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Lastenräder sind für viel Gewicht gemacht. Die Organisation Youth4Planet packt noch eine Ladung Ideen obendrauf. Mit der Macht des Geschichtenerzählens verfolgt sie das Ziel, junge Menschen für eine nachhaltige Zukunft zu inspirieren und so dem Klimawandel und Fake News zu trotzen. Wie funktioniert das? (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Geht nicht gibt‘s nicht für ein kreatives Lastenrad. Es rollt und rollt und rollt für eine nachhaltige Welt: Das CreatiVelo radelte als mobiler Botschafter für einen positiven Wandel und Medienrad zur Klimakonferenz in Glasgow 2021. Bei der Klimakonferenz in Dubai 2023 war es als Reportagerad und mobiler Kommunikationsort vor Ort. Im Ahrtal ist das Rad der gemeinnützigen Organisation Youth4Planet (Y4P) nun als radelnder Kummerkasten und Mutmacher unterwegs, um die Menschen nach der Flut zu ermutigen. An luxemburgischen Schulen wird es als mobiler Workshop-Ort, fahrende Bühne oder mobiles Studio für Umfragen auf dem Marktplatz eingesetzt. Und auch in Indien wurde nun schon zum zweiten Mal eine CreatiVelo-Challenge durchgeführt. Studierende setzen dabei eigene Forschungs- und Bildungsideen radelnd um, etwa eine umherziehende Gesundheitsberatung.

Körper und Geist in Bewegung bringen

Y4P möchte mit den umgebauten E-Lastenrädern für eine nachhaltige Welt inspirieren und so die nachhaltige Transformation wortwörtlich ins Rollen bringen: „Das Fahrrad ist ja nicht nur das Fahrrad, sondern ein System zur Erkundung der Welt“, sagt Gründer und Vorsitzender Jörg Alte-kruse. Das CreatiVelo könne Ideen sowohl einsammeln als auch verbreiten. Er vergleicht dieses Konzept mit der Renaissance, als italienische Architekten durch Europa zogen und ihre neuen Bau-Ideen bis in die kleinsten Dörfer verbreiteten. Körperliche Bewegung sei zentral für geistige Veränderung. Das CreatiVelo vereine das und helfe so, junge Menschen für die Transformation zu empowern. Zudem schaffe es einen „Third Space“ – einen öffentlichen Raum, an dem Menschen sich treffen und austauschen können, ohne dafür bezahlen zu müssen, erklärt Altekruse. Sprich, ein Stückchen gelebte Transformation.
Das CreatiVelo sei ökologisch sauber, überall einsetzbar, ganz lokal und global vernetzt zugleich. Das bauliche Grundprinzip ist immer gleich: ein E-Lastenrad mit drei Rädern, hinten eine Lastenfläche mit einer Box – 80 cm breit, 120 cm lang, 145 cm hoch. Diese ist abnehmbar und auf Rollen. Mit an Bord ein in die Seitenfläche integrierter 50-Zoll-Monitor mit Klappe gegen Regen oder als Sonnenschutz. Solarpaneele und eine Batterie machen das Rad autark. Auf der Rückseite der Box ist Platz für ein großes Poster. In der Box: Mikrofone, Kamera, Laptop, Mischpult, Lautsprecher, Bühnenpodest, Kuppelzelt, Tisch und Hocker. Das Lastenrad hat Internetverbindung. Über die App EarthBeat sind die Räder auch untereinander verbunden. An den Außenwänden der Box prangen auffordernde Botschaften wie: „Lass uns gemeinsam die Erde retten.“

Das Konzept CreatiVelo funktioniert global, ob in Indien, Glasgow oder Luxemburg.

Nachhaltigkeit als Ziel

Y4P sitzt in Deutschland und Luxemburg und hat eine Niederlassung in den USA. Gründer Altekruse ist Filmemacher für Nachhaltigkeitsthemen. Als er eine 2013 veröffentlichte Fernsehserie über die Kipppunkte des Klimasystems drehte, merkte er, dass der Impact der Filme „gleich null“ war, obwohl sie in mehr als 100 Ländern gezeigt wurden. Die Filme hätten die „Lücke zwischen den Informationen und dem eigenen Standort“ nicht überbrücken können. Das sei der „Augenöffner“ für ihn gewesen, nicht länger nur mit Filmen in die Welt hinauszurufen, sondern etwas anderes zu tun. Als Ergebnis gründete er im Jahr 2015 Y4P. Im selben Jahr fuhr er mit jungen Leuten von verschiedenen Kontinenten nach Grönland, um sie zu Augenzeug*innen von schmelzenden Eismassen durch den Klimawandel zu machen. Die Jugendlichen drehten in Grönland selbst einen Film, traten im Fernsehen auf und berichteten in ihren Schulen von der Reise.
Die Idee von Y4P ist eng mit den UN-Nachhaltigkeitszielen verknüpft, die auch 2015 verabschiedet wurden und etwa Armut abschaffen, Klimawandel stoppen oder Ungerechtigkeiten bekämpfen sollen. Diese Ziele seien machtvoll, weil sie die Vision von 193 Ländern seien, so Altekruse, auch wenn man über Details streiten könne. So teile er das liberale Wirtschaftsverständnis der SDGs nicht, das auf Wirtschaftswachstum setzt. Er sieht die Lösung in einer zirkulären Ökonomie, um wieder innerhalb planetarer Grenzen zu leben.

„Das Fahrrad ist ja nicht nur das Fahrrad, sondern ein System zur Erkundung der Welt.“

Jörg Altekuse, Youth for Planet

Geschichten erzählen mit dem Handy

Das Y4P-Konzept nennt Altekruse „Storytelling for Future“: Y4P führt Storytelling-Workshops an Schulen, Universitäten oder in anderen Organisationen durch. So entstünden immer neue sogenannte Action Teams, die dann gemeinsam „ausschwärmen“ und Projekte umsetzen. In den Workshops lernen die Jugendlichen, wie sie Geschichten erzählen und Kurzfilme drehen – leicht und unkompliziert mit dem Smartphone, das die meisten eh in der Hosentasche haben. Sie sollen das Handy gezielt einsetzen, um die Welt um sie herum wahrzunehmen, festzuhalten und zu dokumentieren. Es gehe in den Workshops neben technischem Know-how vor allem darum, dass junge Menschen Mut für einen Standpunkt entwickeln: „Wenn ich eine Kamera irgendwo hinhalte, dann entscheide ich die Perspektive. Wenn ich eine andere Perspektive einnehmen will, dann muss ich halt weiter weggehen“, macht Altekruse mit dem Handy vor.
Junge Menschen sollen „Fähigkeiten entwickeln, um die Zukunft überhaupt anzupacken und nicht zitternde Knie zu kriegen“, beschreibt er. So sollen sie ermächtigt werden, sich im Raum und in der Welt so aufzustellen, dass sie eine Perspektive für sich und ihre Stimme finden. Eine der ersten Übungen sei deshalb, Handyfotos zu machen und diese auf ihre Geschichten hin zu analysieren. Etwa, welche Emotionen zugeparkte Straßen wachrufen. Durch die genaue Auseinandersetzung mit der Realität entstünden Ideen und Lösungen für eine neue, schönere Welt. So will Altekruse auch die Demokratie stärken: „Wir sind ein Teil des Gegengifts“ gegen die Zukunftsangst und die Unmengen an Falschinformationen, die etwa die AfD, Trump und mancher Milliardär säe. „Dagegen helfen nur starke Personen.“ Seine Vision: durch Y4P „resiliente Gemeinschaften und Individuen zu erzeugen, die sich vernetzen und gemeinsam an den erkannten Zielen arbeiten“.
Auf der Website von Y4P kann man sich durch viele Videos klicken, die vom Mut und der Energie verschiedener Menschen erzählen und Hoffnung machen: Etwa ein Rapsong über Plastik von Hamburger Schülerinnen; ein Video über Fairtrade- Orangensaft von Schülerinnen aus Luxemburg. Oder ein Video, das die Geschichte von Menschen im Togo zeigt, die die Küstenerosion zu bekämpfen versuchen.

CreatiVelos bestehen aus verschiedenen Komponenten – von A wie Antrieb bis Z wie zuklappbarer Monitor. So werden die Lastenräder quasi zur Eier legenden Wollmilchsau.

Lastenräder machen Schule

Inspiriert zu den CreatiVelos wurde Altekruse von der Bäckerei gegenüber seinem Hamburger Büro, die Brot mit einem Lastenrad transportiert. 2021 wurden die ersten Lastenräder umgebaut. Die Kinderkrankheiten seien mittlerweile überwunden: Die ersten Räder seien zu hoch gewesen und auf der Fahrt nach Glasgow zur Klimakonferenz mehrmals umgekippt. Aufgrund der Höhe passten sie auch nicht in Garagen oder durch Schultüren, erzählt Altekruse schmunzelnd.
Da Altekruse durch seine Dreharbeiten gut vernetzt ist, entstehen Projekte an ganz verschiedenen Orten der Welt: In dem kleinen Land Luxemburg arbeitet Y4P mit den 44 weiterführenden Schulen zusammen, führt Workshops und Forschungsprojekte durch und setzt drei CreatiVelos ein, bald sollen es sieben sein.
In Indien wurde nun bereits die zweite Challenge durchgeführt – eine Art mehrwöchige Sommeruniversität mit selbstorganisiertem Lernen: 12 Universitäten, über 30 Teams, über 150 Studierende. Die Studierenden schraubten die CreatiVelos vor Ort selbst zusammen mithilfe eines Startkapitals und dem, was sie auf Schrottplätzen fanden.. Ihre Universitäten unterstützen die Teams materiell und inhaltlich, so Altekruse. Die Teams entwickelten eigene Forschungsideen für die Challenges und schwärmten dann für acht Wochen aus. Adressiert werden dadurch etwa die Nachhaltigkeitsziele Klimaschutz und hochwertige Bildung: Ein CreatiVelo wurde so zur mobilen Gesundheitsberatung, mit der die Studierenden durch Dörfer radelten und über den Monitor Ärztinnen hinzuschalteten. Das sei bei den Menschen vor Ort und den Ärztinnen sehr gut angekommen und habe Mut gemacht, berichtet Altekruse. Ein anderes Team verschrieb sich mit einem Forschungsprojekt der Mädchenbildung und versuchte Diskriminierungen abzubauen. Wieder ein anderes Team habe Schadstoffe im Fluss Brahmaputra gemessen und dann gemeinsam mit NGOs angefangen, ihn zu reinigen. Die Studierenden hätten anschließend von einer Erfahrung fürs Leben geschwärmt und große persönliche Lernerfolge erzielen können, so Altekruse. Die erste Kohorte stand der zweiten als Coach zur Seite. Eine dritte Kohorte solle bald starten. Festgehalten werden diese Geschichten per Handyvideo und Posts auf Social Media oder es werden Vorträge gehalten. Auch die lokale Presse berichte.

Mut nach der Flut

In Deutschland ist ein CreatiVelo im Ahrtal unterwegs. Entstanden sei die Idee gemeinsam mit einer Psychologin, die mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen nach der Flutkatastrophe arbeitete. An einem Gymnasium in Adenau führte Y4P 2022 gemeinsam mit Psychologinnen einen Storytelling-Workshop durch, um sie zu ermutigen. Dabei blieb es nicht. Menschen in Sinzig im Ahrtal hörten vom Workshop und dem CreatiVelo. Mehrere Bildungsinstitute hatten sich nach der Flut zu einer Bildungsregion zusammengeschlossen. Dort ist das CreatiVelo nun als mobiles Event-Studio zum Erkunden von Berufs- und Ausbildungswegen im Einsatz und wird von verschiedenen Schulen bespielt: „Die Idee ist, eine Art Frischzellenkur für das Ahrtal aufzubauen, wo die jungen Leute nicht gehen müssen, sondern lernen, dass Dableiben auch was Gutes für sich hat und sie gestalten können“, erklärt Altekruse. Die Aufbruchshaltung für das Ahrtal nach der Katastrophe werde so durch das CreatiVelo unterstützt. Die Botschaft: „Hey da geht noch mehr. Lasst euch nicht entmutigen“, sagt Altekruse.
Diese Botschaft will er am liebsten überall verbreiten. Seine Vision: Jede deutsche Hochschule und jede Schule hat Action Teams mit CreatiVelos. Leider seien hierzulande die Strukturen sehr „verknöchert“ und es habe einige Rückschläge gegeben. Er sei im Kontakt mit der Initiative „Frei Day“, die sich dafür einsetzen, dass ein Tag die Woche freigeschaufelt wird für Zukunftsthemen. Das CreatiVelo sei wie dafür gemacht, neue Zukunftsformate umzusetzen, findet er. Etwa könnten Schüler*innen die Luftqualität in Stadtteilen messen und den Gemeinderäten vorlegen.

„Wir bauen Denkweisen und Systeme auf, wie zum Beispiel das CreatiVelo-Betriebssystem für ein bewegtes Lernen, was so aufgebaut ist, dass die Beteiligten lernen, wie sie für sich eine positive Zukunftsvision entwickeln“, so Altekruse von Y4P. Er steht vor dem ersten CreatiVelo frisch nach der Auslieferung.

Bildung in Bewegung

Vielleicht kommt bald auch das Bildungssystem in Nigeria ins Rollen. Auf der Klimakonferenz in Dubai baute sich ein Kontakt zum nigerianischen Gouverneur Mohammed Umaru Bago auf. Dieser möchte nun Tausende CreatiVelos mit Y4P für Nigeria organisieren, um sie als mobile Schulen einzusetzen, da in Nigeria aus unterschiedlichen Gründen viele junge Menschen die Schule abbrechen. So könnten junge Menschen direkt bei sich im Ort weiter an Bildung kommen. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sei angefragt für Gelder, so Altekruse. Auch seien bereits die ersten Kontakte zu Edmilson Rodrigues, Bürgermeister von Belem in Brasilien, wo 2025 die Klimakonferenz stattfinden wird, geknüpft. Der Plan: 2025 soll ein Y4P-Action Team mit CreatiVelo vor Ort sein.
Es wird deutlich: Geht nicht gibt‘s weder für ein kreatives Lastenrad noch für Altekruse. Für ihn gelte stets das Prinzip: „Da, wo ich heute stehe, kann ich anfangen loszulegen und neu entwickeln, nicht in die Vergangenheit gucken und sagen ‚Ach Mist‘.“ Er gucke immer nach der nächsten Chance. Die nächste Chance, die ins Rollen kommen kann.


Bilder: Youth4Planet

Die europäische Lastenradnorm bringt frischen Wind in die städtischen Fuhrparks. Kommunen können nun sicher planen und auch die CO₂-Emissionen im Wirtschaftsverkehr deutlich reduzieren. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2024, Dezember 2024)


Das Lastenrad ist für Privatleute längst ein beliebter Autoersatz. Aber auch Kommunen können mit den Transporträdern die CO₂-Emissionen in den eigenen Flotten und im Wirtschaftsverkehr erheblich reduzieren. Die neue europäische Lastenradnorm (EN 17860) gibt den Kommunen nun erstmals Planungssicherheit, indem sie verbindliche Standards für Lastenräder und Lastenradanhänger festlegt.
Warum diese Norm notwendig ist, zeigten die vergangenen Monate. Im Februar hatte die niederländische Behörde für Lebensmittel- und Verbraucherproduktsicherheit den Rückruf und Verkaufsstopp einiger Lastenradmodelle der Firma Babboe angeordnet. Es hatte vereinzelt Rahmenbrüche gegeben. Im Sommer meldete die Behörde dann weitere Prüfungen bei den Herstellern Vogue, Cangoo und Bakfiets.
Bis dahin waren Rückrufaktionen im Fahrzeugbereich vor allem aus der Automobilindustrie bekannt. Der Zweirad-Industrieverband (ZIV) gibt für Deutschland jedoch Entwarnung. Laut Tim Salatzki, der beim ZIV den Bereich Technik und Normung leitet, sind grundsätzliche Sicherheitsbedenken jedoch unbegründet. Denn die verkauften Lastenräder müssen bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. „Dazu gehören die Europäische Norm für Pedelecs und die deutsche Lastenradnorm, die DIN 79010“, sagt Salatzki.
Mit dieser Norm ist Deutschland weltweit Vorreiter. Sie gilt seit 2020 und definiert die Anforderungen und Prüfverfahren für mechanische und elektrische Bauteile am Lastenrad. Dazu gehören Belastungstests für sämtliche Komponenten, vom Rahmen bis zu den Pedalen. „Mit den Prüfungen werden reale Alltagssituationen von Lastenrädern abgeprüft, wie etwa abruptes Bremsen oder das Herunterfahren von Bordsteinen mit dem zugelassenen Höchstgewicht“, erläutert Salatzki.

Transparenz einiger Hersteller in der Kritik

Allerdings hapert es bei einigen deutschen Herstellern an der Transparenz. Beim Premium-Lastenradhersteller Riese & Müller, dessen Lastenräder zwischen 5000 und 10.000 Euro kosten, sucht man vergebens einen Hinweis auf den Test nach DIN 79010. Ein Sprecher des Herstellers erklärt, dass Riese & Müller sämtliche DIN-Prüfungen bei unabhängigen und renommierten Instituten durchführen lässt. Oft gingen die Prüfungen sogar über die Anforderungen der Norm hinaus. Informiert werden Kund*innen jedoch nur im Fachhandel oder vom hauseigenen Customer-Care-Service. Andere Hersteller wie Tern, CaGo, Muli, Radkutsche oder LeichtLast sind transparenter. Sie verweisen auf ihren Webseiten oder in der Betriebsanleitung auf den Test nach DIN 79010.
Für Fachleute, die seit Jahren die Branche begleiten, ist das Fehlen der Prüfplakette auf dem Lastenrad nicht nachvollziehbar. Einer von ihnen ist Marco Knöpfle, Initiator der „Transportrad-Initiative Nachhaltiger Kommunen“ (TINK). Er hat im Rahmen eines Förderprojekts des Bundesverkehrsministeriums 2016 die ersten beiden öffentlichen Lastenrad-Sharing-Systeme nach Norderstedt und Konstanz gebracht und seitdem rund 30 weitere Kommunen beim Aufbau ihrer Lastenradflotte beraten. Mit seinem Team hat er eine Vorlage für öffentliche Ausschreibungen entwickelt, die unter anderem beschreibt, welche Kriterien die Lastenräder in der Flotte erfüllen sollten. Dazu gehört auch die DIN 79010. „Kommunen verzichten teilweise auf diese Vorgabe in der Ausschreibung, weil sie befürchten, dass dadurch die Modellauswahl bei den Angeboten zu stark eingeschränkt wird“, beschreibt Knöpfle seine Erfahrung. Dabei würden die Systeme sicherer, wenn die Räder tatsächlich der Norm entsprechen.

Neben gängigen Aspekten wie der Stabilität beim Fahren prüft die neue Norm unter anderem auch die Parkstabilität am Berg, das Überfahren von Bordsteinen und Kopfsteinpflaster – jeweils leer und beladen.

Einheitliche Standards für Lastenräder

Die Einführung der europäischen Lastenradnorm soll dieses Durcheinander beenden. „Der Hinweis auf die Prüfung nach EN 17860 wird zukünftig direkt am Rahmen angebracht sein, so wie es auch beim E-Bike vorgeschrieben ist“, sagt Dr.-Ing. Eric Groß, der an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) als Oberingenieur am Institut für Strukturmechanik im Leichtbau arbeitet. Groß hat mit seinem Team und Studierenden verschiedene Prüfverfahren für die europäische Lastenradnorm erarbeitet und ist außerdem Vorsitzender des Technischen Komitees, das die EN 17860 erstellt.
Die ersten drei Teile dieser Norm sind seit Monaten veröffentlicht, weitere vier Teile liegen als Entwurf vor. Sie legen beispielsweise fest, unter welchen Bedingungen Personen per Lastenrad mitgenommen werden dürfen, und welche Anforderungen die ein- und mehrspurigen Modelle erfüllen müssen. „Mit ihrer Veröffentlichung sind diese Teile der Norm gültig“, sagt Groß. Das bedeutet, Lastenräder, die jetzt in den Verkauf kommen, müssen nach DIN EN 17860 getestet sein. Für die älteren Modelle gilt der Bestandsschutz.
Damit existieren nun europaweit erstmals einheitliche Standards und Richtwerte für Lastenräder, die die Qualität und Stabilität der ein- und mehrspurigen Fahrzeuge auch bei abrupten Manövern, Kurvenfahrten oder hohen Geschwindigkeiten sicherstellen. Um die Transporträder an ihre Belastungsgrenzen zu bringen, hat das Team der TUHH verschiedene Fehlgebrauchs- und Elchtestverfahren entwickelt. Dabei haben sie festgestellt: „Ein Lastenrad kann umfallen, überschlägt sich aber nicht“, sagt Groß. Das Test-Team habe erfolglos alles versucht, um das Überschlagen herbeizuführen. Deshalb sei ein Überrollkäfig für die Transportbox überflüssig, sagt Groß. Dennoch müssen einige Lastenradhersteller ihre Modelle anpassen.

„Eine niedrige Transportbox mit einem Holzbänkchen zum Sitzen wird es nicht mehr geben.“

Dr.-Ing. Eric Groß, Technischen Universität Hamburg

Mehr Sicherheit für Kinder

„Eine niedrige Transportbox mit einem Holzbänkchen zum Sitzen wird es nicht mehr geben“, sagt Groß. Zukünftig soll eine stabile Kabinenwand den Kindern etwa bis zur Schulter reichen, damit ihre Arme während der Fahrt in der Kabine bleiben. Das soll sie im Fall eines Unfalls vor Verletzungen schützen und verhindern, dass sie während der Fahrt in die Speichen greifen. Zum Anschnallen sind Dreipunktgurte mit Druckknopf vorgeschrieben, wie sie von Kindersitzen für Pkw bekannt sind. „Die Zugfestigkeit oder das Ausreißen der Gurte sollten ans Fahrradtempo angepasst sein“, sagt Groß.

Dreirad: langsam in Kurven

Bei der Kippstabilität haben sich die Experten in dem Normausschuss auf die Mindestanforderung geeinigt. „Ein Dreirad hat in den Kurven durchaus leichte Probleme mit der Stabilität, aber die Nutzer sind sich dessen bewusst und passen ihren Fahrstil an“, erklärt Groß. Damit meint er, dass Fahrerinnen von Dreirädern Abbiegemanöver deutlich langsamer ausführen als etwa die Fahrerinnen von einspurigen Lastenrädern wie dem Long John.

Fahrradausflug mit Rollstuhl

Marco Knöpfle kennt die Diskussionen über die Stabilität von Dreirädern. Daher empfiehlt er Kommunen diese Fahrzeuggattung für ihre öffentlichen Sharing-Flotten nur in Ausnahmefällen. „Ein Inklusionsrad für Menschen im Rollstuhl ist im Sharing immer ein Dreirad“, sagt er, nur sie können Rollstühle befördern. Grundsätzlich sollten jedoch nur Dreiräder zum Einsatz kommen, deren Vorderräder unabhängig von der Transportbox gelenkt werden.
Deutlich strengere Kriterien legt der Normausschuss bei den Lastenradanhängern an. Einige Modelle sind für ein Gesamtgewicht von 600 Kilogramm ausgelegt und mit einem eigenen Elektromotor unterwegs. „Für diesen Fahrzeugtyp gab es bislang keine Qualitätsstandards oder Testverfahren“, sagt Groß. Deshalb hat sein Team den Elchtest für den Lastenradanhänger entwickelt. Was lustig klingt, ist ein wichtiges Sicherheitsfeature. „Dieser Test soll verhindern, dass ein 500 Kilogramm schwerer Anhänger in der Kurve umkippt und einen Menschen unter sich begräbt“, erklärt Groß.

Die neue Norm: Ein Meilenstein für die Kommunen

Die europäische Lastenradnorm verschafft den Kommunen nun erstmals Planungssicherheit. Mit einer klaren Strategie können die Kommunen die CO₂-Bilanz ihres eigenen Fuhrparks verbessern und den Wirtschaftsverkehr gezielt steuern.
Für den Technikexperten Eric Groß ist das Potenzial von Lastenrädern für den kommunalen Fuhrpark immens. „Die Lastendreiräder mit Anhänger erleichtern den Arbeitsalltag von Mitarbeitern des Grünflächenamts oder der Stadtreinigung“, sagt Groß. Sie könnten damit in Parks oder Fußgängerzonen kleinere Reinigungsarbeiten erledigen und im Stauraum des Transportrads oder des Anhängers den Müll oder Grünabfall sofort abtransportieren. „Der Vorteil des Dreirads ist, dass es selbstständig steht, kein CO₂ ausstößt und auf Radwegen und in Fußgängerzonen wenig Platz beansprucht“, sagt Groß.

Verkehrswende im kommunalen Fuhrpark

Die verschiedenen Lastenradmodelle sind inzwischen so vielseitig, dass sie sowohl Pkw als auch Transporter im Stadtverkehr ersetzen können. Aber weiterhin dominieren Verbrenner den kommunalen Fuhrpark. „Dabei könnten viele Wege zwischen den Dienststellen der Behörden und der öffentlichen Hand problemlos per Lastenrad erledigt werden“, sagt Dr.-Ing. Tom Assmann, Vorsitzender des Radlogistikverbands Deutschland e.V. ist. Damit Dokumente überhaupt per Lastenrad transportiert werden dürfen, müssen die Fahrzeuge in der Ausschreibung für die Dienstleistung genannt werden. In Hannover und Leipzig ist das erfolgt, dort werden laut Assmann seit Jahren Dokumententransporte von Radlogistikern durchgeführt. Aber das ist die Ausnahme.

Der Personentransport und der Arbeitsschutz spielen auch bei Lastenrädern eine Rolle. Die Norm enthält unter anderem Sitzkomfortmessungen und Grenzen für Schwingungen.

Emissionsfreier Wirtschaftsverkehr

Was für den kommunalen Fuhrpark gilt, lässt sich auch auf den Wirtschaftsverkehr übertragen, der je nach Studienlage 30 Prozent des Stadtverkehrs ausmacht. Lediglich sechs Prozent der Fahrten davon entfallen auf Kurier-, Express- und Paketdienste, der Großteil des Wirtschaftsverkehrs wird von Stückgutlogistik, Handwerkern, Pflegediensten und Dienstwagenfahrten anderer Bereiche verursacht.
Dabei haben die Kommunen laut Assmann ein wirkungsvolles Steuerungselement in der Hand. „Über den Verkehrsentwicklungsplan kann die Kommune festlegen, welche Fahrzeuge der Wirtschaftsverkehr auf ihren Straßen nutzt“, sagt Assmann. Etwa indem sie verkehrsberuhigte Zonen oder Null-Emissions-Zonen einführt.

„Über den Verkehrsentwicklungsplan kann die Kommune festlegen, welche Fahrzeuge der Wirtschaftsverkehr auf ihren Straßen nutzt.“

Dr.-Ing. Tom Assmann, Vorsitzender Radlogistikverband Deutschland e.V.

Niederlande sperren gewerbliche Verbrenner aus

Die Niederlande wollen dieses Instrument ab 2025 nutzen. Rund 30 Städte, darunter Amsterdam oder auch Hilversum (90.000 Einwohner), haben bereits angekündigt, Null-Emissions-Zonen in ihren Innenstädten einzurichten. Gewerbliche Transporter und Lkw, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sind dann dort nicht mehr zugelassen. Für die aktuelle Nutzfahrzeugflotte soll bis 2030 eine nationale Übergangsregelung gelten.
Aus Sicht Assmanns könnten viele Handwerker oder auch Pflegedienste vom Umstieg aufs Lastenrad profitieren, weil sie mit dem Rad deutlich schneller im Stadtverkehr unterwegs sind und außerdem direkt vor der Haustür parken können. „Aber der Umstieg vom Auto oder Transporter aufs Lastenrad ist für viele Unternehmer oder Arbeitnehmer ein Kulturwandel“, betont Assmann. Transporträder gebe es zwar bereits seit 100 Jahren, aber die neuen motorisierten Modelle seien eine junge Fahrzeuggattung, deren Potenzial viele Kleinunternehmer und Mittelständler nicht kennen. Deshalb sollten die Kommunen den Kulturwandel im gewerblichen Fuhrpark aktiv fördern.

Der Alleskönner: Dieses Lastenrad ist Transportfahrzeug und Kinderwagen in einem. Es kann nach der Fahrt mit wenigen Handgriffen geteilt werden.

IHK und AGFK als Brückenbauer

Geeignete Partner, um diesen Wandel voranzutreiben, sind für ihn auch die Industrie- und Handelskammern oder die Arbeitsgemeinschaften fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK). Über gezielte Informationskampagnen wie etwa einer Cargobike-Roadshow für den Wirtschaftsverkehr könnten die Unternehmer die Vielfalt der Fahrzeuge kennenlernen und vor Ort direkt ausprobieren. Seit Oktober fördert das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wieder den Kauf von gewerblich genutzten E-Lastenfahrrädern und E-Lastenanhängern mit bis zu 3500 Euro pro Rad.
Von mehr Lastenrädern in den Straßen profitieren sowohl die Kommune als auch die Stadtbewohner*innen. Der Umstieg vom Auto aufs Rad steigert die Verkehrssicherheit, verbessert das Stadtbild und reduziert die Emissionen. „All diese Aspekte sind in den Klimaschutzplänen der Kommunen enthalten“, sagt Assmann. Aber noch fehle den Kommunen der Mut oder das Wissen, um den Umstieg voranzutreiben.

Mehr Lastenräder für Frankreich

Damit Gewerbetreibende vom Verbrenner aufs Lastenrad wechseln, braucht es eine verbindliche Verkehrspolitik pro Mobilitätswende. Sobald Kommunen beginnen, ihre Zentren für den Umweltverbund umzubauen, steigt bei den Lastenradherstellern die Nachfrage. „Wir exportieren mittlerweile fast mehr Fahrzeuge nach Frankreich, als wir in Deutschland verkaufen“, sagt Nico Jungel, Geschäftsführer von Velofracht in Berlin. Seit französische Kommunen wie Paris, Straßburg oder Lyon ihre Innenstädte pro Fahrrad ausbauen und den Autoverkehr gezielt bremsen, steigt bei ihnen die Nachfrage. „Städte in Frankreich, den Niederlanden oder England sind deutlich innovativer und experimentierfreudiger und bauen ihre Städte konsequent klimafreundlich um“, sagt Jungel. Mit seiner Firma Velofracht fertigt er neben den klassischen Lastenrädern für Dienstleister und Handwerker immer wieder auch Sonderanfertigungen an. Dazu gehören Rikschas, die bis zu vier Personen transportieren, oder eine für das britische Gesundheitssystem NHS konzipierte mobile Klinik. Die hochmoderne medizinische Ausrüstung hat das Velofracht-Team auf einem Lastenrad nebst Anhänger untergebracht. Mit der mobilen Klinik sind nun Ärzt*innen in London zu den Menschen unterwegs, die nicht in Krankenhäuser kommen können oder wollen, etwa alte Menschen und Obdachlose. „Unserem Auftraggeber NHS ist eine klimafreundliche Mobilität wichtig“, sagt Jungel. Außerdem sei der praktische Nutzen im Alltag gegenüber einem Lkw in der Londoner Innenstadt höher.

Höhere Standards für gewerbliche Lastenräder

Die deutsche Lastenrad-Branche prägt die Fahrzeugentwicklung international. „Die deutschen Ingenieure sind beim Engineering, also bei der Technik, der Funktionalität und dem Design, führend in Europa“, sagt Assmann. Viele dieser Ingenieurinnen und Designerinnen haben ebenfalls an der neuen europäischen Lastenradnorm mitgearbeitet, die nun für private wie gewerblich genutzte Transporträder gilt. „Für die gewerbliche Nutzung haben wir deutlich höhere Anforderungen definiert“, sagt Eric Groß vom Normenausschuss. Schließlich erreiche ein Lastenrad, das im Wirtschaftsverkehr genutzt werde, schnell eine Laufleistung von 50.000 Kilometern, während privat genutzte Transporträder nach zehn Jahren gerade mal 10.000 Kilometer auf dem Tacho haben.
Bis Mitte 2025 wird laut Groß die gesamte DIN EN 17860 veröffentlicht sein. Harmonisiert ist sie dann noch nicht. „Wir haben sie willentlich nicht harmonisiert, damit die gewerblichen Nutzer sofort Rechtssicherheit haben“, sagt Groß. Die Harmonisierung hätte diesen Prozess um bis zu zwei Jahre verzögern können. „Die Harmonisierung wird aber folgen“, sagt Groß.
Die Voraussetzungen für den Umstieg vom Auto aufs Lastenrad in den Städten sind demnach vorhanden. Es gibt eine Norm und die Fahrzeuge, die vertrauliche Dokumente, Menschen und auch schwere oder voluminöse Lasten sicher von A nach B bringen können. Nun sind die Kommunen am Zug. Sie müssen eine Kultur für mehr Lastenrad- und weniger Autoverkehr im eigenen Haus und im Wirtschaftsverkehr etablieren.


Bilder: CaGo – Tino Pohlmann 2023, Erik Groß, stock.adobe.com – pikselstock, LeichtLast

Grundlagen zu Logistik und Wirtschaftsverkehr mit Lasten- und Transporträdern

von Tom Assmann, Anna Bürklen, Johannes Gruber, Dennis Knese, Patrick Mayregger und Christian Rudolph (Hrsg.)

Die Radlogistik ist ein aufstrebender Wirtschaftszweig im Zwischenraum der Fahrrad- und der Logistikbranche. Mit der gleichnamigen Open-Access-Veröffentlichung hat die Branche jetzt ein umfassendes Standardwerk bekommen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2024, September 2024)


Radlogistik ist als Tätigkeitsfeld sehr vielschichtig und dynamisch. Wer sich heute aus akademischer oder professioneller Perspektive mit dem Thema befassen will, hat Glück. In der Fachpublikation „Radlogistik: Grundlagen zu Logistik und Wirtschaftsverkehr mit Lasten- und Transporträdern“ haben eine Handvoll führender Akteure der Radlogistikbranche und ihrer Begleitforschung einen Wissensschatz zusammengetragen, der in dieser Form aktuell einzigartig sein dürfte.
Inhaltlich spannen die zahlreichen Beiträge den Bogen von der Lastenradtechnik und dem regulatorischen Rahmen der Radlogistik über Grundlagen der Logistik, Betriebsplanung und öffentliche Planung bis hin zu Praxiserfahrungen, Trends und Zukunftsaussichten der Branche. In 24 Kapiteln, geclustert in fünf Teile kommen 36 verschiedene Autorinnen zu Wort, die jeweils wertvolle akademische und betriebliche Perspektiven mitbringen. Wer trockene wissenschaftliche Texte erwartet, dürfte aber enttäuscht werden. Die meisten Menschen, die beruflich mit der Radlogistik zu tun haben, stecken voller Leidenschaft für ihre Tätigkeit. Diese Leidenschaft schimmert zumindest stellenweise zwischen den Zeilen hindurch. Das Buch, welches sich als Open-Access-Publikation kostenlos herunterladen lässt, zeigt, dass Radlogistik ein komplexes, aber spannendes Aufgabenfeld ist, das voller spannender Herausforderungen, aber auch Hürden steckt. Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass dieser Wissensschatz viele Nachahmerinnen anzieht.


Radlogistik. Grundlagen zu Logistik und Wirtschaftsverkehr mit Lasten- und Transporträdern | von Tom Assmann, Anna Bürklen, Johannes Gruber, Dennis Knese, Patrick Mayregger, Christian Rudolph (Hrsg.) | Springer Gabler | 1. Auflage 2020 (Deutsche Erstausgabe) | ca. 425 Seiten (farbig, bebildert) | ISBN: 978-3-658-44448-8 | 42,79 Euro (Download: Open Access)


Bild: Springer Gabler

Lastenräder erfordern von ihren Fahrerinnen eine andere Routenwahl als ein wendiges Stadtrad oder ein sportliches Mountainbike. Im Projekt I-Route-Cargobike wurde gewerblichen Lastenrad-Nutzerinnen deshalb genau auf die Finger geschaut. Im Veloplan-Interview erklären Michael Heß (Seven Principles Mobility GmbH) und Johannes Gruber (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) das Forschungsprojekt und die Vision dahinter. Passend navigiert zu werden, könnte immer wichtiger werden, wenn in Zukunft neben Kurier-Profis auch Anfänger*innen vermehrt mit dem Lastenrad unterwegs sind. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Michael Heß (oben) und Johannes Gruber (unten) bringen Cargobike-Expertise aus der Praxis und der Forschung zusammen.

Wie ist das Projekt I-Route-Cargobike entstanden und was genau wollten Sie damit herausfinden?
Johannes Gruber: Alle Arten von Betrieben – vom großen Logistiker bis hin zum Handwerksbetrieb – nutzen Lastenräder, und auch die technologische Entwicklung von Lastenrädern ist extrem dynamisch. Vor diesem Hintergrund haben wir gesehen, dass es noch nicht wirklich Support-Tools gibt, wenn jemand auf das Cargobike umsteigen möchte, der noch nicht bereits jahrelang als Kurierfahrer tätig war. Etwa beim Thema Navigation und Routing: Wir sind davon ausgegangen, dass gewerbliche Cargobike-Fahrende andere Vorlieben und Rahmenbedingungen für die Routenwahl haben als normale Fahrradfahrende.
In der Zusammenarbeit haben wir uns ideal ergänzt, da die Seven Principles Mobility GmbH aus der Praxis kommt und eine datengetriebene IT-Lösung beitragen will. Wir bringen die Vorerfahrung mit Cargobike-Nutzern ein. Aus bestehenden Datengrundlagen haben wir ermittelt, wie sich diese Präferenzen für verschiedene Routencharakteristiken von Lastenradfahrern unterscheiden und bieten damit eine Grundlage, wie sich Strazoon Cargobike, das Produkt von 7P Mobility, weiterentwickeln lässt.

In Ihrem Projekt stützen Sie sich auf den Datensatz eines großen DLR-Projekts. Wie bewerten Sie diese Arbeitsgrundlage?
Gruber: Wir haben ein sehr großes Daten-Set gehabt aus dem früheren Projekt „Ich entlaste Städte“, für das wir insgesamt 750 Unternehmen und Betriebe deutschlandweit begleitet haben. Dabei haben wir im Projekt den Unternehmen und Betrieben Lastenräder zur Verfügung gestellt. Über GPS-Tracking und appbasierte Befragungen haben wir einen einzigartigen Datensatz aufgebaut, was reale Fahrten von Neuanfängern im Lastenradgeschäft betrifft. Das waren Unternehmen jeder Couleur, Lieferdienste, Handwerker, öffentliche Einrichtungen, Werksverkehre, Agenturen oder Gebäudedienstleistungen – alles, wo hin und wieder solche Güter zur Aufrechterhaltung von Betrieben transportiert werden müssen, die in ein Cargobike passen. Das war die Grundlage. Die gefahrenen Routen haben wir ergänzt um Kontextfaktoren, zum Beispiel, ob ein Radweg genutzt wurde, der Weg durch Grünflächen ging, wie hoch die Knotendichte ist oder ob das Haupt- oder Nebenstraßennetz genutzt wurde.
Michael Heß: Was in der Datenqualität etwas schwieriger war, sind die Open-Street-Map-Daten. Die sind grundsätzlich sehr gut, aber als wir erstmals ein spezielles Cargobike-Routing entwickeln wollten, sind wir auf verschiedene Probleme gestoßen. Zum Beispiel heißen Datenelemente in unterschiedlichen Regionen oder Ländern anders. Verschiedene Communitys pflegen das in Open Street Map unterschiedlich ein. Da wäre es natürlich super, wenn noch mehr und weltweit einheitliche Daten verfügbar wären, mit denen man eine Route noch besser berechnen kann. So etwas wie Poller und Drängelgitter zum Beispiel. Solche Barrieren würden wir den Lastenradfahrenden auf ihrer Route gerne ersparen. Da ist noch Potenzial in den Datengrundlagen vorhanden.

Profikuriere in Zürich wurden mit Kameras ausgestattet, um die von ihnen gewählten Routen später detailliert verstehen zu können.

Zusätzlich zu den Fahrten aus „Ich entlaste Städte“ haben Sie auch qualitative Daten erhoben, unter anderem in Zürich. Spielt das Land, in dem die Nutzer*innen unterwegs sind, kaum eine Rolle? Oder sind die Schweiz und Deutschland in dieser Hinsicht besonders gut vergleichbar?
Gruber: Hinter den Datenerhebungen stecken zwei unterschiedliche Ansätze. Wir haben für die Analyse der quantitativen Daten real gefahrenen Routen alternative Routen gegenübergestellt. Diese basierten auf einem Vorschlag von 7P Mobility, der ein normales Fahrrad-Routing mit speziellen Logiken erweiterte, um zum Beispiel Treppen oder steile Anstiege zu vermeiden. Auf dieser Basis haben wir versucht herauszufinden, welche Einflussfaktoren bei der Routenwahl wirken. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass ein hoher Grünflächenanteil sehr wertgeschätzt und dass das Nebenstraßennetz tendenziell bevorzugt wird von Cargobike-Fahrenden. Eine größere Abweichung vom normalen Radverkehr war, dass Fahrradinfrastruktur nicht per se genutzt wird, sondern nur dann eine Rolle spielt, wenn es sich um die schlanken einspurigen Lastenräder handelt. Wir konnten in den Daten also nachweisen, dass dreirädrige und größere Lastenräder zumindest durch die aktuell vorhandene Fahrradinfrastruktur keinen Vorteil haben.
Beim qualitativen Zugang spielen der individuelle Hintergrund des Fahrenden und der räumliche Kontext eine stärkere Rolle. Wir haben mit Berliner Profi-Logistikern gesprochen und die Daten verglichen. Noch detaillierter sind wir mit Züricher Lastenradkurieren vorgegangen, die wir drei Tage begleitet haben. So individuell, wie die Fahrradwege manchmal beschaffen sind, Kreuzungen besonders sind oder es sogar leichte Unterschiede zwischen den Regulierungen verschiedener Länder gibt, so hilfreich ist es doch, durch ganz konkrete Beobachtungen von einzelnen Situationen abzuleiten, wo wir gute Nutzungsentscheidungen treffen und diese vielleicht sogar generalisieren können. Wo ist es für Anfänger nützlich, wenn das Wissen von Profis in so eine Software-Lösung einfließt? Und wo sehen wir aber, dass es ganz individuelle, situative Entscheidungen gibt, die nicht generalisiert abgebildet werden können?
Heß: Die Bedeutung lokaler Besonderheiten fand ich bemerkenswert. Der Profi-Logistiker aus Berlin sagte zum Beispiel „Durch den Tiergarten fahre ich nicht! Da laufen lauter Touristen und Jogger rum“. Solche spezifischen Details kennt man halt nur, wenn man schon vor Ort war und sich durch einen Touristenstrom gekämpft hat.

„Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind.“

Johannes Gruber, DLR

Gibt es sonst noch Verhaltensweisen der Lastenradprofis, die Sie überrascht haben?
Gruber: Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind. Gerade wenn wir an Handwerker denken, die drei bis vier Kundentermine haben und bei denen das Geld woanders erwirtschaftet wird. Da kann man in so einer App später sagen: „Ich nehme lieber den komfortablen Weg oder den Weg durch den Park und bin daher bereit, auch 10, 20 oder 30 Prozent längere Wege in Kauf zu nehmen.“

Da sind wir dann beim Punkt Stadtgrün, der auf vielen Routen präferiert wurde. Was steckt denn hinter einer anderen Präferenz, den Strecken mit vielen Knotenpunkten? Warum sind die für die Nutzer*innen attraktiv?
Gruber: Ein klassisches Erklärungsmuster ist, dass viele Knoten, also eine hohe Konnektivität, eine möglichst direkte, individuell passende Route ermöglichen. Das würde ich in dem Fall auch mit der großen Präferenz für Nebenstraßen zusammenbetrachten. Dieses Netz hat mehr Kreuzungen, die sind aber leichter einsehbar, ohne Ampeln und können einfacher passiert werden. Die hohe Knotendichte ist da also nicht schädlich. Große Kreuzungen gilt es zu vermeiden, da es dort viel Passantenaufkommen und viele Busspuren und Tramlinien mit gefährlichen Bodenbeschaffenheiten gibt. Die sind deutlich schädlicher.

War Strazoon Cargobike, das Tool, mit dem Sie die Vergleichsrouten entwickelt haben, von Anfang an eine Anwendung spezifisch fürs Cargobike? Mit welcher Navigationslogik sind Sie in das Projekt gestartet?
Heß: Wir waren auf der Suche nach innovativen Lösungen für die letzte Meile und hatten damit schon vor dem Forschungsprojekt begonnen. In Strazoon Cargobike haben wir uns drauf konzentriert, primär die alltäglichen Prozesse der Kuriere abzubilden, also Track & Trace, Nachweis der Übergabe oder auch Handling im Mikrodepot. Wir haben gelernt, dass die Prozesse der Radlogistiker aktuell zu heterogen sind, als dass wir sie alle abbilden könnten. Die machen alle tolle Sachen, aber leider alle ein bisschen anders. Die einen holen Korken beim Restaurant ab und bringen sie zum Wertstoffhof, die anderen haben Container mit Mini-Depots in der Stadt verteilt und vieles mehr.
Auch eine erste Version der Touren- und Routenplanung war bereits in Strazoon Cargobike enthalten. Aufgebaut haben wir die auf einer Open-Source-Lösung, dem Open-Route-Service. Der hatte bereits ein Routing-Profil „E-Bike“. Da war zum Beispiel schon hinterlegt, dass Treppenstufen komplett zu vermeiden sind. Das war unser Startpunkt, weil es den Routing-Bedürfnissen eines Cargobikes nahekommt.

Was haben Sie nach dem Projekt nun mit der Anwendung Strazoon Cargobike für eine Vision?
Heß: Für mich persönlich ist das ein bisschen frustrierend. Die Idee, Logistiker mit unserer Lösung glücklich zu machen, funktioniert derzeit wegen der zu geringen Volumina und Heterogenität leider nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. Das ist für mich zwar sehr schade, aber dann ist das halt so. Wir sehen zwar noch weitere Kundengruppen – die eine oder andere Supermarktkette liefert zum Beispiel per Lastenrad aus –, die haben aber meist schon Track-and-Trace-Lösungen und Apps für ihre Fahrer. Für uns ist daher klar, dass wir uns noch mehr fokussieren und auf einen Kernteil spezialisieren wollen. Das ist, das Cargobike-Routing als API-Lösung anzubieten. Kunden können ihre Anwendung dann über eine Internetschnittstelle anbinden und unser Routing direkt in ihre eigenen Applikationen integrieren. Dort bekommen wir dann die anzufahrenden Stopps und liefern für Cargobikes optimierte Touren und Routen zurück. Damit lösen wir uns davon, ein sehr heterogenes Kundenumfeld bedienen zu müssen und konzentrieren uns auf den Innovations-Aspekt unserer Lösung.

Inwiefern ist diese Innovation auch für private Nutzer*innen von Lastenrädern interessant?
Heß: Wir haben den Versuch gewagt und eine App gebaut, die nur Zielführung und Navigation bietet. Im Prinzip eine Zweitverwertung des Routings. Die App ist auch schon im Play-Store zu finden. Wir haben aber nicht geglaubt, dass man damit die Menschen besonders glücklich machen kann, da man als Privatnutzer sehr häufig dieselben Routen fährt, so die Annahme. Man fährt da, wo man sich gut auskennt, und braucht die Routing-Unterstützung eher selten. Wir wollten es trotzdem ausprobieren.
Was wir noch auf dem Zettel haben, aber noch nicht als Feature eingebaut haben, ist eine unfallfreie Route. Man kann sich zum Beispiel anschauen, wo Unfallschwerpunkte sind und diese meiden, um sicherer durch die Stadt zu kommen. Das wäre ein Feature, das vielleicht auch für private Kunden einen Mehrwert bietet.
Gruber: Die Erkenntnisse, die wir herausgezogen haben – wie zum Beispiel die Wichtigkeit eines guten Nebenstraßennetzes oder die Radwegebreite – sind natürlich Aussagen, die auch für die Planung von Relevanz sein können. Dass man das Fahrradnetz nicht nur an Hauptstraßen denkt, sondern zum Beispiel durch Fahrradstraßen auch Möglichkeiten schafft in den Nebenstraßen. Ich denke, dass Privatleute das eher bevorzugen würden und tendenziell große Knoten und Ansammlungen eher meiden. Wenn man sich die stark wachsenden Lastenradverkaufsanteile ansieht, verbunden mit Substitutionsquoten, die manche Kommunen und Unternehmen rausgeben, dann können über den Aspekt der Planung auch Privatleute profitieren.

„Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.“

Michael Heß, 7P Mobility

Was hoffen Sie, wie sich das Thema Lastenradnavigation in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird, und welche Projekte und Forschung sind zu diesem Thema noch nötig?
Gruber: Ich denke, wir haben einige Ansatzpunkte, an denen es Optionen gibt, weiterzumachen. So könnte man vielleicht die situativen Aspekte wie den aktuellen Verkehrsfluss berücksichtigen oder unterschiedliche Stadttypen und Nutzungsarten unterscheiden.
Heß: Wir versuchen, einen Teil dessen, was ich mir auch persönlich wünsche, umzusetzen: nämlich, dass wir das, was wir jetzt erarbeitet haben, Open Source bereitstellen. Damit können auch andere zum Thema beitragen. Denn die Entwicklung einer Navigation, die an einen Radkurierprofi heranreicht, ist sehr herausfordernd. Mein Erlebnis war bisher auch immer, dass die Profis das ein wenig abtun und sagen „euer Algorithmus kann nicht so gut sein wie ich, wenn ich hier unterwegs bin“ – was ja ehrlicherweise auch stimmt. Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind aber nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.
Gruber: Wahrscheinlich müsste man direkt beim Absatz, also bei Händlern oder Herstellern anfangen. Man kann sich überall sein Smartphone auf den Lenker schnallen. Jedes Auto hat ein Touchdisplay, braucht es das nicht auch noch stärker? Wo ich auswählen kann, wo ich hinwill und ob der Weg schnell, sicher, bequem oder landschaftlich reizvoll sein soll. Das könnte ein Hebel sein für nachhaltige Fahrradlogistik, aber eben auch für Routing-Lösungen.


Bilder: DLR – Amac Garbe, 7 Principles, DLR, Johannes Gruber

Cargobikes sind hip. Das Angebot ist riesig. Völlig unterschiedliche Lastenrad-Konzepte und Konstruktionen mit verschiedensten Eigenschaften und Talenten existieren nebeneinander. Eine systematische Betrachtung verschafft mehr Überblick. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Für Handwerker, Lieferdienste, im privaten Alltagseinsatz oder als Familienkutsche zum Kindertransport und Einkaufen genutzt, Fahrräder mit Transportkapazität entwickeln sich immer mehr zum idealen Allround-Fahrzeug mit vergleichsweise niedrigem ökologischem Fußabdruck.
Vielen ersetzt das Lastenrad bereits das Auto, und dies nicht nur in Ballungsräumen. Fast so vielfältig wie ihre Transportaufgaben sind Cargobikes auch im Aufbau und in ihrer Technik. Die Konzepte unterscheiden sich teils erheblich. Auch Ladekapazität, Schwerpunktlage und damit Fahrverhalten und Fahrsicherheit der Cargo-Gefährte sind sehr verschieden. Cargobikes stellen zudem andere Ansprüche an die Fahrrad-Infrastruktur als reguläre Fahrräder und E-Bikes, sowohl in Benutzung als auch beim Parken. Die Cargobike-Szene ist über viele Jahre langsam, aber kontinuierlich gewachsen. In den letzten Jahren ist sie regelrecht explodiert. Viele kleine, hoch spezialisierte Nischenanbieter, mittlerweile aber auch große, internationale Player tummeln sich auf einem expandierenden Markt. Daher existiert eine fast unüberschaubare Vielzahl völlig unterschiedlicher Ideen, Konzepte und Konstruktionen von Lastenrädern nebeneinander. Dennoch lassen sich die meisten Cargobikes nach ihrer Bauart in fünf Haupt-Kategorien einteilen.

Long John: der Vorreiter

Die Form des Long-John-Lastenrads, in den Niederlanden auch Bakfiets genannt, gibt es bereits seit den 20er- Jahren des vorigen Jahrhunderts. Auffällig ist der extralange Radstand, meist mit einer Federgabel und kleinem Vorderrad an der Front. Zwischen Vorderrad und Lenkermast ist eine tief platzierte Ladeplattform oder Transportbox untergebracht. Zum Kindertransport finden sich darin ein oder zwei klappbare Sitze, Gurte und darüber optional ein Regendach. Ab dem Lenker folgt der Rahmen dem konventionellen, fahrradtypischen Konzept mit tiefem Einstieg, Sitzrohr und Sattel sowie einem starren Hinterbau, meist mit 28-Zoll-Hinterrad. Als Antrieb fungiert üblicherweise ein kraftvoller Mittelmotor mit Ketten- oder Nabenschaltung. Nabenmotoren im Hinterrad findet man an günstigeren Modellen. Zum Parken bockt man den „langen Johannes“ mittels Zweibeinständer auf. Long Johns können, je nach Ausstattung, Bauart und Anzahl der Akkus, bis zu 60 Kilo Leergewicht auf die Räder bringen. Die Kaufpreise für Top-Modelle bewegen sich bis in den fünfstelligen Bereich. Relevante bauliche Unterschiede gibt es vor allem bei der Lenkung: Modelle mit Gestängelenkung sind tendenziell etwas preisgünstiger, lassen aber nur einen geringen Lenkeinschlag am Vorderrad zu. Sie sind deshalb schwieriger zu rangieren. Die deutlich aufwendigere Seilzuglenkung erlaubt einen Lenkeinschlag von über 90 Grad am Vorderrad. Solche Modelle können sogar auf der Stelle wenden.
Vorteile des Long-John-Konzepts ist der ideale, tief zwischen den Rädern liegende Systemschwerpunkt, leer sowie beladen, was gute Fahreigenschaften und unproblematisches Handling mit sich bringt. Zudem sind, je nach Konstruktion, hohe Nutzlasten und ein dementsprechend hohes zulässiges Gesamtgewicht möglich.
Nachteilig ist, dass oft das Vorderrad von Transportbox oder Ladung verdeckt wird. So kann man nicht sehen, wie der aktuelle Lenkeinschlag ist. Man muss sich an das „blinde Lenken“ erst gewöhnen. Zudem hat ein Long John aufgrund seiner Länge einen riesigen Wendekreis. Das kleine Vorderrad rollt holperiger und kann keine so hohen Stufen oder Unebenheiten überwinden wie ein großes Laufrad. Kurvenfahren und Rangieren muss man anfangs gezielt üben, bevor man mit der Fuhre sicher unterwegs sein kann. Aufgrund von Breite und Länge sind Umlaufsperren, Poller oder enge Kurven schwierig zu passieren. An Einmündungen ist das Einfahren auf Sicht wegen des überlangen Vorderbaus problematisch. Lasten müssen fest verzurrt und gesichert werden, damit sie in Kurven oder beim Bremsen nicht verrutschen können. Bei sehr langsamer Fahrt oder beim Anfahren kann es leicht kippelig werden. Das Rad zu tragen ist aufgrund der Länge und unhandlicher Dimensionen bestenfalls zu zweit möglich. Auch für einen Transport in der Bahn und auf, am oder im Auto sind Long Johns schlecht bis gar nicht geeignet.

Das Longtail ist praktisch und beliebt bei Kunden. Zudem fährt es sich fast wie ein normales Fahrrad.

Longtail: der Hippster

Die ersten Longtail-Bikes rollten Mitte der 00er-Jahre über kalifornische Straßen und haben sich seitdem vor allem unter jungen Familien einen großen Fan-Kreis erobert. Wie der Name sagt, sind Zuladung oder Passagiere bei diesem Konzept hinter dem Sattel platziert. Dazu wird der Hinterbau gestreckt und verstärkt. Der längere Abstand vom Tretlager zum angetriebenen Hinterrad bedeutet auch für die Transmission, also Kette oder Riemen, mehr Aufwand bei Verschleiß, Wartung und Pflege. Zuladung bringt man idealerweise in tief aufgehängten Seitentaschen oder auf dem langen Deck des Gepäckträgers unter. Durch den langen Hinterbau läuft ein Longtail sehr stabil und ruhig geradeaus. Enge Kurven mag ein solches Bike weniger. Ein Longtail kann mit großen Laufrädern gleicher Größe vorne und hinten aufgebaut werden, was gute Rolleigenschaften und ruhigeren Lauf auch auf unebenem Untergrund verspricht. Es gibt aber auch Modelle, die mit 20- bis 26-Zoll-Laufrädern kompakter ausfallen und wendiger sind. Durch den etwas tieferen Systemschwerpunkt lassen sich diese Modelle beladen stabiler fahren. Zudem kann über einem kleineren Vorderrad ein zusätzlicher Front-Gepäckträger installiert werden.
Vorteilig ist ein Longtail, wenn man vorwiegend einzelne, kleinere Gegenstände transportiert, die sich gut in Seitentaschen unterbringen lassen. Auch für kleine und sogar große Passagiere ist das Longtail ein angenehmes, oft sogar reizvolles Transportmittel, wenn hinten eine Sitzbank, Haltegriffe und Fußrasten angebracht sind. Abstellen und rangieren gehen leicht von der Hand. Durch die schmale Bauart unterscheiden sich Fahrverhalten und Handling nur wenig von einem normalen Fahrrad.
Nachteile: Die lange Hinterbaukonstruktion bringt höheren Antriebsverschleiß mit sich, die Wartung ist aufwendiger. Pflegeleichte Riemenantriebe sind nur schwierig zu realisieren, da Gates-Riemen nur in definierten Längen lieferbar sind. Das hohe Drehmoment eines Mittelmotors intensiviert den Verschleiß der längeren Kette. Zudem entsteht mehr Reibung im System, was den Wirkungsgrad von Motor und Akku schmälert. Schwere Lasten oder Personen, die auf dem Gepäckträger sitzen, beeinflussen durch den ungünstig hohen Schwerpunkt das Fahrverhalten negativ. Aufgrund der Hebelverhältnisse ist das Bike stärker anfällig für Torsionskräfte als ein Long John mit breiter abgestützter Rahmenkonstruktion. Das Longtail ist nur schwer alleine zu tragen und, je nach Länge, schwierig per Auto oder Bahn zu transportieren.

Optisch sehr nah am normalen Fahrrad, aber trotzdem mit einigem Talent zum Lastentransport ausgestattet, ist das Bäckerfahrrad.

Bäckerrad: fast normal

Auf einen ersten, flüchtigen Blick sieht das Bäckerrad aus wie ein ganz normales Fahrrad. Es hat vorn allerdings ein deutlich kleineres Laufrad als hinten, was Platz für einen rahmenfesten, breiten Gepäckträger schafft. Darauf lassen sich ein Korb oder eine Transportkiste befestigen, die die Zuladung aufnehmen. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fuhren so frühmorgens Bäckerjungen Brot und Brötchen aus, daher die Gattungsbezeichnung. Wichtig ist, dass der Fronträger am Rahmen montiert ist und nicht etwa an der Gabel, wo er mitgelenkt wird. Denn das macht das Lenkverhalten schwergängig und unpräzise. Am Bäckerrad lassen sich, je nach Konstruktion, Lasten bis etwa 25 Kilo passabel transportieren.
Vorteil: Es werden nur wenige spezifische Bauteile und Komponenten benötigt, deshalb ist das Bäckerrad ein relativ preisgünstiges Konzept. Seine kompakte Form und Maße machen es unproblematisch und intuitiv fahrbar, auch Handling und Abstellen bleiben unkompliziert. Optional können viele Modelle mit einem Kindersitz hinten ausgerüstet werden.
Ein offenes Transportbehältnis vorne ist schnell und leicht zu be- und entladen.
Nachteile: geringere Ladekapazität als bei anderen Konzepten und relativ hoher Lastschwerpunkt. Die Konstruktion muss betont seitensteif ausgelegt sein, damit das Fahrverhalten nicht darunter leidet.

Ein Dreirad kann im Stand nicht umkippen und ist deshalb besonders zum Kindertransport beliebt. Doch das Fahren erfordert etwas Umgewöhnung.

Dreispurer: das Zwei(pluseins)rad

Bei zwei Vorderrädern und einem Hinterrad – oder umgekehrt – spricht man von einem Dreispurer. Die klassische Rikscha basiert ebenfalls auf diesem Prinzip. Zwischen den Rädern entsteht Platz für Zuladung, die, über der Achse oder achsnah platziert, relativ leicht lenkbar bleibt. Die Last verteilt sich auf zwei Rädern einer Achse gleichmäßiger als auf nur einem. Dafür entstehen mehr Rollwiderstand und Systemreibung. Durch ihre Breite, die in der Regel nicht viel über die übliche Breite eines Fahrradlenkers hinausgeht, lassen sich Dreispurer bei passabler Lastkapazität relativ kurz und kompakt bauen. Auch Ungeübte können sie auf Anhieb problemlos fahren und sicher beherrschen. Ein Dreirad dieser Bauart kann nicht kippen oder umfallen, sich jedoch auch nicht in Kurven legen. Dreirädrige Bikes benötigen eine Feststellbremse, die verhindert, dass das unbesetzte Rad wegrollen kann. Dreispurer sind meist mit Transportbox oder -kiste aufgebaut und werden gern zum unkomplizierten Kindertransport benutzt. Dafür sollten sie jedoch unbedingt mit Sitzbank und Gurten ausgerüstet sein. Dreispurer sind ein Cargo-Konzept, das vor allem in Dänemark eine schon etwas längere Tradition hat. Daher werden auch viele kostengünstige Modelle ohne Motor angeboten.
Vorteile: Kompaktes, wendiges und meist preisgünstiges Fahrzeug mit unproblematischen Fahreigenschaften und hoher Standsicherheit, auch bei sehr langsamer Fahrt. Gut zu rangieren.
Nachteile: Die Fahrzeugbreite schränkt an engen Stellen ein. Kurven muss man mit angepasster Geschwindigkeit durchfahren. Die Konstruktion von Rahmen und Doppelrad-Achse ist oft aufwendig, die Lenkung kann schwergängig und träge ausfallen. Insbesondere einfache Drehschemel-Konstruktionen lassen sich nur mit eingeschränktem Radius und erhöhtem Krafteinsatz lenken. Ein Dreispurer lässt sich schlecht tragen oder über Schwellen oder Treppen schieben. Nur stehend oder liegend in Autos mit Ladefläche transportierbar.

Lastenräder mit Neigetechnik lassen sich vergleichsweise dynamisch bewegen, wenn die Fahrerin oder der Fahrer sich mal an die entsprechende Fahrweise gewöhnt haben.

Mehrspurer: die Ingenieurslösung

Eine Herausforderung für Konstrukteure wie für Nutzer sind Räder mit Neigetechnik. Sie erlauben höhere Kurvengeschwindigkeiten und fahren sich deutlich eleganter, flotter und flüssiger als starre Mehrspurer. Im Stand oder bei langsamer Fahrt können sie unbeabsichtigt seitlich wegknicken und benötigen deshalb geübte Fahrer und Fahrerinnen sowie eine Blockierfunktion der Neigemechanik beim Parken. Auch eine Feststellbremse ist Pflicht, damit man das Rad sicher abstellen kann. Der höhere Aufwand bei Konstruktion und Bau schlägt sich auch in einem höheren Preis nieder. Die aufwendige Neigetechnik findet sich in vielen, sehr unterschiedlichen Cargobike-Modellen. Die sind teils zum reinen Lasten-, teils zum Transport meist begeisterter Kinder ausgestattet.
Vorteile: Neigetechnik macht eine hohe Fahrdynamik und harmonisches Fahrverhalten auch bei beladenem Bike möglich. Sie erlaubt durchgehend höheres Geschwindigkeitsniveau, speziell auch in Kurven.
Nachteile: Es gibt keine Standardteile oder Technik-Module, auf die Hersteller beim Fahrwerk zurückgreifen könnten. Neigetechnik-Konstruktionen sind deshalb immer individuell, aufwendig und vergleichsweise teuer. Anfahren und langsame Fahrt funktionieren nur nach vorherigem Training. Beim Abstellen müssen Feststellbremse und Neigungsblockade benutzt werden. Die kompliziertere Technik bringt einen höheren Wartungs- und Pflegebedarf mit sich.
Als Fazit lässt sich feststellen: Cargobikes sind gute Indikatoren für die Qualität einer bestehenden Fahrrad-Infrastruktur. Durch ihre spezifische Technik, den Formfaktor und ihr höheres Gewicht stellen sie komplexere Anforderungen an ein Verkehrssystem als regulärer Radverkehr: Durchgängig breite Fahrbahnen, weiche Kurvenradien, weniger erzwungenes Stop&Go, vom Autoverkehr getrennte Wegeführung, sichere und großzügige Abstellflächen in der Nähe von Wohnung, Arbeitsplatz und im Stadtgefüge. Daher gilt: Wo sich Lastenradlerinnen und -radler wohlfühlen, geht es allen Radfahrerinnen und -fahrern gut.


Bilder: Yuba – elmer&&jack, Tern, Bergamont, Nihola, Chike

Lastenräder gab es zwar auch schon, bevor Riese & Müller 2013 erstmals sein Modell Load vorstellte, doch mit der Markteinführung brachte der Premiumhersteller einige Innovationen, die das Cargo-Segment seitdem nachhaltig geprägt haben. Auf der Eurobike stellt Riese & Müller nun die bereits vierte Modellgeneration in der Variante Load 75 vor. Der Innovationsfreude sind die Hessen auch zum zehnten Load-Geburtstag treu geblieben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Mit tiefem Schwerpunkt, Cargo-Line-Motor von Bosch und voll gefedert, von Riese & Müller als Control Technology beschrieben, gibt es kaum eine Fahrsituation, die das Load4 75 selbst bei voller Zuladung mit bis zu 200 Kilogramm Gesamtgewicht aus der Ruhe zu bringen vermag. Insbesondere dann, wenn sich die Kundinnen für die Option mit einem ABS- System von Bosch und einer Cargo-spezifischen Magura-Scheibenbremse entschieden haben. Die Ziffer 75 in der Modellbezeichnung beschreibt die größere der beiden Load-Varianten. Deren variabel gestaltbarer Transportraum bietet viel Potenzial zum Beladen, entweder bei Logistikaufgaben oder beim Transport von bis zu drei Kindern, die sich über einen großzügigen Fußraum freuen. Apropos Familien: Mit wenigen, unkomplizierten Handgriffen lassen sich Lenker und Sattel für Körpergrößen von 1,50 bis 1,95 Meter anpassen. Der optionale RX Chip macht das Load4 75 zum Connected E-Bike. Die aktuelle GPS-Position des Bikes wird automatisch in der Cloud aufgezeichnet und lässt sich etwa im Fall des Diebstahls per App abrufen. Das digitale Lock-Feature informiert zudem, wenn das Load bewegt wird. Abschließen sollten Besitzerinnen es natürlich trotzdem noch mit dem integrierten Abus-Rahmenschloss. Zusätzlich kann das Bike je nach Servicepaket mit dem Premium-Versicherungsschutz und Wiederbeschaffungsservice im Diebstahlfall, aber auch auf Reisen oder bei Schäden abgesichert werden.


Bilder: Riese & Müller

Lastenräder sind oftmals das umweltschonendste und schnellste Transportmittel in der Stadt. Die Plattform E-Cargoville LJ von Bergamont bietet viele Möglichkeiten, das einspurige Lastenrad an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Das E-Bike bietet in zwei Längenvarianten die jeweils passende Transportkapazität. Die Load Unit 70 bietet eine 20 Zentimeter längere Ladefläche als die Load Unit 50. Beide Versionen sind 45 Zentimeter breit und erlauben eine maximale Zuladung von 90 Kilogramm bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 220 Kilogramm.
Individuell konfigurierbar ist auch die Antriebseinheit. Kunden und Kundinnen haben die Wahl zwischen drei Varianten. Das E-Cargoville LJ Edition kombiniert den Gen.-3-Performance-Line-Motor von Bosch mit einer 10-Gang-Kettenschaltung von Shimano und dem Intuvia-Display von Bosch. Bei den Versionen Expert und Elite setzt der Hamburger Hersteller auf den Cargo-Line-Motor Gen. 4 von Bosch und die stufenlose Enviolo-Schaltung. Über diese können die Gänge des kettenbetriebenen Modells Expert manuell und die des riemenbetriebenen Modells Elite automatisch geschaltet werden. Beide Varianten sind mit dem Kiox-Bordcomputer von Bosch ausgestattet, der erweiterte Konnektivität bietet. Das Modell Elite ist durch die Vario-Sattelstütze besonders komfortabel in der Sitzhöhe verstellbar. Alle Modelle sind für ein Größenspektrum zwischen 1,60 und 1,90 Meter geeignet. Ein zweiter Akku ist optional erhältlich. Alle Modelle verzögern mithilfe der hydraulischen 4-Kolben-Bremse Magura CMe5.
Verschiedene Optionen für Aufbauten erlauben den komfortablen Transport von Kindern oder Gegenständen. Für Letztere empfiehlt sich die Alloy Box. Sie besteht aus hochwertigem, wetterfestem Aluminium, fasst je nach Ladefläche 150 oder 200 Liter Volumen und ist abschließbar. Die Box ist stoß- und wasserfest sowie auf Schwingungsdämpfern montiert und in beiden Größen kompatibel mit Euro-Boxen in den Maßen 400 x 300, in der Langversion sogar mit Euro-Boxen in 400 x 600 Millimetern Größe. Der Deckel öffnet mithilfe einer Gasfeder.


Bilder: Bergamont

Das FS200 Vario ist das zweite Lastenrad der Koblenzer Firma Ca Go und hält für den bunten Alltag ein ganzes Spektrum an optionalem Zubehör bereit. Aber nicht nur Vielseitigkeit schreibt der Hersteller groß. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Das FS200 Vario richtet sich an anspruchsvolle Lastenradfahrerinnen und -fahrer mit dem Fokus auf vielfältige Transportaufgaben. So verfügt das neue Modell über zahlreiche clevere Details, die die Alltagstauglichkeit auf ein neues Niveau heben sollen. Ausgangsbasis ist die Ladefläche aus Foamlite, die über zahlreiche integrierte Aussparungen, Streben und Klemmschellen verfügt. Das Zubehör bietet einige Optionen, um die Ladung unterzubringen und zu sichern. Mit dem Organizer-Set lässt sich die Ladefläche auf dem Grundformat der beliebten Euroboxen variabel einteilen. Mit den Top-Rails bietet Ca Go eine zusätzliche Längstraverse, die in Verbindung mit den serienmäßigen Cross-Bars auch höhere Gegenstände davor sichert, umzufallen.

Angetrieben wird das FS200 Vario vom Bosch-Motor Performance CX Cargo Line mit 625-Wh-Akku. Zudem ist das Rad ab Werk fähig, eine zweite Batterie aufzunehmen. Damit erzielt das Lastenrad Reichweiten bis zu üppigen 125 Km. Der Gates-Riemenantrieb mit Riemenspanner und die Nabenschaltung Enviolo Automatiq machen das E-Lastenrad-Leben wartungsarm und langlebiger. Überzeugen wollen die Koblenzer auch mit ihrem Sicherheitskonzept. Der niedrige Schwerpunkt soll das Fahrverhalten besonders angenehm machen und im Stand und beim Rangieren für mühelosen und sicheren Betrieb sorgen. Die groß dimensionierte Scheibenbremsanlage von Magura verzögert das Gefährt effektiv. Die Sicherheits-Seilzuglenkung mit doppelter Zugführung sorgt für agiles Handling und ermöglicht einen Wendekreis von nur 2,25 Metern. Die vielen durchdachten Details und die reichhaltige Ausstattung sollen Reserven schaffen für Transportaufgaben, die bisher Autos vorbehalten waren.

Ca Go geht auch beim Versand des FS200 Vario neue Wege. Händler und Kunden erhalten ihr Rad komplett endmontiert. Zudem geschieht der Versand völlig verpackungs- und abfallfrei.


Bilder: Ca Go

Indem sie am Tag der Bestellung liefern, können kommunale Radlogistik-Projekte sogar große Online-Händler übertrumpfen. Da die Lieferung aus dem lokalen Einzelhandel die schnellste Option ist, gibt es gute Chancen für den Einsatz gegen das Händler- und Innenstadtsterben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Fakt ist: der Online-Handel boomt. Ob es nun der Pandemie zugeschoben werden kann oder nicht, ist zweitrangig. Laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel sind die online erzielten Umsätze vieler Warengruppen innerhalb eines Jahres im zweistelligen Bereich gestiegen. Im ersten Quartal 2021 wurden online 84 Prozent mehr Lebensmittel verkauft als im Vorjahresquartal. Bei Drogerie-Produkten waren es 62 Prozent mehr, und auch Blumen, Medikamente und Haushaltswaren zogen massiv an. Der kleinste Teil dieses Wachstums dürfte dem kleinen, lokalen Einzelhandel zugutekommen. Doch gerade dieser prägt das Stadtbild, mit oft einzigartigen Ladengeschäften und lokal ansässigen Mitarbeitenden. Die kleinen Einzelhändler*innen machen zwar nur zehn Prozent des Umsatzes, aber
54 Prozent der Standorte in Innenstädten aus. Damit der Einzelhandel in der Innenstadt bestehen bleibt, gibt es immer mehr Kommunen und andere Akteure, die Logistikprojekte mit Lastenrädern ins Leben rufen.

Wichtig: zukunftsfeste Innenstädte

Vielerorts gibt es Leerstände, Handelsketten füllen viele der verbleibenden Ladenlokale. Die Stadtverwaltungen sind besorgt. Das bestätigt die Studie „Zukunftsfeste Innenstädte“, bei der unter anderem der Industrie- und Handelskammertag und der Deutsche Städtetag die Verwaltungen aller Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnerinnen befragten. Nach Corona wird es an Standorten mittlerer Qualität, sogenannten B-Lagen, voraussichtlich fünf Prozent mehr Leerstand geben. An den Haupteinkaufsorten, den A-Lagen, rechnen die Macherinnen der Studie mit wenig Leerstand. Im Schnitt gehen die Teil-nehmerinnen der Studie davon aus, dass es nach der Pandemie 13 bis 14 Prozent weniger Einzelhandelsbetriebe geben wird als davor. Tot sind die Innenstädte zwar nicht, aber gerade während der Pandemie begegnete die Politik dem vermeintlichen Innenstadtsterben mit Maßnahmenpaketen und Finanzspritzen. Für den Erhalt der Innenstädte, wie die Menschen sie kennen und manchmal romantisieren, scheint der Handel weiterhin ein wichtiges Standbein zu sein. 2020 zeigte eine Umfrage, dass über die Hälfte der Menschen zum Befragungszeitpunkt in der Stadt waren, weil sie etwas einkaufen wollten. Der Handel ist also wichtig für Innenstädte. Sicher ist er nicht die einzige Funktion, die ihnen zukommt, aber er belebt sie spürbar. Die Frage, die Verwaltungen sich stellen müssen, ist, wo sie die Bürgerinnen abholen wollen. Eine Strategie könnte lauten „Die Leute wollen ihre Einkäufe schnell haben und beliefert werden, also beliefern wir sie schnell.“ Eine andere wäre der Versuch, das Verhalten der Leute zu ändern und ihnen das Treiben in der Innenstadt attraktiver zu machen.
Um die Menschen in der neuen Gewohnheit der Online-Käufe abzuholen, bieten immer mehr Städte und Unternehmen die Belieferung aus der Innenstadt an. Lastenräder machen es möglich, dass diese umwelt- und umgebungsschonend ist. Sogar taggleiche Lieferungen sind möglich.

Modellprojekt Kiezkaufhaus in Bad Honnef

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mittags im Homeoffice am Schreibtisch und überlegen, was es abends Gutes zu essen geben soll. Sie entscheiden sich für eine Lieferung aus verschiedenen Fachgeschäften, wie den örtlichen Metzger, Frischfisch-, Gemüse- oder Weinhändlern. Zu einem vereinbarten Zeitpunkt kommt ein Lastenradfahrer und überreicht Ihnen eine Tasche mit Ihren Bestellungen. Ein entspannter Abend kann beginnen. In Bad Honnef funktioniert das längst mit einem virtuellen Kiezkaufhaus. Das liefert auch verderbliche Waren lokal per Lastenrad in einem Radius von bis zu 15 Kilometern.
Die Fahrerinnen des Kiezkaufhauses liefern bei Bestellungen, die vor 13 Uhr eingehen, noch am selben Tag aus. Die Lieferung kostet 2,50 Euro. An Wochentagen können die Bürgerinnen Bad Honnefs flexible Lieferzeitfenster zwischen 16 und 20 Uhr wählen. Über 30 der etwa 70 Einzelhändler der Stadt machen mit. Die Kuriere bringen die Waren zu einem Tagesdienst, wo sie kommissioniert werden. Das hat den Vorteil, dass alle, auch bei unterschiedlichen Händlern bestellten Waren, in einer Tasche geliefert werden.
Gefördert wurde die Initiative mit je 100.000 Euro vom Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt. In einem Innenstadtbüro ist das Kiezkaufhaus auch analog ansprechbar. Das stärkt die Verbindung zum Einzelhandel. Dieser setzte den anfänglichen Impuls und berichtete bei der Wirtschaftsförderung von ausbleibenden Umsätzen und einer sinkenden Besucherfrequenz. Das 2018 begonnene Projekt muss für Bad Honnef nicht wirtschaftlich sein, sondern es läuft als Wirtschaftsförderung 2.0. „Wir unterstützen den Einzelhandel dabei, sich zukunftsfähig zu machen, sich zukunftsorientiert aufzustellen.“, sagt Andrea Hauser von der Wirtschaftsförderung Bad Honnef. Abhängig vom Lieferservice seien die Händler*innen aber nicht.
Das Kiezkaufhaus müsse als kleines Rädchen eines großen Ganzen gesehen werden, so Hauser. „Wir haben ein Fahrradkonzept für die ganze Stadt entworfen. Das Thema Fahrradfahren und emissionsfreie Logistik ist wirklich ein ganz großes in unserer kleinen Stadt.“ Deshalb will Bad Honnef in diesem Jahr knapp 97.000 Euro, davon 70 Prozent Fördermittel vom Bundesministerium für Verkehr und Digitales, in eine Analyse der städtischen Logistik investieren.

Beim Kiezkaufhaus in Bad Honnef machen über 30 der rund 70 Einzelhändlerinnen der Stadt mit. Sogar frischen Fisch können die Kundinnen bestellen.

Neues Kaufverhalten mitgedacht

Das Same-Day-Konzept ist ein fester Bestandteil des Projekts. „Ich glaube, das ist sehr wichtig, weil ich gerade bei Produkten des täglichen Bedarfs sehr spontan und kurzfristig sein möchte“, erklärt Hauser. „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zu den Big Playern, sondern als kleine, feine lokale Lösung, die aber durchaus in Nachbar- und anderen Kommunen denkbar ist mit den entsprechenden Voraussetzungen.“ Das Konzept Kiezkaufhaus stammt von einer Agentur und kann als Franchise lizenziert werden.
Viele Kundinnen nutzen die teilnehmenden Geschäfte dabei hybrid. Sie sind manchmal vor Ort und bestellen gelegentlich digital. Dass die Grenzen zwischen Offline- und Online-Handel immer mehr verschwimmen, beschrieb Jörg Albrecht von der Agentur Neomesh bei der 2. Nationalen Radlogistik-Konferenz, die im September des letzten Jahres in Frankfurt am Main stattfand. Die Vision: Ein Kunde sieht zum Beispiel ein Produkt online, geht dann in den Laden, um sich dort beraten zu lassen, und bestellt dann online, um es sich lokal liefern zu lassen. Was im Einzelhandel sonst als Beratungsklau bekannt ist, stellt kein Problem mehr dar, wenn der Offline-Händler auch online verfügbar ist. Die Grenzen zwischen Offline und Online zerfließen und bei jedem Schritt im Kaufprozess könnten die Kundinnen die Sphäre wechseln.

Sorgenloses Shoppen in Würzburg

Ein ähnlich innovatives Projekt verfolgt die Stadt Würzburg mit WüLivery, einer Wortschöpfung aus Würzburg und Delivery. Die Firma Radboten will den Würzburgerinnen das Lästige am Shoppen, nämlich den Transport nach Hause abnehmen. Das Prinzip: Shop & Drop, also lokales Einkaufen mit nachträglicher Lieferung per Lastenrad. Die Kundinnen können aber ebenfalls gleich online lokal einkaufen. Alles, was vor 16 Uhr bestellt ist, wird vor 19 Uhr geliefert. Kostenpunkt: 4,50 Euro pro Lieferung. Um den Stein ins Rollen zu bringen, wurde der Preis zunächst mit 2,50 Euro, später mit einem Euro bezuschusst.
Inzwischen ist das Projekt etabliert und bietet gute Nebeneinkünfte für die Radboten, deren Hauptgeschäft die schnelle Lieferung von Dokumenten und Arzneimitteln ist. Initiiert wurde das Projekt von der Stadt und dem Stadtmarketing. Auch der Handelsverband Bayern steht dahinter. „Wir haben als Stadtmarketing immer gesagt: Wir dürfen nicht teurer sein als DHL oder andere Paketdienstleister“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Weier. Im November 2020 startete WüLivery mit 35 Lieferungen pro Tag. Aktuell hat sich die Nachfrage auf 30 bis 50 Lieferungen am Tag eingependelt. Über 110 der 650 Einzelhändler*innen in Würzburgs Innenstadt machen inzwischen mit.

Die Radboten übernehmen die Logistik für das Projekt WüLivery. Auf einen eingespielten Partner zurückgreifen zu können, war ein Vorteil für das Projekt.

An einem Strang ziehen und Fördermittel nutzen

Die Beispiele haben gemeinsam, dass sie auf Kooperationen basieren. An einem Strang zu ziehen, ist laut Andrea Hauser ein Erfolgsfaktor. „Ich würde frühzeitig die beteiligten Akteure mit ins Boot nehmen, damit sie so ein Projekt als ihr eigenes und wichtiges ansehen und damit auch den Bedürfnissen des Marktes gerecht werden.“ Wenn das Projekt wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen soll, rät Wolfgang Weier zu einer Mindestgröße. „Unter 50.000 Einwohnern wird es schwierig, dass sich ein Radkurierservice lohnt.“ Wenn es schon einen Anbieter gibt, mit dem eine Kooperation denkbar ist, umso besser. Die Stadtgröße müsse ermöglichen, ein etwas profitableres Hauptgeschäft zu haben. „Man sollte sich von vorneherein die Zeit geben, die so ein Projekt braucht, um fliegen zu lernen“, ergänzt Weier.
Neben Zeit braucht ein solcher Projektstart natürlich auch Geld. Zur Unterstützung für gewerbliche Lastenrad-Projekte gibt es eine bundesweite Kaufprämie, die bis zu 2.500 Euro der Anschaffungskosten abdeckt. Dar-über hinaus gibt es verschiedene Bundesländer und Kommunen, die die Anschaffung unterstützen. Manche davon sind mit der Bundesprämie kombinierbar. Mit weniger Startkapital kommt aus, wer ein Lastenrad mietet, anstatt es zu kaufen. Das ist zum Beispiel bei Dockr möglich. Dort bekommt man im Abo ein Rundum-sorglos-Paket, inklusive Service, Reparaturen und Ersatzrad, falls eine Reparatur mehr als zwei Tage dauert.
Immer wieder gibt es außerdem Fördertöpfe, aus denen Lastenradlogistik-Projekte bedient werden können, zum Beispiel das Programm „Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken“ in Nordrhein-Westfalen. Die aktuelle Einreichungsfrist ist der 30. Juni 2022. Auch städtische Verwaltungen oder das Stadtmarketing können die Lieferung per Lastenrad unterstützen. Denkbar ist eine finanzielle Unterstützung, oder aber es gibt städtische Grundstücke oder Gebäude, die für die Infrastruktur der Logistik nutzbar sind.


Bilder: Dockr – Steven van Kooijk, Kiezkaufhaus Bad Honnef, Radboten Würzburg

Die Mobilitätswelt wandelt sich in rasantem Tempo. Innovative Produkte und vor allem ihr konsequenter Einsatz können Teil der Lösung hin zu weniger Autoverkehr und mehr Umweltverträglichkeit sein. Wir haben uns unter anderem auf den Messen Eurobike und IAA Mobility umgeschaut und viele smarte Bike-basierte Lösungen für die Mobilitätswende entdeckt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Lastenräder: Boom und enorme Vielfalt

Während die Politik die beliebten „Schweizer Messer der Fahrradmobilität“ noch kritisch beäugt, boomen Lastenräder aktuell in zwei Bereichen: einmal bei Familien und Kleinunternehmen und zum Zweiten bei professionellen Anwendungen, zum Beispiel als Schwerlastrad (Heavy Cargobike) für Lieferdienste. Während man im ersten Bereich mit aktuell über 100.000 verkauften Rädern pro Jahr von einem Markthochlauf sprechen kann, der sich durch Sharingmodelle und Fördersysteme sicher noch befeuern lässt, befindet sich der zweite Markt gerade erst am Anfang – wobei die Aussichten mehr als vielversprechend sind. Was beide Märkte auszeichnet, ist die enorme Vielfalt an Produkten, technischen Lösungen für alle Anforderungen und eine Vielzahl von Anbietern. Aktuell verwischen dabei auch die Grenzen. So werden zum Beispiel äußerlich fast normale Fahrräder mit langem Radstand und besonders belastbaren Komponenten so ausgelegt, dass gleich zwei Kinder auf dem verlängerten Gepäckträger mitgenommen werden können, wie beim Modell Multicharger Mixte vom deutschen E-Bike-Spezialisten Riese & Müller (r-m.de). Andere Modelle kommen als besonders schmales Dreirad, wie vom Kölner Anbieter Chike (chike.de) oder als vollgefederte Premiummodelle mit aufwendigen Lenkkonstruktionen, wie das frisch mit dem Eurobike-Award in Gold ausgezeichnete Cargoline FS 800 von Kettler (kettler-alu-rad.de). Familien sind begeistert, und auch Sebastian Schweinsteiger als Werbegesicht der erfolgreich neu etablierten Kettler Alu-Rad GmbH findet diese Art der Mobilität super.

Gleam: Familienausflug im Nutzfahrzeug

Zu den bekannten Konzepten kommen mehr und mehr neue Entwicklungen, wie das dreirädrige Pedelec-Modell Escape des jungen Wiener Unternehmens Gleam. Es soll für handwerkliche Unternehmerinnen mit Familie oder aufwendigem Hobby eine Alternative zum Auto bieten. Der Vorteil: Das Chassis nimmt auf der etwa 60 cm breiten und bis 120 cm langen Ladefläche im Heckbereich verschiedene Transportmodule auf. Auch ein hoher Planenaufbau ist möglich. Mit dem Aufbaumodell Life kann man zum Beispiel mit zwei Kindern unter einer klassischen Kinderanhänger-Plane mit Sichtfenstern durch die Stadt oder ins Grüne rollen. Das Schöne an den Modulen: Sie lassen sich dank Schnellverschlüssen in wenigen Minuten wechseln. Ein technisches Schmankerl ist die aufwendige Neigetechnik. Durch das System kann man sich mit dem Dreirad wie mit einem einspurigen Fahrzeug in die Kurve legen. Auch Höhenunterschiede lassen sich dadurch dynamisch ausgleichen. Ermöglicht wird so auch beladen eine harmonische, intuitive Fahrweise mit viel Fahrspaß und eine sehr hohe Kippsicherheit. Das Gleam wiegt 70 Kilogramm, das maximale Systemgewicht beträgt 270 Kilogramm. Bei einem Fahrerinnen-Gewicht von 75 Kilogramm kann die Fracht also bis zu 125 Kilogramm wiegen. Und dann geht’s flott am Stau vorbei.

Mehr: gleam-bikes.com

Carette: echter Kofferraum fürs Fahrrad oder E-Bike

Selbst der Transport von kleinen Gütern auf dem Fahrrad kann eine hohe Hürde im Alltag darstellen, wenn man das Fahrrad oder E-Bike unbeaufsichtigt abstellen muss. Mit speziellen abschließbaren Boxen für Lastenräder ist das kein Problem. Aber auch Fahrradanhänger können hier mithalten. Damian Corby stellte auf der Eurobike 2021 den „Kofferraum ohne Auto“ vor. Ein Anhänger mit Holzchassis, 40 Kilogramm Nutzlast, 70 Litern Inhalt und in verschiedenen Ausstattungsvarianten. Ein wesentlicher Punkt ist der Schutz der Fracht durch die steife Konstruktion: Die Basis des Carette bildet ein robuster Alu-Käfig, die Form geben ringsum stabile Seitenwände und eine Bodenplatte aus witterungsbeständigem Furnierholz. Die Carette-Version mit Holzdeckel kann mit einem Vorhängeschloss gesichert werden. Im Gegensatz zum klassischen Stoffanhänger kommt ein potenzieller Dieb hier nicht per Aufschlitzen des Gewebes an Beute. Innerhalb der Box sorgt eine Lkw-Plane für Wasserdichtigkeit. Das Ganze besticht nicht nur optisch, sondern auch durch eine sehr einfache Handhabung.

Mehr: carette.bike

Bicylift: Palette ans E-Bike

Klassische Transportpaletten sind aus dem Warenverkehr nicht wegzudenken. „Eine Bike-Alternative zum Lkw-Transport muss Paletten-Kompatibilität aufweisen“, schlussfolgerte der Franzose Charles Levillain und gründete vor fünf Jahren die Firma Flexilift. Mit dem Fahrradanhänger Bicylift lassen sich Europaletten mit dem Standardmaß 80 x 120 Zentimeter und bis zu 200 Kilogramm Zuladung ohne weitere Hilfsmittel aufladen und transportieren. Die Palette muss nicht von einem Gabelstapler oder Hubwagen auf den Hänger gehievt werden. Dazu wird zunächst eine Art Gabel quer in die Aussparungen der Palette eingelegt. Die beiden Arme des einachsigen Hängers greifen dann diese Gabel links und rechts auf. Also einfach ankoppeln und losfahren. Beim Verzögern verhindern automatische Auflaufbremsen an beiden Rädern, dass schwere Fracht das Fahrrad oder E-Bike weiterschiebt. So kann man per Bike Palettengebinde zustellen, die sonst aufwendig umgepackt werden müssten. Weiterer Vorteil: Mit dem Bicylift darf man sich auch in für Fahrrad-Lieferverkehr freigegebenen Fußgängerzone bewegen. Und für die letzten Meter lässt sich der innovative Schwerlastanhänger auch als Handkarren nutzen.

Mehr: fleximodal.fr

Podbike Fricar: Pedelcar als neue Pendlerlösung

Hindernisse, das Auto in größerem Stil durch E-Bikes zu ersetzen, sehen viele hauptsächlich in geringerem Komfort, weniger passiver Sicherheit und eingeschränkten ransportkapazitäten. Hier können „Pedelcars“ Problemlöser sein: Meist vierrädrige Fahrzeuge mit E-Bike-Technik und schützender Karosserie. Die norwegische Firma Podbike stellte gerade ihr erstes Modell vor. Unternehmensgründer Per Hassel Sørensen konzipierte 2016 das Fahrzeug in seiner Masterarbeit: Der „Frikar“ ist ein Vierrad, die Motoren unterstützen die Tretkraft bis 25 Stundenkilometer. Das etwa 80 Kilogramm schwere, futuristisch anmutende Fahrzeug hat einen seriellen Hybrid-Antrieb. Die Pedale treiben hier einen Generator an, der Strom in den Akku einspeist. Der wiederum gibt die Energie an die beiden Motoren im Hinterrad ab. Der Frikar ist gefedert, sein Fahrgestell ist aus Aluminium, die Karosserie aus recyceltem und wiederum recycelbarem thermoplastischen Kunststoff. „Wir wollten ein Fahrzeug, das wirklich nachhaltig ist. Und der wesentliche Faktor dafür ist die Produktion“, sagt Podbike CTO Sørensen. So sind Verbindungen im Alu-Chassis nicht energieintensiv geschweißt, sondern vernietet und geklebt. Hinzu kommt, dass der Frikar ein europäisches Produkt ist. „Wenige Komponenten kommen aus Asien. Ein Großteil der Zulieferer sitzt in Europa“, erklärt Åge Højmark, der als Co-CEO fungiert. „Wir wollten in vielerlei Hinsicht zeigen, dass man auch nachhaltig produzieren kann.“ 1.800 Frikar-Exemplare sollen 2022 in Deutschland produziert werden. Als Partner dazu fand man den Fahrradhersteller Storck. Seine Fachhandelspartner werden auch die Wartung des neuen Pedelcars übernehmen.
„Das Fahrzeug zielt ab auf Komfort und Spaß und braucht extrem wenig Platz“, sagt Per Hassel Sørensen. Bei der kürzlichen Launch-Tour durch Deutschland konnten Fachjournalisten den Frikar erstmals testfahren. Erster Eindruck: Einstieg bei nach hinten geschwungener Kanzel, Sitz, Bedienung – tatsächlich ist der Komfort des Pedelcars enorm hoch und auch eine Heizung ist optional erhältlich. Anders als viele Velomobile hat der Frikar einen geschlossenen Boden, sogar mit Teppich. Die Zuhause-Atmosphäre gehört zum Autonahen Konzept: „Der Frikar ist kein Pedelec für Menschen, die ohnehin Rad fahren. Es ist ein Fahrzeug für Menschen, die kein Fahrrad benutzen wollen.“ Das Gefühl der Sicherheit in der geschlossenen Kanzel entspricht in etwa dem eines kleinen Autos. Die Rundumsicht durch das Kunststoffglas-Dach ist sehr gut. Der Frikar setzt sich leichtfüßig in Bewegung, die 80 Kilogramm kommen zügig auf Tempo und das Lenken ist intuitiv und einfach. Die Trittfrequenz wird automatisch, ohne Schaltung, geregelt. Auch die Federung ist enorm komfortabel. An allen vier Rädern gibt es hydraulische Scheibenbremsen, die definiert verzögern. Insgesamt erinnert vieles ans Auto, ist aber simpler – etwa der Rückwärtsgang, der beim Zurücktreten automatisch eingelegt wird. Hinter dem Fahrersitz gibt es Platz für einen Kindersitz oder den großen Einkauf. Highlight beim Parken: Der Frikar kann auch hochkant abgestellt werden. Bis zu acht Fahrzeuge sollen laut Hersteller so auf einen Autoparkplatz passen. Der Einstiegspreis des Frikar soll bei knapp 5.000 Euro liegen, also ungefähr auf der Höhe eines guten Lastenrads.


Mehr: podbike.com

Heavy Cargo: Autozulieferer Mubea steigt aufs Rad

Auch bei Schwerlasträdern lohnt sich sowohl für Kommunen wie auch für Unternehmen als Anwender oder Dienstleister ein genauer Blick auf neue Produkte, den Markt und die Technik. Denn stadtverträgliche, umweltfreundliche und CO₂-neutrale Citylogistik wird ein immer wichtigeres Thema. Die nötigen Produkte dafür sind inzwischen da und sie werden schnell weiterentwickelt. Neu ist, dass auch ein weltweit tätiger Automobilzulieferer wie Mubea, nach Unternehmensangaben Weltmarktführer für die Entwicklung und Herstellung von Fahrwerks-, Karosserie- und Motorkomponenten, mit dem Schwerlastrad „Urban_M CARGO“, ernsthaft in das Thema einsteigt. Das inhabergeführte Familienunternehmen aus Attendorn im Sauerland erwirtschaftet mit weltweit 14.000 Mitarbeitenden einen Jahresumsatz von über zwei Milliarden Euro. Dr. Stefan Cuber, Kopf der neuen Mubea Business Unit Micromobility erläutert im Gespräch auf der IAA Mobility, dass Mubea als Leichtbauspezialist für hoch beanspruchbare Federkomponenten und verwandte Produkte das notwendige Know-how mitbringe, um Lastenräder für Business-Anwendungen zu entwerfen und zu bauen. Für einen aller Voraussicht nach hochdynamischen Markt noch wichtiger: Das Hochskalieren, also die Produktion in großer Stückzahl, sprich einigen Tausend oder Zehntausend Einheiten pro Jahr an unterschiedlichen Standorten in Deutschland, Europa und weltweit, sei in den bestehenden Werken problemlos on demand möglich. Erste Schritte würden mit der Kleinserienfertigung aktuell bereits gemacht. Neu sei laut Dr. Cuber beim Mubea Cargobike, dass hier Know-how aus dem Automobilbau und Leichtbau mit hochleistungsfähigen Komponenten zu einem neuen Gesamtsystem verbunden wird: GFK-Zentralmodul, Doppel-Querlenkerachsen mit Feder-Dämpferbein und Stabilisatoren, eigenentwickelte Siebenspeichenfelgen mit Mopedreifen, viel davon selbst entwickelt und generell „so wenig Fahrradteile wie möglich“, so Dr. Cuber. Denn für die hohen Belastungen im Alltag seien Fahrradteile nicht ausgelegt. Jakub Fukacz, Head of PR/Marketing, berichtet über sehr positive Rückmeldungen aus einem laufenden Praxistest bei Hermes. Ein Eindruck, der sich auf dem Schotter-Testtrack der Messe inklusive Steigung bestätigte. Das Fahren ist erstaunlich leicht, der Wendekreis klein, und es macht einfach Spaß, mit dem Urban_M CARGO, das es als offene Variante und mit Fahrerkabine geben soll, selbst schwieriges Gelände und engste Kurven zu meistern. Gesamteindruck: Zusammen mit neuen Komponenten und Konzepten hat Mubea, neben Unternehmen wie Onomotion, Citkar, A-N.T. Cargo und vielen anderen, sicher das Potenzial zum echten Gamechanger.

Mehr: mubea.com/de/urban-m

Pendix: vom Fahrrad zum E-Bike mit Doppelmotor

Ein Fahrrad zum E-Bike nachzurüsten, ist dank ausgereifter Lösungen wie vom vielfach ausgezeichneten Hersteller Pendix heute kein Problem mehr. Sinn macht das Update mit dem Mittelmotor-System nach Einschätzungen von Experten und angesichts des vergleichsweise hohen Preises natürlich nicht für jedes Fahrrad. Aber es gibt genügend passende Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel für Lastenräder, die sich mit Motorunterstützung deutlich besser fahren lassen, aber auch das Lieblings-Tourenbike, Spezialräder für besonders große oder kleine Menschen, Spezialräder für Radfahrende mit Handicap usw. Für Erstausrüster auf der IAA Mobility vorgestellt wurde ein neues Antriebskonzept mit Heckmotor. Der Pendix eDrive IN kommt dabei als Standardsystem sowie als Seriell-Hybridvariante auf den Markt. Bei der seriellen Variante haben die Pendix-Ingenieure den Mittelmotor zu einem Generator umfunktioniert. Damit entfallen zum einen viele mechanische Komponenten und zum anderen können so bei Lastenrädern parallel auch zwei Heckmotoren angesteuert werden. Das neue Antriebssystem verfügt über 70 Nm Drehmoment, bietet eine Anfahrhilfe sowie die Möglichkeit, rückwärts zu fahren. Durch die Produktion im sächsischen Zwickau sowie die Zusammenarbeit mit lokalen und europäischen Lieferanten können sich Kunden laut Pendix auf kurze Wege und kurze Lieferzeiten verlassen.


Mehr: pendix.de

VeloHUB: Reclaim Urban Space

Nach einem viel beachteten Auftritt auf der Münchner Messe IAA Mobility ist der Prototyp des sogenannten VeloHUB inzwischen auf einer Roadshow durch verschiedene deutsche Städte. Das mit dem German Design Award ausgezeichnete und für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominierte modulare System schafft unter dem Motto Reclaim Urban Space auf „zwei SUV-Stellplätzen“ neue Räume in Städten. Begehbar und erlebbar wurde der voll funktionsfähige Prototyp, der mit Standardkomponenten individuell konfigurierbar ist, am Eingang zum erweiterten Messegelände in der Münchner Innenstadt. Von der Dachterrasse aus, die zum Beispiel mit Solarmodulen und Beeten ausgestattet werden kann, gab es ganz neue Ausblicke – unter anderem im Gespräch mit den Mit-Initiatoren Danusch Mahmoudi von Designit und Andreas Hombach vom Metallbauer WSM. „VeloHUB ist ein modulares System, das sich an die unterschiedlichen Bedürfnisse in unseren Städten anpasst, einen Mehrwert für die Bürger schafft und unsere innerstädtische Kultur aufwertet“, so Danusch Mahmoudi. „Es ermutigt die Menschen, alternative Mobilitätslösungen zum Auto zu nutzen, und positioniert das Fahrrad als die wichtigste urbane Mobilitätslösung.“ Ausgestattet ist der Prototyp aktuell mit intelligenten Schlössern von Abus Security Tech, einer Ladebank, Lade-Schließfächern und einer Bike-Repairstation. „Das System kann dank eines ausgeklügelten Konzepts und dem Einsatz von hochbelastbaren und haltbaren Standardkomponenten schnell produziert, aufgebaut und bei Bedarf schnell versetzt werden“, erläutert Andreas Hombach von WSM. Der Metallbauer WSM gehört unter anderem im Bereich Fahrradabstellanlagen zu den führenden Anbietern und erarbeitet zum Beispiel auch Konzepte für Microhubs in der Fahrradlogistik. Fazit: Eine tolle Lösung, um eine Stadt wieder anders zu erleben, oder auch für Unternehmen, zum Beispiel als Mobilitätshub, aber auch als Treffpunkt, Bühne, Showroom etc.

Mehr: designit.com


Bilder: Riese & Müller, Kettler Alurad, Chike, Gleam, Carette, Fleximodal, Georg Bleicher, Reiner Kolberg, Pendix