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Mit der Studie „Ich entlaste Städte“ hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ein großes Reallabor für Cargobikes im Unternehmensalltag geschaffen. Mit dem Abschluss des Projekts haben Lastenräder ihr großes Potenzial für gewerbliche Anwender unter Beweis gestellt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


„Ich ersetze ein Auto.“ Dieses Statement trifft zumindest auf etwa zwei Drittel der 30.000 Fahrten zu, die in Europas größtem Lastenradtest getätigt wurden.

Der Verkehr ist mit 160 Millionen Tonnen jährlich die drittgrößte Emissionsquelle von CO2 in Deutschland. Gewerbliche Transporte haben daran einen nicht unwesentlichen Anteil, sie machen ein Drittel der Kfz-Fahrten aus. Dieser Sektor hat aber nicht nur, wenn es um Klimaziele geht, noch Verbesserungspotenzial. Transport-Pkw nehmen viel Platz ein, verursachen Lärm und verschlechtern die Luft. In den genannten Punkten sind Lastenräder eine bessere Alternative. So zumindest lautet der Grundtenor des Projekts „Ich entlaste Städte“, das über einen mehrjährigen Zeitraum das Potenzial von Lastenrädern für gewerblichen und dienstlichen Einsatz evaluierte. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat nach dem Ende der Projektlaufzeit nun die Ergebnisse vorgestellt.

Projekt mit großem Umfang

Europas größter Lastenradtest sorgte für 300.000 Testkilometer bei 30.000 Fahrten. 755 Unternehmen durften Räder aus der 152 Stück großen Flotte des DLR testen. Aber auch NGOs und Vereine, öffentliche Einrichtungen und Soloselbstständige sowie Freibe-rufler*innen nahmen teil. Am häufigsten vertreten waren die Wirtschaftszweige Dienstleistungen, Verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe. Insgesamt waren die Nutzungsbereiche divers: von der Filmproduktionsfirma übers Architekturbüro bis zur Radiomanufaktur. „Es gibt nicht die eine Branche, die für den Lastenradeinsatz prädestiniert ist. Denn es ist für Organisationen aller Couleur und Größe sinnvoll, zu überlegen, welche Warentransporte und betrieblichen Dienstleistungen mit dem Lastenrad abgewickelt werden könnten“, so das Resümee im Projektabschlussbericht.

Long John, Trike, Longtail, Lieferbike und Schwertransporter (v. l.). Die Teilnehmer*innen des großen Lastenradtests konnten alle Bauformen für ihre Zwecke testen.
Getränkelieferung per Lastenrad? Unter den 755 Unternehmen im Projekt „Ich entlaste Städte“ befanden sich auch ein Brauhaus, zwei Brauereien und zwei Getränkehändler.

Große Nachfrage – nicht nur in Großstädten

2000 Betriebe hatten sich auf die Projektteilnahme beworben. Überproportional groß war die Nachfrage in den Stadtstaaten – aber auch in Landgemeinden bis 20.000 Einwohner*innen. Relativ zur Bevölkerungsverteilung waren diese im Test sogar überrepräsentiert.
Die meisten Standorte der Testbetriebe lagen mit weniger als vier Kilometern relativ nahe an den Stadt- und Ortszentren. Das ist nicht verwunderlich, spielt das Lastenrad doch insbesondere auf kurzen Strecken seine Stärken aus. Das bestätigen auch die Studienergebnisse: Bei gefahrenen Strecken bis zu drei Kilometern Länge sind Pkw und E-Lastenrad weitgehend gleich schnell. Und auch auf Distanzen bis zu 20 Kilometern dauerte die Hälfte aller Cargobike-Fahrten nur zwei bis zehn Minuten länger als mit dem Pkw. In der Realität dürften die Unterschiede noch etwas kleiner ausfallen. Die Parkplatzsuche der Verbrenner wurde in die Vergleichswerte nicht einkalkuliert. Im Mittel betrug der Radius vom Betriebsstandort, in dem die Räder eingesetzt wurden, 2,4 Kilometer.

Für jede Anwendung das richtige Modell

Fünf Lastenradtypen konnten die Betriebe testen. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bauweise. Ein Lastenrad der Klasse Trike hat drei Räder und bringt die Last vor dem Fahrer oder der Fahrerin unter. Die gleiche Reihenfolge aus Last und Fahrersitz haben die einspurigen Long Johns. Umgekehrt ist es bei der Bauart Longtail, die auch mit zwei Rädern auskommt und dadurch wendiger ist. Dann gibt es noch die Schwertransporter und Lieferbikes, die an
gewöhnliche Fahrräder mit viel Transportkapazität erinnern. Das Förderprogramm vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) schließt letzteren Typ bei ihrem Förderprogramm aus. Alle anderen gewerblich genutzten Lastenräder können sich auf bis zu 25 Prozent Förderung auf den Kaufpreis freuen. Dass es diese Prämie gibt, ist ein großer Vorteil für Interessierte. Im DLR-Test waren es die hohen Implementierungskosten, die die Teilnehmenden am meisten bei der Anschaffung hemmen.

78,2 %

der Teilnehmenden sehen
Verbesserungspotenzial bei den Cargobikes.
Die meisten von ihnen kritisierten
Cargobox oder Ladefläche.

Fast 80 Prozent sehen Optimierungsbedarf

Das Reallabor hat gezeigt, dass 78,2 Prozent der Teilnehmenden Verbesserungswünsche am getesteten Modell sehen. Besonders oft kritisiert, nämlich von 63 Prozent der Testerinnen, wurden Cargobox und Ladefläche. 43 Prozent wünschen sich mehr Komfort. Auch verbesserungswürdig sind die Komponenten (36 Prozent) sowie der E-Antrieb und der Akku (35 Prozent). Die Testimonials der Teilnehmerinnen auf der Projektwebsite lesen sich trotzdem weitgehend positiv. „Der Lastenradtest war für uns ein Erfolg mit Anspruch – wir möchten uns demnächst ein eigenes Lastenrad mit
E-Motor anschaffen. Wir konnten durch den Einsatz des Lastenrades bei unseren Kunden mit ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten trumpfen“, sagt zum Beispiel Oskar K. L. Wolf vom Solarbüro Fischbach. Luft nach oben gibt es auch beim Wartungsangebot für Lastenräder. Das Geschäft mit den Wartungen müsse sich erst noch richtig entwickeln, bestätigt Martin Seißler vom Thinktank Cargobike.jetzt, der beratend am Projekt beteiligt war. „Das ist eine sehr zerklüftete Landschaft ohne Qualitätskontrollen und Standards“, so Seißler. Der Bereich muss als Geschäftsfeld erkannt werden. Mit zunehmenden Lastenrad-Zahlen dürfte sich der Fokus einiger Fahrrad-Fachhändler*innen auf den neuen Service-Markt verschieben. Neben dem Service-Netzwerk müsse sich auch die Verkehrsin-frastruktur verbessern.

Mehr als Umweltvorteile

400 Kilogramm CO₂ könnte jedes Lastenrad, das im Anschluss an den Test angeschafft wurde, jährlich einsparen. Bei einigen dürfte es sogar eine Tonne pro Jahr sein. Aber die Vorteile für Umwelt und Klima sind nur ein Faktor von vielen. Die Teilnehmerinnen rechneten auch mit gesünderen, zufriedeneren Mitarbeiterinnen und einem Imagegewinn für ihre Organisation. Gerade in Innenstädten bieten die Lastenräder gegenüber Autos mehr Flexibilität und ersparen die Parkplatzsuche. Die Zuverlässigkeit, die dadurch entsteht, beeinflusst auch die Arbeitsabläufe. 43 Prozent der Testbetriebe gaben an, dass sich diese durch das neue Vehikel verbesserten.
„Ich entlaste Städte“ hat mit viel Praxisnähe gezeigt, dass der Projektname passend gewählt ist. Rund zwei Drittel der 300.000 im Test zurückgelegten Fahrtenkilometer wären sonst mit dem Pkw zurückgelegt worden. Wer auf den Trend und das Lastenrad aufsteigen möchte, findet die detaillierten Ergebnisse unter lastenradtest.de. Außerdem gibt es dort eine Übersicht über die genutzten Modelle sowie ein Handout mit Praxistipps für die Anschaffung von Lastenrädern. Weil die Nachfrage so hoch war, hat das Unternehmen Cargobike.jetzt eine Verstetigung der Testmöglichkeiten ins Leben gerufen. Unter dem Namen „Flottes Gewerbe“ soll es ab April dieses Jahres wieder unkomplizierte Testmöglichkeiten geben, zunächst in Karlsruhe und Stuttgart. Dabei stellt das Unternehmen potenziell interessierten Betrieben die richtigen Räder für einen Test zur Verfügung. Sie kooperieren dafür mit Herstellern, Wartungspartnern und Städten.


Bilder: ich-entlaste-staedte – Amac Garbe

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in den Städten könnte die Mobilität grundsätzlich verändern. Neue Perspektiven bieten innovative Fahrzeuge: schick, modern, günstig und vor allem schon im jungen Alter zu fahren. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Aus dem Misserfolg des elektrischen Zweisitzers Renault Twizy, der u. a. ohne Fenster und nur mit einem Notsitz für Beifahrer kam, hat der PSA-Konzern gelernt und macht mit dem Citroën Ami einen neuen Anlauf Richtung urbane Mobilität der Zukunft. Der Ami ist zudem prädestiniert für Mobilität on demand: Der Wagen soll künftig per Smartphone geöffnet, per App vernetzt und nahtlos an verschiedene Carsharing-, Abo- und Service-Portale (zum Beispiel Laden, Parkplatzsuche) angedockt werden können. Ein großer Vorteil für Sharing-Anbieter wie Cambio. Laut Cambio-Pressesprecher Arne Frank hat das Unternehmen den Ami für die Erweiterung der Flotte auf dem Plan.

In Frankreich werden großräumige Tempo-30-Zonen gerade Realität. Ein Bürgerrat hat Präsident Emmanuel Macron empfohlen, in allen Städten Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einzuführen. Paris macht ab 2021 damit ernst und wird zum Reallabor für neue Mobilitätskonzepte. Für das neue Zeitalter kann mal wohl mit einem Boom leichter Fahrzeuge der 45- km/h-Klasse rechnen. Neben neuen E-Motorrollern und schnellen S-Pedelecs (E-Bike 45) könnten auch Microcars eine Renaissance erleben. Aktuell will sich der französische Automobilkonzern PSA mit dem Citroën Ami als Vorreiter positionieren. Der kastenförmige Elektro-Zweisitzer Ami (frz. Freund) ist mit einer Länge von 2,40 Meter und einer Breite von 1,39 Metern noch kleiner als ein Smart Fortwo (2,70 × 1,70 m) und damit ein echtes Mikromobil. Der spartanisch ausgestattete Wagen wiegt 425 kg und soll eine Reichweite von 100 Kilometern bieten. Angetrieben wird er von einem Elektromotor mit sechs Kilowatt, der ihn in zehn Sekunden auf 45 km/h beschleunigt. Dann ist Schluss, denn der Ami ist kein Auto, sondern laut EU-Verordnung ein „Leichtes Vierradmobil für Personenbeförderung der Klasse L6e-BP“. Christopher Rux, Leiter Kommunikation von Citroën, drückt es so aus: „Der Ami ist kein Auto, sondern eine Mobilitätslösung für jeden“. Er darf in Frankreich ab 14 Jahren und in Deutschland mit der Führerscheinklasse AM, je nach Bundesland entweder ab 15 oder 16 Jahren gefahren werden. In Frankreich ist er schon ab 6.000 Euro zu haben oder bei etwas mehr als 2.000 Euro Anzahlung für eine monatliche Leasingrate von 19,99 Euro. „Das ist weniger als ein Handyvertrag“, sagt Rux. Citroën habe das Fahrzeug für alle entwickelt, die in der Stadt leben und eigentlich kein Auto brauchen, die multimodal, also auch per Fahrrad oder E-Scooter unterwegs sind, aber je nach Wetter und Bedarf, zum Beispiel für den Großeinkauf oder das Fahren zu zweit, mehr wollen. Und natürlich für all diejenigen, „für die Busse und Bahnen nicht mehr das präferierte Transportmittel sind“.

„Die ‚autogerecht‘ geplante Stadt macht es den Bewohnern unmöglich, die öffentlichen Räume frei und in Sicherheit zu nutzen und so die Stadt zu beleben.“

Jan Gehl, „Städte für Menschen“

45 km/h reichen aus – eigentlich

Bei ersten Testfahrten in Berlin zeigten sich die Ami-Tester begeistert. Trotz der 45-km/h-Beschränkung fühlten sie sich immer ausreichend schnell, gerade weil in vielen Straßen sowieso häufig langsamer gefahren wird, und auch nie als Verkehrshindernis. Die für ein Kleinstfahrzeug hohe Sitzposition (5 cm höher als ein aktueller VW Golf) ermöglicht einen guten Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern und das sympathische Äußere erhöht die Akzeptanz. Trotzdem bereitet die bestehende Infrastruktur dem Ami und anderen Microcars, die sich anschicken, die Märkte zu erobern, Probleme. Die kennt man auch von anderen Fahrzeugen der 45-km/h-Klasse, wie den beliebten E-Rollern, die es vermehrt als Sharing-Modelle gibt, sowie schnellen S-Pedelecs (E-Bike 45). Hauptproblem sind Kraftfahrstraßen/Schnellstraßen. Sie werden von Navigations-Apps bislang nicht auf Wunsch gefiltert und vielfach gibt es auch keine Alternativen, wie zum Beispiel bei Brücken.

Die EU-Fahrzeugklassen bis 45 km/h

Motorisierte Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h fallen gemäß EU-Verordnung in die EG- Fahrzeugklasse L1e bis L6e. Sie sind zulassungs- und steuerfrei und müssen nicht zur Hauptuntersuchung. Nur ein Versicherungskennzeichen ist vorgeschrieben. Fahren darf man sie mit dem Führerschein der Klasse AM oder dem Autoführerschein, Klasse B. Das Mindestalter ist in Europa unterschiedlich, in Frankreich darf man die Klasse bereits mit 14 Jahren fahren.

Smarte 45-km/h-Roller erobern die Städte

Einen einfachen Zugang zu smarter Mobilität, mit der man bequem im Stadtverkehr der Zukunft mitschwimmen kann, versprechen auch die mit Führerschein AM fahrbaren elektrischen Motorroller. Zu den meistverkauften Modellen gehört der Smart Scooter von NIU, der mit Preisen ab 1.800 Euro Keyless Go, GSM-Ortung, eine Wegfahrsperre per App und eine Reichweite von circa 50 Kilometern bietet. Ein Erfolgsmodell in Taiwan, wo Roller das Straßenbild bestimmen, ist das Start-up Gogoro mit der Kombination von Scooter und einem landesweiten Netzwerk aus rund 2.000 systemoffenen Akkuwechselstationen. Bezahlt wird dabei monatlich nach Verbrauch. Solch ein System gibt es in Deutschland bislang noch nicht, aber die Gogoro-Roller gehören inzwischen beim Sharing-Anbieter Tier mit zum Angebot. Auch andere Anbieter, wie lokale Stromversorger, mischen mittlerweile beim E-Roller-Sharing mit. In Köln etwa sind die „Rhingo“-Roller des städtischen Energieversorgers Rheinenergie sehr beliebt. Diesen Sommer wurde die Flotte von 200 auf 400 Roller aufgestockt und das Geschäftsgebiet in Köln erweitert. Die Roller verfügen über zwei Sitze und zwei Helme und kommen damit den Anforderungen gerade von jungen Nutzern entgegen.

Mit moderner Ausrüstung ist die Fahrt auf dem Roller auch bei Kälte und Regen problemlos machbar. Im regenreichen Taiwan, in Italien oder in Frankreich hilft man sich neben wetterfester Kleidung mit großen Windschutzscheiben, fest montierten Decken, Handstulpen oder beheizten Griffen. Bewegung und Wärme von innen bekommt man auf einem schnellen E-Bike 45 (S-Pedelec), bei dem die Reisegeschwindigkeit meist zwischen 30 und 35 km/h liegt.

Tauschen statt laden: In Taiwan, wo Roller das Straßenbild bestimmen, ist die Kombination von Scootern und einem Netzwerk mit systemoffenen Akkuwechselstationen ein Erfolgsmodell.

Tempo 50 zu hoch für eine menschengerechte Stadt

Das Gute an einer niedrig festgelegten maximalen Geschwindigkeit ist, dass sie eine Stadt nach menschlichem Maß ermöglicht. In seinem Buch „Städte für Menschen“ beschreibt der Stadtplaner Jan Gehl, welche Geschwindigkeiten und welche Entfernungen der Wahrnehmung des Menschen entsprechen. Denn im Gegensatz zur Technik habe sich die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen nicht weiterentwickelt. Am besten funktioniere sie beim Zufußgehen. Auch bei Lauf- oder langsamen Fahrradgeschwindigkeiten von circa 12 km/h sei eine realistische Verarbeitung der Eindrücke noch möglich. Bei höheren Geschwindigkeiten reduzierten sich unsere Sehkapazität und unser Verständnis des Gesehenen erheblich. Auch Verkehrsforscher fordern mit Blick auf Vision Zero seit Langem eine Reduktion der Geschwindigkeiten: Nicht nur aufgrund der drastischen Reduzierung der Unfallfolgen, sondern weil sich bei höherer Geschwindigkeit zum Beispiel auch das Sehfeld verkleinert. Dabei werden periphere Informationen, wie zum Beispiel Fußgänger am Straßenrand, Radfahrer, die überholt werden, oder vorbeifahrende andere motorisierte Verkehrsteilnehmer schlicht ausgeblendet.

Microcars in anderen Ländern

Während in Deutschland die Klasse der Microcars mit unbekannten Herstellern wie Ligier oder Aixam bislang ein Nischendasein fristet, sind sie in Frankreich deutlich populärer. Extrem beliebt sind langsame Elektroautos mit bis zu vier Plätzen in China. Bei Alibaba kann man einfache Modelle schon für unter 1000 Dollar bestellen. Allein im Jahr 2017 sind in China laut Bericht des Wall Street Journal ungefähr 1,75 Millionen dieser Mikroautos, für die man hier keinen Führerschein benötigt, verkauft worden. Vor allem in ländlichen Provinzen.


Bilder: Citroën, Bild: Uber, Klever Mobility, Rheinenergie – Rhingo, Alibaba, Gogoro Network

Mikromobilität heißt in der öffentlichen Wahrnehmung oft: Fun-Fahrzeuge für feuchtfröhliche Großstadt-Touristen. Aber ist das wirklich so? Zumindest die Branche sieht ihren Kernmarkt anders und erholt sich gerade vom Corona-Schock. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


Manchmal kommt es anders, als man denkt. Mitte Juli dieses Jahres wurde die Produktion des Pioniers der Mikromobilität Segway PT eingestellt. Was vor rund 20 Jahren als Revolution mit Absatzerwartungen von Hunderttausenden Personal Transportern pro Jahr ausgerufen wurde, endete in einem Flop. Auf weltweit nur 140.000 Einheiten kam man während der kompletten Produktionszeit. Viele Segways werden zum Beispiel weiter für touristische Führungen genutzt. Mit zum Ende beigetragen hat aber wohl auch der Boom der E-Tretroller im Verleih. Wobei gerade hier die Erwartungen hochgesteckt waren. Sind E-Scooter in deutschen Städten also vor allem etwas für Touristen?

Image vom Touri-Roller

Diese Einschätzung drängte sich im ersten Jahr auf, als die motorisierten Tretroller 2019 in den deutschen Kommunen Einzug hielten. Medial wurde intensiv über die touristische Nutzung des neuen Angebots berichtet. Steckt in dieser Form der Mikromobilität neben dem zusätzlichen Verkehrsmittel für lokale Pendler also auch eine Chance, um Stadttouristen an ihrem Zielort eine clevere Mobilität zu bieten? E-Tretroller als jederzeit verfügbares und flexibles Fahrzeug mit Frischluftgarantie zum Cruisen durch die Stadt, aber auch als Alternative zur Fahrt mit dem Taxi oder der Bahn? Das hätte man zumindest meinen können, als etwa 2019 das Beratungsunternehmen 6T in drei französischen Großstädten die Nutzer der neuen Angebote interviewte. 42 Prozent der Befragten nutzten die Scooter der Umfrage zufolge als Touristen. „E-Scooter haben sich mehr als Verkehrsmittel für Touristen im urbanen Raum herauskristallisiert“, sagte auch der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Niedersachsen, Rüdiger Henze, in der Braunschweiger Zeitung.

5.000 E-Roller der Bosch-Tochter Coup hat das Berliner Startup Tier Mobility Anfang des Jahres samt Ladeinfrastruktur erworben. Die neuen 45-km/h-Roller ergänzen das bestehende Angebot in mehreren großen Städten.

Anbieter sehen Schwerpunkt nicht im Tourismus

War es richtig, das Image vom Touri-Roller zu bedienen? Bei den Anbietern selbst ist man alles andere als erpicht darauf, mit Tourismus identifiziert zu werden. Das Berliner Unternehmen Tier zumindest will das Thema nicht in den Blick nehmen. „Tourismus spielt bei der Planung für unsere Expansion in Städten keine Rolle“, schreibt der PR-Manager des Unternehmens, es gehe um die „nachhaltige Verbesserung der Mobilität für Bewohnerinnen und Bewohner der Städte, damit diese sich ohne eigenes Auto abgas- und emissionsfrei bewegen können“. Dazu passt, dass das Unternehmen Ende letzten Jahres den E-Roller-Sharing-Dienst Coup, eine Bosch-Tochter, übernommen hat und die 45 km/h schnellen E-Mopeds ergänzend in immer mehr Städten mit anbietet. Der E-Tretroller-Verleiher Lime gibt den Anteil der Nutzer in Deutschland, die aus der gleichen Stadt kommen oder dort arbeiten, mit 84 Prozent an. Auch hier lässt sich also kaum behaupten, dass es sich vor allem um ein Gefährt für Touristen handelt. Die Zahlen, die sich auf 2019 beziehen, sind selbst in Madrid kaum anders: Dort sind 80 Prozent der Lime-Nutzer aus der Stadt oder beruflich dort angesiedelt. Bei Lime immerhin heißt es, dass Touristen und Geschäftsreisende für das E-Scooter-Geschäft generell eine Rolle spielen, obwohl der Großteil der Nutzer an allen deutschen und internationalen Lime-Standorten einheimisch sei. Man verweist auf große Unterschiede: „Städte wie Berlin, Madrid oder Málaga verzeichnen einen Anteil von 20 bis 25 Prozent touristischer Nutzung, in anderen Städten wie Hannover, Dortmund oder Wiesbaden liegt der Anteil bei unter zehn Prozent“, sagt Lime-Geschäftsführer Jashar Seyfi. Gern möchte man die touristische Seite ausbauen. „Ja, es gibt erste Gespräche und wir arbeiten schon mit einigen Städten, Hotels und Hotelketten sowie Organisationen wie der Messe Hamburg zusammen“, sagt Seyfi. Dennoch stehe das Unternehmen erst am Anfang. Man habe sich vorgenommen, mit Blick auf 2021 mit weiteren Städten und touristischen Partnern ins Gespräch zu kommen.

Branche in der Krise?

Geht es um die allgemeine Wahrnehmung, dann steht es nicht gut um die Gefährte. E-Scooter gelten – gerade in Verbindung mit Partygängern und urbanem Tourismus – vielfach als Plage. Junge Menschen auf der Straße, unter Alkoholeinfluss, ohne Blick für den Verkehr der Stadt, das sind die Vorurteile, die sich mitunter in der Praxis bestätigen. Die Presse für die neue Variante der E-Mobilität war im ersten Jahr alles andere als gut, und im Corona-Jahr 2020 diskutieren viele weiterhin über die Gefährte als Stolperfallen oder Technikleichen am Wegesrand. Corona hat die Branche hart getroffen, zwischenzeitlich war das Geschäft eingebrochen. Die Betreiber hatten mit Nachfrageproblemen ebenso zu kämpfen wie mit Imageproblemen. Sie wollen sich mit Macht als Teil der nachhaltigen urbanen Mikromobilität etablieren. Und tatsächlich: Wenn man sich den Mobilitätsmix in Großstädten anschaut, merkt man, dass sich einiges verändert hat. E-Tretroller sind inzwischen ebenso wenig aus dem Stadtverkehr wegzudenken wie die kaum hörbaren E-Roller.

„In Großstädten verzeichnen wir 20 bis 25 % touristische Nutzung, in anderen Städten liegt der Anteil bei unter 10 % .“

Jashar Seyfi, Geschäftsführer Lime

Neue Mobilitätsformen per Fahrrad, E-Tretroller oder Segway könnten sich zu einem wichtigen Standbein im Städtetourismus entwickeln. Offenheit und Unterstützung wünscht sich auch Lime- Geschäftsführer Jashar Seyfi.

Köln-Tourismus: „Keine Erweiterung des Mobilitätsangebots“

Ob Bestrebungen, im Tourismus zu wachsen, so einfach sein werden, ist die Frage. Für diesen Artikel blieben Anfragen bei Hamburg Tourismus unbeantwortet – auch wenn die Tourismusgesellschaft der Hansestadt die Scooter auf ihrem Internetportal als Angebot aufführt. Bei Köln-Tourismus redet der neue Geschäftsführer Jürgen Amann nicht lange drumherum. Klar sei der Spaß bei der touristischen Mobilität nicht zu vernachlässigen: „Aktuell sehen wir aber nicht, dass E-Scooter langfristig und nachhaltig das Sharing-Konzept erweitern können.“ Amann sieht in den Scootern denn auch „keine Erweiterung des städtischen Mobilitätsangebots im touristischen Kontext. Hier sind andere Sharing-Angebote und der ÖPNV nachhaltiger zu beurteilen.“

Neuer Markt mit Informationen und Regelung

Bei Lime hätte man es gern anders: „Natürlich wünschen wir uns, dass Städte unseren E-Scooter-Service als Teil des städtischen Mobilitätsangebots für Touristen bekannt machen“, sagt Geschäftsführer Jashar Seyfi. Aber auch hier, sagt Seyfi, stehe man noch ganz am Anfang. Jedenfalls wird er auch eine Menge Vorurteile ausräumen müssen, wenn die E-Scooter-Nutzung im Fremdenverkehr zum aktiv beworbenen Bestandteil werden soll. Es bestehe „definitiv Aufklärungsbedarf, wenn Touristen hierzulande E-Scooter nutzen, denn die geltenden Regeln und Vorschriften unterscheiden sich stark von Land zu Land und auch teilweise innerhalb von Deutschland.“ Für die Mikromobilität im Tourismus sind die Wege also noch weit. Trotzdem, oder gerade deswegen, empfehlen Experten, sich viel stärker als bislang mit dem Thema zu befassen. Die Hersteller haben sich gerade auf Leitlinien für eine neue Generation nachhaltiger Fahrzeuge geeinigt, die Fahrzeuge sprechen neue, bislang autoaffine Nutzergruppen vor allem in der Gruppe an und auch Stadtführer setzen verstärkt auf Fahrräder und Mikromobile. Neue Formen aktiver Mobilität könnten sich so zu einem Standbein für den Städtetourismus entwickeln. Gerade in der aktuellen Krise sicher kein schlechter Gedanke für Touristiker, Planer und kommunale Entscheider.


Bilder: stock.adobe.com – Peeradontax, stock.adobe.com – Peeradontax, Lime, Pressestelle der Stadt Hamm

Nicht umsonst trägt VELOPLAN den Begriff Mikromobilität mit im Titel. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Und was haben Computer mit Tretrollern und Pedelecs zu tun? Zeit für eine Einordnung und einen Ausblick. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


In der Schweiz sind schnelle Pedelecs sehr beliebt, als Kauf- oder Sharing-Variante . In Deutschland boomt der Markt für Cargo-E-Bikes.

Seit Juni 2019 ist in Deutschlands Städten zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung nichts mehr wie zuvor: An gefühlt jeder Straßenecke stehen elektrifizierte Tretroller und überall flitzen Menschen mehr oder weniger sicher auf den kippeligen Fahrzeugen herum – und haben dabei offensichtlich eine Menge Spaß. Aber sind diese Fahrzeuge wirklich die Zukunft der Mobilität oder bringen sie einfach nur Chaos in die Städte?

Disruptive Veränderungen durch „Blitzscaling“

Die Silicon-Valley-Mentalität der ersten US-Anbieter, die mit Milliarden-Finanzunterstützung nach Europa kamen und dort wie die Heuschrecken beispielsweise in Paris eingefallen sind, erschreckte viele Beobachter. Die Anbieter nennen dieses (gewollt) schnelle Wachstum „Blitzscaling“, und so gibt es in Paris derzeit gut 30.000 E-Scooter von acht Anbietern.
In Berlin stehen inzwischen ebenfalls 10.000 Scooter von vier Anbietern. Und die Menschen fahren damit. Aber nicht nur im Urlaub oder in der Freizeit, wie es häufig scheint. Der Anbieter Tier zählte im Sommer nur ungefähr zehn Prozent Touristen und eine Auswertung des Beratungsunternehmens Civity zeigt, dass die Nutzerzahlen am Nachmittag und an den Wochenenden am höchsten sind. Allerdings habe Tier in seiner Auswertung auch festgestellt, dass angeblich 30 Prozent der Nutzer tatsächlich die Fahrzeuge als Ersatz für Auto oder Taxi nutzen.
Innerhalb eines halben Jahres sind in Deutschland fast so viele E-Scooter zugelassen worden, wie insgesamt E-Autos fahren. Das zeigt ganz gut die aktuellen Umwälzungen in der Mobilität. Es sieht so aus, als läge die große Dynamik in der Mobilität nicht in besseren Autos – weder elektrisch, noch autonom, noch geteilt. Die Dynamik kommt von unten, von kleinen, persönlichen Fahrzeugen.

Horace Dediu analysierte über Jahre scharfsinnig den Umbruch im Markt für Mobile Computing. Jetzt ist für ihn die Mobilität reif für die Disruption.

Mobilität von unten neu denken

Der Begriff Mikromobilität (oder Micromobility) stammt von Horace Dediu, Business-Analyst und Experte für Mobile Computing. Seine Definition: Fahrzeuge bis 500 kg Gewicht, elektrisch angetrieben und relativ langsam. Oder etwas abstrakter: Mobilität mit menschlichem Maß. Vor gut drei Jahren beschrieb der US-Amerikaner erstmals Analogien zwischen den Entwicklungen in der Computerbranche und in der Mobilität. Wie der Mikrocomputer den klassischen Computer und seine Hersteller vom Markt verdrängte, verdränge die Mikromobilität die klassische Mobilität, also das Auto und dessen Hersteller vom Markt.
Martin Mignot, einer der frühen Investoren beim E-Scooter-Verleiher Bird erklärte in einem Interview, warum sich sein Unternehmen entschieden hat, zu investieren: „Es ist ein neuartiges Produkt, das einfach zugänglich ist und sehr wenig Voraussetzungen zur Nutzung erfordert. Die Daten der ersten Nutzer zeigten, dass viele Frauen, viele ältere und viele jüngere Menschen, diese Fahrzeuge nutzten, ganz anders als zum Beispiel Mopeds. Die Scooter hatten das Zeug zu einem universellen Phänomen, dass weltweit funktionieren konnte. Es sieht so aus, als täte es das.“

E-Mobilität ist Mikromobilität

Am 1. Oktober 2019 waren in Deutschland knapp 118.000 reine Elektroautos zugelassen, bei einem Gesamtbestand von 64,8 Millionen Fahrzeugen. Gerade hat die Bundesregierung die Kaufprämien noch einmal erhöht und ein Programm zum Bau von Ladestationen gestartet.
Aber die Elektromobilität ist schon da: Allein 2018 wurden hierzulande 980.000 E-Bikes verkauft und für das Jahr 2019 rechnet der Zweirad-Industrie-Verband mit 1,1 Millionen Verkäufen. Insgesamt sind in Deutschland aktuell 4,5 Millionen E-Bikes unterwegs, davon 4,8 Prozent E-Lastenräder, also fast 50.000 Stück. Und noch mehr als im privaten Bereich sehen Experten bei gewerblich genutzten Cargobikes und in der Radlogistik einen Milliardenmarkt.
Auch das motorlose Fahrrad ist alles andere als tot: Fast vier Millionen wurden 2018 verkauft; der Gesamtbestand in Deutschland liegt bei 75 Millionen Fahrrädern.

Mikromobilität ist mehr

Das Schöne am Begriff Mikromobilität ist, dass er so viel umfassen kann. Vom motorisierten Skateboard bis zum vierrädrigen E-Transportrad mit 300 kg Traglast, vom E-Scooter über das Fahrrad bis zum schnellen Pedelec. Der Begriff erlaubt es zudem, nicht mehr in Fahrzeugen zu denken, sondern in Bedürfnissen. Und das Fahrrad ist nicht mehr die einzige Alternative zum Auto. Es geht um Fortbewegung von A nach B.
Dabei sind E-Scooter nur ein kleiner Teil in der großen Palette der Möglichkeiten. Die meisten Scooter-Fahrten sind um die zwei Kilometer, mit dem Fahrrad verdoppelt sich die Entfernung und das Pedelec vergrößert die Reichweite noch weiter. Corinne Vogel vom Schweizer E-Bike-Verleiher Smide weiß, dass ihre Nutzer im Durchschnitt fünf bis sechs Kilometer fahren, viele davon täglich als Pendler. Mit schnellen S-Pedelecs und Elektrorollern, wie denen von Emmy oder Coup, hat man immer das richtige Fahrzeug für einen bestimmten Weg zur Verfügung. Und wenn es darum geht, größere Waren oder Kinder zu transportieren, stehen in immer mehr Städten Cargobikes zur Ausleihe bereit oder werden gekauft – auch weil sie von vielen Kommunen gefördert werden.
Wie diese Fahrzeuge sich weiter ausdifferenzieren, ist kaum vorherzusagen und Überraschungen sind immer möglich. Auffällig starke Aktivitäten kann man bei gewerblichen Transportlösungen beobachten.

Noch offen: die richtige Geschwindigkeit

Wichtig für den Erfolg der Mobilität ist der ungehinderte Zugang. Was den Pedelecs zum Durchbruch verholfen hat, war die geniale Idee, den Motor an das Treten zu koppeln, so dass sie immer noch als Fahrrad gelten. Sie verlangen deshalb weder Führerschein noch Helm.
Viele Pedelec-Fahrer wünschen sich allerdings ein etwas schnelleres Rad. Die 25 km/h, bei der die Motorunterstützung des Pedelecs endet, sind auf einem sportlichen Rad schnell erreicht. S-Pedelecs wiederum, die bis 45 km/h unterstützen, dürfen nicht auf Radwegen fahren, auf der Straße ist es jedoch oft zu gefährlich. Auch Einbahnstraßen in Gegenrichtung sind mit der schnellen Klasse tabu. Deshalb installieren nicht wenige Nutzer Tuning-Kits, um ihre Pedelecs schneller zu machen oder fahren S-Pedelecs ohne Kennzeichen. Beides ist nicht legal und kann im Falle eines Unfalls schwerwiegende Folgen haben.
Dabei genügt vielleicht eine kleine Änderung, für die sich neben Hannes Neupert vom ExtraEnergy e.V., einem der profiliertesten Fürsprecher des Pedelecs, auch der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) auf europäischer Ebene einsetzt: Unterstützung bis 32 km/h – was ganz nebenbei der in vielen Ländern üblichen Grenze von 20 Meilen pro Stunde entspricht.
Die Geschwindigkeitsunterschiede auf dem Radweg wären dadurch geringer und bei einem allgemeinen Tempolimit von 30 km/h könnten sie auch im Autoverkehr mithalten. Es hat sich auch gezeigt, dass viele Fahrer schneller E-Bikes sowieso meistens in diesem Geschwindigkeitsbereich unterwegs sind. Der Schweizer E-Bike-Sharer Smide drosselt zum Beispiel seine Räder auf 35 km/h. Die Option, 45 km/h freizuschalten, nutzen nur wenige. Es fehlen vielfach noch geeignete Wege.

Lissabon: Surfen auf der gleichen Welle

Die Stadt Lissabon hat ambitionierte Pläne. Sie möchte den Modal Share für Autos bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent senken. Dazu soll in erster Linie der ÖPNV dienen, aber auch Systeme, die diesen ergänzen. Pedro Machaco ist der Mobilitätsmanager im Auftrag des Bürgermeisters und offen für neue Mobilitätsanbieter. Natürlich müssen dabei bestehende staatliche Gesetze und kommunale Regeln beachtet werden. Sein pragmatischer Ansatz: „Solange sie uns die Echtzeitdaten geben und die Regeln akzeptieren, dürfen sie frei arbeiten und wir beobachten sie dabei genau. Wir surfen mit ihnen gemeinsam auf der gleichen Welle.“ Einmal im Monat trifft er sich mit allen Beteiligten, bespricht die Situation und erklärt dabei, dass sie sich nicht als Konkurrenten sehen sollen, sondern als Verbündete. Zusammen könnten sie dem Autoverkehr Anteile abnehmen und den Kuchen für alle größer machen.

Straßenräume flexibel neu denken

Kommunen haben viele Ziele, die sie erreichen wollen oder müssen: Luftreinhaltung, Klimaziele, wirtschaftliche Entwicklung, Lebensqualität und Verkehrssicherheit oder den Modal Split. Sie können sich die neuen Gegebenheiten und Möglichkeiten zu Nutze machen, diese zu erreichen: Die Reichweite des ÖPNV lässt sich erweitern, wenn kleine Fahrzeuge als Zubringer zur Verfügung stehen, mit Transporträdern und Verteilung von Paketen über Mikrodepots werden große Dieseltransporter überflüssig.
Dazu muss nicht immer ein vollständiges Verkehrskonzept oder ein Masterplan erstellt werden. Die Mikromobilität lädt zum Ausprobieren ein. Mit Echtzeitdaten und Monitoring der Ergebnisse lassen sich planerische Modellversuche schnell umsetzen und auf ihre Wirkung untersuchen. Aus den Bewegungsdaten der Scooter- und Bike-Sharing-Anbieter lassen sich die Wege der Menschen ablesen. Und damit mehr Menschen die neuen Möglichkeiten nutzen, muss man den etablierten Verkehrsmitteln vielleicht auch Platz wegnehmen.
Eine gute Orientierungshilfe bei der Umsetzung liefert das Berliner Mobilitätsgesetz, das der Initiator des Volksentscheids Fahrrad Berlin Heinrich Strößenreuther in seinem Buch „Der Berlin-Standard“ beschreibt. Das Mobilitätsgesetz schreibt vor, dass Radwege an allen Hauptverkehrsstraßen so gestaltet werden müssen, dass Radfahrer sicher überholen können. Auf der einen Seite sollen Kraftfahrzeuge darauf nicht halten oder fahren können und auf der anderen Seite soll die Trennung zum Gehweg klar erkennbar sein.

Zusammenarbeit lohnt sich

Vereinzelt gibt es sie noch, die Fälle, in denen Mobilitätsanbieter ihre Fahrzeuge über Nacht in Städten aufstellen und anschließend warten, ob sich jemand beschwert. Vor allem die asiatischen Anbieter Obike und Ofo überfluteten in den Jahren 2017 und 2018 deutsche Städte mit billigen Leihrädern, die die Bürgersteige versperrten, Vandalismus anzogen und die Kommunen verärgerten. Deutsche Anbieter wie Call-A-Bike und Nextbike arbeiten allerdings schon länger mit Kommunen zusammen und auch die neuen Anbieter setzen auf Kommunikation. Je mehr, desto besser.

Zum Vertiefen: Informationen und Argumente

Neue Fahrzeuge, neue (lösbare) Probleme

Der Vorteil an der Mikromobilität: Die Voraussetzungen sind sehr gering. Kein Führerschein, kein Helm. Das macht Spaß, auch zu zweit auf einem Roller oder mit ein wenig Alkohol. Was aber nur wenigen bewusst ist: Beim Thema Alkohol gelten die gleichen scharfen Regeln wie beim Auto, für Fahrer unter 21 Jahren und Führerscheinneulinge in der Probezeit zum Beispiel 0,0 Promille. Von einer Straftat kann schon ab 0,3 Promille die Rede sein, wenn der Fahrer alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeigt. Allein während des Oktoberfests hat die Polizei insgesamt 414 alkoholisierte E-Scooter-Fahrer angehalten. 254 von ihnen mussten sofort ihren Führerschein abgeben. Dazu sind die Nachrichten voll von Berichten über Unfälle mit E-Scootern.
Das Problem der Tandemfahrten löst der Anbieter Lime mit einer Funktion namens „Gruppenfahrten“: Ein Nutzer kann dabei bis zu fünf Scooter entsperren. Und sobald Alkohol-Tester zuverlässig und günstig in Fahrzeuge integrierbar sind, werden Anbieter diese vielleicht auch als Zugangsbeschränkung einbauen.
Wenn Medien über die wachsenden Unfallzahlen berichten, erwähnen sie häufig nicht das Offensichtliche, nämlich, dass mehr Fahrten stattfinden als vorher. Beim Anbieter Tier sind es seit dem Start im Oktober 2018 europaweit zehn Millionen Fahrten. Und bei diesen gab es laut Aussage des Mitgründers Lawrence Leuschner nur 250 gemeldete Unfälle. Dabei sind die Ursachen sehr unterschiedlich. Caroline Hjelm, Chief Marketing Officer von Voi (Schweden) berichtet, dass Millenials ohne Führerschein oft die einfachsten Regeln nicht kennen. Deshalb bietet der Anbieter jetzt eine Online-Fahrschule an. Wer sie absolviert, wird mit Freifahrten belohnt.


Bilder: Deutsche Messe, Hannover – micromobilityc expo 2019, smide.ch, Riese und Müller, Horace Dediu, Filip stock.adobe.com

Unter dem Namen Carla Cargo hat ein junges Team aus Kenzingen bei Freiburg einen Fahrradanhänger für Schwerlasten entwickelt. Er kann wahlweise mit oder ohne eingebaute Motorunterstützung im Gespann mit Fahrrädern oder Pedelecs, oder solo als Handwagen genutzt werden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Für eine hohe Reichweite und Komfort sorgt die optional erhältliche Motorunterstützung, für die Sicherheit eine Auflaufbremse. Einen engen Wendekreis gewährleistet das lenkbare Vorderrad, in dem optional auch ein Radnabenmotor verbaut wird.

Der dreirädrige Cargo-Trailer darf bis zu 150 Kilogramm transportieren, verfügt über eine Ladefläche von 165 x 65 Zentimeter und kann mit verschiedenen Aufbauten ausgerüstet werden. So eine Lösung suchte der Online-Versender Amazon, wurde im Breisgau fündig und bestellte 300 Trailer, um im New Yorker Stadtteil Manhattan Bio-Lebensmittel seiner Food-Tochter schnell und klimafreundlich auszuliefern. Aktuell sind die Lastenanhänger an sieben Tagen der Woche jeweils 14 Stunden im Einsatz und stehen in Ruhezeiten platzsparend hochkant an der Wand.

Nicht nur Lieferdienste gehören zu den Kunden. Ebenso vielfältig wie die Einsatzgebiete sind auch die Nutzer der Anhänger. Nach ökologischen Landwirtschaftsbetrieben in der Anfangszeit kamen Nachfragen von Kurierdiensten, Entsorgern, Handwerkern, Unternehmen und Selbständigen – darunter u.a. Veranstaltungstechniker und Kaminkehrer. Inzwischen liefert Carla Cargo in viele europäische Länder. In den USA, wo die Trailer nach Unternehmensangaben bislang einzigartig sind, soll ein weiteres Standbein aufgebaut werden.


Bilder: Carla Cargo