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Ansturm auf Mieträder an der Nordsee

150 Prozent mehr Ausleihen als im Vorjahr durch Corona. Das ist die Bilanz von „Rad und Tour“ an der Nordsee in Cuxhaven. Neben Touristen sorgen auch viele Einwohner für einen Run auf Mieträder und E-Bikes. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


Mit dem Lockdown Ende März mussten Fahrradhändler in vielen Städten ihre Geschäfte schließen. Sie durften zwar noch Räder reparieren, aber sowohl das Verkaufen als auch die Vermietung waren vielerorts verboten. Die Entscheidung war umstritten. Denn viele Menschen, die vorher gar nicht oder selten per Bike unterwegs waren, wollten nun Radfahren – in ihrer Freizeit und im Alltag. Einige Händler fanden ebenso kreative wie nachhaltige Lösungen und brachten die Menschen trotz des Lockdowns aufs Rad.

Mehr Bewegung an der frischen Luft

Einer von ihnen ist Thorsten Larschow aus Cuxhaven. Er hat vor 27 Jahren sein Geschäft „Rad und Tour“ in Cuxhaven eröffnet. Für ihn war der Slogan „stay at home“ zu Beginn des Lockdowns die falsche Strategie. „Corona ist eine Lungenkrankheit. Ich finde, die Leute sollten nicht zu Hause sitzen, sondern sich bewegen. Am besten draußen im Wald, in einer Umgebung, die gesund ist“, sagt er. Dafür ist das Fahrrad perfekt. Man kann damit gemütlich die Promenade ent-langrollen, aber auch mit Abstand Sport treiben. Larschow betreibt neben seinem Geschäft eine Mietradflotte mit 700 Fahrrädern und E-Bikes für Ausflügler und Feriengäste. Die meisten davon standen seit Ende März in den Lagern. Als ein Lieferdienst ihm 50 neue E-Bikes auf den Hof stellte, hatte er eine Idee. Er durfte die Räder zwar nicht vermieten, aber kostenlos verleihen. Unter der Devise „Bewegt euch!“ warb er auf Youtube und Facebook für die kostenlose Ausleihe. Das sprach sich schnell in Cuxhaven und Umgebung herum. 24 Stunden nach dem Aufruf standen die ersten Anwohner auf seinem Hof, bereit für einen Ausflug per Bike.

Große Begeisterung für E-Bikes

Die Ausleihe selbst war kontaktlos. Die Leute hatten online gebucht, ihre Anschrift auf dem vorbereiteten Formular auf einem Stehtisch im Hof hinterlassen und konnten so das vorbereitete Rad direkt mitnehmen. 50 Tage ging das so. Was den Radsportler Larschow besonders freut: Viele der Nutzer waren das erste Mal mit einem E-Bike auf Tour. „Es gibt immer noch viele Menschen, die E-Bikes ablehnen, weil sie meinen, Fahren mit Motor sei nur etwas für Ältere“, sagt er. Sie kamen begeistert zurück.

Neu: Online-Verleih und Lieferservice

Mit den Lockerungen strömten im Mai auch die Gäste an die Nordsee und mit ihnen zogen die Buchungen an. „Wir haben 150 Prozent mehr Ausleihen als im Vorjahr“, sagt er. Von Hektik im Laden spürt man aber wenig. Bereits vor 20 Jahren hat er für seine Mietradflotte ein Online-Buchungsverfahren eingerichtet. Die Gäste sehen so das gesamte Sortiment und reservieren nach Bedarf inklusive Zubehör. 50 Prozent der Gäste lassen sich die Räder zur Ferienwohnung liefern. Das ist in Larschows Service inbegriffen. „Gerade für Familien mit kleinen Kindern ist das praktisch“, sagt er. Wer nur ein paar Hundert Meter zur Leihstation laufen muss, kommt in der Regel selbst vorbei. Während die Online-Buchungen vor Corona unter 20 Prozent betrugen, liegen sie jetzt seinen Schätzungen zufolge zwischen 60 und 70 Prozent.

„Der Radtourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region“

Thorsten Larschow, Rad und Tour

Fahrräder als Verkehrsmittel unterschätzt

Der große Ansturm auf seine Mieträder spiegelt sich auch sonst in Cuxhavens Zentrum wider. Die kleine Innenstadt ist voll mit Radtouristen und Alltagsradlern, die sich auf den Straßen tummeln oder durch die Fußgängerzone flanieren. Die Fahrradständer sind überfüllt. Rechts und links von ihnen werden in langen Reihen Räder abgestellt. „Der Radtourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region“, so Larschow, das sei schon lange vor Corona so gewesen. „Aber das touristische Fahrrad als Verkehrsmittel hat die Politik vor Ort noch nicht im Blick.“ Das zeige das neue Verkehrskonzept für Urlauber: Um zu verhindern, dass Einheimische, Urlauber und Tagesgäste mit dem Auto an den Sandstrand nach Duhnen fahren, haben die Entscheider eine Park-and- Ride-Anlage in Cuxhaven gebaut.
Autofahrer können ihren Pkw im Zen-trum am Kreishaus abstellen und dann per Shuttlebus im Viertelstundentakt in den vier Kilometer entfernten Kurort weiterfahren. An eine Fahrradverleih-Station habe allerdings niemand gedacht. „Warum gibt man den Leuten nicht die Möglichkeit, aufs Rad zu steigen?“, fragt Larschow. Er ist sich sicher: „Einige würden das Angebot lieber nutzen, statt den Bus zu nehmen.“ Familien und Senioren, die auf den Shuttle angewiesen sind, hätten dann auch deutlich mehr Platz. Insgesamt zeigen die Erfahrungen an der Nordsee sehr klar die Bedürfnisse der Menschen.


Bilder: Mailin Busko / Rad und Tour