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1. Radlogistik-Konferenz zeigt Lösungen

Rund 200 Vertreter der jungen Lastenradbranche trafen sich mit Experten, Verbänden, Politikern und Journalisten. Darunter politische Prominenz wie Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther, Staatssekretär Steffen Bilger vom BMVI und Professor Ralf Bogdanski von der Technischen Hochschule Nürnberg. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Mit einer groß angelegten Konferenz hat der im letzten Jahr gegründete Radlogistik Verband Deutschland e.V. (RLVD) Ende Oktober in Berlin ein Ausrufezeichen gesetzt.
Die gelungene dreitägige Konferenz in Berlin inklusive vielfältigem Rahmenprogramm und der Möglichkeit, sich mit den Anbietern und verschiedenen Beteiligten auszutauschen und die neuesten Cargo-Bike-Modelle auch direkt vor Ort zu testen, zeigte eines sehr klar: Der Bedarf ist da und auch bei den Lösungsangeboten geht es mit großen Schritten voran. Die Radkurierszene nutzt ihre langjährige Erfahrung, beste Ortskenntnisse und bestehende Kundenbeziehungen und entwickelt sich mit Logistik-Know-how weiter. Dazu kommen neue Hard- und Software-Anbieter, auch aus der Automobilzulieferbranche, die genau das liefern, was die aufstrebende junge Branche braucht: Leistungsstarke E-Bike-Antriebe, neue Fahrzeugkonzepte und verschiedene Aufbauten für unterschiedliche Einsatzzwecke, hochbelastbare und weniger wartungsintensive Komponenten, Software für GPS-optimierte Tourenplanung und -Steuerung, automatische Buchungssysteme und vieles mehr.

Neue Lösungen für mehr als 4,4 Mrd. Sendungen gesucht

„Der Kurier-, Express- und Paketmarkt wächst weiter stabil – schwächelnden Konjunkturprognosen zum Trotz.“ Diese Überschrift zu einer aktuellen Studie des Bundesverband Paket- und Express-Logistik (BIEK) wird viele Unternehmen und Investoren freuen. Kommunen, Stadtbewohner, Rad- und Autofahrer dürften vom anhaltenden Wachstum der KEP-Branche weniger begeistert sein. Denn die negativen Begleiterscheinungen sind in den Städten immer deutlicher sichtbar. Ohne Veränderungen und neue Konzepte werden die Probleme vor allem in den Städten von Jahr zu Jahr immer größer – und das nicht mehr nur zur Weihnachtszeit.
Allein im Jahr 2018 wurden laut BIEK erstmals mehr als 3,5 Milliarden Sendungen transportiert – mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2000 (+108 %). Für das Jahr 2023 erwartet der Verband bundesweit 4,4 Milliarden Sendungen. Getrieben vor allem vom B2C-Sektor und hier unter anderem auch vom stark wachsenden Bereich der Lebensmittellieferung. Wie diese Menge in den Städten verteilt werden soll, ohne, dass es zu enormen Problemen kommt? Dieser Aufgabe werden sich Politik, Verwaltung und Kommunen künftig zusammen mit den Unternehmen stellen müssen.

Dringender Bedarf für neue Ansätze

Die umfassende Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle und neue Kundenerwartungen führen zu einer immer weiteren Zunahme des Lieferverkehrs in den Kommunen. Mit allen negativen Begleiterscheinungen. Allen voran die steigende Zahl an Lieferwagen, die Straßen verstopfen und zu Behinderungen und Gefahrensituationen führen, wie Experten auf dem Kongress einhellig betonten. Neue Ansätze und Lösungen sind damit gefragt, sowohl von den Verantwortlichen in den Kommunen, wie den Unternehmen der KEP-Branche (Kurier – Express – Paket) und immer stärker auch von den Einwohnern und den Bestellern selbst, so das Feedback der beteiligten Unternehmen.
Wie solche Lösungen aussehen können, zeigte unter anderem die Konferenzbegleitende Radtour zu Radlogistik-Hotspots, wie dem bislang einmaligen Forschungsprojekt „KoMoDo Berlin“, an dem sich die fünf größten nationalen Paketdienstleister DPD, DHL, GLS, UPS und Hermes auf der letzten Meile zusammen beteiligen. Dabei steht die „kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lastenrädern in Berlin“, so der Volltext, im Mittelpunkt. Ein echtes Novum in der sonst von strikter Abgrenzung und Konkurrenzkampf geprägten Branche, wie unter anderem Martin Schmidt, Geschäftsführer der Cycle Logistics CL GmbH und Vorsitzender Vorstand des Radlogistik Verband Deutschland e.V. erläuterte.

Der KEP-Markt wächst ungebremst und stärker als alle anderen Bereiche im Güterverkehrsmarkt (Straße, Schiene und Luft).

Praxistests erfolgreich, Cargobikes ready to run

Berlins Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther betonte, dass die Praxistests in Berlin gezeigt hätten, wie moderner, umwelt- und klimafreundlicher Lieferverkehr funktionieren kann. Die Berliner Senatorin hält Cargobikes für einen wichtigen Baustein, wenn es um die Neuorganisation des innerstädtischen Verkehrs geht. Noch ist die Radlogistik überschaubar. Aber die Dynamik bei Produkten, Services und Rahmenbedingungen beeindruckt. Was die neue Branche sicher auszeichnet, ist ihr Selbstverständnis, in einem hochdynamischen Markt am besten durch Kooperationen agieren und wachsen zu können. Das zeigt sich zum Beispiel bei neuen Coworking-Formen wie im „MotionLab.Berlin“, einem laut Eigenbeschreibung „Prototyping-Space für Mobilität von morgen“. Hier haben unter anderem innovative Logistik-Bike-Hersteller wie Citkar oder Ono eine Heimat gefunden haben. In der riesigen Halle, in der zur Abendveranstaltung geladen wurde, wird getüftelt, entwickelt, geschraubt und sich ausgetauscht. Mit einigem Erfolg, wie die fahrfertigen Prototypen, die vor Ort ausprobiert werden konnten, zeigten.

Lastenräder als Lösung für
die City-Logistik

„Auf der letzten Meile macht das Lastenfahrrad das Rennen“, so Prof. Dr.-Ing. Ralf Bogdanski, der an der Technischen Hochschule Nürnberg im Fachbereich Betriebswirtschaft zu Logistik und Umweltmanagement forscht.
Die Staubelastung und Verfügbarkeit von Parkplätzen für Lieferanten und potenzielle Kunden, der vielfach drohende Verkehrsinfarkt in den Städten und eine sich verschärfende Umweltproblematik stelle die Logistik vor neue Herausforderungen. Die letzte Meile müsse ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig bewältigt werden.
Hier setze das Konzept der Lastenfahrräder an, insbesondere das der zweispurigen Pedelec-Lastenfahrräder. In Kombination mit dem Micro-Depot-Konzept und der Einbindung von Lkw/Transportern ergäben sich für den Einsatz von sogenannten Light Electric Vehicles (LEV) in multimodalen Konzepten für eine nachhaltige Stadtlogistik hoch interessante Einsatzmöglichkeiten – nicht nur für die KEP-Logistik.
In seinem 2019 dazu erschienen Buch thematisiert Professor Bogdanski unter anderem Rahmenbedingungen der urbanen Verkehrsinfrastruktur für Fahrräder und LEV aus Sicht der kommunalen Verkehrsplanung.

Probleme: Infrastruktur, Gesetzgebung…

Große Hoffnung auf einen dynamisch wachsenden Markt weckte auch Professor Ralf Bogdanski, Fachbuchautor und Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Nürnberg, um sie dann gleich wieder zu dämpfen: „Die Lastenrad-Logistik könnte perspektivisch etwa 30 Prozent des urbanen Lieferverkehrs abdecken“, betonte er in seinem Vortrag. Unabdingbar sei dafür aber nicht nur der Ausbau der Radwege-Infrastruktur, auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten sich rasch ändern. Damit sprach er unter anderem die Radwegebenutzungspflicht für Lastenräder sowie das derzeitige Verbot an, am Fahrbahnrand parken zu dürfen. Zumindest beim zweiten Punkt kündigte der anwesende BMVI-Staatssekretär Steffen Bilger auf dem Podium eine schnelle Reform im Rahmen der anstehenden StVO-Novelle an. Problematisch sieht Professor Bogdanski aber auch Punkte wie bislang nicht definierte Fahrzeugabmessungen, Maximalgewichte, allgemein die Sicherheit im Straßenverkehr oder die bislang auf 250 Watt Dauerleistung beschränkte Tretkraftunterstützung. Hier sollte möglichst schnell der rechtliche Rahmen auf nationaler und europäischer Ebene gesetzt bzw. erweitert werden.

Lastenrad 2.0: Gefährte wie der „Loadster“ der Berliner citkar GmbH oder das „Ono“ (Bild oben) wollen die Logistik auf der letzten Meile revolutionieren.

Falsche Prioritäten bei der Förderung

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Förderungen der Automobilindustrie in Milliardenhöhe erscheinen die bisherigen Förderprogramme für Cargobikes und Radlogistik bislang äußerst zaghaft. Abgesehen vom Geld zeigen auch hier andere Städte, dass es und wie es geht. Zum Beispiel indem Kommunen Logistiker in der Innenstadt zur Zusammenarbeit untereinander verpflichten, Auslieferungen in der City per Lkw drastisch einschränken und wichtige Flächen als Hubs für Mikro-Logistik bereitstellen. Auch wenn erste Ansätze, wie KoMoDo, in die richtige Richtung weisen: Von ganzheitlichen Lösungen ist man hierzulande bislang noch ziemlich weit entfernt.

Weitere Aussichten? Trotz allem sehr gut!

Die Unternehmen und viele Experten hoffen, dass das Berliner Beispiel Schule macht und sich mehr und mehr Verantwortliche für eine aktive Förderung entscheiden und sich dafür auch auf Bundesebene stark machen. Der Druck in den Kommunen wächst, die Produkte und die Technik sind da und alte und neue Markteilnehmer professionalisieren sich. Die Rahmenbedingungen scheinen also insgesamt günstig und manche Experten prognostizieren bereits einen neuen Milliardenmarkt. Und wenn der vielzitierte Satz stimmt, dass sich der Mobilitätsmarkt aktuell in fünf Jahren so schnell bewegt, wie früher in 30 Jahren, dann könnten tatsächlich auch bei der (Rad-)Logistik disruptive Veränderungen bevorstehen.

Zum Vertiefen: Informationen und Argumente

Buchtipp:
Ralf Bogdanski: „Nachhaltige Stadtlogistik: Warum das Lastenfahrrad die letzte Meile gewinnt“ Huss-Verlag, 2019

Studie:
KEP-Studie 2019 – Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK)

Download unter:
www.biek.de/presse/meldung/kep-studie-2019.html


Bilder: Sven Buschmeier, Reiner Kolberg