaut werden. Seine Neugestaltung ist eines der sieben Stadtprojekte und soll Radfahrerinnen, Fußgängerin-nen und Anwohnerinnen den Zugang überhaupt erst ermöglichen. Bislang umrunden Autos und Busse auf drei Fahrspuren den Brunnen, dazwischen kreuzen die Straßenbahnen. Fuß- oder Radverkehr waren hier nicht vorgesehen. Nach dem Umbau soll der Brunnen zum Herzstück des neuen Parks werden, mit vielen Fußwegen und Sitzgelegenheiten für die Anwohner. Die Straßenbahn darf weiterhin passieren, der Autoverkehr wird jedoch in einem großen Bogen um den Park herumgeführt.

Die Illustration zeigt, wie der Hofplein nach dem Umbau aussehen soll: Der Springbrunnen wird zum Zentrum eines neuen Parks für die Anwohner des Viertels.
Der Bahnhof im Zentrum ist Rotterdams Foyer zur Stadt und gibt einen Ausblick auf ihre Zukunft. Rad fahren, zu Fuß gehen oder der Umstieg auf Bus und Bahn sollen überall so leicht und komfortabel werden wie hier.

Schnelle Umsetzung von Großprojekten

Für die Transformation setzt Rotterdam auf eine breite interdisziplinäre Beteiligung. 25 Partner haben die sieben Stadtprojekte mitentwickelt. Ihre Fachrichtungen reichen von der Architektur über die Kunst und den Jugendrat, bis hin zu Vertreter*innen sozialer Organisationen und der Gemeinde. Die Phase von der Planung bis zur Eröffnung ist mit rund zehn Jahren sehr knapp bemessen. „Der Coolsingel ist etwa innerhalb von drei Jahren geplant und umgebaut worden“, sagt Sophie Simon. Dass es so schnell geht, liegt aus ihrer Sicht an dem Regelwerk „CROW“ für Verkehrsplaner, das der deutschen ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) entspricht. „Sämtliche Infrastruktur aus den Niederlanden baut auf den CROW-Richtlinien auf“, sagt die Mobycon-Expertin. Die Planer und die Verwaltungen orientierten sich an den modernen Richtlinien, weshalb der Bau von Radinfrastruktur in den Niederlanden deutlich schneller vonstattengehe als in Deutschland. „Die ERA ist veraltet. Viele deutsche Städte entwickeln deshalb eigene Standards“, sagt die Expertin. Das kostet Zeit. Sie sagt: „Es wäre viel einfacher, wenn alle ein einheitliches Regelwerk verwenden würden.“

28 %

28 Prozent der Menschen legten 2020
ihre Wege mit dem Rad
zurück, und es werden stetig mehr.

Vor dem Umbau: Bürgerbeteiligung und Pop-up-Tests

Zu jeder Planung gehört in den Niederlanden auch der intensive Austausch mit den Bürgerinnen vor Ort. „Bereits vor der ersten Planung befragt man die Anwohnerinnen; was gut und was schlecht in ihrer Straße funktioniert, worauf sie stolz sind und wo sie sich gerne aufhalten“, sagt Sophie Simon. Dieser Austausch werde zur Halbzeit und gegen Ende der Planung wiederholt. Für sie ist das Feedback wertvoll. „Manche Pläne funktionieren gut in der Theorie, aber nicht in der Praxis“, sagt sie. Deshalb sei es wichtig, nachbessern zu können. Außerdem zeige der Dialog den Bürgerinnen und Bürgern, dass Entscheidungen nicht über ihren Kopf hinweg getroffen werden.
In Rotterdam werden die neuen Pläne vor dem schlussendlichen Umbau in einem Testlauf ausprobiert. Das gilt beispielsweise auch für die Sperrung einer Nebenstraße des Coolsingels. In der „Meent“ störten „Auto-Poser“ seit Langem die Nachtruhe der Anwohnerinnen. Um das abzustellen, wurde die beliebte Flaniermeile für den Autoverkehr zeitweise gesperrt. Zunächst für zwei Monate jeweils donnerstags, freitags und am Wochenende. Bewährt sich die Sperrung, soll sie laut Sophie Simons dauerhaft umgesetzt werden. Auch in den Niederlanden sind nicht alle vom Kurs der Politik begeistert. Trotzdem bleibt der große Protest aus. „Die Akzeptanz ist größer, weil das Fahrrad omnipräsent in unserer Gesellschaft ist“, sagt Sophie Simon. Aber anscheinend zeigt auch die Umgestaltung der Innenstadt Wirkung. Christiaens bemerkt einen Wandel während des Feedback-Prozesses. „Die Menschen kommen zu unseren Veranstaltungen und unterstützen unsere Idee zum Umbau der Stadt“, sagt er. Das ist selbst in den Niederlanden neu und bestärkt die Planerinnen auf ihrem Weg.

Sichtbare Mobilitätswende

Die Mobilitätswende und die steigende Aufenthaltsqualität sind bereits vielerorts sichtbar und spürbar. Besonders deutlich ist das für Touristinnen am Hauptbahnhof. Früher verliefen direkt vor der Eingangshalle eine mehrspurige Straße und das Schienennetz. Wer heute aus der lichtdurchfluteten, weitläufigen Halle tritt, steht auf einem riesigen Vorplatz, auf dem sich vor allem Fußgängerinnen und Radfahrerinnen tummeln. Linke Hand geht es für Pendelnde und Reisende weiter zur Straßenbahn. Fahrradpendlerinnen erreichen nach wenigen Schritten einen der beiden Eingänge zum unterirdischen Fahrradparkhaus. Laufbänder bringen sie ins Untergeschoss zu den rund 5.200 Fahrradstellplätzen. Autopendler*innen hingegen müssen ein paar Hundert Meter laufen, um zu unterirdischen Parkhäusern zu gelangen. Wer nicht unbedingt darauf angewiesen ist, lässt sich auch nicht mit dem Auto abholen, denn die einspurige Einbahnstraße vor dem Bahnhof lässt keinen Stopp zu. Ähnlich sieht es auf der Rückseite des Bahnhofs aus. Die wenigen Parkplätze dort sind für Taxis reserviert. Mit dem neuen Bahnhof hat die Stadt ein Statement gesetzt. Das Zeitalter des Autos geht langsam zu Ende in der Stadt. Wer in Rotterdam zu Fuß, mit Bus, Bahn oder Rad unterwegs ist, bekommt Vorrang – jedenfalls langfristig. Bis es tatsächlich so weit ist, müssen noch viele Straßen umgebaut werden. Neben Raum zum Fahren brauchen Radfahrende aber auch Stellplätze für ihre Räder.

Ein Fahrradparkhaus und 1.000 zusätzliche Stellplätze am Bahnhof reichen nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken.

Auch die Doppelstockparker an der Markthalle reichen nicht mehr für Pendler*innen, die von hier aus per Bus, Bahn oder Metro weiterreisen.

Mehr Fahrradstellplätze benötigt

15.000 Fahrradstellplätze gibt es momentan im Zentrum. Das klingt viel. Gebraucht werden aber 45.000, also dreimal so viele. Dass die Stellplätze nicht reichen, hat einen Grund: In den vergangenen zehn Jahren sind 60 Prozent mehr Menschen aufs Rad gestiegen als zuvor und es werden täglich mehr. „Entsprechend viele Räder stehen überall in der Innenstadt am Straßenrand“, sagt Sophie Simon. Das gilt auch für die Wohngebiete. „In der Straße, in der ich wohne, gibt es zehn Fahrradbügel“, sagt sie. Dabei würden Hunderte gebraucht. Aus ihrer Sicht wäre es am einfachsten, in jeder Wohnstraße ein bis zwei Pkw-Stellplätze in Fahrradparkplätze umzuwandeln. Das ist momentan nicht vorgesehen. Allerdings können sich die Anwohnerinnen bei Bedarf direkt an die Stadt wenden. „Wenn drei Anwohner gemeinsam eine Anfrage stellen, dann wird für drei bis sechs Monate ein sogenanntes Fietsvlonder (Fahrradgeländer) aufgestellt“, sagt der Fahrradkoordinator. Das Pop-up-Kunststoffdeck mit zehn Fahrradbügeln wird auf einem Parkplatz abgestellt. Wenn die Fahrradbügel gut genutzt werden und sich die übrigen Anwohnerinnen nicht beschweren, dann wird das temporäre Modul durch einen dauerhaften Fahrradstellplatz ersetzt. Das gelingt laut Christiaens bei 80 Prozent der Pop-up-Stellplätze. Die Maßnahme ist jedoch nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. „Das Fahrradparken ist aktuell unsere Achillesferse“, so Christiaens. Mit seinem Team stockt er die Zahl der Stellplätze zwar permanent auf. Erst im Sommer kamen unter anderem rund 1.000 Stellplätze am Bahnhof hinzu und in der Nähe des Coolsingels wurde eine Fahrradgarage für 450 Räder eröffnet. Trotzdem fehlen große Flächen zum Fahrradparken im Zentrum. Bald sollen deshalb unter anderem im Keller eines ehemaligen Kaufhauses sowie in einer Bibliothek eine Parkgarage entstehen. Denkbar seien auch leerstehende Ladenlokale. Die Suche nach Flächen wird den Fahrradkoordinator auf jeden Fall auch in den kommenden Jahren beschäftigen. Die Gemeinde geht davon aus, dass 2030 mehr als 60.000 Fahrradstellplätze benötigt werden.

„Rotterdam hat

ambitionierte Ziele

und traut sich,

sehr innovativ zu sein“

Sophie Simon, Mobycon

Fahrradmobilität für alle

Eine weitere Herausforderung für die Politik ist es, den Anteil des Radverkehrs möglichst im gesamten Stadtgebiet gleichmäßig zu erhöhen. Das ist gar nicht so leicht. Im Süden der Stadt gaben zum Beispiel 52 Prozent der Befragten bei der letzten Mobilitätserhebung an, nie oder fast nie das Fahrrad zu nutzen. Christiaens kennt die Zahlen seit Jahren. „In Rotterdam Zuid leben traditionell viele Hafenarbeiter und Migrantinnen in der zweiten oder dritten Generation“, sagt er. Die niederländische Fahrradkultur habe sich dort noch nicht durchsetzen können. Manche der dort lebenden Rotterdamerinnen können gar nicht Radfahren oder besitzen kein Fahrrad. Um das zu ändern, startete die Gemeinde mit verschiedenen Partnern vor fünf Jahren das Programm „Fietsen op Zuid“. Die verschiedenen Organisatoren arbeiten eng mit Ansprechpartnerinnen vor Ort zusammen und versuchen über verschiedene Projekte, das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel bei den Menschen zu etablieren. „Cycle Along“ ist einer von vielen Bausteinen des Programms und wendet sich an Frauen mit bikulturellem Hintergrund. Neben Radfahrkursen für Hunderte von Frauen wird auch ein Botschafterinnen-Netzwerk aufgebaut. Das heißt, die ehemaligen Teilnehmerinnen bringen anderen Frauen vor Ort Fahrradfahren bei. Damit erweitern die Frauen gemeinsam ihren Aktionsradius und bilden neue Netzwerke. Für Kinder gibt es spezielle Kurse über die dortige BMX-Schule. Damit alle nach den Kursen weiterradeln können, hat die Stadt die „Fietserbank“ (Fahrradbank) eingerichtet. Wer sich kein eigenes Rad leisten kann, bekommt dort ein verwaistes Fahrrad. Rund 1.000 Fahrräder bekommen so jedes Jahr einen neue Besitzerinnen.
Aber es geht nicht nur darum, dass jeder und jede fähig ist, Rad zu fahren. Die neu gewonnenen Radfahrerinnen müssen sich auch trauen, mit dem Rad quer durch die Stadt zu fahren. Das will der „Fietskoers 2025“ sicherstellen. „Eine der Hauptkomponenten des Plans ist, dass die Infrastruktur gleichermaßen für schnelle und langsame Radfahrerinnen ausgelegt wird“, sagt Sophie Simon. Für sie ist das ausschlaggebend, um alle potenziellen Radfahrerinnen und Radfahrer in den Sattel zu bringen. Viele der älteren Radwege Rotterdams sind für die stetig wachsende Zahl an Radfahrenden jedoch zu schmal. Christiaens hat dazu bereits eine Idee. Die langsameren Radfahrenden sollten zukünftig weiterhin die Radwege nutzen, sagt er. Sportliche Radfahrerinnen und schnelle E-Bike-Fahrerinnen könnten dagegen auf die Fahrbahn wechseln und sich mit den Autos den Platz teilen. Das funktioniert aus seiner Sicht jedoch nur, wenn stadtweit Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit eingeführt wird. Für ihn ist das der nächste Schritt. Künftig also Tempo 30 auch in Rotterdam. Das passe auch deutlich besser zu dem Ziel der Stadt, das Zentrum in eine City Lounge umzuwandeln.



Industrie- und
Hafenstadt
Rotterdam

Rotterdam ist mit rund 650.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nach Amsterdam die zweitgrößte Stadt der Niederlande. Die an der Mündung von Rhein und Maas gelegene Stadt ist vor allem für den wichtigsten Industriehafen Europas bekannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Innenstadt im Jahr 1940 bei einem deutschen Luftangriff mit verheerenden Bränden fast vollständig zerstört und danach neu aufgebaut. Die Bevölkerung hat sich heute durch Zuwanderung verjüngt und ist sehr durchmischt. Rund die Hälfte der Menschen hat eine migrantische Geschichte. Eine Besonderheit gibt es beim Einkommen: Während das Durchschnittseinkommen im Stadtgebiet niedriger ist als im Landesschnitt, ist es im Umland der Stadt höher. Die Arbeitslosenquote lag in den letzten Jahren deutlich über dem Durchschnitt der Niederlande.


Bilder: Dutch Cycle Embassy, Gemeinde Rotterdam, Andrea Reidl, Melissa und Chris Bruntlett – Mobycon, stock.adobe.com – markus thoenen