Fahrrad-Lifestyle 2021
Wie bekommt man eher autoaffine Menschen aufs Fahrrad? Wie verändern sich die Bedürfnisse? Und wie sehen Fahrräder aus, die gar keine Fahrräder mehr sein wollen? So viel Individualismus wie heute gab es wohl nie. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)
Volkswagen-Chef Herbert Diess zeigte sich auf Linkedin kürzlich schwer von einem Team-Event in den Bergen angetan. Es ging dabei nicht um Autos, sondern um E-Bikes. Überrascht und begeistert berichtete er von den Erlebnissen auf den hauseigenen Premium-E-Bikes von Porsche und Ducati. Ähnliches war schon vor Jahren aus dem Hause Bosch zu vernehmen, als es um die Entscheidung ging, ins E-Bike-Geschäft einzusteigen. Heute ist Bosch eBike Systems vor Shimano, Yamaha, Panasonic oder dem Automobilzulieferer Brose unangefochtener Marktführer für E-Bike-Antriebssysteme. Diese und viele andere Beispiele zeigen, wie weit sich der altehrwürdige Drahtesel erst zum modernen Fahrrad und dann zum Hightech-Gerät mit hohem Imagefaktor weiterentwickelt hat. Auch die Nutzergruppen haben sich verändert und sie verändern sich weiter. Mountainbiker sind längst nicht mehr nur die jungen Wilden, sondern eben auch Topmanagerinnen und viele andere. Auch Lastenradnutzerinnen sind längst nicht mehr nur tätowierte Kurier-fahrerinnen oder besserverdienende Großstadt-Grüne. Eins scheint dabei immer mehr zu gelten: Die Bedürfnisse und Produkte sind so individuell wie die Kundinnen und Kunden und werden immer vielfältiger. Vor allem bei der jungen Generation und den Junggebliebenen scheinen die Präferenzen im Wandel. Sie sind flexibler und legen sich weniger fest. Immer wichtigere Argumente sind zudem Individualität und ein hoher Nutzwert. In Amsterdam feierte der niederländische Fahrrad-/E-Bike- Abo-Anbieter Swapfiets gerade 50.000 Kunden, bei rund 870.000 Einwohnerinnen.
Neues Verständnis von Mobilität und Zweirädern
Während die Innovationen beim Auto in den letzten Jahren gefühlt immer weniger echte Verbesserungen mit sich brachten, hat sich im Bike-Sektor so viel getan wie seit der Ablösung des Hochrads nicht. Einige grundsätzliche Probleme bleiben jedoch. Schwierig ist es beispielsweise, wenn man das Rad nicht in der Bahn mitnehmen oder das teure E-Bike nicht sicher einschließen kann. Eine Lösung sind neben Aborädern wie von Swapfiets auch Fahrradverleihsysteme an den Bahnhöfen oder eben E-Kick-scooter. Die sind entweder überall verfügbar oder lassen sich, wenn man einen besitzt, einfach mitnehmen. Beliebt und natürlich unerlaubt und unsicher ist auch die Möglichkeit, damit zu zweit fahren. Gerade das Argument, anderen eine Mitfahrgelegenheit anzubieten und gemeinsam unterwegs zu sein, ist nicht zu unterschätzen. Die Mikromobilität bietet hier neue Möglichkeiten und innovative Produkte, bricht Kategorien auf oder feiert auch gerne ein Revival.
Ossian Vogel, Gründer und Innovator des Berliner Unternehmens Urban Drivestyle (urbandrivestyle.de) hat E-Bikes mit Retroanleihen entworfen, die ganz bewusst nicht wie ein Fahrrad aussehen und sich auch nicht so anfühlen. „Es ist toll, dass es heute möglich ist, Hybridfahrzeuge zwischen den alten Kategorien auch in Kleinserie rentabel zu produzieren“, sagt der bekennende Fahrradfan, der seine Bikes am zweiten Wohnsitz auf Mallorca sehr genießt. „Du bist leise unterwegs, sehr entspannt und kannst dich ohne Helm mit deinem Beifahrer unterhalten. Das ist einfach toll. Für mich und viele unserer Kunden ist es das Revival eines Gefühls. Etwas, das wir damals etwa mit einer mit Vespa verbunden haben.“ Neben dem Wohlfühlaspekt spielt für seine Kunden auch die Sicherheit eine große Rolle. „Auch die Nicht-Radfahrenden fühlen sich auf unseren Bikes sehr wohl“, so Ossian Vogel. „Du sitzt sehr bequem, wie auf einem Hollandrad, die Fahrsicherheit ist klasse, du hast einen tiefen Schwerpunkt, breite Reifen und einen riesigen Scheinwerfer. Damit fühlst du dich gleich ganz anders und du wirst von anderen Verkehrsteilnehmern auch völlig anders wahrgenommen.“ Mit den Bikes, die sich aus den speziellen Bedürfnissen der Kunden entwickelt haben, trifft er offensichtlich einen Nerv. Zum Kundenkreis von Urban Drivestyle gehören neben „Nicht-Radfahrern“ auch Individualisten und viele Prominente.
Bilder: Ducati, Urban Drivestyle