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Lastenräder erfordern von ihren Fahrerinnen eine andere Routenwahl als ein wendiges Stadtrad oder ein sportliches Mountainbike. Im Projekt I-Route-Cargobike wurde gewerblichen Lastenrad-Nutzerinnen deshalb genau auf die Finger geschaut. Im Veloplan-Interview erklären Michael Heß (Seven Principles Mobility GmbH) und Johannes Gruber (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR) das Forschungsprojekt und die Vision dahinter. Passend navigiert zu werden, könnte immer wichtiger werden, wenn in Zukunft neben Kurier-Profis auch Anfänger*innen vermehrt mit dem Lastenrad unterwegs sind. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2024, März 2024)


Michael Heß (oben) und Johannes Gruber (unten) bringen Cargobike-Expertise aus der Praxis und der Forschung zusammen.

Wie ist das Projekt I-Route-Cargobike entstanden und was genau wollten Sie damit herausfinden?
Johannes Gruber: Alle Arten von Betrieben – vom großen Logistiker bis hin zum Handwerksbetrieb – nutzen Lastenräder, und auch die technologische Entwicklung von Lastenrädern ist extrem dynamisch. Vor diesem Hintergrund haben wir gesehen, dass es noch nicht wirklich Support-Tools gibt, wenn jemand auf das Cargobike umsteigen möchte, der noch nicht bereits jahrelang als Kurierfahrer tätig war. Etwa beim Thema Navigation und Routing: Wir sind davon ausgegangen, dass gewerbliche Cargobike-Fahrende andere Vorlieben und Rahmenbedingungen für die Routenwahl haben als normale Fahrradfahrende.
In der Zusammenarbeit haben wir uns ideal ergänzt, da die Seven Principles Mobility GmbH aus der Praxis kommt und eine datengetriebene IT-Lösung beitragen will. Wir bringen die Vorerfahrung mit Cargobike-Nutzern ein. Aus bestehenden Datengrundlagen haben wir ermittelt, wie sich diese Präferenzen für verschiedene Routencharakteristiken von Lastenradfahrern unterscheiden und bieten damit eine Grundlage, wie sich Strazoon Cargobike, das Produkt von 7P Mobility, weiterentwickeln lässt.

In Ihrem Projekt stützen Sie sich auf den Datensatz eines großen DLR-Projekts. Wie bewerten Sie diese Arbeitsgrundlage?
Gruber: Wir haben ein sehr großes Daten-Set gehabt aus dem früheren Projekt „Ich entlaste Städte“, für das wir insgesamt 750 Unternehmen und Betriebe deutschlandweit begleitet haben. Dabei haben wir im Projekt den Unternehmen und Betrieben Lastenräder zur Verfügung gestellt. Über GPS-Tracking und appbasierte Befragungen haben wir einen einzigartigen Datensatz aufgebaut, was reale Fahrten von Neuanfängern im Lastenradgeschäft betrifft. Das waren Unternehmen jeder Couleur, Lieferdienste, Handwerker, öffentliche Einrichtungen, Werksverkehre, Agenturen oder Gebäudedienstleistungen – alles, wo hin und wieder solche Güter zur Aufrechterhaltung von Betrieben transportiert werden müssen, die in ein Cargobike passen. Das war die Grundlage. Die gefahrenen Routen haben wir ergänzt um Kontextfaktoren, zum Beispiel, ob ein Radweg genutzt wurde, der Weg durch Grünflächen ging, wie hoch die Knotendichte ist oder ob das Haupt- oder Nebenstraßennetz genutzt wurde.
Michael Heß: Was in der Datenqualität etwas schwieriger war, sind die Open-Street-Map-Daten. Die sind grundsätzlich sehr gut, aber als wir erstmals ein spezielles Cargobike-Routing entwickeln wollten, sind wir auf verschiedene Probleme gestoßen. Zum Beispiel heißen Datenelemente in unterschiedlichen Regionen oder Ländern anders. Verschiedene Communitys pflegen das in Open Street Map unterschiedlich ein. Da wäre es natürlich super, wenn noch mehr und weltweit einheitliche Daten verfügbar wären, mit denen man eine Route noch besser berechnen kann. So etwas wie Poller und Drängelgitter zum Beispiel. Solche Barrieren würden wir den Lastenradfahrenden auf ihrer Route gerne ersparen. Da ist noch Potenzial in den Datengrundlagen vorhanden.

Profikuriere in Zürich wurden mit Kameras ausgestattet, um die von ihnen gewählten Routen später detailliert verstehen zu können.

Zusätzlich zu den Fahrten aus „Ich entlaste Städte“ haben Sie auch qualitative Daten erhoben, unter anderem in Zürich. Spielt das Land, in dem die Nutzer*innen unterwegs sind, kaum eine Rolle? Oder sind die Schweiz und Deutschland in dieser Hinsicht besonders gut vergleichbar?
Gruber: Hinter den Datenerhebungen stecken zwei unterschiedliche Ansätze. Wir haben für die Analyse der quantitativen Daten real gefahrenen Routen alternative Routen gegenübergestellt. Diese basierten auf einem Vorschlag von 7P Mobility, der ein normales Fahrrad-Routing mit speziellen Logiken erweiterte, um zum Beispiel Treppen oder steile Anstiege zu vermeiden. Auf dieser Basis haben wir versucht herauszufinden, welche Einflussfaktoren bei der Routenwahl wirken. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass ein hoher Grünflächenanteil sehr wertgeschätzt und dass das Nebenstraßennetz tendenziell bevorzugt wird von Cargobike-Fahrenden. Eine größere Abweichung vom normalen Radverkehr war, dass Fahrradinfrastruktur nicht per se genutzt wird, sondern nur dann eine Rolle spielt, wenn es sich um die schlanken einspurigen Lastenräder handelt. Wir konnten in den Daten also nachweisen, dass dreirädrige und größere Lastenräder zumindest durch die aktuell vorhandene Fahrradinfrastruktur keinen Vorteil haben.
Beim qualitativen Zugang spielen der individuelle Hintergrund des Fahrenden und der räumliche Kontext eine stärkere Rolle. Wir haben mit Berliner Profi-Logistikern gesprochen und die Daten verglichen. Noch detaillierter sind wir mit Züricher Lastenradkurieren vorgegangen, die wir drei Tage begleitet haben. So individuell, wie die Fahrradwege manchmal beschaffen sind, Kreuzungen besonders sind oder es sogar leichte Unterschiede zwischen den Regulierungen verschiedener Länder gibt, so hilfreich ist es doch, durch ganz konkrete Beobachtungen von einzelnen Situationen abzuleiten, wo wir gute Nutzungsentscheidungen treffen und diese vielleicht sogar generalisieren können. Wo ist es für Anfänger nützlich, wenn das Wissen von Profis in so eine Software-Lösung einfließt? Und wo sehen wir aber, dass es ganz individuelle, situative Entscheidungen gibt, die nicht generalisiert abgebildet werden können?
Heß: Die Bedeutung lokaler Besonderheiten fand ich bemerkenswert. Der Profi-Logistiker aus Berlin sagte zum Beispiel „Durch den Tiergarten fahre ich nicht! Da laufen lauter Touristen und Jogger rum“. Solche spezifischen Details kennt man halt nur, wenn man schon vor Ort war und sich durch einen Touristenstrom gekämpft hat.

„Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind.“

Johannes Gruber, DLR

Gibt es sonst noch Verhaltensweisen der Lastenradprofis, die Sie überrascht haben?
Gruber: Das Naturell von Cargobike-Profikurieren ist, die direkteste aller Linien ohne Rücksicht auf Komfort- und Ästhetik-Aspekte zu nehmen. Das ist an sich nicht überraschend. Trotzdem gibt es natürlich auch gewerbliche Nutzungsformen, die weniger Zeitdruck unterlegen sind. Gerade wenn wir an Handwerker denken, die drei bis vier Kundentermine haben und bei denen das Geld woanders erwirtschaftet wird. Da kann man in so einer App später sagen: „Ich nehme lieber den komfortablen Weg oder den Weg durch den Park und bin daher bereit, auch 10, 20 oder 30 Prozent längere Wege in Kauf zu nehmen.“

Da sind wir dann beim Punkt Stadtgrün, der auf vielen Routen präferiert wurde. Was steckt denn hinter einer anderen Präferenz, den Strecken mit vielen Knotenpunkten? Warum sind die für die Nutzer*innen attraktiv?
Gruber: Ein klassisches Erklärungsmuster ist, dass viele Knoten, also eine hohe Konnektivität, eine möglichst direkte, individuell passende Route ermöglichen. Das würde ich in dem Fall auch mit der großen Präferenz für Nebenstraßen zusammenbetrachten. Dieses Netz hat mehr Kreuzungen, die sind aber leichter einsehbar, ohne Ampeln und können einfacher passiert werden. Die hohe Knotendichte ist da also nicht schädlich. Große Kreuzungen gilt es zu vermeiden, da es dort viel Passantenaufkommen und viele Busspuren und Tramlinien mit gefährlichen Bodenbeschaffenheiten gibt. Die sind deutlich schädlicher.

War Strazoon Cargobike, das Tool, mit dem Sie die Vergleichsrouten entwickelt haben, von Anfang an eine Anwendung spezifisch fürs Cargobike? Mit welcher Navigationslogik sind Sie in das Projekt gestartet?
Heß: Wir waren auf der Suche nach innovativen Lösungen für die letzte Meile und hatten damit schon vor dem Forschungsprojekt begonnen. In Strazoon Cargobike haben wir uns drauf konzentriert, primär die alltäglichen Prozesse der Kuriere abzubilden, also Track & Trace, Nachweis der Übergabe oder auch Handling im Mikrodepot. Wir haben gelernt, dass die Prozesse der Radlogistiker aktuell zu heterogen sind, als dass wir sie alle abbilden könnten. Die machen alle tolle Sachen, aber leider alle ein bisschen anders. Die einen holen Korken beim Restaurant ab und bringen sie zum Wertstoffhof, die anderen haben Container mit Mini-Depots in der Stadt verteilt und vieles mehr.
Auch eine erste Version der Touren- und Routenplanung war bereits in Strazoon Cargobike enthalten. Aufgebaut haben wir die auf einer Open-Source-Lösung, dem Open-Route-Service. Der hatte bereits ein Routing-Profil „E-Bike“. Da war zum Beispiel schon hinterlegt, dass Treppenstufen komplett zu vermeiden sind. Das war unser Startpunkt, weil es den Routing-Bedürfnissen eines Cargobikes nahekommt.

Was haben Sie nach dem Projekt nun mit der Anwendung Strazoon Cargobike für eine Vision?
Heß: Für mich persönlich ist das ein bisschen frustrierend. Die Idee, Logistiker mit unserer Lösung glücklich zu machen, funktioniert derzeit wegen der zu geringen Volumina und Heterogenität leider nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. Das ist für mich zwar sehr schade, aber dann ist das halt so. Wir sehen zwar noch weitere Kundengruppen – die eine oder andere Supermarktkette liefert zum Beispiel per Lastenrad aus –, die haben aber meist schon Track-and-Trace-Lösungen und Apps für ihre Fahrer. Für uns ist daher klar, dass wir uns noch mehr fokussieren und auf einen Kernteil spezialisieren wollen. Das ist, das Cargobike-Routing als API-Lösung anzubieten. Kunden können ihre Anwendung dann über eine Internetschnittstelle anbinden und unser Routing direkt in ihre eigenen Applikationen integrieren. Dort bekommen wir dann die anzufahrenden Stopps und liefern für Cargobikes optimierte Touren und Routen zurück. Damit lösen wir uns davon, ein sehr heterogenes Kundenumfeld bedienen zu müssen und konzentrieren uns auf den Innovations-Aspekt unserer Lösung.

Inwiefern ist diese Innovation auch für private Nutzer*innen von Lastenrädern interessant?
Heß: Wir haben den Versuch gewagt und eine App gebaut, die nur Zielführung und Navigation bietet. Im Prinzip eine Zweitverwertung des Routings. Die App ist auch schon im Play-Store zu finden. Wir haben aber nicht geglaubt, dass man damit die Menschen besonders glücklich machen kann, da man als Privatnutzer sehr häufig dieselben Routen fährt, so die Annahme. Man fährt da, wo man sich gut auskennt, und braucht die Routing-Unterstützung eher selten. Wir wollten es trotzdem ausprobieren.
Was wir noch auf dem Zettel haben, aber noch nicht als Feature eingebaut haben, ist eine unfallfreie Route. Man kann sich zum Beispiel anschauen, wo Unfallschwerpunkte sind und diese meiden, um sicherer durch die Stadt zu kommen. Das wäre ein Feature, das vielleicht auch für private Kunden einen Mehrwert bietet.
Gruber: Die Erkenntnisse, die wir herausgezogen haben – wie zum Beispiel die Wichtigkeit eines guten Nebenstraßennetzes oder die Radwegebreite – sind natürlich Aussagen, die auch für die Planung von Relevanz sein können. Dass man das Fahrradnetz nicht nur an Hauptstraßen denkt, sondern zum Beispiel durch Fahrradstraßen auch Möglichkeiten schafft in den Nebenstraßen. Ich denke, dass Privatleute das eher bevorzugen würden und tendenziell große Knoten und Ansammlungen eher meiden. Wenn man sich die stark wachsenden Lastenradverkaufsanteile ansieht, verbunden mit Substitutionsquoten, die manche Kommunen und Unternehmen rausgeben, dann können über den Aspekt der Planung auch Privatleute profitieren.

„Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.“

Michael Heß, 7P Mobility

Was hoffen Sie, wie sich das Thema Lastenradnavigation in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird, und welche Projekte und Forschung sind zu diesem Thema noch nötig?
Gruber: Ich denke, wir haben einige Ansatzpunkte, an denen es Optionen gibt, weiterzumachen. So könnte man vielleicht die situativen Aspekte wie den aktuellen Verkehrsfluss berücksichtigen oder unterschiedliche Stadttypen und Nutzungsarten unterscheiden.
Heß: Wir versuchen, einen Teil dessen, was ich mir auch persönlich wünsche, umzusetzen: nämlich, dass wir das, was wir jetzt erarbeitet haben, Open Source bereitstellen. Damit können auch andere zum Thema beitragen. Denn die Entwicklung einer Navigation, die an einen Radkurierprofi heranreicht, ist sehr herausfordernd. Mein Erlebnis war bisher auch immer, dass die Profis das ein wenig abtun und sagen „euer Algorithmus kann nicht so gut sein wie ich, wenn ich hier unterwegs bin“ – was ja ehrlicherweise auch stimmt. Wenn die Wachstumspotenziale, die wir uns wünschen, kommen, sind aber nicht nur Profis auf den Lastenrädern unterwegs. Dann kommt der Moment, wo eine Lastenradnavigation immer wichtiger wird, um Leute, die sich etwas unsicher fühlen oder eine Gegend noch nicht gut kennen, besser zu unterstützen.
Gruber: Wahrscheinlich müsste man direkt beim Absatz, also bei Händlern oder Herstellern anfangen. Man kann sich überall sein Smartphone auf den Lenker schnallen. Jedes Auto hat ein Touchdisplay, braucht es das nicht auch noch stärker? Wo ich auswählen kann, wo ich hinwill und ob der Weg schnell, sicher, bequem oder landschaftlich reizvoll sein soll. Das könnte ein Hebel sein für nachhaltige Fahrradlogistik, aber eben auch für Routing-Lösungen.


Bilder: DLR – Amac Garbe, 7 Principles, DLR, Johannes Gruber

Cargobikes sind hip. Das Angebot ist riesig. Völlig unterschiedliche Lastenrad-Konzepte und Konstruktionen mit verschiedensten Eigenschaften und Talenten existieren nebeneinander. Eine systematische Betrachtung verschafft mehr Überblick. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Für Handwerker, Lieferdienste, im privaten Alltagseinsatz oder als Familienkutsche zum Kindertransport und Einkaufen genutzt, Fahrräder mit Transportkapazität entwickeln sich immer mehr zum idealen Allround-Fahrzeug mit vergleichsweise niedrigem ökologischem Fußabdruck.
Vielen ersetzt das Lastenrad bereits das Auto, und dies nicht nur in Ballungsräumen. Fast so vielfältig wie ihre Transportaufgaben sind Cargobikes auch im Aufbau und in ihrer Technik. Die Konzepte unterscheiden sich teils erheblich. Auch Ladekapazität, Schwerpunktlage und damit Fahrverhalten und Fahrsicherheit der Cargo-Gefährte sind sehr verschieden. Cargobikes stellen zudem andere Ansprüche an die Fahrrad-Infrastruktur als reguläre Fahrräder und E-Bikes, sowohl in Benutzung als auch beim Parken. Die Cargobike-Szene ist über viele Jahre langsam, aber kontinuierlich gewachsen. In den letzten Jahren ist sie regelrecht explodiert. Viele kleine, hoch spezialisierte Nischenanbieter, mittlerweile aber auch große, internationale Player tummeln sich auf einem expandierenden Markt. Daher existiert eine fast unüberschaubare Vielzahl völlig unterschiedlicher Ideen, Konzepte und Konstruktionen von Lastenrädern nebeneinander. Dennoch lassen sich die meisten Cargobikes nach ihrer Bauart in fünf Haupt-Kategorien einteilen.

Long John: der Vorreiter

Die Form des Long-John-Lastenrads, in den Niederlanden auch Bakfiets genannt, gibt es bereits seit den 20er- Jahren des vorigen Jahrhunderts. Auffällig ist der extralange Radstand, meist mit einer Federgabel und kleinem Vorderrad an der Front. Zwischen Vorderrad und Lenkermast ist eine tief platzierte Ladeplattform oder Transportbox untergebracht. Zum Kindertransport finden sich darin ein oder zwei klappbare Sitze, Gurte und darüber optional ein Regendach. Ab dem Lenker folgt der Rahmen dem konventionellen, fahrradtypischen Konzept mit tiefem Einstieg, Sitzrohr und Sattel sowie einem starren Hinterbau, meist mit 28-Zoll-Hinterrad. Als Antrieb fungiert üblicherweise ein kraftvoller Mittelmotor mit Ketten- oder Nabenschaltung. Nabenmotoren im Hinterrad findet man an günstigeren Modellen. Zum Parken bockt man den „langen Johannes“ mittels Zweibeinständer auf. Long Johns können, je nach Ausstattung, Bauart und Anzahl der Akkus, bis zu 60 Kilo Leergewicht auf die Räder bringen. Die Kaufpreise für Top-Modelle bewegen sich bis in den fünfstelligen Bereich. Relevante bauliche Unterschiede gibt es vor allem bei der Lenkung: Modelle mit Gestängelenkung sind tendenziell etwas preisgünstiger, lassen aber nur einen geringen Lenkeinschlag am Vorderrad zu. Sie sind deshalb schwieriger zu rangieren. Die deutlich aufwendigere Seilzuglenkung erlaubt einen Lenkeinschlag von über 90 Grad am Vorderrad. Solche Modelle können sogar auf der Stelle wenden.
Vorteile des Long-John-Konzepts ist der ideale, tief zwischen den Rädern liegende Systemschwerpunkt, leer sowie beladen, was gute Fahreigenschaften und unproblematisches Handling mit sich bringt. Zudem sind, je nach Konstruktion, hohe Nutzlasten und ein dementsprechend hohes zulässiges Gesamtgewicht möglich.
Nachteilig ist, dass oft das Vorderrad von Transportbox oder Ladung verdeckt wird. So kann man nicht sehen, wie der aktuelle Lenkeinschlag ist. Man muss sich an das „blinde Lenken“ erst gewöhnen. Zudem hat ein Long John aufgrund seiner Länge einen riesigen Wendekreis. Das kleine Vorderrad rollt holperiger und kann keine so hohen Stufen oder Unebenheiten überwinden wie ein großes Laufrad. Kurvenfahren und Rangieren muss man anfangs gezielt üben, bevor man mit der Fuhre sicher unterwegs sein kann. Aufgrund von Breite und Länge sind Umlaufsperren, Poller oder enge Kurven schwierig zu passieren. An Einmündungen ist das Einfahren auf Sicht wegen des überlangen Vorderbaus problematisch. Lasten müssen fest verzurrt und gesichert werden, damit sie in Kurven oder beim Bremsen nicht verrutschen können. Bei sehr langsamer Fahrt oder beim Anfahren kann es leicht kippelig werden. Das Rad zu tragen ist aufgrund der Länge und unhandlicher Dimensionen bestenfalls zu zweit möglich. Auch für einen Transport in der Bahn und auf, am oder im Auto sind Long Johns schlecht bis gar nicht geeignet.

Das Longtail ist praktisch und beliebt bei Kunden. Zudem fährt es sich fast wie ein normales Fahrrad.

Longtail: der Hippster

Die ersten Longtail-Bikes rollten Mitte der 00er-Jahre über kalifornische Straßen und haben sich seitdem vor allem unter jungen Familien einen großen Fan-Kreis erobert. Wie der Name sagt, sind Zuladung oder Passagiere bei diesem Konzept hinter dem Sattel platziert. Dazu wird der Hinterbau gestreckt und verstärkt. Der längere Abstand vom Tretlager zum angetriebenen Hinterrad bedeutet auch für die Transmission, also Kette oder Riemen, mehr Aufwand bei Verschleiß, Wartung und Pflege. Zuladung bringt man idealerweise in tief aufgehängten Seitentaschen oder auf dem langen Deck des Gepäckträgers unter. Durch den langen Hinterbau läuft ein Longtail sehr stabil und ruhig geradeaus. Enge Kurven mag ein solches Bike weniger. Ein Longtail kann mit großen Laufrädern gleicher Größe vorne und hinten aufgebaut werden, was gute Rolleigenschaften und ruhigeren Lauf auch auf unebenem Untergrund verspricht. Es gibt aber auch Modelle, die mit 20- bis 26-Zoll-Laufrädern kompakter ausfallen und wendiger sind. Durch den etwas tieferen Systemschwerpunkt lassen sich diese Modelle beladen stabiler fahren. Zudem kann über einem kleineren Vorderrad ein zusätzlicher Front-Gepäckträger installiert werden.
Vorteilig ist ein Longtail, wenn man vorwiegend einzelne, kleinere Gegenstände transportiert, die sich gut in Seitentaschen unterbringen lassen. Auch für kleine und sogar große Passagiere ist das Longtail ein angenehmes, oft sogar reizvolles Transportmittel, wenn hinten eine Sitzbank, Haltegriffe und Fußrasten angebracht sind. Abstellen und rangieren gehen leicht von der Hand. Durch die schmale Bauart unterscheiden sich Fahrverhalten und Handling nur wenig von einem normalen Fahrrad.
Nachteile: Die lange Hinterbaukonstruktion bringt höheren Antriebsverschleiß mit sich, die Wartung ist aufwendiger. Pflegeleichte Riemenantriebe sind nur schwierig zu realisieren, da Gates-Riemen nur in definierten Längen lieferbar sind. Das hohe Drehmoment eines Mittelmotors intensiviert den Verschleiß der längeren Kette. Zudem entsteht mehr Reibung im System, was den Wirkungsgrad von Motor und Akku schmälert. Schwere Lasten oder Personen, die auf dem Gepäckträger sitzen, beeinflussen durch den ungünstig hohen Schwerpunkt das Fahrverhalten negativ. Aufgrund der Hebelverhältnisse ist das Bike stärker anfällig für Torsionskräfte als ein Long John mit breiter abgestützter Rahmenkonstruktion. Das Longtail ist nur schwer alleine zu tragen und, je nach Länge, schwierig per Auto oder Bahn zu transportieren.

Optisch sehr nah am normalen Fahrrad, aber trotzdem mit einigem Talent zum Lastentransport ausgestattet, ist das Bäckerfahrrad.

Bäckerrad: fast normal

Auf einen ersten, flüchtigen Blick sieht das Bäckerrad aus wie ein ganz normales Fahrrad. Es hat vorn allerdings ein deutlich kleineres Laufrad als hinten, was Platz für einen rahmenfesten, breiten Gepäckträger schafft. Darauf lassen sich ein Korb oder eine Transportkiste befestigen, die die Zuladung aufnehmen. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fuhren so frühmorgens Bäckerjungen Brot und Brötchen aus, daher die Gattungsbezeichnung. Wichtig ist, dass der Fronträger am Rahmen montiert ist und nicht etwa an der Gabel, wo er mitgelenkt wird. Denn das macht das Lenkverhalten schwergängig und unpräzise. Am Bäckerrad lassen sich, je nach Konstruktion, Lasten bis etwa 25 Kilo passabel transportieren.
Vorteil: Es werden nur wenige spezifische Bauteile und Komponenten benötigt, deshalb ist das Bäckerrad ein relativ preisgünstiges Konzept. Seine kompakte Form und Maße machen es unproblematisch und intuitiv fahrbar, auch Handling und Abstellen bleiben unkompliziert. Optional können viele Modelle mit einem Kindersitz hinten ausgerüstet werden.
Ein offenes Transportbehältnis vorne ist schnell und leicht zu be- und entladen.
Nachteile: geringere Ladekapazität als bei anderen Konzepten und relativ hoher Lastschwerpunkt. Die Konstruktion muss betont seitensteif ausgelegt sein, damit das Fahrverhalten nicht darunter leidet.

Ein Dreirad kann im Stand nicht umkippen und ist deshalb besonders zum Kindertransport beliebt. Doch das Fahren erfordert etwas Umgewöhnung.

Dreispurer: das Zwei(pluseins)rad

Bei zwei Vorderrädern und einem Hinterrad – oder umgekehrt – spricht man von einem Dreispurer. Die klassische Rikscha basiert ebenfalls auf diesem Prinzip. Zwischen den Rädern entsteht Platz für Zuladung, die, über der Achse oder achsnah platziert, relativ leicht lenkbar bleibt. Die Last verteilt sich auf zwei Rädern einer Achse gleichmäßiger als auf nur einem. Dafür entstehen mehr Rollwiderstand und Systemreibung. Durch ihre Breite, die in der Regel nicht viel über die übliche Breite eines Fahrradlenkers hinausgeht, lassen sich Dreispurer bei passabler Lastkapazität relativ kurz und kompakt bauen. Auch Ungeübte können sie auf Anhieb problemlos fahren und sicher beherrschen. Ein Dreirad dieser Bauart kann nicht kippen oder umfallen, sich jedoch auch nicht in Kurven legen. Dreirädrige Bikes benötigen eine Feststellbremse, die verhindert, dass das unbesetzte Rad wegrollen kann. Dreispurer sind meist mit Transportbox oder -kiste aufgebaut und werden gern zum unkomplizierten Kindertransport benutzt. Dafür sollten sie jedoch unbedingt mit Sitzbank und Gurten ausgerüstet sein. Dreispurer sind ein Cargo-Konzept, das vor allem in Dänemark eine schon etwas längere Tradition hat. Daher werden auch viele kostengünstige Modelle ohne Motor angeboten.
Vorteile: Kompaktes, wendiges und meist preisgünstiges Fahrzeug mit unproblematischen Fahreigenschaften und hoher Standsicherheit, auch bei sehr langsamer Fahrt. Gut zu rangieren.
Nachteile: Die Fahrzeugbreite schränkt an engen Stellen ein. Kurven muss man mit angepasster Geschwindigkeit durchfahren. Die Konstruktion von Rahmen und Doppelrad-Achse ist oft aufwendig, die Lenkung kann schwergängig und träge ausfallen. Insbesondere einfache Drehschemel-Konstruktionen lassen sich nur mit eingeschränktem Radius und erhöhtem Krafteinsatz lenken. Ein Dreispurer lässt sich schlecht tragen oder über Schwellen oder Treppen schieben. Nur stehend oder liegend in Autos mit Ladefläche transportierbar.

Lastenräder mit Neigetechnik lassen sich vergleichsweise dynamisch bewegen, wenn die Fahrerin oder der Fahrer sich mal an die entsprechende Fahrweise gewöhnt haben.

Mehrspurer: die Ingenieurslösung

Eine Herausforderung für Konstrukteure wie für Nutzer sind Räder mit Neigetechnik. Sie erlauben höhere Kurvengeschwindigkeiten und fahren sich deutlich eleganter, flotter und flüssiger als starre Mehrspurer. Im Stand oder bei langsamer Fahrt können sie unbeabsichtigt seitlich wegknicken und benötigen deshalb geübte Fahrer und Fahrerinnen sowie eine Blockierfunktion der Neigemechanik beim Parken. Auch eine Feststellbremse ist Pflicht, damit man das Rad sicher abstellen kann. Der höhere Aufwand bei Konstruktion und Bau schlägt sich auch in einem höheren Preis nieder. Die aufwendige Neigetechnik findet sich in vielen, sehr unterschiedlichen Cargobike-Modellen. Die sind teils zum reinen Lasten-, teils zum Transport meist begeisterter Kinder ausgestattet.
Vorteile: Neigetechnik macht eine hohe Fahrdynamik und harmonisches Fahrverhalten auch bei beladenem Bike möglich. Sie erlaubt durchgehend höheres Geschwindigkeitsniveau, speziell auch in Kurven.
Nachteile: Es gibt keine Standardteile oder Technik-Module, auf die Hersteller beim Fahrwerk zurückgreifen könnten. Neigetechnik-Konstruktionen sind deshalb immer individuell, aufwendig und vergleichsweise teuer. Anfahren und langsame Fahrt funktionieren nur nach vorherigem Training. Beim Abstellen müssen Feststellbremse und Neigungsblockade benutzt werden. Die kompliziertere Technik bringt einen höheren Wartungs- und Pflegebedarf mit sich.
Als Fazit lässt sich feststellen: Cargobikes sind gute Indikatoren für die Qualität einer bestehenden Fahrrad-Infrastruktur. Durch ihre spezifische Technik, den Formfaktor und ihr höheres Gewicht stellen sie komplexere Anforderungen an ein Verkehrssystem als regulärer Radverkehr: Durchgängig breite Fahrbahnen, weiche Kurvenradien, weniger erzwungenes Stop&Go, vom Autoverkehr getrennte Wegeführung, sichere und großzügige Abstellflächen in der Nähe von Wohnung, Arbeitsplatz und im Stadtgefüge. Daher gilt: Wo sich Lastenradlerinnen und -radler wohlfühlen, geht es allen Radfahrerinnen und -fahrern gut.


Bilder: Yuba – elmer&&jack, Tern, Bergamont, Nihola, Chike

Lastenräder gab es zwar auch schon, bevor Riese & Müller 2013 erstmals sein Modell Load vorstellte, doch mit der Markteinführung brachte der Premiumhersteller einige Innovationen, die das Cargo-Segment seitdem nachhaltig geprägt haben. Auf der Eurobike stellt Riese & Müller nun die bereits vierte Modellgeneration in der Variante Load 75 vor. Der Innovationsfreude sind die Hessen auch zum zehnten Load-Geburtstag treu geblieben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Mit tiefem Schwerpunkt, Cargo-Line-Motor von Bosch und voll gefedert, von Riese & Müller als Control Technology beschrieben, gibt es kaum eine Fahrsituation, die das Load4 75 selbst bei voller Zuladung mit bis zu 200 Kilogramm Gesamtgewicht aus der Ruhe zu bringen vermag. Insbesondere dann, wenn sich die Kundinnen für die Option mit einem ABS- System von Bosch und einer Cargo-spezifischen Magura-Scheibenbremse entschieden haben. Die Ziffer 75 in der Modellbezeichnung beschreibt die größere der beiden Load-Varianten. Deren variabel gestaltbarer Transportraum bietet viel Potenzial zum Beladen, entweder bei Logistikaufgaben oder beim Transport von bis zu drei Kindern, die sich über einen großzügigen Fußraum freuen. Apropos Familien: Mit wenigen, unkomplizierten Handgriffen lassen sich Lenker und Sattel für Körpergrößen von 1,50 bis 1,95 Meter anpassen. Der optionale RX Chip macht das Load4 75 zum Connected E-Bike. Die aktuelle GPS-Position des Bikes wird automatisch in der Cloud aufgezeichnet und lässt sich etwa im Fall des Diebstahls per App abrufen. Das digitale Lock-Feature informiert zudem, wenn das Load bewegt wird. Abschließen sollten Besitzerinnen es natürlich trotzdem noch mit dem integrierten Abus-Rahmenschloss. Zusätzlich kann das Bike je nach Servicepaket mit dem Premium-Versicherungsschutz und Wiederbeschaffungsservice im Diebstahlfall, aber auch auf Reisen oder bei Schäden abgesichert werden.


Bilder: Riese & Müller

Lastenräder sind oftmals das umweltschonendste und schnellste Transportmittel in der Stadt. Die Plattform E-Cargoville LJ von Bergamont bietet viele Möglichkeiten, das einspurige Lastenrad an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2023, Juni 2023)


Das E-Bike bietet in zwei Längenvarianten die jeweils passende Transportkapazität. Die Load Unit 70 bietet eine 20 Zentimeter längere Ladefläche als die Load Unit 50. Beide Versionen sind 45 Zentimeter breit und erlauben eine maximale Zuladung von 90 Kilogramm bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 220 Kilogramm.
Individuell konfigurierbar ist auch die Antriebseinheit. Kunden und Kundinnen haben die Wahl zwischen drei Varianten. Das E-Cargoville LJ Edition kombiniert den Gen.-3-Performance-Line-Motor von Bosch mit einer 10-Gang-Kettenschaltung von Shimano und dem Intuvia-Display von Bosch. Bei den Versionen Expert und Elite setzt der Hamburger Hersteller auf den Cargo-Line-Motor Gen. 4 von Bosch und die stufenlose Enviolo-Schaltung. Über diese können die Gänge des kettenbetriebenen Modells Expert manuell und die des riemenbetriebenen Modells Elite automatisch geschaltet werden. Beide Varianten sind mit dem Kiox-Bordcomputer von Bosch ausgestattet, der erweiterte Konnektivität bietet. Das Modell Elite ist durch die Vario-Sattelstütze besonders komfortabel in der Sitzhöhe verstellbar. Alle Modelle sind für ein Größenspektrum zwischen 1,60 und 1,90 Meter geeignet. Ein zweiter Akku ist optional erhältlich. Alle Modelle verzögern mithilfe der hydraulischen 4-Kolben-Bremse Magura CMe5.
Verschiedene Optionen für Aufbauten erlauben den komfortablen Transport von Kindern oder Gegenständen. Für Letztere empfiehlt sich die Alloy Box. Sie besteht aus hochwertigem, wetterfestem Aluminium, fasst je nach Ladefläche 150 oder 200 Liter Volumen und ist abschließbar. Die Box ist stoß- und wasserfest sowie auf Schwingungsdämpfern montiert und in beiden Größen kompatibel mit Euro-Boxen in den Maßen 400 x 300, in der Langversion sogar mit Euro-Boxen in 400 x 600 Millimetern Größe. Der Deckel öffnet mithilfe einer Gasfeder.


Bilder: Bergamont

Das FS200 Vario ist das zweite Lastenrad der Koblenzer Firma Ca Go und hält für den bunten Alltag ein ganzes Spektrum an optionalem Zubehör bereit. Aber nicht nur Vielseitigkeit schreibt der Hersteller groß. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2023, März 2023)


Das FS200 Vario richtet sich an anspruchsvolle Lastenradfahrerinnen und -fahrer mit dem Fokus auf vielfältige Transportaufgaben. So verfügt das neue Modell über zahlreiche clevere Details, die die Alltagstauglichkeit auf ein neues Niveau heben sollen. Ausgangsbasis ist die Ladefläche aus Foamlite, die über zahlreiche integrierte Aussparungen, Streben und Klemmschellen verfügt. Das Zubehör bietet einige Optionen, um die Ladung unterzubringen und zu sichern. Mit dem Organizer-Set lässt sich die Ladefläche auf dem Grundformat der beliebten Euroboxen variabel einteilen. Mit den Top-Rails bietet Ca Go eine zusätzliche Längstraverse, die in Verbindung mit den serienmäßigen Cross-Bars auch höhere Gegenstände davor sichert, umzufallen.

Angetrieben wird das FS200 Vario vom Bosch-Motor Performance CX Cargo Line mit 625-Wh-Akku. Zudem ist das Rad ab Werk fähig, eine zweite Batterie aufzunehmen. Damit erzielt das Lastenrad Reichweiten bis zu üppigen 125 Km. Der Gates-Riemenantrieb mit Riemenspanner und die Nabenschaltung Enviolo Automatiq machen das E-Lastenrad-Leben wartungsarm und langlebiger. Überzeugen wollen die Koblenzer auch mit ihrem Sicherheitskonzept. Der niedrige Schwerpunkt soll das Fahrverhalten besonders angenehm machen und im Stand und beim Rangieren für mühelosen und sicheren Betrieb sorgen. Die groß dimensionierte Scheibenbremsanlage von Magura verzögert das Gefährt effektiv. Die Sicherheits-Seilzuglenkung mit doppelter Zugführung sorgt für agiles Handling und ermöglicht einen Wendekreis von nur 2,25 Metern. Die vielen durchdachten Details und die reichhaltige Ausstattung sollen Reserven schaffen für Transportaufgaben, die bisher Autos vorbehalten waren.

Ca Go geht auch beim Versand des FS200 Vario neue Wege. Händler und Kunden erhalten ihr Rad komplett endmontiert. Zudem geschieht der Versand völlig verpackungs- und abfallfrei.


Bilder: Ca Go

Indem sie am Tag der Bestellung liefern, können kommunale Radlogistik-Projekte sogar große Online-Händler übertrumpfen. Da die Lieferung aus dem lokalen Einzelhandel die schnellste Option ist, gibt es gute Chancen für den Einsatz gegen das Händler- und Innenstadtsterben. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2022, März 2022)


Fakt ist: der Online-Handel boomt. Ob es nun der Pandemie zugeschoben werden kann oder nicht, ist zweitrangig. Laut dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel sind die online erzielten Umsätze vieler Warengruppen innerhalb eines Jahres im zweistelligen Bereich gestiegen. Im ersten Quartal 2021 wurden online 84 Prozent mehr Lebensmittel verkauft als im Vorjahresquartal. Bei Drogerie-Produkten waren es 62 Prozent mehr, und auch Blumen, Medikamente und Haushaltswaren zogen massiv an. Der kleinste Teil dieses Wachstums dürfte dem kleinen, lokalen Einzelhandel zugutekommen. Doch gerade dieser prägt das Stadtbild, mit oft einzigartigen Ladengeschäften und lokal ansässigen Mitarbeitenden. Die kleinen Einzelhändler*innen machen zwar nur zehn Prozent des Umsatzes, aber
54 Prozent der Standorte in Innenstädten aus. Damit der Einzelhandel in der Innenstadt bestehen bleibt, gibt es immer mehr Kommunen und andere Akteure, die Logistikprojekte mit Lastenrädern ins Leben rufen.

Wichtig: zukunftsfeste Innenstädte

Vielerorts gibt es Leerstände, Handelsketten füllen viele der verbleibenden Ladenlokale. Die Stadtverwaltungen sind besorgt. Das bestätigt die Studie „Zukunftsfeste Innenstädte“, bei der unter anderem der Industrie- und Handelskammertag und der Deutsche Städtetag die Verwaltungen aller Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnerinnen befragten. Nach Corona wird es an Standorten mittlerer Qualität, sogenannten B-Lagen, voraussichtlich fünf Prozent mehr Leerstand geben. An den Haupteinkaufsorten, den A-Lagen, rechnen die Macherinnen der Studie mit wenig Leerstand. Im Schnitt gehen die Teil-nehmerinnen der Studie davon aus, dass es nach der Pandemie 13 bis 14 Prozent weniger Einzelhandelsbetriebe geben wird als davor. Tot sind die Innenstädte zwar nicht, aber gerade während der Pandemie begegnete die Politik dem vermeintlichen Innenstadtsterben mit Maßnahmenpaketen und Finanzspritzen. Für den Erhalt der Innenstädte, wie die Menschen sie kennen und manchmal romantisieren, scheint der Handel weiterhin ein wichtiges Standbein zu sein. 2020 zeigte eine Umfrage, dass über die Hälfte der Menschen zum Befragungszeitpunkt in der Stadt waren, weil sie etwas einkaufen wollten. Der Handel ist also wichtig für Innenstädte. Sicher ist er nicht die einzige Funktion, die ihnen zukommt, aber er belebt sie spürbar. Die Frage, die Verwaltungen sich stellen müssen, ist, wo sie die Bürgerinnen abholen wollen. Eine Strategie könnte lauten „Die Leute wollen ihre Einkäufe schnell haben und beliefert werden, also beliefern wir sie schnell.“ Eine andere wäre der Versuch, das Verhalten der Leute zu ändern und ihnen das Treiben in der Innenstadt attraktiver zu machen.
Um die Menschen in der neuen Gewohnheit der Online-Käufe abzuholen, bieten immer mehr Städte und Unternehmen die Belieferung aus der Innenstadt an. Lastenräder machen es möglich, dass diese umwelt- und umgebungsschonend ist. Sogar taggleiche Lieferungen sind möglich.

Modellprojekt Kiezkaufhaus in Bad Honnef

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mittags im Homeoffice am Schreibtisch und überlegen, was es abends Gutes zu essen geben soll. Sie entscheiden sich für eine Lieferung aus verschiedenen Fachgeschäften, wie den örtlichen Metzger, Frischfisch-, Gemüse- oder Weinhändlern. Zu einem vereinbarten Zeitpunkt kommt ein Lastenradfahrer und überreicht Ihnen eine Tasche mit Ihren Bestellungen. Ein entspannter Abend kann beginnen. In Bad Honnef funktioniert das längst mit einem virtuellen Kiezkaufhaus. Das liefert auch verderbliche Waren lokal per Lastenrad in einem Radius von bis zu 15 Kilometern.
Die Fahrerinnen des Kiezkaufhauses liefern bei Bestellungen, die vor 13 Uhr eingehen, noch am selben Tag aus. Die Lieferung kostet 2,50 Euro. An Wochentagen können die Bürgerinnen Bad Honnefs flexible Lieferzeitfenster zwischen 16 und 20 Uhr wählen. Über 30 der etwa 70 Einzelhändler der Stadt machen mit. Die Kuriere bringen die Waren zu einem Tagesdienst, wo sie kommissioniert werden. Das hat den Vorteil, dass alle, auch bei unterschiedlichen Händlern bestellten Waren, in einer Tasche geliefert werden.
Gefördert wurde die Initiative mit je 100.000 Euro vom Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt. In einem Innenstadtbüro ist das Kiezkaufhaus auch analog ansprechbar. Das stärkt die Verbindung zum Einzelhandel. Dieser setzte den anfänglichen Impuls und berichtete bei der Wirtschaftsförderung von ausbleibenden Umsätzen und einer sinkenden Besucherfrequenz. Das 2018 begonnene Projekt muss für Bad Honnef nicht wirtschaftlich sein, sondern es läuft als Wirtschaftsförderung 2.0. „Wir unterstützen den Einzelhandel dabei, sich zukunftsfähig zu machen, sich zukunftsorientiert aufzustellen.“, sagt Andrea Hauser von der Wirtschaftsförderung Bad Honnef. Abhängig vom Lieferservice seien die Händler*innen aber nicht.
Das Kiezkaufhaus müsse als kleines Rädchen eines großen Ganzen gesehen werden, so Hauser. „Wir haben ein Fahrradkonzept für die ganze Stadt entworfen. Das Thema Fahrradfahren und emissionsfreie Logistik ist wirklich ein ganz großes in unserer kleinen Stadt.“ Deshalb will Bad Honnef in diesem Jahr knapp 97.000 Euro, davon 70 Prozent Fördermittel vom Bundesministerium für Verkehr und Digitales, in eine Analyse der städtischen Logistik investieren.

Beim Kiezkaufhaus in Bad Honnef machen über 30 der rund 70 Einzelhändlerinnen der Stadt mit. Sogar frischen Fisch können die Kundinnen bestellen.

Neues Kaufverhalten mitgedacht

Das Same-Day-Konzept ist ein fester Bestandteil des Projekts. „Ich glaube, das ist sehr wichtig, weil ich gerade bei Produkten des täglichen Bedarfs sehr spontan und kurzfristig sein möchte“, erklärt Hauser. „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zu den Big Playern, sondern als kleine, feine lokale Lösung, die aber durchaus in Nachbar- und anderen Kommunen denkbar ist mit den entsprechenden Voraussetzungen.“ Das Konzept Kiezkaufhaus stammt von einer Agentur und kann als Franchise lizenziert werden.
Viele Kundinnen nutzen die teilnehmenden Geschäfte dabei hybrid. Sie sind manchmal vor Ort und bestellen gelegentlich digital. Dass die Grenzen zwischen Offline- und Online-Handel immer mehr verschwimmen, beschrieb Jörg Albrecht von der Agentur Neomesh bei der 2. Nationalen Radlogistik-Konferenz, die im September des letzten Jahres in Frankfurt am Main stattfand. Die Vision: Ein Kunde sieht zum Beispiel ein Produkt online, geht dann in den Laden, um sich dort beraten zu lassen, und bestellt dann online, um es sich lokal liefern zu lassen. Was im Einzelhandel sonst als Beratungsklau bekannt ist, stellt kein Problem mehr dar, wenn der Offline-Händler auch online verfügbar ist. Die Grenzen zwischen Offline und Online zerfließen und bei jedem Schritt im Kaufprozess könnten die Kundinnen die Sphäre wechseln.

Sorgenloses Shoppen in Würzburg

Ein ähnlich innovatives Projekt verfolgt die Stadt Würzburg mit WüLivery, einer Wortschöpfung aus Würzburg und Delivery. Die Firma Radboten will den Würzburgerinnen das Lästige am Shoppen, nämlich den Transport nach Hause abnehmen. Das Prinzip: Shop & Drop, also lokales Einkaufen mit nachträglicher Lieferung per Lastenrad. Die Kundinnen können aber ebenfalls gleich online lokal einkaufen. Alles, was vor 16 Uhr bestellt ist, wird vor 19 Uhr geliefert. Kostenpunkt: 4,50 Euro pro Lieferung. Um den Stein ins Rollen zu bringen, wurde der Preis zunächst mit 2,50 Euro, später mit einem Euro bezuschusst.
Inzwischen ist das Projekt etabliert und bietet gute Nebeneinkünfte für die Radboten, deren Hauptgeschäft die schnelle Lieferung von Dokumenten und Arzneimitteln ist. Initiiert wurde das Projekt von der Stadt und dem Stadtmarketing. Auch der Handelsverband Bayern steht dahinter. „Wir haben als Stadtmarketing immer gesagt: Wir dürfen nicht teurer sein als DHL oder andere Paketdienstleister“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Weier. Im November 2020 startete WüLivery mit 35 Lieferungen pro Tag. Aktuell hat sich die Nachfrage auf 30 bis 50 Lieferungen am Tag eingependelt. Über 110 der 650 Einzelhändler*innen in Würzburgs Innenstadt machen inzwischen mit.

Die Radboten übernehmen die Logistik für das Projekt WüLivery. Auf einen eingespielten Partner zurückgreifen zu können, war ein Vorteil für das Projekt.

An einem Strang ziehen und Fördermittel nutzen

Die Beispiele haben gemeinsam, dass sie auf Kooperationen basieren. An einem Strang zu ziehen, ist laut Andrea Hauser ein Erfolgsfaktor. „Ich würde frühzeitig die beteiligten Akteure mit ins Boot nehmen, damit sie so ein Projekt als ihr eigenes und wichtiges ansehen und damit auch den Bedürfnissen des Marktes gerecht werden.“ Wenn das Projekt wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen soll, rät Wolfgang Weier zu einer Mindestgröße. „Unter 50.000 Einwohnern wird es schwierig, dass sich ein Radkurierservice lohnt.“ Wenn es schon einen Anbieter gibt, mit dem eine Kooperation denkbar ist, umso besser. Die Stadtgröße müsse ermöglichen, ein etwas profitableres Hauptgeschäft zu haben. „Man sollte sich von vorneherein die Zeit geben, die so ein Projekt braucht, um fliegen zu lernen“, ergänzt Weier.
Neben Zeit braucht ein solcher Projektstart natürlich auch Geld. Zur Unterstützung für gewerbliche Lastenrad-Projekte gibt es eine bundesweite Kaufprämie, die bis zu 2.500 Euro der Anschaffungskosten abdeckt. Dar-über hinaus gibt es verschiedene Bundesländer und Kommunen, die die Anschaffung unterstützen. Manche davon sind mit der Bundesprämie kombinierbar. Mit weniger Startkapital kommt aus, wer ein Lastenrad mietet, anstatt es zu kaufen. Das ist zum Beispiel bei Dockr möglich. Dort bekommt man im Abo ein Rundum-sorglos-Paket, inklusive Service, Reparaturen und Ersatzrad, falls eine Reparatur mehr als zwei Tage dauert.
Immer wieder gibt es außerdem Fördertöpfe, aus denen Lastenradlogistik-Projekte bedient werden können, zum Beispiel das Programm „Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken“ in Nordrhein-Westfalen. Die aktuelle Einreichungsfrist ist der 30. Juni 2022. Auch städtische Verwaltungen oder das Stadtmarketing können die Lieferung per Lastenrad unterstützen. Denkbar ist eine finanzielle Unterstützung, oder aber es gibt städtische Grundstücke oder Gebäude, die für die Infrastruktur der Logistik nutzbar sind.


Bilder: Dockr – Steven van Kooijk, Kiezkaufhaus Bad Honnef, Radboten Würzburg

Die Mobilitätswelt wandelt sich in rasantem Tempo. Innovative Produkte und vor allem ihr konsequenter Einsatz können Teil der Lösung hin zu weniger Autoverkehr und mehr Umweltverträglichkeit sein. Wir haben uns unter anderem auf den Messen Eurobike und IAA Mobility umgeschaut und viele smarte Bike-basierte Lösungen für die Mobilitätswende entdeckt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2021, Dezember 2021)


Lastenräder: Boom und enorme Vielfalt

Während die Politik die beliebten „Schweizer Messer der Fahrradmobilität“ noch kritisch beäugt, boomen Lastenräder aktuell in zwei Bereichen: einmal bei Familien und Kleinunternehmen und zum Zweiten bei professionellen Anwendungen, zum Beispiel als Schwerlastrad (Heavy Cargobike) für Lieferdienste. Während man im ersten Bereich mit aktuell über 100.000 verkauften Rädern pro Jahr von einem Markthochlauf sprechen kann, der sich durch Sharingmodelle und Fördersysteme sicher noch befeuern lässt, befindet sich der zweite Markt gerade erst am Anfang – wobei die Aussichten mehr als vielversprechend sind. Was beide Märkte auszeichnet, ist die enorme Vielfalt an Produkten, technischen Lösungen für alle Anforderungen und eine Vielzahl von Anbietern. Aktuell verwischen dabei auch die Grenzen. So werden zum Beispiel äußerlich fast normale Fahrräder mit langem Radstand und besonders belastbaren Komponenten so ausgelegt, dass gleich zwei Kinder auf dem verlängerten Gepäckträger mitgenommen werden können, wie beim Modell Multicharger Mixte vom deutschen E-Bike-Spezialisten Riese & Müller (r-m.de). Andere Modelle kommen als besonders schmales Dreirad, wie vom Kölner Anbieter Chike (chike.de) oder als vollgefederte Premiummodelle mit aufwendigen Lenkkonstruktionen, wie das frisch mit dem Eurobike-Award in Gold ausgezeichnete Cargoline FS 800 von Kettler (kettler-alu-rad.de). Familien sind begeistert, und auch Sebastian Schweinsteiger als Werbegesicht der erfolgreich neu etablierten Kettler Alu-Rad GmbH findet diese Art der Mobilität super.

Gleam: Familienausflug im Nutzfahrzeug

Zu den bekannten Konzepten kommen mehr und mehr neue Entwicklungen, wie das dreirädrige Pedelec-Modell Escape des jungen Wiener Unternehmens Gleam. Es soll für handwerkliche Unternehmerinnen mit Familie oder aufwendigem Hobby eine Alternative zum Auto bieten. Der Vorteil: Das Chassis nimmt auf der etwa 60 cm breiten und bis 120 cm langen Ladefläche im Heckbereich verschiedene Transportmodule auf. Auch ein hoher Planenaufbau ist möglich. Mit dem Aufbaumodell Life kann man zum Beispiel mit zwei Kindern unter einer klassischen Kinderanhänger-Plane mit Sichtfenstern durch die Stadt oder ins Grüne rollen. Das Schöne an den Modulen: Sie lassen sich dank Schnellverschlüssen in wenigen Minuten wechseln. Ein technisches Schmankerl ist die aufwendige Neigetechnik. Durch das System kann man sich mit dem Dreirad wie mit einem einspurigen Fahrzeug in die Kurve legen. Auch Höhenunterschiede lassen sich dadurch dynamisch ausgleichen. Ermöglicht wird so auch beladen eine harmonische, intuitive Fahrweise mit viel Fahrspaß und eine sehr hohe Kippsicherheit. Das Gleam wiegt 70 Kilogramm, das maximale Systemgewicht beträgt 270 Kilogramm. Bei einem Fahrerinnen-Gewicht von 75 Kilogramm kann die Fracht also bis zu 125 Kilogramm wiegen. Und dann geht’s flott am Stau vorbei.

Mehr: gleam-bikes.com

Carette: echter Kofferraum fürs Fahrrad oder E-Bike

Selbst der Transport von kleinen Gütern auf dem Fahrrad kann eine hohe Hürde im Alltag darstellen, wenn man das Fahrrad oder E-Bike unbeaufsichtigt abstellen muss. Mit speziellen abschließbaren Boxen für Lastenräder ist das kein Problem. Aber auch Fahrradanhänger können hier mithalten. Damian Corby stellte auf der Eurobike 2021 den „Kofferraum ohne Auto“ vor. Ein Anhänger mit Holzchassis, 40 Kilogramm Nutzlast, 70 Litern Inhalt und in verschiedenen Ausstattungsvarianten. Ein wesentlicher Punkt ist der Schutz der Fracht durch die steife Konstruktion: Die Basis des Carette bildet ein robuster Alu-Käfig, die Form geben ringsum stabile Seitenwände und eine Bodenplatte aus witterungsbeständigem Furnierholz. Die Carette-Version mit Holzdeckel kann mit einem Vorhängeschloss gesichert werden. Im Gegensatz zum klassischen Stoffanhänger kommt ein potenzieller Dieb hier nicht per Aufschlitzen des Gewebes an Beute. Innerhalb der Box sorgt eine Lkw-Plane für Wasserdichtigkeit. Das Ganze besticht nicht nur optisch, sondern auch durch eine sehr einfache Handhabung.

Mehr: carette.bike

Bicylift: Palette ans E-Bike

Klassische Transportpaletten sind aus dem Warenverkehr nicht wegzudenken. „Eine Bike-Alternative zum Lkw-Transport muss Paletten-Kompatibilität aufweisen“, schlussfolgerte der Franzose Charles Levillain und gründete vor fünf Jahren die Firma Flexilift. Mit dem Fahrradanhänger Bicylift lassen sich Europaletten mit dem Standardmaß 80 x 120 Zentimeter und bis zu 200 Kilogramm Zuladung ohne weitere Hilfsmittel aufladen und transportieren. Die Palette muss nicht von einem Gabelstapler oder Hubwagen auf den Hänger gehievt werden. Dazu wird zunächst eine Art Gabel quer in die Aussparungen der Palette eingelegt. Die beiden Arme des einachsigen Hängers greifen dann diese Gabel links und rechts auf. Also einfach ankoppeln und losfahren. Beim Verzögern verhindern automatische Auflaufbremsen an beiden Rädern, dass schwere Fracht das Fahrrad oder E-Bike weiterschiebt. So kann man per Bike Palettengebinde zustellen, die sonst aufwendig umgepackt werden müssten. Weiterer Vorteil: Mit dem Bicylift darf man sich auch in für Fahrrad-Lieferverkehr freigegebenen Fußgängerzone bewegen. Und für die letzten Meter lässt sich der innovative Schwerlastanhänger auch als Handkarren nutzen.

Mehr: fleximodal.fr

Podbike Fricar: Pedelcar als neue Pendlerlösung

Hindernisse, das Auto in größerem Stil durch E-Bikes zu ersetzen, sehen viele hauptsächlich in geringerem Komfort, weniger passiver Sicherheit und eingeschränkten ransportkapazitäten. Hier können „Pedelcars“ Problemlöser sein: Meist vierrädrige Fahrzeuge mit E-Bike-Technik und schützender Karosserie. Die norwegische Firma Podbike stellte gerade ihr erstes Modell vor. Unternehmensgründer Per Hassel Sørensen konzipierte 2016 das Fahrzeug in seiner Masterarbeit: Der „Frikar“ ist ein Vierrad, die Motoren unterstützen die Tretkraft bis 25 Stundenkilometer. Das etwa 80 Kilogramm schwere, futuristisch anmutende Fahrzeug hat einen seriellen Hybrid-Antrieb. Die Pedale treiben hier einen Generator an, der Strom in den Akku einspeist. Der wiederum gibt die Energie an die beiden Motoren im Hinterrad ab. Der Frikar ist gefedert, sein Fahrgestell ist aus Aluminium, die Karosserie aus recyceltem und wiederum recycelbarem thermoplastischen Kunststoff. „Wir wollten ein Fahrzeug, das wirklich nachhaltig ist. Und der wesentliche Faktor dafür ist die Produktion“, sagt Podbike CTO Sørensen. So sind Verbindungen im Alu-Chassis nicht energieintensiv geschweißt, sondern vernietet und geklebt. Hinzu kommt, dass der Frikar ein europäisches Produkt ist. „Wenige Komponenten kommen aus Asien. Ein Großteil der Zulieferer sitzt in Europa“, erklärt Åge Højmark, der als Co-CEO fungiert. „Wir wollten in vielerlei Hinsicht zeigen, dass man auch nachhaltig produzieren kann.“ 1.800 Frikar-Exemplare sollen 2022 in Deutschland produziert werden. Als Partner dazu fand man den Fahrradhersteller Storck. Seine Fachhandelspartner werden auch die Wartung des neuen Pedelcars übernehmen.
„Das Fahrzeug zielt ab auf Komfort und Spaß und braucht extrem wenig Platz“, sagt Per Hassel Sørensen. Bei der kürzlichen Launch-Tour durch Deutschland konnten Fachjournalisten den Frikar erstmals testfahren. Erster Eindruck: Einstieg bei nach hinten geschwungener Kanzel, Sitz, Bedienung – tatsächlich ist der Komfort des Pedelcars enorm hoch und auch eine Heizung ist optional erhältlich. Anders als viele Velomobile hat der Frikar einen geschlossenen Boden, sogar mit Teppich. Die Zuhause-Atmosphäre gehört zum Autonahen Konzept: „Der Frikar ist kein Pedelec für Menschen, die ohnehin Rad fahren. Es ist ein Fahrzeug für Menschen, die kein Fahrrad benutzen wollen.“ Das Gefühl der Sicherheit in der geschlossenen Kanzel entspricht in etwa dem eines kleinen Autos. Die Rundumsicht durch das Kunststoffglas-Dach ist sehr gut. Der Frikar setzt sich leichtfüßig in Bewegung, die 80 Kilogramm kommen zügig auf Tempo und das Lenken ist intuitiv und einfach. Die Trittfrequenz wird automatisch, ohne Schaltung, geregelt. Auch die Federung ist enorm komfortabel. An allen vier Rädern gibt es hydraulische Scheibenbremsen, die definiert verzögern. Insgesamt erinnert vieles ans Auto, ist aber simpler – etwa der Rückwärtsgang, der beim Zurücktreten automatisch eingelegt wird. Hinter dem Fahrersitz gibt es Platz für einen Kindersitz oder den großen Einkauf. Highlight beim Parken: Der Frikar kann auch hochkant abgestellt werden. Bis zu acht Fahrzeuge sollen laut Hersteller so auf einen Autoparkplatz passen. Der Einstiegspreis des Frikar soll bei knapp 5.000 Euro liegen, also ungefähr auf der Höhe eines guten Lastenrads.


Mehr: podbike.com

Heavy Cargo: Autozulieferer Mubea steigt aufs Rad

Auch bei Schwerlasträdern lohnt sich sowohl für Kommunen wie auch für Unternehmen als Anwender oder Dienstleister ein genauer Blick auf neue Produkte, den Markt und die Technik. Denn stadtverträgliche, umweltfreundliche und CO₂-neutrale Citylogistik wird ein immer wichtigeres Thema. Die nötigen Produkte dafür sind inzwischen da und sie werden schnell weiterentwickelt. Neu ist, dass auch ein weltweit tätiger Automobilzulieferer wie Mubea, nach Unternehmensangaben Weltmarktführer für die Entwicklung und Herstellung von Fahrwerks-, Karosserie- und Motorkomponenten, mit dem Schwerlastrad „Urban_M CARGO“, ernsthaft in das Thema einsteigt. Das inhabergeführte Familienunternehmen aus Attendorn im Sauerland erwirtschaftet mit weltweit 14.000 Mitarbeitenden einen Jahresumsatz von über zwei Milliarden Euro. Dr. Stefan Cuber, Kopf der neuen Mubea Business Unit Micromobility erläutert im Gespräch auf der IAA Mobility, dass Mubea als Leichtbauspezialist für hoch beanspruchbare Federkomponenten und verwandte Produkte das notwendige Know-how mitbringe, um Lastenräder für Business-Anwendungen zu entwerfen und zu bauen. Für einen aller Voraussicht nach hochdynamischen Markt noch wichtiger: Das Hochskalieren, also die Produktion in großer Stückzahl, sprich einigen Tausend oder Zehntausend Einheiten pro Jahr an unterschiedlichen Standorten in Deutschland, Europa und weltweit, sei in den bestehenden Werken problemlos on demand möglich. Erste Schritte würden mit der Kleinserienfertigung aktuell bereits gemacht. Neu sei laut Dr. Cuber beim Mubea Cargobike, dass hier Know-how aus dem Automobilbau und Leichtbau mit hochleistungsfähigen Komponenten zu einem neuen Gesamtsystem verbunden wird: GFK-Zentralmodul, Doppel-Querlenkerachsen mit Feder-Dämpferbein und Stabilisatoren, eigenentwickelte Siebenspeichenfelgen mit Mopedreifen, viel davon selbst entwickelt und generell „so wenig Fahrradteile wie möglich“, so Dr. Cuber. Denn für die hohen Belastungen im Alltag seien Fahrradteile nicht ausgelegt. Jakub Fukacz, Head of PR/Marketing, berichtet über sehr positive Rückmeldungen aus einem laufenden Praxistest bei Hermes. Ein Eindruck, der sich auf dem Schotter-Testtrack der Messe inklusive Steigung bestätigte. Das Fahren ist erstaunlich leicht, der Wendekreis klein, und es macht einfach Spaß, mit dem Urban_M CARGO, das es als offene Variante und mit Fahrerkabine geben soll, selbst schwieriges Gelände und engste Kurven zu meistern. Gesamteindruck: Zusammen mit neuen Komponenten und Konzepten hat Mubea, neben Unternehmen wie Onomotion, Citkar, A-N.T. Cargo und vielen anderen, sicher das Potenzial zum echten Gamechanger.

Mehr: mubea.com/de/urban-m

Pendix: vom Fahrrad zum E-Bike mit Doppelmotor

Ein Fahrrad zum E-Bike nachzurüsten, ist dank ausgereifter Lösungen wie vom vielfach ausgezeichneten Hersteller Pendix heute kein Problem mehr. Sinn macht das Update mit dem Mittelmotor-System nach Einschätzungen von Experten und angesichts des vergleichsweise hohen Preises natürlich nicht für jedes Fahrrad. Aber es gibt genügend passende Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel für Lastenräder, die sich mit Motorunterstützung deutlich besser fahren lassen, aber auch das Lieblings-Tourenbike, Spezialräder für besonders große oder kleine Menschen, Spezialräder für Radfahrende mit Handicap usw. Für Erstausrüster auf der IAA Mobility vorgestellt wurde ein neues Antriebskonzept mit Heckmotor. Der Pendix eDrive IN kommt dabei als Standardsystem sowie als Seriell-Hybridvariante auf den Markt. Bei der seriellen Variante haben die Pendix-Ingenieure den Mittelmotor zu einem Generator umfunktioniert. Damit entfallen zum einen viele mechanische Komponenten und zum anderen können so bei Lastenrädern parallel auch zwei Heckmotoren angesteuert werden. Das neue Antriebssystem verfügt über 70 Nm Drehmoment, bietet eine Anfahrhilfe sowie die Möglichkeit, rückwärts zu fahren. Durch die Produktion im sächsischen Zwickau sowie die Zusammenarbeit mit lokalen und europäischen Lieferanten können sich Kunden laut Pendix auf kurze Wege und kurze Lieferzeiten verlassen.


Mehr: pendix.de

VeloHUB: Reclaim Urban Space

Nach einem viel beachteten Auftritt auf der Münchner Messe IAA Mobility ist der Prototyp des sogenannten VeloHUB inzwischen auf einer Roadshow durch verschiedene deutsche Städte. Das mit dem German Design Award ausgezeichnete und für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominierte modulare System schafft unter dem Motto Reclaim Urban Space auf „zwei SUV-Stellplätzen“ neue Räume in Städten. Begehbar und erlebbar wurde der voll funktionsfähige Prototyp, der mit Standardkomponenten individuell konfigurierbar ist, am Eingang zum erweiterten Messegelände in der Münchner Innenstadt. Von der Dachterrasse aus, die zum Beispiel mit Solarmodulen und Beeten ausgestattet werden kann, gab es ganz neue Ausblicke – unter anderem im Gespräch mit den Mit-Initiatoren Danusch Mahmoudi von Designit und Andreas Hombach vom Metallbauer WSM. „VeloHUB ist ein modulares System, das sich an die unterschiedlichen Bedürfnisse in unseren Städten anpasst, einen Mehrwert für die Bürger schafft und unsere innerstädtische Kultur aufwertet“, so Danusch Mahmoudi. „Es ermutigt die Menschen, alternative Mobilitätslösungen zum Auto zu nutzen, und positioniert das Fahrrad als die wichtigste urbane Mobilitätslösung.“ Ausgestattet ist der Prototyp aktuell mit intelligenten Schlössern von Abus Security Tech, einer Ladebank, Lade-Schließfächern und einer Bike-Repairstation. „Das System kann dank eines ausgeklügelten Konzepts und dem Einsatz von hochbelastbaren und haltbaren Standardkomponenten schnell produziert, aufgebaut und bei Bedarf schnell versetzt werden“, erläutert Andreas Hombach von WSM. Der Metallbauer WSM gehört unter anderem im Bereich Fahrradabstellanlagen zu den führenden Anbietern und erarbeitet zum Beispiel auch Konzepte für Microhubs in der Fahrradlogistik. Fazit: Eine tolle Lösung, um eine Stadt wieder anders zu erleben, oder auch für Unternehmen, zum Beispiel als Mobilitätshub, aber auch als Treffpunkt, Bühne, Showroom etc.

Mehr: designit.com


Bilder: Riese & Müller, Kettler Alurad, Chike, Gleam, Carette, Fleximodal, Georg Bleicher, Reiner Kolberg, Pendix

Übersichtlichkeit und Gerechtigkeit bei der Mobilitätswende gehen wohl anders. Ob ein Lastenradkauf in Deutschland gefördert wird, hängt von vielen Faktoren ab – vor allem vom Standort. Tatsächlich könnten die Unterschiede von Bundesland zu Bundesland und von einer Stadt oder Kommune zur anderen kaum größer sein. Expert*innen setzen sich für neue Wege ein. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2021, September 2021)


Mittlerweile gibt es in Deutschland und Österreich über 100 Fördertöpfe für Lastenräder. In einem FAZ-Artikel aus dem Juni wird ein „Förderdschungel“ kritisiert, der über die Jahre entstanden sei. Allein in Bayern existieren rund 40 verschiedene kommunale Kaufprämien. Im Wesentlichen kommt es bislang auf den politischen Willen vor Ort und die finanziellen Möglichkeiten an. Experten fordern deshalb eine Vereinheitlichung und verstetigte und ausreichend hohe Fördermittel auf Bundesebene.

Vorreiter Wien: In der „Seestadt Aspern“ wurde erstmals weltweit ein Fahrrad- und Cargobike-Verleihsystem integriert.

Förderung auf verschiedenen Ebenen

Im deutschsprachigen Raum hat vor zehn Jahren die österreichische Stadt Graz den Anfang bei der Lastenradförderung gemacht. Bis zu 1.000 Euro gibt es heute als Zuschuss für gewerblich genutzte Räder oder bei der gemeinsamen Nutzung durch Hausgemeinschaften. Sicher wohl auch aufgrund der zu dieser Zeit noch kaum verbreiteten Motorunterstützung lief die Nachfrage in den ersten fünf Jahren mit insgesamt 77 Cargobikes erst langsam an. Inzwischen hat sie sich vervielfacht. Zum zehnjährigen Jubiläum wurde das fünfhundertste geförderte Cargobike gefeiert. In Deutschland hat München 2016 die erste kommunale Förderung gewerblicher und privater Cargobikes aufgelegt und sie sogar mit einer Kfz-Abwrackprämie kombiniert. Viele Kommunen sind dem inzwischen in verschiedenen Varianten gefolgt. In einigen Kommunen, wie Mainz und Aachen haben auch die Stadtwerke verschiedene Förderprogramme aufgesetzt. Zudem bietet rund die Hälfte der deutschen Bundesländer Förderprogramme an. Von Einheitlichkeit ist aber auch hier nichts zu sehen: Acht Bundesländer bieten gewerbliche Programme, in vier davon können auch private Nutzerinnen unterstützt werden. Einen anderen Weg geht Niedersachsen, wo es vom Land ausschließlich eine Förderung für private Nutzerinnen gibt. Auf Bundesebene gibt es seit März dieses Jahres eine auf drei Jahre angelegte Förderung von E-Lastenfahrrädern und E-Anhängern im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums (BMU) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Die Nachfrage ist laut Auskunft des Ministeriums groß: So gingen allein innerhalb der ersten sechs Wochen mehr als 500 Anträge für etwa 600 E-Lastenfahrräder ein. Förderfähig sind 25 Prozent der Ausgaben für die Anschaffung, maximal jedoch 2.500 Euro pro E-Lastenfahrrad bzw. Lastenfahrradanhänger mit E-Antrieb für den fahrradgebundenen Lastenverkehr in Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und im kommunalen Bereich. Teilweise können verschiedene Förderprogramme auch miteinander kombiniert und kumuliert werden. Fördertöpfe gibt es zudem nicht nur auf politischer Ebene. Die „Aktion Mensch“ fördert etwa Lastenräder, die dem Transport von Menschen mit Behinderung dienen, mit bis zu 5.000 Euro.

Noch viele Hemmnisse

Während die Förderung von Elektroautos oder deutlich weniger umweltfreundlichen Plug-in-Hybriden für private und gewerbliche Nutzer*innen denkbar unkompliziert ist und prall gefüllte Töpfe über Jahre zur Verfügung stehen, gestaltet sich die Situation bei Cargobikes deutlich schwieriger. Vielfach sind die Mittel gerade in Kommunen völlig unzureichend dimensioniert und bereits wenige Tage nach dem offiziellen Start ausgeschöpft. Belohnt werden so die cleveren, gut informierten und diejenigen, die pünktlich zum Stichtag – meist einmal im Jahr – über die nötigen Geldmittel verfügen. Ein Problem für Kunden und Händler stellt angesichts der aktuellen massiven Liefer- und Nachschubprobleme auch die Tatsache dar, dass in der Regel zunächst der Antrag genehmigt werden muss und erst dann das entsprechende Cargobike gekauft, sprich bestellt werden kann. Wann dies schließlich inklusive gewünschtem Zubehör geliefert wird, können viele Händler und Anbieter aktuell nur grob schätzen. Nur ein Fördertermin im Jahr und mehrere Monate Verzug bei der Lieferung sind, sowohl für Gewerbetreibende als auch für Familien, wenig praxisnah.
Ein weiteres Problem sind die umfangreichen und wenig einheitlichen Förderbedingungen und Restriktionen. Vielfach sind die Voraussetzungen bis ins Detail definiert. Wer beispielsweise in Freising ein E-Cargobike gefördert bekommen will, muss nachweisen, am Lade-Ort des Fahrzeugs Ökostrom zu beziehen. Man stelle sich das für Käufer von E-Hybrid-Autos vor. Üblich sind auch detaillierte Voraussetzungen an die Mindestnutzlast oder das Transportvolumen. In Drensteinfurt qualifizieren sich Räder zum Beispiel ab 140 Litern Stauraum und 40 Kilogramm Zuladung zusätzlich zur fahrenden Person für das Förderprogramm. Beim Land NRW müssen es 70 Kilogramm sein und auf Bundesebene sind es schon 120 Kilogramm. Verbreitet ist auch eine Abstufung der Förderung je nach Preispunkt, der Kategorie „mit/ohne E-Antrieb“ oder nach Ladevolumen. Dass kleinteilige Bestimmungen dem eigentlichen Zweck, der Realität und Innovationen entgegenlaufen können, zeigte sich im Juli in Osnabrück. Die Stadt machte Schlagzeilen, weil das Förderprogramm einen Radstand von 1,38 Metern vorschrieb und damit unter anderem die beliebten Lastenräder des Herstellers Babboe mit einem vier Zentimeter kürzeren Radstand einfach ausschloss. Auch hier könnte man fragen, warum man bei Cargobikes so viel Wert auf Details legt, während Gewicht und Maße bei der Förderung von Elektroautos praktisch kaum eine Rolle spielen.

Lastenrad- vs. E-Auto-Förderung

Laut Bundesumweltministerium wurden 2020 als Kaufprämie für insgesamt 365 Lastenräder 727.000 Euro zur Verfügung gestellt. Die Förderung von elektrischen Autos findet dagegen in ganz anderen Dimensionen statt: 2020 wurden dafür 652 Millionen Euro ausgeschüttet. In diesem Jahr waren es in der ersten Jahreshälfte bereits 1,25 Milliarden Euro. Rund die Hälfte davon entfiel auf potenziell umweltschädliche Plug-in-Hybride.

Unternehmen gewinnen durch die Förderung

Für Unternehmen, die Transporte per Lastenrad erledigen wollen, ist die finanzielle Förderung ein großer Vorteil, wie Max Matta vom Radlogistiker Himmel un Ääd berichtet. Das 2020 gegründete Unternehmen, das im Kölner und Bonner Raum aktiv ist, liefert regionale Bio-Lebensmittel mit Schwerlasträdern aus. Die Geschäfte laufen gut und seit Ende 2020 entwickelt sich das Unternehmen zunehmend zum Logistikanbieter für die letzte Meile und expandiert auch in den Non-Food-Bereich. Bei der Anschaffung der Schwerlasträder konnte auf verschiedene Fördertöpfe zurückgegriffen werden. „Wir haben sowohl die Landes- als auch die Bundesförderung erhalten, das hat beides gut funktioniert. Im Endeffekt haben wir dadurch eines oder sogar anderthalb unserer Räder als Unterstützung bekommen“, sagt Max Matta. „Das war schon sehr wichtig für uns.“ Eine Förderung könne den Unterschied machen, was in einem Unternehmen konkret angeschafft werde. Immerhin könne man für den Preis eines neuen Schwerlastrads auch einen gebrauchten Transporter kaufen. Von den Folgekosten abgesehen war für Himmel un Ääd aber immer klar, dass alles mit dem Rad gemacht werden sollte. Die Förderung mache es leichter und habe diese umwelt- und städte-freundliche Alternative nochmals gestärkt.

Privathaushalte zu wenig berücksichtigt

Vor der Qual der Wahl stehen auch Familien und Privathaushalte. Während sie für die Anschaffung eines fabrikneuen Elektroautos ohne Pro-bleme bis zu 6.000 Euro als Umweltprämie vom Staat bekommen, gibt es bei E-Cargobikes, wenn überhaupt, nur wenig Unterstützung. Mancherorts gibt es Zuschüsse für gemeinnützige Nutzungsformen durch den Zusammenschluss mehrerer privater Haushalte. Aktuell wird diese geteilte Privatnutzung zum Beispiel in Brandenburg mit bis zu 50 Prozent der Anschaffungssumme gefördert. Aber so eine gute Nachbarschaft, in der das möglich ist, muss man erst einmal finden. Grundsätzlich lassen sich mit gezielten Förderungen auch soziale
Unterschiede ausgleichen. Beispiele dazu kommen aus der Gemeinde Telgte aus dem Münsterland in Nordrhein-Westfalen und aus Stuttgart. In Telgte werden Familien mit einem Jahresgehalt unter 37.000 Euro zum Beispiel über einen Sozialbonus weitere 30 Prozent Förderung und damit insgesamt 60 Prozent des Kaufpreises zugesichert. In Stuttgart kann die Förderquote für Menschen mit niedrigerem Einkommen sogar auf bis zu 90 Prozent steigen. Ob das der richtige Weg ist? Martin Seißler, Geschäftsführer der Cargobike.jetzt GmbH, die unter anderem Kommunen zu Lastenradförderungen berät, hat Zweifel. Die Frage „Was möchte ich für meine Region erreichen?“ sollte laut Seißler im Mittelpunkt und am Anfang des Planungsprozesses stehen. Sozialpolitische Zielstellungen ließen sich dagegen auch anders umsetzen, zum Beispiel durch die Unterstützung von Lastenrad-Sharing-Modellen. Nach Martin Seißlers Erfahrungen gibt es neben Kaufanreizen noch weitere Stellschrauben zur Förderung von Lastenrädern. Eine Grundfrage sei: „Gibt es Lastenräder, die bei uns sichtbar und verfügbar sind?“ Gerade die Initialzündung durch erste Räder sei wichtig, um den Stein ins Rollen zu bringen. Ansatzpunkte biete etwa der kommunale Fuhrpark. Lohnenswert sei es, sich mit der Frage zu beschäftigen, in welchen kommunalen Betrieben und Ämtern es Prozesse gibt, die mit Lastenrädern bewältigt werden können. Dazu könnte etwa ein Wettbewerb ausgeschrieben werden. So ließen sich Mitarbeiter*innen motivieren, die bereits Lust auf einen Veränderungsprozess und aufs Radfahren haben. Kommunale Beschaffung könnte ein weiterer Hebel sein. Bei Ausschreibungen könne beispielsweise die Klimaverträglichkeit als zentraler Entscheidungsfaktor aufgenommen werden, um nachhaltige Verkehrsträger wie das Lastenrad zu fördern.

Sieben Lastenräder vom Typ Lademeister wurden bei Himmel un Ääd bereits gekauft. Wichtig waren dabei die Bundes- und die Landesförderung.

Förderprogramm auf Bundesebene

Die Förderung vom Bund zielt auf die gewerbliche Nutzung. Neben Unternehmen sind aber auch rechtsfähige Vereine und Verbände antragsberechtigt. Seit dem

  1. März 2021 werden nicht mehr nur Schwerlasträder gefördert, sondern auch leichtere E-Cargobikes und Lastenanhänger mit Elektrounterstützung. Die Förderhöhe beträgt maximal 25 Prozent der Anschaffungskosten bzw. 2.500 Euro. Für Mikro-Depots werden bis zu 40 Prozent oder maximal 20.000 Euro gefördert.

Informationen und Anträge beim Bundesamt für Ausfuhrkontrolle unter bafa.de

Mobilitätswende mit E-Autos oder E-Cargobikes?

Die Zahl der privaten Pkws muss vor allem in den Städten verringert und der Umstieg auf ÖPNV, Fahrräder, E-Bikes, (E-)Cargobikes und andere Verkehrsmittel aktiv gefördert werden. Daran besteht nach den Einschätzungen von Expert*innen und des Deutschen Städtetags kein Zweifel. Ob die Verteilung der Fördermittel dieses Ziel fördert und gerecht ist, daran lässt sich allerdings aktuell schon zweifeln. Wie geht es besser? Aus der Politik kam beispielsweise von den Grünen der Vorschlag, auch den Kauf von Lastenrädern für den Privatbereich bundesweit mit bis zu 1.000 Euro zu unterstützen. Der Bund könne mit einem eigenen langfristigen Programm mehr Verlässlichkeit bei der Förderung herstellen, so ein Argument. Auch das Bundesumweltministerium empfiehlt im Rahmen einer 2020 vorgestellten Studie zur „Sozial-ökologisch ausgerichtete Konjunkturpolitik“ eine breit angelegte bundesweite Cargobike-Prämie für private und gewerbliche Nutzer. Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) plädiert in einem Papier zur Bundestagswahl darüber hinaus für eine „Umstiegsprämie“ für Privatpersonen. Zudem solle die gewerbliche Förderung verstetigt und weiter ausgeweitet werden – etwa auf kleinere Lastenräder. Insbesondere die Kommunen würden durch solche Programme stark entlastet, und das nicht nur finanziell. Fast ein Drittel des Berliner Budgets zur Lastenradförderung entfällt laut Angaben des Senats derzeit allein auf die Verwaltung des Berliner Förderprogramms. Ist eine „Umstiegsprämie“ sinnvoll? In Frankreich sagt man „Ja“. Mit einem Öko-bonus (Bonus écologique) wird der Kauf neuer Elektroautos (ausgenommen Plug-in-Hybride) und neuerdings auch gebrauchter Elektroautos gefördert. Zusätzlich gibt es eine „Auto-Abwrackprämie“, wenn man einen Verbrenner durch ein Auto mit CO2-Emissionen unter 50 g/km oder durch ein Lastenrad ersetzt. Zumindest mit Blick auf die Klimabilanz ist das Industrie- und Autoland Frankreich damit deutlich konsequenter und zukunftsorientierter als wir.

Cargobike-Berater

Das Berliner Unternehmen Cargobike.jetzt versteht sich als „Think- and Do-Tank“ und will das Lastenrad im deutschsprachigen Raum etablieren. Auf der Website gibt es Übersichten und Informationen zum Thema und Übersichten zu den Kaufprämien.


Bilder: qimby.net – Martin Randelhoff, Himmel un Ääd, Screenshot cargobike.jetzt

Mit eigens für den Schwerlastbereich entwickelten Schaltgetrieben professionalisiert Getriebehersteller Pinion den Markt der gewerblich genutzten Lastenräder. Erfahrungen aus der Praxis liefert der Hamburger Flottenhersteller Tricargo, der die Getriebe bereits über einige 10.000 km in seinen E-Transporträdern im Einsatz hat. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2021, Juni 2021)


Fest steht: Komponenten müssen im Schwerlastbereich enormen Belastungen standhalten. Pinion T-Linien-Getriebe sind für den dauerhaften Einsatz von Lasten bis zu 250 Nm Eingangsdrehmoment ausgelegt. Verschleißarm und mit minimalem Wartungsaufwand sind die Getriebe kosteneffizient bei geringem TCO.
Sie können als Direkt- oder Zwischengetriebe in Ein-, Zwei- und Dreispurfahrzeugen eingesetzt und mit verschiedenen Elektromotoren kombiniert werden – das bietet Herstellern höchste Flexibilität in der Entwicklungs- und Konstruktionsphase. Abgerundet wird Pinions Angebot an gewerbliche Kunden durch verlängerte Serviceintervalle und speziell angepasste Servicekonzepte.

Technisch einzigartig: Als einzige Schaltung am Markt sind Pinion T-Linien-Getriebe optional mit einem Neutralgang ausgestattet. Dieser ermöglicht ergonomisches Rückwärtsrangieren schwerer Cargo-Fahrzeuge.

Effizient, ergonomisch und zuverlässig: Der Lademeister von Tricargo überzeugt Gewerbekunden mit langen Laufzeiten, optimaler Kostenkontrolle und geringem TCO.

Die Tricargo Genossenschaft produziert elektrische Transportfahrräder für den Flottenbetrieb. Im Modell Lademeister steckt die Erfahrung von über 150.000 km und 1.200 t transportierter Nutzlast in der hauseigenen Radlogistik. Dort entwickelte Tricargo den Lademeister für die Feinverteilung von Gütern auf der letzten Meile. Mit einer effektiven Nutzlast von 210 kg und einem Ladevolumen von über 2 m³ überzeugt das Modell Lademeister täglich zahlreiche Gewerbekunden. „Die Zuverlässigkeit unserer Fahrzeuge steht an erster Stelle. Deswegen setzen wir in der Serie auf Pinion-Getriebe!“ – Björn Fischer, Tricargo eG

Weiterführende Informationen:
pinion-industrial.eu
tricargo.de
lademeister.bike


Bilder: Pinion, Tricargo

Im Zuge der Klima- und Verkehrswende muss auch die Zustellung von Waren und Paketen neu geregelt und auch auf Lastenräder verteilt werden. Pilotprojekte und Vorschläge aus der Branche gibt es genug, doch bislang scheitern sie meist an den Widerständen der Entscheider. Im Ausland ist man bereits weiter. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2021, Juni 2021)


Es ist eng in den Innenstädten und es wird immer enger. Jedes Jahr wächst die Flotte der Privatwagen um 500.000 bis 700.000 Fahrzeuge. Der Anteil der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) ist mit rund sechs Prozent am Gesamtverkehr in den Städten relativ gering. Trotzdem geraten die Zusteller zunehmend in die Kritik. Kein Wunder. Sie fallen auf, wenn sie in zweiter Reihe parken oder in schmalen Straßen die Wege versperren. Im Rahmen der Mobilitätswende sollen auch ihre Wege in der Stadt klimafreundlicher werden. Die Logistikexperten haben dafür eine Vielzahl von Konzepten in der Schublade. Ihre Vorschläge scheitern oft an den Entscheidern in den Städten, die keine Flächen zur Verfügung stellen oder in der Pilotprojektphase stecken bleiben. Einige Städte im Ausland sind deutlich weiter. Sie haben den Privat- und den Wirtschaftsverkehr längst neu geordnet.

Erfolgreiche Konzepte in Gent

Wie so etwas aussehen kann, macht die belgische Stadt Gent vor. Dort wurde 2017 ein ehrgeiziger Mobilitätsplan umgesetzt. Der sogenannte Circulatieplan (Umlauf oder Zirkulationsplan) sperrt den Autoverkehr aus einem Teil der Innenstadt aus. In die angrenzenden sechs Quartiere können Autos zwar weiterhin hineinfahren, aber nicht mehr in die Nachbarquartiere wechseln. Die Verbindungsstraßen sind nur noch frei für Radfahrer, Fußgänger, Busse, Handwerker und bestimmte Dienstleister. Autofahrer, die von einem Viertel ins andere wechseln wollen, müssen einen Umweg über die Ringstraße in Kauf nehmen. Mit dem „Circulatieplan“ wurde auch die Innenstadtlogistik neu geordnet. Bis elf Uhr morgens können die Zusteller ihre Waren in der Innenstadt selbst abliefern. Wer später in die Stadt muss, nutzt dafür die städtische Vertriebsplattform GentLevert (Gent liefert). Verschiedene Transport- und Logistikdienstleister für Straße, Schiene und Wasser liefern als Partner der Stadt rund um die Uhr Trocken- und Kühlwaren an die Gastronomie, Händler und Privatpersonen im Zentrum. Dafür werden die Waren, Pakete und Lebensmittel zunächst in Depots und Lagerhallen am Stadtrand gebracht, vorsortiert und dann multimodal und nachhaltig per Lastenrad, E-Transporter oder Schiff zum Bestimmungsort transportiert. Um die Zustellung weiter zu optimieren, testen die GentLevert-Partner zudem neue Zustellkonzepte. Beispielsweise wurden die Baumaterialien für eine neue Turnhalle per Schiff angeliefert, um die Straßen und die Anwohner entlasten.

„Hinter jeder Wohnungstür befindet sich inzwischen ein Einkaufscenter.“

Carsten Hansen, Bundesverband Paket & Expresslogistik (BIEK)

Lieferverkehr und Paketaufkommen steigen drastisch

Wie in Gent sind auch in vielen deutschen Städten und Quartieren die Straßen für den hohen Durchgangsverkehr und die vielen Pendlerverkehre nicht gemacht. Gerade zu den Stoßzeiten haben sie ihr Limit längst erreicht. Ein großes Problem ist, dass neben immer mehr fahrenden und parkenden Pkws auch immer mehr Lieferdienste und KEP-Dienstleister (Kurier-, Express- und Paketdienste) unterwegs sind. Der Online-Handel ist beliebter denn je und die Zahl der Zustellungen steigt enorm weiter. „Hinter jeder Wohnungstür befindet sich inzwischen ein Einkaufscenter und die Leute kaufen ein“, sagt Carsten Hansen, Leiter Grundsatzfragen/ Innenstadtlogistik beim Bundesverband Paket & Expresslogistik (BIEK). Seit 2000 hat sich die Menge von KEP-Sendungen von 1,69 Milliarden auf 3,65 Milliarden Sendungen im Jahr 2019 mehr als verdoppelt. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend noch einmal beschleunigt. Allein im ersten Halbjahr 2020 ist das Sendungsvolumen laut einer Marktanalyse im Auftrag des BIEK um 7,4 Prozent gestiegen. Das sind täglich über 800.000 Sendungen mehr als im Vorjahr. Die Prognose für das gesamte Jahr 2020 ist noch deutlich höher und Experten gehen inzwischen davon aus, dass sich die mit der Pandemie deutlich beschleunigte Entwicklung weiter fortsetzen wird.

Hubs und nachhaltige Fahrzeugflotten für das drastisch steigende Transportaufkommen.
Ein Konzept, das funktioniert: In der Mariahilferstraße hat die Stadt Wien großzügige Ladezonen eingerichtet. Die Parkraumüberwachung kontrolliert hier regelmäßig.

Gewerbliche Ladezonen fehlen

Die zunehmenden Paket- und Warenlieferungen in der Innenstadt sehen Planer und Politiker oft als Problem an. Wenn Fahrzeuge in zweiter Reihe parken oder Rad- und Gehwege zustellen, sind beispielsweise Radfahrer gefährdet, wenn sie beim Umfahren die Spur wechseln. Die Logistikexperten haben dafür eine Vielzahl von Lösungen entwickelt. Eine einfache und schnelle Möglichkeit sind ausreichende gewerbliche Ladezonen für Zusteller und andere Lieferfahrzeuge. In der Stadt- und Verkehrsplanung wurden sie allerdings lange Zeit nicht mitgedacht oder nicht an den aktuellen Bedarf angepasst. Wien macht vor, dass Ladezonen selbst in autofreien Zonen gut funktionieren. Ein Beispiel ist die Mariahilferstraße. Lange Zeit war der rund 1,8 Kilometer lange Abschnitt der beliebten Einkaufsstraße die Hauptverkehrsader für Autofahrerinnen vom Westbahnhof in die Innenstadt. Links und rechts neben der zweispurigen Fahrbahn reihten sich parkende Pkw Stoßstange an Stoßstange. Die Fußgänger drängelten sich auf viel zu schmalen Gehwegen aneinander vorbei. 2015 wurde die Straße umgebaut. Seitdem sind hier alle gleichberechtigt – Auto-, Rad- und Rollerfahrer und die Fußgänger. Die großzügigen Ladezonen, die es in regelmäßigen Abständen auf beiden Seiten der Begegnungszone nun gibt, dürfen die Lieferdienste rund um die Uhr nutzen. „Die Lieferzonen werden durch die Parkraumüberwachung kontrolliert“, sagt eine Sprecherin der Stadt. Die regelmäßigen Stippvisiten zeigen: Die Ladezonen sind bis auf die Zeiten der Zustellung in der Regel frei. In Deutschland ist das anders. Hier sind die bestehenden Ladezonen auch für nicht-gewerbliche Ladetätigkeiten offen und werden so immer wieder von Falschparkern versperrt. Der Bundesverband hat deshalb vorgeschlagen, rein gewerbliche Ladezonen einzuführen und diese durch ein neues Verkehrszeichen für Privatwagen zum absoluten Halteverbot zu erklären. „Das Halteverbot kann zeitlich begrenzt sein“, sagt Hansen. Außerhalb der Zustellzeiten kann die Fläche dann von allen Verkehrsteilnehmern genutzt werden. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat das schon vor Jahren vorgeschlagen. Im Zuge der Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) hat der BIEK den Vorschlag eingereicht, aber das Bundesverkehrsministerium hat ihn abgelehnt.

„Der Fahrradzusteller schafft dieselbe Menge an Paketen wie der Zusteller mit dem Transporter.“

Rainer Kiehl, Projektmanager City Logistik UPS

Politik und Planer gefordert: Logistiker brauchen Flächen für Mikro-Depots als Zwischenlager für die Feinverteilung.

Förderung von Mikro-Depots notwendig

Eine Alternative zum rollenden Transporter als Depot sind stationäre Mikro-Depots. Das können Lagerräume sein oder Container, die morgens in einem Parkhaus, einer Tiefgarage oder auf einem Parkplatz in der Stadt abgestellt werden. Von dort beginnt dann die Feinverteilung der Pakete etwa mit Sackkarre oder E-Lastenrädern. Pionier der Branche ist UPS. Rainer Kiehl, Projektmanager der Abteilung City Logistik bei UPS, startete 2012 in Hamburgs schicker Flaniermeile zwischen Rathaus und Alster das erste Lastenradprojekt. Die Grundstückseigentümer hatten ihn damals um Hilfe gebeten, weil immer mehr Zusteller mit ihren Transportern die Gehwege versperrten oder in zweiter Reihe parkten. Das minderte das Kaufvergnügen. Um das Quartier zu verschönern und aufzuwerten, sollte Kiehl den Lieferverkehr reduzieren. Das hat geklappt. UPS stellte morgens vor zehn Uhr in einer Sackgasse auf ehemaligen Parkplätzen einen Lkw-Container als sogenanntes Mikro-Depot ab. Von dort brachten die Zusteller die Ware zu Fuß oder per Rad zum Kunden. „Der Fahrradzusteller schafft dieselbe Menge an Paketen wie der Zusteller mit dem Transporter“, sagt Rainer Kiehl. Das funktionierte bis vor ein paar Monaten. Da hat die Stadt die Sondergenehmigungen ohne Vorankündigungen und Begründungen gekündigt. Auf Nachfrage hat die Behörde für Wirtschaft und Innovation bis Redaktionsschluss nicht reagiert. Inzwischen hat Kiehl zwar Ausweichflächen in Parkhäusern gefunden, trotzdem ist die Kündigung für ihn ein herber Rückschlag. Mehr noch: Sie gefährdet das Konzept als Ganzes. Denn wenn ein eta-bliertes System wie in Hamburg ohne Begründung aufgekündigt werde, zögerten die Entscheider in den Logistikunternehmen, weitere Mikro-Depots einzurichten, sagt der Projektmanager, „einfach, weil ihnen die Planungssicherheit fehlt“. In 30 Städten gibt es bundesweit inzwischen Mikro-Depots von UPS. Viele weitere Städte würden das Modell gern kopieren, aber die Umsetzung scheitert immer wieder am Platz. „Es fehlen Stellflächen im öffentlichen Raum“, sagt Kiehl.
Dem Projektmanager fehlt eine klare Strategie von den Entscheidern, wie die Logistik in ihrer Stadt langfristig nachhaltig organisiert werden soll. Der Beweis, dass Mikro-Depots funktionieren, sei längst erbracht. In Berlin haben 2018 acht KEP-Dienstleister die gemeinsame Nutzung eines Mikro-Depots getestet. Ihr Fazit nach einem Jahr: Es hat sich bewährt. Ein Jahr später hat das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) eine Studie dazu vorgelegt. Die Wissenschaftlerinnen haben in den Städten Mönchengladbach, Neuss und Krefeld untersucht, ob Mikro-Depots Sinn machen und wie sie aussehen müssten, um den Lkw-Verkehr und die Emissionen in der Stadt zu reduzieren. Das Ergebnis: Mikro-Depots funktionieren. Ihre Erkenntnisse, die Leitlinien und Rahmenbedingungen zum Aufbau von Depots haben sie in einem Handbuch für Kommunen festgehalten. Trotz aller Untersuchungen und positiven Ergebnisse bleibt es bislang aber bei Pilotprojekten. In Berlin startete im Herbst ein weiteres am Tempelhofer Damm, in Dortmund eins in der City am Ostwall und Hamburg eröffnete ein Reallabor für die Warenlogistik per Lastenrad. Kiehl organisiert seit zehn Jahren Mikro-Depots für UPS und meint „jetzt muss es in die Umsetzung gehen“. Weitere Pilotprojekte brauche es nicht. Was es vielmehr brauche, sei ein bundesweit gültiger Leitfaden zur Citylogistik der Zukunft, der auf nationaler Ebene von den Entscheiderinnen sowie den Expert*innen aus der Verwaltung und der Logistik gemeinsam entwickeln wird.

30 Prozent der Waren auf die Räder

Der Anteil der Waren, die vom Laster aufs Lastenrad verlagert werden können, ist groß. 2016 berechneten Forscher der Abteilung Verkehr vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einer Studie, dass bis zu 23 Prozent der Sendungen per Cargobike zum Kunden gebracht werden können. Das Bundesverkehrsministerium geht im Nationalen Radverkehrsplan 3.0 sogar von 30 Prozent aus. Neben der Kombination von verschiedenen Systemen spielt allerdings auch die ständige Weiterentwicklung der Transporträder eine Rolle. Ihre Boxen und Container haben inzwischen ein Fassungsvermögen von bis zu zwei Kubikmeter. Mit speziellen Anhängern können die Fahrer*innen das Volumen auf vier Kubikmeter erweitern. Zudem macht die Standardisierung der Container auf Europalettenbreite die Kombination mit Transportern und anderen Verkehrsmitteln leicht möglich.

Logistik neu denken

Neben einer platzsparenden und klimafreundlichen Zustellung geht es den KEP-Dienstleistern auch stets darum, sogenannte Mehrfachzustellungen zu vermeiden. „Dafür muss man Logistik neu denken“, sagt Hansen. Die Zustellung kann ganz unterschiedlich aussehen: Privatempfänger können ihre Bestellungen in Paketshops, am Arbeitsplatz oder an Paketstationen in Empfang nehmen. Einen neuen Service hat Hamburg 2020 zusammen mit der Deutschen Bahn eingerichtet. Die „Hamburg Box“ bietet jeweils 100 Fächer an 22 S-, RE- und U-Bahnhöfen. Alle Paketdienste, Händler und Unternehmen können die Stationen nutzen und ihre Waren in die Boxen liefern. „Der kontinuierliche Anstieg der Sendungen in den letzten Monaten deutet darauf hin, dass offene Abholstationen an ÖPNV-Standorten einen wichtigen Beitrag zu einer effizienteren und nachhaltigeren logistischen letzten Meile leisten können“, sagt dazu eine Sprecherin der Bahn.
Ein großes Problem ist bislang, dass die Logistik bislang weder bei der Verkehrs- noch bei der Bauplanung von Straßen und Quartieren mitgedacht wurde. Das müsse sich aus der Sicht von Hansen dringend ändern. „Bei der Planung von Neubauquartieren können Flächen für logistische Zwecke von Beginn an berücksichtigt, beziehungsweise für Mehrfachnutzungen vorgesehen werden“, sagt Hansen. Sein Verband plädiert dafür, die Logistik ins Baugesetz zu integrieren.

Attraktivitätsgewinn für den ÖV: An 22 Bahnstationen gibt es die „Hamburg Box“.

Warenzustellung über Tunnelsysteme und Trams?

Manche Logistikexperten wollen die Warenzustellung in den Untergrund verlegen. In Hamburg soll die Idee Smart City Loop getestet werden. Dahinter verbirgt sich ein Tunnel, der vier Meter unter der Elbe den Stadtteil Hamburg Wilhelmsburg auf der linken Elbseite mit Altona auf der rechten Elbseite verbindet. Durch unterirdische Röhren sollen die Waren auf Paletten die fünf Kilometer lange Strecke in Minutenschnelle passieren. 1500 Lastwagen könnten auf diesem Weg im Zentrum eingespart werden und 21 Tonnen CO2. Das haben die Experten der Smart City Loop GmbH herausgefunden, die die Machbarkeitsstudie erstellt haben. Der Logis-tikexperte Hansen ist skeptisch. „Wenn die Gütermengen wieder oben ankommen, müssen sie verteilt werden“, sagt er. Der Platzbedarf dafür sei immens. Schließlich müssen die Waren von 1500 Lastwagen auf viele kleinere Transporter verteilt werden, die sie dann in die verschiedenen Stadtteile bringen, wo die Feinverteilung weitergeht. Laut Ingrid Janßen, Sprecherin von Smart City Loop, sollen größtenteils Lastenräder diesen Part übernehmen. Der Shared-City-Hub in Altona soll außerdem weit mehr werden als ein reiner Warenumschlagplatz. Dort soll ein City-Hub entstehen, der verschiedene Funktionen vereint. Dazu gehören Paket- und Click&Collect-Stationen sowie Aufenthaltsräume für die Fahrer der E-Autos und Transporträder. Außerdem sollen die Waren nicht nur in die Stadt hineingebracht werden, sondern das recycelbare Leergut über das Tunnelsystem auch wieder aus dem Zentrum zurück an den Stadtrand transportiert werden. Momentan sucht das Unternehmen Investoren. Wenn die Finanzierung steht, könne der Bau ganz schnell gehen. „Das Planfeststellungsverfahren dauert etwa ein Jahr“, sagt die Sprecherin. Die Bauzeit des Tunnels etwa ebenso lange. „2025 wollen wir die erste Palette durchschieben“, sagt sie. Die Stadt Hamburg selbst will sich bislang allerdings nicht an der Finanzierung beteiligen.
Eine andere Option ist die emissionsfreie Zustellung im Zentrum per Straßenbahn und Cargobike. In Hessen und Baden-Württemberg gab und gibt es dazu bereits verschiedene Pilotprojekte. Im Frühjahr haben außerdem der Berliner Cargobike-Hersteller Onomotion, die Frankfurter University of Applied Science mit einer Gruppe von Logistikexperten in einem Whitepaper gezeigt: Die Kombination aus Lkw, Tram und E-Transportrad ist günstiger als die Zustellung per Sprinter und reduziert zudem noch die Emissionen.

„Essen auf Rädern“ per Lastenrad im Zentrum die schnellste und günstigste Lösung.

Umsetzung liegt bei der Politik

Schlussendlich entscheidet immer die Politik, wie die Logistik in ihrer Stadt organisiert wird. Der Spielraum einzelner Unternehmen für eine klimafreundliche Zustellung auf der letzten Meile ist begrenzt. Dennoch finden sie immer wieder Alternativen, wenn der Wille da ist oder man mit dem Auto in der Stadt nicht mehr weiterkommt. So liefert beispielsweise in Wien der Samariterbund seit 2017 „Essen auf Rädern“ in den Innenstadtbezirken per E-Cargobike aus. „Der Parkplatzmangel ist dort groß und die Zustellung so einfach effizienter“, sagt Edina Imamovic, die den Bereich leitet. Aber in manchen Gebieten kommen inzwischen selbst die Transporträder an ihre Grenzen, so wie in Hamburg-Ottensen. „In den schmalen Straßen von Ottensen verursacht jeder Zusteller und jeder Pkw, der auf der Straße hält, einen Mi-krostau“, sagt Björn Fischer, Gründer und Vorstandsmitglied von Tricargo. Der Radlogistikverband beliefert seit 2016 unter anderem Hamburger Kindertagesstätten mit Essen oder leert Briefkästen im Auftrag der Post. In Ottensen steht Fischer mit seinem Lastenrad manchmal selbst im Stau. Dort gibt es keine Radwege und die Gehwege sind zu schmal, um das Rad während der Zustellung dort abzustellen. Für ihn ist das zentrale Pro-blem der motorisierte Individualverkehr (MIV). „Es stehen zu viele Autos rechts und links am Fahrbahnrand in den engen Straßen. Der Schlüssel ist, den MIV aus diesen Gebieten auszusperren“, sagt er. Das wurde 2019 mit dem Projekt „Ottensen macht Platz“ getestet. „Für uns war das ein Treiber des Geschäftsmodells“, sagt er. Apotheken, Bäckereien und Einzelhändler fragten, ob Tricargo ihre Waren per Lastenrad an- und ausliefern könne. Sie konnten, und Fischer ist sich sicher: Von autofreien Vierteln würden auch die KEP-Dienstleister profitieren. „Die 1.200 Transporter, die täglich in Hamburg unterwegs sind, fallen kaum auf“, sagt er. „Transporter sind kein Problem, wenn der MIV nicht länger die Straßen versperrt.“
Nachhaltige Lieferdienste und KEP-Dienstleister allein können das Verkehrsproblem in den Zentren nicht lösen. Sie sind ein wichtiger Teil der Mobilitätswende und können ihren Teil beitragen. Konzepte für eine deutlich umwelt- und klimafreundlichere Citylogistik haben sie. Die Umsetzung liegt nun bei der Politik. Im Bund, in den Ländern und vor Ort in den Kommunen.

Förderung von Mikro-Depots und Cargobikes

Das Bundesumweltministerium (BMU) fördert seit dem 1. März im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative Mikro-Depots und E-Lastenfahrräder. Der innerstädtische Verkehr soll dadurch entlastet, die Luftqualität verbessert und vor allem die CO2-Emissionen gemindert werden. Die Förderprogramme richten sich unter anderem an große Logistik-Unternehmen, Baumärkte, Möbelhäuser, mittelständische Unternehmen und Lieferdienste. Weitere Informationen auf der Webseite des BMU.


Bilder: SmartCity Loop, Tricargo, Andrea Reidl, UPS, Hamburger Hochbahn AG, Smart City-DB, Samariterbund, Urban Arrow