Der ultimative Weg zur urbanen Fahrradkultur

von Mikael Colville-Andersen

Fast drei Jahre nach dem Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe ist jetzt die deutsche Version von „Copenhagenize“ des kanadisch-dänischen Urbanisten, Designers, Autors und Speakers Mikael Colville-Andersen erschienen. Ein Muss im Bücherregal, denn anders, als es der Untertitel suggeriert, geht es hier nicht um Fahrradkultur, sondern um eine menschengerechte Stadt, durch und mit Fahrrädern. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2021, März 2021)


„Nach einem Jahrhundert der urbanen Verwirrungen, fehlgeleiteten Anstrengungen und der Verführung durch unnötig komplizierte Technologien“ sei der Zeitpunkt gekommen, Klarheit zu schaffen, schreibt Mikael Colville-Andersen, der weltweit als Berater tätig ist, in seinem Vorwort. „Wir müssen handeln, um unsere Städte – und uns – vor uns selbst zu retten.“ Das Fahrrad sei das wichtigste Mittel, um Städte lebenswert zu machen und sie wieder am menschlichen Maß auszurichten. Vor mehr als einem Jahrhundert nahm das Fahrrad in unseren Städten die Hauptrolle ein. Jetzt sei es an der Zeit, es für immer in unseren Städten zu verankern. Copenhagenize inspiriert mit Geschichten, wie dem Elefanten im Porzellanladen (das Auto in der Stadt), Best-Practice-Beispielen (z.B. Infrastruktur und Kostenbeispiele), Toolboxen (u.a. grüne Welle für Radfahrende, geneigte Mülleimer und Fußstützen), oder einer Sammlung von Mythen rund ums Radfahren. So vermittelt das Buch nicht nur eine Vielzahl von Detailinformationen und interessanten Geschichten, es gibt Planern und Entscheidern auch das notwendige Handwerkszeug, um, so der Klappentext, „das Autozeitalter hinter uns zu lassen und die Skeptiker vom Mehrwert menschengerechter Städte zu überzeugen“. Dabei kämen die Städte, die fahrradfreundlich werden wollten, heute viel schneller voran als die großen Vorbilder Kopenhagen oder Amsterdam, „da die Blaupausen für erfolgreiche Infrastruktur bereits für Copy-and-paste verfügbar sind“.

Mikael Colville-Andersen war rund ein Jahrzehnt lang Geschäftsführer der Copenhagenize Design Company und verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung von Städten und Regierungen auf der ganzen Welt. Der gefragte Keynote-Speaker, Autor und Moderator der Fernsehserie „The Life-Sized City“ ist bekannt für seinen inspirierenden Enthusiasmus, mit dem er die Rolle des Fahrrads als Schlüssel für menschengerechte Städte propagiert.


Copenhagenize: Der ultimative Weg zur urbanen Fahrradkultur | von Mikael Colville-Andersen | Thiemo Graf Verlag | 1. Auflage 2020 (Deutsche Erstausgabe) | ca. 360 Seiten (farbig, bebildert), Softcover | ISBN: 978-3-940217-29-5 | 32,00 Euro


Bilder: Thiemo Graf Verlag, Copenhagenize, Felix Modler-Andersen

Mit dem Klimawandel gehen Wissenschaftler davon aus, dass sommerliche Hitzeperioden öfters eintreten, länger dauern und extremer werden. Dazu kommt ein oft unterschätzter Faktor: In den zunehmend verdichteten Städten bilden sich Hitzeinseln, die Menschen nicht nur beeinträchtigen, sondern auch gefährliche bis tödliche Wirkungen entfalten können. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 04/2020, Dezember 2020)


Ist Deutschland auf heiße Sommer vorbereitet? Wenn man in den letzten Hitzeperioden in größeren Städten unterwegs war und mit den Menschen gesprochen hat, dann wohl eher nicht. Ab Mittag fast nicht aushaltbare Temperaturen auf kaum beschatteten Straßen und auch nachts wenig Abkühlung. Fahrradfahren und zu Fuß gehen wird zur Qual, in Bussen und Bahnen sieht es nicht besser aus und die wenigen Plätze, die Abkühlung versprechen, sind schnell überlaufen.

Die gefühlte Realität in Deutschland bestätigen auch aktuelle Untersuchungen von Wissenschaftlern. Im Dezember 2020 im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte Modellrechnungen zeigen, dass die Zahl der Hitzetoten hierzulande im weltweiten Vergleich weit vorn liegt und in den letzten Jahren stark gestiegen ist. So habe die Zahl der Hitzetoten in den Jahren 2014 bis 2018 in Deutschland im Schnitt bei 12.080 gelegen. Das seien 3.640 Hitzetote mehr als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004. Gründe seien die Zunahme der Hitzetage pro Jahr in Kombination mit dem steigenden Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre und zudem auch der hohe Urbanisierungsgrad in Deutschland.

Für die Zukunft rechnen die Forscher mit einer weiteren Verschärfung der Situation. Betroffen von dieser Entwicklung ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Mobilität. Auch ohne Studienergebnisse kann man davon ausgehen, dass in Hitzeperioden Mobilitätsformen der Vorzug gegeben wird, die als angenehm empfunden werden. Dazu zählen vor allem klimatisierte oder offene motorisierte Fahrzeuge, die wenig Anstrengung und Fahrtwind garantieren und die keine Schutzkleidung erfordern, also zum Beispiel E-Bikes, E-Tretroller oder Motorscooter.

Mobile Sprühnebel helfen bei Backofentemperaturen als Sofortmaßnahme.

Schweizer Erkenntnisse und Strategien

Nach dem Hitzesommer 2015, in dem die Schweiz Gletscherschmelze, dürre Bodenvegetation, Wasserknappheit und 800 Hitze-Todesfälle mehr als in einem normalen Jahr registrierte, haben die Eidgenossen in einer Studie die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt analysiert und bilanziert.

„Schweizer Städte: Bis zu 7°C höhere Nachttemperaturen als im Umland.“

Fachbericht MeteoSchweiz

Vor allem die Städte seien durch die hohe Bevölkerungs-, Gebäude- und Infrastrukturdichte besonders von der Klimaänderung betroffen. Ohne Anpassungsmaßnahmen führe das zu einer spürbaren Verminderung der Aufenthalts- und Lebensqualität, der Gesundheit und einem höheren Mortalitätsrisiko. Vor allem betroffen waren dabei ältere Menschen. Nötig seien deshalb Hitzepläne zum Schutz der Bevölkerung und der verstärkte Kampf gegen den weiteren Klimawandel.

Kritisch gesehen werden die hohen Tagestemperaturen, aber vor allem auch die fehlende Abkühlung in der Nacht. Damit kommt es in den Städten zu einem Backofeneffekt: Im Maximum wurden an den untersuchten Stationen rund 6 bis 7°C höhere Nachttemperaturen als im Umland verzeichnet. In den wärmsten Nächten sank die Temperatur in den Stadtzentren nicht unter 24 bis 25°C ab. Insgesamt ist die Anzahl der Tropennächte in den Städten deutlich höher als auf dem Land, während die Anzahl der Hitzetage nur wenig erhöht ist. Auch die Stadt Basel geht davon aus, dass die Wärmebelastung weiter zunehmen wird. So bringt selbst der Rhein nachts keine Kühlung, sondern strahlt aufgrund der hohen Wassertemperatur noch zusätzlich Wärme ab. Deshalb setzt Basel auf ein Stadtklimakonzept, mit neuen Grünräumen, einer besseren Luftzirkulation und Zufuhr von Frischluft aus dem Umland.

Simulationen belegen Effekte bekannter Maßnahmen

Für die Zürcher Altstadt wurden Computersimulationen für den dortigen Münsterplatz vorgenommen. Ein Großteil des Platzes ist mit Pflastersteinen bedeckt, der Rand betoniert und es gibt keine Bäume, die Schatten spenden würden. Zudem ist der Münsterhof auf fast allen Seiten von Gebäuden umgeben. Messungen zeigten, dass sich gerade die Fassaden durch die Sonneneinstrahlung beträchtlich erhitzen. Mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen lassen sich signifikante Verbesserungen erzielen: Die Temperaturen wären deutlich niedriger, wenn der Platz nicht gepflastert, sondern mit Erde und Gras bedeckt wäre. Schon die Umwandlung eines Viertels der gepflasterten Fläche durch einen anderen Bodenbelag würde gemäß der Simulation ausreichen, um den Backofen zu entschärfen. Noch deutlicher würde das Ergebnis ausfallen, wenn hier Bäume stünden. Durch den Schatten und die Transpiration der Bäume würde die Hitzebelastung erheblich verringert und die gefühlte Temperatur auf weiten Teilen des Platzes um 2 °C und in der Nähe von beschatteten Fassaden sogar um bis zu 4 °C sinken.


Zum Vertiefen:

Untersuchungen und Studien zeigen einen dringenden Handlungsbedarf

The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding
to converging crises
“ (Dezember 2020).
Die aktuelle Analyse von Klimaveränderungen mit Prognosen für die Zukunft gibt
es nach Registrierung kostenlos zum Download.

Der „Fachbericht MeteoSchweiz Nr. 273, Städtische Wärmeinseln in der Schweiz – Klimatologische Studie mit Messdaten in fünf Städten“ wird ebenfalls zum Download angeboten.


Bilder: stock.adobe.com – Dmitry Vereshchagin / Xato Lux

Während es im deutschen Sprachraum repressiver zugeht als allgemein gedacht, zeigen sich die skandinavischen Länder entspannt naturnah. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 03/2020, September 2020)


Zu einem spöttisch-verzweifelten Echo in der Fahrrad- und Mountainbike-Szene hat die im letzten Frühjahr vorgestellte Kampagne der Österreich Werbung unter dem Claim „You like it? Bike it!“ geführt. Denn was hierzulande wohl nur wenigen bekannt ist: Im Gegensatz zum Wandern ist das Radfahren in österreichischen Wäldern verboten, wenn es nicht explizit erlaubt ist. Und natürlich gibt es gegen diese ebenso unverständliche wie unzeitgemäße Regel auch unzählige Verstöße. In Deutschland sieht es dagegen anders aus – bis auf das Land Baden-Württemberg. Hier gilt seit 1995 laut Landeswaldgesetz BW die sogenannte Zwei-Meter-Regel, die das Fahrradfahren im Wald auf Wegen unter zwei Meter Breite bis auf wenige Ausnahmen verbietet.

Wohin mit den Radfahrern?

Nach Ansicht von Betroffenen, Verbänden und Fachmedien schaden sich damit nicht nur die Tourismusregionen selbst, sie kriminalisieren regelmäßig auch Alltagsradler und Sportler. „Die Regelung wird von einheimischen Radfahrern seit Bestehen in der Praxis ignoriert“, schreibt zur Zwei-Meter-Regel die Deutsche Initiative Mountainbike e. V. (DIMB). Der Mountainbikesport werde durch diese Gesetzgebung in die Illegalität gedrängt inklusive großer Probleme für Lehrkräfte und die Jugendarbeit der Vereine. „Ob Familie mit Kindern, Jugendgruppe oder Rentnerausfahrt – sie alle begehen in Baden-Württemberg regelmäßig und häufig ohne Vorsatz Verstöße gegen das Landeswaldgesetz“, heißt es auch beim Online-Medium MTB-News. Nicht nur aus ökologischer Sicht bedenklich ist auch die damit einhergehende regelmäßige Freizeitflucht mit Auto und Rädern in benachbarte Bundesländer oder die MTB-Eldorados in der Schweiz.

Nur Betretungsrecht oder Jedermannsrecht?

Auch bei der Outdoor-Übernachtung gibt es außerhalb von ausgewiesenen Camping- oder Biwakplätzen hierzulande Probleme. Mit Zelt ist es zumeist verboten, und auch mit einem Biwakschlafsack befindet man sich schnell in einer Grauzone. Auch wenn gern der Naturschutz ins Feld geführt wird – die Gründe liegen sowohl beim Mountainbiken wie auch beim Übernachten wohl vor allem in der Historie. Denn im europäischen Ausland geht man mit dem Thema teils deutlich entspannter um. In den skandinavischen Ländern (ausgenommen Dänemark), Schottland und in der Schweiz gibt es das Jedermannsrecht, das allen Menschen grundlegende Rechte bei der Nutzung der Wildnis und sogar gewissem privaten Landeigentum zugesteht. Unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt es unter anderem Zelten und Feuermachen und geht damit deutlich über ein reines Betretungsrecht, wie es in Deutschland oder Österreich besteht, hinaus.

Eine Frage der Tradition

In Schweden ist das Jedermannsrecht sogar ein wichtiger Bestandteil der Kultur, dessen Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichen. Es räumt den Einwohnern und ausländischen Besuchern auch auf privatem Grund große Freiheiten ein, solange man Rücksicht nimmt, behutsam mit der Natur umgeht und keine Schäden anrichtet. Demgegenüber gibt es hierzulande eine gänzlich andere Tradition, die nach Meinung von Betroffenen und Experten nicht die Natur, sondern vor allem die historisch gewachsenen Rechte der Grundbesitzer, Pächter oder Jäger schützt.

Gerne ein „Jedermannsrecht“ für Deutschland

Kommentar von Reiner Kolberg

Die Städte überhitzt, Badeseen und Strände überfüllt, Reisewarnungen für viele Urlaubsziele. Wohin nur mit den Menschen? Fast 80 Prozent der Einwohner Deutschlands leben mittlerweile in Städten und drängen sich zu Ferienzeiten, an Feiertagen und an den Wochenenden auf den immer gleichen Hotspots. Dabei wäre auch hierzulande Platz genug. Mit der Bahn oder dem Pkw ist man in der Regel in weniger als einer Stunde raus aus der Stadt und kann ab da zu Fuß oder mit dem Fahrrad wunderbare Routen und Plätze neu entdecken und könnte prinzipiell gleich eine Übernachtung in der freien Natur anschließen.
Wer schon einmal – legal oder illegal – naturnah unter freiem Himmel oder in einem kleinen Zelt übernachtet hat, weiß, wie unvergesslich und prägend solche Eindrücke sein können. Mit dem Rad durch den Wald zu fahren und draußen zu übernachten könnte nicht nur in Corona-Zeiten für viele eine preiswerte Lösung sein, um rauszukommen aus der Stadt und das natürliche Umfeld und die Schönheit der Natur wieder neu zu entdecken. Aber wo und für wen gibt es überhaupt noch diese Möglichkeit? Wenn Kinder heute nicht gerade mit Fahrradenthusiasten oder Campingfreunden aufwachsen oder zu den Pfadfindern kommen, stehen die Chancen schlecht, nachdem auch die Wehrpflicht mit der Natursozialisation unter dem Motto „Leben im Felde“ eingestellt wurde.
Heute wird nicht nur in den Medien das Narrativ vom Konflikt der Wanderer mit störenden Radfahrern ebenso gern gepflegt wie das der Mountainbiker und Wildcamper, die den Wald schädigen und die „Natur zerstören“.
Naturschutz, so könnte man meinen, schließt die wirklich freie Bewegung in der Natur aus. Dabei ist wahrscheinlich das Gegenteil der Fall: Ohne eine echte Beziehung zur Natur fällt es umso schwerer, echte Wertschätzung zu entwickeln und sich aktiv für ihre Erhaltung einzusetzen. Mehr naturnahe Erlebnisse, mehr Freiheit verbunden mit einer höheren Verantwortung für sich selbst, seine Umwelt und den Anderen wären sicher eine gute Idee und die Skandinavier haben uns hier mit ihren Gesellschaftsidealen und dem Jedermannsrecht einiges voraus. Aber warum sollten mehr Bürgerrechte nicht auch in Deutschland eine gute Sache und grundsätzlich machbar sein? Im Kleinen anfangen könnte man ja schon mal mit der für Radfahrer unsäglichen Zwei-Meter-Regel in Baden-Württemberg.


Bild: stock.adobe.com – Markus Bormann

In diesen besonderen Zeiten kommt der vielfach unterschätzten Fahrradbranche eine wichtige Funktion zu. Mit einer Vielzahl von Innovationen und einer neuen Selbstverständlichkeit hat sich das Fahrrad in Deutschland zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor und einem Motor insbesondere für den Inlandstourismus entwickelt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 02/2020, Juni 2020)


(Kurz-)Urlaube mit dem Rad werden immer beliebter – besonders unter der Woche.

Der Fahrradverband VSF schätzt, dass die deutsche Fahrradwirtschaft inklusive Dienstleistungen und Tourismus für 278.000 Arbeitsplätze und 16 Milliarden Euro Gesamtumsatz steht. Rund 76 Millionen Fahrräder und E-Bikes gab es nach den Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) Ende 2019 in Deutschland – davon 5,4 Millionen E-Bikes. Allein im letzten Jahr kamen dabei 1,36 Millionen E-Bikes hinzu. Zum Vergleich: Laut VDA betrug der Bestand an Elektroautos Ende 2019 trotz weitreichender Förderungsprogramme insgesamt nur rund 239.000. Erfreulich ist, dass es gerade die mittelständischen Hersteller aus Deutschland und Mitteleuropa sind, die sich zu weltweiten Innovationsmotoren entwickelt haben, und dass in Deutschland 68 Prozent des Absatzes auf den Fachhandel entfallen. Die vielseitige Branche bietet über 80 verschiedene Berufe. Für Interessierte wurde vor Kurzem eine informative Plattform eingerichtet unter www.fahrrad-berufe.de.

Fahrradtourismus wird immer beliebter

Neben den Trends zu gesünderem Leben, Aktivität und Gesundheit haben vor allem die ausgereiften Produkte und viele Verleih- und Ser­viceangebote vor Ort für die steigende Beliebtheit des Fahrradtourismus gesorgt. Detaillierte Zahlen zum Fahrradtourismus bietet der ADFC mit seiner jährlichen Radreiseanalyse. Für das Jahr 2019 stellt er unter anderem fest, dass insbesondere die Zahl der Rad-Kurzreisen unter der Woche stark zugenommen hat. 5,2 Millionen Menschen waren es hier 2019 und damit 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Dazu kommen 5,4 Millionen Personen, die Radurlaube mit drei und mehr Übernachtungen machten, 6,8 Millionen Kurzreisende am Wochenende sowie imposante 330 Millionen Tagesausflüge auf dem Rad in der Freizeit und ca. 62 Millionen Tagesausflüge im Urlaub.

Radfahren als Konjunkturprogramm

Interessant sind die Zahlen einerseits, da nach den Erkenntnissen des ADFC immer mehr Radtouristen das Rad nach dem Fahrradurlaub auch im Alltag häufiger nutzten. Zum anderen würden Radurlauber 70 bis 100 Euro pro Tag ausgeben. „Ein Konjunkturprogramm für die ganze Republik“, so die ADFC-Tourismusexpertin Louise Böhler. Bezogen auf die Region hat die Ruhr Tourismus GmbH Zahlen erhoben. Danach haben Radtouristen im letzten Jahr im Ruhrgebiet 76 Millionen Euro ausgegeben. Wer einen Tagesausflug durch das Revier mache, gebe im Durchschnitt 14,80 Euro pro Kopf aus, vorwiegend für Speisen und Getränke. Bei einer Fahrradreise mit Übernachtung seien es fast 100 Euro pro Tag, wobei die meisten dieser Gäste statistisch 5,4 Tage im Revier blieben.


Grafik: adfc

von Jan Gehl

Wer mehr wissen möchte über lebenswerte prosperierende Städte, für den empfehlen wir den Klassiker des dänischen Architekten und weltweit bekannten Stadtplaners Jan Gehl. Sein wichtigster Grundsatz: das menschliche Maß. Eine Philosophie, die heute wichtiger scheint denn je. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Aus dem Vorwort von Richard Rogers:

„Kein anderer hat die Morphologie und Nutzung des öffentlichen Raums so eingehend untersucht wie Jan Gehl. Jeder Leser dieses Buchs wird wertvolle Einblicke in sein erstaunlich einfühlsames und zugleich scharfsinniges Verständnis der Beziehungen zwischen öffentlichem Raum und Bürgern und deren unauflöslicher Vernetzung gewinnen.“

Sein ganzes Leben hat sich Jan Gehl mit dem Thema der Neu- oder Umgestaltung von Plätzen, Straßen und Städten zum Wohle ihrer Bewohner befasst. Dabei kann er auf Erfolge blicken, wie die Entwicklung seiner Heimatstadt Kopenhagen zum viel zitierten Vorbild, den Umbau Moskaus und die Wiederbelebung Manhattans. Seine einfachen Fragen, die aktuell gerade weltweit in den Mittelpunkt rücken: „Wie wollen wir leben?“ Und „Was macht eine gute Stadt eigentlich aus?“ Dabei geht es ihm zentral um die Wechselwirkung zwischen öffentlichem Raum und Bürgern. Die Stadt ist für ihn ein wichtiger Ort der Begegnung, und urbane Ballungsgebiete böten dafür die Kulissen – oder auch nicht. „Zuerst gestalten wir die Stadt – dann prägt sie uns.“
Der Stadtraum müsse mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers oder Radfahrers erlebt werden, statt aus einem Fahrzeug heraus. Nur so könne es gelingen, sowohl traditionelle Metropolen als auch schnell wachsende Städte zu „Städten für Menschen“ zu machen.
Das Buch präsentiert laut Klappentext Gehls jahrzehntelange Erfahrungen im Bereich Neubau sowie Umgestaltung städtischer Räume und Verkehrsflächen. Darstellungen seiner Planungsmodelle in Text und Bildern sowie Planungsprinzipien und Methoden veranschaulichen, wie einfach lebendige, sichere, nachhaltige und gesunde Städte in Zukunft entstehen können.
Zielgruppen für dieses Grundlagenwerk sind aus unserer Sicht nicht nur Stadt- und Verkehrsplaner, Architekten und Soziologen, sondern auch Verwaltung, Politik, lokale Entscheidungsträger, Einzelhandelsverbände, IHKs und natürlich alle interessierte Stadtbewohner und -bewohnerinnen.


Städte für Menschen | von Jan Gehl | Jovis Verlag | ISBN 978-3-86859-356-3 | 304 Seiten, zahlr. farb. Abb., Hardcover | Preis: 32 Euro | 02/2015


Das Unternehmen Bike Citizens verspricht, Städte mit wenig Aufwand fahrradfreundlicher und lebenswerter zu machen – und vielleicht auch das eine oder andere Fahrverbot zu vermeiden. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


„Klar wollen alle Städte mehr Rad- und Fußverkehr. Der Druck von allen Seiten für eine entspannteres Vorwärtskommen, weniger Staus und weniger Umweltverschmutzung steigt“, sagt Adi Hirzer. „Doch für mehr Radverkehr braucht man die richtigen Routen, und um die zu planen, braucht man Daten.“ Daten über die anvisierten Ziele, über die genutzten Wege und über die Zeiten, die auf diesen Wegen gefahren werden. Diese Daten kann Hirzer auf Wunsch liefern. Er ist Produkt-Manager bei Bike Citizens und für den internationalen Markt zuständig. Das Unternehmen machte es sich schon vor zehn Jahren zur Aufgabe, Insiderrouten durch Städte zu finden und sie an Fahrradfahrer weiterzugeben. Der Ex-Fahrradkurier Andreas Stückli gründete Bike Citizens 2010 mit zwei weiteren Fahrradbegeisterten im österreichischen Graz. Dort ist auch heute noch die Zentrale, in der Hirzer sitzt. Gründer Stückli arbeitet mittlerweile mit einigen der heute 22 Mitarbeitern in einem zweiten Stammhaus mitten in Berlin.

Das Handy am Lenker: Für sicheres Navigieren bietet Bike Citizens mit dem Finn einen eigenen, breit einsetzbaren Halter. Und für gute Routen von A nach B die Erfahrung der anderen Radfahrenden.

Smartphone-App statt Straßenkarte

Bike Citizens entwickelte eine App, die es ermöglicht, fahrradfreundliche Wege durch die Stadt weiterzugeben und die Biker so über ruhige Wege, oft auch an Sehenswürdigkeiten vorbei, durch die City zu navigieren. So kann man sich mit jedem üblichen Handy von A nach B führen lassen – und zwar nicht nur auf den fahrradfreundlichsten, sondern sogar auf individuell angepassten Routen: Der User kann beispielsweise eingeben, ob er mit dem Rennrad, einem Mountainbike oder einem Stadtrad unterwegs ist, ob er lieber gemütlich cruisen, mit normaler Geschwindigkeit fahren oder schnell ans Ziel kommen will. Je nach Wahl der Parameter entscheiden Algorithmen darüber, wie groß ein möglicher Umweg zugunsten einer ruhigeren Strecke sein darf und auf welchem Untergrund man sich bewegen wird. „Unser Algorithmus berücksichtigt bis zu 100 Elemente pro Straßenstück“, erklärt Hirzer die Genauigkeit der Routenauswahl über die App.

Komplettausstattung für den Citybiker

Die Kartenanzeige der Radrouten ist für jeden umsonst, die Fahrradnavigation kostet den Nutzer für eine Stadt oder Region je fünf Euro. Man kann sich diesen Service aber auch „erradeln“: Wer innerhalb von einem Monat 100 Kilometer in der Stadt zurücklegt – das sind gerade mal gut drei Kilometer am Tag – bekommt den Service umsonst. Sogar eine gut funktionierende, wenn auch nicht sehr sonor klingende Sprachausgabe gibt es. Kostenlos wird es, wenn die Stadt, in der man sich bewegt, mit Bike Citizens verpartnert ist, also unter anderem die App lizenziert hat.
Die Hände gehören auch beim Radfahren an den Lenker, die Augen nach vorn. Deshalb gibt es von Bike Citizens den Finn – ein einfaches, aber sehr robustes und sicher haltendes Silikonband, das jedes übliche Smartphone am Lenker befestigt und so zuverlässig zum Radnavi macht. „Nach wie vor ein großartiges Giveaway“, sagt Hirzer, denn das Tool lässt sich gut branden – etwa mit dem Logo der Stadt.

„Für mehr Radverkehr braucht man die richtigen Routen, und um die zu planen, braucht man Daten.“

Adi Hirzer

Heatmaps für Nutzer und Planer

Auch Städte und Gemeinden können von Bike Citizens profitieren, indem sie über die genannte Partnerschaft Unterstützung erhalten. Insbesondere in Form von Daten, die Experten als Grundlage für eine planvolle Veränderung der Verkehrswege sehr gut brauchen können. Dabei hilft die Software, indem die Wege, die User mit der Bike-Citizens-App fahren, in sogenannten Heatmaps festgehalten werden. So können sich die App-Nutzer anzeigen lassen, über welche Wege sie in welchen Stadtteil oder zu welchem Ziel gefahren sind, und erkennen außerdem blinde Flecken auf der Karte. Natürlich steht auch ein Netzwerkgedanke dahinter: auf der Bike-Citizens-Seite im Internet kann man die Fahrten mit seinen Freunden oder dem Netzwerk teilen – mit allen positiven Effekten, die sich daraus ergeben: angefangen von der Herausbildung von besseren Radrouten zwischen häufig angewählten Punkten bis hin zur gegenseitig gepushten Motivation zum Radfahren. Aber auch für Planer hält Bike Citizens mit diesem Tracking einen Fundus an Daten bereit, die, ausgewertet und analysiert, enorm wertvoll sind.

Das Radverkehrsnetz – von der Stadt gebrandet

Die Angebotsstruktur von Bike Citizens für Städte ist gestaffelt. Als Basis gibt es die Möglichkeit, das Grundpaket, also die App-Lizenz inklusive der Navigation und Routing-Fähigkeit zu übernehmen. Das bedeutet: Branding der App und ihrer Inhalte sowie des Finn mit der Stadt-Marke und entsprechender Auftritt der Stadt. Erster Vorteil: Die Nutzer identifizieren sich mit der Stadt. Zweiter Vorteil: positive Wahrnehmung der Radverkehrsförderung, denn so schenkt die Stadt ihnen eine Navi-App mit vielen Möglichkeiten. „Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, das Angebot zu individualisieren und der Stadt genau anzupassen“, erklärt Hirzer. Das fängt schon bei der Kennzeichnung von Points of Interest an. Standardpakete, quasi die Einsteigerlösung für diese Angebotsstufe, schlagen bei der Stadt mit etwa 10.000 Euro zu Buche. Graz, die Heimatstadt von Bike Citizens, war übrigens der erste Kunde.

Mehr Motivation durch Gamification und Belohnungssystem

Der zweite Schritt zielt vor allem auf die Motivation des Radfahrers: „Mit Gaming-Komponenten und Promotions kann ich alles Mögliche in die App einbauen“, erklärt Hirzer. „Der User kann mit bestimmten Kilometerleistungen Abzeichen jagen. Das läuft vor allem über den Spaßfaktor.“ Hierbei werden also die Nutzer der App angesprochen, noch mehr zu fahren – und können natürlich ihrerseits ihre Community motivieren, Bike Citizens in ihrer Region noch bekannter zu machen.

Zählen heißt noch nicht messen

Im dritten Schritt schließlich geht’s ums Eingemachte. Digitalisiert wird ja schon lange – der Autoverkehr zum Beispiel unter anderem mithilfe von Induktionsschleifen. Jedoch: „Städte haben gemerkt, dass das Erfassen von Radverkehrsdaten nicht einfach ist. Der Radverkehr ist viel heterogener und konfuser als der Autoverkehr. Man braucht hier viel tiefer gehende Daten. Klassische Zählstellen sind da wenig sinnvoll“, weiß Hirzer. Denn ob die Routen, an der sie liegen, gut oder schlecht sind, bleibt hier ebenso unklar wie der Weg, den Nutzer im Weiteren nehmen. Deshalb gehört zum dritten Angebotspaket die gemeinsame Analyse der erstellten Zahlen mit den Planern der Stadt. Schließlich hat man eine Unmenge an Daten. Das betrifft die Einstufung der gewählten Ziele oder Regionen, die Routen zu bestimmten Zielen, die Art und Länge der Umwege, die Radfahrer in Kauf nehmen, um eine bessere Route zu nehmen, die Länge der Wartezeiten an den Ampeln … und noch viel mehr. Die App zeichnet per GPS einen Punkt pro Sekunde auf – das reicht, um sehr genaue Angaben zu erhalten. „Wir können zum Beispiel auch sehr schnell sehen, wo Menschen den kürzesten Weg nicht genommen haben, und können oft per Karte sehr schnell schließen, was zum Umweg führte. Wenn man aber Zählung und unsere Daten kombiniert, lassen sich nochmals neue Zahlen gewinnen.“ Ein Paradies für Mathematiker, Statistiker und eben Planer. „Wenn wir diese Daten haben, dann können wir beispielsweise beleuchten, warum eine Stadt nicht über acht Prozent Radverkehrsanteil kommt.“
Übrigens kann auch der Bike-Citizens-Nutzer zur Verbesserung der Radverkehrswege beitragen: Je nach Art der Stadtpartnerschaft kann der Nutzer mit einem Button am Lenker auf schwierige oder gefährliche Situationen aufmerksam machen.

Die App ist mehr als nur Navigation: Fahrtenaufzeichnung, Heatmap, Cloud, Netzwerk oder für Biker interessante News-Beiträge – selbst verschiedene Möglichkeiten, sich Boni zu erradeln, können mit an Bord sein.

Workshops zur Datenanalyse

Bike Citizens bietet zur Analyse gemeinsame Workshops mit den zuständigen Stellen in den Gemeinden an. Momentan ist Hannover ein Vorzeigepartner des Unternehmens. Seit drei Jahren wird auf verschiedenen Ebenen zusammengearbeitet. Letztes Jahr gab es eine umfangreiche Kooperation mit Hamburg. Insgesamt nutzen derzeit etwa 50 Städte und Gemeinden zumindest die App als Werkzeug für besseren Radverkehr. International sind Nutzer in 750 Regionen und Städten mit der App unterwegs.

Auf Kongressen treffen – oder gleich zu sich einladen

„Wir sind auf fast allen Kongressen und Konferenzen zum Thema unterwegs. Wie zum Beispiel dem NRVK Dresden oder der Polis”, so der Bike-Citizen-Produktmanager Adi Hirzer. „Aber wir besuchen die Städte auf Einladung auch gern und präsentieren unsere Leistungen.“
Mit den persönlichen Daten der derzeit etwa eine Million Nutzer ginge man sehr sorgsam um, wie Hirzer betont: „Das ist alles abgesichert. Wir analysieren schließlich nicht die Menschen, sondern die Stadt.“

Weitere Informationen: www.bikecitizens.net
Smartphone-Halter: getfinn.com


Bilder: Bike Citizens

Strava, das soziale Netzwerk für Radsportler, bietet seine Informationen auch für die Verkehrsplanung an. Millionen Freizeitradler sorgen für eine Datenmenge, die auch das Interesse von Planern weckt. Seit Jahren versucht das kalifornische Start-up auch in Deutschland Fuß zu fassen. In Hessen gibt es nun den ersten Kunden hierzulande. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Man hat hehre Ziele in Kalifornien. Eine weltweite Community von Sportbegeisterten will das US-Start-up Strava sein, ein globaler Sportverein – und ein ernst zu nehmender Partner für die Planung von Verkehrsinfrastruktur. Seit einigen Jahren versucht sich das Technologieunternehmen mit Sitz in San Francisco an diesem zusätzlichen Geschäftsmodell mit dem Namen „Metro“. Wie etwa auch bei Bike Citizens werden GPS-basierte Nutzerdaten von Fahrradfahrern für die Planer sichtbar und verwendbar gemacht. „Es wäre eine großartige Sache, wenn wir einen kleinen Beitrag dazu leisten könnten, dass es in Städten weniger Staus, Abgase und Parkplatzprobleme gibt“, hat Mark Gainey, Gründer und Chef des Unternehmens, vor einiger Zeit als Losung ausgegeben.
Im Laufe der vergangenen sechs Jahre hat Strava mit Kommunen und Behörden in aller Welt an dieser Idee gearbeitet. Los ging es in Portland, Oregon, wo man nach guten Standorten für Fahrradzähler suchte und dafür die Spuren aus dem digitalen Netzwerk betrachtete. Es kamen Kooperationen in den USA, Australien und Kanada hinzu, und jetzt hat Strava Metro erstmals einen Kunden in Deutschland: Der Zweckverband Raum Kassel (ZRK) und Strava verkündeten im November eine zunächst für zwei Jahre geplante Zusammenarbeit.

„Die Daten sprechen Bände.“

Paul Niemeyer, Strava

15.000 Euro für zwei Jahre

Dass man Daten aus dem Netz vielleicht auch für Radinfrastrukturplanung nutzen könnte, auf diesen Gedanken war Kai Georg Bachmann in der Praxis gestoßen. Bachmann, Verbandsdirektor des ZRK, ist selbst Rennradfahrer, Langstrecken-Radpendler und Strava-Nutzer. Zudem ist er studierter Informationstechniker, weshalb er sich gut vorstellen konnte, dass sich die Daten des Radlernetzwerks nutzen lassen. „Mir ging es darum, die ohnehin gesammelten Informationen eines Big-Data-Anbieters für unsere Planungszwecke zu verwenden.“ So meldete sich Bachmann bei Strava – und kurz darauf unterschrieb der ZRK einen Zweijahresvertrag über die Nutzung von Metro. 15.000 Euro ruft der Anbieter für die etwa 100.000 Datensätze auf, die Kosten tragen ZRK, Stadt und Landkreis Kassel jeweils zu einem Drittel. Neben den Daten für 2019 wird Strava auch noch das Material für 2020 zur Verfügung stellen.

Wege über Stadtgrenzen hinaus betrachten

Der ZRK hat jetzt Zugriff auf die Daten aller Strava-Bewegungen im Raum Nordhessen. „Das ist für uns wertvoll, weil wir die Entwicklungsplanung für den Großraum Kassel machen, worunter auch die zehn Umlandkommunen fallen“, erklärt Bachmann. Konkret denkt er daran, dass man das Wegenutzungsverhalten von Radfahrern über Stadtgrenzen hinweg betrachten kann. Das liefere Informationen, die etwa beim derzeit laufenden Planungsprozess für drei Raddirektverbindungen helfen könnten, so hofft Bachmann. „Es geht auch um die genaue Betrachtung, wo mit der Radinfrastruktur etwas vielleicht nicht funktioniert“, erklärt er.

Heatmaps und Filter nach Alter oder Geschlecht

Mit Strava Metro lassen sich die Datenschätze relativ simpel in einer sogenannten Heatmap visualisieren. So erkennt man schnell, welche Routen häufig und welche kaum oder gar nicht frequentiert werden. „Unsere neue Plattform ist sehr einfach zu bedienen und erfordert auch keine Installation oder technische Anbindung“, sagt Paul Niemeyer, der Strava in Deutschland vertritt. Allerdings lassen sich die Daten in diesem Web-Angebot auch granularer betrachten. So können die Nutzer Filter setzen, um bestimmte Wege in den Blick zu nehmen, etwa kurze Strecken. Auch Alters- und Geschlechterverhältnisse lassen sich abbilden. „Die Daten sprechen Bände über die Radinfrastruktur“, so Niemeyer. Für fortgeschrittene Anwender ist auch der Export etwa in Form von GIS-Daten möglich, sodass die Strava-Informationen in die bekannte Planungsumgebung einlaufen.

Mit Hitze gemacht: Die sogenannte Heatmap zeigt mit Farben, wo besonders viel und besonders wenig los ist. So erkennt man auf einen Blick, wie sich Ströme bündeln und wo das Netz am stärksten genutzt wird.

Nicht repräsentativ, aber nutzbar

So alt wie das Angebot von Strava ist der Zweifel, ob die Daten eine sinnvolle Erkenntnisquelle für öffentliche Planer sind. Schließlich stammen sie von überdurchschnittlich fitten Sportlern, die meistens auf unterdurchschnittlich leichtem Gerät unterwegs sind. Forscher der TU Dresden setzten sich bereits vor Jahren mit dem Thema auseinander und kamen zu einem differenzierten Fazit: Die Nutzergruppe von Strava sei nicht repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung. „Gleichwohl kann unter gewissen Gesichtspunkten und mit einigen Korrekturen selbst ein durch die Nutzer von Sportapps erzeugter Datensatz ein sehr gutes Abbild des Radverkehrsverhaltens liefern“, argumentierte Sven Lißner von der TU Dresden in einem Leitfaden zum Thema, der 2017 im Zuge des Nationalen Radverkehrsplans veröffentlicht wurde. „Seither hat sich an dem Grundthema nichts geändert“, sagt der Verkehrsingenieur Lißner. „Wenn ich zum Beispiel Aussagen über kurze Alltagsfahrten älterer Menschen treffen möchte, bietet mir der Datensatz von Strava dazu keine repräsentativen Einblicke.“ Ja, aber – so ist der Blick des Forschers auf diese Informationen. Strava selbst verweist auf Studienergebnisse, die nahelegen, dass die Daten repräsentativ sind. Allerdings stammen die Daten aus den USA. Sicher ist: Man hat hier keinen Querschnitt der Bevölkerung. Aber auch solche Daten können deutlich wertvoller sein als etwa ein Blick auf die Zahlen der Verkehrszählung mit Automaten. „Man erfährt ja immer etwas über Verkehrsmengen in bestimmten Verkehrsbeziehungen und nicht nur an einem Punkt“, sagt Lißner.

Hohes Maß an Datenschutz

Genau diesen Aspekt betont Strava: Gegenüber den längst eta­blierten Zähl- und Statistikangeboten habe man den Vorteil der Wegebeziehungen, die sich visuali­sieren lassen. Gegenüber anderen Anbietern von GPS-Daten habe man wiederum den größten Schatz an Daten von aktiven Nutzern. Und gleichzeitig biete man ein Datenschutzniveau, das eine Zusammenarbeit mit deutschen Kunden problemlos erlaube: Bei Strava werden die Daten nicht nur anonymisiert, sondern zusammengefasst als Verkehrsmengen auf Strecken ausgegeben – einzelne Fahrten kann man sich also nicht aus dem Datenschatz ziehen.

Investition nicht nur aus Bauchgefühl

ZRK-Direktor Bachmann sieht die Möglichkeiten seines neuen Tools. Zwei seiner Mitarbeiter haben im Dezember vom Strava-Team per Videoschalte eine Einweisung in die Technik bekommen, noch im Fe­bruar wollte man erste Beispielauswertungen angehen. „Man merkt in unserer Region, dass es überparteilich Unterstützung und auch Investitionsbereitschaft für Radprojekte gibt“, sagt Bachmann. „Die damit verbundenen Entscheidungen wollen wir aber nicht nur aus Bauchgefühl treffen.“ Mit den Metro-Daten könne man beispielsweise gut erkennen, welche Radwege sich auszubauen lohnen – oder wo neu angelegte Wege überhaupt nicht angenommen werden. Bachmann sieht auch Potenzial für eine touristische Nutzung, wenn seine Mitarbeiter beispielsweise die GPS-Spuren von Mountainbikern im Gelände finden. Daraus ließen sich dann Tipps erschaffen und durch Touristiker vermarkten.

Kommunen interessiert an Strava Metro 3.0

Für Strava-Vertreter Niemeyer war die Kooperation mit der hessischen Planungsregion ein erster wichtiger Durchbruch. Sein Unternehmen hatte neuerliche Mühe in Metro gesteckt, die Datenauswertung verbessert und als Version 3.0 vermarktet. „Wir sehen einen wachsenden Bedarf und führen derzeit vielversprechende Gespräche mit mehreren Kommunen in Deutschland und Österreich.“ Außerdem sei noch ein Projekt in der Mache, bei dem die Strava-Verkehrsdaten für ein Gesundheitsprojekt als Informationsquelle dienen sollen. Mehr war allerdings zu Redaktionsschluss noch nicht spruchreif.

Über Strava

Strava ist ein soziales Netzwerk zum internetbasierten Tracking sportlicher Aktivitäten. Unter engagierten Hobby-Sportlern, ebenso wie bei Profis ist Strava weitverbreitet. Seit der Gründung im Jahr 2009 haben sich weltweit mehr als 50 Millionen Menschen der Sportler-Community aus 195 Ländern angeschlossen, um ihre Trainings.-Aktivitäten festzuhalten, zu teilen und sich gegenseitig anzuspornen. 25 Millionen Aktivitäten werden hier pro Woche hochgeladenen. Neben Laufen und Radfahren unterstützt Strava insgesamt 32 weitere Aktivitäten wie Schwimmen, Inlineskaten, Rudern oder Skifahren. Das amerikanische Unternehmen mit Hauptsitz in San Francisco beschäftigt über 165 Mitarbeiter.


Bilder: Strava

In München geschieht derzeit Großes. Die Stadt übernimmt die Forderungen zweier Radentscheide und will mit einem Milliardenbudget zahlreiche Straßen auf fahrradfreundlich trimmen. Im Kommunalwahlkampf wurde der Radverkehr damit zum heftig umstrittenen Politikum. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2020, März 2020)


Die Münchner Fraunhoferstraße wäre ein gutes Erklärbeispiel für die anspruchsvolle Aufgabe, vor der Städte- und Verkehrsplaner heutzutage stehen. Die etwa 500 Meter lange Verkehrsachse zwischen Isar und Altstadtring der Landeshauptstadt vereinte bisher auf im Schnitt etwa 20 Meter Breite zwei Gehwege, zwei Stellplatzreihen, zwei Fahrspuren für täglich etwa 16.000 Kraftfahrzeuge und zwei Trambahngleise. Dass parallel zum Straßenverlauf auch noch eine U-Bahn-Station unter der Erde verborgen liegt, mag für die Verkehrssituation über der Erde nebensächlich sein, vervollständigt aber das Bild eines besonders intensiv genutzten Teils des öffentlichen Münchner Raums.
So kennen die Münchner ihre Fraunhoferstraße seit etlichen Jahrzehnten. Bis Juli 2019: Da schloss sich der Stadtrat zwei Bürgerbegehren („Radentscheid“ und „Altstadt-Radlring“) mit deutlicher Mehrheit an. Beide Bürgerbegehren zusammen erzielten 160.000 Stimmen und waren damit wohl so eindeutig, dass alle Parteien im Stadtrat mit Ausnahme der Bayernpartei auf einen nachgelagerten Bürgerentscheid verzichteten und stattdessen die Forderungen der Bürgerbegehren unverändert als Planungsauftrag an die Stadtverwaltung weiterreichten.
Die wiederum ging zumindest in der Fraunhoferstraße äußerst rasch an die Umsetzung: Bereits in der ersten August-Woche wurden auf der gesamten Länge der auch von Radfahrern intensiv genutzten Straße alle der bisher insgesamt 120 Parkplätze auf beiden Straßenseiten mit einem 2,30 breiten, hellroten Fahrradstreifen überpinselt. Gefühlt quasi über Nacht erkannten viele Münchner die Fraunhoferstraße nicht wieder: Wo Radfahrer bisher eine wagemutige schmale Gratwanderung zwischen parkenden Autos und Straßenbahngleisen absolvieren mussten, steht ihnen nun ein großzügig bemessener Anteil am Verkehrsraum zur Verfügung.

Die Münchner CSU stellte den Radverkehr in den Mittelpunkt ihres Kommunalwahlkampfes.

Viel Beifall, viel Kritik

Die Maßnahme wurde erwartungsgemäß von den Radfahrern in München bejubelt. Wohl genauso sind aber auch die kritischen Stimmen zu erwarten gewesen. Vor allem seitens der in der Fraunhoferstraße angesiedelten Unternehmen regte sich heftiger Widerstand, der seitdem regelmäßig Stoff für die Münchner Tageszeitungen liefert. Selbst ein in der Fraunhoferstraße ansässiger Fahrradhändler wurde in Zeitungsberichten zitiert, dass sich der Wegfall der Stellplätze vor seinem Laden negativ auf seinen wirtschaftlichen Erfolg auswirke. Bei einer Bezirksausschusssitzung im vergangenen November haben auch Anwohner wütende Proteste formuliert. Dort fielen drastische Begriffe wie „Terror“ und „Katastrophe“.
Bislang lässt sich die Stadtverwaltung davon offenbar nicht beeindrucken und hat dem Vernehmen nach unlängst eine interne Liste von 41 weiteren Straßen in München angelegt, die nach und nach mit ähnlichen Maßnahmen auf fahrradfreundlich getrimmt werden sollen. Insgesamt seien neue Radwege auf 450 Kilometer Streckenlänge geplant. Das dafür zur Verfügung stehende Budget im Stadthaushalt wird mit 1,5 Milliarden Euro bis 2025 beziffert.

Radverkehr wird Wahlkampfthema

Es ist wohl kein Zufall, dass die Münchner CSU für die Vorstellung ihrer Mobilitätsthemen im Kommunalwahlkampf im Januar in die nach ihrem Standort benannte Gaststätte „Fraunhofer“ lud. Die roten Fahrradstreifen vor dem Eingang zu diesem bei Studenten und Künstlern beliebten Wirtshaus stehen aus Sicht der CSU als sinnbildliches Beispiel dafür, was in der Landeshauptstadt gerade schiefläuft. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert den Münchner CSU-Chef Ludwig Spaenle, nach dem die Fraunhoferstraße seit ihrer Umgestaltung nur noch eine „nordkoreanische Schneise“ sei.
Die auch mit den Stimmen der CSU im Stadtrat beschlossene Radverkehrsstrategie wurde von der CSU-Oberbürgermeisterkandidatin Kristina Frank und dem Fraktionsvorsitzenden Manuel Pretzl bei der Vorstellung ihrer Mobilitätskampagne mit deutlichen Worten kritisiert. Die getroffenen Maßnahmen seien eine einseitige Bevorzugung der Radfahrer, die CSU wolle aber eine „faire Mobilität“ für alle Verkehrsteilnehmer – also auch für den motorisierten Individualverkehr. Die in den folgenden Wochen aufgehängten Wahlplakate der CSU kannten dann auch nur ein einziges Thema: gegen die „RADikal-Politik von Rot-Grün“. Stattdessen solle München „wieder München werden“. Erst einige Wochen später wendete sich der CSU-Wahlkampf auch wieder anderen kommunalpolitischen Themen wie etwa der Wohnungsnot zu.
„Die CSU (…) will ihre Wähler davon überzeugen, dass die Gegner in Sachen Verkehrspolitik aktuell den Verstand verloren haben“, schrieb dazu jüngst der Lokalpolitikredakteur Andreas Schubert von der „Süddeutschen Zeitung”. Und weiter: „Letztlich handelt es sich um den Versuch einer traditionell autofreundlichen Partei, ihrer Klientel gerecht zu werden, ohne als ewiggestrig dazustehen“.

Richtungsentscheid an der Wahlurne

Ob die Münchner CSU mit ihrer kritischen Positionierung gegenüber dem fahrradfreundlichen Umbau der Stadt die Gunst der Wähler für sich gewinnen konnte, wird das Ergebnis der Kommunalwahl am 15. März zeigen, also kurz vor Erscheinen dieser Ausgabe. Zumindest Ende Februar sahen Wahlumfragen die OB-Kandidatin der CSU Kristine Frank abgeschlagen bei 16 % und somit ohne Aussicht, gegen den populären amtierenden Oberbürgermeister Dieter Reiter in die Stichwahl zu ziehen. Wenn sich dieser Trend bewahrheitet, wird die Münchner Kommunalwahl vielleicht als Lehrstück dafür in die Geschichtsbücher eingehen, dass sich gegen den Radverkehr keine Wahlen gewinnen lassen.

Radverkehr in München

Als sich die Stadt München 2012 noch unter Alt-Oberbürgermeister Christian Ude selbst den Titel „Radlhauptstadt“ verlieh, musste so mancher Fahrradaktivist in Deutschland angesichts der unbescheidenen Eigenwahrnehmung der bayerischen Landeshauptstadt schmunzeln. Schließlich war München bis dahin eher als Auto-Mekka denn als Fahrradmetropole bekannt. Den Begriff Radlhauptstadt hat man seitdem an der Isar immer seltener in den Mund genommen.
Dabei war die Selbsteinschätzung zumindest unter den Millionenstädten in Deutschland gar nicht so verkehrt: Rund 18 % der Wege (Modal Split) in München werden mit dem Fahrrad zurückgelegt. Damit steht München im bundesweiten Vergleich recht gut da (zum Vergleich: Berlin 13 %, Köln 14 %, Hamburg 15 %). Allerdings stagniert der Radverkehrsanteil seit einigen Jahren auf hohem Niveau. Auch um hier nun die für 2020 angepeilte 20%-Marke zu überschreiten, formierten sich 2019 zwei Bürgerbegehren, die 90.000 Stimmen für den „Radentscheid München“ und weitere 70.000 Stimmen für den „Altstadt-Radlring“ einsammelten. Nachdem sich der Stadtrat nahezu einstimmig rasch und vollumfänglich den Forderungen der Bürgerbegehren anschloss, stellten deren Initiatoren die Stimmensammlung im Sommer 2019 vorzeitig ein.


Bilder: Stephan Rumpf, Markus Fritsch

Wie können Kommunen und Planer zu Radlogistik-Lösungen beitragen? Was sollten sie beachten? Wir haben für Sie einige Tipps und Anregungen zusammengestellt. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


WSM-Konzeptstudie:

Umschlagstation und Mikrodepot für die letzte Meile

Zur Entlastung des Innenstadtverkehrs hat das Unternehmen WSM – Walter Solbach Metallbau das Konzept einer sogenannten „Logistic-Station“ als betriebsfertigen Micro-Hub entwickelt. Von dort aus könnten künftig entsprechende Lastenräder der KEP-Dienste die Haustürzustellung übernehmen. Die Logistic-Station ist modular zweigeschossig angelegt. Ebenerdig wird ein mobiles Raumsystem zur Organisation der Lagerfläche verbaut. Eine angebaute Überdachung bietet Regenschutz beim Umladen der Pakete vom Lkw ins Raumsystem und in die Cargobikes. Die Überdachung kann über ein Rolltor geschlossen werden, um dort die Cargobikes über Nacht sicher zu parken bzw. aufzuladen. Darüber ist ein zweites Geschoss mit Umkleide- und Pausenräumen sowie Sanitäranlagen für die Fahrer vorgesehen. Aktuell befindet sich die Station laut WSM im Konzeptstadium und soll zusammen mit Kunden und Kommunen weiterentwickelt werden.

www.wsm.eu

Universitätsprojekt:

Planungsleitfaden verfügbar

Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat im Oktober dieses Jahres einen „Planungsleitfaden für Lastenradumschlagsknoten“ vorgestellt. Er soll Kommunen und Wirtschaftsunternehmen bei der Planung sogenannter Micro-Hubs für den Einsatz von Lastenrädern in innerstädtischen Bereichen unterstützen. Der gemein­­-same Leitfaden der beiden Lehrstühle für logistische Systeme und Um­welt­­psychologie fokussiert dabei auf den Kurier-, Express- und Paketmarkt (KEP) und seine Akteure. Viele Erkenntnisse seien jedoch auch auf andere Bereiche und generell für die urbane Stadt-, Verkehrs- und Logistikplanung übertragbar, so die Wissenschaftler.


Inhalte u.a.:
  • Vermittlung von Überblickswissen zur Radlogistik in Logistikketten.
  • Empfehlungen aus logistischer, verkehrlicher und Akzeptanzsicht zu Umsetzung und Gestaltung der Komponenten und zur langfristigen Planung und Verbesserung der Rahmenbedingungen.
  • Der Leitfaden steht hier zum Download zur Verfügung:
    www.ilm.ovgu.de/inilm_media/Planungsleitfaden_Lastenrad.pdf
  • Gedruckte Versionen können per Mail bei tom.assmann@ovgu.de bestellt werden.

Bilder: WSM, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Ein fester Termin in der Fahrradwelt ist die Leitmesse der Branche Eurobike, die in diesem Jahr wieder rund 40.000 Fachbesucher, über 21.000 Fahrradfans und Teilnehmer aus 99 Nationen anzog. Eines der Top-Messethemen: urbane Mobilitätslösungen. (erschienen in VELOPLAN, Nr. 01/2019, Dezember 2019)


Die Wurzeln der Eurobike liegen Anfang der Neunziger Jahre im damals jungen Mountainbike-Segment. Aber die „wilden Zeiten“, in denen Fahrradmessen vor allem etwas für eingefleischte Enthusiasten und Radsportler waren und Neuentwicklungen eher in der Nische stattfanden, sind längst vorbei. In den Medien, in der Gesellschaft und bei Verbrauchern nehmen Fahrräder und E-Bikes heute einen breiten Stellenwert ein.

Innovationsgeladene Mobilitäts-Show

Neue technische Entwicklungen, allen voran die Motorunterstützung, die inzwischen alle Gattungen durchdrungen hat, neue Designs und neue Modellvarianten haben aus dem vielfach belächelten Drahtesel längst ein hochattraktives Produkt gemacht. Das zeigte einmal mehr die Eurobike, die sich als Fachmesse mit gewandelt hat und sich in diesem Jahr unter anderem mit einer großen Cargo Area und Ausstellern aus den Bereichen Kleinstfahrzeuge, E-Mobility-Lösungen und E-Scootern präsentierte. „Die Eurobike 2019 war eine innovationsgeladene Mobilitäts-Show, auf der Hersteller aus aller Welt die Zukunft des Fahrrads mit all seinen Komponenten als Sportgerät wie auch begehrter Mobilitätsträger beleuchteten“, resümierte Messe-Geschäftsführer Klaus Wellmann zur 28. Eurobike in Friedrichshafen.

Messe unterstreicht deutsche Rolle als Leitmarkt

„Deutschland ist in Europa der größte Markt für Fahrräder und inzwischen auch mit Abstand der größte für E-Bikes“, unterstreicht der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Gerade bei der E-Bike-Technik gehören neben bekannten Branchengrößen wie Shimano oder dem E-Motor- und Batterie-Pionier Panasonic viele deutsche Unternehmen weltweit zu den Innovationsführern. Darunter mehr und mehr bekannte Namen aus der Automobil-Zulieferindustrie, wie Bosch, Brose, Mahle oder die ZF-Gruppe. Aber auch viele weitere international renommierte Unternehmen und Marken aus Deutschland und Europa gehören im Hinblick auf die Innovationskraft und Qualität weltweit zu den Marktführern. Auch im noch jungen Bereich der E-Cargo-Bikes, der sich dank Motorunterstützung gerade im Aufbruch befindet.

„Cargobikes zählen nach unserer Beobachtung gegenwärtig zu den am schnellsten wachsenden Produktkategorien im deutschen Fahrradmarkt.“

David Eisenberger, Zweirad-Industrie-Verband

Ausgerüstet mit Motor und hochbelastbaren Komponenten eignen sich Cargobikes auch für den professionellen Einsatz. Die Eurobike ist ein Treffpunkt für Inspiration und Information, zum Fachsimpeln und nicht zuletzt zum Ordern. Die Themen Nachhaltigkeit und faire Produktion spielen eine wichtige Rolle in der Fahrradindustrie, wie bei Fahrrädern mit Bambusrahmen.

Neue Lastenräder und Vernetzungslösungen

Ausgereifte elektrisch unterstützte Zweiräder revolutionieren laut ZIV die Freizeitnutzung und sorgen umweltfreundlich für „neue touristische Angebote und intensivere Erlebnisse für jeden Anspruch und alle Altersklassen“. Dem kann man beim Gang durch die Messehallen und bei den vielfältigen Gelegenheiten zu Testfahrten nur zustimmen. Auch im Bereich der Individualmobilität liefern Fahrräder, E-Bikes und neue Formen der Mikromobilität in allen Ausprägungen beste Voraussetzungen für die verkehrstechnischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Dynamik der Entwicklungen ist dank vielen Startups, Geldern von finanzkräftigen Investoren, Crowdfunding-Plattformen, einem hohen Tempo der etablierten Unternehmen und einer wachsenden Nachfrage nach innovativen Produkten so stark wie nie. Gerade beim Lastentransport zeichnet sich ein laut ZIV „noch kaum abzuschätzender Bedarf nach Cargo-E-Bikes ab“. Dazu kommen spezielle Angebote für Logistiker – ein noch sehr junger Markt, der vor allem individuelle Lösungen ins Auge nimmt. Eine Stärke der von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägten Branche. Neue Angebote und Mehrwerte zeichnen sich auch durch die fortgeschrittene Vernetzung ab. Die macht beispielsweise frei skalierbare Sharing-Lösungen für kleine Flotten per App möglich. Ideal unter anderem für Unternehmen, autofreie Wohngebiete oder Kleinlösungen auf dem Land.

Cargo boomt – auch auf der Eurobike

Die Absatzzahlen für Cargobikes gehen steil nach oben. Ein Trend, der sich in den Messehallen und den dazugehörigen Diskussions- und Informationsforen der Eurobike ebenso widerspiegelt, wie in den Verkaufszahlen. Für 2018 hat der Zweirad-Industrie-Verband die Cargobikes in seinem Marktbericht erstmals als eigene Kategorie erfasst und diesem Segment einen Anteil von vier Prozent innerhalb des E-Bike-Marktes attestiert. In Zahlen entspricht das einem Absatz von rund 40.000 E-Cargo-Bikes in Deutschland, die typischerweise in einem Preisbereich zwischen 4.000 und 8.000 Euro liegen. „Cargobikes zählen nach unserer Beobachtung gegenwärtig zu den am schnellsten wachsenden Produktkategorien im deutschen Fahrradmarkt“, so ZIV-Sprecher David Eisenberger. Auch in den Messehallen war der Trend unübersehbar: Neben vielen Angeboten der Hersteller am Stand gab es auch eine im Vergleich zum Vorjahr deutlich vergrößerte Sonderfläche mit 32 Spezialisten, darunter einige Newcomer. Das Angebot reicht dabei von der Familienkutsche mit bis zu drei Kindersitzen bis zu Heavy-Duty-Cargo-Bikes für den professionellen Einsatz. Vom Lieferdienst über den Handwerker, Entsorger oder Geschäftsbetrieb gibt es inzwischen für alle und jede(n) etwas – bis hin zu individuellen Aufbauten als Food- oder Coffee-Bike.

Globale Leitmesse über das Produkt Fahrrad hinaus

„Die Eurobike hat sich als globale Leitmesse des Bike-Business etabliert“, so Stefan Reisinger, Bereichsleiter der Eurobike. „Sie zieht das ‚Who is Who‘ der Szene nach Friedrichshafen und schafft als Netzwerk- und Knowhow-Plattform viele reale Mehrwerte über das Produkt hinaus. Viele der Newcomer sind etablierte Unternehmen aus dem Technologiesegment und bringen ihre Sicht auf den aktuellen Megatrend Mobilität ein.“


Bilder: Messe Friedrichshafen