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Nur leichter Rückschlag für E-Scooter & Co.

Mikromobilität heißt in der öffentlichen Wahrnehmung oft: Fun-Fahrzeuge für feuchtfröhliche Großstadt-Touristen. Aber ist das wirklich so? Zumindest die Branche sieht ihren Kernmarkt anders und erholt sich gerade vom Corona-Schock. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


Manchmal kommt es anders, als man denkt. Mitte Juli dieses Jahres wurde die Produktion des Pioniers der Mikromobilität Segway PT eingestellt. Was vor rund 20 Jahren als Revolution mit Absatzerwartungen von Hunderttausenden Personal Transportern pro Jahr ausgerufen wurde, endete in einem Flop. Auf weltweit nur 140.000 Einheiten kam man während der kompletten Produktionszeit. Viele Segways werden zum Beispiel weiter für touristische Führungen genutzt. Mit zum Ende beigetragen hat aber wohl auch der Boom der E-Tretroller im Verleih. Wobei gerade hier die Erwartungen hochgesteckt waren. Sind E-Scooter in deutschen Städten also vor allem etwas für Touristen?

Image vom Touri-Roller

Diese Einschätzung drängte sich im ersten Jahr auf, als die motorisierten Tretroller 2019 in den deutschen Kommunen Einzug hielten. Medial wurde intensiv über die touristische Nutzung des neuen Angebots berichtet. Steckt in dieser Form der Mikromobilität neben dem zusätzlichen Verkehrsmittel für lokale Pendler also auch eine Chance, um Stadttouristen an ihrem Zielort eine clevere Mobilität zu bieten? E-Tretroller als jederzeit verfügbares und flexibles Fahrzeug mit Frischluftgarantie zum Cruisen durch die Stadt, aber auch als Alternative zur Fahrt mit dem Taxi oder der Bahn? Das hätte man zumindest meinen können, als etwa 2019 das Beratungsunternehmen 6T in drei französischen Großstädten die Nutzer der neuen Angebote interviewte. 42 Prozent der Befragten nutzten die Scooter der Umfrage zufolge als Touristen. „E-Scooter haben sich mehr als Verkehrsmittel für Touristen im urbanen Raum herauskristallisiert“, sagte auch der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Niedersachsen, Rüdiger Henze, in der Braunschweiger Zeitung.

5.000 E-Roller der Bosch-Tochter Coup hat das Berliner Startup Tier Mobility Anfang des Jahres samt Ladeinfrastruktur erworben. Die neuen 45-km/h-Roller ergänzen das bestehende Angebot in mehreren großen Städten.

Anbieter sehen Schwerpunkt nicht im Tourismus

War es richtig, das Image vom Touri-Roller zu bedienen? Bei den Anbietern selbst ist man alles andere als erpicht darauf, mit Tourismus identifiziert zu werden. Das Berliner Unternehmen Tier zumindest will das Thema nicht in den Blick nehmen. „Tourismus spielt bei der Planung für unsere Expansion in Städten keine Rolle“, schreibt der PR-Manager des Unternehmens, es gehe um die „nachhaltige Verbesserung der Mobilität für Bewohnerinnen und Bewohner der Städte, damit diese sich ohne eigenes Auto abgas- und emissionsfrei bewegen können“. Dazu passt, dass das Unternehmen Ende letzten Jahres den E-Roller-Sharing-Dienst Coup, eine Bosch-Tochter, übernommen hat und die 45 km/h schnellen E-Mopeds ergänzend in immer mehr Städten mit anbietet. Der E-Tretroller-Verleiher Lime gibt den Anteil der Nutzer in Deutschland, die aus der gleichen Stadt kommen oder dort arbeiten, mit 84 Prozent an. Auch hier lässt sich also kaum behaupten, dass es sich vor allem um ein Gefährt für Touristen handelt. Die Zahlen, die sich auf 2019 beziehen, sind selbst in Madrid kaum anders: Dort sind 80 Prozent der Lime-Nutzer aus der Stadt oder beruflich dort angesiedelt. Bei Lime immerhin heißt es, dass Touristen und Geschäftsreisende für das E-Scooter-Geschäft generell eine Rolle spielen, obwohl der Großteil der Nutzer an allen deutschen und internationalen Lime-Standorten einheimisch sei. Man verweist auf große Unterschiede: „Städte wie Berlin, Madrid oder Málaga verzeichnen einen Anteil von 20 bis 25 Prozent touristischer Nutzung, in anderen Städten wie Hannover, Dortmund oder Wiesbaden liegt der Anteil bei unter zehn Prozent“, sagt Lime-Geschäftsführer Jashar Seyfi. Gern möchte man die touristische Seite ausbauen. „Ja, es gibt erste Gespräche und wir arbeiten schon mit einigen Städten, Hotels und Hotelketten sowie Organisationen wie der Messe Hamburg zusammen“, sagt Seyfi. Dennoch stehe das Unternehmen erst am Anfang. Man habe sich vorgenommen, mit Blick auf 2021 mit weiteren Städten und touristischen Partnern ins Gespräch zu kommen.

Branche in der Krise?

Geht es um die allgemeine Wahrnehmung, dann steht es nicht gut um die Gefährte. E-Scooter gelten – gerade in Verbindung mit Partygängern und urbanem Tourismus – vielfach als Plage. Junge Menschen auf der Straße, unter Alkoholeinfluss, ohne Blick für den Verkehr der Stadt, das sind die Vorurteile, die sich mitunter in der Praxis bestätigen. Die Presse für die neue Variante der E-Mobilität war im ersten Jahr alles andere als gut, und im Corona-Jahr 2020 diskutieren viele weiterhin über die Gefährte als Stolperfallen oder Technikleichen am Wegesrand. Corona hat die Branche hart getroffen, zwischenzeitlich war das Geschäft eingebrochen. Die Betreiber hatten mit Nachfrageproblemen ebenso zu kämpfen wie mit Imageproblemen. Sie wollen sich mit Macht als Teil der nachhaltigen urbanen Mikromobilität etablieren. Und tatsächlich: Wenn man sich den Mobilitätsmix in Großstädten anschaut, merkt man, dass sich einiges verändert hat. E-Tretroller sind inzwischen ebenso wenig aus dem Stadtverkehr wegzudenken wie die kaum hörbaren E-Roller.

„In Großstädten verzeichnen wir 20 bis 25 % touristische Nutzung, in anderen Städten liegt der Anteil bei unter 10 % .“

Jashar Seyfi, Geschäftsführer Lime

Neue Mobilitätsformen per Fahrrad, E-Tretroller oder Segway könnten sich zu einem wichtigen Standbein im Städtetourismus entwickeln. Offenheit und Unterstützung wünscht sich auch Lime- Geschäftsführer Jashar Seyfi.

Köln-Tourismus: „Keine Erweiterung des Mobilitätsangebots“

Ob Bestrebungen, im Tourismus zu wachsen, so einfach sein werden, ist die Frage. Für diesen Artikel blieben Anfragen bei Hamburg Tourismus unbeantwortet – auch wenn die Tourismusgesellschaft der Hansestadt die Scooter auf ihrem Internetportal als Angebot aufführt. Bei Köln-Tourismus redet der neue Geschäftsführer Jürgen Amann nicht lange drumherum. Klar sei der Spaß bei der touristischen Mobilität nicht zu vernachlässigen: „Aktuell sehen wir aber nicht, dass E-Scooter langfristig und nachhaltig das Sharing-Konzept erweitern können.“ Amann sieht in den Scootern denn auch „keine Erweiterung des städtischen Mobilitätsangebots im touristischen Kontext. Hier sind andere Sharing-Angebote und der ÖPNV nachhaltiger zu beurteilen.“

Neuer Markt mit Informationen und Regelung

Bei Lime hätte man es gern anders: „Natürlich wünschen wir uns, dass Städte unseren E-Scooter-Service als Teil des städtischen Mobilitätsangebots für Touristen bekannt machen“, sagt Geschäftsführer Jashar Seyfi. Aber auch hier, sagt Seyfi, stehe man noch ganz am Anfang. Jedenfalls wird er auch eine Menge Vorurteile ausräumen müssen, wenn die E-Scooter-Nutzung im Fremdenverkehr zum aktiv beworbenen Bestandteil werden soll. Es bestehe „definitiv Aufklärungsbedarf, wenn Touristen hierzulande E-Scooter nutzen, denn die geltenden Regeln und Vorschriften unterscheiden sich stark von Land zu Land und auch teilweise innerhalb von Deutschland.“ Für die Mikromobilität im Tourismus sind die Wege also noch weit. Trotzdem, oder gerade deswegen, empfehlen Experten, sich viel stärker als bislang mit dem Thema zu befassen. Die Hersteller haben sich gerade auf Leitlinien für eine neue Generation nachhaltiger Fahrzeuge geeinigt, die Fahrzeuge sprechen neue, bislang autoaffine Nutzergruppen vor allem in der Gruppe an und auch Stadtführer setzen verstärkt auf Fahrräder und Mikromobile. Neue Formen aktiver Mobilität könnten sich so zu einem Standbein für den Städtetourismus entwickeln. Gerade in der aktuellen Krise sicher kein schlechter Gedanke für Touristiker, Planer und kommunale Entscheider.


Bilder: stock.adobe.com – Peeradontax, stock.adobe.com – Peeradontax, Lime, Pressestelle der Stadt Hamm