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E-Bikes trumpfen als Branchenlösungen

Spezifische Branchenlösungen sind aus Business, Verwaltung und öffentlichem Dienst nicht wegzudenken. Aber bei Fahrrädern? Viele Unternehmen und Institutionen setzen inzwischen auf speziell nach ihren Anforderungen entwickelte Räder. Ihre Argumente: vergleichsweise niedrige Kosten, hoher Nutzwert, umweltfreundlich und ein ausgesprochen positives Image. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


S(treifen)-Pedelec statt Streifenwagen: In Osnabrück wurden zwei schnelle E-Bikes für die Polizei umgerüstet – mit vielen Vorteilen im Einsatz und deutlichem Zuspruch der Beamt*innen.

Seit etwa einem Jahr sind Polizeibeamte der Fahrradstaffel Osnabrück mit speziell ausgerüsteten Speed-Pedelecs unterwegs. Und zwar mit großer Begeisterung: „Die Kollegen der Fahrradstaffel sind den ganzen Tag im Einsatz und haben mit den S-Pedelecs riesige Vorteile“, sagt Hendrik Große Hokamp, Leiter der Abteilung Mobilität vor Ort. Sie können ihr Ziel mit den bis zu 45 Stundenkilometer schnellen E-Bikes durch enge Straßen viel schneller erreichen als Kolleginnen im Streifenwagen oder zu Fuß. Vor allem die Flexibilität im Einsatz zählt: „Durch die Nutzung von Radwegen oder Wegen, die für Autos gesperrt sind, sind wir, etwa bei der Personenverfolgung, viel näher dran.“ Bei der Ausführung hoheitlicher Aufgaben darf die Polizei natürlich auch in Fußgängerzonen oder über gesperrtes Gelände fahren, zu dem man ansonsten keinen Zugang hätte. Die in Osnabrück genutzten Polizeiräder vom Schweizer E-Bike-Hersteller Stromer – einem der Pioniere des S-Pedelecs – kosten in der Standardausführung rund 5.500 Euro; für die Umbauten legte die Polizei noch etwa 2.000 Euro pro Fahrzeug drauf. Die umfangreichen Anpassungen wurden nicht vom Hersteller, sondern von Orange Bikes, einem Fachhändler vor Ort, ausgeführt. Hinzu kam zum Beispiel eine komplette Blaulichtanlage. Zwei Frontblitzer sind vorn am Lenker, einer jeweils seitlich des Gepäckträgers an den Zusatzboxen angebracht. Auch diese Boxen sind nachträglich hinzugekommen und tragen unverkennbar das Gewand der Polizeifahrzeuge. Darin sind die wichtigen Dinge, die man im Einsatz braucht – etwa der Alkomat, das Martinshorn oder eine Zusatzbatterie. Apropos: Die Verbrauchskosten des im Rahmen versteckten Akkus halten sich in Grenzen, sie liegen bei derzeit etwa 20 bis 30 Cent pro hundert Kilometer. Das E-Auto kostet da schon mal fünf Euro. Nicht nur, weil es den Gesetzes-hüterinnen Spaß macht, will man nach dem Projekt ein eindeutig positives Fazit an das niedersächsische Innenministerium abgeben, das dann über weitere S-Pedelecs für die Polizei entscheidet: Das Interesse sei groß – auch in der Bevölkerung, so Große Hokamp. „Das erleichtert uns natürlich auch die Kommunikation. Und wir haben zig Einsätze abarbeiten können. Darunter auch Fälle, die wir sonst nicht gelöst hätten.“ Dabei ging es um Ladendiebe, die zu Fuß oder per Auto wohl nicht gefasst hätten werden können, aber auch um eine vermisste Person, die dank des Einsatzfahrzeugs auf unwegsamem Gelände gefunden wurde. „Wenn man misst, wie erfolgreich die Einsätze bewältigt worden sind, ist das eindeutig pro S-Pedelec.“

E-Cargobike für den Notfall

Noch ein Blaulicht-E-Bike: Das Cargobike für mobile Notfall-Einsatzkräfte ist vorwiegend für größere Events und den Einsatz im engen Innenstadtbereich konzipiert. Es stammt von Urban Arrow, einem niederländischen Lastenradhersteller, der in den letzten zwei Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat. Mittlerweile hat ihn die finanzstarke und weltweit agierende Pon-Gruppe übernommen. Das hat die Möglichkeiten des Lastenradherstellers stark erweitert: Vor gut einem Jahr wurde eine Business-Abteilung bei Urban Arrow gegründet, und mit frischen finanziellen Mitteln geht man intensiv daran, auch geschäftliche Bereiche zu erschließen. Das Emergency Bike wurde von einem Geschäftspartner mit einer Box für medizinische Zwecke ausgestattet. Die Umgestaltung geht weit über das bekannte Design hinaus: Auch hier gibt es das klassische Blaulicht auf der Box, gut sichtbar nach vorn strahlend. In die Box integriert ist ein spezielles Lagersystem für die medizinische Standard-ausstattung, die für solche Einsätze vorgesehen ist. Sie ist wärmeisoliert. „Die Boxen können aber auch mit aktiver Kühlung geliefert werden“, erklärt Erik Jan Stoffel, Sales Manager für Europa beim Hersteller Urban Arrow.
Das E-Bike wird so auch im Innenstadtbereich von Paris eingesetzt. Natürlich gibt es auch ganz anders gelagerte Einsatzbereiche: „Wir haben einen Fischlieferanten, der mit einer Box mit aktivem Kühlsystem die Amsterdamer Innenstadt beliefert.“ Selbst die Autolobby steigt aufs Fahrrad: Laut Stoffel sind schon heute man-che ADAC-Pannenhelfer, sogenannte gelbe Engel, mit Lastenrädern von Urban Arrow unterwegs. Die sind dann mit der Craft Box bestückt, also einem Aufbau, der für Werkzeugausstattung optimiert ist. „Wir haben einen enormen Zuwachs bei den Verkaufszahlen im Business-Bereich“, sagt Stoffel. „Zwar ist momentan der Verkauf an private Kunden noch führend, aber das wird sich zunehmend ändern. Die Vorteile sind enorm, etwa die Möglichkeit, vollen Zugang zur Innenstadt zu haben, das Wegfallen von Park- oder Mautgebühren, die Zeitersparnis und natürlich die Möglichkeit, führerscheinfrei unterwegs zu sein. Und das alles auch noch mit einem grünen Gewissen.“ Dazu kommt der Image-Transfer: Wer geschäftlich mit dem Cargobike unterwegs ist, zeigt damit auch Nachhaltigkeitsbewusstsein. Aber die direkten praktischen Vorteile überzeugen für sich genommen viele Unternehmen ohnehin.

Nicht nur die professionelle Optik: In der Box der Zweirad-Ambulanz ist Hightech integriert, möglich ist sogar ein aktives Kühlsystem.
Gelbe Engel per E-Bike: In mehreren deutschen Städten kommt rettende Hilfe jetzt noch schneller, denn Staus spielen mit dem E-Bike keine Rolle.

Nachhaltige Logistik per Cargobike und Hub

„Wir haben das Cargobike neu interpretiert“, sagt Johannes F. D. Hill, Global Business Development Manager beim Unternehmen Rytle. Der wesentliche revolutionäre Schritt war wohl, das System selbst modular darzustellen und entsprechend mit dem eigentlichen Zustellfahrzeug, einem hoch spezialisierten E-Lastendreirad, enorme Flexibilität zu gewinnen.
Konkret sieht das so aus: Ein Hub, also eine Hauptumschlagbasis, ist die Grundlage im jeweiligen Verteilersektor. Dieser Hub ist technisch gesehen eine smarte Lkw-Brücke im 10-Fuß-Format. Sie wird morgens aufgestellt und enthält bis zu neun vorkommissionierte Boxen zur Verteilung. Deren Volumen beträgt rund 1,4 Kubikmeter pro Box. Per Rytle Movr, einem E-Dreirad mit Kabine, kann je eine Box abgeholt werden. Dazu wird der Hub über eine autarke Hydraulik abgesenkt. Die auf Rollen laufende Box kann von den Zustellerinnen herausgezogen und in den Freiraum zwischen den Hinterrädern des Movr geschoben werden. Dort wird sie fest mit dem Fahrzeug gekoppelt. So geht es auf die „letzte Meile“. Wendig im engen Berufsverkehr, mit einfachem Zugang auch zu Fußgängerzonen oder über für Kfz gesperrte Routen. Die Fahrerinnen werden von zwei E-Motoren an der Hinterachse mit bis zu 25 km/h unterstützt. Trotz des Doppelantriebs bleibt der Movr rechtlich ein Pedelec. „Heute muss man nicht mehr mit dem Sprinter in die Innenstadt fahren, der Movr und ein dezentral postierter Hub bringen die Effizienz auch auf der letzten Meile – wo traditionelle Logistiksysteme nichts verdienen.“ Erfahrungen in London etwa hätten gezeigt, dass Straßensperren für Kraftfahrzeuge in der Innenstadt sehr stark der Fahrradlogistik zugutekommen. Und natürlich ist der Movr vor allem eine Lösung, die CO2 spart und bei aller Effizienz helfen kann, die Innenstädte lebenswerter zu machen.
Die Technik des Rytle-Sytems kommt dabei vom Trailer-Spezialisten Krone Commercial Vehicle Group. Hintergrund: Rytle mit Hauptsitz in Bremen entstand als ein Joint Venture der Krone-Gruppe und der Orbitak AG, einem Beratungsunternehmen, das im Bereich Neue Mobilität unterwegs ist, sowie dem Lastenfahrradhersteller Speedliner.
2018 wurde also Rytle Movr ins Leben gerufen. „Ein großer Launch-Kunde war damals UPS. Dieses Unternehmen hatte schon vorher in dieser Richtung experimentiert“, sagt Hill. Man wollte aber noch effizienter werden. Die Wechselbox für den Movr hat nicht zufällig die Bodenmaße der Europalette. „Das ist das Maß der Dinge, und das wollen wir auch nicht ändern“, so Hill. Die Zuladung der Box beträgt satte 180 Kilogramm.
Vor allem im norddeutschen Raum ist Rytle in Großstädten gut vertreten – Hamburg, Oldenburg und Bremen sind Hochburgen. Der Stellplatz wird von der Kommune oder von privaten Unternehmen vermietet. Weltweit sind derzeit rund 500 Movr unterwegs. Der Logistik-Partner kann das Rytle-System mieten oder kaufen. „Der Movr ist besonders für die KEP-Branche (Kurier-Express-Pakete) interessant“, so Hill. „Aber wir sind breit aufgestellt.“ Einige große Logistikunternehmen sind Partner für das modulare System auf der letzten Meile, unterwegs ist man mittlerweile in zehn Ländern, Tendenz wachsend. „Wir sind noch am Anfang“, ist Hill überzeugt.

Perfekt in Logistiksysteme der großen Partner eingepasst, aber auch perfekt für die letzte Meile ohne Stress und Schadstoffe: Rytle Movr.

Bibliothek und mehr auf drei Rädern

„Es kommen immer weniger Leute in die städtischen Bibliotheken, da fährt die Bibliothek einfach zu den Leuten, nämlich auf die Plätze der Stadt“, sagt Stefan Rickmeyer. Sein Unternehmen Radkutsche baut seit 15 Jahren Cargo-bikes für schwere Lasten sowie Sonderaufbauten dafür. Radkutsche hat schon vor Jahren zwei Bücher-Bikes für die städtische Bibliothek in Oslo entwickelt. „Das bringt nicht nur wieder Interesse fürs Lesen. Die Plätze werden so stärker belebt, es gibt eine ganz andere Verweildauer, die Städte werden mit solchen Aktionen lebendiger und lebenswerter.“ Zur Ausstattung gehören auch Sitzelemente und Sonnenschirme, die rund um das Bike aufgestellt werden. Basis für den Spezialumbau ist bei Radkutsche das Modell Musketier, das größere von zwei Grundmodellen. Ein Dreirad, zwei Räder hinten, eines vorne. Die Grundkonfiguration des Fahrzeugs ist das reine Fahrgestell, ganz ohne Aufbau. Für den kann zwischen sieben Optionen ausgewählt werden, von der klassischen Pritsche über einen Gastro-Aufbau für mobile Küchen oder Kaffee-Bikes bis hin zur Rikscha für zwei Fahrgäste. Oder es planen eben Kund*innen und Radkutsche zusammen. In diesem Fall ist es Jonas Adam, der sich im Unternehmen um ein Bibliotheks-Bike auch für die Stadt Reutlingen kümmert. Diesmal wird es weniger ein Schwertransport, da die Bücher hauptsächlich digital sind: Es sollen zehn Laptops zum Bibliotheks-Bike gehören, nebst Infrastruktur wie WLAN und Ladegeräte. „Oben wird es eine Solaranlage geben“, erklärt der Leiter Umbauten bei Radkutsche. „In der Kiste selbst ist eine Präsentationsfläche für Bücher oder Flyer, darunter die Technik zu dem Ganzen. Wie beim Osloer Bike hat das Reutlinger Lastenrad eine Bestuhlung für Gäste dabei, die sich dann entspannt in Liegestühlen fläzen und auf den Tablets lesen können.
„Häufig kommen die Kommunen auf uns zu“, erzählt Radkutsche-Chef Rickmeyer. Sie haben beispielsweise ein ähnliches Rad irgendwo gesehen oder davon gehört und fanden es eine vielversprechende Idee für die eigene Stadt. „Aber wir müssten einfach noch mehr nach außen gehen. Wir müssen direkt auf die Marktplätze!“ Derzeit entfallen nur etwa ein bis zwei Prozent der Bestellungen auf Kommunen, doch die Tendenz ist steigend. Da werden dann etwa Räder für die Stadtreinigung oder das Gartenbauamt bestellt – immer mit speziellen Aufbauten für den jeweiligen Einsatz. Zum Beispiel der große „Muldenkipper“ fürs Erdreich oder die Pritsche mit Aufnahmen für Besen und Schaufeln. Auch einige große internationale Logistikunternehmen liefern mit Radkutsche-Rädern. Die französische Post etwa stellt in der Pariser Innenstadt unter anderem damit zu.

„Häufig kommen die Kommunen mit neuen Ideen auf uns zu.“

Stefan Rickmeyer, Radkutsche

Von der mobilen Bibliothek bis hin zum Pflegeservice der öffentlichen Anlagen: Die Kommunen entdecken die Möglichkeiten des E-Bikes für sich.


Bilder: Polizeidirektion Osnabrück, ECOX, ADAC, Rytle – Schoening Fotodesign, Radkutsche