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Interview mit Christine Fuchs, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e. V. (AGFS) zu den Aussichten des Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes in Nordrhein-Westfalen (FaNaG) und der neuen Rolle der AGFS. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


„Wir vertreten die Auffassung, dass sich die Nahmobilität und die grüne und blaue Infrastruktur hervorragend ergänzen.“

Christine Fuchs, Vorstand der AGFS

Frau Fuchs, das von Nordrhein-Westfalen ausgegebene Ziel von 25 Prozent Radverkehrsanteil am Modal Split klingt sehr anspruchsvoll. Was tut sich im Land, um die Ziele zu erreichen?
Wir haben eine sehr dynamische Situation sowohl beim Land als auch in den Städten und Kommunen. Das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz, das im Januar in Kraft getreten ist, kam ja ursächlich durch eine Volksinitiative, also eine Bewegung von unten. Nicht zuletzt haben auch die Klimadiskussion und die Pandemie das Thema Nahmobilität und Radverkehr sehr befeuert. Das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz ist ein wichtiges Signal. Es hilft, unser Thema voranzutreiben und eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen.

Wo gibt es aus Ihrer Sicht Entwicklungen und Probleme?
Viele Menschen wollen Fahrrad fahren und tun das auch gerne. Gleichzeitig haben viele erkannt, dass die Infrastruktur einfach nicht ausreichend ist und man sich unsicher fühlt. In den Kommunen und hier vor allem in den Mittel- und Großstädten hat man zudem inzwischen realisiert, dass es so einfach nicht weitergeht. Man erstickt regelrecht im Kfz-Verkehr. Autoparken dominiert die Straßenzüge. Die Notwendigkeit, eine gesunde Mobilität zu entwickeln, ist inzwischen deutlich in den Vordergrund gerückt. Umsetzungsdefizite in der Infrastruktur sind offensichtlich und die Umsetzung dauert. Lange Planverfahren und auch der Fachkräftemangel sind dabei die größten Hemmnisse.

Wie geht es weiter und was verändert sich für die Kommunen und die AGFS?
Der nächste wichtige Baustein ist der Aktionsplan zum Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz, der schon seit einiger Zeit in Arbeit ist und für den wir als AGFS eine ganze Reihe von Vorschlägen eingebracht haben. Wir erhoffen uns hier eine Reihe von Hilfestellungen und Unterstützungen für Kommunen, aber auch Möglichkeiten, um Hürden abzubauen bzw. Abläufe zu erleichtern. Neu ist, dass die AGFS mit dem Gesetz jetzt institutionell gefördert wird. Somit haben wir mehr Möglichkeiten, die Kommunen besser und vertiefter zu unterstützen. Wir werden Personal aufstocken und uns zukunftsfähig aufstellen.

Die AGFS ist ja schon lange als Ansprechpartner für die Kommunen aktiv. Worum geht es bei der der Neuausrichtung?
Das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz kann aufgrund der kommunalen Planungshoheit nur indirekt auf die Kommunen wirken. Deshalb sieht das Land eine wichtige Rolle für Netzwerke wie die AGFS, die die Kommunen unterstützen. Die AGFS hat seit jeher die Fachkompetenz im Bereich Nahmobilität und ist sehr gut mit den Kommunen vernetzt. Deshalb wird uns hier eine zentrale Funktion zugesprochen, für die wir vorbereitend gerade neue weitere Formate entwickeln.

AGFS-Kongress sonst immer mit vollem Saal; coronabedingt in diesem Jahr wieder online.

Können Sie schon etwas zur Ausrichtung und den Zielen der neuen Formate sagen?
Wir wollen zentral etwas auf zwei Ebenen anbieten: ein breites Angebot für alle Kommunen und ein intensives Vertiefungsangebot für die Mitglieder der AGFS.

Wie kann man sich solche Angebote konkret vorstellen?
Ein breites Angebot wollen wir zum Beispiel mit Blick auf den Fachkräftemangel von Planerinnen und Planern machen. Wir haben bereits eine Kampagne gestartet, die in Schulen aktiv für den Beruf Verkehrsplaner wirbt. Drüber hinaus möchten wir die Zusammenarbeit mit den Hochschulen verstärken und Absolventen mit den Kommunen zusammenbringen. Dafür haben wir bereits eine eigene Webseite gelauncht unter plane-deine-stadt.de.

Wie können vertiefende intensive Angebote für Mitglieder der AGFS aussehen und was bringen sie?
Wir versuchen den Kommunen viele Instrumente anzubieten, die sie bei der schnellen Umsetzung vor allem von Infrastrukturmaßnahmen unterstützen. Was direkt in die Kommunen wirkt, sind z.B. unsere Planungswerkstätten. Zusammen mit externen Experten werden hier sehr konzentriert an zwei Tagen rund acht Planungsfälle aus den Kommunen besprochen. Erste Pilotprojekte waren ein absoluter Erfolg und Arbeitsgemeinschaften aus anderen Bundesländern haben das Konzept inzwischen übernommen. Zwei Tage intensive Arbeit abseits der laufenden Geschäfte; danach hat man in den meisten Fällen echte Lösungsansätze.

Über das Parken in den Städten werden viele Auseinandersetzungen geführt. Wie sehen Sie das Thema?
Natürlich ist es erstrebenswert, dass sich die Anzahl der Autos reduziert. Aber von heute auf morgen wird das nicht möglich sein. Der Ansatz zu sagen, wir bieten keine Parkplätze oder deutlich weniger an, ist einfach nicht realistisch. Das erzeugt sofort Reaktanz. Trotzdem ist es letztlich so, dass wir den Platz für Wichtigeres brauchen. Für die Menschen. Für die aktive Mobilität. Für Grün und Aufenthaltsqualität. Das ist ein strategisches Thema der Kommunen. Es geht darum, das Thema Parken neu zu regeln und dabei trotzdem aufeinander zu- zugehen.

Was tun Sie beim Thema Parken und was kann das Land Nordrhein-Westfalen tun?
Wir haben das Thema bereits in der Vergangenheit intensiv behandelt und sind gerade dabei, ein umfassendes Handbuch zum Thema für die Kommunen zu erstellen, das voraussichtlich im Sommer vorgestellt wird. Auch das Land kann unterstützend tätig werden, zum Beispiel mit der finanziellen Förderung von Quartiersgaragen.

Warum sind Vorrangrouten für den Radverkehr wichtig?
Mit der heutigen Infrastruktur werden wir keine grundlegenden Steigerungen des Radverkehrs mehr erreichen. Ein geschlossenes Vorrangnetz in allen Kommunen und von Zentrum zu Zentrum mit einer hervorragenden Qualität, möglichst bevorrechtigt, mit ausreichenden Breiten und aufgewertet mit Grün hat die erste Priorität. Nur damit können wir das Potenzial des Radverkehrs wirklich ausschöpfen.

Mit was sollten die Städte und Kommunen anfangen und wo setzt die AGFS Prioritäten?
Die konkrete Rolle der AGFS wird sich aus dem Aktionsplan und unseren Gesprächen mit dem Land noch ergeben. Insgesamt sollte man immer fragen: Wo liegen die größten Potenziale, wo sind die größten Hebel und wo sind die wertvollen Kapazitäten am sinnvollsten eingesetzt? Aber auch welche wichtigen Maßnahmen dauern am längsten? Die müssen frühzeitig begonnen werden. Zudem müssen wir breit denken. Allein mit dem Bild einer fahrradfreundlichen Stadt kommen wir nicht weiter. Wir brauchen einen größeren Rahmen und eine echte Vision. In der Umsetzung allerdings müssen wir uns dann wieder fokussieren und gezielt auch Infrastruktur umsetzen.

Wohin sollte es konkret gehen? Welche Vision sollten die Städte über das Thema Fahrradfreundlichkeit hinaus verfolgen?
Unsere Vision ist die einer gesunden Stadt. Die Frage ist, wie vereinbaren wir die Bedürfnisse der Nahmobilität mit einer grünen Infrastruktur, also mehr Grün für ein gutes Klima durch Beschattung und Frischluftzufuhr vorzugsweise über die Achsen für Nahmobilität sowie einer blauen Infrastruktur, mit der wir für eine Bewässerung sorgen und Städte besser vor Hochwasser schützen. Nicht zu vergessen sind neben Umweltgesichtspunkten zudem auch Umfeld-Themen, also Aufenthaltsqualität, Stadt der kurzen Wege, Bewegung, Sicherheit etc. Wir vertreten die Auffassung, dass sich die Nahmobilität und die grüne und blaue Infrastruktur hervorragend ergänzen.

Wie schaut aus Ihrer Sicht die Zukunft auf dem Land aus?
Auf dem Land und in Kleinstädten haben wir eine große Aufgabe. Wir brauchen den öffentlichen Verkehr, wir brauchen Park-and-Ride-Stationen, Mobilitätsstationen und auch hier Vorrangnetze für den Radverkehr. Wichtig ist auch: Wir brauchen eine schnelle Wirksamkeit, zum Beispiel indem Wirtschaftswege so ertüchtigt werden, dass sie von Radfahrenden und Landwirten gemeinsam genutzt werden können. Das kann vergleichsweise schnell umgesetzt und dann weiter ausgebaut werden.

Können die aktuellen Aktivitäten der AGFS in NRW eine Art Blaupause für Deutschland werden?
Von einer Blaupause kann man nicht direkt sprechen. Wir sind aktuell dabei, uns horizontal mit den anderen Arbeitsgemeinschaften der Länder noch weiter zu vernetzen, und richten dazu auch eine Koordinierungsstelle ein. Das schafft zum einen Synergien und zum anderen wollen wir so unsere starke fachliche Expertise beim Bund besser einbringen. Damit bekommen die Arbeitsgemeinschaften insgesamt eine deutlich stärkere Rolle. Wir wachsen mit den Aufgaben und darauf freue ich mich.


Über die AGFS

Der Verein wurde 1993 als Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Städte von 13 Mitgliedern in Nordrhein-Westfalen gegründet. Die AGFS war die erste institutionalisierte Form der Zusammenarbeit von Kommunen in Deutschland für die Förderung des Fahrradverkehrs bzw. der Nahmobilität. Sie hat Vorbildcharakter für ähnliche Zusammenschlüsse, die sich auch in anderen Bundesländern gegründet haben. Seit 2007 vertritt die AGFS das Konzept der Nahmobilität, das die „Stadt als Lebens- und Bewegungsraum“ definiert. 2012 wurde deshalb auch der Fußgängerverkehr gleichrangig im neuen Namen aufgenommen. Die AGFS veranstaltet regelmäßig Fachtagungen und Kongresse, Exkursionen und Planerwerkstätten und hat eine Viel-zahl von Kampagnen für ihre Mitglieds-kommunen vorbereitet, organisiert und durchgeführt. Zudem ist sie Partner des Deutschen Fahrradpreises.

Bilder: AGFS, Peter Obenaus, AGFS – Andreas Endermann

Nordrhein-Westfalen setzt Signale für den Mobilitätswandel. Im November 2019 stimmte der Verkehrsausschuss im Landtag einstimmig einem Antrag der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ für das erste Fahrradgesetz in einem Flächenland zu. Die Zeit für einen Umbruch scheint reif und die breite Zustimmung in der Bevölkerung mit über 200.000 gesammelten Unterschriften hatte Eindruck hinterlassen. Im Interview erläutert Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) Hintergründe und Ziele im Hinblick auf die Förderung des Radverkehrs und der Nahmobilität in NRW.


Herr Minister Wüst, Umfragen im Rahmen der NRW-Kommunalwahlen haben gezeigt, dass den Bürgerinnen und Bürgern die Themen Umwelt und Klima und in den Städten vor allem der Verkehr bzw. eine Verkehrswende sehr wichtig sind. Sehen Sie hier eine Zäsur?
Mobilität ist Lebensqualität und Standortfaktor. Mobilität muss besser, sicherer und sauberer werden. Wir erreichen die Klimaziele nur, wenn wir die Mobilität vielfach neu denken. Dazu müssen wir die Chancen der Digitalisierung für die Mobilität konsequent nutzen, den ÖPNV zum Rückgrat vernetzter Wegeketten machen, die Chancen der Elektrifizierung des Fahrrades nutzen und das Fahrrad überall im Land für die Pendler nutzbar machen. Und Deutschland muss wieder Bahnland werden. Die Zäsur besteht darin, dass das alles nicht nur von breiten Schichten der Bevölkerung mitgetragen wird, sondern dass jetzt auch sehr viel Geld dafür da ist und wir umsetzen.

Ihre Heimat und ihr Wahlkreis liegen in Rhede, direkt an der niederländischen Grenze. Was machen die Niederländer aus Ihrer Sicht besser und was würden Sie gerne übernehmen?
Unsere Nachbarn in den Niederlanden machen seit Jahren eine sehr pragmatische Verkehrspolitik. Davon haben wir uns viel abgeguckt, denn lange Zeit war das in Nordrhein-Westfalen politisch nicht gewollt. In den Niederlanden ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass in Infrastruktur für jeden Verkehrsträger investiert wird. In Nordrhein-Westfalen wurde viel zu lange Parteipolitik zulasten der Infrastruktur gemacht. Jetzt müssen wir große Rückstände bei der Sanierung und Modernisierung aufholen. Auf der Schiene. Auf der Straße. Und bei Wasser- und Radwegen.

Angesichts von Kämpfen um Platz für Fahrrad und Auto verweisen Sie in Interviews gerne auf intelligente Verkehrskonzepte aus den Niederlanden. Was kann man sich aus Ihrer Sicht hier konkret abschauen?
In den Niederlanden wird pragmatisch nach Lösungen gesucht, nicht um jeden Preis nach Konflikten. Bei unseren Nachbarn wird jedem Verkehrsträger nach seinen Stärken Raum gegeben. Es wird in langen Linien gedacht und dann Schritt für Schritt konsequent umgesetzt.

Aus dem Umfeld des Landesministeriums ist zu hören, dass das Fahrradgesetz mit hoher Priorität vorangetrieben wird, warum ist Ihnen das Thema wichtig?
Ich komme aus dem Münsterland. Da ist das Fahrrad schon immer Teil der Alltagsmobilität. Mit digital vernetzten Wegeketten wird das Fahrrad – ganz besonders mit E-Bikes und Pedelecs – zu einem vollwertigen alltagstauglichen Allround-Verkehrsmittel, das das Klima schont und auch noch gesund ist. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen Fahrradland Nummer 1 bleiben. Deswegen investieren wir Hirn und Herz in das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz. Radverkehr ist ein elementarer Bestandteil moderner Mobilitätskonzepte.

Mitte Juni dieses Jahres haben Sie bereits Eckpunkte für ein Gesetz zur Förderung des Radverkehrs und der Nahmobilität (FaNaG) vorgestellt. Wie geht es jetzt weiter?
Zurzeit wird der Referentenentwurf erstellt, dann geht’s in die Ressortabstimmung und ins Kabinett. Danach wird es die Verbändebeteiligung geben. Anschließend soll der Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht werden, damit er dieses Jahr verabschiedet werden kann und das Gesetz Anfang 2022 in Kraft tritt.

Radverkehr ist ein elementarer Bestandteil moderner Mobilitätskonzepte.

NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst

Sie haben die Forderung der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“, dass künftig 25 Prozent des Verkehrsaufkommens in NRW auf das Rad entfallen sollen, als Ziel übernommen. Ist das realistisch?
Ja. Wir sind überzeugt, dass sich mit den angestrebten Verbesserungen für den Radverkehr so viele Menschen fürs Radfahren entscheiden, dass ein Radverkehrsanteil von 25 Prozent im Modalsplit erreicht wird. Der Modalsplit liegt im Münsterland im Durchschnitt schon jetzt deutlich über 25 Prozent. In Bocholt bei 38 Prozent, in Borken bei 30, in Coesfeld bei 32 Prozent. Mit E-Bikes und Pedelecs und besserer Infrastruktur geht das überall.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass es bei neuer Radinfrastruktur, wie Radschnellwegen, nicht richtig vorwärtsgeht. Woran liegt das?
In Nordrhein-Westfalen wurden seit dem Regierungswechsel 2017 485 Kilometer neue Radwege gebaut. Der Bau eines Radschnellweges ist nicht weniger aufwendig als der Bau einer Straße. Bis auf Lärmschutzgutachten gelten dort dieselben Regeln. Aber klar ist: Ich will mehr! Und es muss schnell vorangehen. Deshalb erhöhen wir seit Jahren die Haushaltsmittel für den Radverkehr. Standen 2017 noch 29 Millionen Euro zur Verfügung, werden es 2021 54 Millionen Euro sein. Zusätzlich stellt auch der Bund insgesamt 900 Millionen Euro Bundesmittel bis 2023 für den Radverkehr bereit.

Der passionierte Alltagsradler Hendrik Wüst bei der Eröffnung eines Teilstücks des Radschnellwegs RS1 in Mülheim an der Ruhr im Jahr 2019.

Wie wollen Sie die Prozesse künftig verbessern und beschleunigen?
Wir forcieren seit dem Regierungswechsel 2017 einen Planungs-, Genehmigungs- und Bauhochlauf. Und zwar für alle Infrastrukturen: Schiene, Straße, Wasser- und Radwege. Konkret heißt das: Neben unserer eigenen „Stabsstelle Radverkehr und Verkehrssicherheit“ im Verkehrsministerium haben wir zehn Planerstellen beim Landesbetrieb und fünf Stellen bei den Bezirksregierungen für mehr Tempo bei Planung, Genehmigung und Bau der Radinfrastruktur geschaffen.
Bei der Akquise der Fachleute gehen wir neue Wege. In Kooperation mit der AGFS starten wir eine Fachkräfteinitiative, um junge Menschen für das Berufsfeld der Radwegeverkehrsplanung zu begeistern. Flankiert wird das von einer Stiftungsprofessur „Radverkehr“ des Bundes bei uns an der Bergischen Universität Wuppertal.
Wir haben zudem das Landesstraßen- und Wegegesetz geändert, in dem auch die Planung der Radschnellwege geregelt ist, und dort überflüssigen Planungsaufwand herausgenommen.

Welche Änderungen sind mit dem Fahrradgesetz konkret in der Fläche zu erwarten?
Mit dem Gesetz werden wir unter anderem ein Radvorrangnetz in Nordrhein-Westfalen etablieren. Auf Premium-Radschnellverbindungen bieten wir den Menschen Routen für schnellen, sicheren und störungsfreien Radverkehr an. Mit dem Gesetz soll zudem die Möglichkeit geschaffen werden, verstärkt Wirtschaftswege für den Radverkehr zu nutzen. Durch Verbesserung von Wirtschafts- und Betriebswegen kann das Radwegenetz schnell durch zusätzliche Kilometer erweitert werden. Außerdem vernetzen wir das Fahrrad mit anderen Verkehrsträgern und schaffen so die Voraussetzung, dass das Rad mindestens für einen Teil der Wegstrecke zu einer echten Alternative für Pendlerrinnen und Pendler wird.

Die Mitinitiatorin der Volksinitiative Dr. Ute Symanski hofft auf starken Rückenwind durch das Gesetz für die Verantwortlichen in den Kommunen. Was sagen Sie ihr?
Ich mache gerade in einer digitalen Veranstaltungsreihe mit den Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern, Landrätinnen und Landräten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern auf die erhöhte Förderung für den Radwegebau, auf unsere Zwei-Milliarden-Euro ÖPNV-Offensive und andere Fördermöglichkeiten aufmerksam. Im Wahlkampf war Mobilität oft Thema, jetzt müssen Taten folgen.

Anfang Februar 2020 stand der Minister auf der „RADKOMM Quarterly“ in Köln Rede und Antwort zu den Zielen und Problemen der aktuellen Mobilitätspolitik.

Weit nach vorne gedacht: Wie sieht die Mobilität am Ende der nächsten Legislaturperiode, also im Jahr 2027 in NRW aus?
Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung für eine bessere Vernetzung aller Verkehrsmittel. Mobilität wie wir sie heute kennen, wird sich deutlich verändern. Wir werden vernetzte Verkehre mit digital buchbaren Wegeketten haben.
Die Mobilität der Zukunft ist multimodal, vernetzt und automatisiert – und im Mittelpunkt stehen immer die Mobilitätsbedürfnisse der Nutzer nach flexibler und sauberer Mobilität. Das Fahrrad wird zu einem alltäglichen, alltagstauglichen Verkehrsmittel – überall im Land! Dafür wird Nordrhein-Westfalen ein gut ausgebautes, lückenloses Fahrradnetz aus Radvorrangrouten und weiteren Radverbindungen haben.
Intermodale Wegeketten werden effizienter, umweltfreundlicher und attraktiver für Pendler und Reisende. So schaffen wir in Nordrhein-Westfalen ein Mobilitätsangebot, in dem die unterschiedlichen Verkehrsträger mit ihren jeweiligen Stärken kombiniert werden.
Mobilstationen sind die Schnittstelle der Verkehrsträger. Hier steigen Pendler und Reisende vom (Leih-)Fahrrad, E-Scooter, Car-Sharing-Auto um auf Bus, Bahn und On-Demand-Verkehre. Tarifkenntnisse und aufwendige Planung von Wegeketten sind Geschichte. 2021 werden wir in Nordrhein-Westfalen einen landesweiten eTarif ohne Verbundgrenzen einführen. Einfach mit dem Smartphone einchecken, am Ziel auschecken. Bezahlt wird ein Grundpreis plus die Luftlinien-Kilometer zwischen Start und Ziel. Das geht einfach, ist transparent und bequem. Solche Angebote werden für das Verkehrsverhalten der Menschen entscheidend sein.
Vielleicht werden schon 2027 Hauptbahnhöfe und Flughäfen, Messen und Universitäten, aber auch suburbane Regionen mit bezahlbaren, elektrisch betriebenen Flugtaxis erreichbar sein. In der Logistik werden auf der letzten Meile emissionsfreie und automatisierte Fahrzeuge eingesetzt. In Nordrhein-Westfalen werden viele dieser Innovationen bereits heute erforscht, entwickelt – und sind teilweise auch jetzt schon erlebbar!

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Das Interview mit NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst hat VELOPLAN Chefredakteur Reiner Kolberg im Februar 2021 geführt. Erschienen in Ausgabe 1/21.

Hendrik Wüst

wurde 1975 in Rhede an der niederländischen Grenze geboren und lebt dort zusammen mit seiner Familie. Der gelernte Jurist und Rechtsanwalt war von 2000 bis 2006 Landesvorsitzender der Jungen Union Nordrhein-Westfalen und ist seit 2005 für die CDU im Landtag vertreten. Seit Juni 2017 ist Hendrik Wüst Minister für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Medienberichten zufolge hat er gute Chancen, Nachfolger von NRW Ministerpräsident Armin Laschet zu werden.


Bilder: NRW-Verkehrsministerium, Anja Tiwisina; RADKOMM, Diane Müller

Der Verkehrsausschuss von Nordrhein-Westfalen ist am 20.11.2019 einstimmig dem Antrag der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ gefolgt. Der Mobilitätswandel pro Fahrrad soll gestaltet und in einem Fahrradgesetz festgeschrieben werden. NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst zufolge wird das Projekt mit hoher Priorität vorangetrieben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Zu den Hintergründen und Plänen haben wir mit Dr. Ute Symanski gesprochen. Die Kölner Organisationssoziologin, -beraterin und politische Aktivistin hat sowohl den Kongress Radkomm – Kölner Forum Radverkehr als auch Aufbruch Fahrrad mitinitiiert und geprägt. Als Vertrauensperson begleitet sie den weiteren Prozess.

Was waren Ihre Erwartungen beim Radgesetz und sind sie erfüllt worden?
Unsere Erwartungen sind mehr als erfüllt worden. Wir hätten tatsächlich nicht gedacht, dass es den Beschluss gibt, ein Fahrradgesetz für NRW zu machen. Wir haben neun Forderungen aufgestellt und als Zusatz den Wunsch, dass diese Forderungen in ein Fahrradgesetz überführt werden. Das haben wir bewusst abgeschwächt, weil wir es nicht fordern, aber trotzdem in den Raum stellen wollten. Es war dann überwältigend für uns zu hören, dass unsere Forderungen tatsächlich gesetzlich verankert werden sollen.

Sie haben dazu die „Volksinitiative Aufbruch Fahrrad“ gegründet. Was macht die Initiative aus?
Mit der Initiative Aufbruch Fahrrad verbindet sich viel mehr als einfach nur eine Unterschriftensammlung. Zum einen wollten wir gegenüber der Politik und der Verwaltung beweisen, dass es wirklich sehr viele Menschen im Land gibt, die dafür ihre Stimme geben. Das konnten wir nur mit einer Unterschriftensammlung. Zweitens wollten wir ein Bündnis schmieden und die zivilgesellschaftlichen Akteure, die etwas mit Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder Mobilität zu tun haben, zusammenführen. 215 Vereine und Verbände und Initiativen sind mit dabei – ein ganz breites Spektrum, von den großen Organisationen wie dem ADFC oder VCD bis hin zu kirchlichen Initiativen oder Sportvereinen. Wir wollten nach außen zeigen, dass es viele sind, aber auch, dass die Menschen das untereinander mitbekommen und ihnen klar wird, dass sie durchaus eine zivilgesellschaftliche Macht haben. Deshalb ist es auch ein Aktionsbündnis und ein Netzwerk.

Sie haben 207.000 Unterschriften gesammelt. Das ist ein enormes Ergebnis. Haben Sie damit gerechnet?
66.000 Unterschriften mussten gesammelt werden und dass wir das schaffen, daran habe ich nie gezweifelt. Aber das wir dann unser Wunschziel von 100.000 Unterschriften mit 207.000 so deutlich getoppt haben, damit bin ich wirklich glücklich. Ich merke auch, dass das eine Zahl ist, die im Land und vor allem in der Politik richtig Eindruck macht.

Wie schätzen Sie die Ergebnisse der Unterschriftensammlung ein?
In der Politik wird die Zahl der Unterschriften sehr hoch gewertet, weil man weiß, dass sie ohne einen Lobbyverband im Rücken zustande gekommen ist und jede Unterschrift umgerechnet in Aufwand einen Euro kostet. Wir haben das alles ehrenamtlich gemacht. Dazu kommt, dass es kein Leitmedium in NRW gibt und wir deshalb wahnsinnig viel Netzwerkarbeit machen mussten.

Feierlaune nach Monaten harter Arbeit bei den Aktivisten der Volksinitiative – und auch eine herzliche Umarmung von Ute Symanski mit NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst fehlt nicht.

Was macht die Zustimmung der Politik in NRW zur Volksinitiative zu etwas Besonderem?
Aufbruch Fahrrad ist die erfolgreichste Volksinitiative in NRW, in dem Sinne, dass der Landtag noch nie die Forderungen einer Volksinitiative vollständig übernommen hat. Mit den gesammelten Unterschriften wird ja nur erreicht, dass sich der Landtag damit beschäftigt. Aber ob dann zugestimmt wird, steht auf einem anderen Blatt. Dass dann einstimmig zugestimmt wurde, das gab es bislang noch nie. Es gab auch nie eine Volksinitiative, die von einer Frau eingereicht wurde. Und dann noch mit einem Mobilitätsthema in einer Männerdomäne. Darüber freue ich mich auch im Sinne der Sache der Frauen. Interessanterweise wird das von vielen, auch in den Medien, bislang gar nicht so wahrgenommen.

Wie geht es jetzt weiter?
Sofort nach dem Beschluss des Landtags wurden Termine zur weiteren Besprechung mit uns und allen Anspruchsgruppen geplant, die jetzt laufen. Bis Mai soll ein erstes Eckpunktepapier erstellt werden. Meine Wahrnehmung aus vielen Gesprächen ist, dass es aktuell eines der priorisierten Projekte im Verkehrsministerium ist. Ich denke, Minister Hendrik Wüst möchte der Erste sein, der ein Radverkehrsgesetz in einem Flächenland umsetzt. Auch das NRW Umweltministerium mit Ursula Heinen-Esser steht dahinter. Sie war eine der Ersten, die sagte, dass die ersten Lesungen vielleicht schon im Herbst stattfinden könnten.

Wie schätzen Sie die Wirkung des Fahrradgesetzes ein?
Ich teile mit Christine Fuchs von der AGFS (Anm.: Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW) die Meinung, dass dieses Gesetz enorm wichtig ist, weil es den Kommunen einerseits Rückendeckung gibt und zudem auch einen Aufforderungscharakter hat. Politik und Verwaltung können sich nur noch schwer hinter einem „das dürfen wir nicht“ oder „das geht nicht“ verstecken.

Was braucht es, damit das Fahrradgesetz eine Signalwirkung in NRW und darüber hinaus entfalten kann?
Enorm wichtig sind Fürsprecher für das Thema. Wenn ein Minister und andere hochrangige Persönlichkeiten sagen: „Wir geben unserem Land ein Radverkehrsgesetz, weil wir zeigen wollen, wie wichtig uns der Radverkehr ist“, dann wird es eine große Signalwirkung geben. Wichtig ist hier auch der direkte Draht zum Bund und dem BMVI. NRW hat gerade beim Thema Mobilität ein großes Gewicht in Berlin.

Maßnahmen für NRW im Überblick

  1. Mehr Verkehrssicherheit auf Straßen und Radwegen
  2. NRW wirbt für mehr Radverkehr
  3. 1000 Kilometer Radschnellwege für den Pendelverkehr
  4. 300 Kilometer überregionale Radwege pro Jahr
  5. Fahrradstraßen und Radinfrastruktur in den Kommunen
  6. Mehr Fahrrad-Expertise in Ministerien und Behörden
  7. Kostenlose Mitnahme im Nahverkehr
  8. Fahrradparken und E-Bike-Stationen
  9. Förderung von Lastenrädern

Forderungen in Langform und aktuelle Informationen unter aufbruch-fahrrad.de


Bilder: Aufbruch Fahrrad, Reiner Kolberg