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Das Durcheinander auf der Venloer Straße in Köln war sehr gefährlich. Ein Verkehrsversuch sollte das ändern, schuf Verwirrung und lieferte dann doch „Verzauberung“. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2023, Dezember 2023)


Die Venloer Straße in Köln ist eine Arterie in einem äußerst lebhaften Organismus. Sie durchzieht mittig das boomende Stadtviertel Ehrenfeld, wo sich eine urbane Mischung aus Cafés und Restaurants, Kebab-Läden, Schnäppchen-Shops, Bio-Boutiquen mit einer dichten Wohnbesiedlung mischt. Die Venloer ist Hauptgeschäftsstraße, Pendler-Achse im Kölner Westen und Shopping-Meile, zudem steht hier Kölns wichtigstes islamisches Gotteshaus, die sogenannte Zentralmoschee des türkisch-islamischen Religionsvereins Ditib. Mit gut 10.000 Pkw am Tag war die Venloer seit Langem eine Hauptverkehrsachse, die auch die meistfrequentierte Fahrradstrecke der Millionenstadt ist. Die Dauerzählstelle dort zeigte 2022 5500 Fahrradfahrer*innen am Tag an. Bei diesem Treiben wundert es nicht, dass die Venloer einer der Unfallschwerpunkte Kölns ist – und in einer Analyse der „Allianz Direct“ sogar als einzige Straße in NRW unter den zehn gefährlichsten Straßen des Landes rangierte. „Wir sind da als Kommunalpolitik gefragt, das hat vordergründig auch gar nichts mit Verkehrswende zu tun. Wir mussten das entschärfen“, sagt Volker Spelthann (Bündnis 90/Die Grünen), Bezirksbürgermeister in Ehrenfeld.

Im Laufe des Jahres 2023 machte die Venloer Straße einen oft sehr unsortierten Eindruck, was auch an Baumaßnahmen in anliegenden Straßen lag. In Ehrenfeld war das Durcheinander Dauerthema.

Alles auf sechs Meter gequetscht

Die Problematik ist seit Langem bekannt. Die Venloer war, man kann es so klar sagen, ein Alptraum für alle Verkehrsteilnehmerinnen. Sie führte gleich neben dem Fußgängerweg einen baulich getrennten, schmalen Radweg neben der Fahrbahn, die einspurig in jede Richtung ausgelegt ist. 2009 brachte die Stadtverwaltung Piktogramme für Radfahrerinnen auf dem Asphalt auf, denn der Radweg war inzwischen in einem sehr schlechten Zustand. Ab 2010 dann ließ die Verwaltung die Straße umbauen. Am Rand ist die Straße mit vier Reihen Steinen gepflastert, daneben verläuft ein rot gefärbter Schutzstreifen für die Radlerinnen. Diese Gestaltung führte ein Maximum an Verkehrsteilnehmerinnen auf engen Raum. Über Jahre wuchsen der öffentliche Druck und die Unzufriedenheit mit dieser Lage. Bezirksbürgermeister Spelthann spricht von einer „Lebenslüge“ der vergangenen 15 Jahre. Hier habe die Verwaltung alles auf sechs Meter Breite gequetscht. „Politische Gremien und Verwaltung haben dann immer eine große Lösung aus einem Guss angestrebt, bei der alles passen sollte.“ Deswegen habe sich nichts bewegt in der Politik, und so gelinge auch Verkehrswende nicht.

„Ohne den Verkehrsversuch wären wir erst in fünf Jahren, wo wir sind.“

Volker Spelthann, Bezirksbürgermeister Ehrenfeld

„Realer Irrsinn“ Verkehrsversuch

Am 8. November 2023 traf man den Kommunalpolitiker aber an einem windigen Herbsttag in gelöster Stimmung an. Der Grüne, studierter Wirtschaftsgeogeograf, war Beobachter eines Pressetermins der Stadt Köln. Neben einer Kebab-Bude auf einem Platz neben der Venloer Straße und mitten im Mittagstrubel informierte die Stadtverwaltung über ein Projekt, das hohe Wellen geschlagen hat. Spelthann kam mit einer klaren Meinung: „Ohne den Verkehrsversuch wären wir erst in fünf, sechs Jahren da, wo wir jetzt sind“, sagte der gut gelaunte Bezirksbürgermeister. Und das ist schon erstaunlich, denn die Venloer Straße hatte gerade in den zurückliegenden Monaten noch einmal richtig viel Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur die lokalen Medien hatten im Laufe des Jahres 2023 über ein großes Durcheinander berichtet, das hier ausgebrochen war. Im NDR gab es einen Bericht mit dem Titel „Realer Irrsinn“, Kabel 1 zog über „Chaos auf der Straße“ her. Wer die Venloer im Frühling oder Sommer nutzte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die ohnehin überlastete Verkehrsmeile hatte noch chaotischere Züge angenommen als ohnehin schon. Einen erheblichen Anteil daran hatten die Behörden, die eigentlich für Orientierung sorgen sollten.

Vorstoß aus der Kommunalpolitik

Rückblende ins Jahr 2021. Damals gab es nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen einen politischen Vorstoß in der Stadt. Der Verkehrsausschuss und die Bezirksvertretung 4 (Ehrenfeld) beauftragten die Verwaltung mit der Einrichtung eines Verkehrsversuchs. Vorausgegangen war in Ehrenfeld die Arbeit an einem Radverkehrskonzept, im Mai 2021 beschloss die Bezirksvertretung dann das neue Ziel: Die Venloer sollte zur Einbahnstraße werden. Zudem sollte ein „verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“ eingerichtet werden, mit Tempo-20-Zone und „Shared Space“ an verschiedenen Schlüsselstellen auf der Straße zwischen Ehrenfeldgürtel und Innerer Kanalstraße. Dieser politischen Forderung lag die Einschätzung eines Gutachters zugrunde. Er hatte vor allem die Einrichtung dieses Tempo-20-Segments für einen großen Wurf gehalten: „Dies hat unter den Einzelmaßnahmen die höchste Entlastungswirkung und weist zudem, anders als bei der reinen Einbahnstraßenführung, weniger negative Auswirkungen in Bezug auf die kleinräumige Verlagerung in die umliegenden Wohnstraßen auf“, so lässt es sich in der Beschlussvorlage des Verkehrsausschusses nachlesen.

Vorschrift ist Vorschrift: Während der ersten Phase des Verkehrsversuchs hob die Verwaltung mit gelber Farbe die Wirkung vorheriger Verkehrszeichen auf. Das führte zu Fehlwahrnehmungen im Alltag.

Gelbe Farbe sollte es richten

Zwei Jahre später lässt sich feststellen, dass die Einschätzung des Gutachters und die Realität des Kölner Straßenverkehrs miteinander kollidiert sind. Der Verkehrsversuch, den die Verwaltung infolge des politischen Beschlusses startete, lieferte Durcheinander auf Stein und Teer. „Im Verfahren gab es auch immer wieder Überraschungen. So scheint es bei vielen Stellen eine ungenügende Kenntnis der Straßenverkehrsordnung gegeben zu haben“, kommentiert Christoph Schmidt, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs in Köln. Er war es, der den Vorstoß zur Einbahnstraße im Facharbeitskreis des damaligen Radverkehrskonzepts Ehrenfeld ins Rollen brachte. Was sich dann in der Realität zeigte, war allerdings eher ein politischer Kompromiss, der die Menschen in Desorientierung stürzte. Schmidt erklärt, was falsch gedacht war: „Auch in einem verkehrsberuhigten Geschäftsbereich hat man keinen Shared Space, auch wenn das oft anders verstanden wurde.“ So war die Fahrbahn eben weiterhin Fahrbahn, aber viele Menschen verstanden das falsch. Die Tempo-20-Zone ging mit einer Rechts-vor-links-Regelung einher, doch auch das setzte sich nicht durch im Verkehrsgeschehen. Plötzlich rollten also Kraftfahrzeuge und Radler durch einen Verkehrsversuch, auf dem andere Regeln galten als zuvor – bei gleicher Verkehrslast. Es kam hinzu, dass die Straßenverkehrsbehörden der Bezirksregierung und der Stadt eher „konservativ“ (Schmidt) auf die Regeln der Straßenverkehrsordnung und der Verwaltungsverordnungen bestanden. Im Ergebnis waren die weißen Fahrradpiktogramme auf der Straße mit gelber Farbe überstrichen, Ampeln abgeschaltet, Verkehrsteil-nehmer*innen verwirrt. Die Logik dahinter: Gelb sticht Weiß. Was die Verwaltungsexperten dabei nicht im Blick hatten, war die Realität des Straßenraums. Die konkrete Umsetzung des Verkehrsversuchs brachte Hohn und Empörung. „Das hat sicher nicht dazu beigetragen, dass die Lage auf der Straße übersichtlicher wurde“, sagt Schmidt heute.

Mit Schildern, Zeichen und Farbe: Seit 23. Oktober gilt eine neue Einbahnstraßenregelung. Vorher überstrichene Verkehrspiktogramme wurden nun wieder freigelegt.

Zweite Stufe ab 23. Oktober

Inzwischen hat die Stadtverwaltung nachgesteuert. Der Verkehrsversuch, so hat man es aus dem Rathaus stets kommuniziert, ist eine zweistufige Angelegenheit. Stufe eins, so ließ sich schon nach kurzer Zeit feststellen, brachte Desorientierung in den Straßenraum. Der Verkehr blieb, wie er war; die durchgestrichenen Zeichen und die gelbe Farbe auf dem Asphalt verwirrten die Menschen ebenso wie auf der Fahrbahn aufgestellte Hindernisse, mit denen der Verkehrsfluss beruhigt werden sollte. Das Ergebnis war gerade für Radfahrende eine erheblich gefährlichere Lage auf der Straße. Nun aber, mit Stichtag 23. Oktober, hat sich das Bild auf der Venloer Straße vollständig gewandelt. „Das ist eine Verzauberung“, sagt Bezirksbürgermeister Spelthann, „wer die Straße vorher kannte, sieht nicht nur eine Verbesserung, der sieht quasi eine ganz andere Straße.“

Verbesserungen fallen ins Auge

Dem Orientierungsverlust der vergangenen Monate folgt nun eine zweite Versuchsphase, in der noch mal alles neu ist. Für den Kraftverkehr gilt zwischen dem Ehrenfeldgürtel und der Piusstraße seit dem 23. Oktober eine Einbahnstraßenregelung. Radfahrende dürfen weiter in beide Richtungen fahren. Die alten Zeichen gelten wieder, die Straße ist nun auch wieder mit Tempo 30 befahrbar, auch Ampeln sind wieder angeschaltet. Wer die Straße in den Wochen seither beobachtet, erkennt augenscheinlich verbesserte Bedingungen nicht nur für die Fahrradfahrer*innen, sondern auch entspanntere Zustände für die Menschen in Pkw und Lkw. Die Straße ist ruhiger, Hindernisse sind beseitigt, statt durchgestrichener Zeichen gibt es nun vor allem Hinweise auf die Einbahnstraßenregelung. In Aussicht gestellt hat die Stadtverwaltung auch, die Markierungen für den Radverkehr noch einmal zu verbessern – gerade entgegen der Einbahnstraße ist das relevant, um diese Verkehrsteilnehmenden vor dem Kraftverkehr zu schützen. Denn trotz aller Schilder und Öffentlichkeitsarbeit: Man kann nicht davon ausgehen, dass sich die Menschen schlagartig an neue Regelungen halten und sie auch verstehen.

„Wir brauchen Anpassungen, die uns in den Kommunen mehr Möglichkeiten geben.“

Ascan Egerer, Beigeordneter für Mobilität, Stadt Köln

Erste Zwischenbilanz: Im November zog Kölns Mobilitätsbeigeordneter Ascan Egerer (M.) mit Kolleginnen aus der Stadtverwaltung ein erstes positives Fazit der neuen Einbahnregelung. Dabei stellte die Verwaltung auch ihr Partizipationsmodell vor.

Verkehrsversuch in Deutz scheiterte vor Gericht

Zur Präsentation der zweiten Phase dieses Verkehrsversuchs war auch Ascan Egerer anwesend. Für den Mobilitätsdezernenten der Stadt Köln ist das Projekt eine wichtige Angelegenheit. Zwei Wochen nach Start der Einbahnstraßenregelung sah auch er ein deutlich reduziertes Verkehrsgeschehen: „Bei dem Ziel, die Verkehrssicherheit in diesem viel befahrenen Bereich der Stadt zu erhöhen, ist es ein Meilenstein.“ Mit Verkehrsversuchen hat die Stadtverwaltung unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Für viele Autofahrer überraschend hatte sie vor einiger Zeit Poller auf der Zülpicher Straße aufgestellt, um den Durchfahrtsverkehr zu stoppen – die Maßnahme war ein großer Erfolg für den innerstädtischen Verkehr. Im Herbst kassierte Egerers Behörde dann jedoch eine gewaltige Schlappe: Ein autofreier Verkehrsversuch in Köln-Deutz ist verwaltungsgerichtlich gestoppt worden – die Sache brachte der Verwaltung massive Negativschlagzeilen.

Botschaft nach Berlin: Lockerungen im Regelwerk gebraucht

Egerer sieht ein, dass die erste Phase des Verkehrsversuchs problematisch war. „Die Menschen haben manches nicht verstanden. Das hat zu Verwirrung geführt.“ Man habe darum sehr schnell nachgesteuert. Mitnichten gehe es seinen Leuten in der Verwaltung darum, überhaupt erst Verwirrung aufkommen zu lassen, um dann eine einfache Lösung durchzubekommen. Doch Egerer leitet daraus auch ein Problem ab. „Das ist genau der Punkt, den wir auch weitergeben müssen, auch in Richtung Berlin, dass wir da Anpassungen brauchen, die uns in den Kommunen mehr Möglichkeiten geben.“ Es brauche Lockerungen im Regelwerk, weil sonst lokale Verkehrswende-Maßnahmen nicht möglich oder in angestrebten Kombinationen „nicht vorgesehen“ sind. Und wenn die Fachleute aus der Verwaltung an Orientierung denken, sind sie vielleicht oft überrascht darüber, dass die Nutzer*innen der Straßen damit nicht klarkommen. So war es eben auch mit der Regel „rechts vor links“ während Stufe 1 – sie müsste eigentlich jedem bekannt sein, wurde aber nicht praktiziert. Egerer sieht das inzwischen ein. Das Beispiel zeige vielleicht auch, dass es auf der Venloer einfach zu unübersichtlich war. „Es ist ja ein lebhafter Raum hier. Hier ist viel los, hier ist es bunt, hier sind viele Menschen unterwegs. Da muss man genau hingucken, denn wir haben auch jetzt den Raum wirklich sicherer machen wollen.“

Erste Stufe als „politischer Zaubertrick“

Politisch lässt sich allerdings festhalten, dass erst Durcheinander herrschen musste, um zu der neuen Lösung zu gelangen. Die Stufe 1 mit „verkehrsberuhigtem Geschäftsbereich“ war ein bundesweites Kuriosum. Sie war aber, so sagt es Bezirksbürgermeister Spelthann, auch ein „politischer Zaubertrick“. Gern hätte man im grünen Milieu und bei Radfahrer*innen direkt die Einbahnregelung gehabt. Aber dafür hätte es keine Mehrheiten gegeben. Und so machten die Vorkämpfer für eine veränderte Venloer Straße Zugeständnisse, um ans Ziel zu kommen. Diejenigen, die einer Einbahnstraße gegenüber skeptisch waren, konnten mit dem zweistufigen Verfahren leben. Und nun, mit Stufe zwei, entfalte der eigentliche Plan seine Wirkung.

Erweiterte Beteiligung der Öffentlichkeit

Aber was halten die Menschen von diesem Ergebnis politischer Taktik? Die Verwaltung hat das, nach einer eher kritikwürdigen Beteiligung in der ersten Phase, jetzt zum wichtigen Thema gemacht. Das „Meinungs-Mobil“ der Verwaltung ist auf der Venloer anzutreffen, die Mitarbei-terinnen sammeln Rückmeldungen aus der Bevölkerung, auch online kommt Feedback an. Begleitet wird diese Phase von Workshops, in denen Bürgerinnen mitwirken. So soll der Versuch um sich greifen. Christoph Schmidt vom ADFC sieht das mit Genugtuung. „Vor der ersten Phase des Verkehrsversuchs hat man die Öffentlichkeit nicht gut mitgenommen“, sagt er, das habe sich nun wie schon seinerzeit beim Radverkehrskonzept geändert. „Die Verwaltung hat hier alle Akteure eingebunden, spricht die Öffentlichkeit an. Da wurde nichts durchgeboxt, es hat das Potenzial, dass sich so Legitimation erhöht.“ Und das geht natürlich nur, wenn die Leute sich auch auf der Venloer Straße zurechtfinden.


Bilder: stock.adobe.com – tashalex, Tim Farin

Für eine gelungene Verkehrswende ist ein intensiver Austausch wichtig. Auf der PolisMobility konnten Fachbesucher*innen, die Aussteller und die Öffentlichkeit diesen finden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Ein Verkehrssystem zu verändern, kann nur im Miteinander funktionieren. Der Radverkehr ist dabei ein zentraler Baustein und hat einen entscheidenden Vorteil, sagt Jessica Strehle, Fachbereichsleiterin Stadtentwicklung, -planung und Mobilitätsinfrastruktur bei der Stadt Aachen. „Radverkehr ist die Mobilitätsart, die Tempo bringt.“ Dennoch muss auch der Radverkehr als Netz geplant und mit dem Fußverkehr im Einklang sein.
Große Stadtplanungsfragen betreffen selten nur einen Verkehrsträger. Bei der PolisMobility in Köln trafen die verschiedenen Modi deshalb aufeinander. Die Veranstaltung versteht sich als 3-in-1-Event. 160 Aussteller und Partner präsentierten auf der Expo ihre Produkte und Lösungen. 200 Speakerinnen bespielten vom 24. bis 26. Mai ein umfangreiches Konferenzprogramm. Am anschließenden Wochenende fand zusätzlich das PolisCamp auf Aktionsflächen in der Kölner Innenstadt statt und brachte die Konferenzthemen in die Öffentlichkeit. Die drei Angebote nahmen insgesamt rund 17.000 Besucherinnen wahr.

Sektorübergreifend handeln

Der Dialog darüber, mit welchen Maßnahmen Städte und Kommunen sich mobilitätsgerecht und lebenswert entwickeln können, war bei der PolisMobility interdisziplinär angelegt. Mobilität sei ein Schnittstellenthema und erfordere gemeinsames, sektorübergreifendes Handeln, so Oliver Frese, Geschäftsführer der Koelnmesse. „Die PolisMobility hat in einem Jahr einen deutlichen Reifeprozess durchlaufen und an Relevanz noch weiter zugelegt. Nicht zuletzt hat die klare Ausrichtung auf die kommunalen Gestalter der Mobilitätswende dem Messevent noch einmal einen wichtigen Schub gegeben. Als relevante Dialogplattform ist uns gelungen, Entscheider der öffentlichen Hand mit Lösungsanbietern in den Austausch zu bringen und damit nachhaltige Impulse für eine mobilitätsgerechte, urbane Zukunft zu setzen.“
Die kommunalen Gestalter*innen waren auch im Kontext der Expo vertreten. Der Ausstellungsbereich Cities + Regions ermöglichte es, sich mit öffentlichen Entscheidungsträgern auszutauschen. Insgesamt zog die PolisMobility sehr verschiedene Aussteller an, etwa aus dem Dienstleistungsbereich, von Verbänden oder E-Mobilitäts-Unternehmen. Durch die inhaltliche Klammer der Infrastruktur sind diese miteinander verbunden, erklärt Prof. Dr. Johannes Busmann, Geschäftsführer des Verlags Müller + Busmann, der die Konferenz inhaltlich ausgestaltete. „Als öffentliche Angelegenheit bildet die Mobilität der Zukunft die Grundlage einer lebenswerten, nachhaltigen Entwicklung und Gestaltung der Städte und Regionen. Neben technologischen Innovationen sind für diese Transformation eine leistungsfähige Infrastruktur, die nur gemeinsam mit den Kommunen und der öffentlichen Hand nachhaltig bereitgestellt werden kann, sowie attraktive Angebote, die das Leben der Menschen erleichtern, notwendig.“
Im Rahmen der PolisMobility fanden auch die Hauptversammlung des Deutschen Städtetages, der Kongress der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW (AGFS) sowie die Fachkonferenz Cargo Bike Sharing Europe statt. Im kommenden Jahr soll die PolisMobility erneut im Mai stattfinden.


Bild: Sebastian Gengenbach

Jahrzehntelang wurden Fußgänger*innen mit Restflächen abgespeist. Das funktioniert nicht mehr. Wenn die Mobilitätswende gelingen soll, brauchen die Städte mehr Grün und attraktive Wege in jedem Quartier. In Köln soll nun Nico Rathmann als erster Fußverkehrsbeauftragter den öffentlichen Raum fit machen für mehr Fußverkehr. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2022, Sept. 2022)


Auch wenn die Autos ausgesperrt werden, wie hier in der Ehrenstraße, bedeutet das noch nicht das Ende der Konflikte zwischen Verkehrsteilnehmern. Auch Radfahrerinnen und Fußgängerinnen kommen sich dort immer wieder in die Quere.

Herr Rathmann, Sie sind Kölns erster Fußverkehrsbeauftragter. Gehört zu Fuß gehen zu Ihrer Jobbeschreibung?
Das fragt tatsächlich jeder. Aber nein, gehört es nicht. Ich lebe seit März wieder im Rheinland und lerne nun im Laufe der Zeit die Stadt besser kennen. In meiner Rolle als Fußverkehrsbeauftragter werde ich allerdings in den kommenden Monaten in verschiedenen Stadtteilen in Anlehnung an das Wiener Konzept der Geh-Cafés Stadtspaziergänge organisieren. Das sind Stadtrundgänge mit Experten, etwa vom Fuss e.V. (Fachverband Fußverkehr Deutschland, Anm. d. Red.) und mit Anwohner*innen. So verschaffe ich mir einen Überblick, wo es beim Fußverkehr in Köln hakt.

Wie geht man vor, wenn zügig ein flächendeckendes Fußverkehrsnetz für eine Großstadt wie Köln entstehen soll?
Um schnell in die Umsetzung zu kommen, müssen wir zunächst definieren, was guten Fußverkehr ausmacht. Daraus entwickeln wir Standards und Maßnahmen, die wir stadtweit umsetzen. Die Basis dafür ist eine gute Datengrundlage. Die haben wir aber noch nicht.

Welche Daten brauchen Sie?
Uns interessiert beispielsweise, wie viele Menschen täglich in den Straßen unterwegs sind und wie die Flächen verteilt sind. Paris erhebt unter anderem die Breiten der Gehwege seit Jahren. Sie haben ein sehr ausgeklügeltes System entwickelt. Auf digitalen Karten erkennen Planer*innen allein anhand der Farbe, wie breit der Gehweg vor Ort ist. Paris erfasst zudem das Stadtmobiliar. Also die Bänke und Pflanzkübel, aber auch Tische und Stühle, die Cafés und Restaurants auf Fußwegen platzieren. Das sind Basisdaten, um ein sinnvolles Fußverkehrsnetz zu erstellen.

Scanfahrzeuge und Software-Experten können diese Daten relativ zügig per Video erheben, indem sie die Straßen abfahren, die Straßenquerschnitte filmen und mithilfe Künstlicher Intelligenz das Videomaterial gezielt auswerten. Werden Sie dieses Vorgehen auch in Köln nutzen?
Das beschreibt eine Lösung. Wie wir vorgehen, werde ich mit dem neuen Amtsleiter besprechen, der im August sein Amt antritt.

Müssen sämtliche Daten erhoben werden, bevor in Köln erste Veränderungen pro Fußverkehr umgesetzt werden?
Der Wandel braucht tatsächlich Zeit. Aber wir arbeiten mehrgleisig. Ein wichtiger Baustein könnte hier zum Beispiel sein, zügig ein flächendeckendes digitales Schulwegenetz zu erstellen. Dazu brauchen wir zwar ebenfalls Daten, aber sie können relativ schnell erhoben und ausgewertet werden. Diese Daten können ganz klassisch durch eine Befragung an Grundschulen erhoben werden. Eine modernere Version, um Schulwege zu kartieren, hat der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Frühjahr mit dem Startup FixMyCity umgesetzt.

Wie hat FixMyCity das digitale Schulwegenetz erstellt?
Das Startup hat die anonymisierten Wohnorte von 17.000 Sechs- bis Dreizehnjährigen aus Friedrichshain-Kreuzberg mit den kürzesten Wegen zur nächstgelegenen Schule und zum nächsten Spielplatz verknüpft und auf einer Karte visualisiert. Im nächsten Schritt wurden weitere Parameter hinzugefügt wie etwa Ampeln, Ze-brastreifen, Unfallzahlen oder die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Mit diesen Daten wurden verschiedene interaktive Karten erstellt, die Hauptrouten der Schüler*innen zeigen und an welchen Stellen der Handlungsbedarf am größten ist. Kinder verunfallen nämlich am häufigsten, wenn sie die Straße überqueren. Mit einer guten Datengrundlage kann der Bedarf für eine Querungshilfe besser abgeschätzt und schlussendlich auch transparent priorisiert werden.

Ist das nicht ein sehr eingeschränkter Blick auf den Fußverkehr? Wie repräsentativ ist die Auswertung der Schulwege für alle übrigen Alltagswege?
Die Erhebung von Schulwegen sollte immer ein integraler Bestandteil eines Fußwegenetzes sein. Kinder gehen täglich immer die gleichen Wege. Anders als Seniorinnen oder Pendlerinnen. Deshalb sind Schulwege eine gute Basis für ein Fußwegenetz. Köln hat fast 150 Grundschulen in 86 Stadtteilen. Erstellen wir für sie Schulwegenetze, decken wir eine große Fläche in der Stadt ab. Hinzu kommt, dass Grundschulkinder besonders schutzbedürftig sind. Aufgrund ihrer Größe haben sie einen schlechteren Überblick im Verkehr. Allein aus diesem Grund sollten wir sie auf ihren Wegen besonders schützen. Verbesserungen auf Schulwegen kommen schlussendlich allen Fußgänger*innen zugute.

Zurück zu den Stadtspaziergängen. Welche Daten werden Sie dort erhalten und wie wollen Sie sie nutzen?
Mir schwebt vor, einen Steckbrief zu erstellen, der den groben Zustand des Bezirks beschreibt und aufzeigt, welche Kosten entstehen und welchen Effekt eine Maßnahme auf den Fußverkehr hat. Mängel können beispielsweise zu hohe Bordsteine sein, fehlende Querungen, fehlende Bänke oder zugestellte Gehwege. Wichtig ist: Mir geht es nicht um individuelle Verbesserungen an einer Straßenecke oder um die Absenkung eines bestimmten Bordsteins in einem Bezirk. Wir agieren stadtweit. Wir müssen grundlegende Qualitätsstandards festlegen und ein Gesamtkonzept entwickeln. Dafür ist Transparenz wichtig. Die Menschen müssen verstehen, warum wir an manchen Kreuzungen Bordsteine absenken oder Zebrastreifen einrichten und an anderen nicht. Dafür brauchen wir Daten. Unsere Richtlinie, um Entscheidungen zu treffen, ist beispielsweise die Zahl der Menschen, die in den Straßen unterwegs sind, aber auch die Zahl der Autos, die Durchschnittsgeschwindigkeit, die dort herrscht, oder die Unfallhäufigkeit. Wir treffen keine individuellen Entscheidungen, sondern beschließen immer auf Basis der Datenlage vor Ort.

Gibt es eine Stadt, die beim Fußverkehr heute bereits viel richtig macht?
Paris. Wir kennen alle die schönen breiten Boulevards, wo Fußgänger*in-nen wirklich viel Platz haben. Wenn man dort durch die Innenstadt geht, findet man an fast jeder Kreuzung einen Zebrastreifen, selbst in den kleinen Seitenstraßen. Das macht den Menschen das Queren unkompliziert und komfortabel. Der Fußverkehr wird in Paris immer mitgedacht. Dort werden die Fußwege zudem konsequent freigehalten. Sharing-Fahrzeuge, vom Fahrrad bis zum Scooter müssen alle auf der Straße parken.

„Die Basis für Standards und Maßnahmen ist eine gute Datengrundlage. Die haben wir aber noch nicht.“

In Köln werden die Gehwege teilweise von Autos zugeparkt, sodass Fußgängerinnen auf die Straße ausweichen müssen. Gehen Sie mit der Fußverkehrsstrategie dagegen vor?
Wenn die Mindestbreiten für Fußgängerinnen nicht mehr eingehalten werden, könnte das Gehwegparken untersagt werden. Aus meiner Sicht wäre das ein faires Verfahren und außerdem eine sehr transparente Entscheidung.

Was verstehen sie genau unter Mindestbreiten?
Die genauen Standards werden wir für Köln noch festlegen. Aber Rollstuhlfahrer*innen oder auch Eltern mit Kinderwagen sollten auf Gehweg bequem unterwegs sein. Je nach Frequenz des Fußverkehrs in manchen Straßen könnte das Parken stellenweise auch komplett unterbunden werden. Aber auch für derlei Entscheidungen ist eine gute Datengrundlage notwendig. Diese Entscheidungen fallen auch nicht von heute auf morgen, sondern im Rahmen von Fünf- bis Zehnjahresplänen.

Köln hat bereits mit dem Umbau pro Fußgängerinnen in der Innenstadt begonnen. Beispielsweise in der Ehrenstraße, einer einspurigen beliebten Einkaufsstraße in Domnähe. Sie war immer stark befahren, inzwischen sind die Autos hier weitestgehend ausgesperrt und Radfahrerinnen und Fußgängerinnen teilen sich die Straße. Ist das für Köln ein Ansatz mit Zukunft?
Das beobachten wir gerade. Zur Ehrenstraße landen immer wieder Beschwerden von Fußgängern und Fußgängerinnen auf meinen Schreibtisch. Offiziell ist die Straße eine Fußgängerzone, in der Radfahren erlaubt ist. Momentan kommen sich Radfahrerinnen und Fußgänger*innen dort jedoch immer wieder in die Quere. Aus meiner Sicht ist dieser Konflikt bei temporären Maßnahmen ein zu erwartender Effekt, weshalb am Anfang die gegenseitige Rücksichtnahme noch mehr gefragt ist als sonst. Da der Raum noch nicht selbsterklärend ist, wird es noch eine Weile dauern, bis sich alle an die neue Situation gewöhnt haben. Dennoch ist die Maßnahme richtig: Den Menschen wird Raum zurückgegeben und genau das ist das Ziel.

Paris sperrt eine seiner Prunkstraßen, die Champs Élysées, einmal im Monat für den Autoverkehr. Dann gehört er ausschließlich den Menschen. Ist das auch in Köln denkbar?
In Paris ist das wahrscheinlich leichter umzusetzen. Die kurzzeitige Sperrung ist ein schönes Konzept, um Dinge auszuprobieren und den Menschen zu zeigen, wie viel Raum in der Stadt tatsächlich zur Verfügung steht. Bei solchen Angeboten ist die Regelmäßigkeit entscheidend. Die Menschen müssen die Gelegenheit bekommen, den Raum für sich zu entdecken und zu bespielen. Wenn wir den Fußverkehr stärken und attraktiver gestalten wollen, geht es genau darum: Attraktive Räume in der Stadt zu schaffen, die die Allgemeinheit in Besitz nimmt.

Köln hat im Zentrum sehr viele schmale Straßen. Am Friesenwall, einer Nebenstraße der Ehrenstraße, haben Ihre Kollegen mit einem Multifunktionsstreifen die Gehwege bereits frei geräumt. Werden Sie das Konzept weiterführen?
Das Konzept wird bereits auf weitere Fahrradstraßenabschnitte ausgeweitet, voraussichtlich noch in diesem Jahr wird der Mauritiuswall nach dem gleichen Prinzip umgestaltet.
Der Multifunktionsstreifen ist ein cleverer Schachzug für schmale einspurige Straßen wie den Friesenwall. Dort hatte vor dem Umbau niemand so richtig Platz. Anwohnerinnen und Besucherinnen haben in beide Richtungen am Fahrbahnrand geparkt und den Gehweg blockierten Fahrräder, Mülleimer und Parkscheinautomaten. Der Friesenwall ist Bestandteil des Fahrradstraßennetzes, deshalb musste die Fahrbahn frei geräumt werden. Dabei hat die Analyse der Parkdaten geholfen. Die Kolleginnen haben festgestellt: Selbst wenn die Zahl der Stellplätze halbiert würde, wären für die Anwohnerinnen noch ausreichend Stellplätze vorhanden. Gäste und Besucher*innen könnten in die umliegenden Parkhäuser ausweichen. Aufgrund dieser Analyse wurde das Parken am linken Fahrbahnrand abgeschafft und der Multifunktionsstreifen installiert.

Das ist ein etwa handtuchbreiter Streifen …
… am linken Fahrbahnrand, der alles beherbergt, was vorher auf dem Gehweg störte: Parkscheinautomaten, Verkehrsschilder und Mülleimer. Außerdem wurden dort Fahrradbügel aufgestellt, sowie Blumenkübel und Sitzmöglichkeiten. Jetzt sind die Gehwege frei und Falschparken unmöglich. Schöner kann man kaum Platz schaffen.

Vorher-Nachher: Ein Multifunktionsstreifen schafft auf dem Friesenwall mehr Platz auf dem Gehweg.

Köln hat im Zentrum recht wenig Grünflächen. Die vergangenen Wochen und Monate haben nochmals gezeigt: Die Sommer werden heißer und längere Hitzeperioden setzen den Städten besonders zu. Wie wollen sie Kölns Straßen für die Fußgängerinnen kühlen?
Sie haben recht: Die Sommer werden länger. Sie beginnen im Mai und enden im Oktober. Deshalb brauchen wir zukünftig mehr Grün in den Straßen. Allerdings müssen die Straßenquerschnitte den Umbau auch erlauben. Kölns Straßen sind an vielen Stellen sehr schmal. Dort, wo wir nicht begrünen können, müssen wir uns mit Alternativen, etwa mit Sonnensegeln behelfen. Wir werden langfristig darüber nachdenken müssen, Schattenwege in den einzelnen Quartieren zu schaffen. Damit die Fußgängerinnen auch im Hochsommer vor der Sonne geschützt unterwegs sein können. Trinkbrunnen können trotz der hohen hygienischen Anforderungen eine weitere Möglichkeit sein, um mit den zukünftigen Hitzewellen besser umzugehen.

Erfordern der Klimawandel und die notwendigen Anpassungen an große Hitze und Starkregen von Ihnen bei der Umsetzung einer Fußverkehrsstrategie noch mehr Tempo?
Auf jeden Fall. Wir wollen viele Wege ersetzen und vermeiden, die mit dem Auto zurückgelegt werden. Dafür muss zu Fuß gehen deutlich attraktiv werden. Es gibt also viel zu tun.

Infos zur Person

Nico Rathmann (38) arbeitet seit März als Fußverkehrsbeauftragter in Köln. Der Diplom-Geograf hat in Köln studiert. Zuvor war er bereits in Heidelberg (fünf Jahre) zuständig für den Fußverkehr beim Verkehrsmanagement der Stadt.


Bilder: Stadt Köln, Andrea Reidl, verenaFOTOGRAFIERT

Was bürgerliches Engagement alles für eine Stadt bewegen kann, das hat Reinhold Goss, frisch gewählter „Bicycle Mayor“ in Köln, bereits als Mitinitiator und Sprecher der Initiative #RingFrei bewiesen, die 2019 mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet wurde. Aber das soll erst der Anfang sein. Für ihn kann und sollte Köln mithilfe von breitem zivilgesellschaftlichen Engagement bis 2025 Fahrradhauptstadt werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


In seiner Freizeit ist Reinhold Goss gerne auf dem Rad unterwegs – hier auf der Critical Mass mit einem E-Cargobike des Kölner Sharinganbieters Donk-ee.

Wie kommt man zum Ehrenamt als Bicycle Mayor von Köln und was sind Ihre Ziele?
Es gab viele Menschen, die mich dabei unterstützt haben. Ich freue mich sehr, für zwei Jahre diesem global agierenden Netzwerk anzugehören, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Ausbau des Radverkehrs in Städten zu beschleunigen, indem die Rolle der Zivilgesellschaft besonders hervorgehoben wird. Ich bin übrigens zusammen mit Dr. Ute Symanski, die als Mitinitiatorin der Radkomm-Konferenz und der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ bekannt ist, als Doppelspitze für dieses Amt angetreten. Leider war das aber aus formalen Gründen nicht möglich. Zu den Zielen: Das größte ist sicherlich, Köln bis 2025 zur deutschen Fahrradhauptstadt zu machen.

Köln ist nicht nur als Standort für Automobilbauer und Motorenproduzenten, sondern auch sonst als Autostadt bekannt. Ist das Ziel Fahrradhauptstadt nicht sehr ambitioniert?
Köln hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer autogerechten Stadt entwickelt. Damals wurden die engen Straßen radikal verbreitert und der Autoverkehr hatte Vorrang vor allem anderen. Inzwischen sehen das die Menschen in der Innenstadt anders, über 60 Prozent der Haushalte haben kein eigenes Auto mehr. Dazu kommt, wenn wir den Klimaschutz und die vereinbarten Ziele ernst nehmen, dann sind wir praktisch zum Erfolg verdammt. 2019 war das heißeste Jahr in der Geschichte Europas und Köln war, gemessen an der Durchschnittstemperatur, der wärmste Ort in Deutschland. Wir müssen die Stadt also für die Zukunft konsequent umbauen, unter anderem mit mehr als 50 Prozent Radverkehr und doppelt so vielen Bäumen.

Die gleiche Stelle an den Kölner Ringen. Nach der Umgestaltung gibt es einen klar sichtbaren geschützten Raum für Radfahrende.

Wie würden Sie Ihre Ziele als Fahrradbürgermeister am besten beschreiben?
Fortbewegung muss Spaß machen oder zumindest als angenehm empfunden werden, egal ob es um den Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen oder zu Freunden geht. Dafür brauchen wir eine Infrastruktur, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt – eine solche Infrastruktur verzeiht Fehler. Das ist wirklich wichtig! Außerdem kennt jeder das Sprichwort: „Man kann einem alten Hund keine neuen Tricks beibringen“ – es beschreibt ganz gut unsere besondere Verantwortung, sichere Möglichkeiten für Kinder zu schaffen, ihre Stadt zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu entdecken.

Wollen die Menschen in der Stadt überhaupt mehr Radverkehr?
In den letzten Jahren hat sich hier eine Menge für den Radverkehr getan. Die laufende Umgestaltung der Kölner Ringe auf 7,5 Kilometern mit breiten Fahrradwegen und durchgehend Tempo 30 war sicher ein wichtiger Meilenstein. Wen ich heute mit den Menschen spreche, dann ist mein Eindruck, niemand will zurück. Die allermeisten wollen sogar, dass es schneller vorangeht beim Umbau hin zu mehr Radwegen, auf denen sich auch Schüler und Senioren sicher fühlen, und hin zu mehr Lebensqualität.

Vielfach wird darüber geklagt, dass die Stadt unattraktiver würde, wenn man das Autofahren zurückdrängt.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen intelligenter mit dem zur Verfügung stehenden Raum umgehen. Ein Beispiel: Vielfach wird die potenziell mangelnde Erreichbarkeit von Geschäften per Auto als kritisch angesehen. Dabei zeigen die Daten, dass ein bedeutender Teil des Verkehrs in der Innenstadt reiner Durchgangsverkehr ist. Im Klartext: Wenn es auf der Autobahn einen Stau gibt, leitet das Navi die Autofahrer mitten durch die Stadt. Und was die Parkplätze angeht. zeigen Untersuchungen, dass die Parkhäuser nicht ausgelastet sind, während auf der Straße auch Fahrradstreifen und Lieferzonen zugeparkt werden. Hier spielen sicher das oft geringe Entdeckungsrisiko und niedrige Bußgelder eine Rolle.

Manche Geschäfte klagen, ihr Kunden könnten sie nicht mehr erreichen.
Für mich gehört das mit zu den immer wieder gerne wiederholten Mythen. Kurz vor einem Ladengeschäft zu parken, ist auch heute legal praktisch unmöglich und andere Städte wie Maastricht zeigen, dass die Menschen sehr gerne vom Parkhaus zu Fuß zum Geschäft gehen und die Aufenthaltsqualität genießen. Auch hier ändert sich inzwischen einiges, denn die Ladenbesitzer registrieren sehr genau, dass ein besseres Umfeld zu höheren Umsätzen führt. Dazu kommt, dass sie auch selbst gerne mit dem Fahrrad kommen und die Situation damit durch eine neue Brille sehen.

„Wir müssen die Stadt für die Zukunft konsequent umbauen, unter anderem mit mehr als 50 Prozent Radverkehr und doppelt so vielen Bäumen.“

Mehr Platz für Radfahrende durch bis zu 2,50 m statt 0,95 m Breite und mehr für zu Fuß Gehende durch die Führung auf der Straße.

Aktuell hat man den Eindruck, dass Konflikte zwischen Autofahrenden und Radfahrenden, aber auch zwischen Radfahrenden und zu Fuß Gehenden zunehmen. as kann man dagegen tun?
Grundsätzlich geht es meiner Erfahrung nach vor allem darum, mehr gemeinsame Sache zu machen und nicht zu spalten. Konkret verzeichnen wir in der Pandemie einen starken Anstieg im Rad- und Fußverkehr. Das führt natürlich zu Konflikten, wenn es nicht mehr Raum gibt. Das haben wir übrigens auch vorher schon auf den Kölner Ringen so gesehen. Wichtig ist auch, zu realisieren, dass wir alle Fußgänger sind und viele sowohl Auto- und Radfahrer. Lösungen wären relativ schnell möglich. So könnten zum Beispiel schnell Pop-up-Radwege eingerichtet werden, um die Situation auf gemeinsam genutzten Wegen zu entspannen. Für mehr Sicherheit könnte Tempo 30 angeordnet werden und mehr Fahrradstraßen könnten entstehen.

Damit würde dem Autoverkehr allerdings wieder Platz weggenommen. Ist das akzeptabel?
Neben verkehrstechnischen Belangen wird es immer wichtiger auch ökologische, stadtklimatische, ökonomische, gesundheitspolitische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Dazu muss man natürlich zuerst Daten erheben und mit Zielen verknüpfen. Ein Beispiel aus der Praxis: ehrenamtliche Aktivisten erstellen regelmäßig auf Basis öffentlich verfügbarer Daten Analysen. So entstand erstmals eine Karte, auf der die Bildungseinrichtungen im Umfeld der Kölner Ringe erfasst wurden.

„Es gibt eine Menge an fachlichem Know-how und den Willen, sich in die Materie einzuarbeiten. Zudem kennen Bürger die Situation vor Ort oft am besten.“

Wie viele Bildungseinrichtungen gibt es entlang der Kölner Ringe und welche Schlüsse kann man daraus für den Verkehr ziehen?
Bei der Analyse kam man auf über 80 Bildungseinrichtungen, darunter die Technische Hochschule, eine Gesamtschule, Gymnasien, Berufsschulen und verschiedene private Bildungsträger. Viele Schüler, Studenten und Lehrkräfte kommen aus dem Nahbereich mit dem Fahrrad. Trotzdem wurde dem Durchgangsverkehr bislang eine deutlich höhere Priorität eingeräumt. Das müssen wir schnell ändern.

Brauchen Städte mehr Mitarbeit von ehrenamtlichen Aktivisten?
Wenn man schnelle Veränderungen anstrebt, und die brauchen wir, wenn wir auf die Klimaziele schauen, dann auf jeden Fall. Die Kommunen haben einen Schatz an Menschen und Ideen. Es gibt eine Menge an fachlichem Know-how und den Willen, sich in die Materie einzuarbeiten, zum Beispiel beim ADFC, beim VCD oder beim Verein Fuß e. V. Zudem kennen Bürger die Situation vor Ort oft am besten.

Wie kann man das ehrenamtliche Engagement mit einbinden?
Unsere Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat eine Verwaltungsreform angeschoben, die vieles verbessert. Darüber hinaus gibt es die berechtigte Forderung nach mehr Offenheit der Verwaltung nach außen, um das enorme Potenzial zu heben und deutlich schneller voranzukommen bei der Planung und Umsetzung. Es lohnt sich, mit möglichst vielen Gruppen, Parteien und Organisationen in den Dialog zu treten und zu bleiben. Man könnte zum Beispiel Aktivisten ein Planungsbüro zur Seite stellen, um zu konkreten und fachlich fundierten Vorschlägen zu kommen.

Weltweites Netzwerk der Fahrradbürgermeister

Das Bicycle Mayor Network ist nach eigener Definition eine globale Initiative, um den Fortschritt des Radverkehrs in Städten zu beschleunigen, indem es die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Durchsetzung dauerhafter, gemeinschaftlich getragener Veränderungen hervorhebt und unterstützt. Bicycle Mayors sollen „Change-Maker“ und das „menschliche Gesicht und die Stimme der Radverkehrsförderung“ in einer Stadt sein. Dabei geht es nicht nur um Mobilität, sondern auch darum, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen, die Zahl der Verkehrstoten zu senken, Gemeinschaften zu stärken, soziale Barrieren abzubauen und einen besseren Zugang zu wichtigen Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu gewährleisten. Das Netzwerk wurde 2016 mit Amsterdams erstem Fahrradbürgermeister ins Leben gerufen und ist seitdem auf über 100 Botschafter aus Städten in mehr als 30 Ländern angewachsen.

Reinhold Goss

ist selbstständiger IT-Consultant und war lange Zeit Vorsitzender der Kölner Stadtschulpflegschaft, also der Vereinigung der Elternvertretungen aller Kölner Schulen. Zum Thema Sicherheit für Radfahrer kam der passionierte Amateur-Rennradfahrer durch mehre schwere und zum Teil tödliche Unfälle in der Kölner Innenstadt, verursacht durch abbiegende Lkws und Imponierfahrten von Autofahrern und illegale Straßenrennen. Zu den prominentesten Raseropfern gehört dabei der Sohn des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Fritz Schramma, der 2001 an den „Ringen“, der überregional bekannten Amüsier- und Flaniermeile, als unbeteiligter Fußgänger ums Leben kam.
Er ist Mitinitiator und Sprecher der mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichneten Initiative #RingFrei, die sich für Tempo 30 und einen umfassenden fahrrad- und fußgängerfreundlichen Umbau der Ringstraße entlang der ehemaligen Stadtmauer einsetzt und ist bestens auch über die Radverkehrsszene hinaus vernetzt. Als Bicycle Mayor für Köln hat sich der engagierte und ausdauernde Netzwerker unter anderem vorgenommen, den Dialog mit Organisationen zu suchen, die dem Radverkehr eher skeptisch gegenüberstehen, neue Projekte wie die Fahrradrikscha-Initiative „Radeln ohne Alter“ voranzutreiben und die Themen Vision Zero und sichere Schulwege für Kinder und Jugendliche als Ziele zu verankern.


Bilder: Radkomm – verenafotografiert.de, Reinhold Goss – privat, Reinhold Goss – #RingFrei, Qimby – Reinhold Goss – #RingFrei, Screenshot bycs.org, Reinhold Goss – privat