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„Die Spekulation auf die Krise löst das Problem nicht“

Aktuell werden überall händeringend Verkehrsplaner gesucht. Aber auch insgesamt fehlt in den öffentlichen Verwaltungen Personal. Wie sieht es aktuell aus, wo sind Probleme und was können Kommunen ändern? Dazu haben wir mit Rolf Dindorf gesprochen, der sich auf strategisches Personalmanagement im öffentlichen Sektor spezialisiert hat. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2020, Juni 2020)


Herr Dindorf, viele beklagen latenten Personalmangel in der öffentlichen Verwaltung. Wie sehen Sie die Situation und welche He­rausforderungen gibt es aktuell?
Vorweg muss man sagen, dass wir es mit einer ganzen Reihe von zunehmend kritischen Entwicklungen zu tun haben. Ein großes Thema ist dabei der demografische Wandel. Schon vor 20 Jahren gab es dazu warnende Artikel in den Medien. Aber nicht nur in der medialen Wahrnehmung ist das Thema in der Folgezeit weitgehend untergegangen, auch bei den Entscheidern. Das fällt uns jetzt vor die Füße und es muss dringend gegengesteuert werden.

Wie sieht der demografische Wandel konkret in der Verwaltung aus?
Laut Schätzungen des Deutschen Beamtenbunds fehlen aktuell 138.000 Beschäftige in den Kommunalverwaltungen. Das zieht sich durch alle Bereiche der Verwaltung. Die eigentlichen Probleme kommen aber erst noch: 1,5 Millionen Menschen arbeiten in den Kommunalverwaltungen. Von denen sind nur 51.000 unter 25 Jahren, 181.000 aber über 60 Jahre alt. Ungefähr 29 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also fast ein Drittel, scheidet in den nächsten 10 Jahren aus.

„Man muss eine Marke sein und die Menschen müssen auch Lust haben, zu Ihnen zu kommen.“

Rolf Dindorf

Tun die Kommunen zu wenig, um dem Mitarbeiterschwund zu begegnen?
Man muss einfach sagen, dass manche Kommunen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Sie wissen ja genau, wie dünn die Personaldecke ist, wie alt zum Beispiel ihre Ingenieure und Verkehrsplaner sind und wann diese in Pension gehen.

Vielfach kommt das Argument, dass Kommunen nicht so gut zahlen wie die Privatwirtschaft.
Da muss man sagen, ja, das stimmt. Anderseits würde es unterstellen, dass sich alle nur nach dem Geld orientieren. Und das würde ich zurückweisen. Natürlich ist Geld ein Faktor, aber es gibt noch ganz viele andere Faktoren und da muss man ansetzen.

Was empfehlen Sie Kommunen konkret, um Fachkräfte zu gewinnen?
Man muss sich anschauen, wie sich die Verwaltung einer Stadt darstellt und wie die Personalgewinnung konkret abläuft. Viele Homepages sind in ihrem Auftritt nicht mehr zeitgemäß. Oft müssen Sie den Button Personal oder Karriere erst langwierig suchen. Dann die Art der Stellenausschreibung: Es wird gesagt „Das müssen wir korrekt machen“. Das ist richtig. Trotzdem müssen die Ausschreibungen nicht so altbacken daherkommen.

Wie kann eine gute Mitarbeiterakquise aussehen?
Die Stadt Hamm hatte zum Beispiel erfolglos nach Bewerbern als Straßenbauingenieur gesucht. Überregionale Aufmerksamkeit und den Durchbruch brachte eine Anzeige: „Ihr baut den Highway to Hamm. Wir schicken euch auf die härteste Kreuzfahrt Europas“ (Anm.: Full Metal Cruise). Kann man so etwas machen? Warum nicht? Es muss natürlich zum Selbstverständnis und dem Außenbild passen. Letztlich kommt es darauf an, eine Arbeitgebermarke zu entwickeln.

Stellenausschreibung mal anders: „Ihr baut den Highway to Hamm. Wir schicken euch auf die härteste Kreuzfahrt Europas.“

Das heißt, die kommunale Verwaltung sollte klarmachen, wofür sie steht und was sie bietet?
Ja, eine Arbeitgebermarke zu entwickeln, ist ein ganz wesentlicher Punkt. Damit tun sich viele kommunale Verwaltungen schwer und es gibt es Widerstände, wie „Wir sind nicht Coca-Cola oder ein Start-up. Das wollen wir nicht.“ Was dabei vergessen wird: Jede Kommune ist eine Arbeitgebermarke für sich und faktisch eine Firma. Je nachdem, wo sie sind, gehören die Stadt- und Kreisverwaltungen zu den wichtigsten Arbeitgebern. Sie stellen sich optisch nur oft nicht so dar und kommen als graue Maus daher. Egal, ob die Stadt Ulm heißt oder Bielefeld, es muss klar werden, wofür die Verwaltung steht. Also „Wer sind wir?“ „Was zeichnet uns aus?“ „Was bieten wir?“ Vielleicht sind Sie damit ja auch ein Paradiesvogel, der manche abschreckt aber andere werden auch angezogen. Graue Mäuse ziehen dagegen niemand wirklich an.

Was kann die Verwaltung bei der Rekrutierung sonst noch verbessern?
Entscheidend ist auch, wie die Bewerberkommunikation abläuft. Wenn man sich an jüngere Menschen wendet, muss man immer sehen, wie dort die Bedürfnisse und Erwartungshaltungen sind. Zum Beispiel sollte man überlegen, ob Bewerber ihre Unterlagen noch per Post senden müssen oder das auch per Mail machen können. Auch die Entscheidungsprozesse sollten kürzer werden. Die Berliner Landesverwaltung hat zum Beispiel in einer Pressemitteilung gesagt, dass die durchschnittliche Dauer bis zur Einstellung nicht mehr 5,3 Monate, sondern nur noch 3,8 Monate beträgt. Das entspricht aber nicht der Lebensrealität der Stelleninteressenten. Nach einer Untersuchung des Nachwuchsbarometers öffentlicher Dienst erwarten über 80 Prozent der Interessenten innerhalb von vier Wochen eine Rückmeldung und ggf. Einladung zum Gespräch.

„Der öffentliche Dienst ist nicht nur ein sicherer Hafen, er bietet auch Sinnorientierung.“

In Krisenzeiten gibt es ja einen erhöhten Zulauf im öffentlichen Dienst. Beseitigt er die Pro­bleme?
Manche sagen: Die nächste Krise kommt bestimmt und dann wollen sie alle wieder in den öffentlichen Dienst. Aber die Spekulation auf die Krise löst das Problem nicht. Wenn Sie den demografischen Wandel sehen, dann wird schnell klar, dass das so nicht funktionieren kann. Diese Erkenntnisse gab es natürlich schon vor Corona. Dazu kommt in Bezug auf Fachkräfte, wie Verkehrsplaner, dass man diese nicht vor Ort rekrutieren kann. Man muss eine Marke sein und die Menschen müssen auch Lust haben, zu Ihnen zu kommen.

Was können Verwaltungen tun, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden?
Vielfach wird auf notwendige und wohl auch unumgängliche Änderungen negativ reagiert. Die Strukturen sind da und sie sollen so bleiben. Man tut so, als müssten heilige Kühe geschlachtet werden. Das kann aber nicht die Lösung sein. Es kommt darauf an, frischen Wind in die Verwaltung zu bringen, verbunden mit einem Kultur- und Wertewandel. Junge Menschen sind heute viel individueller, das sehen Sie allein an den weiterverbreiteten Tattoos. Sie wollen mehr Freiheiten und Verantwortung. Die Verwaltung kann hier mit Gestaltungsmöglichkeiten punkten. Digitalisierung, Homeoffice, Projektteams über Fachgrenzen hinaus – alles, was man unter agilem Arbeiten summieren kann. Wir brauchen eine innovative gegenwartsadäquate Arbeitsumgebung.

Aber auch viele Amtsräume strahlen ja noch den Charme der 1980er Jahre aus.
Natürlich sind attraktive Neubauten mit moderner Innenraumgestaltung schön. Räume wirken auf Menschen. Da häufig die finanziellen Mittel nicht für umfangreiche bauliche Änderungen reichen, sollte man trotzdem im Kleinen beginnen. Eine wesentliche Verbesserung ist es zum Beispiel, Kreativräume zu öffnen. Köln hat hier mit dem „Zukunftslabor“ ein Zeichen gesetzt. Salopp gesagt: Eine geeignete Fläche für vernetztes Arbeiten und persönlichen Austausch ist schnell mit einer elektronischen Tafel, einem Beamer und ein paar kreativen Methodentools eingerichtet. Dabei geht es vor allem auch darum, Signale zu setzen. Zum Beispiel im Hinblick auf die Zusammenarbeit – auch zwischen Jung und Alt. Es ist auch eine Haltungsfrage, wie man mit älteren Mitarbeitern umgeht, ob man noch von ihrer breiten Erfahrung profitieren möchte, indem man sie zum Beispiel weiterbildet und aktiv mit Jüngeren zusammenbringt.

Was würden Sie als Fachmann den Verwaltungen gerne mitgeben?
Wichtig ist für die Kommunalverwaltungen, dass sie personell wieder Wasser unter den Kiel bekommen. Sie müssen mit einem strategischen Personalmanagement langfristig gezielt planen. Im Hinblick auf die Personalgewinnung genauso wie die Personalentwicklung und den Ausbau digitaler Kompetenzen. Ein wichtiges Argument kann die Verwaltung dabei immer für sich in Anspruch nehmen: Der öffentliche Dienst ist nicht nur ein sicherer Hafen, er bietet auch Sinnorientierung im Hinblick auf die Arbeit an der Gemeinschaft und den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das kann und sollte in der Kommunikation viel stärker herausgestrichen werden. Gerade in Krisenzeiten.

Rolf Dindorf

ist seit 2005 als Führungskräfteberater und Seminarleiter auf das Themenfeld strategische Personalarbeit im öffentlichen Dienst und angelehnten Wirtschaftsbranchen spezialisiert. Seine Themenschwerpunkte sind unter anderem agile Verwaltung, demografischer Wandel sowie sinnstiftende Unternehmenskultur.

Mehr Informationen unter rolf-dindorf.de


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