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Mit dem Fahrzeug Ono hat Onomotion ein Segment eta-bliert, das die Vorteile von Autos und E-Bikes vereinen will. Der Berliner Hersteller zeigt sich bis heute visionär und innovativ. Welche Rolle die Fahrzeuge vor allem auf der letzten Meile in einer nachhaltigen Zukunft spielen werden, liegt aber nicht nur in den Händen der Mitarbeiter*innen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


Wenn Beres Seelbach daran denkt, wie er und seine Mitgründer der Onomotion GmbH im Jahr 2018 den ersten Design-Prototypen des heute als Ono bekannten Fahrzeugs vorstellten, erfüllen ihn positive Emotionen. „Damals waren wir im Motion.Lab, einem Coworking-Space für Hardware-Start-ups. Wir haben viele Freunde, teilweise aber auch Geschäftspartner, Gesellschafter, Investoren und Familie eingeladen. Unsere Mitarbeiter aus dem Marketing hatten eine ganz tolle Präsentation vorbereitet und das Fahrzeug kam am Ende mit ein bisschen Rauch auf die Bühne. Es ist, glaube ich, ein paar Stunden vorher fertig geworden.“
Vor diesem Moment lag ein langer Weg. Der Präsentation der ersten Fahrzeuggeneration des Schwerlastenradherstellers gingen an die drei Jahre Produktentwicklung voraus. Ein erster Prototyp, den Onomotion in den Büros in Berlin ausstellt, beweist eindrucksvoll, wie viel in der Entwicklungsphase passiert ist. Das unverkleidete Fahrzeug mutet wie das Projekt eines fähigen Hobbybastlers an. Als Sitz fungiert ein Ikea-Stuhl, dessen Gestell abgeschraubt wurde.
Mit den Fahrzeugen, die Onomotion 2019 in einer Pionier-Ausführung und seit 2020 regulär produziert, hat der erste Prototyp abgesehen von seinen Abmessungen augenscheinlich wenig gemeinsam. Die Firma, die in ihren Anfängen Tretbox hieß, baut ein dreirädriges Schwerlastenrad mit Elektromotor, Wetterschutz und einer Ladefläche mit austauschbaren Container-Modulen. Die Nutzlast beträgt bis zu 200 Kilogramm, das Ladevolumen zwei Kubikmeter.
Geboren wurde das Design für die Ono (das Modell ist eine Sie), weil die Gründer einen Bedarf für eine neue Fahrzeuggattung sahen und diesem nachgingen. „Es hat begonnen mit den Kundenwünschen und den Kundenanforderungen und einem leeren Blatt Papier“, erklärt Geschäftsführer Beres Seelbach.
Die genauen Anforderungen ermittelten er und seine Mitgründer zu Beginn des Entwicklungsprozesses in Gesprächen mit Kurier-, Express- und Paketdiensten (KEP) wie UPS, Hermes und DPD. Für das Start-up war diese Zielgruppe damals unter anderem attraktiv, weil wenig Marketing nötig war, um die Dienstleister für sich zu gewinnen. „Die suchen quasi proaktiv nach einer Lösung“, erklärt Seelbach.

Die Montage findet bei Onomotion auf Hebebühnen statt. Perspektivisch könnte es sinnvoll sein, auf Fließbandmontage umzustellen.

Ist das noch Fahrradbranche?

Die Frage, ob das denn noch ein Fahrrad sei, dürfte den Fahrer*innen, die mit der Ono im Alltag unterwegs sind, nicht selten begegnen. Schon das fehlende Kennzeichen des Fahrzeugs ist ein starkes Indiz, wie diese zu beantworten ist. Noch valider als die Überlegung zur Fahrzeuggattung scheint hingegen die Frage zu sein, wie viel Fahrradbranche im Unternehmen Onomotion steckt. Die Historie der drei Firmengründer zumindest ist stark von der Automobilbranche geprägt. „Man merkt das vor allem am Design-Prozess, der eins zu eins aus der Automobilbranche stammt, also das Handzeichnen und Tapen. Das Einzige, was wir nicht gemacht haben, ist, das Fahrzeug aus Ton zu bauen“, erzählt Beres Seelbach mit Blick auf die gängige Design-Praxis in der Automobilindustrie, neue Modelle in Realgröße aus Ton zu formen.
Seelbach selbst hat gemeinsam mit Mitgründer und Fahrzeugingenieur Philipp Kahle vor der Onomotion-Zeit ein Service- und Vertriebsnetz für Elektrofahrzeuge aufgebaut. Murat Günak, der dritte im Bunde, war langjähriger Chefdesigner bei Mercedes und der Volkswagen-Gruppe. „Durch Murat stand das Thema Design von Anfang an sehr stark im Vordergrund“, so Seelbach. Günak zeichnete die ersten Design-Entwürfe von Hand. Mit Tape wurde der Entwurf auf eine weiße Wand übertragen und im Anschluss in ein Design-Programm übernommen. Parallel begannen die Ingenieure damit, Rahmen und Aufbau der Ono zu konstruieren. Mock-ups aus einfachen Materialien waren der nächste Schritt im Design-Prozess. Seelbach: „Dann haben wir erste Design-Prototypen gebaut, die noch etwas anfällig waren, was die Haltbarkeit angeht. Die haben wir dann auch den Kunden vorgestellt.“ Einmal ausgereift, wurde das grundlegende Design dann festgezurrt, und der Fokus verschob sich darauf, die tatsächlichen Fahrzeuge so haltbar, wartbar und produzierbar wie möglich zu machen.
Mittlerweile stellt das Berliner Unternehmen die Ono bereits in der vierten oder fünften Fahrzeuggeneration und die Container in der dritten Generation her. Beres Seelbach: „Das ist eigentlich für die Fahrenden und für die Kunden gar nicht sichtbar, aber wir bringen mit der Maintenance lauter Updates ein, die technischer Natur sind und vor allem die Zuverlässigkeit erhöhen und dadurch die Kosten senken.“

„Zu sagen, dass sich ein Mikrodepot langfristig rechnen müsse, ist vielleicht ein bisschen zu kurz gedacht.“

Beres Seelbach, Geschäftsführer Onomotion GmbH

Beres Seelbach hat Onomotion gemeinsam mit Philipp Kahle und Murat Günak 2016 gegründet. Die drei vereinen reichlich Expertise, die unter anderem aus der Automobilbranche stammt.

Wartungsintervalle sind entscheidend

Die verschiedenen Fahrzeuggenerationen unterscheiden sich bezüglich der verwendeten Komponenten. Komponenten wie die Shimano-Schaltung Nexus stammen vom Fahrrad. Viele Zulieferer kommen aber auch aus dem Automotive-Bereich. In der jüngeren Vergangenheit wechselte Onomotion zum Beispiel den Bremsenhersteller. Anstatt mit Magura-Fabrikaten rollen die Onos heute mit Bremsanlagen der Firma Fahrwerker aus dem Werk. Die Firma hat sich auf das Segment der Schwerlastenräder spezialisiert, eine Fahrzeuggattung, die neben Onomotion unter anderem Rytle, Mubea oder Citkar als Mitbewerber vorantreiben. Der Grund für den Wechsel der Bremsen liegt darin, dass die Fahrwerker-Modelle eine größere Haltbarkeit und längere Wartungsintervalle bieten. „Ich denke, dass das eine oder andere Fahrradbauteil in Zukunft noch ersetzt wird“, meint Beres Seelbach. „Nicht nur der Markt kommt in die Gänge, sondern auch die Zulieferinfrastruktur. Immer mehr Zulieferer entwickeln Komponenten wie Bremsen, Motoren oder Fahrwerke für diese neue Kategorie.“
Die Wartungsintervalle sind bei den gewerblichen Kunden die Krux, wenn es darum geht, rentabel zu sein. Die Ansprüche sind hoch, wie Seelbach erklärt: „Wir sprechen Kunden an, die normalerweise eher in einem Lieferwagen oder Transporter sitzen. Die sind es gewohnt, maximal einmal im Jahr, alle zehn- oder zwanzigtausend Kilometer zu einer Wartung zu fahren. Da ist bei uns definitiv noch Luft nach oben.“ Erste Kunden sind ihre Onos bereits 20.000 Kilometer gefahren. Das Unternehmen zielt über die Lebensspanne eines Fahrzeugs auf Laufleistungen zwischen 50.000 und 100.000 Kilometer ab.
Zu Beginn musste die Ono alle 600 Kilometer gewartet werden. Mittlerweile ließ sich die fahrbare Strecke zwischen zwei Wartungsterminen auf 2000 Kilometer erweitern. Perspektivisch will das Unternehmen diesen Wert noch um ein Vielfaches nach oben schrauben, um dem „Automobilstandard“ etwas näher zu kommen. Neben noch besseren Bremsen könnte auch der ketten- und ritzellose Antrieb eines seriellen Hybrids ein sinnvoller Schritt sein. „Das ist nicht das perfekte Fahrradfahrgefühl, aber in dieser Produktkategorie erwartet man das, glaube ich, sowieso nicht“, sagt Seelbach. Auch die Verkleidungsteile der Ono sollen noch robuster werden. Über Befragungen, unter anderem direkt auf dem Fahrzeug-Display, prüft der Hersteller, wie zufrieden seine Kundschaft ist. Verbesserungswünsche sammelt Onomotion auf einer Prioritätenliste. Aktuell in Arbeit und bald erhältlich ist eine Federung für die Hinterachse, die den Fahrkomfort gerade an langen Arbeitstagen erhöhen soll.
Auch wenn Onomotion stellenweise noch Aufholbedarf zum „Automobilstandard“ sieht, kombiniert das Schwerlastenrad grundsätzlich die Vorteile von Kfz und Fahrrädern und bietet somit gewissermaßen das Beste aus zwei Welten. Die Ono ist flexibel, platzsparend und hat entnehmbare Akkus. Als E-Bike lässt sie sich ohne Führerschein und auf der Fahrradinfrastruktur fahren und direkt am Zielort abstellen.
Gleichzeitig ist das Cargobike in Sachen Komfort, Design und Qualität eher dem Kfz nahe. Mit Gesamtkosten, die perspektivisch auf wenige Cent pro Kilometer fallen sollen, ist das Konzept auch wirtschaftlich für viele Lieferwagennutzerinnen interessant. Wie sehr diese Vorteile greifen, hängt mitunter stark von externen Bedingungen ab, weiß Seelbach: „Ich glaube, dass du immer diese zwei Faktoren hast. Das eine ist das Produkt, für das man als Unternehmer verantwortlich ist. Das andere sind die Marktbedingungen, für die die Politik und die Gesellschaft verantwortlich sind.“ Spürbar seien die externen Faktoren im Vergleich verschiedener Märkte. Onomotion ist in Deutschland gestartet, mittlerweile ist das Vereinigte Königreich ein mindestens genauso wichtiger Markt. Das liegt laut Seelbach nicht etwa an einer Förderung oder einem besonders hohen intrinsischen Interessen an Lastenrädern. Vielmehr scheint die Situation dort für Lieferwagen erheblich restriktiver zu sein. So wird die Ono als Alternative deutlich attraktiver. Aus demselben Grund findet Onomotion vergleichsweise leicht urbane Kundinnen in Österreich oder Belgien.

„Ich glaube, dass du immer diese zwei Faktoren hast. Das eine ist das Produkt, für das man als Unternehmer verantwortlich ist. Das andere sind die Marktbedingungen, für die die Politik und die Gesellschaft verantwortlich sind.“

Beres Seelbach, Geschäftsführer Onomotion GmbH

Am Standort in Berlin Mitte finden neben der Montage auch die Geschäftsführung, die Entwicklung und der Service für die Fahrzeuge in der Region Platz.

Verlässliche Mikrodepots

Im Kerngeschäft mit den KEP-Diensten steht und fällt der Erfolg vor Ort häufig mit den Mikrodepots, also kleinen, zentral gelegenen Lagern, von denen aus die Lastenräder ihre Routen beginnen können. Es gibt zwar ein paar Pilotprojekte, die als solche Förderung erhalten. Unter Realkosten werden sie nach Ende des Förderzeitraums dann oft nicht weitergenutzt. Wie bei Kaufprämien gilt für Onomotion auch hier, dass eine Förderung, wenn es sie denn gibt, langfristig und planbar sein muss. Vorzeigeprojekte nach dieser Maßgabe fallen Beres Seelbach zum Beispiel in Paris ein. Seitens der Fördergeldgeber wünscht er sich ein Umdenken: „Zu sagen, dass sich ein Mikrodepot langfristig rechnen müsse, ist vielleicht ein bisschen zu kurz gedacht.“ Schließlich verursachen Liefer-Kfz auch ohne Mikrodepots enorme Kosten, indem sie Bordsteine und Straßen abnutzen.
Allgemein ist es nicht leicht, in Innenstädten freie Flächen für Mikrodepots zu finden. Ein kleiner Lichtblick findet sich in Form von Parkhausbetreibern, zum Beispiel dem Unternehmen Apcoa, mit dem Onomotion an mehreren Standorten kooperiert. Dort wo weniger Autos in die Innenstadt fahren, sind Mikrodepots als alternative Nutzung der Parkplätze durchaus willkommen. Doch auch diese Art der Nutzung scheitert in der wirtschaftlich knapp gestrickten KEP-Branche oft am Geld.
Wer die Fahrzeuge von Onomotion nutzen will, muss nicht zwangsläufig auf einen Schlag viel Geld in die Hand nehmen. Die Kundinnen können die Onos direkt kaufen, sie als Vehicle-as-a-Service im Rundum-sorglos-Paket mieten oder wie 80 Prozent der Nutzerinnen über ein Leasing-Angebot des Herstellers finanzieren.
Neben den Paketzustellern adressiert das Berliner Unternehmen auch Handwerksbetriebe, vor allem im Facility-Management, und den Bereich der Werkslogistik. Auch Modelle, um Akkus einer E-Scooter-Flotte zu wechseln oder aktiv gekühlte Lebensmittel zu transportieren, hat Onomotion bereits verkauft. Jenseits der KEP-Logistik haben Schwerlastenräder durchaus noch Erklärungsbedarf. „Die Arbeit lohnt sich aber noch eher, wenn die Produkte noch interessanter für diese Branchen sind“, erklärt Seelbach. Das sei dann der Fall, wenn die Verkaufspreise, die aktuell je nach Ausstattung zwischen 15.000 und 20.000 Euro liegen, eher in Richtung 10.000 Euro gingen. Das will das Team von Onomotion durch günstigere Einkaufsbedingungen, neue Lieferanten und ein Angebot an simpleren Fahrzeugen erreichen. Künftig dürfte die Ono also in einer Light-Version erscheinen, bei der gewisse Komponenten, etwa das Container-System, aufpreispflichtig sind.

„Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren ein richtiger Volumenhersteller sind und mehrere Tausend oder Zehntausend Fahrzeuge in ganz Europa, vielleicht auch in Nordamerika und anderen Ländern vertreiben.“

Beres Seelbach, Geschäftsführer Onomotion GmbH

Der Drang, Städte lebenswerter zu machen

Die Montage am Standort in Berlin Mitte, den Onomotion vor rund zwei Jahren bezogen hat, soll ebenfalls effizienter werden. Aktuell statten die Mitarbeiter*innen die einzelnen Rahmen dort auf Hebebühnen mit den richtigen Komponenten aus. Bei größeren Stückzahlen dürfte ein Umstieg auf Fließbandmontage sinnvoll sein, so Seelbach. Gefertigt werden die einzelnen Bauteile von Zulieferern. Pro Fahrrad sind es rund 400 verschiedene Komponenten und insgesamt 1400 Einzelteile. Die meisten Bauteile, die bis auf einen einstelligen Prozentsatz aus europäischer Produktion stammen, werden verschraubt, die wenigsten verklebt. Für Onomotion ist diese Konstruktion ein wichtiger Schritt, um die Fahrzeuge reparierbar und am Ende ihres Lebenszyklus als Rohstoffe verwertbar zu halten.
Neben der Montagehalle finden mit Geschäftsbereichen wie der Entwicklungsabteilung, der Geschäftsführung oder dem Innendienst knapp 40 Personen in dem Gebäude in der Scheringstraße einen zentral in Berlin gelegenen Arbeitsplatz. Fahrzeuge, die in Berlin unterwegs sind, werden hier gewartet und repariert. Außerhalb Berlins kümmern sich eine Handvoll eigener Mitarbeiter und einige Partnerunternehmen um den Service.
Das Onomotion-Team ist jung und interdisziplinär. „Was uns eint, ist der Drang, die Städte lebenswerter zu machen“, sagt Seelbach, der Onomotion gern scherzhaft ein Umzugsunternehmen nennt. Der Hintergrund sind einige Standortwechsel, welche die Firma bereits hinter sich hat. Obgleich Onomotion laut Seelbach in München oder Stuttgart eventuell besser aufgehoben wäre, ist der Hersteller der Hauptstadt bislang treu geblieben. Die Stadt sei weltoffen und stelle gerne Dinge infrage: „Für mich ist Berlin schon immer eine Stadt der Start-ups gewesen. Ich finde es spannend, hier zu gründen.“ Durch das internationale Publikum in Berlin, das vor Ort die Fahrzeuge wahrnehme, habe Onomotion zudem bereits Anfragen aus der ganzen Welt bekommen.
Seelbach wünscht sich, vielen dieser Anfragen in einigen Jahren nachgehen zu können: „Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren ein richtiger Volumenhersteller sind und mehrere Tausend oder Zehntausend Fahrzeuge in ganz Europa, vielleicht auch in Nordamerika und anderen Ländern vertreiben.“ Die Produktionskapazität beziffert der Co-CEO aktuell auf mehr als 1500 Fahrzeuge im Jahr. Noch wird sie vor allem durch eine ausbaufähige Nachfrage begrenzt.
Die großen Wachstumszahlen im Lastenradmarkt seien in den vergangenen Jahren eher durch normale Cargobikes und vor allem Familien-Cargobikes als durch Schwerlastenräder zustande gekommen, meint Seelbach. „Wir hängen, glaube ich, eher am Zyklus der Gesamtwirtschaft und eigentlich noch wichtiger: am E-Commerce“, erläutert der Geschäftsführer. Der E-Commerce-Bereich ist im letzten Jahr um elf Prozent zurückgegangen. Bei den KEP-Dienstleistern herrsche entsprechend eher Krisenstimmung und wenig Laune für Innovationsprojekte.

400 verschiedene Bauteile und insgesamt rund 1400 Einzelteile sind nötig, um ein Schwerlastenrad von Onomotion zu bauen.

Lösungen von morgen

Vor allem Mischflotten mit Lastenrädern, Lkws und elektrischen Transportern sieht Seelbach trotz des konjunkturellen Dämpfers im E-Commerce als die Zukunft des Lieferverkehrs. Im April erst hat Onomotion deshalb eine Kooperation mit Mercedes Benz Vans vorgestellt. Ein spezieller E-Sprinter soll als mobiles Mikrodepot fungieren und die Onos flexibel für die Letzte Meile beliefern. Der E-Sprinter kommt mit Hebebühne, spezielle Ono-Container sind mit seiner Ladefläche kompatibel.
In einer anderen Kooperation werden Onos für ein Pilotprojekt der Uni Magdeburg mit Technik ausgestattet, die es ihnen ermöglicht, autonom zu fahren. Bis zur Serienlösung wird es allerdings noch dauern. Die autonomen Fahrzeuge sollen die Fahrerinnen eher nicht ersetzen, sondern ihnen den Alltag erleichtern, meint Seelbach: „Die Idee ist nicht, dass die Ono die komplette Lieferroute selber abfährt, sondern sie fährt quasi neben dem Zusteller her, damit der sich auf die Zustellung konzentrieren und schon zur nächsten Haustür vorgehen kann und das Fahrzeug ihm folgt.“ Die Technik könne auch für andere Branchen, etwa die Stadtreinigung von Interesse sein. Sie unterstreicht einmal mehr den Anspruch des Unternehmens, bei den Lösungen von morgen mittendrin zu sein. Als weiteres potenzielles Geschäftsfeld der Zukunft haben Seelbach und seine Kolleginnen bereits zu Gründungszeiten den Personentransport identifiziert. Für Menschen, die kein Auto mehr nutzen wollen, aber das Fahrrad oder E-Bike als etwas zu wenig empfinden, könnte die Zwischenlösung Schwerlastenrad interessant sein. Auch als Taxi-Service wäre es denkbar, so ein Fahrzeug zu nutzen. Den Vorzug erklärt Seelbach: „Wenn man in Berlin am Hauptbahnhof ankommt, nach Berlin Mitte will und sich in ein normales Taxi setzt, ist man wahrscheinlich deutlich länger unterwegs, als wenn man sich in eine komfortable Rikscha setzen würde. Die könnte man dann vielleicht auch über eine App buchen und die Fahrradwege im Regierungsviertel nutzen.“


Bilder: Aleksander Słota

Die niederländische Greentech-Investmentgruppe EIT Innoenergy hat untersucht, welche Auswirkungen gemischte Elektroflotten auf die Kosten und die Nachhaltigkeit von Logistikunternehmen haben könnten. Das Ergebnis beschreibt eine Win-Win-Win-Situation für Unternehmen, Städte und Umwelt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2024, Juni 2024)


„Logistikbetreiber stehen vor einer gewaltigen Aufgabe: der Dekarbonisierung ihrer Lieferung auf der letzten Meile, während sie sich gleichzeitig auseinandersetzen müssen mit Preiswettbewerb, schrumpfenden Margen sowie komplexen Vorschriften, begrenztem Stadtraum und unvorhersehbaren Nachfrageschüben“, schreiben die Autoren einer Studie der Greentech-Investmentgruppe EIT Innoenergy. Gleichzeitig nehme der Druck, auf diese Herausforderungen Antworten zu finden, ständig zu. Jedes Jahr wachse das Paketaufkommen in den der EU um 8 bis 14 Prozent. Bereits jetzt werden vielerorts Pilotprojekte gestartet, wie den wachsenden Herausforderungen, aber auch den berechtigten Interessen von Städten und Kommunen, begegnet werden kann. Im Zuge des Umstiegs auf E-Antriebe in der Paketlogistik erfahren auch Cargobikes ein großes Interesse von DHL, UPS & Co. „Es ist jedoch nicht einfach, Lieferflotten von Transportern mit Verbrennungsmotor durch eine gemischte Flotte aus E-Transportern und E-Lastenrädern zu ersetzen“, heißt es von EIT Innoenergy. Vor allem offene Fragen zur Kosteneffizienz der Verbrenneralternativen stünden einem Umstieg oft noch im Wege. Zusammen mit Logistikunternehmen hat der niederländische Greentech-Investor nun eine detaillierte Analyse erstellt, die die versteckten Kosten und Komplexitäten aufdecken und damit bewerten soll, wie gemischte Flotten aus E-Vans und Cargobikes Kosten- und Emissionseinsparungen erzielen können. Untersucht wurden drei Modelle: eine Lieferflotte, die ausschließlich mit Verbrennermotoren betrieben wird, eine rein elektrisch betriebene Flotte mit Kleintransportern sowie als dritte Variante gemischte Flotten aus elektrischen Kleintransportern und Cargobikes.
Nicht nur die geringsten Emissionen, sondern auch die geringsten Kosten haben die Studienmacher bei den gemischten Flotten ermittelt. Je nach Anteil der Lieferungen mit einem Cargobike könne ein durchschnittlicher Paketdienstleister mit rund zwei Milliarden Paketen im Jahr aktuell zwischen 95 und 156 Mio. EUR im Jahr sparen. Tendenz steigend: Für das Jahr 2030 prognostizieren die Autoren sogar eine Kostenersparnis von 554 Mio. EUR im Jahr. Das entspreche einer Kostensenkung je Paket um rund 17 Prozent. Als wesentliche Kostensenker wurden nicht nur die geringeren (und weiter sinkenden) Anschaffungskosten für Cargobikes im Vergleich zu Kleinlastern identifiziert, sondern vor allem auch die vergleichsweise kostengünstige Ladeinfrastruktur sowie die geringeren Energiekosten.
Vielleicht noch eindrucksvoller als die Kosteneffekte sind die potenziellen Vorteile für Umwelt und Gesellschaft. Bis 2030, so schätzen verschiedene Beobachter des Logistikmarktes, werde sich das Paketaufkommen in Europa noch verdoppeln. Das wird in Fachkreisen nicht mehr als mögliches Szenario, sondern längst als Gewissheit betrachtet. Umgelegt auf den gegenwärtigen Fahrzeugmix würden in Folge bis zu 40.000 neue Kleinlaster auf die Straßen europäischer Städte kommen – zusätzlich zu den 230.000 Sprintern, Ducatos & Co., die jetzt schon Pakete von A nach B fahren.

Lastenräder & Co sind in Anschaffung und Unterhalt deutlich günstiger als Sprinter & Co. Das macht sich in den Gesamtkosten für die Paketzustellung deutlich bemerkbar.

Lastenräder sind wettbewerbsfähige Lösung

„Die Studie zeigt, dass E-Lastenräder nicht nur eine nachhaltige Lösung sind, um die Herausforderungen zu bewältigen, sondern auch eine wettbewerbsfähige und profitable Option für große Logistikunternehmen – schon heute und erst recht bis 2030“, sagt Jennifer Dungs, Global Head of Mobility bei EIT Innoenergy. Sie fügt hinzu: „Städte und Logistikanbieter sollten ein großes beidseitiges Interesse daran haben, die Potenziale gemischter E-Lieferflotten voll auszuschöpfen, beispielsweise im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften. Diese Studie soll den Entscheidungsträgern in Europa eine wichtige Orientierungshilfe zu einer effizienteren und nachhaltigeren Gestaltung der Logistik der letzten Meile geben.“


Wer sich mit den Details der Studie befassen möchte, kann sie hier herunterladen:
https://www.innoenergy.com/discover-innovative-solutions/reports/hidden-costs-benefits-mixed-electric-fleets-last-mile-logistics/

Bilder: stock.adobe.com – jordi2r, stock.adobe.com – Mickis Fotowelt

Der Einzelhandel und seine Interessenvertreter sind oft ein vehementer Widerstreiter, wenn es darum geht, den Autoverkehr in den Innenstädten zurückzudrängen. Neue Studienergebnisse belegen jedoch, dass die Entscheiderinnen und Entscheider im Handel dabei meist einem Irrglauben nachlaufen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Politik und Gesellschaft betrachten den Verkehr seit vielen Jahrzehnten vorwiegend aus der Autoperspektive. Die interessierte Lobby hatte einigen Erfolg dabei, die Gleichung „Wirtschaftswachstum bedingt Verkehrswachstum“ in den Köpfen der Menschen zu verankern. Wer erinnert sich nicht an den Glaubenssatz vom Verband der Automobilindustrie (VDA) „Jeder 7. Arbeitsplatz hängt vom Automobil ab“? Der Spruch hat schon früher nicht gestimmt, und er tut es heute erst recht nicht mehr (tatsächlich ist es ungefähr jeder 35. Arbeitsplatz, Tendenz abnehmend).
Trotzdem wirkt das autozentrierte Denken immer noch nach. Dabei hat sich die Welt längst weiterentwickelt. Natürlich hat auch heute noch der Kfz-Verkehr seine Berechtigung, aber nicht mehr in der dominierenden Rolle wie einst. Nicht nur der öffentliche Verkehr gewinnt an Bedeutung. Auch Fahrräder werden nicht zuletzt durch die E-Bike-Technik immer leistungsfähiger und erfreuen sich besonders im Nahverkehr und auf Strecken bis 20 km steigender Beliebtheit. Gleichzeitig wird die Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel einfacher und komfortabler. Cargobikes erlangen im Wirtschaftsverkehr und auf der „letzten Meile“ eine zunehmende Bedeutung. Der Trend zu Homeoffice und Videokonferenzen macht manche Pendelstrecke entbehrlich. Diese Entwicklungen spiegeln sich mehr und mehr auch in einer angepassten kommunalen Verkehrsplanung wider. Verkehrsberuhigung liegt im Trend. Wohn- und Aufenthaltsqualität erhalten mehr Bedeutung, auch in den Innenstädten.
Doch jede Veränderung ist für das Gewohnheitstier Mensch mitunter auch eine Anfechtung. So gibt es immer wieder Konflikte, die durchaus heftig ausfallen können. Schließlich ist das Thema Verkehr ein höchst individuelles und emotional sowie politisch stark aufgeladen – wir erinnern uns an den letzten, hiervon geprägten Wahlkampf im Land Berlin. Oftmals geht es um die Neuverteilung des Verkehrsraums zugunsten des Fuß- und Radverkehrs. Nicht immer gelingt es, sachlichen Informationen wirkungsvoll Gehör zu verschaffen. Häufig werden hier Kulturkämpfe geführt, die manchmal gar den erschreckenden Charakter von Glaubenskriegen annehmen. An vorderster Front beim Streit um den Erhalt der Räume für den motorisierten Individualverkehr finden sich oft die Einzelhandelsunternehmen vor Ort.

Gewinn durch Radtourismus

Ein wesentlicher wirtschaftlicher Impuls geht auch vom Fahrradtourismus aus. Gerade im ländlichen Raum mit seiner häufigen Strukturschwäche generiert das Fahrrad Wertschöpfung für Hotellerie, Gastronomie und Einzelhandel. Ein Wirkbeschleuniger ist dabei die E-Bike-Technik, die auch Regionen für den Fahrradtourismus wach küsst, die zuvor wegen anspruchsvoller Topografie meist links liegen gelassen wurden.
Nach der ADFC-Radreiseanalyse 2023 haben zuletzt 38 Millionen Menschen in Deutschland insgesamt 445 Millionen Tagesausflüge mit dem Rad unternommen. 4,6 Millionen Menschen haben sogar mehrtägige Radreisen genossen. 71,5 % der Radreisenden sind dabei eine Strecke mit wechselnden Unterkünften gefahren. Radreisende absolvieren in Durchschnitt 9,4 Tagesetappen von jeweils 71 km Länge. 55 % der Radreisenden übernachten in Hotels, 35,6 % in Pensionen, 28,9 % in Ferienhäusern oder Privatunterkünften.

Sind Kaufleute Gegner der Verkehrswende?

Zum Thema „Glauben oder Wissen“ gibt es mittlerweile interessante Untersuchungen. So wurden vor zwei Jahren vom Potsdamer Institut IASS in Berlin-Kreuzberg und Neukölln 145 Gewerbetreibende nach ihrer Einschätzung befragt, wie viele ihrer Kundinnen und Kunden mit welchem Verkehrsmittel ihr Geschäft aufsuchen. Parallel dazu wurden 2000 Kundinnen zu ihrer tatsächlichen Verkehrsmittelwahl befragt. Ergebnis: Die Einzelhändler schätzten den Anteil den Kundinnen, die mit dem Auto gekommen waren, auf 22 %. Tatsächlich waren es nur 6,6 %. Alle anderen Verkehrsarten wurden von den Kaufleuten hingegen unterschätzt: Radfahrende 12 % (tatsächlich 15 %), ÖPNV 18 % (real 26 %), Zufußgehende 46 % statt in Wirklichkeit 52 %.
Besonders der Anteil der Pkw-Kundinnen wird also massiv überschätzt. Kein Wunder, wenn Einzelhändler daraus dann falsche Schlussfolgerungen ziehen und zum Beispiel beim Wegfall von Kfz-Parkplätzen Szenarien an die Wand malen, die irreal sind. Interessant auch in diesem Zusammenhang: Die Händlerinnen und Händler schätzten, dass nur 13 Prozent der Kundinnen und Kunden weniger als einen Kilometer von der Einkaufsstraße entfernt wohnen. Tatsächlich waren es jedoch über die Hälfte (51%) der befragten Einkäuferinnen.
Für die Studie des IASS wurden auch die getätigten Umsätze über den Zeitraum einer Woche erfasst und nach Verkehrsmittel gegliedert. Dabei zeigte sich, dass Autofahrende mit 8,7 Prozent den geringsten Anteil an den Einnahmen hatten, verglichen mit Fußgängerinnen und Fußgängern (61%), ÖPNV-Nutzenden (16,5%) und Radfahrenden (13,5 %). Zwar sind die Konsumausgaben von Autofahrenden pro Besuch (23,45 EUR) etwa doppelt so hoch wie die der anderen Kundinnen und Kunden, diese besuchen die Geschäfte dafür häufiger pro Woche. Obwohl die Ausgaben pro Besuch also geringer sind als die der Autonutzenden, trägt der höhere Anteil der Nutzenden von Verkehrsmitteln und aktiven Verkehrsmitteln in Verbindung mit der größeren Häufigkeit der Besuche dazu bei, dass diese Verkehrsmittel den allergrößten Teil der Gesamteinnahmen mit insgesamt 91 Prozent ausmachen.
Kritische Stimmen mögen anmerken, dass die Untersuchung des IASS in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln keinen Beispielcharakter für andere Städte und Gemeinden besitze. Ähnlich gelagerte Ergebnisse lassen sich jedoch auch aus dem Forschungsprojekt „Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt“ der Fachhochschule Erfurt ableiten, für das mehrere Städte in Ost- und Westdeutschland untersucht wurden.
Danach geben Radfahrerinnen, Fußgängerinnen und Nutzerinnen des öffentlichen Nahverkehrs pro Jahr mehr Geld in Geschäften in der Innenstadt aus als Autofahrerinnen. Menschen, die zu Fuß in der Innenstadt einkauften, kauften demnach für 762 Euro im Jahr ein. Wer mit Bus und Bahn anreiste, konsumierte für 598 Euro pro Jahr, gefolgt von Rad fahrenden Kundinnen mit 569 Euro Umsatz pro Jahr und Autofahrenden mit 477 Euro Umsatz im Jahr.
Der Einzelhandel hat also gute Gründe, weit verbreitete Glaubenssätze zu hinterfragen. Möglicherweise ergibt sich daraus dann immer häufiger, dass wirtschaftlich prosperierende Innenstädte und Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung überhaupt keine Widersprüche sind.

Bei einer Befragung in Berlin schätzten Einzelhändler, dass im Schnitt 22 % ihrer Kundinnen und Kunden mit dem Auto zum Einkaufen gefahren sind. Die parallel durchgeführte Kundenbefragung offenbarte jedoch einen Autoanteil von lediglich 6,6 %.

Maßnahmen, die den öffentlichen Raum zulasten des Autoverkehrs neu aufteilen, wie hier in der Berliner Friedrichstraße oder Bergmannstraße, stoßen häufig auf erbitterten Widerstand der ansässigen Betriebe.

Andere Länder, andere Sitten: In Amsterdam zählt es zur Fahrradetikette, keine Fahrräder vor Schaufenstern abzustellen.

IHKs oft kontraproduktiv

Trotz dieser eindrucksvollen Zahlen hat das Fahrrad in konservativen Kreisen und bei einigen Interessensverbänden immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen. So versuchen insbesondere die Industrie- und Handelskammern (IHK) mit überholten wirtschaftspolitischen Argumenten die Entwicklung einer besseren Radverkehrsinfrastruktur vielerorts auszubremsen. Auch in vielen Einzelhandelsverbänden hält sich hartnäckig die Mär, dass nur Kundinnen, die mit dem Auto vor die Ladentür fahren können, guten Umsatz machen. So hat beispielsweise die IHK Bonn/Rhein-Sieg zusammen mit der Kreishandwerkerschaft und dem Einzelhandelsverband die Kampagne „Vorfahrt Vernunft“ ausgerufen (https://www.vorfahrt-vernunft.de/). Das Motto der aktuellen Kampagne lautet „Ja zur Bonner Verkehrswende, aber durchdacht“. Darunter verstehen die Initiatoren zum Beispiel die Freigabe der Umweltspuren für den Wirtschaftsverkehr. Gefordert werden auch „Vorrangrouten für Pkw“. Um dafür Platz zu schaffen, sollten Radwegenetze „abseits von Hauptverkehrsstraßen“ verlaufen. Begründet werden die Forderungen unter anderem mit dem Umweltschutz, denn die Staus von Kraftfahrzeugen seien schließlich schlecht fürs Klima. Nach dieser Logik bringe ein „gesteigerter Verkehrsfluss sinkende CO2-Emmissionen“. Mehr Verkehrsraum für Kraftfahrzeuge ist demnach also ein Beitrag zum Klimaschutz. So wird de facto die Verkehrswende blockiert, ohne dass die strukturellen Ursachen der Krise des innerstädtischen Einzelhandels wirkungsvoll angegangen werden.

Quellen:
https://publications.rifs-potsdam.de/rest/items/item_6001855_4/component/file_6001871/content

Kostenfaktoren im Vergleich

Autofahrende zahlen im Gegensatz zu anderen Verkehrsteilnehmern Steuern und finanzieren damit die Verkehrsinfrastruktur: Dass dies ein Irrglaube ist, hat Professor Stefan Gößling von der Universität Linnaeus im schwedischen Lund mit seiner 2018 veröffentlichten und inzwischen viel zitierten Studie „Kostenvergleich Auto-Fahrrad“ widerlegt. Der aus Münster stammende Forscher hatte ausgerechnet, dass pro Auto und Jahr gesellschaftliche Kosten von rund 4000 EUR entstünden, die nicht durch Steuern, Versicherungen oder Abgaben gedeckt seien. Ein mit dem Auto gefahrener Kilometer verursache demnach 0,26 EUR soziale Kosten, wovon nur rund ein Fünftel durch Steuern und Abgaben gedeckt sei. Ganz anders die Rechnung für das Fahrrad: Zwar verursacht auch der Radverkehr soziale Kosten, die aber im Vergleich zum Autoverkehr geradezu unbedeutend erscheinen. So kostet der Ausbau der Infrastruktur für den Autoverkehr beispielsweise 0,086 EUR je gefahrenen Kilometer, für den Radverkehr hingegen nur 0,004 EUR. Spätestens bei der Betrachtung der Gesundheitseffekte wird der Radverkehr dann zum Gewinnbringer. Jeder gefahrene Fahrradkilometer spart der Gesellschaft rund 30,5 Cent.
Dabei ist übrigens bereits in Betracht gezogen worden, dass Radfahrende durch Unfälle und eine erhöhte Lebenserwartung auch negative Kosteneffekte verursachen. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft gewinnt monetär erheblich, je mehr Menschen Rad fahren, während jeder Kilometer Autofahrt sie teuer zu stehen kommt.

Standpunkt

Eingeengte Gestaltungsräume

Je mehr die Verkehrspolitik zum emotionalen Kulturkampf wird, je häufiger ideologische Kampagnen gegen Klima- und Gesundheitsschutzmaßnahmen geführt werden, um die Verkehrswende zu blockieren, umso schwieriger wird es für die Kommunen, eine Verkehrspolitik nach sozialen Gesichtspunkten zu gestalten. In jedem Fall braucht es dazu eine professionell moderierte Bürgerinnen-Beteiligung, eine positiv zu vermittelnde Vision im Sinne einer verbesserten Lebensqualität vor Ort und politisches Rückgrat. Gegner jeglicher Veränderungen, gerade in der Verkehrspolitik, gibt es immer, besonders in Deutschland. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich die Wogen mitunter auch schnell wieder glätten, wenn zum Beispiel Verkehrsberuhigungsmaßnahmen konsequent umgesetzt werden und dann auch ihre Vorteile für Anwohnerinnen erlebbar sind. Wenn die Lärm- und Luftbelastung deutlich zurückgegangen sind, wenn Kinder wieder im öffentlichen Raum spielen können, ohne dabei durch den Kfz-Verkehr stark gefährdet zu sein, dann tritt nach spätestens anderthalb Jahren meist eine allgemeine Zufriedenheit ein und man fragt sich: Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?


Albert Herresthal


Bilder: www.pd-f.de – Kay Tkatzik, Herrschultheis – Qimby, Philipp Böhme – Qimby

Das Segment der Falträder hat seine klapprigen Ursprünge bereits im letzten Jahrhundert hinter sich gelassen. Nicht nur die Branche selbst ist von ihrem Mobilitätskonzept überzeugt. Österreich fördert Falträder mit einer Kaufprämie. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Heißt es nun Falt- oder Klapprad? Ein Blick hinter die Kulissen der Fahrradbranche zeigt, dass beide Antworten begründbar sind. Der Begriff Klapprad geht ins letzte Jahrhundert zurück, wo die ersten Klappräder mit minderwertiger Qualität und unter Preisdruck aufkamen. „Das Wort Klapprad ist stark geprägt aus den 70er-Jahren, als das Auto ein Fortbewegungsmittel war und das Fahrrad ein Spielzeug. Da kam das Klapprad auf den Markt, um in den Kofferraum vom Auto zu passen, damit man am Wochenende raus ins Grüne fahren und dort seine Zwei-Kilometer-Tour machen konnte“, so Markus Riese, Gründer und Engineering-Mentor bei Riese & Müller. Der Hersteller, der heute in erster Linie für E-Bikes bekannt ist, hat seine Anfänge in einem Rad gehabt, das in Abgrenzung zu den Freizeiträdern des 20. Jahrhunderts seit 1995 als Faltrad Birdy vermarktet wird. Der Ansatz des Modells geht nicht vom Auto aus. Das Birdy soll ein vollwertiges Fahrrad sein, das man eben auch noch praktisch mitnehmen kann. Auch Valentin Vodev, Geschäftsführer des Österreicher Herstellers Vello sieht es als notwendig an, sich vom ersten Entwicklungsstadium der faltbaren Fahrräder abzugrenzen. „Ein Klapprad klappert und unser Faltrad klappert nicht.“ Dennoch wolle man online auch diejenigen ansprechen, die das Netz eben doch nach Klapprädern durchforsten.

Mit dem klapprigen Image der 70er-Jahre haben moderne Faltradmodelle wenig gemeinsam. Die kompakten Abmessungen der gefalteten Räder sind nicht nur beim Transport praktisch, sondern auch für die Lagerung.

Unvergleichlich multimodal

Sehr verbreitet sind die Räder mit den zwei Namen unter pendelnden Menschen. Das handliche Faltmaß, das die meisten Modelle mit sich bringen, prädestiniert sie zur Mitnahme in anderen Verkehrsmitteln. Wie gut Falträder als multimodales Werkzeug funktionieren, hat auch das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) erkannt. Das BMK fördert seit März 2023 Falträder mit einem Zuschuss von 600 Euro. Förderfähig sind Betriebe, Privatpersonen, Vereine und Gemeinden. Für Privatpersonen setzt das Ministerium voraus, dass sie eine Jahreskarte des ÖV besitzen. Zudem darf das Faltrad die Gepäckmaße der Österreichischen Bundesbahn von 110 x 80 x 40 Zentimetern nicht überschreiten. Die Zielgruppe multimodal Reisender ist durch diese Details klar definiert. Felix Beyrer vom BMK erklärt: „Die Kombination von Fahrrad und Öffentlicher Verkehr ist essenziell für die klimafreundliche Mobilität der Zukunft. Neben dem Ausbau des Bike&Ride-Angebots und der Radverleihsysteme ist auch die Verbesserung der Fahrradmitnahme eine wichtige Maßnahme im österreichischen Masterplan Radfahren zur Verknüpfung von Fahrrad und ÖV. Falträder können als Gepäckstück kostenlos in den Öffis mitgenommen werden und bieten daher für unregelmäßige Fahrten eine platzsparende und kostengünstige Lösung für die letzte Meile an.“ Die Förderung in Österreich funktioniert und wird insbesondere für Falträder besonders gut angenommen, so das Ministerium. Zwischen März und Anfang August 23 wurden 2000 Anträge für deren Förderung gestellt. Am häufigsten kommen die Anträge aus Wien.
In Deutschland hat zumindest der Hersteller Brompton im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt mit der Deutschen Bahn und dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart ins Leben gerufen. Für 29 Euro im Monat bekommen Jahresabonennt*innen ein Brompton zur Verfügung gestellt. Nach Ablauf der zwölf Monate gibt es einen Rabatt beim Kauf eines Faltrads.

„Falträder können als Gepäckstück kostenlos in den Öffis mitgenommen werden und bieten daher für unregelmäßige Fahrten eine platzsparende und kostengünstige Lösung für die letzte Meile an.“

Felix Beyrer, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) Österreich

Nicht nur die Fahrer*innen von Falträdern des Wiener Herstellers Vello können in Österreich von einer staatlichen Förderung profitieren.

Nicht nur als Reiserad einsetzbar

Neben den verbreiteten multimodalen Nutzungsszenarien gibt es aber auch einige Nebenschauplätze, auf denen die Räder ihre Stärken ausspielen. Mit Reisefalträdern begann die Entstehungsgeschichte der Wiener Firma Vello im Jahr 2015. Valentin Vodev baute drei Prototypen für eine Reise nach Kuba, von der er begeistert berichtet. „Du kommst in Havanna mit einem Bus an, steigst aus, nimmst die Räder und dann zischst du in einer Stadt, wo du noch nie warst, mit deinem eigenen Rad davon. Das ist einfach so geil.“
Markus Riese bestätigt die Vorzügen der Räder, auch bei ungewöhnlicheren Reisen. „Ich kenne jemanden, der hat mit dem Birdy eine Kombinationstour gemacht aus Pack-Raft und Birdy. Zu Land hat er sein Boot auf dem Birdy und wenn er zum Fluss kommt, pumpt er sein Boot auf und lädt das Birdy auf. Das sind natürlich Möglichkeiten, die man mit einem normalen Rad überhaupt nicht hat.“
Nicht für alle Nutzer und Nutzerinnen ist das kompakte Faltmaß der ausschlaggebende Punkt, warum sie ein Faltrad kaufen. Manche Kund*innen benutzen das Birdy als Familienrad. Weil es leicht ist und der Verstellbereich der Sattelstütze groß, können sehr unterschiedliche, mitunter auch zierliche Personen das Fahrrad fahren. Falträder nicht zu falten, mag zunächst widersprüchlich klingen. Die Hersteller wissen aber, dass die kleinrädrigen Fahrräder auch deshalb in der Stadt genutzt werden, weil sie wendig sind und schnell beschleunigt werden können.
Auch wenn das Standing des Faltrads in Europa noch ausbaufähig ist, irrelevant ist das Segment nicht. Die Entwicklung des Faltradmarkts entspreche etwa der des gesamten Fahrradmarkts, gibt Jan Brinkmann von Brompton an. Die Firma bewegt sich bei den Absatzzahlen rund um die 100.000 Stück und blickt optimistisch in die Zukunft. Im vergangenen Jahr gab Brompton den Bauplan eines neuen Werks im Londoner Raum bekannt. In der futuristisch anmutenden Fabrik sollen ab 2027 200.000 Räder pro Jahr entstehen. „Der Stellenwert von Falträdern kommt ein bisschen aus der Nische raus. Wir sehen das auch an den Verkaufszahlen“, sagt Valentin Vodev. Analysten erwarten global betrachtet eine wachstumsgeprägte Zukunft des Segments. Eine Marktanalyse von Fortune Business Insights prognostiziert, dass der Markt von 820 Millionen US-Dollar im Jahr 2021 auf 1,61 Milliarden in 2028 anwachsen soll. Das klapprige Klischee des letzten Jahrhunderts hat die Mobilitätslösung hinter sich gelassen. Gerade in Zeiten des Umweltverbunds zeigt das Faltrad, wie zeitgemäß es ist.

Faltrad im Selbstversuch:

Mobilität in Höchstform

Das Faltrad ist das Gegenteil eines Autos. Es ist klein, leicht, platzsparend und umweltfreundlich. Überschätzen lässt sich die Mobilitätslösung in der Praxis nicht. Ein Versuch, das Lebensgefühl eines Faltrads zu vermitteln.

Hätte es die klapprigen Klappräder der 70er-Jahre nicht gegeben, wäre der Anteil der Falträder am Fahrradmarkt und ihre Rolle in der alltäglichen Wahrnehmung weitaus größer. So resümiere ich nach ein paar Monaten Selbstversuch, in denen ich ein Faltrad testen durfte und es mich im täglichen Leben begleitete.

Die Garderobe wird zum Stellplatz

Das Brompton-Rad, das mir die vergangenen Monate zur Verfügung stand, hat mich in erstaunlich diversen Situation begleitet. Das Fahrrad passt, wie die meisten Falträder, überall hinein, wo ein Koffer auch Platz findet. Dieser Vorteil geht weit über den Nahverkehr und die Züge der Deutschen Bahn hinaus. Das Brompton stand in Eingangsbereichen diverser Wohnungen, in Hotelzimmern oder neben dem Schreibtisch im Büro. Bei Konferenzen oder Theaterbesuchen lässt sich das Fahrrad einfach an der Garderobe abgeben. Die haften zwar meist nicht bei Verlust, das tun Fahrradständer im öffentlichen Raum aber auch nicht.
Auch im Kofferraum von Mitfahrgelegenheiten kam das kleine Fahrrad unter. Der Weg von der Wohnung zum Treffpunkt sowie vom Ausstiegspunkt zum Ziel war planbar und schnell erledigt. Diese Planbarkeit ist gut fürs Gemüt. Die Unzuverlässigkeit vieler öffentlicher Verkehrsmittel mit der Zuverlässigkeit des Radverkehrs ein Stück weit ausgleichen zu können, fühlt sich selbstermächtigend an. Der Zug fährt den Zielbahnhof nicht an? Faltradfahrerinnen können aussteigen und die Reise mit einer spontanen Radtour über die letzten zehn Kilometer vervollständigen. Am Bahnhof selbst oder in vollen Zügen hätte ich ab und an gern auf das zusätzliche Gepäck verzichtet. Mitgenommen habe ich den Mobilitäts-Booster dennoch fast immer. Öffentlicher Nah- oder Fernverkehr ohne Faltrad fühlt sich unvollständig an, wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist. Das Faltrad wird zur zweiten Natur. Wer das Zufußgehen vermisst, kann schieben. Die Falträder von morgen werden sich sicher von den heutigen unterscheiden. Ob der Sprung so deutlich sein wird, wie er es von früheren zu den heutigen Modellen war, wage ich zu bezweifeln. Moderne Falträder sind in erster Linie fahrbar und in zweiter Linie faltbar. In den 70er-Jahren war das noch andersherum. Mit dem Leih-Brompton habe ich mehr als 40 Kilometer lange Touren zu Berliner Badeseen gemacht. Die Anwendungsbereiche sind nicht auf den Alltag beschränkt. Mein Selbstversuch hat mir eine Sache besonders eindrücklich bewiesen. Nicht jeden Vorteil eines Konzepts kann man auf Anhieb erkennen. Mit dem Faltrad im Fahrradanhänger lassen sich sogar Besucherinnen vom Bahnhof abholen, mit denen man dann gemeinsam zurückradeln kann. Neue Mobilitätslösungen auszuprobieren, soviel lässt sich sogar verallgemeinern, ist klar empfehlenswert.

Bilder: Tern, Riese & Müller, Vello – Leonardo Ramirez Castillo, Brompton

Will Butler-Adams ist CEO des Faltradherstellers Brompton. Im Interview erklärt er, wie die Firma ihr eigenes Verleihsystem von Fahrrädern aufgebaut hat und welche Rolle die Fahrradindustrie in sich wandelnden Städten einnehmen sollte. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2023, September 2023)


Sie sind seit 21 Jahren bei Brompton. Welche Entwicklungen der Industrie in dieser Zeit sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Ich war überall, auf der IFMA, der Eurobike, der Interbike etc. Auf der ganzen Welt habe ich mein Fahrrad auf- und eingefaltet. Für eine Weile hat sich die Industrie selbst verloren, glaube ich, und war auf Mode anstatt auf die Technik fokussiert. Sie war interessiert an sexy Postern und Werbung, kostenlosem Bier, riesigen Ständen und Partys auf der Eurobike. Der Technik-Fokus ist wieder zurückgekommen aufgrund des E-Bikes. Das hat Einnahmen erbracht, Innovationen gefördert und meiner Meinung nach die Branche gerettet.

Und welches derzeitige Branchen-Thema beschäftigt Sie und Ihr Team?
Wir haben eine Klima- und Gesundheitskrise. Es geht nicht um sexy Bilder, sondern darum, einige der globalen Probleme zu lösen. Ein großer Teil davon ließe sich durch das Fahrrad lösen. Wenn wir als Industrie Lobbyarbeit betreiben und zusammenarbeiten mit Stadtplanern, Bürgermeistern, Politikern, dann können wir diese Schande beenden, dass zwei Tonnen schwere Fahrzeuge für drei oder vier Meilen durch unsere Städte rollen. Wir müssen lauter und animierender sein und einen besseren Job dabei machen, die Politik zu verändern. Das muss passieren.

Wie sollten Unternehmen agieren in dieser Forderung nach Veränderung?
Wir müssen ehrlicher sein. Manchmal sind die Leute in der Wirtschaft zu höflich. Wir haben eine Klimakrise, weil wir zu viel konsumieren. Konsum führt zu CO2-Emissionen. Ich kann eine 100 Kilogramm schwere Person zehn Kilometer durch Berlin transportieren mit einem zehn Kilogramm schweren Rad. Ich brauche dafür keine über zwei Tonnen schweren Elektrofahrzeuge. Aber auf der Autobahn kann ich keine 120 km/h fahren und einen Unfall überleben. Dafür sind diese Fahrzeuge gemacht.
Auch Güter sollten in der Stadt mit leichten Elektrofahrzeugen transportiert werden, die keinen Überrollkäfig, keine Airbags und Co. brauchen, weil sie nur 25 km/h fahren. Städte müssen zu Inseln werden und die Menschen schützen, die in ihnen leben. Wir sollten uns mit dem öffentlichen und dem aktiven Verkehr fortbewegen. Aber Fahrzeuge, die für 120 km/h auf der Autobahn gebaut sind, sollten nicht in der Stadt erlaubt sein. Die sind dort nicht angemessen.

„Für uns ist es viel einfacher, jemanden von einem Scooter zum Fahrrad zu konvertieren als aus einem Auto oder aus einer Straßenbahn. “

Will Butler-Adams, CEO Brompton

In der 25-km/h-Kategorie sind E-Bikes aktuell besonders beliebt. Welche Rolle spielen die motorisierten Fahrräder für Brompton?
Wir denken immer darüber nach, was unsere Fahrräder für die Kunden und Kundinnen leisten können. E-Bikes sind wichtig, weil wir wollen, dass mehr Leute Fahrrad fahren. Es gibt eine gewisse Anzahl an Leuten, die das nicht tut. Wenn man sie auf ein elektrisch unterstütztes Fahrrad setzt, lächeln sie, sind glücklich und sagen: „Okay, jetzt verstehen wir uns!“ Wir können sie zum Radfahren zurückholen und das Radfahren inklusiv halten.
Für Brompton werden E-Bikes aber nie genauso wichtig sein wie für gewöhnliche Fahrräder. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Fahrrädern tragen wir unsere Räder. Das Gewicht ist wirklich wichtig. In den Märkten, wo wir die elektrischen Räder verkaufen, machen sie rund 30 Prozent aus. Wir verkaufen sie aber nur auf der Hälfte der Märkte. Wir bieten sie nicht an in China, Japan oder Südkorea, was einige unserer größten Märkte sind. An den Gesamtverkäufen machen die E-Bikes ungefähr 15 Prozent aus. Dieser Anteil wird vermutlich nie größer als 30 Prozent werden, weil die Elektronik je nach Einsatzzweck des Fahrrads zu viel wiegen kann.

Welche Märkte wird Brompton als Nächstes erschließen? Ist das Faltrad ein Produkt, das überall funktionieren kann?
Unser größter Markt weltweit ist aktuell China, das Land hat das Vereinigte Königreich überholt. Weitere große Märkte sind Japan, Südkorea, Singapur, Frankreich, Spanien, Benelux, Deutschland und die USA. Sie sind sehr divers, aber funktionieren allesamt. Ihre Gemeinsamkeiten sind größer als ihre Unterschiede, obwohl Städte sehr verschieden sind. Sogar Los Angeles, was ein seltsames flaches Konglomerat ist, hat mehr Gemeinsamkeiten mit New York oder Tokio als Unterschiede. Die Herausforderungen sind dieselben, etwa Gesundheit oder Bevölkerungsdichte. Unsere strategischen Schlüsselmärkte sind China, Deutschland, die USA und das Vereinigte Königreich. In die werden wir am stärksten investieren.

Gibt es Negativbeispiele, also Märkte, in die Sie nicht vordringen konnten?
Nicht wirklich. Als wir angefangen haben, Fahrräder in Indonesien zu verkaufen, erlebten wir aber eine spannende Situation. Niemand von uns war je in Indonesien gewesen, dennoch waren wir dort in drei Geschäften präsent. Die verkauften erst 200, dann 1000, dann 2500 Räder. Wir vermuteten, dass sie die Räder über den grauen Markt nach Japan oder Südkorea weiterverkaufen. Ich besuchte die Städte dort und verbrachte Zeit mit unseren Kunden. Bei einer Frühstücksausfahrt traf ich 750 Bromton-Besitzer und Besitzerinnen. Gerechnet hatte ich mit 20.

Brompton hat immer in London produziert. Andere Firmen arbeiten gerade am Reshoring, also daran, die Produktion nach Europa zurückzubringen. Was wären Ihre Tipps für diesen Schritt?
Um die Kosten lokaler Produktion zu rechtfertigen, braucht man geistiges Eigentum. Wenn ein Unternehmen nur mit Standardrahmen arbeitet, sollte man diese weiterhin aus Asien oder vielleicht aus Portugal beziehen. Der Grund, mit dem wir rechtfertigen, vor Ort zu produzieren, ist, dass der Rahmen voll von geistigem Eigentum steckt. Wir stellen ihn also nicht nur her, sondern schützen unser Knowhow. Wir folgen außerdem nicht der Mode. Die Industrie ändert ihre Rahmen alle zwei Jahre. Wir haben unser Rad und die Art, wie wir es herstellen, 50 Jahre lang optimiert. Wir sind dabei unglaublich effizient und haben sehr wenig Ausschussware. 99,5 Prozent der Räder sind im ersten Anlauf richtig.

Bike Hire ist die Leihradsparte des Londoner Herstellers Brompton. Bereits gezahlte Leihgebühren können Kund*innen sich beim Privatkauf zum Teil gutschreiben lassen.

Ein spezielles Geschäftsfeld Ihres Unternehmens in Großbritannien ist Brompton Bike Hire. Wie wichtig ist dieses Projekt für die Firma?
Bike Hire ist ein zwölf Jahre altes Projekt. Zu der Zeit waren wir eines der ersten Mietradkonzepte. Es war ein Desaster. Aber da das Projekt klein war, konnten wir uns das leisten. So lernt man dabei etwas.

Ist es denn immer noch ein Desaster?
Nein, es ist fantastisch! Wir haben das Projekt entwickelt, weil unser Fahrrad kontraintuitiv ist. Einem Ferrari sieht man an, dass er schnell ist. Wenn man ein Brompton ansieht, denkt man erst mal, dass es ein Rollstuhl ist. Dann glaubt man, dass das Rad kaputt gehen könnte oder die kleinen Räder stören. Man muss es ausprobieren, um es zu verstehen.
Der ganze Grund, warum wir Bike Hire gestartet haben, war, um den Leuten Tests zu geringen Preisen zu ermöglichen und das Fahrrad zu erleben. Dann kann man das Investment rechtfertigen. Wir sind außerdem die einzige Radvermietung der Welt, wo Leute ein Fahrrad von uns kaufen können, wenn sie nach dem Test davon überzeugt sind. Wir sorgen damit also für Einnahmen und haben ein profitables, landesweites Geschäft. Wir sind in 50 Städten in Großbritannien. Die Kosten liegen bei fünf Pfund pro Tag.

Bereits gezahlte Kosten können Mieter über einen Rabatt zurückerhalten, wenn sie sich ein eigenes Brompton kaufen. Wie viele Menschen nutzen dieses Angebot?
Das funktioniert für uns gut. Wir nutzen Bike Hire aber auch für soziale Zwecke. Wir können Communitys, die sich beim Radfahren eigentlich nicht wohlfühlen, die Möglichkeit geben, unser Rad umsonst zu testen. Außerdem können Menschen das Rad leihen, es mit nach Hause nehmen und mit dem Auto in einen Park bringen und es dort fahren. Dort fühlen sich die Leute sicher und können sich wieder mit dem Radfahren vertraut machen.

Gibt es Pläne, das Konzept auch in anderen Ländern einzusetzen?
Es hat elf Jahre gedauert, bis wir dieses Konzept zum Laufen gebracht haben. Wir planen, in den nächsten zwölf Monaten in Singapur an den Start zu gehen. Schöne ist, dass dort niemand etwas stiehlt. Dieses Problem zu lösen, war eine unserer größten Hürden. Jetzt haben wir ein System, dem wir vertrauen, und sind in der Lage, es in anderen Ländern auszurollen.

Multimodaler Transport ist eine der Kernstärken von Falträdern. Wie blicken Sie auf die Konkurrenz aus Leihrädern und Sharing-Scootern?
Ich sehe das eher als Chance, denn als Gefahr. Wir müssen mehr Leute auf Fahrräder aller Art kriegen. Der Haupttreiber ist, dass wir unser Leben in Städten falsch gestalten. Wir als Industrie, egal ob Fahrräder, E-Scooter oder andere elektrische Leichtfahrzeuge, tragen diese Verantwortung gemeinsam. Ich bin ein großer Fan von E-Scootern. Früher war es so, dass Menschen geboren wurden, mit vier Jahren ein Laufrad hatten, Fahrrad fuhren und es mit 13 nicht mehr so cool fanden. Dann nahmen sie lieber den Bus und irgendwann ein Motorrad oder Auto. Jetzt realisieren die Kinder mit Scootern, dass Autos und U-Bahnen langweilig sind. Scooter fahren ist cool und gibt ihnen einen kleinen Adrenalinrausch. Die Menschen verschwinden nicht ins Auto oder in die Straßenbahn, sondern bleiben auf der Straße. Wenn sie dann 25 oder 27 sind, überlegen sie, ob es nicht besser wäre, ein Fahrrad zu nutzen, weil es sicherer ist und sie sich bei der Fortbewegung mehr bewegen können. Für uns ist es viel einfacher, jemanden von einem Scooter zum Fahrrad zu konvertieren als aus einem Auto oder aus einer Straßenbahn. Außerdem erzeugen Scooter-Fahrer mehr Druck auf die Fahrradinfrastruktur und fordern hier Verbesserungen.

Österreich fördert das Mobilitätsmittel Lastenrad in Kombination mit einem ÖV-Abo. Sollten andere Länder solche Maßnahmen adaptieren?
Der wichtigere Punkt ist, dass Regierungen Autobesitz mit Milliarden von Euros subventionieren. Damit sollten sie aufhören und in Radinfrastruktur, die Radverkehrserziehung von Kindern, mehr Parks und bessere Gehwege investieren. Es geht nicht um das Fahrrad, sondern um unser Zusammenleben in Städten. Wir müssen uns unsere Städte zurückholen und zusammenhalten. Wir müssen Städte gemeinsam gestalten, anstatt von der Autoindustrie gespalten zu werden.


Bilder: Brompton

Heute oder morgen können sie geschehen: Die Akkuforschung veröffentlicht seit Jahr und Tag immer wieder neue Erfolgsmeldungen. Einige davon könnten noch für die E-Bike-Welt relevant werden. Die Frage ist wie immer, wann das der Fall sein könnte. Ein Überblick. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Über die Jahre hat man sich daran gewöhnt, dass die berichteten vermeintlichen Durchbrüche und spektakulären Leistungsdaten allzu oft vor allem geschicktes Marketing sind. Unterhalb des Sensationellen geschehen dennoch bemerkenswerte Entwicklungen, die das Zeug haben, schon bald spürbare Veränderungen zu bewirken.

Natrium-Batterien

Ein heißes Thema, das in jüngster Zeit durch die Fach- und sonstige Presse ging, sind die Fortschritte bei Na­trium-Batterien. Die Situation im Moment ist nach wie vor so, dass sie weder die Energiedichte noch die gleiche Zahl an Ladezyklen der eta-blierten Lithium-Ionen-Akkus erreichen. Ihre Haltbarkeit ist also geringer und dabei sind sie auch noch größer und schwerer. Warum also diese Begeisterung? Das sind die anderen Eigenschaften, mit denen Natrium-Batterien punkten: Zum einen lädt dieser Akkutypus enorm schnell, schneller als es mit Li-Ion-Technik möglich ist, sie sind kaum kälteempfindlich, nicht brennbar und vor allem ist es der denkbare Preis dieser Technik, der die Fantasie des Marktes anregt. Natrium ist ein überall verfügbares, enorm günstiges Element, das dementsprechend zu minimalen Kosten zu haben ist. Zumindest bei entsprechenden Fertigungszahlen würden also die Preise schnell sinken. Gesprochen wird von der Hälfte des Preises von Li-Ion-Akkus und im Automobilbereich von Fahrzeugpreisen, die deutlich unter denen von Verbrennern lägen. Zudem brauchen diese Akkus dann keine seltenen Erden oder andere kostbare Metalle, deren Abbau die Umwelt belastet und auch zu politischen Abhängigkeiten führt.
„Unter den aktuellen globalen Gesichtspunkten können wir uns die Abhängigkeit von Nickel und Kobalt nicht mehr leisten. Dies führt zu starken Änderungen in den strategischen Ausrichtungen der jeweiligen Hersteller und damit zu einer stark beschleunigten Entwicklung in unserem Bereich“, verdeutlicht etwa Matthias Behlke, Geschäftsführer des E-Bike-Ausrüsters AES Akku Energie Systeme.
Sollte diese Technologie in absehbarer Zeit in größeren Stückzahlen verfügbar werden, dann würde das ziemlich sicher auch in der Fahrradwirtschaft Folgen haben. Zu denken ist an das Einstiegssegment im E-Bike-Markt, in dem plötzlich ganz andere Preispunkte erreichbar sind.
Nun hat man vollmundige Versprechungen aus der Akku-Entwicklung schon ein paar Mal gehört, sodass Marktbeobachter*innen in der Regel bei solchen vermeintlichen Technologiesprüngen nicht mehr so schnell in Verzückung geraten. In diesem Fall könnte das mit der Serienreife mehr oder weniger weit weg sein: In China wurde ein neues Elektroauto namens Sehol E10X vorgestellt, das vor allem dadurch auffällt, dass es eben der erste Pkw mit einer Natrium-Ionen-Batterie ist. Diese soll also innerhalb von 15 Minuten auf 80 Prozent geladen werden können und auch bei minus 10 Grad Celsius noch 90 Prozent ihrer Energie zur Verfügung stellen. Noch ist der Wagen aber in der Erprobung, andere Hersteller wollen schon im zweiten Quartal 2023 nachziehen und ähnliche Akkus und Autos herstellen. Andere Quellen erwarten aber erst ab 2026 massenverfügbare Produkte. Autohersteller JAC stattete den Kleinwagen Sehol mit Natrium-Eisen-Mangan-Kupfer-Kathoden aus, der gesamte Akkupack verspricht laut den bisher bekannten Angaben eine Energiedichte von 140 Wattstunden pro Kilogramm, was noch recht weit weg ist von den hochwertigen Li-Ion-Akkus, die inzwischen nochmals deutlich darüber liegen. Allerdings liegen mit diesen Werten Lithium-Eisenphosphat-Akkus gar nicht mehr so weit über denen der Natrium-Pendants. Aber auch deren Entwicklung geht rasch voran.

„Für die ,Mi­kro­mobilität‘ wird es tatsächlich starke Veränderungen innerhalb der nächsten 12 bis 18 Monate geben.“

Matthias Behlke,

AES, Akku Energie Systeme

Lithium-Eisenphosphat-Akkus

Statt in mehr oder weniger ferner Zukunft sind Lithium-Eisenphosphat-Akkus heute schon verfügbar und gewinnen schnell an Marktanteilen, auch in der Fahrradwelt. Die Entwicklung bleibt nicht stehen, wie Batteriehersteller Matthias Behlke erklärt. „Natrium hat leider eine viel zu geringe Energiedichte. Im Moment sind die stärksten Zellen bei unter 100 Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg). Dies wird sich leider auch nicht zeitnah wesentlich verbessern.“ Dennoch sieht er gravierende Veränderungen an der Akkufront auf die Fahrradbranche zukommen: „Zum Thema Zukunft der Zellchemie für die ,Mikromobilitätʹ wird es tatsächlich starke Veränderungen innerhalb der nächsten 12 bis 18 Monate geben. Hier hat sich und wird sich vieles stark verändern.“ Noch vor zehn Jahren lag die Energiedichte von Lithium-Eisenphosphat-Akkus dort, wo heute Natriumzellen sind, bei 90 bis 100 Wh/kg. „Wir sind aktuell bei 150 bis 180 Wh/kg was ein enormer Fortschritt zu vor zehn Jahren ist.“ Doch das ist noch nicht die spektakuläre Nachricht: „Mit dem Verlauf dieses Jahres werden wir Energiedichten von 200 bis 220 Wh/kg erreichen“, erklärt Behlke. Damit macht diese Zellkategorie einen großen Sprung, der sich unmittelbar in der Praxis niederschlagen wird. „Dies bedeutet zum Beispiel, dass unser SuperPack und PowerPack plus dann von 1,44 kWh auf ca. 2 kWh springen werden. Dies erreichen wir überwiegend durch die Inte­gration von sogenannten Nanotubes und die Beimengung von Mangan (LiFeMnPo4).“

Lithium-Ionen-Akkus

Bei all den rasanten Entwicklungen bleiben die aktuellen Lithium-Ionen-Akkus natürlich der Gradmesser der Technik, denn auch hier steht das Rad nicht still. „Wir sind dabei, Zellen mit ca. 10 Prozent höherer Energiedichte in den Markt zu bringen. Bei einer 21700er-Zelle (TerraE 55E) springen wir von 5 auf 5,5 Amperestunden, um im gleichen Bauraum mehr Reichweite zu ermöglichen“, erklärt Ale-xander Dautfest, der bei Akkuspezialist BMZ den Bereich Innovation & Research verantwortet.

Feststoffbatterien

Sie werden als „heiliger Gral der Batterieforschung“ bezeichnet, als Game changer, die Zukunft der Elektromobilität, als Innovationschance der hiesigen Industrie und noch vieles mehr. Es geht um Feststoffbatterien, denen immer wieder Wundereigenschaften zugesprochen werden und die damit das Feld der E-Mobilität aufrollen könnten. Das Problem? Wie allen Wunderdingen gemeinsam ist, existieren diese noch nicht wirklich beziehungsweise können nur in mehr oder weniger experimentellen Kleinserien gebaut werden. Auch wenn oft so getan wird, als habe man ein fertiges Produkt, das nun in industriellem Maßstab produziert werden könne, ist das bisher nicht wirklich der Fall. Am nächsten dran schien Quantum-scape zu sein, die bisher ankündigen, ab 2024 diesen Akkutyp in großen Stückzahlen produzieren zu können. Allerdings ist das gleiche Unternehmen vor zwei Jahren zur Zielscheibe eines Shortsellers geworden, der behauptete, dass die Technologie nicht funktioniere. Diese Behauptung steht immer noch im Raum, während inzwischen auch andere Unternehmen eine Produktion für 2024 ankündigen.
Der Unterschied zu den bestehenden Lithium-Ionen-Batterien (LIB) besteht darin, dass es keinen flüssigen, brennbaren Elektrolyten mehr im Akku gibt. Sie sind damit schon prinzipiell sicherer und sollten höhere Energiedichten ermöglichen. Allerdings geben die Experten inzwischen zu bedenken, dass jedes Jahr auch die heute genutzten Li-Ion-Akkus immer besser werden. Es ist nicht klar, ob die Vorteile am Ende so groß ausfallen werden, dass Feststoffakkus die aktuellen Produkte wirklich ausstechen können.

Leistungsstarke Akkupacks finden heute vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Im gewerblichen Einsatz kommen die größten Energiespeicher zum Einsatz.

Superkondensatoren

Eine ebenfalls aktuell sehr gehypte Technologie sind Superkondensatoren, ein Technologiefeld, auf dem Elon Musk persönlich einst eine Doktorarbeit begann, bevor er sich dazu entschied, Unternehmer zu werden. Kondensatoren sind aus dem Feld der Elektronik schon lange bekannt. Dort wirken sie beispielsweise gegen Spannungsänderungen, und als Speicher für elektrische Ladung sind sie im Kern eine Form von Batterie. Das „Super“ vor dem Namen verdienen sie sich, wenn sie besonders große Ladungsmengen besonders schnell aufnehmen können, also ihre Batteriefunktion betonen oder wenn im praktischen Einsatz besonders oft Schaltvorgänge vorkommen. Bisher kannte man die Technik am ehesten aus der Formel 1, inzwischen findet ein neuer Anlauf statt, Superkondensatoren in Alltagsprodukten einzusetzen, allen voran im Auto, aber in Zukunft auch am Fahrrad.
Das Ziel der aktuellen Entwicklungen ist es, diese Kondensatoren mit aktueller Akkutechnik zu verbinden. Im Ergebnis könnten dann auch Mi­kromobilitätsprodukte aller Art von dieser Art von Rekuperation profitieren. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass die Akkuzellen in der Nutzung weniger strapaziert werden und höhere Zyklenzahlen erreichen könnten. Wann diese Technik dann tatsächlich in der Breite verfügbar sein wird, steht aber einmal mehr in den Sternen.
Ganz große Sprünge durch neue Zellchemien sind weiter weg, wie Ali Şahin, Teamleiter in der Gruppe Innovation & Research Projects bei BMZ erklärt: „Neue Zellchemien wie Lithium-Schwefel oder Lithium-Luft mit sehr hohen Energiedichten im Vergleich zu Lithium-Ionen-Zellen befinden sich aktuell in der Grundlagenforschung. Diese Zellchemien müssen dann im nächsten Schritt noch in großem Maßstab industrialisiert werden, sodass sie kommerziell mit den Lithium-Ionen-Zellen konkurrieren können. Natrium-Ionen-Zellen werden aufgrund ihrer niedrigeren Energiedichte im Vergleich zu Lithium-Ionen-Zellen ihre Anwendung eher im stationären Bereich finden.“

Batteriesicherheit

So wie die Reichweitenangst ist auch die Angst vor einem brennenden Akku eher ein psychologisches Pro-blem, als dass die Daten hier eine erhöhte Gefahr hergeben. Bekanntermaßen brennen zumindest am Pkw die Verbrenner deutlich häufiger als Elektrofahrzeuge, allerdings schaffen es nur Letztere regelmäßig in die regionalen und überregionalen Medien. Bei Fahrrädern ist die Situation allerdings anders, denn Fahrräder ohne Antrieb kommen bisher nicht im Entferntesten als Brandquelle in Betracht. Mit einem E-Bike hat man nun eine zusätzliche Gefahrenquelle im Haus, sei sie auch noch so gering. Nicht zuletzt deswegen steht an dieser Front die Entwicklung nicht still. So wird schon seit geraumer Zeit daran gearbeitet, das „thermische Durchgehen“, also die schließlich unkontrollierbare Erhitzung des Akkus, die am Ende zum Brand führt, in den Griff zu bekommen. Zellhersteller Farasis hat hier eine Lösung vorgestellt, die einen solchen Worst Case auf eine einzelne Zelle begrenzt. Im Falle einer Beschädigung oder eines Defekts soll künftig also nur ein kleiner Teil des Akkupacks „abrauchen“, während die umgebenden Zellen ausreichend Kühlung erhalten, um ein Durchgehen abzuwenden. Solche Lösungen werden, sobald sie verfügbar sind, sicher auch ihren Weg ans Fahrrad finden.
Überhaupt ist die reine Zelltechnologie nicht allein ausschlaggebend. Bevor ein Akkupack fertig ist, müssen noch viele andere Fragen beantwortet werden. Dazu gehört auch die nach der verwendeten Systemspannung. „Auf Produktebene sehen wir einen Trend zu 48-Volt-Technik. Dies ermöglicht es, in Kombination mit höherer Energiedichte der Zellen auch stärkere Anwendungen zu realisieren, wie zum Beispiel Lastenräder mit BMZ-Rs-Motor und BMZ-V10-13S-Akku“, erklärt BMZ-Entwickler Dautfest anschaulich.
Die Wunder, sie bleiben also selten; wenn man aber betrachtet, wo die Akkutechnik noch vor zehn oder zwanzig Jahren stand, dann ist die Entwicklung schon unglaublich. Würde man von dem Jahr 2000 aus in die heute Gegenwart schauen, dann würde sich vielleicht doch das Gefühl des Wunders einstellen. Wunder brauchen manchmal eben etwas länger.


Bilder: stock.adobe.com – RareStock, ng-fotografie.de, AES

Cargobikes sind hip. Das Angebot ist riesig. Völlig unterschiedliche Lastenrad-Konzepte und Konstruktionen mit verschiedensten Eigenschaften und Talenten existieren nebeneinander. Eine systematische Betrachtung verschafft mehr Überblick. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Für Handwerker, Lieferdienste, im privaten Alltagseinsatz oder als Familienkutsche zum Kindertransport und Einkaufen genutzt, Fahrräder mit Transportkapazität entwickeln sich immer mehr zum idealen Allround-Fahrzeug mit vergleichsweise niedrigem ökologischem Fußabdruck.
Vielen ersetzt das Lastenrad bereits das Auto, und dies nicht nur in Ballungsräumen. Fast so vielfältig wie ihre Transportaufgaben sind Cargobikes auch im Aufbau und in ihrer Technik. Die Konzepte unterscheiden sich teils erheblich. Auch Ladekapazität, Schwerpunktlage und damit Fahrverhalten und Fahrsicherheit der Cargo-Gefährte sind sehr verschieden. Cargobikes stellen zudem andere Ansprüche an die Fahrrad-Infrastruktur als reguläre Fahrräder und E-Bikes, sowohl in Benutzung als auch beim Parken. Die Cargobike-Szene ist über viele Jahre langsam, aber kontinuierlich gewachsen. In den letzten Jahren ist sie regelrecht explodiert. Viele kleine, hoch spezialisierte Nischenanbieter, mittlerweile aber auch große, internationale Player tummeln sich auf einem expandierenden Markt. Daher existiert eine fast unüberschaubare Vielzahl völlig unterschiedlicher Ideen, Konzepte und Konstruktionen von Lastenrädern nebeneinander. Dennoch lassen sich die meisten Cargobikes nach ihrer Bauart in fünf Haupt-Kategorien einteilen.

Long John: der Vorreiter

Die Form des Long-John-Lastenrads, in den Niederlanden auch Bakfiets genannt, gibt es bereits seit den 20er- Jahren des vorigen Jahrhunderts. Auffällig ist der extralange Radstand, meist mit einer Federgabel und kleinem Vorderrad an der Front. Zwischen Vorderrad und Lenkermast ist eine tief platzierte Ladeplattform oder Transportbox untergebracht. Zum Kindertransport finden sich darin ein oder zwei klappbare Sitze, Gurte und darüber optional ein Regendach. Ab dem Lenker folgt der Rahmen dem konventionellen, fahrradtypischen Konzept mit tiefem Einstieg, Sitzrohr und Sattel sowie einem starren Hinterbau, meist mit 28-Zoll-Hinterrad. Als Antrieb fungiert üblicherweise ein kraftvoller Mittelmotor mit Ketten- oder Nabenschaltung. Nabenmotoren im Hinterrad findet man an günstigeren Modellen. Zum Parken bockt man den „langen Johannes“ mittels Zweibeinständer auf. Long Johns können, je nach Ausstattung, Bauart und Anzahl der Akkus, bis zu 60 Kilo Leergewicht auf die Räder bringen. Die Kaufpreise für Top-Modelle bewegen sich bis in den fünfstelligen Bereich. Relevante bauliche Unterschiede gibt es vor allem bei der Lenkung: Modelle mit Gestängelenkung sind tendenziell etwas preisgünstiger, lassen aber nur einen geringen Lenkeinschlag am Vorderrad zu. Sie sind deshalb schwieriger zu rangieren. Die deutlich aufwendigere Seilzuglenkung erlaubt einen Lenkeinschlag von über 90 Grad am Vorderrad. Solche Modelle können sogar auf der Stelle wenden.
Vorteile des Long-John-Konzepts ist der ideale, tief zwischen den Rädern liegende Systemschwerpunkt, leer sowie beladen, was gute Fahreigenschaften und unproblematisches Handling mit sich bringt. Zudem sind, je nach Konstruktion, hohe Nutzlasten und ein dementsprechend hohes zulässiges Gesamtgewicht möglich.
Nachteilig ist, dass oft das Vorderrad von Transportbox oder Ladung verdeckt wird. So kann man nicht sehen, wie der aktuelle Lenkeinschlag ist. Man muss sich an das „blinde Lenken“ erst gewöhnen. Zudem hat ein Long John aufgrund seiner Länge einen riesigen Wendekreis. Das kleine Vorderrad rollt holperiger und kann keine so hohen Stufen oder Unebenheiten überwinden wie ein großes Laufrad. Kurvenfahren und Rangieren muss man anfangs gezielt üben, bevor man mit der Fuhre sicher unterwegs sein kann. Aufgrund von Breite und Länge sind Umlaufsperren, Poller oder enge Kurven schwierig zu passieren. An Einmündungen ist das Einfahren auf Sicht wegen des überlangen Vorderbaus problematisch. Lasten müssen fest verzurrt und gesichert werden, damit sie in Kurven oder beim Bremsen nicht verrutschen können. Bei sehr langsamer Fahrt oder beim Anfahren kann es leicht kippelig werden. Das Rad zu tragen ist aufgrund der Länge und unhandlicher Dimensionen bestenfalls zu zweit möglich. Auch für einen Transport in der Bahn und auf, am oder im Auto sind Long Johns schlecht bis gar nicht geeignet.

Das Longtail ist praktisch und beliebt bei Kunden. Zudem fährt es sich fast wie ein normales Fahrrad.

Longtail: der Hippster

Die ersten Longtail-Bikes rollten Mitte der 00er-Jahre über kalifornische Straßen und haben sich seitdem vor allem unter jungen Familien einen großen Fan-Kreis erobert. Wie der Name sagt, sind Zuladung oder Passagiere bei diesem Konzept hinter dem Sattel platziert. Dazu wird der Hinterbau gestreckt und verstärkt. Der längere Abstand vom Tretlager zum angetriebenen Hinterrad bedeutet auch für die Transmission, also Kette oder Riemen, mehr Aufwand bei Verschleiß, Wartung und Pflege. Zuladung bringt man idealerweise in tief aufgehängten Seitentaschen oder auf dem langen Deck des Gepäckträgers unter. Durch den langen Hinterbau läuft ein Longtail sehr stabil und ruhig geradeaus. Enge Kurven mag ein solches Bike weniger. Ein Longtail kann mit großen Laufrädern gleicher Größe vorne und hinten aufgebaut werden, was gute Rolleigenschaften und ruhigeren Lauf auch auf unebenem Untergrund verspricht. Es gibt aber auch Modelle, die mit 20- bis 26-Zoll-Laufrädern kompakter ausfallen und wendiger sind. Durch den etwas tieferen Systemschwerpunkt lassen sich diese Modelle beladen stabiler fahren. Zudem kann über einem kleineren Vorderrad ein zusätzlicher Front-Gepäckträger installiert werden.
Vorteilig ist ein Longtail, wenn man vorwiegend einzelne, kleinere Gegenstände transportiert, die sich gut in Seitentaschen unterbringen lassen. Auch für kleine und sogar große Passagiere ist das Longtail ein angenehmes, oft sogar reizvolles Transportmittel, wenn hinten eine Sitzbank, Haltegriffe und Fußrasten angebracht sind. Abstellen und rangieren gehen leicht von der Hand. Durch die schmale Bauart unterscheiden sich Fahrverhalten und Handling nur wenig von einem normalen Fahrrad.
Nachteile: Die lange Hinterbaukonstruktion bringt höheren Antriebsverschleiß mit sich, die Wartung ist aufwendiger. Pflegeleichte Riemenantriebe sind nur schwierig zu realisieren, da Gates-Riemen nur in definierten Längen lieferbar sind. Das hohe Drehmoment eines Mittelmotors intensiviert den Verschleiß der längeren Kette. Zudem entsteht mehr Reibung im System, was den Wirkungsgrad von Motor und Akku schmälert. Schwere Lasten oder Personen, die auf dem Gepäckträger sitzen, beeinflussen durch den ungünstig hohen Schwerpunkt das Fahrverhalten negativ. Aufgrund der Hebelverhältnisse ist das Bike stärker anfällig für Torsionskräfte als ein Long John mit breiter abgestützter Rahmenkonstruktion. Das Longtail ist nur schwer alleine zu tragen und, je nach Länge, schwierig per Auto oder Bahn zu transportieren.

Optisch sehr nah am normalen Fahrrad, aber trotzdem mit einigem Talent zum Lastentransport ausgestattet, ist das Bäckerfahrrad.

Bäckerrad: fast normal

Auf einen ersten, flüchtigen Blick sieht das Bäckerrad aus wie ein ganz normales Fahrrad. Es hat vorn allerdings ein deutlich kleineres Laufrad als hinten, was Platz für einen rahmenfesten, breiten Gepäckträger schafft. Darauf lassen sich ein Korb oder eine Transportkiste befestigen, die die Zuladung aufnehmen. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fuhren so frühmorgens Bäckerjungen Brot und Brötchen aus, daher die Gattungsbezeichnung. Wichtig ist, dass der Fronträger am Rahmen montiert ist und nicht etwa an der Gabel, wo er mitgelenkt wird. Denn das macht das Lenkverhalten schwergängig und unpräzise. Am Bäckerrad lassen sich, je nach Konstruktion, Lasten bis etwa 25 Kilo passabel transportieren.
Vorteil: Es werden nur wenige spezifische Bauteile und Komponenten benötigt, deshalb ist das Bäckerrad ein relativ preisgünstiges Konzept. Seine kompakte Form und Maße machen es unproblematisch und intuitiv fahrbar, auch Handling und Abstellen bleiben unkompliziert. Optional können viele Modelle mit einem Kindersitz hinten ausgerüstet werden.
Ein offenes Transportbehältnis vorne ist schnell und leicht zu be- und entladen.
Nachteile: geringere Ladekapazität als bei anderen Konzepten und relativ hoher Lastschwerpunkt. Die Konstruktion muss betont seitensteif ausgelegt sein, damit das Fahrverhalten nicht darunter leidet.

Ein Dreirad kann im Stand nicht umkippen und ist deshalb besonders zum Kindertransport beliebt. Doch das Fahren erfordert etwas Umgewöhnung.

Dreispurer: das Zwei(pluseins)rad

Bei zwei Vorderrädern und einem Hinterrad – oder umgekehrt – spricht man von einem Dreispurer. Die klassische Rikscha basiert ebenfalls auf diesem Prinzip. Zwischen den Rädern entsteht Platz für Zuladung, die, über der Achse oder achsnah platziert, relativ leicht lenkbar bleibt. Die Last verteilt sich auf zwei Rädern einer Achse gleichmäßiger als auf nur einem. Dafür entstehen mehr Rollwiderstand und Systemreibung. Durch ihre Breite, die in der Regel nicht viel über die übliche Breite eines Fahrradlenkers hinausgeht, lassen sich Dreispurer bei passabler Lastkapazität relativ kurz und kompakt bauen. Auch Ungeübte können sie auf Anhieb problemlos fahren und sicher beherrschen. Ein Dreirad dieser Bauart kann nicht kippen oder umfallen, sich jedoch auch nicht in Kurven legen. Dreirädrige Bikes benötigen eine Feststellbremse, die verhindert, dass das unbesetzte Rad wegrollen kann. Dreispurer sind meist mit Transportbox oder -kiste aufgebaut und werden gern zum unkomplizierten Kindertransport benutzt. Dafür sollten sie jedoch unbedingt mit Sitzbank und Gurten ausgerüstet sein. Dreispurer sind ein Cargo-Konzept, das vor allem in Dänemark eine schon etwas längere Tradition hat. Daher werden auch viele kostengünstige Modelle ohne Motor angeboten.
Vorteile: Kompaktes, wendiges und meist preisgünstiges Fahrzeug mit unproblematischen Fahreigenschaften und hoher Standsicherheit, auch bei sehr langsamer Fahrt. Gut zu rangieren.
Nachteile: Die Fahrzeugbreite schränkt an engen Stellen ein. Kurven muss man mit angepasster Geschwindigkeit durchfahren. Die Konstruktion von Rahmen und Doppelrad-Achse ist oft aufwendig, die Lenkung kann schwergängig und träge ausfallen. Insbesondere einfache Drehschemel-Konstruktionen lassen sich nur mit eingeschränktem Radius und erhöhtem Krafteinsatz lenken. Ein Dreispurer lässt sich schlecht tragen oder über Schwellen oder Treppen schieben. Nur stehend oder liegend in Autos mit Ladefläche transportierbar.

Lastenräder mit Neigetechnik lassen sich vergleichsweise dynamisch bewegen, wenn die Fahrerin oder der Fahrer sich mal an die entsprechende Fahrweise gewöhnt haben.

Mehrspurer: die Ingenieurslösung

Eine Herausforderung für Konstrukteure wie für Nutzer sind Räder mit Neigetechnik. Sie erlauben höhere Kurvengeschwindigkeiten und fahren sich deutlich eleganter, flotter und flüssiger als starre Mehrspurer. Im Stand oder bei langsamer Fahrt können sie unbeabsichtigt seitlich wegknicken und benötigen deshalb geübte Fahrer und Fahrerinnen sowie eine Blockierfunktion der Neigemechanik beim Parken. Auch eine Feststellbremse ist Pflicht, damit man das Rad sicher abstellen kann. Der höhere Aufwand bei Konstruktion und Bau schlägt sich auch in einem höheren Preis nieder. Die aufwendige Neigetechnik findet sich in vielen, sehr unterschiedlichen Cargobike-Modellen. Die sind teils zum reinen Lasten-, teils zum Transport meist begeisterter Kinder ausgestattet.
Vorteile: Neigetechnik macht eine hohe Fahrdynamik und harmonisches Fahrverhalten auch bei beladenem Bike möglich. Sie erlaubt durchgehend höheres Geschwindigkeitsniveau, speziell auch in Kurven.
Nachteile: Es gibt keine Standardteile oder Technik-Module, auf die Hersteller beim Fahrwerk zurückgreifen könnten. Neigetechnik-Konstruktionen sind deshalb immer individuell, aufwendig und vergleichsweise teuer. Anfahren und langsame Fahrt funktionieren nur nach vorherigem Training. Beim Abstellen müssen Feststellbremse und Neigungsblockade benutzt werden. Die kompliziertere Technik bringt einen höheren Wartungs- und Pflegebedarf mit sich.
Als Fazit lässt sich feststellen: Cargobikes sind gute Indikatoren für die Qualität einer bestehenden Fahrrad-Infrastruktur. Durch ihre spezifische Technik, den Formfaktor und ihr höheres Gewicht stellen sie komplexere Anforderungen an ein Verkehrssystem als regulärer Radverkehr: Durchgängig breite Fahrbahnen, weiche Kurvenradien, weniger erzwungenes Stop&Go, vom Autoverkehr getrennte Wegeführung, sichere und großzügige Abstellflächen in der Nähe von Wohnung, Arbeitsplatz und im Stadtgefüge. Daher gilt: Wo sich Lastenradlerinnen und -radler wohlfühlen, geht es allen Radfahrerinnen und -fahrern gut.


Bilder: Yuba – elmer&&jack, Tern, Bergamont, Nihola, Chike

Lastenräder gab es zwar auch schon, bevor Riese & Müller 2013 erstmals sein Modell Load vorstellte, doch mit der Markteinführung brachte der Premiumhersteller einige Innovationen, die das Cargo-Segment seitdem nachhaltig geprägt haben. Auf der Eurobike stellt Riese & Müller nun die bereits vierte Modellgeneration in der Variante Load 75 vor. Der Innovationsfreude sind die Hessen auch zum zehnten Load-Geburtstag treu geblieben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Mit tiefem Schwerpunkt, Cargo-Line-Motor von Bosch und voll gefedert, von Riese & Müller als Control Technology beschrieben, gibt es kaum eine Fahrsituation, die das Load4 75 selbst bei voller Zuladung mit bis zu 200 Kilogramm Gesamtgewicht aus der Ruhe zu bringen vermag. Insbesondere dann, wenn sich die Kundinnen für die Option mit einem ABS- System von Bosch und einer Cargo-spezifischen Magura-Scheibenbremse entschieden haben. Die Ziffer 75 in der Modellbezeichnung beschreibt die größere der beiden Load-Varianten. Deren variabel gestaltbarer Transportraum bietet viel Potenzial zum Beladen, entweder bei Logistikaufgaben oder beim Transport von bis zu drei Kindern, die sich über einen großzügigen Fußraum freuen. Apropos Familien: Mit wenigen, unkomplizierten Handgriffen lassen sich Lenker und Sattel für Körpergrößen von 1,50 bis 1,95 Meter anpassen. Der optionale RX Chip macht das Load4 75 zum Connected E-Bike. Die aktuelle GPS-Position des Bikes wird automatisch in der Cloud aufgezeichnet und lässt sich etwa im Fall des Diebstahls per App abrufen. Das digitale Lock-Feature informiert zudem, wenn das Load bewegt wird. Abschließen sollten Besitzerinnen es natürlich trotzdem noch mit dem integrierten Abus-Rahmenschloss. Zusätzlich kann das Bike je nach Servicepaket mit dem Premium-Versicherungsschutz und Wiederbeschaffungsservice im Diebstahlfall, aber auch auf Reisen oder bei Schäden abgesichert werden.


Bilder: Riese & Müller

Die letzte Meile mit dem Lastenrad ist bereits Alltag für Logistiker. Wichtiger Umschlagplatz dafür sind Mikrodepots wie das der DB am Berliner Alexanderplatz. Anbieter sowie die Nutzer DPD und CityLog sagen: Das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft – und wollen weiter ausbauen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Das Mikrodepot dient als letzter oder erster Umschlagpunkt für Sendungen, die meist per Cargobike räumlich nah ausgeliefert werden. Diese Zustellungsform gehört zu den emissionsfreien Lösungen im Wirtschaftsverkehr und könnte langfristig sogar betriebswirtschaftlicher Kostensenkung dienen. Seit 2021 stellt die Smart City DB dafür eigene Immobilien bereit. Der Standort am Alexanderplatz liegt unter einem historischen S-Bahnbogen. Die Stromversorgung des nur 40 Quadratmeter großen Areals wird durch Solaranlagen unterstützt. Als „Multi-User-Depot“ wird es von der DPD und der CityLog gemeinsam genutzt.

Bis zu 80 Pakete können mit einer Cargobike-Ladung zugestellt werden.

Emissionsfreie B2B-Lieferung fürs Handwerk

Wer die Anlieferung der ersten Pakete für die CityLog live erleben will, muss früh aufstehen. Deren Muttergesellschaft, die GC-Gruppe, ein Verbund europäischer Großhandelsunternehmen, bietet Waren im Bereich Sanitär, Heizung und Energie für eingetragene Handwerker. „Für unsere Kunden ist wichtig, dass wir aufgrund unserer Zustelldisposition sagen können: Der Fahrer kommt voraussichtlich 7:15 Uhr. Wenn jemand auf der Baustelle im siebzehnten Stock arbeitet, braucht er eine Weile, bis er unten ist“, erläutert Franz Hollfelder, Last-Mile-Manager. Wer am Vortag online bestellt, erhält seine Waren per Cargo Bike am nächsten Morgen. „Wir machen zuerst die Feindisposition im Softwaresystem, das optimale Touren auf das Smartphone spielt“, sagt Hollfelder. „Sie zeigen dem Zusteller Schritt für Schritt, wo er als Nächstes hinmuss.“ Weil das nicht immer mit der aktuellen Baustellenlage vor Ort übereinstimmt, kann nachjustiert werden.
Für ihre Transporte setzt das Unternehmen auf das Schwerlastenrad „Bring S“ des Augsburger Herstellers Bayk. Das dreirädrige Cargobike schafft eine Zuladung von bis zu 250 Kilo und fasst 1,4 Kubikmeter. Bayk betreibt in der Kommunikation mit CityLog die Weiterentwicklung der Fahrzeuge. „So kriegen wir zum Beispiel andere Scheiben und eine Vollfederung auf die Hinterachse. Das sind Sachen, die wir im täglichen Bedarf festgestellt haben.“ In der Praxis schaffen die Akkupakete rund 35 Kilometer. Deshalb wünscht man sich ebenso die Entwicklung leistungsfähigerer Akkus. Aber es gibt auch indirekte Wünsche an Politik und Verkehrsplaner. Hollfelder: „Innerstädtische Verkehre sind nicht überall auf fahrradgeeignete Wege ausgelegt. Es gibt Baustellen und Fahrspurverengungen. Wobei wir damit besser zurechtkommen als die Autofahrer. Und wir sind nicht alleine unterwegs: Andere Logistiker, Radfahrer, Autofahrer sowie Fußgänger teilen sich die Infrastruktur. Dass man sich die entsprechenden Freiräume und Plätze lässt, ist ein Lernprozess für alle.“
Im Durchschnitt werden etwa 1000 Stopps pro Tag angefahren. „Wenn man das hochrechnen würde, was wir sonst mit Lkws fahren, ist das schon eine signifikante Einsparung. Unabhängig davon, dass der Betrieb eines Fahrrads kostengünstiger ist als der eines Lkws.“
Die CityLog ist in zehn deutschen Städten präsent. Neben dem DB-Depot am Alexanderplatz werden sechs weitere Standorte in Berlin genutzt. Weil die Miete günstig ist, sind sie oft in den Abholexpressmärkten („Abex“) für Handwerker eingebaut. „Das Mikrodepot am Alex war ein Glücksfall“, schwärmt Hollfelder.
Elf Mitarbeiter sind in Berlin bisher beschäftigt. Zu den Herausforderungen gehört auch das Thema Fachkräftemangel. Hollfelder: „Arbeit im Freien, das merkt das Handwerk und das merken wir, ist kein sehr beliebtes Arbeitsumfeld. Mitarbeiter sind den Witterungsbedingungen ausgesetzt. Bei 30 oder 40 Stopps jedes Mal aussteigen, ob Regen, Schnee oder Hagel.“

Anton Auras, DPD-Zusteller:

„Für uns Fahrer ist das Cargobike eine absolute Erleichterung in der Berliner Innenstadt. Zum Beispiel mit den Einbahnstraßen, wie vorm Roten Rathaus, wo man vorne nicht richtig mit dem Auto reinkommt.
Ich kann über den Alexanderplatz fahren und in die kleinen Gassen. Das Lastenrad steht nicht im Weg oder in zweiter Reihe, sondern kann auf Fußgängerwegen parken. Auch die Zustellgeschwindigkeit ist in der Innenstadt besser als mit einem großen Sprinter. Und mit dem ONO habe ich sogar ein Dach überm Kopf, wenn es regnet.“

160 Privatpakete pro Lastenradtour

Etwas später trifft der DPD-Sprinter am Depot ein, der die Pakete für Privatkunden liefert. Zwischen 9 und 10 Uhr findet zügig der Umschlag statt, das Einsortieren der Pakete. Mit einer Cargobike-Ladung können im besten Fall rund 80 Pakete zugestellt werden. Zwei Mal täglich rollen zwei ONO-Bikes ab Depot zur Auslieferung los, damit die Auslieferer bei ihrer Zustellungstour auf die Menge kommen. „Dabei versuchen wir, ein maximales Gewicht von 25 Kilo einzuhalten“, erklärt Thomas Ihrke, Projektkoordinator der DPD. Pakete sollen möglichst klein sein und der so genannte Stoppfaktor, die Anzahl der Pakete je Stopp, möglichst hoch. „Es kommt vor, dass ein Fahrer 120 Stopps mit dem Lastenrad schafft. Multipliziert mit dem Stoppfaktor – mal bekommt ein Kunde auch zwei Pakete – können das an einem Tag schon mal 160 Pakete sein.“
Eine Voraussetzung bei der Suche nach neuen Mikrodepots ist, dass sie in Gebieten liegen, in denen der Privatkundenanteil hoch ist. Das Einzugsgebiet um den Alex gäbe noch ein drittes oder viertes Lastenrad her. Dabei stößt die Kapazität der geteilten Nutzung im Depot allerdings an räumliche Grenzen. Denn die Transporter werden über Nacht verschlossen, um sie vor Vandalismus zu schützen. Ihrke sagt: „Denkbar wäre die Anmietung von Stellplätzen etwa im nahen Parkhaus. Wir brauchen gute Flächen, deren Miete kostendeckend ist, sonst rechnet sich das nicht.“

Standorte hochfahren, betreiben und lernen

Mit dem zweiten Berliner Standort am Alex setzt die Smart City DB den Aufbau eines innerstädtischen Depot-Netzwerks auf eigenen, städtischen oder privaten Flächen fort. Smart-City-Mann Jan Kruska erklärt zum Vorhaben: „Wir verstehen uns als Infrastrukturunternehmen und gehen damit auf Entdeckungsreise. Wir wollen die Mikrodepots hochfahren, betreiben und lernen. Daraus wollen wir ein Betriebskonzept schreiben, das an allen Bahnhöfen eine Option darstellt.“ Hintergrund für neue Mikrodepot-Entscheidungen der Smart City bleibt auch die Unterstützung und Zusage der Kommunen.

Daniel Weiker, CityLog-Fahrer

„Ich fahre von montags bis freitags Pakete aus. Offizieller Start ist um 6:30 Uhr. Wir beladen Heizungs- und Sanitärartikel für Firmensitze oder Baustellen. Für meine Tour nutze ich die Logistik-App Connect Transport. Da klickt man sich von Stopp zu Stopp durch. Vorher plane ich die Route für Berlin am Computer, da kann ich Feinheiten für die Tour optimieren. Wir benutzen Radwege. Sind Radwege unzumutbar, dann die Straße. Das Feedback ist größtenteils positiv. Anfangs kamen sogar Leute und haben Selfies mit dem Lastenrad gemacht.“

Berliner Studie erkennt Potenziale, Logistiker preschen vor

Vielversprechend sind erste Ergebnisse der Mikrodepot-Studie des Landes Berlin, die das Fachmagazin Logistra nennt. Demnach zeigt die Analyse der Stadträume, dass Mikrodepots ein hohes Potenzial besitzen. Wichtig seien gemischte Ansätze mit Single- oder Multi-User-Konzepten wie am Alex. Hinzu kommt das Zusammenspiel von privaten und öffentlichen Playern. Gerade wo es um die Verfügbarkeit von Flächen gehe, kommen Länder und Kommunen, Groß- und Einzelhändler sowie Parkhausbetreiber ins Spiel.
Nach den ersten Erfahrungen blicken auch die Logistiker am Alex positiv in die Zukunft der Mikrodepots und setzen auf deren Ausbau. So ist CityLog mit Smart City in anderen Locations in Hamburg, Köln und Bremen präsent. Franz Hollfelder sagt: „Wir stellen bereits Fahrräder zur Verfügung, ohne dass wir eine Auslastung haben. Unser Gesellschafter ist stark dabei, uns für noch mehr Städte zu begeistern. Bis Ende 2024 wollen wir in Österreich, der Schweiz und Frankreich präsent sein. Wir sind am Anfang einer Entwicklung und werden Ende nächsten Jahres in Deutschland zwischen 60 und 80 Cargobikes auf der Straße haben.“
Die DPD will in der Hauptstadt bis 2030 emissionsfrei zustellen. „Darin ist das Thema Lastenrad Teil eines Gesamtkonzepts“, sagt Thomas Ihrke. Über Modellstufen ist man längst hinaus, versichert der Projektleiter: „Wir sind in Berlin gestartet und sind hier schon mit 29 Lastenrädern unterwegs. Und wir machen in jedem Fall weiter.“

Niedrigschwelliges Konzept

Interview mit Jan Kruska, Smart City, DB

Was sind die Pluspunkte von Mikrodepots?
Es gibt keine exklusiven Endladestationen in den Städten. Das große Fahrzeug braucht Platz zum Halten am jeweiligen Empfangsort. Die stehen oft in zweiter Reihe. Aus kommunaler Sicht haben wir damit ein Verkehrsflussproblem gelöst. Für Unternehmer, die Strafzettel erhalten, ist das ein finanzielles Thema. Mit einem Lastenrad haben sie das alles nicht: Sie können vorfahren, kleine Parkecken nutzen oder handbetrieben im Schritttempo bis zur Haustür rollen. Im hoch verdichteten Gebiet haben wir im Zustellprozess einen Zeit- und Kostenvorteil. Hinzu kommt, dass Fahrerinnen und Fahrer keinen Führerschein benötigen. Damit können neue Arbeitskräfte im Logistikbereich aufgenommen werden, die bisher nicht möglich waren. Betriebswirtschaftlich wird es immer interessanter in Richtung Vergleichsgröße des bestehenden Sprintermodells.

Welche Rolle spielt die Smart City DB bei der Einrichtung?
Bei den Depots schauen wir vermehrt auf unsere Immobilien. Das Verlockende an unserem Konzept ist, dass wir niedrigschwellig einsetzen. Baulich ist ein Depot ein sehr einfaches Konzept. Wir haben hier nur 40 Quadratmeter. In NRW bauen wir gerade an 400. Da sieht man die Spannbreite. Auch am S-Bahnhof Messe Nord, am Omnibusbahnhof ZOB, wollen wir einen Standort eröffnen. Daran merkt man, dass Begriffe wie Messegelände oder Busbahnhöfe eine gute Mischnutzung zum Thema Logistik bekommen. Wir erleben eine gewisse Renaissance des Güterbahnhofs in Verbindung mit städtischem Umfeld.
Die Umsetzung machen wir immer mit den Kommunen, die in dem Segment nicht unbedingt Fachwissen mitbringen. Fördervorhaben vom Bund und der EU kommen als „positive Störfaktoren“ hinzu. Am Ende versuchen wir, einen Plan zu erstellen. Was wir vorantreiben wollen, ist die Vernetzung, indem wir bundesweit mit allen Akteuren in den Dialog treten. Auf der städtischen wie auf der Nutzerseite. So waren die Berliner mal in Hamburg, um zu berichten, damit die nicht alles noch einmal erfinden müssen.

Waren besondere Abstimmungen am Alex nötig?
Wir haben uns im Vorfeld abgestimmt mit dem Senat und dem Bezirk Mitte. Rein praktisch auch mit dem Denkmalschutz. Der wollte das Depot nur zulassen, wenn die historische Baufläche sichtbar ist, die noch in Restfläche vorhanden ist. Sie sehen den Sandstein und den Schaufenstereffekt. Die Logistiker hätten gerne eine Milchglasfolie gehabt. Wir haben als DB gesagt: Man soll sehen, was Logistik ist. Und man soll auch die Cargobikes sehen. Gerade an einem Punkt, wo viele Touristen vorbeikommen, der auch Showcase ist.

Und wie sieht die bisherige Bilanz aus?
Seit 2021 haben wir schon eine gewisse Spielzeit am Alex. Erfahrungswert ist, dass die beiden Nutzer noch dabei sind und ihr Volumen eher gesteigert haben. Abgesehen von kleinen Veränderungen im betrieblichen Ablauf. Und wir sind sehr glücklich, dass eine Langfristperspektive eingebaut ist. Das heißt, dass die Projekte mit Ende des Förderzeitraums fortgeführt werden können. Die Chancen dafür sind größer, wenn ich mit drei, vier Jahren starte. Dann kann auch die Akzeptanz bei Bürgern und Anrainern hergestellt werden. Prinzipiell kann man sagen, dass dieser eher theoretische Ansatz, dass Ware über Nacht in die Stadt kommt, kurz gebrochen wird bei der Zustellung und dann mit einem zweiten, kleineren Fahrzeug zugestellt wird, jetzt durch verschiedene Praxisbeispiele bestätigt ist. 


Info Mikrodepot-Studie:

https://www.berlin.de/sen/uvk/mobilitaet-und-verkehr/verkehrspolitik/forschungs-und-entwicklungsprojekte/laufende-projekte/mikro-depots-1301035.php


Bilder: Wscher, Jan Kruska

Vom 20. bis 21. September fand im zeitlichen Rahmen der IAA Transportation die dritte Nationale Radlogistikkonferenz in Hannover statt. Die Branche zeigte auf, wie professionell sie agiert und dass sie mit großen Schritten ein „Erwachsenwerden“ des Wirtschaftszweigs vorbereitet. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2022, Dezember 2022)


Eine Fahrrad-Demo? Ist denn schon Freitag? Nein, es war ein Donnerstag im September. Und die Fahrradkolonne mit vielen kleinen und großen Lastenrädern hatte ein Ziel. Viele Teilnehmerinnen der Radlogistikkonferenz fuhren gemeinsam zum Messegelände Hannover, um dort Logistikgrößen und Publikum auf der IAA Transportation auf sich aufmerksam zu machen und zu zeigen: Radlogistik ist gekommen, um zu bleiben, und hat große Ziele. Um diese in den nächsten Jahren zu erreichen, muss die Branche bei rechtlichen Rahmenbedingungen und Standardisierungen an einem Strang ziehen, so der Tenor der Konferenz. Diese fand im Kongresszentrum Hannover eine Bühne, wo neben den vielen Rednerinnen auf der von Nico Lange moderierten Bühne, über 25 Unternehmen ihre Produkte präsentierten und im Außenbereich Testfahrten anboten. Die Veranstaltung begann am Dienstag mit einem Exkursionstag, der mehr als 100 Menschen an verschiedene für die Radlogistik relevante Orte in Hannover führte. Nach begrüßenden Worten, unter anderem von Oberbürgermeister Belit Onay, besuchte die Gruppe einen Mini-Hub in einem Parkhaus, eine Zustellbasis am Güterbahnhof von DHL, die Fahrradkurierfirma Tretwerk sowie weitere Orte. Das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover traten bei der Konferenz als Unterstützer auf.
Am zweiten Konferenztag standen nach der Eröffnung durch Tom Assmann, Vorsitzender des Radlogistikverbands Deutschland (RLVD), und drei Grußworten, unter anderem vom Parlamentarischen Staatssekretär Oliver Luksic, inhaltliche Fragen im Vordergrund. Diese wurden in einigen Panels zunächst mit Input gefüllt und anschließend diskutiert. Die Branche entwickelt sich dynamisch weiter. Martin Seißler von Cargobike.jetzt war an der Organisation des Events beteiligt: „Es war ja die dritte Radlogistik-Konferenz und wir sehen jedes Mal eine Steigerung der Zahl der interessanten Modelle und eine technische Weiterentwicklung. Das ist sehr schön, zu sehen, und auch wichtig für die, die Lastenräder am Ende nutzen wollen. Wir wollen eine erwachsene Branche werden und haben am Anfang der Konferenz noch mal die 30 Prozent der Logistik in den Innenstädten als machbares Ziel propagiert. Die Schwelle der technischen Entwicklung nehmen wir immer besser.“
Es gibt viele Fragen, die es im jetzigen Stadium zu klären gilt, damit der optimistischen Aussicht der Radlogistik-Unternehmen nichts im Weg steht. „Wir sehen auch, dass das hier die Leitveranstaltung für die Branche der Radlogistik ist. Hier trifft sich einmal im Jahr die Branche und kann sagen, wo sie steht. Ich bin sehr zufrieden, wie das Ganze auch in den Panels weiterentwickelt wurde“, so Seißler.

Lastenräder aller Couleur fanden nicht nur in Vorträgen und auf Podien der Konferenz statt. Gut zwei Dutzend Unternehmen stellten ihre Fahrzeuge und Produkte im Foyer aus und boten Testfahrten an.

Politische Herausforderungen

Auf politischer Seite gibt es aktuell noch starke Hemmnisse für die Radlogistik. Zum einen sind schmale Radwege vor allem für Schwerlastenräder mit mehreren Hundert Kilo Gewicht nicht geeignet. Zum anderen ist die finanzielle Förderung nicht hoch genug, als dass sie völlig selbstverständlich mit teils um 40 Prozent rabattierten Verbrennertransportern konkurrieren kann. Gerade lokale Förderprogramme sind zudem oft schnell ausgeschöpft. Um in der Konkurrenz bestehen zu können, will der Radlogistikverband aber vermeiden, dass die Radlogistik Dumping-Preise einführt. Vielmehr müssen Verbrenner-Vans teurer werden, die derzeitigen Niedrigpreise können als Marktversagen gewertet werden. „Die Politik darf mutiger werden“, forderte Martin Schmidt, stellvertretender RLVD-Vorsitzender in seinem Resümee der Veranstaltung. Das Verbrennerverbot ab 2035 sowie die derzeit steigenden Treibstoffkosten dürften der Radlogistik in die Karten spielen. Gerade kleinere, reine Elektrofahrzeuge könnten der Branche aber künftig Marktanteile streitig machen.
Auch in der Bevölkerung sollen Lastenräder noch besser als Lösung bekannt werden. Wenn der Wert der Serviceleistung Lieferung mehr geschätzt würde, hätten die Radlogistiker leichteres Spiel. Eine größere Präsenz von Lastenrädern auf der letzten Meile dürfte auch die Chancen bei städtischen Vergabeverfahren erhöhen. Hier, so berichtet Matthi Bolte-Richter, Geschäftsführer des Kieler Radlogistikunternehmens Noord Transport, müssen die Logistiker oft erst mal vermitteln, wie leistungsfähig moderne Lastenräder sind, und werden so benachteiligt. „Das Lastenrad ist häufig einfach ausgeblendet“, bestätigte auch Jonas Kremer, RLVD-Fachvorstand Politik. Wenn ein Flottenanteil an Elektrofahrzeugen über Quoten geregelt ist, würden Lastenräder oft nicht mitgezählt und können damit ihr Potenzial nicht ausspielen.

„Wir schreiben jetzt Spielregeln, das ist eine einmalige Chance“

Martin Schmidt, Radlogistikverband Deutschland

Technische Feinheiten

Die Teilnehmerinnen in drei optionalen Workshops bearbeiteten Themen, die die Branche stärker vereinen könnten. Es ging um eine deutschlandweite Buchungsplattform für Radlogistik-Dienstleistungen, digitale Schnittstellen durch offene KEP-Standards (Kurier-, Express- und Paketdienst) und darum, was zu beachten ist, wenn die Branche Aufbauten und Wechselsysteme standardisiert. „Wir schreiben jetzt Spielregeln, das ist eine einmalige Chance“, kommentierte Martin Schmidt abschließend. Normen, die Lastenräder betreffen, werden von der Industrie gut angenommen, haben laut Tim Salatzki vom Zweirad-Industrie-Verband aber Lücken, was die Sicherheit im Schwerlastsegment betrifft. Es sollte im Interesse der Branche sein, diesem Thema proaktiv zu begegnen, wie es beispielsweise durch den Verhaltenskodex im Verkehr des RLVD bereits beispielhaft geschehen ist. Wenn es schwere Unfälle geben sollte, könnte das dem Ruf der Lastenräder schaden. In einer Paneldiskussion, in der auch Luise Braun von Onomotion und Wasilis von Rauch von Zukunft Fahrrad sowie Jonas Kremer sprachen, wurde die Möglichkeit einer eigenen Kategorie für Schwerlastenräder als sinnvoll bewertet. Diese dürfe allerdings kein Monstrum an Regulierungen mitbringen, so der Tenor der Runde. Schulungen für Schwerlastenräder könnten zielführend sein, eine Führerscheinpflicht lehnte die Gruppe allerdings entschieden ab. Weiteren Input gab es auch zu den Fahrerinnen der Lastenräder. Diese sind in Österreich bereits mit einem Tarifvertrag aufgestellt. Es gilt, hier auch in Deutschland die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, StVO-Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit den Kund*innen zu vermitteln. Die Menschen, die die Räder fahren, sind das Rückgrat der Branche, verrichten eine körperlich schwere Arbeit und müssen entsprechend gewürdigt werden. Sie brauchen gute Konditionen ohne Dumping-Löhne und Scheinselbstständigkeiten, auch damit die wachsende Branche in Zukunft keinen Personalmangel hat.

Empfangskomitee oder Randnotiz? Die Last-Mile-Area auf der IAA Transportation sorgte bei den ausstellenden Unternehmen für gemischte Gefühle.

Mit Versendern vernetzen

Als Positivbeispiel hingegen kürte der RLVD den Radlogistikversender des Jahres. Der Preis ging an die Memo AG, die Bürobedarf in Kooperation mit 13 verschiedenen Radlogistikdiensten ausliefern lässt. Den Versendern soll in der vierten Konferenzausgabe eine größere Rolle zukommen. Diese könnte sich auch in anderer Hinsicht von der diesjährigen Veranstaltung unterscheiden, sagt Martin Seißler. „Ich habe das Gefühl, wir müssen das Programm vielleicht ganz weglassen, weil die Leute die ganze Zeit netzwerken wollten. Aber so funktioniert es natürlich nicht. Wir wollen das Thema Netzwerken aber besser koordinieren, professionalisieren und etwas zielgerichteter gestalten. Und wir wollen auch die Versender mehr zu Wort kommen lassen, ihnen eine Bühne bieten und klarmachen, wie wichtig sie in diesem ganzen Prozess sind.“ Auch eine Art Speeddating, um die Akteure effizienter zu vernetzen, wäre dazu ein möglicher Weg.

Links: Das Schwerlastenrad von Fulpra bietet bis zu 3000 Liter Stauraum und 350 Kilogramm Zuladung.
Rechts: Die Mobilitätsstation des Unternehmens Fairventure lädt dank Solarmodulen und eingeschweißter Batterie autark Elektrofahrzeuge auf.

Das Fahrzeugkonzept der ZF-Tochter Brakeforce One (links) hat Platz für kühle Getränke. Deutlich mehr kühlen Stauraum bieten die Aufbauten von Wello (rechts).

IAA Transportation – Radlogistik als Teil des Ganzen

Am Tag nach der Konferenz sind viele Teilnehmerinnen dann mit ihren Lastenrädern und -anhängern publikumswirksam auf der IAA Transportation eingefahren. Der Nutzfahrzeugableger der Internationalen Automobilausstellung fand zeitgleich in Hannover statt. Die zeitliche Überschneidung war nicht zufällig, vielmehr war die Radlogistikkonferenz in Zusammenarbeit mit der Fachmesse geplant worden. Auch auf der IAA Transportation selbst waren Lastenräder präsent. Es gab einen gesonderten Ausstellungsbereich für die Letzte-Meile-Logistik, die Last-Mile-Area. Ein Cargobike-Parcours bot die Möglichkeit, viele Modelle zu testen. Im Nachgang der publikumswirksamen Einfahrt verlieh die Fachzeitschrift Logistra ihren jährlichen Award „International Cargobike of the Year“. Die ersten Plätze konnten sich die Hersteller Riese & Müller für das Modell Transporter 2, Mubea für das Schwerlastenrad Cargo und Nüwiel für den Anhänger eTrailer sichern. Überlaufen war die Last-Mile-Area nicht. Neben den Award-Gewinnern gab es dennoch auch ein paar Produktneuheiten zu entdecken. Der Hersteller Urban Arrow präsentierte ein neues Bremssystem, das auf Motocross-Technik setzt. Rytle hatte mit dem auffällig grün überdachten Schwerlastenrad Movr3 eine neue Produktgeneration im Gepäck. Und Mubea zeigte neben einer Variante des prämierten Modells Cargo für Gärtnerinnen, Landschaftsarchitektur und Co. einen dreirädrigen E-Scooter, der ab dem kommenden Jahr produziert werden soll.
Auf dem großen Hannoveraner Messegelände fanden sich zwischen den großformatigeren Cargo-Exponaten an wenigen Stellen vereinzelte Lastenräder, ein Symbol für die zukünftige Verknüpfung der Transportmittel. Ob diese Verknüpfung von der restlichen Branche wirklich ernst genommen wird, bleibt abzuwarten. Eindeutig bewerten ließ sich das Standing der Radlogistik in der gesamten Branche aber nicht. Manch ein Aussteller fühlte sich auf der Sonderfläche etwas an den Rand gedrängt, andere verstanden sich in der Lage am westlichen Eingang in der Halle 13 eher als Empfangskomitee der Fachmesse. In den Vorträgen, die auf mehreren Bühnen gehalten wurden, fand das Thema Radlogistik höchstens als Randnotiz statt. Dabei könnte aber auch die ausgelagerte Konferenz des RLVD eine Rolle gespielt haben.

„Wir schaffen die 30 Prozent Radlogistik“

Dr.-Ing. Tom Assmann, Vorstandsvorsitzender des Radlogistikverbandes Deutschland

Wie beurteilen Sie die diesjährige Radlogistikkonferenz?
Wir sind sehr zufrieden mit der Veranstaltung. Sie war gut besucht und wir haben gezeigt, dass Radlogistik ein hochinnovativer Bereich ist. Ein Bereich, der die Technologie so weit entwickelt hat, dass sie ausgerollt werden und in der Breite in den Städten in Deutschland den Verkehr entlasten und sicher machen kann. Wir sind bereit, im großen Game um die letzte Meile vollständig mitzuspielen und sie auch in der Zukunft zu gestalten. Wir schaffen die 30 Prozent Radlogistik.

Wie wird sich die Branche in nächster Zeit weiterentwickeln?
Wir werden nächstes Jahr deutlich mehr Lastenräder auf den Märkten sehen. Ich höre das in den Gesprächen, dass eigentlich überall große Absatzzugewinne zu verzeichnen sind und dass die Akteure trotz der Weltlage positiv in die Zukunft schauen, weil Lastenfahrräder und -anhänger die Transportmittel der Zeit sind. Wir sparen 90 Prozent Energie pro Kilometer ein und haben günstigere und klimagerechte Fahrzeuge. Deswegen können wir positiv gestimmt sein, hoffen aber, dass da nicht noch größere Probleme in den Lieferketten kommen.

Was sind die größten Herausforderungen für die Branche?
Eine wichtige Frage auf politischer Ebene ist, wie man Radlogistik in die Breite der kommunalen Planung bekommt. Die Kommunen müssen die Radlogistik, die Flächen und die In-frastruktur standardmäßig mitplanen, sodass unsere Fahrzeuge supereinfach, komfortabel und schneller als ein Sprinter überall genutzt werden können. Das ist die eine Herausforderung, die andere ist, wie wir auf europäischer Ebene einen harmonisierten Rechts- und Standardrahmen schaffen, damit diese Fahrzeuge überall in der EU sicher, zuverlässig und kostengünstig auf Radwegen betrieben werden können.

Am hinderlichsten ist also die Politik?
Ein großes Hemmnis ist auch, dass insgesamt noch zu viel Zögern da ist. Nicht unbedingt in der Logistikbranche, die Logistikakteure sehen, sie müssen da reingehen und werden das auch tun. Aber insbesondere abseits des klassischen Paket- und Postgeschäftes, wo Lastenräder sich gut entwickeln, da braucht es noch mehr Berührungspunkte, und es braucht mehr und bessere Förderung, damit auch kleine und mittlere Unternehmen umsteigen können und sagen: „Ein Lastenfahrrad ist günstiger und es ist besser für mein Unternehmen.“ Es ist Marktversagen, dass das Leasing von E-Autos im Moment besser gefördert wird als das Leasing von E-Lastenfahrrädern.

Berührungspunkte habt ihr auch auf eurer Exkursion schaffen wollen. Was hat dort die größte Neugier und die meisten Gespräche ausgelöst?
Wir hatten tolle Gespräche, die gesamte Exkursion entlang. Es gab ein wirklich wunderbares Grußwort von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der klar gezeigt hat, dass es Städte gibt, die bereit sind, den Weg zu einer klimagerechten, zu einer lebenswerteren und zu einer autoärmeren Stadt zu gehen. Das hat mir sehr gut gefallen, genau wie unsere letzte Station bei unserem neuen Mitglied Modes. Die kommen ursprünglich aus dem klassischen Umbau von Vans für Personen mit Behinderung und haben jetzt als neues Geschäftsmodell den Service von Lastenrädern mitaufgenommen und zeigen, dass sie die Transformation hin zu nachhaltiger Mobilität gehen.

Die Radlogistik-Konferenz fand während der IAA Transportation statt und machte dort mit einer kollektiven Einfahrt auf die Messe auf sich aufmerksam. Was waren die Hintergründe dieser Entscheidung?
Es war die richtige Entscheidung, diese Veranstaltung parallel zur IAA Transportation zu machen und zu zeigen: Wir als Radlogistik sind da und wir sind bereit, unser 30-Prozent-Ziel bis 2030 umzusetzen. Jetzt ist es auch an den etablierten Akteuren, die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu sagen, dass es neue Formen der Mobilität und neue Formen der gewerblichen Logistik in der Stadt braucht. Deswegen fand die Konferenz auch hier und in Abstimmung und Kooperation mit der IAA statt. Das war ein Angebot der IAA, dass wir mit unseren Ausstellern und unseren Lastenfahrrädern auf die Messe kommen und dem Publikum dort das zeigen konnten, was wir eben auch auf der Konferenz hier gezeigt haben: Die Technik ist da, kauft sie, setzt sie ein und fahrt damit.


Bilder: Ulrich Pucknat, Sebastian Gengenbach, Jana Dünnhaupt – OVGU